Flucht und Vertreibung

Wiedergabe des Heimatbriefes 7 der Kreisgemeinschaft Braunsberg (Ostpreußen)

(Der Heimatbrief Nr. 7 aus dem Jahr 1995 wird nach und nach eingescannt.)

Liebe Landsleute, liebe Leser unseres Heimatbriefes !

Glück und Segen für das soeben begonnene Jahr 1995,

ein Jahr voller Gedenktage an jene Ereignisse, die vor 50 Jahren die Welt bewegten und aufrüttelten.

Die einen denken an das Kriegsende, die "Kapitulation", andere sprechen vom "Potsdamer Abkommen" und wieder andere gebrauchen das Wort "Befreiung".

Wir, Ermländer und Ostpreußen, sowie alle Menschen aus den Vertrei­bungsgebieten stehen im Jahr 1995 unter den bedrückenden und weiter­hin schmerzenden Eindrücken von

50 Jahre

nach Flucht, Vertreibung und Deportation.

Ein halbes Jahrhundert hat nicht vermocht, die Geschehnisse vergessen zu lassen. Die Wunden sind zwar leicht vernarbt, reißen jedoch immer wieder auf, eitern weiter und können nicht heilen, weil das verletzte Recht durch die Vertreibung: Heimatlosigkeit und entschädigungslose Enteignung nicht beseitigt ist. - Das Gedenkjahr: 50 Jahre danach, gibt uns Gelegenheit, ja zwingt uns, das grausame Geschehen erneut ins Be­wußtsein zu rufen, nicht um Wunden erneut aufzureißen oder Emotionen zu wecken, sondern

zur Erinnerung und zur Mahnung.

Deshalb widmet sich dieser Heimatbrief vornehmlich dem Geschehen vor 50 Jahren. Wir wollen damit unseren Kindern und Kindeskindern au­thentisches Material und Erlebnisberichte in die Hand geben, damit die erlittene Drangsal ihrer Eltern und Vorfahren nicht in Vergessenheit ge­rät.

Wir veröffentlichen diese Berichte aber auch mit Blick auf die heute in unserer Heimat lebenden Polen. Diese Menschen haben überwiegend kei­ne Ahnung von den Vorgängen vor 50 Jahren, weil eine nationalistisch, chauvinistische Regierung das begangene Unrecht vor dem eigenen Volk verschwiegen und unterdrückt hat. Wir sind hier nicht nur gerufen, Wis­senslücken zu schließen, wir sind vielmehr gefordert, der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Und so hoffen wir, daß diese Berichterstattung das Gespräch zwischen uns Vertriebenen und den heutigen Bewohnern unserer Heimat belebt, die Einsicht in Wahrheit und Gerechtigkeit fördert und gleichzeitig Wege ebnet, gemeinsam für den Frieden in Osteuropa zu arbeiten sowie Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen unseren Völ­kern dauerhaft zu sichern.

Das erbetene und zur Verfügung gestellte Material ist dankenswerterwei­se recht umfangreich ausgefallen. Wir werden alle Berichte in diesem Heft abdrucken. Nur in einem Fall haben wir uns auf Ausschnitte be­schränken müssen, weil dieser Bericht - seines Umfanges wegen - für eine Veröffentlichung als Sonderdruck geeignet wäre.

Ein jetzt bekanntgewordenes Dokument aus dem kirchlich-polnischen Bereich über die Entscheidungen im Jahr 1945 wird eine lebhafte Dis­kussion auslösen. Es geht um die Einsetzung der polnischen Apostoli­schen Administratoren im Jahr 1945 in den ostdeutschen Jurisdiktionsbe­zirken durch den polnischen Kardinal und seine Beurteilung der Lage. Wir wollen Ihnen Teile daraus nicht vorenthalten, zumal auch po­sitive Aspekte darin enthalten sind.

Natürlich können und wollen wir nicht im Jahr 1945 stehen bleiben. Die Zeit ist weitergelaufen und - gottlob - ohne Krieg in Mitteleuropa. Pafür müssen wir dankbar sein, und sicher haben wir auch ein gutes Stück Ar­beit dafür geleistet. Daß dies nicht selbstverständlich ist, lehren uns die Geschehnisse auf dem Balkan.

Im vergangenen Jahr konnte die Kreisgemeinschaft bei ihrem Jahrestref­fen mit Freude und Genugtuung daran erinnern, daß vor 40 Jahren die Stadt Münster die Patenschaft über Stadt und Kreis Braunsberg übernom­men hatte. Gemeinsam haben wir dieses Ereignis in würdiger Form be­gangen. Und nach all dem Leid, das eingangs anklang und in diesem Heimatbrief nochmals offen gelegt wird, zeigt sich auch Hoffnung, die wir frohen Herzens registrieren. Die heutigen Bewohner unserer Heimat -Polen wie Deutsche - haben unsere offenen Hände nicht zurückgewiesen. Sie sind uns vielmehr entgegengekommen, haben uns auf- und angenommen und sind bereit, als dritter Partner gemeinsam für Verständigung und freundschaftliche Zusammenarbeit mit dem Ziel einer friedvollen Zu­kunft zu arbeiten.

Wir können heute feststellen, daß die Verbindung

Braunsberg - Münster - Braniewo

zu einer Realität geworden ist, die sich zum Wohle und Nutzen einer gu­ten Nachbarschaft weiterentwickeln wird.

Um auch dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, berichten wir im zwei­ten Teil dieses Heftes ausführlich über das Jubiläumstreffen

40 Jahre Patenschaft.

Mit ein paar auflockernden Beiträgen und Informationen liefert dieser Heimatbrief weiteren Lesestoff für das vor uns liegende Jahr. Wir wün­schen uns aufmerksame und zufriedene Leser.

So hat dieser Heimatbrief diesmal einen Umfang erreicht, der erheblich von der Norm abweicht. Wir hoffen, Sie nehmen dieses Angebot dankbar an und honorieren es mit einer größeren Geldspende, denn die Kosten dieser Veröffentlichung fordern unsere Finanzen gewaltig. Sie wissen alle, wie teuer heute Bücher und Portokosten sind. - Deshalb appellieren wir an Ihre Einsicht und Ihren Großmut, gleichzeitig aber auch an Ihre Solidarität mit jenen Landsleuten, die - aus welchen Gründen auch immer - keinen oder keinen größeren Beitrag aufbringen können.

Einen weiteren Heimatbrief in diesem Jahr werden wir uns aus Kosten­gründen kaum leisten können. Um Sie aber an eine zweite Spende im Laufe des Jahres zu erinnern, legen wir diesmal zwei Überweisungsfor­mulare bei. Wir erhielten diese kostenlos von der Bank.

