KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN) e.V.

Knut Hamsuns "Segen der Erde"

8. Mai 1945. Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Da meine Einheit nicht rechtzeitig die Demarkationslinie Linz-Prag überschritten hatten, übergaben uns die Amerikaner den Russen. Diese treiben uns kreuz  und quer durchs Mühl- und Waldviertel bis vor die Tore von Wien in ein Barackenlager, das zuvor deutschen Truppen gedient hatte. Aus den Resten der der Lagerbibliothek fischte ich Knut Hamsuns "Segen der Erde" heraus und stopfte es in meinen Sack, weniger um das mir längst bekannte Buch noch einmal zu lesen als sozusagen mein Gelumpe zu veredeln.

Im Sommer wurden wir in Viehwagen verladen. Aus irgendwelchen Gründen wurde der Transport in Temesvar im rumänischen Banat unterbrochen. Als Ruhrkranken schaffte man mich mit einigen Leidensgefährten in einem Militärwagen ins Lazarett. Ehe wir in dieses eingeliefert wurden, wurden wir noch einmal gefilzt. Mir wurde die Ehre zuteil, vom Chefarzt persönlich gefilzt zu werden. Aus meinem Zeug, das ich vor ihm ausgebreitet hatte, fischte er alsbald das Buch heraus. Als er es aufgeschlagen hatte, bemerkte er in bestem Deutsch: "Der Hamsun ist ein Nazi!" Wie ich ihn erstaunt ansah, fügte er hinzu: "Ich habe in Leipzig studiert!" Aber er ließ mir das Buch. Was ich sehr nobel fand.

Das Lazarett erwies sich als der Schweinestall eines Klosters. Die Lazarettbetten vertrat das Stroh, das man auf den Estrich gestreut hatte. Nebenan im Obstgarten war die Latrine ausgehoben. Da wir durchweg Ruhrkranke waren, wurde sie stark frequentiert. Wann einer von uns sie aufsuchte, kam er bei mir vorbei, sich ein Blatt aus dem Buch zu holen. Ehe es aber seinem Zweck zugeführt wurde, wurden beide Seiten erst einmal stehend freihändig gründlich gelesen. Kein Zusammenhang? Hamsuns klare, kraftvolle Sprache wirkt auch ohne diesen.

Eines Nachmittags gab ich das gewünschte Blatt einem jungen Landser, der im Zivilberuf ein Handwerker oder kleiner Angestellter sein mochte. Wie er alsbald wieder zu mir kam, glaubte ich, er sei schnell rückfällig geworden. Schon griff ich ins Stroh nach dem Buch, als er abwinkte. Was denn? Sag mal, sprach er stockend, ist es nicht schade um das Buch? Natürlich ist es schade, gab ich im zur Antwort, aber hast du was anderes? N-ein, sagte er kleinlaut und zog betrübt von dannen. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und dem Bürschchen, das in seinem Leben gewiß kaum etwas von Hamsun gehört, geschweige denn gelesen hatte, um den Hals gefallen.

Wer an dem Jungen seine helle Freude gehabt hätte: Knut Hamsun selbst. Aber der hatte damals andere Sorgen. Der "Blut- und Boden-Dichter" hatte es ja, wie der russische Arzt schon zu Recht bemerkt hatte, mit den auf Hitler eingeschworenen Quislingen gehalten, und so wurde der weit über 80jährige deshalb nach dem Kriege von seinen norwegischen Landsleuten zur Rechenschaft gezogen.

Wir haben haben den "Segen der Erde" damals im Lazarett zu Temesvar bis zum letzten Blatt zerrissen, zerlesen und zersch..., sagen wir es vornehmer: zweckentfremdet.

Hans Preuschoff

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