Braunsberg

im Wandel der Jahrhunderte

Festschrift zum 650jährigen Stadtjubiläum am 23. und 24. Juni 1934

von Franz Buchholz

Ins Internet gestellt von der

KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN) e.V.

Vorwort des Webmasters

Liebe Braunsberger! Da es jetzt ein Programm gibt, mit dem man auch Texte mit der alten Frakturschrift einscannen und in unserer heute üblichen lateinischen Schrift wiedergeben kann, war es klar: Dieses für uns Braunsberger so wichtige Buch von Franz Buchholz muß einfach ins Internet!

Und das ist nun auch geschehen! Leider finden sich trotz aller Sorgfalt immer wieder Fehler - ich bitte um Nachsicht. Das Problem ist nämlich, dass diese alte Schrift nun einmal ihre Tücken hat, so sind in ihr etwa manche Buchstaben schon für uns kaum auseinander zu halten, ich denke hier etwa an das t und k, oder an das s und f, oder an das N und die Null (0) usw. - und solche Probleme hat natürlich erst recht eine Maschine! Immerhin konnte mir unser früherer Kreisvertreter Gerhard Steffen ein Originalexemplar des Buchs zu Verfügung stellen, wo die Buchstaben für die Maschine noch einigermaßen auseinander zu halten sind, mit einer Kopie wäre das ungleich aufwendiger gewesen! Konkret heißt das: Beim Einscannen legt mir das Programm zwar alle Wörter zur Überprüfung, die es nicht kennt, und dabei sind vor allem die Eigennamen, aber nicht die normalen Wörter. Daher sind die Eigennamen wohl alle richtig. Doch wenn etwa bei den normalen Wörtern ein Wort mit einem Fehler auch einen Sinn ergibt, dann gilt das für das Programm als richtig und wird also gar nicht mehr vorgelegt und so wird also auch von mir nichts mehr überprüft, irgendwo muß mit der Überprüferei ja auch Schluß sein! (Vielleicht sammelt mal jemand ja einmal die Fehler, die er so findet, und teilt sie mir mit, aber viele dürften es nicht sein! Es reicht dabei völlig, mir das falsche Wort, so wie es geschrieben ist, zuzumailen - das Finden und Korrigieren ist dann für mich kein Problem mehr! Bitte haben Sie auch keine Probleme mit Wörtern, die ihnen komisch vorkommen!)

Und noch etwas: Es ist schon merkwürdig: Vor 71 Jahren hatte auch mein Vater (Dr. Hans Preuschoff) an diesem Buch mitgearbeitet: Von ihm stammte das Personenverzeichnis. Ein Personenverzeichnis ist heute im Computerzeitalter nun nicht mehr nötig, heute findet man Personen durch "Eingeben und Klicken". Daher habe ich das Personenverzeichnis auch gar nicht mehr korrigiert.

Das mit dem "Eingeben und Klicken" hat im Übrigen den Vorteil, dass nicht nur die Besitzer des Buchs jemanden finden, sondern - etwa über google - alle Benutzer des Internets weltweit! Wer etwa den Namen des ermländischen Bischofs "Franz Kuhschmalz" aus Rößel in Australien ins Internet eingibt, stößt jetzt garantiert auch auf unsere Braunsberger Geschichte! Und mit einem weiteren Klick kann er die sich sogar ins Englische übersetzen (zwar nicht besonders gut, aber immerhin!)

Da es nun möglich ist, ohne besonderen Aufwand mehr Bilder einzugeben, habe ich das getan, schließlich lockern die den Text etwas auf. Gleichzeitig habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, behutsam etwas zum Ende Braunsbergs hinzuzufügen. Meine Zusätze habe ich durch grüne Schrift gekennzeichnet.

Die roten Zahlen im Text sind die Seitenzahlen des Originalbuchs - zum Zurechtfinden!

Und - trotz aller Wehmut um unser schönes Braunsberg - nun viel Freude bei der Lektüre!

Weihnachten 2005 

Michael Preuschoff

Braunsberg um das Jahr 1960 vom Passargehafen aus gesehen

(Gefertigt von C. Pistech. Aus Hartknoch, Alt und Neues Preußen)

 

Vorwort des Verfassers

Seitdem i. J. 1837 Oberlehrer Dr. Jakob Lilienthal, der Vater der Geschichte Braunsbergs, die reichen Archivbestände seiner Vaterstadt zu lokalhistorischen Arbeiten auszuwerten begann, hat es nicht an wissenschaftlichen und volkstümlichen Darstellungen aus der buntbewegten Vergangenheit der alten Hansestadt gemangelt. Ein gewisses Fazit der bisherigen Untersuchungsergebnisse zog anläßlich des 600jährigen Stadtjubiläums am 2. Juli 1884 Prof. Dr. Josef Bender in seinen „Geschichtlichen Erinnerungen aus Braunsbergs Vergangenheit", die systematische Durchblicke durch die kulturelle Entwicklung der Stadt boten. Seither hat der Fleiß heimatliebender Forscher nicht gerastet und neue Bausteine zu ihrer Geschichte zutage gefördert.