Der Zeitpunkt des Erscheinens dieses Heimatbriefes wurde bewußt in den Februar gelegt, um die jahreszeitliche Verbindung der Tragödien vor 50 Jahren lebendig erscheinen zu lassen. So müssen wir denn schon heu­te auf unser diesjähriges Kreistreffen am 16./l7. September 1995 in Münster-Hiltrup aufmerksam machen und Sie bitten, diesen Termin sog­leich fest im Kalender zu notieren. Der Programmablauf wird den Treffen der vergangenen Jahre entsprechen. Wir machen jedoch schon heute darauf aufmerksam, daß in diesem Jahr ein neuer Vorstand der Kreisge­meinschaft für die nächsten 4 Jahre gewählt werden muß. Dafür müssen tatkräftige und selbständig arbeitende Menschen, die sich unserer Heimat verpflichtet fühlen, gefunden werden, die einen Teil der Lasten der heute Verantwortlichen zu übernehmen bereit sind.

Deshalb ergeht mit diesem Heimatbrief, der allen Kreisangehörigen und deren Nachkommen zugesandt wird, bereits die

Einladung zur Mitgliederversammlung

am 16. September 1995 um 14 Uhr in der Stadthalle Münster-Hiltrup,

mit dem wichtigsten Tagesordnungspunkt:

Neuwahl des Vorstandes

und zum Kreistreffen am 16./17. September 1995.

Wir bitten um eine große Beteiligung.

Hinweisen möchten wir auch auf die Wahlen zur Ermländervertretung. Das Laiengremium beim Apostolischen Visitator für die katholischen Ermländer in Deutschland ist in diesem Jahr neu zu wählen. Die Wahlunterlagen wurden im Ermlandbrief - Weihnachten 1994 - bereits ver­sandt. Weitere Wahlscheine können im Ermlandhaus, 48159 Münster an­gefordert werden. Durch eine hohe Wahlbeteiligung sollten wir dafür sor­gen, daß die Anliegen der Vertriebenen auch im Raum der katholischen Kirche nicht in Vergessenheit geraten. Gleichzeitig stärken wir durch ei­ne hohe Wahlbeteiligung unserem Apostolischen Visitator den Rücken in der Deutschen Bischofskonferenz. - Unter den Kandidaten sind auch eini­ge aus dem Kreis Braunsberg.

Für den Vorstand der Kreisgemetnschajt Gerhard Steffen

Hier Hinweis auf das nächste Kreistreffen

Anmerkung im Mai 2012: Das jährliche Kreistreffen findet immer am 3. Sonntag im September statt, zur Zeit in der Joanniterakademie in Münster. Gäste willkommen!


Vor 50 Jahren:


In Nemmersdorf begann die Zerstörung des deutschen Ostens

Wem sagt heute noch, von Vertriebenen abgesehen, den ostpreußischen zumal, der Name der kleinen ostpreußischen Gemeinde Nemmersdorf etwas? Lidice, Oradour, Katyn - diese Stätten grausamer Kriegsverbre­chen kennt heute jedes deutsche Kind, aber Nemmersdorf?

Es war am 20./2l. Oktober 1994 genau vor 50 Jahren, daß Nemmersdorf, die kleine Gemeinde an der Angerapp, von Soldaten der Roten Armee heimgesucht wurde und stellvertretend für die Greueltaten der Roten Ar­mee im eroberten deutschen Gebiet in die Schlagzeilen geriet. Nachdem die Rote Armee am 16. Oktober 1944 auf breiter Front eine Offensive gegen Ostpreußen begonnen hatte, überschritt sie am 19. Oktober erst­mals im Krieg die deutsche Reichsgrenze und stieß im Raum Ebenrode-Gumbinnen-Goldap weit ins Landesinnere vor. Eine Gegenoffensive der Deutschen Wehrmacht konnte die Rote Armee am 5. November wieder zurückwerfen.

Im zurückeroberten Gebiet offenbarte sich deutschen Soldaten und inter­nationalen Beobachtern das ganze Ausmaß der Grausamkeit, das die deutsche Zivilbevölkerung im Falle der Eroberung durch die durch Haßpamphllete und Rachedurst aufgeputschte Rote Armee ereilen konnte: Vergewaltigung und sonstige Folter vom Mädchen bis zur Grei­sin mit anschließender Ermordung, wahllose Folter und Liquidation der männlichen Bevölkerung und blinde Zerstörungswut. Auch Kriegsgefangene wurden ohne großes Aufhebens Opfer dieser Raserei.

Grausame Verbrechen an der Zivilbevölkerung

Zu den Ereignissen in Nemmersdorf hieß es in einem am 7. November 1944 im Genfer "Courier" veröffentlichten Augenzeugenbericht eines schweizerischen Korrespondenten u.a.: "Die Lage wird nicht nur durch die erbitterten Kämpfe der regulären Truppen, durch das Übermaß an ein­gesetztem Material auf beiden Seiten und dadurch gekennzeichnet, daß die neugeschaffene deutsche Miliz mit eingesetzt wird, sondern leider auch durch allzu bekannte Methoden der Kriegsführung: Verstümmelung und Hinrichtung von Gefangenen und die fast vollständige Ausrottung der deutschen bäuerlichen Bevölkerung, soweit sie in ihrem Gebiet ge­blieben war, am Spätnachmittag des 20. Oktober .... Die Zivilbevöl­kerung ist sozusagen aus dem umkämpften Gebiet verschwunden, denn die meisten Landbewohner sind mit ihren Familien geflohen. Mit Aus­nahme einer jungen deutschen Frau und eines polnischen Arbeiters ist alles von der Roten Armee vernichtet worden. Dreißig Männer, zwanzig Frauen, fünfzehn Kinder sind in Nemmersdorf den Russen in die Hände gefallen und umgebracht worden. In Brauersdorf habe ich selbst zwei Landarbeiter französischer Herkunft gesehen, ehemalige Kriegsgefange­ne, die ebenfalls massakriert worden waren. Einer konnte identifiziert werden. Nicht weit davon dreißig deutsche Gefangene, die dasselbe Schicksal erlitten hatten.

Ich verschone sie mit der Schilderung der Verstümmelungen und dem entsetzlichen Anblick der Leichen auf offenem Feld. Es sind Eindrücke, die auch die lebhafteste Phantasie übersteigen." Ein deutscher Zeuge be­richtete: "An einem Gasthaus stand längst der Straße eine Scheune. An den beiden Scheunentüren waren je eine Frau, nackt in gekreuzigter Stel­lung, durch die Hände angenagelt. Weiter fanden wir dann an den Wohnungen insgesamt 72 Frauen einschließlich Kindern und einen alten Mann von 74 Jahren, die sämtlich tot waren, fast ausschließlich bestia­lisch ermordet bis auf nur wenige, die Genickschüsse aufwiesen." (Zit. nach A.M. de Zayas, Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen, München 1981, S. 82-83, S. 81.).

