Das Vereinshaus
Von HANS PREUSCHOFF
Quelle: Ermlandbuch
Schön war es nicht und gemütlich auch nicht, unser altes, braves Braunsberger
Vereinshaus in der Königsberger Straße. Aber was tat's? Es hatte alles, was von
einem solchen Hause billigerweise zu verlangen war. Mittendrin die Theke,
Kommandoturm und Tankstelle zugleich. An den Thekenraum anschließend die Stuben,
in denen die Vereine tagten und sonntags die Bürger ihren Whist oder Skat
spielten, ohne daß ihnen eine Schenkin immerfort ins Glas guckte: Darf's noch
eins sein? Der kleine Saal und endlich der große zum Redenhalten und -hören,
Tanzen und Theaterspielen. Als Zugabe für die sommerlichen Freuden endlich
draußen der Garten.
Das genügte doch. Wir haben jedenfalls die Möglichkeiten, die unser Vereinshaus
bot, genutzt, so gut wir konnten. Wir haben in seinen Mauern beraten und
beschlossen, gepichelt und gepratert, gescherbelt und geschmust. Was gerade an
der Reihe war. Wir erinnern uns an viele Vorträge, lange und laute, leise und
weise, an prächtige und mittelprächtige Aufführungen. Und nicht zuletzt an manch
nettes Festehen, bei dem wir uns auch ganz nett die Schlipse bekietert und die
Schlorren verscheppt haben. Noch heute wird uns etwas seltsam in der Magengegend
zumute, wenn wir daran denken. Und in die Nase zieht der Geruch von kaltem Rauch
und altem Bier, der sich hartnäckig zwischen den düsteren Wänden hielt. Und noch
ein anderer Duft will sich, ich kann es nicht verschweigen, beim Gedanken an das
liebe Vereinshaus mit Gewalt aufdrängen. Sein Haupteingang hieß so, weil er
hauptsächlich nicht benutzt wurde. Und der Nebeneingang, durch den wir in der
Regel eingeschleust wurden, führte an Räumlichkeiten vorbei, die einstens nicht
eben zu den gepflegtesten solcher Unternehmen gehörten. Genug davon, Sie wissen
Bescheid. Doch das soll unsere Erinnerungen an das Haus nicht trüben. Das
Katholische Vereinshaus, um es einmal mit seinem vollen Namen zu nennen, gehörte
- im gemessenen Abstande natürlich - zu unserem Braunsberger Leben wie das
Elternhaus in der Malzstraße und Schulstraße, die Wohnung in der Auenstraße, die
Schulen und die Kirchen. So war zum Beispiel auch die Wahl des Hausvaters,
Ökonom genannt, der unter dem Oberbefehl des Vorstandes des Katholischen
Volksvereins das Haus regierte, jedesmal ein kleines Ereignis für die ganze
Stadt und zu Hause Gegenstand wochenlanger Tischgespräche. Gönnen wir dem
Vereinshause darum ein paar Worte freundlichen Gedenkens. Setzen Sie sich,
lieber Leser, in den nunmehr freilich auch schon etwas angeschabten
Wirtschaftswundersessel, stecken Sie sich eine Zigarre an, möglichst von unserer
alten Braunsberger Firma Loeser und Wolff (womit ich natürlich keine
Schleichwerbung machen will), oder gießen Sie sich eine Tasse Kaffee ein, wenn
Ihnen der Herr Doktor diese Genüsse noch nicht verboten hat, und hören Sie ein
bißchen zu.
Gartenkonzert
Die frühesten Erinnerungen verbinden sich eigentlich nicht mit dem Vereinshaus
selbst, sondern seinem Garten, der freilich zunächst seinen Namen kaum
verdiente. Er war eigentlich mehr ein Hinterhof mit ein paar Bäumen und
Sträuchern und Kieswegen dazwischen und vielen Ecken. und Winkeln und
Rumpelkammern. Ein wirklicher Garten wurde erst daraus, als ein
Nachbargrundstück dazugekauft wurde mit einem für unsere Breiten selten großen
Magnolienbaum. Jedenfalls wurden wir schon als Kinder in den Vereinshausgarten
mitgenommen, wenn dort am Nachmittage des Fronleichnamstages die Kapelle Lenhart
konzertierte. Damals, ehe sie den österreichischen Thronfolger erschossen und
die Glocken der Stadt zur Mobilmachung läuteten. Also noch in der Zeit vor dem
ersten Kriege. Das war ein richtiges Gartenkonzert mit vollem Orchester und
Kaffee und Kuchen. Denkt nicht, ihr jungen Bälger von heute, daß wir da auch
schon pausenlos Eis zu lutschen und Cola zu schlabbern kriegten wie ihr heute.
Mit der Hand über den Alexanderplatz. Wir waren selig, daß wir überhaupt
mitdurften, und die festliche Erregung, von der wir ,erfüllt waren, spüren wir
jetzt in unseren alten Tagen nach. Wir krochen in die bewußten Ecken, nur
bedacht, daß wir uns nicht die Schmandblusen dreckig machten. Dann wehe uns.
Aber wenn der Herr Erzpriester Reichelt, der so fein und würdig war, wie man
sich nur einen Erzpriester vorstellen kann, bei seiner Runde an den Tisch kam,
an dem die Eltern mit Huhns und Hennings, und wer noch dazugehörte, saßen,
bauten auch wir uns vor ihm auf und hielten Maulaffen feil. Kein Wort des
bewunderten Herrn entging uns. Kaum setzte das Orchester ein, wußte er schon,
was es spielte. Wie war das nur möglich? Ich lief zum Baum, an dem das Programm
angeschlagen war. Es stimmte: Ouvertüre zu den lustigen Weibern von Windsor,
oder was es gab. Beim nächsten Stück das gleiche. Ich paßte nun wie ein
Schießhund auf, ob der Herr Erzpriester nicht doch zwischendurch schnell an den
Baum ging, um sich zu informieren. Er tat es nicht und wußte trotzdem auf Anhieb
auch das dritte Stück, Potpourri aus der Dollarprinzessin oder so. Ich war
sprach- und fassungslos. Der Herr Erzpriester schmunzelte, die Mutter genierte
sich offensichtlich für ihren sonst so altklugen Ältesten, der Vater machte das
Gesicht, das alle Väter in solchen Fällen machen, nämlich gar keines, und tat
das Beste, was er hier tun konnte, er nahm einen großen Schluck aus seinem
Glase. Ich aber schlug mich, als sich der Herr Erzpriester, immer noch lächelnd,
erhob, um an den nächsten Tisch zu gehen, in die Büsche, um mit meinem
unglaublichen Erlebnis allein fertig zu werden. Etwas beruhigt war ich erst, als
man mir versicherte, der Herr Erzpriester sei eben unerhört musikalisch. Was das
bedeutete, verstand ich allerdings noch nicht so recht; auch als man mir sagte,
ich selbst sei es nicht im geringsten. Als man dies aber auch von dem Nachfolger
des Herrn Erzpriester Reichelt behauptete, fühlte ich mich einigermaßen
getröstet.
Bald drangen wir auch in das Innere des Vereinshauses vor, in den großen Saal.
Mit seinem verschlissenen Bühnenvorhang, der seltsamen Deckenornamentik, dem von
Holzpfeilern gestützten Balkon, allgemein Bullerloge genannt, weil sich auf
ihrem Holzbelag so wunderbar trampeln ließ, mag der Saal wirklich besonders
häßlich gewesen sein. Wir empfanden dies keineswegs, genausowenig wie wir etwa
damals die Schönheiten unserer Landschaft wahrnahmen. Schön und häßlich waren
für uns noch keine Begriffe, wenigstens nicht für die Dinge, mit denen wir
zusammen aufgewachsen waren. Der Saal war eben da, und da er da war, war er auch
gut und richtig . und meinetwegen auch schön. Und wir wären in tiefster Seele
erschüttert gewesen, wenn ihn uns jemand hätte vermiesen wollen, wo wir doch so
viele kinderglückliche Stunden in ihm verlebten.
Womit soll ich bei diesen Erlebnissen anfangen? Gern schickten uns die Eltern
ins Vereinshaus, wenn dort bildsame Lichtbildervorträge gezeigt wurden. Wir
selbst wären, ehrlich gesagt, noch lieber ins Kino gegangen, das um die Zeit, da
wir flügge wurden, am Neuen Markt seine Pforten öffnete. Aber das Kino galt
damals noch oder schon als Kintopp; man war in unseren Kreisen einfach nicht
dafür, so sehr sich auch alles wieder an Prachtschinken wie „Quo vadis" und „Die
letzten Tage von Pompeji" berauschte, schon weil die Lektüre der Romane zum
notwendigsten Bildungsgut jener Zeit gehörte. Wenn die Eltern am
Sonntagnachmittag ihre Ruhe haben wollten, sahen sie uns weit lieber in die
Vesper ziehen als in die Jugendvorstellung. So blieb es also auf diesem Sektor
noch vorwiegend bei den Lichtbildervorträgen im Vereinshaus über die Lahn oder
Lappland. Zum Schluß wurde dabei manchmal zu unserem größten Vergnügen auch
schon ein kleiner Film gezeigt, freilich ein gegenstandsloser, in dem sich alle
möglichen phantastischen Figuren in ständigem Wechsel auf der Leinwand
zusammenzogen und wiederauflösten. Eben dieses Filmehen erscheint mir noch heute
in meiner Erinnerung besonders reizvoll, vielleicht weil es absolut filmisch
war.