Das bevorstehende 650jährige Stadtjubiläum gab den Anstoß zu der vorliegenden Arbeit, die zum erstenmal eine zusammenhängende Darstellung hauptsächlich der politischen Entwicklung Braunsbergs versucht und in diese kulturgeschichtliche Bilder hineinzuweben bemüht ist. Sie kann dankbar auf dem aufbauen, was andere in mühevollen Einzelstudien erforscht haben, und will die verstreuten Beiträge zusammenfassen und in volkstümlicher Form zu einem Heimatbuch für Braunsbergs Bürger, Söhne und Freunde verbinden. Eigene Archivstudien waren mir bei der Kürze der verfügbaren Zeit nur in geringem Maße möglich.

Der Leser soll keine vollständige Geschichte der Passargestadt erwarten. Wer jemals einen Blick allein in die Schätze des städtischen Archivs geworfen hat, weiß, wie umfassende Vorarbeiten noch erforderlich wären, um dieses ferne Ziel zu erreichen. Die Fülle des vorhandenen Stoffes zwang zur Beschränkung; aber die Auswahl des Dargebotenen war nicht immer leicht. Entsprechend dem Stande der bisherigen Forschungsresultate konnte die ältere Geschichte der Stadt (die ersten 4 Kapitel) verhältnismäßig eingehend wiedergegeben werden, während die mittlere (Kapitel 5 - 8) gedrängter gehalten ist und die Geschichte des 19. Jahrhunderts sich mit einer knappen Übersicht, die des 20. Jahrhunderts mit einer flüchtigen Schau begnügen muß. Hier bietet sich der zukünftigen Heimatforschung am meisten und dringlichsten ein Feld der Ergänzung und Erweiterung.

Wenn ich die Frucht einer fünfmonatlichen Arbeit, die neben meinen Berufspflichten einherging, als herzliche Weihegabe der jubilierenden ermländischen Hauptstadt widme, bin ich mir der Mängel der Schrift wohl bewußt; aber ich hoffe, daß sie, von ernstem Streben um historische Treue und voll inniger Heimatliche getragen, bei seinen Mitbürgern freundliche Statt finden und im Sinne der neuen Staatsidee die Bindungen zwischen Blut und Boden festigen und kräftigen wird. Es ist mir eine besondere Freude, dank dem Entgegenkommen der Ermländischen Zeitungs- und Verlagsdruckerei mehrere Abbildungen aus dem alten Braunsberg bieten zu können.

Ein kurzer Anhang bringt einige Quellen, Literaturnachweise und Nachträge. Das Personenverzeichnis am Schluß, das ich Herrn Schriftleiter Dr. Hans Preuschoff verdanke, soll nicht nur die Benutzung des Buches erleichtern, sondern auch der Familienforschung Hilfsdienste leisten.

Nach Vollendung dieser Schrift ist es mir eine angenehme Pflicht, allen Amtsstellen und Gönnern, die mir durch einzelne Auskünfte oder sonstige Förderung ihre Unterstützung angedeihen ließen, aufrichtig zu danken; insbesondere gebührt mein Dank der hiesigen Stadtverwaltung für ihre vielseitige Hilfe und Herrn Stadtbaumeister i. R. Lutterberg für die Überlassung seiner lokalgeschichtlichen Materialien und seine stets bereitwilligen Aufschlüsse.

Braunsberg, 8. Juni 1934.
Franz Buchholz,
Studienrat.

Inhalt:
Vorwort
1. Braunsbergs Anfänge
2. Braunsbergs Entwicklung bis zur Schlacht von Tannenberg (1410)
3. Vom ersten zum zweiten Thorner Frieden (1410—66)
4. Bis zum Krakauer Frieden (1525)
5. Im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation
6. Im Jahrhundert der Schwedenkriege (1626—1721)
7. Bis zur ersten Teilung Polens (1772)
8. Bis zum Frieden von Tilsit (1807)
9. Bis zum Weltkrieg
10. Ausklang

Besprechungen von Hans Schmauch in  ZGAE Band 25 und von H. Kleinau

Quellen und Personenverzeichnis  (unkorrigiert)

 

I. Braunsbergs Anfänge


Schon in grauer Vorzeit bildete die Passarge eine wichtige Grenzlinie. Sie schied zu Beginn unserer Zeitrechnung die im Westen wohnenden Gepiden, einen Teilstamm der germanischen Goten, von den baltischen Altpreußen im Osten. Der Unterlauf des Flusses hielt diese völkische Trennung aufrecht, während allmählich an der mittleren und oberen Passarge die Germanen ostwärts bis zur Alle und darüber hinaus vorstießen. Als mit der Völkerwanderung (2. - 4. Jahrhundert) die Goten südwärts zogen, rückten die Preußen vom östlichen Natangen her in das kampflos geräumte Gebiet vor und breiteten sich bis zur Weichselmündung aus. Die Landschaft an der Südostküste des Frischen Haffes war von den Stämmen der Warmier und Pogesanier besiedelt. Sie bestellten mit ihrem hölzernen Hakenpflug geeignete Ackerstücke, schätzten von ihren Haustieren besonders das Pferd, gingen in den weiten Wäldern der Jagd und der Imkerei nach, trieben an den vielen Seen und Flüssen Fischerei. Namentlich das Haff lockte sie zum Fischfang und zur Schifffahrt, und preußische Segelschiffe, vor allem wohl aus Truso, ihrem Haupt-Handelsplatz in der Gegend des heutigen Elbing, dienten dem Warenaustausch bis zu den Küsten Jütlands und Schwedens. Denn auch das Handwerk war ihnen bekannt, die Töpferei, Leinen-  und Wollweberei, Leder- und Eisenbearbeitung, und es fehlte ihnen nicht an Marktstätten, wo ihre Erzeugnisse ausgetauscht und gegen fremde, eingeführte eingehandelt wurden.