Nicht nur in Nemmersdorf, im ganzen vorübergehend von der Roten Ar­mee eroberten Gebiet gab es unzählige Beispiele der Grausamkeit. Nem­mersdorf als eines der am besten untersuchten und belegten Beispiele sow- jetrussischer Greueltaten im Zweiten Weltkrieg wurde jedoch, be­sonders für die ostpreußische Bevölkerung, zum "Inbegriff unaussprech­licher Angst" (de Zayas). Im Rahmen des späteren Vormarsches der Ro­ten Armee in Deutschland waren die Ereignisse in Nemmersdorf Grund genug auch für große Teile der Bevölkerung Pommerns, Brandenburgs und Schlesiens, die Flucht zu ergreifen, völlig zu Recht, wie die zahllo­sen späteren Beispiele sowjetrussischer Kriegsverbrechen in Ostdeut­schland an zurückgebliebener deutscher Zivilbevölkerung bewiesen.

Gezielte Haßpropaganda gegen alles Deutsche

Es war nicht in erster Linie Rachsucht für die zuvor von deutschen SS-Verbänden und Einsatzgruppen auf dem Gebiet der Sowjetunion began­genen Kriegsverbrechen, die diese Greuel der Roten Armee an der hierfür völlig unverantwortlichen deutschen Zivilbevölkerung ermöglichte. Gro­ßen Einfluß hatte die zuvor intensiv und systematisch in Frontzeitungen, Flugblättern und Wandanschlägen in der Roten Armee betriebene Haß­propaganda gegen alle Deutschen und alles Deutsche, die das Ziel hatte, im sowjetischen Soldaten niederste Instinkte zu wecken. Hinreichend be­kannt ist als Beispiel hierfür das in der Roten Armee verbreitete Pamph­let "Tötet!" des fanatischen Deutschenhassers Ilja Ehrenburg, in dem es u.a. hieß: "Wenn du einen Deutschen getötet hast, so töte einen zweiten -für uns gibt es nichts lustigeres als deutsche Leichen. Zähle nicht die Ta­ge. Zähle nicht die Kilometer. Zähle nur eins: Die von dir getöteten Deutschen. Töte den Deutschen! - dieses bittet dich deine greise Mutter. Töte den Deutschen! - dieses bitten dich deine Kinder. Töte den Deut­schen! - so ruft die Heimaterde. Versäume nichts! Versieh dich nicht! Tö­te!"

Nemmersdorf und die vielen anderen Dörfer und Städte im Bereich des östlichen Ostpreußens waren vor 50 Jahren die ersten Teile Deutschlands, die unter diesen Vorzeichen zu spüren bekamen, was es heißen konnte, durch die Rote Armee - so will es ein Teil der heutigen Meinungsmacher sehen - "befreit" zu werden. Andere Teile Deutschlands folgten. Neben allen anderen Opfern von Krieg sowie nationalsozialistischer und kom­munistischer Gewaltherrschaft sind es vor allem die Opfer von Nem­mersdorf, dessen Name symbolisch für das ganze vom 19. Oktober bis /um 5. November 1944 durch die Rote Armee eroberte Gebiet stehen soll, deren wir gedenken.

Text: Michael Hanenxtein in DOD Nr. 42 vom 2l. Oktober 1994





Selbst in der Kirche von Nemmersdorf haben sich in den qualvollen Stunden nach dem Einmarsch der Roten Armee viele Schutzsuchende vergeblich verborgen.


Aufrufe des sowjetischen Schriftstellers llja Ehrenburg 

***
"Tötet! Tötet!

Es gibt nichts, was an den Deutschen unschuldig ist, die Lebenden nicht und die Ungeborenen nicht!

Folgt der Weisung des Genossen Stalin

und /erstampft für immer das faschistische Tier in seiner Höhle.

Brecht mit Gewalt den Rassenhochmut der germanischen Frauen!

Nehmt sie als rechtmäßige Beute!"

***

Wenn du einen Deutschen getötet hast,

so töte einen zweiten -

für uns gibt es nichts lustigeres als deutsche Leichen.

Zähle nicht die Tage. Zähle nicht die Kilometer.

Zähle nur eins: Die von dir getöteten Deutschen.

Töte den Deutschen ! - dies bittet dich deine greise Mutter.

Töte den Deutschen ! - dieses bitten dich deine Kinder.

Töte den Deutschen ! - so ruft die Heimaterde.

Versäume nichts ! Versieh dich nicht!

Töte!"
(als Flugblätter russischen Soldaten verteilt)

***

Lew Kopelew:

Was geschah in Ostpreußen?

War eine derartige Verrohung unserer Leute

wirklich nötig und unvermeidlich - Vergewaltigung und Raub, mußte das sein?

Warum müssen Polen und wir

uns Ostpreußen, Pommern, Schlesien nehmen?

Lenin harte seinerzeit schon den Versailler Vertrag abgelehnt,

aber dies war schlimmer als Versailles. In den Zeitungen, im Radio riefen wir auf zur heiligen Rache.

Aber was für Rächer waren das,

und an wem haben sie sich gerächt?

Warum entpuppten sich so viele unserer Soldaten

als gemeine Banditen,

die rudelweise Frauen und Mädchen vergewaltigten - am Straßenrand und im Schnee, in Hauseingängen;

die Unbewaffnete totschlugen,

alles, was sie nicht mitschleppen konnten,

kapuftmachten, verhunzten, verbrannten?

. . . Sinnlos - aus purer Zerstörungswut.. .

Wie ist das alles nur möglich gewesen?

***

Haben wir sie nicht so erzogen, wir, die Politarbeiter, die Journalisten, die Schriftsteller -

Ehrenburg und Simonow und Hunderttauende anderer, strebsamer, ehrgeiziger,

aber auch begabter Agitatoren, Lehrer, Erzieher, aufrichtige Prediger der 'heiligen Rache'?

Wir lehrten sie hassen, überzeugten sie, daß der Deutsche schon deshalb schlecht ist,

weil er ein Deutscher ist; wir verherrlichten den Mord in Gedichten, Prosa und Malerei.

'Papa, erschlag den Deutschen!' Es gab eine Zeit, in der ich mich schämte, 'kein persönliches Konto' erschlagener Deutscher zu haben. Wir säten Chauvinismus, verhimmelten unsere Nationalhelden . .;

über den Krieg 1914-1918 sagten wir dasselbe, was seinerzeit die chauvinistischen, antisemitischen Schwarzhunderter behauptet hatten:

An allen Mißerfolgen waren die Spione und die 'deutsche' Zarin schuld;

wenn sie nicht gewesen wären,

hätten die russischen Soldaten Berlin erobert.

Über all das muß man nachdenken.

Woher kam es, wohin führt es?

aus: Lew Kopelew: Aufbewahren für alle Zeit, cttv


***

Vor 50 Jahren

Was geschah in der Umgebung von Frauenburg und Braunsberg

Sept. 1944 Das Domkapitel beschließt: Bischof und Generalvikar werden die Diözese nicht verlassen, außer im Fall einer zwangsweisen Evakuierung. Alle Pfarrer werden ange­wiesen, bei ihren Gemeinden auszuharren und ggf. bei einer Zwangsevakuierung erst mit den letzten Gemeinde­mitgliedern Kirche und Haus zu verlassen.