Durchaus geeignet für uns hielt man auch die Vorführungen des Männerturnvereins
mit Armeschwenken und Keulenschwingen wie zu den Zeiten des Turnvaters Jahn. Den
Knalleffekt bildete jeweils die am Schluß von den Mannen aufgebaute Pyramide,
die vom Publikum denn auch gebührend bestaunt wurde. Eine Art lebendes Bild.
Diese lebenden Bilder waren auch sonst auf der Bühne noch recht beliebt wie
schon zu den Zeiten Goethes und Eichendorffs. Eigentlich stimmt die Bezeichnung
nicht ganz, denn nicht die Bilder, die irgendeine Begebenheit darstellten,
lebten, sondern sie wurden von lebendigen Menschen gebildet, die aber ganz steif
und starr dastanden. Es war für uns als Kinder immer ein Heidenspaß, wenn die
eine oder andere dieser Figuren die Minuten, die das Bild den bewundernden
Blicken der Zuschauer standhalten mußte, nicht ganz durchhielt und zu wackeln
anfing, also nun doch lebendig wurde. Wir warteten förmlich auf solche
Mißgeschicke, die für uns der eigentliche Witz bei den sonst als herzlich
langweilig empfundenen „lebenden Bildern" waren. Die Redensart „Macht keine
lebenden Bilder!", von der Mutter gern gebraucht, wenn wir uns irgendwie zu
produzieren anfingen, erinnerte uns noch lange an diese inzwischen vergessene
Art szenischer Darbietungen.
Keinen guten Nachgeschmack haben mir bis heute die Vorführungen der
Liliputanertruppe hinterlassen. Ich tue den armen Menschlein gewiß unrecht, aber
die Zurschaustellung körperlicher Mängel, um damit Geld zu verdienen, löste in
mir ein Gefühl des Unbehagens aus. Allerdings waren die Liliputaner gar nicht so
gebrechlich, wie sie schienen. Als wir beim Einlaß drängelten, schlugen sie
fröhlich mit Stöcken in uns hinein. Auch ein Publikumsdienst. Da gefielen mir
schon wesentlich besser die Radballkämpfe unseres Braunsberger Klubs. Wie die
Herren Ruddies und Genossen mit ihren blitzblanken Spezialrädern elegant durch
den Saal kurvten, um den Ball im feindlichen Tor unterzubringen, das imponierte
uns gewaltig.
Theater, Theater
Am liebsten aber gingen wir doch ins Vereinshaus, wenn dort richtige
Theaterstücke gegeben wurden. Die Vereine, die hier ihre Heimstatt hatten, sahen
es als Ehrensache an, sich jeden Winter ihrem Publikum mit einer eigenen
Aufführung zu präsentieren. Das Kino steckte damals, wir sagten es schon, noch
in den Kinderschuhen; ans Radio und Fernsehen dachten höchstens Phantasten oder
solche, die wir dafür hielten. Die Schaulust und das Unterhaltungsbedürfnis des
Volkes wurden noch fast ausschließlich vom Theater befriedigt. Doch spielte man
nicht nur, um die Leute zu amüsieren, sondern ebenso gern zum eigenen Vergnügen.
Bellgardts Liesbeth, die daheim tagaus, tagein den Schrubber umarmen mußte,
wollte auf der Bühne endlich einmal als Komteß Edelmut den Prinzen ihrer Träume
ans Herz drücken, auch wenn es in Wirklichkeit nur der Franz Kuhn aus der
Ritterstraße war. Und Stobbes Ton wollte wenigstens hier den Schwerenöter
markieren, den draußen ihm keiner abnahm, am wenigsten zu Hause sein Trudchen.
Der künstlerische Wert dieser Stücke war gewiß nicht überwältigend. Es gab da in
Thüringen einen Verlag, der solche Vereinsdramen am laufenden Bande produzierte,
und sie wurden bei uns auch eifrig nachgespielt. Um original-ermländische oder
besser wohl -ostpreußische Stücke bemühte sich unser Pfarrer Leo Reinfeld.
Gesehen habe ich leider keines von ihnen, auch nicht das berühmte „Bloß nuscht
vom Finanzamt". Die Stücke religiösen Charakters mögen sich auf dem Stand der
damaligen Stadt-Gottes-Geschichten bewegt haben. Eins von ihnen ist mir doch
unvergeßlich geblieben. Es hieß das „Glöckchen von Inesfer". Ich schreibe den
Ort, wie er damals auf unserer Bühne gesprochen wurde. Vielleicht handelte es
sich um Innesfree in Irland, dem ich zufällig in einem Roman des katholischen
englischen Dichters Evelyn Waugh begegnet bin. In Irland konnte das Stück schon
spielen; es war so todtraurig, wie man sich bei uns nur Irland vorstellt. Einsam
und verlassen irrte ein eltern- und großelternloses Mädchen klagend durch die
kalte Welt, eine Stunde, zwei Stunden. Längst rutschten wir auf den harten
Stühlen hin und her. Diese Vereinshausstühle erforderten in meinem Bericht
eigentlich ein besonderes Kapitel. Wenn mir von dem Inventar des Hauses noch
etwas ganz deutlich vor Augen steht, sind es eben diese griesen, mickrigen,
natürlich unbespannten Stühle, deren einziger Vorzug darin bestand, daß sie
relativ leicht waren und daher vom Personal jederzeit ohne große Mühe auf- und
abgebaut werden konnten. Was haben wir aber von ihnen aus nicht alles gesehen
und erlebt. Doch wehe dem Hause, das heute noch eine solche Bestuhlung, wie der
technische Ausdruck heißt, seinen Besuchern anzubieten wagte in unserer feinen
und gepolsterten Welt. Aber an dem Abend fühlten selbst wir Kinder uns erlöst,
als das Glöckchen von Inesfer erklang, aus einem Kloster oder dergleichen, und
das arme Kind aus seiner Not erlöste. Doch wir hatten zu früh gejubelt. Nun
begann sich das Mädchen erst noch einmal ausführlich darüber zu freuen, daß das
Glöckchen geklingelt hatte. Mindestens eine Stunde, wenn nicht länger. Jetzt
wußten wir gar nicht mehr, wie wir sitzen sollten. Die Anna, die uns hingeführt
hatte schlug uns fortwährend ins Kreuz: „Wollt ihr Kreten endlich stillsitzen!`
Der liebe Agnesverein (es kann auch der Marienverein gewesen sein) hatte es
wieder mal außerordentlich gut gemeint. Es fehlte nicht viel an Mitternacht, als
wir ins Bett kamen. Nie wieder Agnesverein, schworen wir, und bei der nächsten
Aufführung bettelten wir die Eltern so lange, bis sie uns ziehen ließen. Trotz
des „Glöckchens von Inesfer". Oder vielleicht gerade deswegen.
Sehr gern gingen wir in die Aufführungen des Katholischen Lehrervereins und des
Cäcilienvereins mit. Für die ersteren zeichnete Lehrer Georg Funk
verantwortlich, der nicht nur den Rohrstock meisterlich zu handhaben wußte -
manchem Braunsberger Hintern wird es noch heute bei dem Gedanken daran kribbeln
-, sondern auch ein literarisch interessierter Mann war, der seine Stücke mit
viel Sorgfalt einstudierte. Im Cäcilienverein war zeitweilig ein munteres junges
Völkchen versammelt, das sein Publikum in sehr vergnüglicher Weise durch
selbstgedichtete Stückchen und Coupletchen unterhielt.
Im ersten Weltkriege fanden besonderen Anklang die Aufführungen, die der
Vaterländische Frauenverein veranlaßte, zu Wohltätigkeitszwecken, wie der
Ausdruck lautete. Spielleiter und Hauptdarsteller war hier der Zeichenlehrer
unseres Gymnasiums, Herr Georg Heider. Der gebürtige Schlesier war von Hause mit
den Musen wesentlich stärker befreundet als wir prosaischen Ermländer. Otto
Miller ist da kein Gegenbeweis, seine poetische Ader hat er sicher von seinen
österreichischen Vorfahren mitgekriegt. Dafür stellten wir Ostpreußen aber die
besseren Buchhalter, wie uns Richard Süßmuth, der bekannte Glasbläser, einmal
zugestanden hat. Herr Heider also hatte eine ausgesprochene Begabung für das
sogenannte komische Fach, das er gewiß auch im Berufstheater vortrefflich
vertreten hätte. Im Unterricht fanden wir ihn freilich meist gar nicht sehr
lustig. Doch das soll wohl oft so sein, daß Menschen unten im Leben ganz anders
sind als oben auf den Brettern. Wir konnten ihn jedenfalls gar nicht genug
bewundern, wie er mit seinem Temperament die Bühne beherrschte. Die Einfälle,
von denen er nur so übersprudelte, kamen ihm, wie seine Mitspieler uns einmal
später erzählten, oft im letzten Moment, so daß sie davon völlig überrascht und
ganz aus dem Text gebracht wurden. Noch sehe ich Herrn Heider in dem damals
vielgespielten Schwank „Pension Schöller" von Laufs über die Bühne fegen und als
Theodor Körners „Nachtwächter" verzweifelt auf der Mauer stehen, nachdem ihm die
beiden Studenten, die ihn erst zum Fensterln verführten, die Leiter weggezogen
hatten. Diese Studenten waren auch von unserer Schule, Lehramtskandidaten, wie
die Studienassessoren damals noch hießen, Herr Tilsner, der von der Jugendwehr,
und Dr. Herbert Meyer, unser Lateinlehrer, der sich unter innigster Anteilnahme
der ganzen Penne von Sexta bis Prima der zarten Marlies Hühnke anverlobte. Was
meinen Sie, liebe Leser, was wir Jungens für einen Spaß hatten, wenn wir unsere
Lehrer, in solchen Rollen verkleidet, auf der Bühne agieren sahen. Die Wände des
Vereinshauses zitterten von unserem Beifallsgebrüll.