Die Passarge strebte damals noch in weit mehr Windungen als heute, in oft den Lauf verlegenden Betten der Mündung zu; trotzdem war sie bei normalem Wasserstand schon oberhalb des heutigen Braunsberg für leichte Fahrzeuge schiffbar. Eine uralte Straße führte längs des eiszeitlichen Hügelrückens der Haffküste und kreuzte im Weichbilde der jetzigen Stadt den Fluß. Liegt da nicht die Vermutung nahe, daß dieser wichtige Schnittpunkt des Verkehrs schon von den Preußen für eine Siedlung ausgewählt worden ist? Nun wird uns in einer Urkunde d. J. 1249 ein preußisches Brusebergue im Warmierlande als eine ihrer sechs wichtigsten Wohnstätten benannt, und es ist fast einmütige Ansicht unserer Heimatforscher, daß dieser Ort der heidnisch-preußische Vorläufer des deutsch-christlichen Braunsberg gewesen ist. Den altpreußischen Namen wird man vielleicht mit Röhrich als „preußisches Lager" oder als Preußensiedelung deuten können.

Als nun der deutsche Ritterorden in frommer Kreuzzugsbegeisterung und frischem Tatendrang i. J. 1231 die Eroberung Preußens begann, ging er planmäßig längs der Wasserstraße der Weichsel und Nogat vor, erreichte i. J. 1237 den Elbingfluß, wo er nahe dem früheren Truso den neuen Handelsplatz Elbing begründete, und gewann so die bedeutsame Verbindung mit dem Frischen Haff und der Ostsee. Für die Beherrschung des Haffes war die Eroberung der Preußenburg Balga gegenüber einem seither versandeten Tief von besonderem Wert. Es gelang der Umsicht und Tapferkeit des Ordens i. J. 1239, die heidnische Seefestung zu besetzen; aber alsbald taten sich die unterlegenen Preußen zusammen, um den verlorenen Stützpunkt zurückzugewinnen. Ihrer Belagerung und Absperrung von der Landseite her wäre wahrscheinlich der Erfolg nicht versagt geblieben, wenn nicht i. J. 1240 Herzog Otto von Braunschweig vom Haff her zum Entsatz herangekommen wäre. Er errang in einem unvermuteten, starken Ausfall einen vernichtenden Sieg über die Feinde, unter denen sich die durch die List eines preußischen Verräters herbeigelockten Führer Warmiens, Natangens und Bartens befanden. Mit den führerlosen Stämmen wurden die Ordensritter auf Streifzügen schnell fertig; es sah aus, als wäre ihre Herrschaft gesichert. Gleichwohl gebot die Vorsicht die Anlage militärischer Befestigungswerke.

Unter den Burgen, die damals in dem unterworfenen Lande errichtet wurden, finden wir auch Brunsberg. Die wichtige Verkehrslage des Ortes, die schon die Preußen erkannt und ausgenutzt hatten, mußte dem Orden auch strategisch wertvoll erscheinen. So führte er denn hier i. J. 1240 oder 1241 ein einfaches Verteidigungswerk auf, im Schütze von Wasser, Wall und Plankenzaun ein Blockhaus für die militärische Besatzung. Diese Befestigung sollte der Ausgangspunkt für eine deutsche Siedlung werden. Schon zogen erwartungsvolle, mutige Kolonisten zu rüstiger Aufbauarbeit an, als ein jäher Sturm die ersten Keime der deutschen Kultur vernichtete.

Im Sommer 1242 brach nämlich ein Aufstand der unterjochten Eingeborenen los. Im Bunde mit Herzog Swantopolk von Pomerellen, der von Westen her die junge deutsche Herrschaft aufrollen wollte, erhoben sich die Preußen allenthalben gegen die verhaßten Fremden, erstürmten mit wildem Ingrimm ihre Burgen, erschlugen die Besatzungen und was ihnen von deutschen Siedlern in die Hände fiel. So fand auch die eben erst entstandene Braunsberger Pflanzung ein schnelles Ende.

Und doch inmitten der blutigen Kämpfe nahm der mit den nordischen Missionsverhältnissen wohlvertraute päpstliche Legat Wilhelm von Modena in sicherer Erwartung des christlichen Endsieges i. J. 1243 die Einteilung Preußens in vier Bistümer vor, von denen das mittlere Warmien oder Ermland das umfangreichste war.

Als der Orden i. J. 1248 Swantopolk zum Frieden gezwungen hatte, brach auch der preußische Aufstand zusammen, und durch Vermittlung des päpstlichen Gesandten Jakob von Lüttich kam am 7. Februar 1249 ein Vertrag zustande, in dem die unterworfenen Stämme des westlichen Preußen die Ordensherrschaft anerkannten und die Annahme des Christentums versprachen. Die Warmier erklärten sich bereit, bis zum nächsten Pfingstfest sechs Kirchen zu erbauen, so ansehnlich und schön, daß ihnen dort die Ausübung des Gottesdienstes mehr gefallen sollte als in den Wäldern. Die letzte dieser Kirchen sollte in dem vorerwähnten Brusebergue erstehen. Der Orden verpflichtete sich, die Gotteshäuser binnen Jahresfrist mit Priestern zu besetzen und auszustatten.