12.01.1945 Beginn der Großoffensive der Roten Armee.

21.01.1945 Der letzte Zug verläßt Braunsberg in Richtung Westen.

25.01.1945 Sowjetische Truppen erreichen Tiedmannsdorf.

26.01.1945 Eine erste russische Granate trifft das Dach der Domkirche. Ein sowjetisches Infanterie-Bataillon stößt bis Willen­berg, Stangendorf, Kälberhaus und Julienhöh vor. Es kommt zu erbitterten Gefechten. Die Angreifer werden unter hohen Verlusten zurückgeschlagen.

27.01.1945 Tolkemit fällt in die Hände der sowjetischen Truppen.

28.01.1945 Als Frontverlauf wird gemeldet: Willenberg - Betkendorf - Lindwald - Knorrwald - Pettelkau - Schalmey. Braunsberg ist überfüllt mit Verwundeten und Flüchtlin­gen aus dem östlichen Frontgebiet.

01.02.1945 In Frauenburg wird der Dom beschlagnahmt zur Unter­bringung von Evakuierten und Truppenteilen der Wehr­macht. Kein Gottesdienst mehr möglich. Das Allerheilig-ste wird in den Luftschutzkeller des bischöflichen Palais gebracht. Über Frauenburg und das Frische Haff ergießt sich ein gewaltiger Flüchtlingsstrom. Not, Elend und Tod sind die Merkmale dieser Tage.

03.02.1945 ständige Tieffliegerangriffe durch sowjetische Flugzeu­ge.

04.02.1945 Bischof Maximilian Kaller erteilt in seiner Hauskapelle dem 1942 schwerverwundeten und beinamputierten Theologen und Leutnant der deutschen Wehrmacht, Dr. Gerhard Matem, der von Braunsberg mit einem Pferdegespann vorfährt, die Subdiakonatsweihe. Frauen­burg liegt den ganzen Tag über unter heftigem Artillerie­beschuß durch die Rote Armee.

05.02.1945 Dr. Gerhard Matern empfangt in der bischöflichen Resi­denz die Diakonatsweihe. Die Rückfahrt nach Brauns­berg gestaltet sich äußerst schwierig, da die Chaussee Frauenburg - Braunsberg von der Roten Armee unterbro­chen war.

Braunsberg wird durch Bombenangriffe aus der Luft er­heblich zerstört.

06.02.1945 Die in Aussicht genommene Priesterweihe von Dr. Ma­tern war wegen der chaotischen Lage nicht mehr mög­lich. Bischof Kailer spendete ihm die Priesterweihe (übrigens seine letzte) am 16.12.1945 in der St. Gertrudis-Kirche in der Lutherstadt Eisleben in Sachsen-Anhalt.

07.02.1945 Bischof Maximilian Kaller wird von SS-Leuten gezwun­gen, Frauenburg zu verlassen. Man bringt ihn zunächst gewaltsam nach Danzig, später wird er zur Weiterfahrt nach Stendal und Halle gezwungen. Die konsekrierten Hostien werden in den Keller des Generalvikariats ge­bracht. (Heute Amtssitz des Bürgermeisters von Frombork).


08.02.1945 Letzte hl. Messe und Stärkung der dort zufluchtsuchen­den Menschen. 10 Uhr: russische Artillerie schießt den Glockenturm des Domes in Brand. Turm und angrenzen­de Gebäude werden ein Opfer der Flammen. Die schwere Andreas-Glocke aus dem Jahr 1690 zerschmilzt in der Hitze der Feuersglut. Am Nachmittag wird der Artillerie­beschuß immer heftiger. Abends rollen die ersten Panzer in Frauenburg ein. Die Gewalt nimmt ihren Anfang.Frontverlauf in Richtung Braunsberg: an der Baude und weiter über Schalmey - Mertensdorf - Schönau - Lilien­thal.

09.02.1945 Die Bevölkerung wird von sowjetischen Soldaten aus Frauenburg vertrieben bzw. abtransportiert. Domkapitular Dr. Wladislaus Switalski wird von einem Rotarmisten an der Scheune des Domherrn Heyduschka erschossen. Zunächst dort im Garten vergraben, später auf den Domherrnfriedhof umgebettet. Generalvikar Marquardt und Domvikar Parschau werden nach Neukirch-Höhe ge­bracht. Dort wurde von einem als Dolmetscher einge­setztem, aber nur gebrochen deutsch sprechendem Polen der Generalvikar bei einem Verhör vor sowj. Offizieren bezichtigt, "General des Volkssturms" zu sein. Von Neukirch-Höhe führte der Fußmarsch weiter über Mühl­hausen nach Pr. Holland. Überall herrschte großes Elend. Kein Essen, zusammengepfercht auf engstem Raum. Immer mehr Menschen wurden zusammengetrieben. Auch 25 Katharinenschwestem aus der Orthop. Klinik in Frauenburg tauchten auf. Wieder wurde der Aufenthalts­ort gewechselt: Locken bei Mühlhausen. Dort treffen auch die Domherren Dr. Heyduschka und Dr. Schwark ein. Generalvikar Marquardt und Domvikar Parschau werden nach Pr. Holland zurückgebracht.

Ein kurzer Überblick zum Schicksal des Bischofs und des Frauenburger Domkapitels:

Bischof Maximilian Kalier war - wie oben bereits erwähnt - gewaltsam von SS-Angehörigen aus Frauenburg fortgeschafft. Er gelangte über Stendal nach Halle.