Höheren Ehrgeiz entwickelte später auch mit ganz anderen Zielsetzungen Kaplan
Lettaus Spielschar. Sie begnügte sich nicht mit Hans Sachsens "Kälberbrüten",
sondern stieß bis zu Calderons „Abendmahl des Balthasar" vor. Doch da will ich
nicht meinem Bruder Franz ins Gehege kommen; er war bei diesem Unternehmen
sozusagen erster Held und Spielleiter, er soll euch lieber selber einmal davon
erzählen.
Selbstverständlich waren wir in Braunsberg nicht nur auf Liebhaberaufführungen
angewiesen. Mehr oder weniger regelmäßig fanden auch Berufstheater zu uns,
zumeist wohl aus Königsberg. Das Vereinshaus übernahm, indem es diesen
Wanderbühnen Gastrecht gewährte, die Aufgabe des alten Stadttheaters im
Neustädter Rathaus. Im Jahre 1900 war dieses abgerissen worden und hatte der
Konditorei Tolksdorf Platz gemacht. Zuletzt hauste hier die Bank der
Ostpreußischen Landschaft. Mein Vater hatte als Lehrerseminarist noch das alte
Stadttheater erlebt. Nun spielten die verschiedenen Theatergruppen im
Vereinshaus, und ihre Darbietungen waren auch von einem durchaus verschiedenen
Niveau. Ich erinnere mich an wildbewegte Schüleraufführungen von "Emilia Galotti"
und „Kabale und Liebe". Diese waren vom guten alten Schmierentheater gewiß nicht
weit entfernt. Jedenfalls war der Gegensatz zwischen den Vorstellungen, die wir
uns nach der Lektüre dieser Dramen in der Schule von Aufführungen der Stücke
machten, und dem, was wir hier zu sehen bekamen, einigermaßen verwirrend.
Vielleicht wußten wir auch die -wirkliche Qualität mancher Theaterabende noch
nicht ganz zu würdigen. Immerhin haben sich mir zwei Aufführungen aus der
Schülerzeit fest eingeprägt, nicht zuletzt wohl deshalb, weil hier prominente
Schauspieler mitwirkten. Die Sensation in dem zu jener Zeit noch gern gegebenen
Lustspiel „Flachsmann als Erzieher" von Otto Ernst, einem Lehrerstück, bestand
darin, daß die Titelrolle vom Sohn des Königsberger Generalarztes Bobrik
verkörpert wurde. Ein Generalssohn als Schauspieler, das bewegte damals die
Gemüter noch heftig. Am stärksten hat sich mir 16jährigen der „Baumeister Solneß"
von Ibsen auf die Seele gelegt. Worum es in dem Stück ging, habe ich damals
gewiß nicht ganz begriffen. Doch ist mir von der Aufführung bis heute ein
besonderes Gefühl für die Welt des nordischen Dichters geblieben. Der
Hauptdarsteller war, so wurde uns gesagt, ein sehr berühmter Schauspieler, der
in dem Stück in Königsberg gastierte und sich mit dem dortigen Ensemble zu einem
Ausflug nach Braunsberg bereit fand. Wer kann dieser große Mime nur gewesen
sein? Nach seiner hohen, schlanken Gestalt, dem tiefernsten, zergrübelten
Gesicht, das ich immer noch vor mir sehe, ist beinahe auf Friedrich Kayßler zu,
schließen, den manchen aus der älteren Generation gewiß noch bekannten
bedeutenden Charakterdarsteller, der bei der Katastrophe von 1945 in Berlin
elend ums Leben gekommen ist. Warum eigentlich sollte er nicht Braunsberg
aufgesucht haben? Heute gehen ja die Stars mit dem Grünen Wagen auch auf die
Dörfer. (Hier müßte ein Abschnitt über die großen
Oratorienaufführungen des Cäcilienvereins („Jahreszeiten", „Elias" u. a.) unter
der meisterlichen Stabführung Paul Sommers folgen, bei denen sich der
Vereinshaussaal in eine wahrhaft festliche Konzerthalle verwandelte. Leider hat
sich Fräulein Hedwig Jagdt, die unermüdliche Mithelferin bei der Einstudierung
der Oratorien, zur Zeit aus gesundheitlichen Gründen außerstande gesehen, meinen
unvollständigen Erinnerungen an diese großen Abende des Vereinshauses
nachzuhelfen. Und meinen guten Vater, der als getreuer Bassist des
Cäcilienvereins bei allen Aufführungen begeistert mitgewirkt hat, kann ich auch
nicht mehr befragen. So muß eine Darstellung dieser bedeutsamen künstlerischen
Ereignisse, die weit über Braunsberg hinaus beachtet wurden, einem späteren
Bericht vorbehalten bleiben.)
Tanzstunden
Nachdem wir so manchen Abend auf die Bühne hinaufgestarrt hatten zu einer Welt,
die uns in unerreichbarer Höhe verschlossen schien, hatte eine Aufführung von
Sophokles' „Antigone" durch das Gymnasium auch uns eines Tages von ihr Besitz
ergreifen lassen. Wir wußten jetzt auch droben auf den Brettern Bescheid.
Drunten im Saal fühlten wir uns bereits durchaus sicher. Herr Boy hatte uns
inzwischen mit seinem Tanz- und Anstandsunterricht zu vollendeten Kavalieren auf
dem Parkett gemacht. Sie ziehen Ihr Gesicht in Zweifel, lieber Leser? Das ist
aber schade. Sie hätten nur sehen sollen, welch elegante Kratzfüße wir vor den
Damen machten, wenn wir sie aufforderten. Nicht so wie die Mähnenjünglinge
heute: Na, Putzi, wollen wir mal? Oder so ähnlich. Wie artig und höflich damals
noch alles zuging. Und natürlich auch sittsam. Darum war vor allem schon Frau
Direktorin Schröter äußerst besorgt. Sie ließ uns überhaupt erst vom
Mittelkränzchen an ihre Schülerinnen zum Tanze führen. Bis dahin galoppierten
wir Pennäler miteinander durch unsere Aula, und die Mädchen hopsten gleichfalls
für sich allein in ihrer Turnhalle herum. Dabei hatten wir noch
unwahrscheinliches Glück. Beim Kursus vorher durften die Männlein und Mägdelein
lediglich bei der großen Tanzstunde zusammenkommen, zum ersten und letzten Male.
Das war noch Braunsberg.
Wegen des Arrangements des Mittelkränzchens gab es gleich viel Spektakel, an dem
sich auf das lebhafteste auch die Mütter beider Geschlechter beteiligten, welche
in rauhen Mengen den Podest an der Längswand bevölkerten. Auf dieser Brüstung,
von Spottmäulern Drachenfels genannt, saßen dereinst bei gewöhnlichen
Tanzabenden die Mädchen aufgereiht, während die Herren sich in den Pausen nach
der Theke zu verflüchtigten, wo sie verständlicherweise nicht untätig
verharrten. Die Mädchen hatten beim nächsten Tanz dann die reizende Gelegenheit,
festzustellen, um wieviel Zentimeter inzwischen die Fahne der Herren gewachsen
war. Als dann die Fensterwand aufgerissen und die Veranda überdacht und in den
Saal einbezogen wurde, konnten die Tanzpartner dort an Tischen Platz nehmen und
die Herren unter wohltuender Kontrolle gehalten werden.
Während der Tanzstunde nun hielten Mütter auf dem Drachenfels hartnäckig und
getreulich Wacht; sie fühlten sich für ihren reibungslosen Ablauf in jeder
Hinsicht verantwortlich. Der ruhende Pol in dem ganzen Getriebe aber war Meister
Boy, ein zierliches Herrchen mit einem ungemein gepflegten weißen Spitzbart.
Jeder Zoll ein Gentleman der alten Schule. Dazu sprach er ein klassisches
Elbingisch: „Vor, zurück und eens, zwee, dree!" Wir lernten von ihm sogar noch
die Quadrille ä la cour und ließen uns bei der großen Tanzstunde, dem
aufregenden Abschluß des ganzen Unternehmens, von unseren Damen mit
Cotillonorden behängen, daß wir aussahen wie der Kaiser bei der Parade. Ich lese
eben im Duden nach: Die Quadrille, ein munterer, von je vier Paaren im Karree
getanzter Kontertanz im Dreiachtel- oder Zweivierteltakt. Wie schön! Munter war
der Tanz in der Tat schon deshalb, weil die vier Paare meist hoffnungslos
durcheinandergerieten. Ob's mit dem Takt immer stimmte? Wer von euch, liebe
Leser, wird sich heute wohl noch die Führung einer Quadrille zutrauen? Mit all
ihren Touren und Figuren? Und über Cotillon lese ich im Lexikon: Unterrock;
Kotillon! Hu! Also unter „K": Da steht's: Gesellschaftsspiel in Tanzform. Und
der Große Herder fügt hinzu: mit „Ordensverleihung". Wo wir es haben, wie bei
Kaisers. Die Damen, die wir nicht hintansetzen wollen, wurden von uns für die
Orden, die sie an unsere Männerbrust hefteten, mit zierlichen Sträußchen beehrt.
So sagte man sich es eben damals.
Wie lange ist das schon alles her? Fünfundvierzig Jahre. Eben, eben. Kurz nach
dem ersten Weltkrieg. Mit dem einen Bein tanzten wir noch die guten alten
Sachen, mit dem andern schoben wir schon den blöden Bummelpetrus. Insgesamt sind
wir durch die Tanzstunden vielleicht ein bißchen an-, aber nicht aufgerührt
worden. Was heißt freilich: wir? Noch kurz vor der großen Tanzstunde tauschten
unter allgemeiner Anteilnahme der Natscha und der Emil ihre Damen der Emil blieb
der seinigen treu für Zeit und Ewigkeit.