Dieser Frieden schien dem Aufbauwerk des Ordens endlich die gesicherte Grundlage zu geben. So konnte er denn aus den Ruinen neues Leben erblühen lassen, mit der Anlage neuer Burgen und Siedlungen beginnen. Dabei kam der altpreußische Platz an der Passarge wegen seiner günstigen Lage sogleich wieder in Betracht. Es fehlte auch nicht an Kolonisten, die für diesen Ort besonderes Interesse bekundeten.

Schon seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert hatte die 1143 begründete Seestadt Lübeck in ihrer baltischen Handelspolitik eine erstaunliche Aktivität entfaltet. Von der Aufsegelung der Düna bis zur Germanisierung Livlands begleitete eine Kette von Erfolgen ihre wagemutigen Unternehmungen. Und als die Eroberung Preußens begann, regten sich sofort in diesem wichtigsten Ausgangshafen der Ostsee lebendige Kräfte zu wertvoller Hilfe. Schon bei der Besiedlung Elbings waren Lübecker Bürgersöhne bestimmend tätig; i. J. 1242 plante die freie Reichsstadt einen Kriegszug gegen das Ermland, wo ein städtischer Handelsplatz erstehen sollte; 1246 unternahm tatsächlich eine Anzahl lübischer Bürger mit livländischen Ordensbrüdern einen siegreichen Vorstoß gegen die Samländer.

Unter jenen Männern, die sich dem Orden durch ihre bewährten Kriegsdienste empfohlen hatten, begegnen wir am 10. März 1246 dem Lübecker Ratsherrnsohn Johann Fleming. Schon damals heißt es, es sollte ihnen in Warmien Landbesitz zugeteilt werden. Alle Umstände sprechen dafür, daß Fleming nach dem Friedensvertrage von 1249 im Einvernehmen mit dem Orden an die Besiedlung von Braunsberg heranging. Hier bot sich ihm die Möglichkeit einer ähnlichen Stadtgründung, wie sie seine Vaterstadt Lübeck und Elbing waren: nicht unmittelbar am Meere gelegen, aber in naher Entfernung an einem schiffbaren Flusse. An dem erforderlichen Kapital zur Durchführung des kostspieligen Unternehmens, an dem weitreichenden Einfluß zur Gewinnung heimischer Kolonisten fehlte es dem jungen Lübecker Patriziersprossen nicht; so glauben wir in ihm den Mann erblicken zu dürfen, der nach Anlage einer neuen Ordensbefestigung schon i. J. 1250 die Arbeit einer deutschen Siedlung neben der altpreußischen in Angriff nahm.

Nach Angabe des Ordenschronisten Peter von Dusburg lagen diese Burg und die neue Stadt auf einer Insel der Passarge, kaum zwei Steinwürfe flußabwärts von der Stelle, wo wir sie jetzt finden. Wenn auch die unbestimmte Entfernung nicht wörtlich genommen werden dürfte, so ist doch an der Tatsache einer späteren Verlegung der Stadt nicht zu zweifeln. Vermutlich dürfte wie i. J. 1240 jene inselartige Stelle gewählt worden sein, wo der Rotwassergraben in die noch unbegradigte Passarge mündete, damals etwas unterhalb der jetzigen Kreuzkirche. Hier, wo leichte Erhebungen Schutz vor Überschwemmungen boten, wo die Passarge und das Rotfließ im Osten, Norden und Westen die Vorbedingungen zu einem brauchbaren Verteidigungswerk wie zu einem nutzbaren Hafen zu erfüllen schienen, machten sich die fremden Anzöglinge unter Flemings Führung ans Werk, um eine deutsche und christliche Handelsstadt zu begründen.

Wenn sie ihrer Niederlassung den Namen Brunsberg gaben, so folgten sie damit einer Gewohnheit, die auch sonst dort angewandt wurde, wo bereits eine preußische Siedlung vorhanden war: man übernahm den preußischen Ortsnamen, formte ihn aber der deutschen Sprache mundgerecht um. So wurde aus Brusebergue Brunsberg, was in der niederdeutschen Mundart jener Kolonisten gleichbedeutend mit dem hochdeutschen Braunsberg war. Eine gewisse innere Berechtigung dieses Namens ergab sich leicht für sie, die bei ihrer Ankunft in die neue Heimat zunächst die weißen Dünen der Nehrung, das „Witland", begrüßten und dann hinter dem Spiegel des Haffes und der Niederung der Passargemündung die eiszeitliche Erhebung, auf der die Stadt erbaut werden sollte, als braunen Berg bezeichnen konnten.

Wenn wir im April 1251 einem Pfarrer Friedrich von Braunsberg begegnen, so sind wir zu der Folgerung berechtigt, daß bereits eine hinreichende christliche Gemeinde hier bestanden haben muß. Wahrscheinlich haben die bekehrten Preußen ihrem Versprechen gemäß schon 1249 ein primitives Kirchlein erbaut, wohl dort, wo man östlich des heutigen Klenauer Weges schon im 14. Jahrhundert ein Ackerstück als alten Kirchhof bezeichnete. Der vom Orden bestellte Pfarrer Friedlich hatte ebenso die neugetauften Preußen, die vielleicht in der Gegend des jetzigen Köslin wohnten, wie die deutschen Anzöglinge seelsorglich zu betreuen.