Nach Beendigung des Krieges machte er sich Ende Juli 1945 von dort aus auf den Weg zurück in seine Diözese. Alles, was er besaß und für die weite Reise benötigte, nahm er auf einem Handwagen, den er selbst hin­ter sich herzog, mit. Nach vierzehntägiger, sehr beschwerlicher Reise ist er in Allenstein angekommen, wo er sich sogleich der dort verbliebenen Priester und Gläubigen und ihrer furchtbaren Lage annahm. Für das an Rußland gefallene nördliche Ostpreußen ernannte er den Pfarrer Paul Hoppe in Königsberg zu seinem Generalvikar. Kardinal Hlond bestellte den Bischof zu sich nach Pelplin und zwang ihn - unter Berufung auf angebliche Weisungen des Papstes - die es tatsächlich nicht gegeben hat auf die Ausübung seiner Jurisdiktion zu verzichten. Nach Allenstein zurückgekehrt, wurde er von den polnischen Behörden verhaftet und wegen "Propagierung des Deutschtums" nach Deutschland ausgewiesen. Seinen Wohnsitz verlegte er nun von Halle zunächst nach Wiedenbrück, später nach Frankfurt am Main. Dort konnte er seinen einstigen Sekretär, Dr. Gerhard Fittkau, der zwischenzeitlich aus Sibirien zurückgekommen war, wieder zu sich nehmen. Seine Sorge galt den zerstreuten und in großer Not lebenden Ermländern in Deutschland. Im Herbst 1946 ernannte ihn Papst Pius XII. zum Sonderbeauftragten für die heimatvertrieben Deutschen in Westdeutschland. Sein Aufgabengebiet war nun noch grö­ßer geworden. Finanziell und wirtschaftlich konnte er wenig helfen. Aber in der Sorge um das Seelenheil der Entwurzelten zehrte er sich auf. Er war ein ein Bischof "unterwegs". Von Bayern bis nach Schleswig-Holstein besuchte er die heimatlos gewordenen Vertriebenen, hielt Gottesdienste und Predigten und sprach den Verzweifelten Mut und Trost zu. Gerade zurückgekehrt von einer großen Wallfahrt, starb Bischof Kaller plötzlich an Herzversagen am 07.07.1947 in Frankfurt am Main. Sein Grab liegt hinter der Kirche in Königstein im Taunus. - Dem Hofkaplan und Sekre­tär von Bischof Maximilian Kaller, Dr. Gerhard Fittkau, war 1944 die Pfarrei Süßenberg übertragen worden. Über die ersten Wochen unter rus­sischer Herrschaft und seine Verschleppung nach Rußland bis nach Workuta im Norden des Ural berichtet er ausführlich in seinem Buch: "Mein 33. Jahr".

Generalvikar und Domdechant Dr. Aloys Marquardt. Zusammen mit Domvikar Johannes Parschau war ihm ein besonders Schicksal beschie­den. Von Pr. Holland verschleppten die Sowjets beide ins Zuchthaus nach Insterburg. Von dort war Marquardt mit russischer Geheimpolizei in Frauenburg auf der Suche nach dem Domschatz. Im Juni 1945 freige­lassen, bemühte er sich, vom 11.06.1945 bis zum 27.07.1945 als Admi­nistrator des Bistums in Allenstein die kirchlichen Verhältnisse neu zu regeln. Dies stieß bei der polnischen Zivilverwaltung auf größten Wider­stand, weil er ein Deutscher war und die polnische Sprache nicht be­herrschte. Da er nicht bereit war, auf Verlangen der polnischen Behörden Entscheidungen gegen das kanonische Recht zu treffen, erhielt er am 27. 07.1945 den Ausweisungsbefehl nach Berlin. Innerhalb von drei Tagen mußte er das von Polen beanspruchte Gebiet verlassen. Auf dem Weg nach Berlin wurde er total ausgeplündert, mißhandelt und aus dem Zug geworfen. Zu Fuß und bettelnd erreichte er Berlin, halb ausgezogen, kör­perlich und nervlich fertig. Bei einem Besuch des dortigen bischöflichen Ordinariats am 16.08.1945 erschien ein russischer Offizier mit Domvikae Parschau, von dem er in Insterburg getrennt worden war und nötigte ihn, zur Klärung einiger Fragen für 10 Tage mitzukommen. Dafür verbürgte sich der Offizier mit seinem "Ehrenwort". Vor dem Haus wartete ein Au­to, in dem ein russischer General wartete. Die Fahrt ging direkt zum Flughafen. Ziel: Moskau.

Das weitere Schicksal der beiden in Stichworten: Zunächst Sonderhäft­linge in abgelegener ländlicher Datscha. Erste Vernehmungen durch ei­nen sowjetischen General am 12.09.45. Es ging um die nach Moskau verbrachten Archivalien aus Frauenburg. Es folgten drei Jahre mit leeren Versprechungen. Am 09.06.1948 zu einer Anhörung nach Moskau ge­bracht. Tatsächliches Ziel: das Lefortowska-Gefangnis bis 31.03.1950. Anschließend Überführung in das Butyrska-Militär-Gefängnis. 1 1/2 Jah­re später Anklageerhebung wegen Spionage im Dienst des Vatikans. Oh­ne Gerichtsverhandlung wurden beide am 01.12.1951 zu je 15 Jahren Ge­fängnis verurteilt. Eine Begründung gab es nicht. Berufung war nicht zu­lässig. Der anschließende Weg in die Verbannung führte über Kuiby­schew, Tscheljabinsk, Omsk, Irkutsk ins Gefängnis nach Alexandrowsk (Baikalsee). Am 19.09.1955 Mitteilung über Amnestie-Erlaß vom 17.09.55. Sie seien nunmehr "Freie Bürger". Beginn des Heimtranspor­tes am 20.09.55. In Swerdlowsk ging es aber wiederum in ein Lager, aus dem die Weiterreise ständig verzögert und nur in Gruppen erfolgte. Ge­neralvikar Marquardt traf endlich am 15. Dezember 1955 in West-Berlin ein. Sein Mithäftling Domvikar Johannes Parschau erreichte West-Berlin am 16.01.1956.

Nach kurzer Erholungspause stellten sich beide wieder ungebrochen in den Dienst der Kirche. Dr. Aloys Marquardt wirkte von 1956 bis zu sei­nem Tod am 01.08.1972 als Vize-Offizial beim Ordinariat zu Köln. Domvikar Parschau übernahm zunächst Aufgaben als Pfarrverwalter in Neumünster und Ellenz/Mosel, ehe er 1959 Pfarrer in Dernau an der Ahr wurde. Hier entfaltete er ein segensreiches Wirken. Sein 80. Geburtstag und sein Goldenes Priesterjubiläum wurden Volksfeste für die ganze Ge­meinde. Er starb am 20. März 1994.

Die Rückkehr von Domkapitularvikar Marquardt aus Rußland hatte für die Rechtsnachfolge des Bischofs von Ermland in der Zeit der Vakanz noch eine besondere Bedeutung. Als nämlich der auf Bischof Kailer gefolgte Kapitularvikar Arthur Kather am 25.07.1957 in Osnabrück starb, wiählten die beiden noch lebenden Domkapitulare Dr. Marquardt und Di. Schwark am 29.07.1957 den einstigen Pfarrer vom Oberhaberberg in Königsberg und von 1945 - 1947 dort amtierenden Generalvikar für das von Rußland beanspruchte nördliche Ostpreußen, Paul Hoppe, zum neu­en Kapitularvikar und somit zum Rechtsnachfolger in der Leitung des Bistums Ermland während der Sedisvakanz. Dies sollte sich erst 1972 äIndern, als die kirchlichen Verhältnisse in den von Polen beanspruchten deutschen Ostgebieten vom Vatikan neu geregelt wurden (Errichtung neuer Bistümer und Ernennung von Bischöfen). Mit der Ernennung von Hischof Jozef Drzazga zum Bischof von Ermland am 28.06.1972 erlosch das Amt des Kapitularvikars. Paul Hoppe wurde jedoch gleichzeitig aus seelsorgerichen Gründen zum Apostolischen Visitator für Priester und Gläubige aus der Diözese Ermland in der Bundesrepublik Deutschland ernannt. Der Apostolische Nuntius schrieb am Vortag an Prälat Hoppe: "Die Bedeutung Ihres neuen Amtes wird nicht geringer sein als die Ihres bisherigen: Mehr denn je brauchen die Ihnen anvertrauten Gläubigen Ihre Hilfe und Fürsorge."