Wir, also die durch die Tanzstunde weniger Betroffenen, woran gewiß auch das
liebe Elternhaus Anteil hatte, das zwar die Tanzstunde für notwendig hielt,
nicht aber die möglichen Folgerungen - wir wechselten bald nach den Tanzstunden
vom Vereinshaus zur Konkurrenz über, die ihm in der Altstadt entstanden war,
ohne freilich seine Existenz auch nur im geringsten zu gefährden. Ich meine das
niedliche, verwunschene Kreuzbündnishaus, in dem sich die Vereine und Gruppen
einfanden, denen es im Vereinshaus zu sehr nach Bier roch. Auch lag es sicher
günstiger als das an die Peripherie der Stadt gesetzte große Vereinshaus. Um
eine wirkliche Konkurrenz zu werden, fehlte dem Häuschen vis-à-vis dem Rathaus
nicht nur das Bier, sondern auch der Saal. Was es zu bieten hatte, war nur ein
winziges Räumchen, aber es genügte uns vollauf. Der Schülerbund Neudeutschland,
dem wir uns alsbald anschlossen, hatte seine Gründungsversammlung zwar noch ins
Gesellenzimmer des Vereinshauses einberufen, aber diese ging daneben. Die
Königsberger Primaner, die, fixer und heller als wir, wie die Diasporaermländer
immer sind, bereits eine Gruppe gebildet hatten und uns zeigen wollten, wie man
so etwas macht, erschienen nicht, und so platzte der groß angekündigte
Gründungsakt im Vereinshaus. Still und unauffällig stiftete dann im
Kreuzbündnishaus unser geistlicher Beirat, Pfarrer Arthur Kather, den Bund, den
er mit seinem Geiste erfüllte. Es waren schöne und gute Jahre, die wir hier in
dieser Gemeinschaft verlebten, geführt von seiner behutsamen und doch starken
Hand. Sie haben durch alle Stürme der Zeiten und des Lebens nachgewirkt.
Erinnern wir auch an die netten Schabberstunden in der Küche der Hausmutter, die
zufällig Frau Hausmann hieß. Daß sie mir einmal statt Limonade Weihwasser zu
trinken gab, ist ihr längst verziehen. Es hat mir nichts geschadet, leider auch
nicht viel geholfen.
Ferienkommers
Dann aber sind wir aus dem kleinen Vereinshaus wieder zum großen Bruder in der
Königsberger Straße zurückgekehrt. Nach dem Abitur schlossen wir uns dem KV an,
dem Verbande der katholischen Studentenvereine, und dessen Altherrenzirkel
hatte, wie es sich gehörte, das Vereinshaus zu seinem Lokal erkoren, und er lud
uns in den langen Semesterferien regelmäßig zu seinen Sitzungen und Stammtischen
ein. Zum Dank dafür benahmen wir uns dabei so schlecht, wie sich nur Studenten
zu allen Zeiten benehmen, unsere natürlich ausgenommen. Heute führen sich die
Studenten vorbildlich auf. Sie können es ja jeden Tag in der Zeitung lesen und
im Radio hören... Die Braunsberger Alten Herren waren jedoch von einer
verständnisvollen Nachsicht, für die ich sie noch nachträglich immer nur
bewundern kann. Höhepunkt unserer Wirksamkeit auf diesem Felde war ein
Ferienkommers im Sommer 1926, zu dem sich die alten und jungen KVer aus dem
ganzen Ermland mit ihren Damen im Braunsberger Vereinshaus zusammenfanden.
Freunde, das war noch was. Wie die Chargierten in langer Reihe unter den Klängen
des Triumphmarsches aus Aida (meinetwegen war es auch der Hohenfriedberger) in
den Saal zogen, mit markigen Mienen und im festen, wenn auch, da wir krasse
Zivilisten waren, nicht immer gleichen Schritt. Wie dann die Schläger auf die
alten Vereinshaustafeln knallten, daß sie bedrohlich zu wackeln begannen, und
die Salamander urkräftig zur Decke donnerten, daß der Kronleuchter nur so
schwankte. Wie uns die Augen leuchteten und die Pulse schwollen - so hieß es im
Bundeslied, das unser ermländischer Domherr Julius Pohl dem KV gedichtet hatte,
und das, ich bleibe im Text, seine Feuerwellen zum Himmel emporrollte. Freunde,
Freunde! Doch wo sind, die mit mir schwärmten, die in Braunsbergs Gassen
lärmten? Ich weiß, ich weiß, ich habe die Verse dieses anderen Liedes ein
bißchen verändert, aber so stimmen sie auch. Weit zerstreut in alle Winde hat
sie jetzt des Lebens Not, müd sind, die ich wiederfinde gönne es mir, strenger
Kalendermann, daß ich hier etwas gefühlvoll werde, und streiche mir die Zeilen
nicht. Schließlich bist du selbst ja noch einer der wenigen, die übriggeblieben
sind von denen, die vor 40 Jahren im Braunsberger Vereinshaus den Ferienkommers
feierten. Du warst freilich viel braver als wir andern alle. Nur einmal . . .
aber das gehört nicht hierher, weil's nicht im Braunsberger Vereinshaus war,
sondern . . . Doch nicht weiter! Sonst bestätige ich nur noch unseren Professor
Fleischer, der uns Sekundanern zu unserer ungemeinen Betrübnis eröffnete, die
Ermländer erkenne man daran, daß sie ihre Priester schlechtmachten! Oh!
Darum will ich hier auch nur ganz vorsichtig andeuten, daß die ermländischen
Geistlichen, zu einem beträchtlichen Teil wenigstens, in einem bestimmten
Abschnitt ihres Lebens dem Vereinshaus eng verbunden worden sind. Das war in der
Zeit, als sie sich im geistigen Zentrum des Ermlandes ihren schweren Studien
widmeten. Den Armen war, wenigstens damals, als ich selbst noch im Steinhaus
meine ermländischen Pflichtsemester (sozusagen) verbrachte, der Besuch eines
jeden Lokales verboten mit Ausnahme des Vereinshauses, und selbst dieses durfte
auch nur am Sonntagnachmittag betreten werden. Kein Wunder, daß man die Herren
Theologen nach der Vesperandacht in der Pfarrkirche um die Ecke des Artushofes
flitzen sah, daß der Scheske nur so flog, eben in Richtung Vereinshaus. Noch
hurtiger kletterten sie freilich nachher den Postberg hinauf, um nicht das
Abendbrot im Steinhaus zu verpassen. Einmal aber durften wir sogar abends im
Vereinshaus einen sogenannten Bonifatiuskommers begehen, bei dem wir vor den
Honoratioren Braunsbergs unter Alo Mohns Regie die ergreifende Tragödie vom
Pfarrer von Ohnewitz aufführten, der leider nur eine Predigt im Besitz hatte. Im
übrigen können es Ihnen die geistlichen Herren selber erzählen, welch fröhliche
Stunden sie dereinst im Vereinshaus verlebt haben. War's Haus selbst nicht
gemütlich, in ihrem Kreise war es es bestimmt.
Vergnügungspalast?
Eines Abends während der Studentenferien schleiften mich ein paar Freunde ins
Vereinshaus zu einem Schwofchen mit, wie es dort von Zeit zu Zeit zur
allgemeinen Unterhaltung und Annäherung angesagt wurde. Ich wollte hinter ihnen
nicht zurückstehen und fing während eines Walzers an, mit dem Mädchen mächtig
Süßholz zu raspeln. Das Fräulein hörte sich meinen Schmus eine ganze Weile
schweigend an, dann jedoch öffnete es sein Mündchen: „Aber Herr Preuschoff, ich
bin doch zu Ihrem Vater in die Schule gegangen!" Da blieb mir die Sprache weg.
Der Walzer war kaum zu Ende, da hatte ich schon das Vereinshaus hinter mir und
ward nie wieder bei einem solchen Festchen dort gesehen.
Noch ärger erging es mir beim Braunsberger Karneval. Sie lesen richtig: Das gab
es auch einmal, einen Braunsberger Karneval, allerdings nur für einen Abend. Für
einen richtigen Karneval oder Fasching wie im Westen oder Süden eigneten sich
weder unser ermländisches Temperament noch unsere nördliche Temperatur. Das
einzige, was wir vom Karneval als Kinder merkten, war, daß die Eltern uns hin
und wieder Kappen von einem der üblichen Winterfeste mitbrachten, die aber einen
ausgesprochen unbenutzten Eindruck machten, und daß es am Fastnachtsdienstag
Pfannkuchen gab. Doch im Winter 1928 wollte es der Männergesangverein einmal
wissen. Er war der vornehmste der drei Braunsberger Vereine, die sich dem
deutschen Männerlied verschrieben hatten. Darum galten seine Feste auch als die
langweiligsten. Um seinen Ruf in dieser Hinsicht aufzupolieren, lud er die ganze
Stadt zu einem großen Karnevalsfest mit Kostümen und Masken und Prinz und
Prinzessin ein. Wochenlang vorher redeten alle schon davon, nicht zuletzt von
dem künstlerischen Rahmen, den der Zeichenlehrer des Gymnasiums, Paul Grunau,
eigens dem Feste gab. Ich erledigte damals gerade mein einziges Semester an der
Landesuniversität Königsberg und fuhr natürlich auch heim, um das große Ereignis
ja nicht zu verpassen. Doch die Eltern meinten, ihr 23jähriger werde durch ein
solches Treiben noch überfordert - und gingen selber hin. Immerhin durfte ich
sie bis ans Vereinshaus begleiten, wo sie mich mit den üblichen guten Mahnungen
nach meinem Studienort verabschiedeten.