Inzwischen hatte die neue Diözese Ermland i. J. 1250 in dem Ordensbruder Anselmus ihren eisten Bischof erhalten. Nach eingehender Beratung wählte er am 27. April 1251 entsprechend den Bestimmungen der Einteilungsbulle von 1243 das geschützte, mittlere, vom Ordensgebiet umgebene Drittel seiner Diözese als selbständiges Fürstentum aus. Die Passarge sollte von der Quelle bis zum heutigen Borchertsdorf die Westgrenze des ermländischen Territoriums bilden; nur ihr Unterlauf geholte ganz dem Bistum an, wenn auch an der Nordgrenze das Ordensgebiet sich in einem auffälligen Winkel die Rune entlang nahe an die Passargemündung heranschob; dazu gestattete der Bischof Anselm dem Orden noch die Mitbenutzung der bei Braunsberg zwischen Rune und Passarge gelegenen Wiese. Der Wunsch der Ritterbrüder, an den schiffbaren Fluß heranzukommen, war unverkennbar.

So lag nun Braunsberg im ermländischen Bistum. Anselmus erkannte vertragsgemäß die von der Ordensherrschaft getroffenen Bestimmungen als ihm genehm und zu Recht bestehend an und nahm an der Entwicklung des aufstrebenden Gemeinwesens tätigsten Anteil. Wenn uns auch Einzelheiten über diese Zeitspanne fehlen, so ersehen wir doch aus einer Urkunde vom 27. Dezember 1254, daß damals schon Braunsberg vom Bischof das Stadtprivilegium erhalten hatte und für die Errichtung der Kathedralkirche in Aussicht genommen war. Diesen Plan verwirklichte er im Juni 1260, indem er seinen Willen kundtat, in der Passargestadt die ermländische Mutterkirche zu Ehren des hl. Andreas zu begründen und ein Domkapitel zu stiften, das aus 16 Kapitularen bestehen sollte.

Indessen wenige Monate nach diesem Entschluß, am 20. September 1260, raste mit so unerwartetem Ungestüm ein Orkan über die preußischen Lande, daß allem Planen und Schaffen der deutschen Christen ein jähes Ende gesetzt wurde. Die schwere Niederlage des livländischen Ordenszweiges bei Durben, die tückische Verbrennung eingeborener Häuptlinge durch den Lenzenberger Ordensvogt stachelten die weitverbreiteten Kräfte des Widerstandes zu geschlossenem Abfall und Aufruhr an. Schlagartig brach es los: unter zielbewußter Führung stürmten die wütenden Preußen die Burgen, Städte und Kirchen, plünderten sie nach Herzenslust und brannten sie nieder, erschlugen die Deutschen oder führten sie in die Knechtschaft.

Auch Braunsberg ereilte das traurige Schicksal. Die Stadt hatte in den wenigen Jahren ihres Bestehens unter dem umsichtigen Schultheißen Johann Fleming eine verheißungsvolle Entwicklung genommen. Niederdeutsche Kolonisten waren dank seiner rührigen Werbetätigkeit von Lübeck her ins ferne Ostland gesegelt, um am Passargestrand unter lübischem Recht ein neues Gemeinwesen zu bilden. Grundlegende Bauarbeiten an der Stadt, am Hafen und Fluß fühlten unter der wohlwollenden Förderung des bischöflichen Landesherrn zu den ersten sichtbaren Erfolgen. Da vernichtete völkischer Haß alle Früchte ihres emsigen Strebens.

Ein starkes Heer der Preußen wälzte sich, vermutlich noch im September, von Süden her gen Braunsberg und belagerte die Stadt. Zum Widerstand entschlossen, verbarrikadierten Bürger und Burgbesatzung alle schwachen Stellen und Zugänge der Befestigung mit Wagen und anderem hölzernen Wirtschaftsgerät. Da begann der wilde Angriff; einen ganzen Tag lang stürmten die Preußen an. Auf beiden Seiten fiel manch tapferer Mann, mehr noch wurden verwundet. Aber die heldenmütigen Verteidiger nötigten die Feinde zum Rückzug: doch blieben Abteilungen von diesen in der Nähe, vielleicht auf dem Köslin, zurück, um den Eingeschlossenen die Verbindungen abzuschneiden. So wuchs in der Stadt die Not. Als sich nun 40 Männer herauswagten, um Heu und Holz zu holen, wurden sie von den Preußen überfallen und sämtlich erschlagen. Dahielt die Bürgerschaft ernsten Rat, getraute sich nach ihren empfindlichen Verlusten und bei dem drohenden Hunger den Ort nicht mehr gegen einen zweiten Ansturm zu verteidigen und entschloß sich, schmerzbewegt und doch die Zahne zusammengebissen, zum Letzten: Sie legten selbst Feuer an Burg und Stadt und flüchteten mit Weib und Kind und der wenigen Habe, die sie mitnehmen konnten, gen Elbing. Unterwegs trafen sie 60 Kriegsleute, die ihnen die Ordensritter von Elbing zu Hilfe gesandt hatten. Zu spät, da Braunsberg verloren und zerstört war; gemeinsam traten sie den Weg nach der sicheren Schwesterstadt an und pflanzten noch am Grabe die Hoffnung auf. Denn auch in Elbing hielten sie mit ihrem Schulzen und Pfarrer als eigene Gemeinde treu zusammen, trotz aller trüben Erfahrungen und inmitten der hartnäckigen Kämpfe in ungebrochener Zuversicht des Zeitpunktes harrend, wo sie ihre geliebte Stadt Braunsberg wieder aufbauen und beziehen könnten.