Dompropst Franz Sander; von den Soldaten der Sowjetarmee vertrie­ben. Am 27.04.1945 in großem Elend im Alter von 82 Jahren verstorben. Beerdigt in Neukirch-Höhe.

Domkapitular Andreas Hinzmann; auch er mußte - wie alle Deutschen - Frauenburg verlassen und wurde fortgetrieben. Er kam bis Neukirch-Höhe und ist dort am 08.03.1945 infolge von Entbehrungen und Schwä­che im Alter von 80 Jahren gestorben und begraben.

Domkapitular Dr. Wladislaus Switalski, wie oben bereits unter dem 09.02.1945 erwähnt, wurde von einem Sowjetsoldaten grundlos erschos­sen.


Domkapitular Joseph Steinki; wurde 1941 in einem NS-Prozeß zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach 30 Monaten Haft erreichte er seine Entlassung, nach dem er auf die Domhermstelle verzichtet hatte. Er ging nach Allenstein, wurde dort von den Russen schwer mißhandelt und ist an den Folgen sowie einer zusätzlichen Ruhrerkrankung dort am 16.02.1945 verstorben.

Domkapitular Dr. Franz Heyduschka; auch er wurde von den Russen aus Frauenburg vertrieben. Dreimal kehrte er nach Frauenburg zurück. Dort ist er schließlich auch nach einer Typhuserkrankung und allgemei­nem Kräfteverfall Ende Dezember 1945 im Alter von 66 Jahren verstor­ben. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Domherrnfriedhof in Frauenburg.

Domkapitular Alfons Buchholz, saß zwei Jahre (27.05.37 - 03.04.39) nach einem NS-Prozeß im Gefängnis zu Stuhm und wurde anschließend nach Breslau ausgewiesen. Von dort erfolgte seine Aussiedlung nach Deutschland am 18.04.1947. In Gerlachsheim bei Lauda ist er am 01.07.1957 verstorben.

Domkapitular Anton Krause, von den Russen aus Frauenburg verjagt. Aufenthalte in Bludau, Steegen und Luxethen. Dort ist er infolge von Entbehrungen, Schlaganfall und Lungenentzündung im Alter von 70 Jah­ren auf einem Strohlager am 14.04.1945 verstorben. Zunächst begraben im Garten der dörflichen Schmiede. Später nach Frauenburg auf den Domherrnfriedhof umgebettet.

Domkapitular Dr. Bruno Schwark; wie die vorher Genannten wurde auch er von der Besatzungsmacht aus Frauenburg mehrmals vertrieben, nachdem er mehrfach dorthin zurückgekehrt war. Ab Mitte Mai 1945 war er dann wieder in Frauenburg, bis die Polen ihn und drei weitere Geistli­che im August 1946 zusammen mit ca. 50 Frauenburgern zwangsweise aussiedelten.

Als Bischof Kaller am 07.07.1947 verstarb, war er der einzige noch le­bende Domherr, dem es nach dem Kirchenrecht oblag, einen Kapitularvikar als Leiter der Diözese während der Vakanz zu wählen. (Vom Überle­ben des früheren Generalvikars und Domkapitulars Dr. Marquardt, der nach Rußland verschleppt worden war, hatte niemand eine Ahnung). Er kam dieser Verpflichtung mit großem Ernst nach und verkündete den ermländischen Priestern, daß er den Pfarrer Arthur Kather zum Kapitularvikar erwählt habe. Die päpstliche Kurie hat diese ungewöhnliche Wahl in einer außergewöhnlichen Zeit bestätigt. Hierin muß eine unzweideuti­ge Antwort des Vatikans auf das unrechtmäßige Handeln des polnischen Kardinals Hlond gesehen werden.

Domkapittilar Dr. Bruno Groß; als jüngster des Domkapitels (45 Jahre) wurde er sogleich von den Russen gefangengenommen und weggeschafft. Zunächst war er im Zuchthaus zu Insterburg; im März 1945 nach Kurland verschleppt. In einem Lager östlich von Moskau ist er im Juni 1946 an Entkräftung gestorben.

Das Kriegsende in Braunsberg

09.02.1945 Während in Frauenburg die sowjetische Soldateska ihr wahres Gesicht zeigt, gehen die schweren Bombenan­griffe auf Braunsberg weiter.

10.02.1945 Von der Partei wird für die Zivilbevölkerung in Brauns­berg der Räumungsbefehl gegeben. Polizei und Volks­sturm durchsuchen die Wohnungen und zwingen die Be­völkerung, ihre Häuser zu verlassen.

11.02.1945 Die letzten zivilen Dienststellen werden nach Heiligen­beil verlegt.

12.02.1945 Die militärische Ortskommandatur wird personell ver­stärkt und beginnt, die Lagerbestände in Braunsberg zu erfassen. Erstaunliches kommt zum Vorschein: 40.000 Sack Mehl, 35.000 Sack Zucker, 20.000 Paar Schuhe, 80.000 Flaschen Alkohol sowie große Mengen an Gebäck, Bonbons, Konfitüren und Schokolade. Alles wird dem Heeresverpflegungsamt unterstellt und nach Heiligenbeil geschafft.

13.02.1945 Erneute Bombenangriffe auf Braunsberg

14.02.1945 Wehrtaugliche männliche Personen unter 60 Jahren dür­fen den Raum Braunsberg nicht mehr verlassen.

15.02.1945 Wieder wird Braunsberg aus der Luft angegriffen. Die Feuerwehr kann die Brände nicht mehr löschen. Nun ent­schließen sich auch die letzten Einwohner zur Flucht. Das Eis auf dem Haff hält noch. Doch an der Passargemündung steht bereits Wasser auf dem Eis. In den näch­sten Tagen gelegentlich leichte Bombenangriffe.

17.02.1945 Die Städte Mehlsack und Wormditt fallen in die Hände der Roten Armee.

23.02.1945 Zinten wird von den Sowjets besetzt.

25.02.1945 130 alte, kranke und hilflose Personen aus Braunsberg werden nach Heiligenbeil geschafft, die restlichen 70 im evgl. Krankenhaus an der Königsberger Straße unterge­bracht.

28.02.1945 Jeglicher Abtransport über das Haff wird eingestellt, weil das Eis nicht mehr hält.

06.03.1945 Die russischen Truppen stoßen bei Bladiau bis ans Fri­sche Haff vor und teilen damit die deutschen Truppen in zwei Kessel: Königsberg und Braunsberg/Heiligenbeil. Im Westen hält sich der Frontverlauf zwischen Frauen­burg und Braunsberg an der Baude mit geringfügigen wechselseitigen Geländegewinnen.