Ich schaue mir an der Sperre neben der Theke noch ein Weilchen tieftraurig den
Trubel von außen an und widme mich der Entzifferung der anrückenden Masken. Und
siehe, wer erscheint in der Tür? Sie! Blond, schlank, natürlich auch maskiert,
wie aus einem Film von Venedig. Ich stürze auf sie zu. „Wie, haben Sie mich
gleich erkannt?" flötet es leise unter der Maske, enttäuscht, aber auch - doch
das bilde ich mir wohl nur ein. „Sie kommen doch auch?" „N . . . ein!" „Wieso
denn nicht?" „Es geht nicht!" „Ach!" Und schon ist sie durch die Sperre im
Gewühle entschwunden. Mich aber faßt jetzt nicht etwa das namenlose Sehnen wie
Schillers berühmten Jüngling aus der „Glocke", sondern eine namenlose Wut,
selbstverständlich nicht auf meine guten Eltern, deren Sorge um das Seelenheil
ihres Ältesten mir auch noch in diesem kritischen Moment nur den höchsten
Respekt abnötigt, sondern auf die Unzulänglichkeit der Welt im allgemeinen. Ich
stürme zum Vereinshaus hinaus nach dem Bahnhof, vorbei an den immer noch
strömenden Masken, die mir verwundert nachblicken. Mit dem nächsten Zug nach
Königsberg, wo ich meinen Budengenossen Werner, der ausgerechnet an diesem Abend
zum ersten und einzigen Male im Semester vor Mitternacht schlafen gegangen ist,
aus dem Bette werfe und mit ihm zu Kückens Bierstuben sause, um noch vor der
Polizeistunde meinen Schmerz über die entgangenen Braunsberger Karnevalswonnen
mit Ponarther zu lindern. Was mir auch mit Werners Freundeshilfe bemerkenswert
rasch und glücklich gelungen ist. - Nachher hörte ich, es sei im Braunsberger
Vereinshaus auch recht hübsch gewesen, vor allem sei bei der „Rheinischen
Redoute" der Prinz eifrig am Werk gewesen wie ein richtiger Kölner Bützchenmann.
Doch wurde der Versuch mit dem Braunsberger Karneval nicht wiederholt. Es blieb
bei den Pfannkuchen.
Mancher Leser wird schon lange denken, das Vereinshaus habe eigentlich Tivoli
oder Eden heißen müssen. Bei all den Festen und Feiereien. Aber ganz so schlimm
war es nun auch wieder nicht. Ich habe mich schließlich bisher mehr an die
außergewöhnlichen Ereignisse gehalten. Seinem gewöhnlichen Berufe, Heimstatt für
die katholischen Vereine zu sein, ist das Vereinshaus gerecht geworden, solange
es nur ging. An ihm hat es nicht gelegen, wenn dann keine katholischen Vereine
mehr zu ihm kamen. Auch die Emigranten, die zum Kreuzbündnishaus übergewechselt
waren, kehrten bei größeren Anlässen gern dorthin zurück. Alle übrigen
katholischen Vereine aber hatten hier ihr Standquartier. So hielt hier der
Cäcilienverein seine regelmäßigen Proben ab. Die Vinzenzbrüder teilten freitags
ihre Marken aus und spielten anschließend ihren Whist, der ihnen wohl zu gönnen
war. Der Gesellenverein hatte im ersten Stock sogar sein eigenes Zimmer und,
irre ich mich nicht sehr, auch ein paar Fremdenzimmer für wandernde
Kolpingsbrüder, so daß das Vereinshaus auch die Aufgabe eines Gesellen- oder
Kolpinghauses übernommen hatte. Hier trafen sich noch regelmäßig der
Arbeiterverein, die Bruderschaften, der KKV und wie sie alle hießen, natürlich
auch der Frauenbund, während der Mütterverein, sein Rivale oder auch nicht, wie
man's nehmen will - die beiden bewegten sich schließlich in verschiedenen
gesellschaftlichen Regionen! -, seine Konferenzen im Kreuzbündnis hielt. Es gab
einen unter uns, der uns noch viel mehr von diesem inneren Leben des
Vereinshauses hätte erzählen können. Er war überall dabei und wußte überall
Bescheid und sagte auch jedem Bescheid, und wenn es der mächtige Herr
Erzpriester und Prälat selber war. Der mündige Laie, der den Mund auftat, wie
ihn sich das Konzil nun gewünscht hat. Die alten Braunsberger wissen längst, wen
ich meine: unseren lieben Meister Johannes Bracki, der uns leider schon vor
einigen Jahren verlassen hat. Ich hatte ihn noch kurz zuvor besucht, da schien
er noch so rüstig, und da dachte ich, es wird schon noch einmal passen, da wird
er uns noch mehr vom alten Braunsberg erzählen, und dann kam auf einmal die
Todesnachricht, und so hat er so vieles, was er noch wußte, mit hinübergenommen.
Nur ein paar herzhafte Erinnerungen an seine „Kirchenkämpfe" mit den Mächtigen
der Gemeinde hat er uns schriftlich hinterlassen. Wir werden sie unseren Lesern
bei Gelegenheit vorsetzen, müssen ihnen zuvor aber doch wohl die schärfsten
Zähne ziehen. Natürlich den Erinnerungen! Was meinen Sie denn? Ihnen, liebe
ermländische Leser, sind die scharfen Zähne, vor allem die berühmten
ostpreußischen Speilzähne, ja längst gezogen. Oder?
Heute ist man wohl eifrig dabei, das kirchliche Vereinsleben in Bausch und Bogen
zu verdammen. Wir kennen die abfälligen Reden über den sogenannten
Verbandskatholizismus. Sicher, es war viel Vereinsmeierei dabei und so mancher
Leerlauf. Auch unser Pfarrer Kather hielt schon damals nicht allzuviel von der
Vereinsbetriebsamkeit. Doch sollte uns gerade die Tatsache, daß dann der
Nationalsozialismus sehr rasch daranging, den kirchlichen Vereinen das
Lebenslicht auszublasen, beweisen, daß auch sie einmal ihre große Bedeutung
hatten und vielleicht auch heute noch haben.
Und die Politik
Ich bin nicht mit dem Zollstock durchs Ermland gezogen und habe die Säle in den
einzelnen Krügen nachgemessen. Vielleicht hatte das Vereinshaus tatsächlich die
meisten Plätze aufzuweisen. Trotzdem war es nicht das ermländische
Tagungszentrum, wie überhaupt Braunsberg nicht Mittelpunkt und Inbegriff des
Ermlandes war in der Weise, wie es etwa Münster für Westfalen ist. Das muß ich
selbst als alter Braunsberger zugeben, so gern wir uns Hauptstadt des Ermlandes
nennen hören und stolz sind auf seine hohen und alten Schulen. Aber der Bischof
regierte mit seinem Domkapitel nebenan in Frauenburg. Die ermländischen Bauern
hatten sich mit ihren Verbänden in Wormditt niedergelassen, wo überhaupt wegen
seiner günstigen Verkehrslage die großen Sachen aufgezogen wurden, die das ganze
Ermland angingen, z. B. die Auswahl der Zentrumskandidaten für Reichs- und
Landtag. Im Frühjahr 1933 fanden sich hier noch mehrmals die ermländischen
Bauern zusammen, um in eindrucksvollen Kundgebungen für die Wahrung der
ermländischen Tradition zu demonstrieren. Die ermländische Jugend blickte immer
mehr nach Heilsberg, wo im Herzen des Ermlandes schon die bischöflichen
Landesherren ihre Residenz gehalten hatten. Braunsberg lag eben zu sehr im
äußersten Winkel unseres Ländchens, mit dem es zu allem Unglück die Preußen
schnöderweise nur durch eine kümmerliche Nebenbahn verbunden hatten. Wenn unter
Westfalen die Rede auf Münster kommt, machen sie gleich verklärte Augen. So
verzückt schauen die Ermländer nach Braunsberg gewiß nicht. Sie regen sich
höchstens über den angeborenen Dünkel der Braunsberger auf und daß im Kalender
immer viel zu viel von ihnen steht. Was auch dieses Geschreibsel beweist. Oder
habe ich nicht recht? Dann gebe ich gleich eine ermländische Stubenlage aus,
wenn wir wieder im Braunsberger Vereinshaus versammelt sind. Aber die Stube
braucht nicht gleich der große Saal zu sein.
So mußte denn, um auf unser Thema zurückzukommen, das Braunsberger Vereinshaus
seine Stellung im Ermland weitgehend mit dem Goldenen Stern in Wormditt teilen.
Das besagt nicht, daß hier nicht auch Tagungen und Versammlungen von
überörtlicher Bedeutung stattfanden, etwa auf Diözesanebene, wie man sich heute
ausdrückt. Wir haben es jetzt ja immer mit den Ebenen und Räumen. In der
Hauptsache war aber das Vereinshaus für die Braunsberger selbst da, und sie
bevölkerten es auch schon allein ganz schön, so daß manche im großen Saal erst
gar nicht mehr unter der Bullerloge hervorkamen. Aber das taten sie vielleicht
nicht nur wegen der Überfüllung, sondern aus angeborener Bescheidenheit. Die
Ermländer haben ja sich immer lieber hinter dem Zaune aufgehalten. Besonders bei
politischen Versammlungen erwies sich der Platz unter der Bullerloge als
besonders günstig. Man wurde selber nicht gesehen, konnte aber alles hübsch
beobachten und bereden.
