Einweihung
des Gedenksteins zur Erinnerung an die bei der Flucht über das Eis des Haffs
1945 umgekommenen Landsleute. Nach sechsjährigem Bemühen ist nunmehr den ungezählten Hafftoten der Tragödie von 1945 eine würdige Gedenkstätte in Frauenburg errichtet worden. Die vielen Hafftoten, die bei der Flucht über das zugefrorene "Frische Haff" zu beklagen waren, schienen lange in Vergessenheit geraten zu sein. Zumindest nichts im öffentlichen Gedenken erinnerte in den vergangenen 55 Jahren an sie. Grund genug, nach so langer Zeit endlich der Opfer zu gedenken, die da in Eis und Schnee den Tod fanden, und für die Zukunft mahnend an den Exodus der ostpreußischen Bevölkerung zu erinnern. 1995/96 wurde das erste Ersuchen über das deutsche
Generalkonsulat in Danzig öffentlich vorgetragen. Aufgrund der damaligen
Gesetzeslage war die Antragstellung sehr kompliziert, die entsprechende
kommunale Verwaltung musste durch den Stadtrat über den Standort entscheiden,
die geschichtlichen Ereignisse mussten dokumentiert werden, die zuständige
Wojewodschaft musste dem Vorhaben zustimmen und der zuständige Staatssekretär
in Warschau musste sein Ja nicht nur zum Textentwurf auf deutsch und auf
polnisch für die Gedenktafel auf dem Stein geben. Ein glücklicher Umstand war es gewiß, daß der Kreisvertreter von Braunsberg, Manfred Ruhnau, schließlich den Vorgang erneut aufgriff, der bereits seinem Vorgänger, Herrn Gerhard Steffen, ein Herzensanliegen war. Die langjährigen guten Kontakte der Kreisgemeinschaft Braunsberg zu den Behörden in Frauenburg hatten zu einem vertrauensvollen Verhältnis geführt, was für den erfolgreichen Verlauf dann schließlich gewiß entscheidend war. In einen dreieinhalb Tonnen schweren Findling aus dem Frischen Haff ist nun eine Gedenktafel eingelassen mit der Inschrift in deutscher und polnischer Sprache: „450.000 ostpreußische Flüchtlinge flohen über
Haff und Nehrung, gejagt vom unerbittlichen Krieg. Viele ertranken, andere
starben in Eis und Schnee. Ihr Opfer mahnt zu Verständigung und Frieden.
Januar/Februar 1945“. Die feierliche Einweihung fand am Sonnabend, dem 26. Mai 2001, in Frauenburg statt. Sie begann mit einem Gottesdienst im Frauenburger Dom unmittelbar oberhalb der Parkanlage zwischen Haff und Domberg, in der die Stadt Frauenburg den würdigen Platz für den Gedenkstein zu Verfügung gestellt hatte. Erzbischof Dr. Edmund Piszcz aus Allenstein hielt das Hochamt in Konzelebration mit dem für die Vertriebenen in Deutschland zuständigen Weihbischof Gerhard Pieschl aus Limburg, dem Apostolischen Visitator der Ermländer Dr. Lothar Schlegel und anderen Geistlichen. Im altehrwürdigen gotischen Dom, der den Krieg glücklicherweise im wesentlichen unversehrt überstanden hatte und der heute also noch so aussieht wie früher, gab es längst keinen Sitzplatz mehr: Deutsche und Polen, Katholiken und Protestanten, alle waren geladen und waren gekommen. In der Predigt nahm Weihbischof Pieschl den Roman „Josef und seine Brüder“ von Thomas Mann als Anregung, um auf die gleichzeitig tragische wie auch glückhafte Beziehung zwischen Polen und Deutschen hinzuweisen. Josef war von seinen Brüdern in eine Zisterne geworfen und nach Ägypten verkauft worden, von dort wurde er dann zum Wohltäter seiner Brüder. Und es gebe eine alte jüdische Legende, nach der Josef zusammen mit seinen Brüder noch einmal die Zisterne, also die Stelle seiner Erniedrigung, besucht hätte, nicht um seine Brüder zu beschämen, sondern um Gott