11.03.1945 Artilleriebeschuß aus Nordosten der Gegend von Linde-nau und Vogelsang. Die Lage um Braunsberg enveist sich als aussichtslos.

18.03.1945 Braunsberg wird aufgegeben. Die letzten deutschen Sol­daten verlassen die Stadt.

20.03.1945 Sowjetrussische Truppen rücken in Braunsberg ein. Die zerstörte Stadt wird kampflos besetzt.

21.03.1945 Der russische Wehrmachtsbericht meldet die Einnahme der "Stadt Braunsberg am Frischen Haff“.

26.03.1945 Heiligenbeil wird von der nachrückenden Roten Armee erobert.


Erbarmung - Erbarmung“

Literatur:

Edgar Günther Lass: Die Flucht, Ostpreußen 1944/45, Podzun-Verlag 1964, S. 173ff

Kluth: Die letzten Tage von Braunsberg, "Braunsberg/Ostpreußen, Höhere Schulen", lieft 21, Sommer 1975

Lew Kopelew: Aufbewahren für alle Zeit, Hoffmann und Campe-Verlag, Hamburg 1976

Alexander Solschenizyn: Ostpreußische Nächte

Michael Hartenstein: In Nemmersdorf begann die Zerstörung des deutschen Ostens, DOD Nr. 42/1994

de Zayas: Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deut­schen, München 1981

Gerhard Fittkau: Mein 33. Jahr, Kösel-Verlag, München 1957, Franz Scholz: Zwischen Staatsräson und Evangelium . Kardinal Hlond und die Tragödie der ostdeutschen Diözesen, Verlag Knecht, Frankfurt, 1988

Bruno Schwark: Den toten Domherrn, Ermländischer Hauskalen­der 1950, S. 109-128

Bruno Schwark: Ihr Name lebt, Veröffentlichung der Bischof Ma­ximilian Kalier Stiftung, Reihe II, Heimat und Geschichte, 1958 Aloys Marquardt: Zehn Jahre Rußland, Ermländischer Hauskallender 1957, S. 115-175

Otto Miller (nachgelassene biographische Fragmente): Ein schriftliches Ehrenmal für Bischof Maximilian, Ermländischer Hauskalender 1959, S. 64-96

Gerhard Matern: Advent 1945, Ermlandbriefe Nr. 4/1985 Hans Preuschoff: Was geschah 1945 im Ermland, Ermlandbriefe Nr. 3/1986



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Die Einsetzung der Apostolischen Administratoren in den deutschen Ostprovinzen

Das Rätselraten um die zweifelhaften Ernennungen durch den Primas von Polen, August Kardinal Hlond, am 15. August 1945 mit Wirkung vom 01. September 1945 beginnt sich zu lüften.

Ausgerechnet ein indischer Historiker, der früher als Dozent am Osteuropa-Institut in Berlin wirkte, hat in Posen ein Buch veröffentlicht über "Die Kirche in Polen, Die Katholische Kirche und der Staat im Lichte von Dokumenten 1945 - 1989, Band I: Die Jahre 1945-59" (polnisch). Darin enthalten ist ein Dokument vom 24. Oktober 1946. Es handelt sich um einen "Bericht des Kardinals Hlond an das Vatikanische Staatssekretariat in der Frage der Kirchenvenvaltung in den wiederge­wonnenen Gebieten".



Augustin Kardinal Hlond. Primas von Polen * 05.07.1881 + 22.10.1948

Doch zunächst ein paar Daten aus dem Lebensweg des Kar­dinals von 1939 bis 1945. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen begibt sich Kardinal Augustin Hlond am 04. 09. 1939 von Po­sen nach Warschau zu einer außerordentlichen Bischofskonferenz. Am 14.09. verläßt er Polen über Rumänien und trifft am 19. September in Rom ein. Im Juni 1940 geht er nach Frankreich, wo er sich zunächst drei Jahre in Lourdes und ab Juni 1943 in ei­ner Benediktinerabtei in den Pyrenäen aufhält.


Am 03.02.1944 wird er dort von deutscher Polizei verhaftet und nach Paris gebracht. Seit dem 05. 04. 44 lebt er als "Internierter" in Bar le Duc bei Verdun. Am 30.09.44 erhält er einen Zwangsaufenthalt bei katholi­schen Schwestern in Wiedenbrück (Westf). Nach seiner Befreiung durch durch die Amerikaner am 01.04.45 fliegt Hlond eine Woche später nach Paris. Schließlich hielt er sich vom 24. April bis zum 10. Juli in Rom auf. Am 20.07. 1945 kehrt er nach fast 5jähriger Abwesenheit nach Posen zurück, wo er in kürzester Zeit seine Entscheidungen zur Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in Polen trifft.

In drin eingangs erwähnten Dokument vom 24.10.1946 gibt Kardinal Hlond zunächst einen Situationsbericht aus seiner Sicht über die kirchlichen Verhältnisse jener chaotischen Zeit, in der Vergewaltigung, Raub und Totschlag zum Alltag gehörten. Die zurückgebliebene deutsche Be­völkerung wurde als besiegt betrachtet, verantwortlich für die Verbrechen Hitlers und verurteilt zur Sühne.

Die russischen Besatzungstruppen wie auch die neuen polnischen, kom­munistischen Behörden sprachen den deutschen Ordinarien das Recht ab, ihre Jurisdiktion auch auf die polnische Bevölkerung auszudehnen. Ihr erklärtes Ziel war es vielmehr, die deutschen kirchlichen Amtsträger aus diesem Gebiet zu entfernen. Deshalb war alles bedroht: die Autorität der Kirche, die Gotteshäuser, die kirchlichen Gebäude und jeglicher Besitz.

In der Diözese Ermland waren von 235 Priestern ganze 40 zurückgeblie­ben. Ostpreußen war nach Beendigung der Kampfhandlungen ein Land des Todes, durch das Banden beutesuchender russischer Soldaten zogen. Das religiöse Leben war gleich einem Siechtum. Die neue Bevölke­rung - vornehmlich aus dem Wilnaer Gebiet vertriebene Polen - ver­langten religiöse Betreuung. Auf eigene Faust besetzten sie katholische und prostestantische Gotteshäuser, die nicht zerstört waren und verlang­ten polnische Priester.

Der Aufbau einer polnischen Hierarchie war das Gebot der Stunde. In diese Zeit fielen die Beschlüsse von Potsdam [02.08.1945], in denen 'die Westgrenze Polens an der Oder festgelegt und die Umsiedelung der öst­lich dieser Grenze zurückgebliebenen Deutschen beschlossen wurde'. Un­ter den damaligen Bedingungen, gab es nur einen Weg, die Kirchenver­waltung in die Hände polnischer Prälaten zu legen, die fähig waren, die Lage zu beherrschen. Für die deutschen Ordinarien sah er - infolge der politischen Veränderungen - keine Wirkungsmöglichkeiten mehr.

