KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN) e.V. Konrad Zuse (1910 - 1995) Zum 80. Geburtstag von Herrn Dipl.-lng. Prof. Dr.-lng. E.h. Dr. mult. rer. nat. h. c. Dr. techn. h. c. Konrad Zuse am 22. Juni 1990
Aus: Unsere Schulen – Braunsberg/Ostpreußen, Heft 52, Weihnachten 1990
Wir gratulieren dem Jubilar, dem erfolgreichen Erfinder sehr herzlich und wünschen weiterhin alles Gute, gute Gesundheit, viel Erfolg. Aus: Der Computer — Mein Lebenswerk, Heidelberg 1984. Mein Vater war Preuße, preußischer Beamter im besten Sinne. .. Von meinem zweiten Lebensjahr an lebte ich in Braunsberg, einer verschlafenen ostpreußischen Kleinstadt. Mein Vater war dort mittlerer Postbeamter; wir wohnten im Postamt gegenüber dem alten schönen Rathaus. Von dem verschwommenen Bild der Berliner Hochbahnbrücken abgesehen, ist meine erste sichere Kindheitserinnerung die an den Beginn des Ersten Weltkrieges. Schon in den ersten Kriegswochen kamen viele Flüchtlinge nach Braunsberg. Ich sehe noch deutlich das Bild des Marktplatzes mit den Pferdewagen der Flüchtlinge vor mir. Auch unser eigenes Schicksal hing wohl damals an einem seidenen Faden, denn erst im letzten Augenblick konnte Ostpreußen durch die Schlacht bei Tannenberg befreit werden... Es war damals noch möglich, nach drei Jahren Vorschule das Gymnasium zu besuchen. Ich absolvierte diese drei Jahre auf der Evangelischen Höheren Mädchen-Schule und war bei der Aufnahme ins Gymnasium knapp neun Jahre alt. Da ich später immer gerade so viel gearbeitet habe, daß ich nicht sitzen blieb, konnte ich mein Abitur bereits mit siebzehn Jahren machen. Auf diese Weise war ich immer etwa zwei Jahre jünger als die meisten meiner Klassenkameraden, was mir einiges an Minderwertigkeitsgefühlen eingetragen hat. Vor allem körperlich fühlte ich mich den zwei Jahre Älteren unterlegen. Ich habe auch des öfteren Prügel bezogen. Ich besuchte das humanistische Gymnasium Hosianum, an dem der berühmte Mathematiker Weierstraß gewirkt hatte. Es herrschte dort noch der alte, traditionelle Geist. Die dicken Gewölbe der ehemaligen Burg, in der das Gymnasium untergebracht war, hatten gleichsam symbolischen Charakter. Die Lehrer, zum Teil noch Professoren genannt, thronten wie Halbgötter über uns Schülern. Acht Stunden Latein in der Woche — wir armen Sextaner hockten verschüchtert wie die Mäuschen vor der Katze beziehungsweise dem Kater. In stärkster Erinnerung ist mir unser Lateinlehrer Hohmann, genannt Tithemi, geblieben. Er stellte in besonders charakteristischer Weise den Typ des alten humanistischen Gymnasiallehrers dar. Sicher hat er auch einen positiven Einfluß auf seine Schüler gehabt. Mir persönlich jedoch lagen Sprachen nicht. Latein, insbesondere wie er es zu lehren pflegte, war mir ein Greuel. Im stärksten Berliner Bombenkrieg habe ich nicht wieder solche Ängste ausgestanden, wie in den allmorgendlichen Lateinstunden, wenn jeder bangte, ob er heute drankäme. Ich muß für meine Lehrer kein sehr angenehmer Schüler gewesen sein. Ich war als Kind und als Jugendlicher ein Träumer, und meine Gedanken schweiften auch in der Schule oft vom Thema ab.
Einer meiner Lehrer äußerte einmal sinngemäß, in der Klasse sitze einer, der besser Suse statt Zuse hieße. Die Seiten meines Lateinbuches, des „Ostermann", zierten die Lokomotiven der Deutschen Reichsbahn und peinlich genau nachgezeichnete Berliner Stadtbahn-Züge. Tithemi war selbstverständlich erbost, hatte aber doch so viel Verständnis, daß er das Buch dem Zeichenlehrer Heider zeigte, der wiederum meinem Vater riet, er solle mir für meine Zeichenübungen besseres Papier geben. Wenngleich meine Erinnerungen an das Gymnasium Hosianum in Braunsberg nicht ungetrübt sind, so habe ich dort doch manche Freundschaft schließen können, die die Schulzeit überdauert hat. Einer der Freunde aus dieser Zeit war Herbert Weber. Er wurde später mein erster Financier. Mit einem Teil seiner Ersparnisse begann ich den Computerbau. Auch heute noch besteht trotz der politischen Verhältnisse in Deutschland ein reger Kontakt zwischen den ehemaligen Schülern und Schülerinnen der Braunsberger Schulen. Ich war in der Obertertia, als mein Vater Oberpostmeister in Hoyerswerda wurde. Zur Abwechslung kam ich nun auf ein modernes Reform-Realgymnasium. Tithemi hatte mir zum Abschied gesagt, er habe beide Augen und auch noch seine Hühneraugen zugedrückt und mir statt einer Fünf eine Vier in Latein gegeben. Mit im wesentlichen diesen Lateinkenntnissen hielt ich auf dem Reform-Realgymnasium bis zum Abitur eine Zwei.
Ein lang bebildeter Artikel zum 80. Geburtstag von Prof. Zuse erschien in der Zeitschrift „Chefbüro". Das Magazin für Führungskräfte, 13. Jg. Nr. 4 — Juni/Juli 1990.
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