Damit sind wir bei einem neuen Kapitel in der Geschichte unseres Vereinshauses
angelangt, das ihm dann geradezu zum Schicksal geworden ist: der Politik. Die
Partei, die in ihm in seinen guten Zeiten Hausrecht hatte, war natürlich das
Zentrum. Man wählte einst im Ermland gar nicht Zentrum, insofern nicht, als
wählen von Wahl kommt und mehrere Möglichkeiten einschließt - man war einfach
Zentrum. Wenigstens anfangs, womit ich den Anfang nach 1918 meine, als die
Demokratie auch über die Ermländer hereinbrach, die von Hause, seien wir einmal
ganz ehrlich zueinander, eigentlich gar nicht so scharf darauf gewesen waren.
Der Kaiser und seine Regierung hatten sich gewiß oft gar nicht nett zu ihnen
benommen, aber die blühenden Verse unseres Heimatdichters: „Der Ruf, zum Himmel
roll' er: Vivat unser Hohenzoller!" waren gewiß ihnen allen aus dem Herzen
gesprochen. Nun waren sie wie alle Deutsche über Nacht Demokraten geworden,
ohne ihr Zutun, leider, muß man aus der Sicht von heute wohl sagen, und das
Zentrum eine demokratische Partei. Und die Eltern gingen, als die Wogen des
allgemeinen politischen Interesses nach dem Zusammenbruch von 1918 auch unser
Ländchen überschwemmten, eifrig zu den Zentrumsversammlungen ins Vereinshaus,
und wir Jungens schnappten gierig auf, was sie bei Tisch davon berichteten. Als
wir größer wurden, freilich noch längst nicht wahlreif, liefen auch wir hin.
Seine Asse schickte das Zentrum allerdings nicht zu uns, ich erinnere mich
jedenfalls nicht, von Wirth bis Brüning einen großen Zentrumspolitiker im
Braunsberger Vereinshaus gehört zu haben. Der weite Weg nach dem Ermland lohnte
sich für die politische Prominenz tatsächlich kaum. Wegen der paar tausend
Stimmen, die ohnehin sicher waren? Im großen und ganzen wenigstens. Der
politische Vereinshausredner, der mich in jungen Jahren eigentlich noch am
stärksten beeindruckt hat, war der Chefredakteur der „Ermländischen Zeitung",
Heinrich Kempf. Ein wortgewandter Hesse, den man dann aber wegschicken zu müssen
meinte, weil sein streitbares Draufgängertum der gemächlicheren ermländischen
Gangart nicht entsprach.
Von den anderen Parteien durften die Sozialdemokraten nicht ins Vereinshaus
hinein. Auch nicht, als nach den ersten Wahlen das Zentrum in Preußen wie im
Reich mit den Sozialdemokraten die Regierung bildete. Dieses Bündnis konnte uns
übrigens zunächst gar nicht genug verwundern, hatte das Zentrum doch vorher den
Wahlkampf ganz eindeutig gegen die Sozialdemokratie als die politische
Vertretung des gottlosen Marxismus geführt. Gerade uns jugendlichen Gemütern
erschien darum das Zusammengehen mit den Sozialdemokraten unfaßbar, und die
Erklärung, es handle sich nur um ein politisches Zweckbündnis, wollte uns
partout nicht einleuchten, auch wenn es uns im Ermland die katholischen Landräte
bescherte, die uns die Monarchie hartnäckig verweigert hatte. „Christentum und
Sozialismus stehen sich gegenüber wie Feuer und Wasser!" verkündete auch
weiterhin mit unvermindert starker Stimme der Herr Erzpriester von der Kanzel
der Pfarrkirche. Und so hielt man es auch draußen, und wehe dem Ökonomen, wenn
er es gewagt hätte, die Sozialdemokraten ins Vereinshaus zu lassen. Links von
unserem Braunsberger Erzpriester Aloys Schulz, der ein eingefleischter
Zentrumsmann war, aber ebenso glühend die Sozialdemokratie befehdete, stand im
Ermland Marienburgs Propst Franz Pingel, Mitglied des Preußischen Landtages.
„Der Braun und der Severing, das waren Männer!" pflegte er noch in seinen
letzten Lebensjahren mit leuchtenden Augen zu verkünden. Auf der rechten Seite,
bei den Deutschnationalen, hatte Rößels Erzpriester Dr. Georg Matern Stellung
bezogen. Als sie gemeinsam zu einer Tagung ins Vereinshaus gingen, sind die
Herren Erzpriester Schulz und Matern einmal in einen derartig heftigen
Wortwechsel über die Politik geraten, daß die ganze Königsberger Straße von dem
homerischen Streitgespräch der beiden priesterlichen Recken widerhallte.
Aber die Deutschnationalen als bürgerliche Partei durften ihre Versammlungen im
Vereinshaus halten, auch wenn sie mit dem Zentrum bald in bitterster Feindschaft
lebten und gerade auch im Ermland die Einheit im politischen Raume (um das eben
zitierte Modewort zu gebrauchen) zu sprengen suchten. Denken wir nur an die
leidigen Streitereien zwischen der „Ermländischen Zeitung" in Braunsberg und der
dank des Versagens der maßgeblichen Stellen den Deutschnationalen ausgelieferten
„Warmia" in Heilsberg. Er nahm erst ein Ende, als die Nationalsozialisten nach
ihrer Machtergreifung beide Blätter als konfessionell und reaktionär in einen
Topf warfen und ihre Redakteure sich bei den Pressekonferenzen in Königsberg
friedlich am Katzentisch wiederfanden.
Ich erinnere mich noch sehr genau einer turbulenten Versammlung des
deutschnationalen Katholikenausschusses im Frühjahr 1924, schon deshalb, weil an
den heftigen Auseinandersetzungen auf beiden Seiten vorwiegend Studienräte
unserer Penne beteiligt waren. Hauptredner war der Professor Martin Spahn. Sein
Vater Peter, ein Rheinländer, in jungen Jahren bei uns im Osten beruflich und
politisch tätig gewesen, später erster Vorsitzender der Zentrumspartei, war auch
schon stark nach rechts orientiert. Sein Sohn, mit 26 Jahren vom Kaiser zum
Professor in Straßburg ernannt, schwenkte dann vollends in diese Richtung ab und
blieb noch bei den Deutschnationalen Hugenbergs, als sich Graf Westarp,
Treviranus und andere aus Sympathie für Brüning von diesen lossagten. Martin
Spahn schien damals jedenfalls den Deutschnationalen der richtige Mann zu sein,
für sie gerade in die Zentrumshochburg Braunsberg eine Bresche zu schlagen.
Unser Studienrat Dr. Hohmann, der berühmte Tithemi, gleich nach dem Kriege ein
gewaltiger Zentrumskämpfer, der sich inzwischen aber wegen seiner geschwächten
Gesundheit zurückgezogen hatte, trat hier noch einmal auf den Plan, allerdings
bemerkenswerterweise jetzt auch nur unter der Bullerloge als Zwischenrufer. Um
ihn hatte sich ein Grüppchen Sozialdemokraten geschart, das das politische
Gezänk zwischen den katholischen Brüdern mit verständlichem Vergnügen verfolgte.
Regie führte dabei Otto Ziegler, Telegraphenarbeiter, Instmannssohn aus
Tiedmannsdorf, ein sehr aufgeweckter Mann von einer ausgesprochenen politischen
Begabung, der sich nachher eifrig in der Braunsberger Kommunalpolitik betätigt
hat und nach dem Kriege als stellvertretender Vorsitzender der Postgewerkschaft
der Bundesrepublik und Mitglied des Bundestages gestorben ist. Ich höre das
sozialdemokratische Fähnlein immer noch sticheln, wenn der Tithemi einen
Zwischenruf losließ: „Hohmann hat's Wort! Hohmann hat's Wort!"
In der lebhaften Aussprache wurde sogar einem Zentrumsmann, der besonders heftig
gegen Spahn antrat, das Wort entzogen, ein für die damaligen Verhältnisse bei
uns unerhörter Vorgang. Ausreden ließ man dagegen einen anderen
Diskussionsredner, der aus Mülhausen kam und offenkundig schon vorher eine
beachtliche Menge von Schlabberwasser zu sich genommen hatte. „Den Rathenau habt
ihr totgeschossen, den Erzberger auch, ihr Prickels!" warf er ungeniert den
deutschnationalen Herren an den Kopf. Das war fürwahr starker Tobak, aber man
ging mit dem Mülhäuser sehr vorsichtig um, um ihn nicht zu noch kräftigeren
Offenbarungen seiner politischen Gesinnung zu reizen. Die Wogen der Erregung
glätteten sich erst, als unser Studienrat Franz Buchholz in seiner ruhigen,
überlegenen Art den ermländischen Zentrumsstandpunkt darlegte.
Gesellschaftshaus
Auch nicht ins Vereinshaus kamen natürlich die Nationalsozialisten. Wie es in
Braunsberg in der sogenannten Kampfzeit zugegangen ist, kann ich allerdings
nicht sagen, da ich sie nicht hier erlebte. Jedenfalls zeigte sich aber der
clevere Wirt des evangelischen Gemeindehauses ihnen gegenüber weit
entgegenkommender, so daß dieses Haus, auch evangelisches Vereinshaus genannt,
zu irgendeinem Termin zum offiziellen Parteilokal erklärt wurde. Was die
Gemeinde selbst dazu gesagt hat, sei dahingestellt. Nach dem Sieg des
Nationalsozialismus brach für unser Vereinshaus der schwerste und letzte
Abschnitt seiner Geschichte an. Wohl blieb der Katholische Volksverein - nicht
zu verwechseln mit dem Volksverein für das katholische Deutschland, der in
Braunsberg zeitweilig auch recht rührig war - noch im Besitz des Hauses, aber
die katholischen Vereine, auf die es doch vor allem angewiesen war, erloschen
einer nach dem andern, so daß das Vereinshaus langsam, aber sicher verödete. Da
half auch die Wahl des neutralen Namens „Gesellschaftshaus" nicht mehr viel.