zu preisen, der alles zu einem glücklichen Ende lenkt. Ja und schließlich gebe es zwischen und Polen ja auch so eine wechselseitige Beziehung, mal sind die einen Josef und die anderen seine Brüder - und dann ist es wieder umgekehrt. Um den Gedenkstein herum hatten sich bei strahlendem Wetter über 1500 Menschen eingefunden, wohl zwei Drittel davon Deutsche, die vor allem mit Bussen angereist waren, und auch viele Polen. Allein die Kreisgemeinschaft Braunsberg war mit vier Bussen vertreten. Unter den Deutschen waren etwa 150, die in der Heimat geblieben waren. Die Reden beim Gedenkstein, der zunächst mit Bändern in den deutschen und polnischen Farben „verhüllt“ war, begann Frau Dr. Danuta Markowska, Bürgermeisterin von Frauenburg. Sie wies darauf hin, daß die Opfer der Tragödie vor 56 Jahren nach unseren menschlichen Vorstellungen unnötig waren, doch sei die Geschichte der Menschheit eben voll von solchen unbegreiflichen Grausamkeiten und es sieht sogar bisweilen so aus, als ob die Menschen nicht lernen wollten. Doch ist - richtig gesehen – wohl kein Tod sinnlos, kein Leben überflüssig. Und so sollte doch der Tod unserer Landsleute eine Aufforderung für uns zu Toleranz und friedvollem Zusammenleben sein. Der Kreisvertreter der Braunsberger in Deutschland, Herr Manfred Ruhnau, berichtete zunächst von der Geschichte des Gedenksteins, die schließlich auch durch viele offene und freimütige Gespräche mit den Mitgliedern des Rats und der Gemeinde Frauenburg schon lange vorher vorbereitet waren. Die heutige weitgehend polnische Bevölkerung vereinigt sich mit den vielen, die das Gedächtnis derer begehen, die vor einem halben Jahrhundert über Eis und Schnee geflohen waren. Er berichtete in diesem Zusammenhang von der Flucht zusammen mit seiner Familie, wie sein vier Wochen alter Bruder bei der Flucht umgekommen sei und wie der achtjährige Bruder verloren gegangen und dann nach zwei Jahren hier im Westen wiedergefunden worden war. Herr Ruhnau bedankte sich dann beim Steinmetz, Herrn Andreas Goerigk aus Bietigheim bei Heilbronn, einem Landsmann aus Rössel, der sich spontan bereit erklärt hatte, die notwendigen Arbeiten und vor allem die Gestaltung der Texttafel kostenlos auszuführen. Der Stein selbst war von seinem polnischen Besitzer der Kreisgemeinschaft geschenkt worden, und auch die Sträucher um die würdige Anlage hatte der aus Litauen stammender Gärtner, der zwischen Braunsberg und Frauenburg große Gärtnereien hat, der Kreisgemeinschaft geschenkt. Herr Manfred Ruhnau las dann die Inschrift auf dem Stein vor. Herr Leyk in Vertretung des Wojewoden führte aus, daß die Geschichte zwar der Motor des Wissens ist, doch daß wir Menschen nicht immer die richtigen Schlüsse ziehen. Die heutige Feier zeige, daß es eben „mit den richtigen Schlüssen“ doch gehe! Er wandte sich an die Bürger der Stadt Frauenburg, den Gedenkstein und den Platz zu pflegen und in Ehren zu halten. Erzbischof Dr. Edmund Piszcz sprach von der Versöhnung und dem Frieden in den Herzen der Menschen: Wir müssen uns bemühen, immer wieder damit anzufangen, dem Frieden zwischen uns und Gott, zwischen uns und unseren Mitmenschen und schließlich dem in unserem eigenen Herzen. Der Geistliche der polnischen evangelischen Gemeinde in Elbing, Herr Rudkowski, wies zunächst einmal darauf hin, daß die evangelische Kirche keine Segnung von Steinen kenne, gesegnet würden hier nur Gotteshäuser. Doch er sprach von Steinen, die in der Bibel zitiert werden, so den Steinen, auf die Jesus hinweist, als ihn bei Lukas 19, 39 die Pharisäer im Zusammenhang mit der Begeisterung der Menschen bei seinem „prächtigen“ Einzug in Jerusalem tadeln: „Ich sage euch, wenn diese schweigen, werden die Steine schreien.