Darüber vergingen aber lange, bange Jahre. Es bedurfte immer erneuter Kreuzzugsbullen der Päpste, um aus den verschiedensten Gegenden Mitteleuropas Streiter für die bedrohte Sache Christi im Preußenlande zu gewinnen, und auch Bischof Anselmus, der im März 1261 Preußen verlassen hatte, warb auf seinen Reisen durch Böhmen, Mähren und Schlesien eifrig für die Teilnahme an dem heiligen Kampf. Erst als i. J. 1273 die Häuptlinge der Natanger und Warmier gefangen und gehängt worden waren, unterwarfen sich die führerlosen Stämme. Auch ein verzweifelter Vorstoß der Pogesanier gegen Elbing endete im selben Jahre mit einer harten Bestrafung ihres Gaues.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die flüchtigen Braunsberger den ersten Sicherheit bietenden Zeitpunkt benutzten, um an ihre ersehnte Wiederaufbauarbeit in der zerstörten Passargestadt heranzugehen. Da die Feindseligkeiten an der Haffküste i. J. 1273 erloschen, steht - zumal bei den Widerspruchsvollen Angaben der späteren Chronisten - nichts der Annahme entgegen, daß schon im nächsten Jahre 1274 mit den ersten Vorbereitungen begonnen wurde. Dazu gehörte auch die Verbindung des Schultheißen Fleming mit seiner Vaterstadt, wo er neue Ansiedler gewinnen und neue Kapitalien beschaffen mußte. Bischof Anselmus mußte ein natürliches Interesse haben, daß seine Kathedralstadt wieder aus der Asche erstehe. Wenn er auch in der Fremde alternd und durch viele Enttäuschungen entmutigt, nicht mehr recht an ein Gelingen glauben wollte, so stellte er der Bürgerschaft für ihr (7) großes Vorhaben doch 100 Mark reinen Silbers (je 16 Lot) und einen Teil seines Nachlasses testamentarisch zur Verfügung. Die neue Stadt Brunsberg wurde oberhalb der alten Stelle angelegt. Gewichtige Gründe müssen zu dieser veränderten Planung mitgewirkt haben. Fürs erste mag vielleicht eine abergläubische Scheu vor jener Gegend zurückgeschreckt haben, wo bereits zweimal hoffnungsvolle Ansätze so schmerzlich erstickt waren. Vermutlich hatte aber auch die Erfahrung gelehrt, daß die Verteidigung jenes Platzes besonders schwierig, daß er selbst vor Hochwasser nicht genug geschützt war. Sorgfältige Überprüfung des Geländes ergab, daß die heutige Stelle der Altstadt nach dem nötigen Ausbau den Anforderungen der miltärischen Sicherheit mehr entsprach, auch weniger der Überschwemmungsgefahr ausgesetzt sein mußte. Selbstverständlich war zur Verlegung des Ortes die Zustimmung des bischöflichen Landesherrn oder seines Vertreters, vielleicht sogar wegen der Burganlage die der Ordensritter, notwendig, indessen die Hauptverantwortung trug dabei der Siedlungsunternehmer (Locator) Johann Fleming, der nur für eine aussichtsreiche Stadtgründung Kapital und Kolonisten werben konnte.

Vielleicht bedeutet die für die Erbauung der Stadt „to dem Brunsberghe" angegebene Jahreszahl 1276 der Chronik Detmars von Lübeck den Zeitpunkt, an dem neue niedersächsische Auswanderer die Seereise nach Braunsberg antraten. Inzwischen mochte unter Flemings Leitung das große Aufbauwerk in Angriff genommen worden sein. Da waren unter Ausnutzung der natürlichen Terrainverhältnisse für die ersten Befestigungen Erdmassen zu verlagern, Wege zu ebnen, Flußregulierungen und Hafenarbeiten durchzuführen, die herrschaftliche Burg, primitive Häuser für den Gottesdienst und Versammlungen zu errichten, Unternehmungen, bei denen die Preußen, die durch den letzten Abfall die 1249 festgesetzten Rechte und Freiheiten verwirkt hatten, Frondienste leisten mußten. Aber es blieb dabei auch für die Deutschen übergenug Arbeit, zumal sie selbst noch durch den Bau notdürftiger eigener Wohnräume, Ställe und Scheunen, durch den neuen landwirtschaftlichen, handwerklichen oder Handelserwerb aufs stärkste in Anspruch genommen waren. Bischof Anselm im schlesischen Reichenbach fühlte sich aber durch den glücklichen Umschwung der Dinge in Preußen im Juli 1277 veranlaßt, das bis auf ein Mitglied ausgestorbene ermländische Domkapitel zu er­neuern und grundlegende Bestimmungen über diese geistliche Körperschaft zu treffen. Er starb jedoch im nächsten Jahre, ohne sich von den Fortschritten der neuen Siedlung persönlich überzeugt zu haben.

Sein Nachfolger wurde i. J. 1279 der erst vor zwei Jahren zum Dompropst ernannte Bruder des Braunsberger Lokators Heinrich I. Fleming. der schon früher dem Braunsberger Domkapitel angehört und während des großen Aufstandes eine niederösterreichische Pfarrei als Zuflucht erhalten hatte. Ehe er im Frühjahr 1282 in sein Bistum zurückkehrte, hatte er mit seiner Vertretung in den geistlichen und weltlichen Angelegen­heiten den Elbinger Pfarrer und seinen Bruder Johann betraut. Diese weitgehende Vollmacht konnte den Plänen des Braunsberger Schulzen nur förderlich sein. Auch die Tatsache, daß ein Lübecker Patriziersohn den ermländischen Bischofsstuhl bestiegen hatte, mußte auf den lübischen Zuzug werbend wirken; kamen doch bald danach zwei weitere Brüder und ein Schwager des Bischofs ins Land, um mit Hilfe ihres beträchtlichen Vermögens eine großzügige Kolonisationsarbeit in Stadt und Land durchzuführen.