Wie man es damals trieb, sei an einigen Beispielen nachgewiesen. Braunsberg
wurde zu jener Zeit mit Aufführungen vom Elbinger Stadttheater versorgt, das
sich unter dem Intendanten Otto Kirchner sehr herausgemacht hatte. Kirchner ging
später nach Aachen, wohin er den noch weithin unbekannten blutjungen Herbert von
Karajan als Operndirigenten holte. Die Theatervorstellungen, die zunächst wegen
des wesentlich größeren Saales wohl ausschließlich im Katholischen Vereinshaus
gegeben worden waren, fanden bald abwechselnd in beiden Vereinshäusern statt,
bis eines Tages unser Gesellschaftshaus ganz ausgelassen wurde und die Elbinger
nur noch im anderen Haus spielen durften, trotz der viel ungünstigeren
Bedingungen. Und so machte man es dann mit allen anderen Veranstaltungen mehr
oder weniger offiziellen Charakters und übte auch sonst, wo man konnte, einen
Druck in dieser Richtung aus, so daß fast schon ein gewisser Mut dazu gehörte,
noch eine Veranstaltung ins Gesellschaftshaus zu legen. Nur wenn man es für
zweckmäßig hielt, z. B. am Tag des deutschen Weines, als es galt, den Surius
abzusetzen, den die weinverständigen Leute im Westen nicht mehr saufen wollten,
wußte man noch, wo das Gesellschaftshaus stand.
Man ging aber noch mit viel übleren Mitteln als dem des Boykottes gegen das
Gesellschaftshaus vor. Das beweist folgender Fall. Zu den Männern, die sich sehr
energisch für die Erhaltung des Hauses einsetzten, gehörte Diplomkaufmann Aloys
Schroeter aus Mertensdorf, Prokurist im Verlage der „Ermländischen Zeitung", der
außer dem Vorstand des Volksvereins auch dem Kirchenvorstande angehörte sowie
Vorsitzender des Katholisch-Kaufmännischen Vereins (KKV) war. Er fiel örtlichen
Parteistellen offensichtlich vor allem dadurch besonders auf die Nerven, daß er
sich bei seinen Bemühungen sehr geschickt der noch gegebenen Rechtsmittel zu
bedienen wußte. Da wurden sie gemein: Sie petzten ihn möglicherweise unter
Einschaltung der Gauleitung oder dergleichen bei der Berliner Stelle an, die für
den inzwischen gleichgeschalteten Verlag zuständig war. Eines Tages kam von
Berlin die Anweisung, Herrn Schroeter sofort zu entlassen. Gründe wurden keine
angegeben, aber sie lagen auf der Hand. Der Verlagsdirektor Hermann Orth, ein
alter Zentrumsjournalist (wie gerade er nach Braunsberg kam, darüber vielleicht
ein andermal), hatte es aber gar nicht eilig damit, dem Berliner Erlaß zu
entsprechen. Er behandelte die Sache so, wie Bismarck seine Affären zu erledigen
pflegte, dilatorisch, d. h., er zögerte sie zunächst einmal hinaus. Briefe
gingen zwischen Braunsberg und Berlin in der Angelegenheit hin und her.
Inzwischen aber wußte Aloys Schroeter sein Amt im Vorstande des Volksvereins
niederlegen und sich überhaupt zum Verzicht auf jede offene Tätigkeit im
kirchlichen Bereiche entschließen. Er tat es schwersten Herzens, aber es blieb
ihm keine andere Wahl, andernfalls hätte ihn auch Herr Orth trotz allem
Wohlwollen nicht vor der Entlassung retten können. Er wäre mit seiner Familie
auf die Straße gesetzt worden, wer hätte ihnen dann wohl geholfen? Nachdem Aloys
Schroeter als lästiger Gegenspieler ausgeschaltet war, beruhigten sich die
Stänkerer aus dem Braunsberger Parteilager, die natürlich selbst nie direkt in
Erscheinung getreten waren, allmählich. Allerdings ließen sie ihn auch fortan
nicht aus den Augen, was er bei Gelegenheiten immer wieder zu spüren bekam. So
wurde er später einmal aus der Wohnung geholt und wußte ein eingehendes
polizeiliches Verhör über sich ergehen lassen. Immerhin konnte er, zumal die
Berliner Stelle von sich aus keineswegs scharf darauf war, ihn abzuschießen -
sie verlangte zur eigenen Absicherung nur noch ein für ihn besonders
schmerzliches Zugeständnis -, seinen Dienst weiter versehen, bis er den
Einberufungsbefehl erhielt. In den letzten Kriegswochen ist Aloys Schroeter, der
in seiner Glaubenstreue, seiner aufrechten Haltung und liebenswerten
Bescheidenheit die besten Eigenschaften unseres Ermländertums verkörperte, vor
den Toren Königsbergs gefallen. Seine Söhne wirken heute in seinem Geiste im
Jungen Ermland.
Es erhebt sich noch die Frage, warum die Nationalsozialisten das
Gesellschaftshaus nicht schon früher einkassiert haben. Sollten sie wirklich
durch Bedenken rechtlicher Art daran gehindert worden sein?
Das ist schwer anzunehmen, irgendein Vorwand hätte sich schon gefunden. Eher
sind Erwägungen wirtschaftlicher Art zu vermuten. Auch ein völlig
gleichgeschaltetes Gesellschaftshaus hätte einigermaßen rentabel bleiben müssen.
Doch es hätte dann mit Gewißheit die Gäste verloren, die ihm bisher noch aus
alter Anhänglichkeit die Treue hielten. Und welche aus dem Parteilokal abzugeben
und womöglich wieder Veranstaltungen ins Gesellschaftshaus zu verlegen, daran
war „man" ganz bestimmt nicht im geringsten interessiert. So ließ man das
Gesellschaftshaus eben dahinvegetieren und begnügte sich damit, es langsam
auszubauern. Das sind natürlich Spekulationen, aber sie dürften, nach der
Kenntnis der damaligen Verhältnisse, von der Wahrheit nicht weit entfernt sein.
Abschiedsfeste
Wir erinnern uns aus dieser sonst so tristen Zeit doch noch eines netten Festes,
zu dem Fräulein Paula Schulz, Nachfolgerin von Tanzmeister Boy, die alte
Braunsberger Gesellschaft, wenn man das einmal so sagen darf, geladen hatte. Da
sah man noch manche Braunsberger Familien, die sonst aus guten Gründen lieber zu
Hause blieben. Sogar zwei Professoren der Akademie gaben uns die Ehre. Der eine
war stadtbekannt durch seine gewaltige schwarze Mähne: also der Philosoph
unserer Hochschule. Der andere mit einem holzgeschnittenen schwäbischen
Peter-Dörfler-Gesicht erwies sich als der besten Tänzer einer. Bei seiner
baldigen Abberufung an eine süddeutsche Universitätsstadt dürfte ihm manch
ermländisches Tränlein nachgeflossen sein.
Einmal im Jahre erwachte das Gesellschaftshaus aber noch aus seinem
Dämmerzustande zum alten Glanze. Das war beim Winterschülerfest, genau gesagt
beim Fest der landwirtschaftlichen Winterschule, zu dem auch die Angehörigen und
die alten Schüler mit ihren Familien geladen waren. Da war noch etwas los, das
kann ich euch sagen. Die von Jahr zu Jahr länger werdende Reihe Opelwagen, die
an diesem Tage in der Königsberger Straße hielten, oder ich muß mich wohl
moderner ausdrücken, parkten, zeigte wie ein Thermometer den Konjunkturanstieg
in der Landwirtschaft an. Die Nationalsozialisten ließen, um sich vom Ausland
ernährungsmäßig möglichst unabhängig zu machen, der Landwirtschaft jede nur
denkbare Förderung zuteil werden, und da nahmen auch, wer wollte es ihnen
verdenken, die ermländischen Bauern, was sie kriegten. Daß es nur eine
Scheinkonjunktur war, der allzu rasch das heulende Elend folgen wußte, mögen
manche schon damals geahnt haben. Aber weil gerade über unsere Bauern dann das
furchtbarste Schicksal hereingebrochen ist, nicht zuletzt über ihre Söhne und
Töchter, wollen wir ihnen die paar guten Jahre nicht bereden und auch nicht das
Fest, das sie damals alljährlich noch in unserem Gesellschaftshaus feierten.
Wenn wir daran denken, wie viele von den strammen Jungen und prächtigen Mädchen,
die noch Anfang 1939 hier fröhlich und vergnügt ihr Fest begingen, auf den
Schlachtfeldern des Krieges und nach dem Kriege in den Lagern Rußlands und
Sibiriens zugrunde gegangen sind, kann uns nur todtraurig zumute werden. Ich
brauche mich nur in meiner eigenen Verwandtschaft umzusehen.
Sicher hätte man gern auch dieses Fest dem Gesellschaftshaus geraubt, aber das
andere, bevorzugte Haus war dafür denn doch zu klein. Man hätte dann schon dort
die Gäste einfleien müssen wie die Heringe in die Tonne. Doch man wußte Rat: Man
ließ, um das Protektionskind auch seinen Reibach machen zu lassen, in beiden
Häusern feiern, und so konnte der. aufmerksame Beobachter gnirrend feststellen,
wer wo sein Ei hinlege oder wer ständig von einem Haus zum andern unterwegs war.