“ Kennzeichen der Steine, die in der Bibel zitiert werden, sei das harte Material, das ewige Dauer symbolisieren solle. So werden auch die Gebote dem Moses auf Steinen gegeben, um deren Dauerhaftigkeit zu unterstreichen. Auch heute noch erinnerten wir alle uns an Menschen, die uns nahe standen, auf Steinen, um sie unvergesslich zu machen. Evangelische Christen in Südpolen hätten sich an Steinen in den Wäldern getroffen zum Zeichen der Festigkeit ihres Glaubens. Und so wird auch diese Steintafel hier am Ufer des Haffs selbst dann noch bestehen, wenn wir von hier scheiden, und sie werden von den tragischen Ereignissen künden und immer wieder zu Frieden und Versöhnung mahnen. Letzter Redner war der Vertreter der Landsmannschaft Ostpreussen, Herr Manfred Schukat: Wir alle seien hier zwischen Frischem Haff und Frauenburger Dom zusammen gekommen, um der Tragödie vor über 50 Jahren zu gedenken, um uns gemeinsam zu erinnern, zu trauern und zu mahnen. Jedes Volk gedenke seiner Opfer, so auch wir, ja wir gedenken der fünfzehn Millionen deutscher Heimatvertriebenen, die einen fürchterlichen Krieg mit dem Verlust ihrer Heimat bezahlen mussten, eingeschlossen der zweieinhalb Millionen Ostpreußen. An den Zug der etwa 500000 übers Haff Geflüchteten, vor allem Frauen, Kindern und Greisen, die vielfach entkräftet im Eis umkamen, erinnerte Herr Schukat mit dem Beginn des Gedichtes „Wagen an Wagen“ von Agnes Miegel. Ja, wenn das Frische Haff reden könnte, was könnte es uns erzählen... Doch bereits fünfeinhalb Jahre nach den fürchterlichen Ereignissen hätten die Heimatvertriebenen in der Stuttgarter Erklärung auf Rache und Vergeltung verzichtet. An diese Entscheidung erinnere auch ein Stein, der 50 Jahre später in Anklam in Pommern errichtet wurde mit dem Bibelzitat aus Sacharja 8,19: „Doch liebt die Wahrheit und den Frieden!“ Denn nur eine Verbindung dieser beiden Worte gibt Sinn: Wahrheit ohne Friede macht fanatisch, und Friede ohne Wahrheit ist ein fauler Frieden. Zwischen Polen und Deutschen kann es nur Friede geben, wenn beide zugleich der Wahrheit und dem Frieden dienen, dann kann Friede und Versöhnung gelingen. Die Kranzniederlegung wurde von einem Trompetensolo begleitet, der Festakt wurde umrahmt mit den Liedern „Ich bete an die Macht der Liebe“, „Nun danket alle Gott“ und einem polnischen Musikstück, die von einer Braunsberger Musikkapelle gespielt wurden. Mit einem Dank an alle Teilnehmer – insbesondere auch an die der deutschen Vereine in der Heimat - beendete der Kreisvertreter die Gedenkstunde. Noch lange nach dem Festakt führten die polnische Fernseh- und Rundfunkreporter Gespräche mit Landsleuten, die etwa von ihrer Flucht über das Eis berichteten. Und schließlich waren etwas abseits von den polnischen NATO-Kameraden Tische und Hocker unter Zeltplanen aufgebaut, wo es - wie schon öfter bei unseren Veranstaltungen in der Heimat – den berühmten guten „militärischen“ Erbseneintopf für die Teilnehmer gab. Und wie die Tische und die „Gulasch-Kanonen-Töpfe“ mit frischen Bettlaken gedeckt oder eben verhüllt waren, so sah das alles auch richtig festlich aus! Manfred Ruhnau - Michael Preuschoff Zu den Bildern:
....und
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