Aus Lübeck und seiner Umgegend, dem Gebiet des heutigen Holstein und Mecklenburg und der unteren Elbe scheinen die ersten Einwohner der christlichen Passargestadt eingewandert zu sein. Sie brachten aus ihrer alten Heimat in die neue ihr zähes Streben, ihren stolzen Freiheitssinn und ihr starkes Selbstbewußtsein, und mit ihrem Recht, ihren Sitten und Bräuchen begleitete sie in das ferne Ostland ihre niederdeutsche Mundart.

Als der Wiederaufbau Braunsbergs zu einem ersten Abschluß gelangt war, erteilte Bischof Heinrich mit Zustimmung des Kapitels der jungen Gemeinde am 1. April 1284 ihre Handfeste, ihre Verfassungsurkunde, die sich vermutlich im wesentlichen an Bischof Anselms Privileg für die erste Stadt anschloß, von dem wir leider keine Kunde haben.

Darin wurde zunächst das rund 328 Hufen große Stadtgebiet genau abgegrenzt. Es begann am linken Ufer der Passarge bei der Mündung des Büchleins, dessen Nett (der sog. Katzengrund) die Braunsberger Feldmark von den Gütern der Domherren (Dorf Zagern) schied. Von der Quelle dieses Baches verlief die Grenze geradeaus südlich bis zum Grenzmale gegen Fehlau hin, bog dort rechtwinklig nach Westen um zum Bache bei Sonnenberg, von hier nordwärts längs dieses Baches bis zu einem Wege, der über den „Landwehrgraben" fühlte, um dort auf die Sumpfwiesen des Haffes zu stoßen. Diese sollten bis zum Walde Rosenwalde (Rosenort) Gemeindeland sein. Der Gemarkung des Dorfes Klenau entlang (9) erreichte die Stadtgrenze die Passarge. Auf dem rechten Flußufer grenzte das Stadtgebiet an die Runewiesen und zog sich über den Rosser Weg längs der Passarge südlich bis zum bischöflichen Tafelgut Karwen (der Feldmark der späteren Neustadt). Von der sog. Freiheit wurde der Stadt damals nur ein drei Meßseile (120 Meter) breiter Streifen jenseits des Grabens, der noch heute die Freiheit von der Aue und dem Roßgarten trennt, als zinsfreies Gemeindeland zugewiesen.

Diesen weitgedehnten Grundbesitz erhielt die Bürgerschaft zu dem von der Heimat her gewohnten lübischen Recht mit allem Nutzen und Nießbrauch außer der Biberjagd und dem Bergbau auf Gold, Silber, Salz und sonstige Bodenschätze. Für Mühlen- und Wasserwehranlagen war die bischöfliche Er­laubnis erforderlich. Noch zehn Jahre sollten die Bürger von allen Steuern frei sein; von Martini 1294 aber war von jeder städtischen Hufe 1/4 Mark der üblichen Münze an den Bischof zu entrichten. Frei von dieser Abgabe blieben die 100 Hufen Gemeindeland, die als Weide, Wald und Sumpf in der Feldmark lagen, dazu die 6 Hufen, die jenseits der Mühle Arnolds (Wecklitzmühle) gegen die Burg Unserer lieben Frau als Pfründe der Katharinenpfarrei ausgeworfen wurden.

Im ganzen Stadtbereich, auch auf den öffentlichen Straßen, auf Wegen und Stegen, sollte die Bürgerschaft die erbliche Gerichtshoheit genießen, eine ungewöhnliche Vergünstigung. Ein Drittel der Geldbußen sollte der Bischof als oberster Gerichtsherr erhalten, das zweite die Stadt; das letzte Drittel, das dem Lokator als Schultheißen zustand, hatte die kapitalkräftige Gemeinde bereits von Johann Fleming abgekauft und sich dadurch das Schulzenamt, den Vorsitz beim Gericht, selbst gesichert. Als Zeichen besonderer Gunst verlieh der Bischof weiter den Einwohnern und Bürgern für alle Zukunft freie Fischerei mit jeder Art von Gezeugen im ermländischen Teil des Haffes wie in der Passarge. Nur die Flußmündung sollte ausgenommen sein, um den Zug der Fische nicht zu stören: ebenso durften die Braunsberger ohne landesherrliche Genehmigung in der Passarge nicht Aalsäcke aufstellen und Wehre errichten.