Kardinal Hlond gibt einen Fehler zu.

Bei seinen Gesprächen mit dem Sekretär für außerordentliche Angelegen­heiten des Vatikans sei auch über die Ernennung von Apostolischen Ad­ministratoren in Polen gesprochen worden und entsprechende Vollmach­ten erteilt. Hinsichtlich der deutschen Territorien sei ihm jedoch gesagt wor­den, "das müsse zuvor mit den betroffenen Bischöfen durchdiskutiert werden". Erst Monate später sei ihm bewußt geworden, diese Worte falsch verstanden zu haben. Er sei stets fest davon überzeugt gewesen, daß die ihm übertragenen Vollmachten für das Gebiet Polens auch die bis vor kurzem deutschen Gebiete einschlösse und die Ernennung von Apo­stolischen Administratoren auf den einst deutschen Gebieten in der Ab­sicht des Heiligen Stuhles läge. - So betrachtete er es als seine Aufgabe, mit den betroffenen Ordinarien Kontakt aufzunehmen und diesen einen offiziellen Standpunkt des Vatikans zu übermitteln, der auf falschen Prä­missen fußte und sie zur Resignation zu veranlassen. (Am 12.08.45 in Breslau den Kapitelsvikar der Erzdiözese Breslau Dr. F. Piontek, am 16.08.45 in Pelplin den Bischof von Ermland, Maximilian Kaller. Später folgten Schneidemühl, am 17.08 Branitz/Olmütz und im September Graf­schaft Glatz/Prag). Hlond bemerkt, er habe versucht, dies in einer höfli­chen Form zu tun, wobei er sich über die Unannehmlichkeiten im Klaren gewesen sei, die sie empfinden mochten. - Einen Einfluß auf die Ernen­nung der Administratoren hatte dies alles ohnehin nicht, denn die Ernen­nungsurkunden waren mit dem Datum vom 15. August ausgefertigt, ob­wohl diese bereits am 14.08. den Erwählten in Posen überreicht worden waren.

Im weiteren Verlauf seines Berichtes schildert er die Situation am 01.09.1946 in den einzelnen Diözesen und neu eingerichteten Kirchenbe­zirken.

In der Diözese Ermland gäbe es nur noch 15 Priester deutscher Natio­nalität; ihnen ständen bereits 140 Priester polnischer Nationalität gegen­über. Weitere 50 seien notwendig. - Er habe Grund sich über manche deutsche Pfarrer zu beklagen, die gegen seinen Willen nach Deutschland ausgereist seien und ihre deutschen Pfarrkinder zurückgelassen hätten.

Auch mit den Katharinen-Schwestern habe er Kummer. Der Abtransport der letzten Deutschen sei für den Monat November 1946 vorgesehen.

Kardinal Hlond bittet demütig um Verzeihung.

Am Ende seines Berichtes geht Kardinal Hlond auf die religiösen Veränderungen in Osteuropa ein, die ein Sendungsbewußtsein erkennen lassen, das wir hier nicht kommentieren wollen.

Dann aber fügt er hinzu:

"Mir bleibt nichts übrig, als den Heiligen Vater demütig zu bitten, mir die begangenen Fehler und jene Unannehmlichkeiten zu verzei­hen, mit denen ich sein väterliches Herz verwunden konnte".

Quellen: Informationen und Berichte - Digest des Ostens - Nr. 7/1994, Königstein

Petrusblatt, Erzbistum Berlin vom 18.09.1994

Scholz: Zwischen Staatsräson und Evangelium, Knecht-Verlag, Frankfurt

Anmerkung: Die Veröffentlichung bisher unbekannter kirchlicher Dokumente wird das Gespräch zwischen Deutschen und Polen heieben und hoffentlich im Geiste der Wahrheit zu einer ehrlichen Aufarbeitung der Nachkriegsjahre bis hin in die heutige Zeit führen.


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Flüchtlingstragödien auf der Ostsee



Durch sowjetische Torpedos wurden 1945 sieben Schiffe, die keinem Kriegseinsatz dienten, sondern allein zur Rettung von Menschenleben eingesetzt waren, in der Ostsee versenkt.

Mit ihnen versanken ca. 20.000 Menschen in den eiskalten Fluten der Ostsee, meist Frauen und Kinder sowie ältere Menschen.

Die Zahl der Opfer auf den größten versenkten Schiffen betrug:

"Wilhelm Gustloff" 5.100 Tote

"Goya" 6.500 Tote

"General Steuben" 3.000 Tote

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Der Untergang Ostpreußens

Flucht aus dem Ermland


Schon im Herbst 1944 kamen die ersten Flüchtlinge zu uns. Manche von Ihnen waren unterwegs schon kurze Zeit von den sowjetischen Truppen überrollt worden, so daß sie schon von Greueltaten erzählten. Wir hatten natrürlich furchtbare Angst, und meine Mutter machte sich große Sorgen um mich und drängte mich im Dezember, ich sollte noch versuchen, mit dem Zug nach Westfalen zu fahren.

Eine meiner Schwestern war kurz vorher gestorben, und wir hatten drei Kinder von ihr bei uns. Ich brachte es einfach nicht fertig, sie zu verlas­sen, da meine Mutter auch alt und krank war.

1. Flucht

Am 12..02.1945 flüchteten wir das erste Mal. Die Straßen waren verstopft, und wir kamen bis Grunenfeld. An Unterkunft war nicht zu den­ken, und es war schreckliches Wetter und kalt.

Zwei Bauern aus der Nachbarschaft und meine Familie kehrten um, weil Vater der Meinung war, daß wir besser in den eigenen vier Wänden ster­ben könnten als auf der Straße.

Als wir nach Haue zurückkamen, hatten sich bei uns schon Weißrussen und Polen gemütlich gemacht.

2. Flucht

Am 15.02.1945 kamen plötzlich zwei deutsche Soldaten und waren über­rascht, daß sich noch Zivilbevölkerung in den Häusern aufhielt. Sie for­derten uns auf, sofort zu fliehen, da die Infanterie ca. 1 km entfernt schon in Stellung gegangen war.

Ein Bauer, meine Schwester und ihre vier Kinder sowie zwei fremde Frauen mit Kindern, die die Soldaten ihr noch auf den Wagen gesetzt hatten, und unser Wagen fuhren am nächsten Morgen los. Mit uns fuhren noch drei andere Wagen. Ein Bauer blieb zurück, weil eine Entbindung im Hause bevorstand.

Wir fuhren über Schönau, Blumberg Lindenau bis nach Braunsberg-Güterbahnhof. Hier mußten wir ein Stück über den Acker, da die Straßen nicht befahrbar waren.




Das Einscannen wird fortgesetzt!


www.braunsberg-ostpreussen.de