Den Schmand schöpfte, das sei zur Ehre der Festteilnehmer gesagt, aber doch
eindeutig das Gesellschaftshaus ab.
Übrigens war ausgerechnet dieses Fest Anlaß zu unserm ersten Ehekrach. Mein
liebes junges Glück, frisch importiert aus einer Großstadt jenseits des
Korridors, meinte, als ich mir, von Berufs wegen zur Teilnahme am Fest
verpflichtet, das feinste Plätthemd aus dem Schrank holte und den Bratenrock
anzog, das sei nun doch wohl nicht nötig. Und als ich sogar von ihr verlangte,
sie selbst solle mich in ihrem schönsten Gewande begleiten, da war es ganz aus.
Doch ich blieb hart, eisenhart, wenigstens dieses eine Mal. Denn ich wußte
schon, warum. Und mein liebes Weib wußte es auch, kaum daß wir die Tür des
Gesellschaftshauses hinter uns zugemacht hatten. „Dieser Staat, dieser Staat!"
hörte ich sie nur immer hauchen. Und ich konnte sie nur noch triumphierend
ansehen. Das war aber auch wirklich ein Staat, der bei diesem Fest entfaltet
wurde. Schade, daß ich so etwas nicht behalte und mich gar nicht zum
Ballreporter eigne. Sonst würde ich Ihnen ganz genau beschreiben, was die
Mädchen alles angehabt haben. Diese kostbaren Klunkern kamen schon längst nicht
mehr aus unseren ermländischen Modehäusern, man war nach Elbing oder Königsberg
gefahren, um dort was Extrafeines zu finden. Und die Lockenprachten! Schon Tage
vorher waren die Braunsberger Friseure belagert, und das größte Geschäft machte
ausgerechnet der, dem wir es am wenigsten gönnten. Braunsberger, Ihr wißt schon,
wen ich meine, den am Anfang der Straße, bei dem man nur mit angehaltener Luft
vorbeiging. Angst vor einem Barbier, das war vielleicht eine Zeit. Womit ich
wahrhaftig nichts gegen die ehrbare Zunft gesagt haben will, die Braunsberger
Innungsgenossen werden mir selbst gern zustimmen. Aber lassen wir das und
bleiben wir bei unserm herrlichen Fest. War das ein Gedränge und Geschubse und
Gelache und Geschwitze in allen Räumen des Gesellschaftshauses oben und unten
und vorne und hinten. Die Jungens fast alle im Smoking. Sprecht das o in dem
Wort nur ja richtig auf ermländisch aus! Die Überpassarger zerrissen sich
natürlich den Mund, weil die Bludauer selbst noch im Smoking plattdeutsch
redeten. Wie konnten sie das auch nur. Wie wir doch alle schon so vornehm
geworden waren, viel vornehmer als die Leute im Westen, wo, das haben wir bei
der Flucht zu unserm Schrecken feststellen müssen, sogar noch der Pastor mit
seinem Kirchenvorstand plattdütsch snakt. Aber daß die Bludauer dann noch ihre
Smokings sonntags in die Kirche anzogen, ehe die wachsende Männerbrust das
Frackchen auseinanderpremste, kann ihnen heute auch der feinste Überpassarger
nicht mehr nachreden, wo, wir lasen es gerade in der Zeitung, der Präsident von
Bremen persönlich seine Senatshosen im Kuhstall aufträgt.
Und wenn dann das Fest auf seinem Höhepunkt angelangt war, öffneten sich die
Schleusen der Taschen, die das liebe Frauensvolk mitgebracht hatte (zu Hause
hatten wir natürlich für Frauensvolk ein anderes Wort, aber das darf ich hier
nicht gebrauchen, hast recht, Tantchen, das hört sich auch gar nicht mehr schön
an). Schließlich war man nicht zum Fest gefahren, um dort zu hungern. Und sollte
man sich in der Stadt etwas zum Essen kaufen, wo zu Hause der herrlichste Weizen
auf dem Felde wuchs und die Sechszentnerschweine in der Koje schnarchten? Das
hätte noch gefehlt. Im übrigen hätte man in der Nacht auch gar nichts
Vernünftiges zu essen gekriegt, der Ökonom hätte aus der Kaserne Kessel und
Köche kommen lassen müssen, um die vielen hundert Mägen, die schließlich was
gewohnt waren, satt zu machen. So versorgte man sich selbst und die schnorrigen
Städter wie uns noch dazu. Die Würste, Schinken, Klopse, Eier, Kuchen - ihr
lieben Leute, wenn wir daran denken, was sich da alles auf den Tischen türmte,
wird uns heute noch ganz damlich im Bauche. Da fanden sich dann auch die
Mädchens ein und die Jungens, mit glänzenden Backen, weil's doch so heiß war und
so schön und von wegen der Klaren und Prünellchen und Bierchen und so weiter,
und die einst so steifen Smokinghemden und die eleganten Kleider machten schon
einen recht angeknitterten Eindruck. Und bekleckert waren sie auch ganz schön.
Aber um diese Zeit machte das gar nichts mehr aus. Man stärkte sich an Mutters
Tisch und verschwand schnell wieder, um bloß nichts zu verpassen. Und die
älteren Herren kamen auch von ihrem Skat oder Whist, oder was sie um die Zeit in
dieser oder jener Ecke schon mauschelten. Und die Mariechens, wie man die lieben
Fräulein Fieberg, die getreuen Geister des Hauses, liebevoll vertraulich nannte,
sie hatten alle Hände voll zu tun, den dazugehörigen Kaffee heranzuschleppen,
möglichst starken, daß der Löffel drin stehenblieb. Und dann wandten sich die
Damen wieder ihren Themen zu, mit denen sie noch lange nicht durchwaren, und die
Herren ihrer Schönen, selbstverständlich der beim Whist. Bis sie dann alle
endlich genug hatten und mit den Augen zogen und schon immerfort hujohnen mußten
und es wirklich Zeit zum Anspannen wurde - Verzeihung: zum Anlassen der
Opelwagen, was bei der Kälte und auch aus anderen Gründen gar nicht so einfach
war. Aber die Opels fanden dann auch fast von selbst den Weg heimwärts wie
früher die Füchse und Braunen, und Promillekontrollen waren damals bei uns
zulande noch nicht zu befürchten.
Ja, das war noch einmal ein Festchen, wie wir es zu Hause zu feiern verstanden,
ich möchte fast sagen, ohne andere kränken zu wollen, nur zu Hause. Vielleicht
war es manchmal sogar schon ein bißchen des Guten zuviel. Oder etwa nicht? Was
meinen Sie, liebe ermländische Leser?
Das Ende
Während des Krieges mußte das Gesellschaftshaus dann doch aufgegeben und an
einen Kinobesitzer verkauft werden. Durch die Umstände war verständlicherweise
auch die finanzielle Lage immer schlechter geworden, eine große Schuldenlast
drückte das Baus: Das war sozusagen das Ende vor dem Ende. Wie denn das alte
Braunsberg überhaupt schon weitgehend versunken war, ehe seine Häuser zu Schutt
und Asche wurden und seine Bewohner flohen oder verdarben oder noch in der alten
Heimat ein klägliches Dasein fristen mußten. Auch das Vereinshaus - nennen wir
das Haus noch einmal wieder bei seinem eigentlichen Namen - wurde zu einem
Trümmerhaufen, wie es uns Pfarrer Aloys Bönigk erzählt hat, der dageblieben war,
als das große Unheil über die Stadt hereinbrach. Im Kalender von 1959 schrieb
gleichfalls Landsmann Dr. Fahl, der kurz zuvor unsere Stadt besucht hatte, das
schöne katholische Vereinshaus sei nur eine Ruine. Das schöne Vereinshaus - da
hat Dr. Fahl meine abfällige Feststellung am Anfang doch korrigiert? Ich
widerspreche ihm keineswegs. Aus der Ruine kann vor unseren Augen nur das Bild
eines schönen Vereinshauses entstehen.
Damit ist mein Bericht vom Braunsberger Vereinshaus zu Ende. Es war keine
großartige Geschichte, so wenig großartig wie unser Braunsberg und unser
Braunsberger Leben waren. Aber möglicherweise haben meine Erinnerungen Sie,
lieber Leser, doch ein bißchen interessiert und eigene in Ihnen wachgerufen,
schöne und traurige, lustige und wehmütige. Vielleicht haben Sie manches anders
gesehen und erlebt, dann verzeihen Sie mir und verbessern Sie mich, bedenken
Sie, es ist alles schon dreißig und vierzig und fünfzig Jahre her, da fängt es
doch langsam zu verschwimmen an. Und wenn Sie noch bislang in Ihrem Sessel
ausgehalten haben, erheben Sie sich bitte jetzt und gehen Sie zum Kühlschrank
und holen Sie sich Ihr Fläschchen Dortmunder oder Münchener, oder welche Marke
Sie jetzt bevorzugen, und tun Sie einen tiefen Schluck, als ob es unser
Bergschlößchen wäre, mit dem wir uns an der Theke des Braunsberger Vereinshauses
so manches liebe Mal gestärkt und vielleicht sogar einander zugetrunken haben:
ein Prost auf die alte Heimat, der zuliebe auch dieses Artikelchen geschrieben
worden ist, tausend Kilometer weit davon, während draußen auf der Straße der
Lärm der westdeutschen Großstadt brauste.
Dieser
Beitrag ist Teil der Website www.braunsberg-ostpreussen.de!
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