Das volle, uneingeschränkte Lübecker Recht sicherte den Bürgern folgende Freiheiten: An einem geeigneten Tage der Woche durften sie ihr Erbe, soweit es nicht ländliche Lehen waren, vor dem Richter und Erbgerichte der Stadt verkaufen, vertauschen, verschenken, darauf verzichten. Ebenso bedurften sie nicht der bischöflichen Zustimmung zur Wahl, Einführung und Absetzung der kommunalen Obrigkeiten, des Schultheißen, der Schöffen, Ratsherren und Älterleute; einzig und allein das Wohl der Stadt sollte dabei entscheidend sein. Weiter durfte die Gemeinde zu ihrem Nutzen für Bäcker und Fleischer, Schuster, Kürschner und Krämer Verkaufsstände errichten und allen Zins daraus selbst ziehen. Schließlich versprach der Bischof den Bürgern, wenn auch ungern, daß er, keiner Ordensgenossenschaft innerhalb der Stadtgrenzen eine Hofstätte oder ein Grundstück schenken oder verkaufen würde, es sei denn mit Willen und Zustimmung der Bürgerschaft. Es sollte dadurch offenbar in der Bischofsstadt der wirtschaftlichen Ausbreitung der sog. toten Hand vorgebeugt werden.

Den Rechten einer freien Reichsstadt kamen die ganz ungewöhnlichen Privilegien nahe, die Bischof Heinrich sicher in Anlehnung an frühere Festsetzungen seinen Lübecker und niedersächsischen Landsleuten feierlich verbriefte. Uneingeschränkte Selbstverwaltung, fast vollkommene Gerichtshoheit, weitgehende finanzielle und materielle Berechtigungen, ein umfangreicher Landbesitz bedeuteten Dank und Anerkennung des bischöflichen Landesherren für die bisher geleistete zweimalige Aufbauarbeit, zugleich aber auch die beste Propaganda für neue Anzöglinge. Demgegenüber war die Anerkennung der Territorialherrschaft in dem ländlichen Grundzins, in dem Drittel der Gerichtsgefälle, in einigen Vorbehalten von wenig Belang. Kein Wunder, wenn sich aus diesem Grundprivileg, das der wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch dem Selbstbewußtsein und Freiheitsdrang der Stadt mächtigen Auftrieb gab, Spannungen zu den bischöflichen Landesherren, ihrer Autorität und ihren Rechtsansprüchen ergeben mußten.

Von dem entscheidenden Umbruch aber, der sich in diesen Zeiten an der Passarge wie im Preußenlande vollzogen hatte, kündete das Siegel, mit dem die junge Gemeinde ihre Briefe und Urkunden beglaubigte. Der noch heute von der Stadtverwaltung aufbewahrte ehrwürdige sog. Sekretstempel von 36 Millimeter Durchmesser zeigt auf einer Wiese eine heraldisch stilisierte Linde, rechts davon einen Drachen, links einen Hirsch, dazu die Umschrift: Secretum Burgensium Brunsberg. (Sekretstempel der Bürger von Brunsberg.) Wenn wir die geheimnisvolle Sprache dieses Wappens recht verstehen, bedeutet die deutsche Linde den Schutzbaum der ganzen Gemeinde. Der Drachen gilt schon seit der ältesten christlichen Zeit als das Symbol des Teufels und des Heidentums; demgegenüber versinnbildet der Hirsch als Feind des Drachens Christus, den Überwinder der Hölle. So wollte vermutlich 11 das Siegel nicht allein den Sieg des Christentums über das Heidentum, wie ihn auch die im Ordenslande vielverehrte Braunsberger Kirchenpatronin St. Katharina offenbarte, zum Ausdruck bringen, sondern zugleich den Triumph der christlich-deutschen Kultur über die heidnisch-preußische und die Vereinigung der einheimischen früher heidnischen Preußen mit den zugewanderten, christlichen Deutschen unter derselben Landeshoheit, wie auch der Name Brunsberg preußische und deutsche Elemente verband. Seit kurzem hat die Stadt wieder dieses ursprüngliche Wappen zu Ehren gebracht.

II. Braunsbergs Entwicklung bis zur Schlacht von Tannenberg (1410)

Im beglückenden Bewußtsein, unter Überwindung ungewöhnlicher Schwierigkeiten eine sicher fundierte, aufblühende lübische Tochterstadt begründet zu haben, zog sich der bejahrte Johann Fleming aus der kommunalen Verantwortung zurück, um als ländlicher Lehnsmann seines bischöflichen Bruders in Gr. Klenau, Kilien bei Frauenburg und Schalmey, besonders aber in Wusen seine kolonisatorische Wirksamkeit fortzusetzen. 1294 wird er urkundlich zum letztenmal erwähnt. Sein Andenken ist vor wenigen Jahren in dem Namen einer neuen Siedlungsstraße frisch belebt worden.

Seitdem der Frieden in Preußen eine Klärung der territorialen Verhältnisse ermöglichte und dem ermländischen Domkapitel ein Teil des ihm zustehenden Landesdrittels zugewiesen werden konnte, ergab es sich von selbst, daß Braunsberg nicht gleichzeitig Sitz der bischöflichen und kapitularischen Herrschaft sein konnte.

Mit kundigem Blick erkoren die Domherren, die zunächst die Kapelle des bischöflichen Schlosses für ihren Gottesdienst benutzten, wohl bald nach Heinrichs I. Ankunft das malerisch zugleich und sicher gelegene, unmittelbar die Wasserverbindung offenhaltende Frauenburg zur Residenz, wo vermutlich schon vorher Johann Flemings Bruder Gerhard mit niedersächsischen Anzöglingen den Grund zu einem städtischen Gemeinwesen gelegt hatte. Bereits i. J. 1288 reckte sich hier eine kleine, in Holz erbaute Kathedrale auf kahler Düne zum Himmel.

Von seinem Braunsberger Schloß, das sicherlich schon ebenso wie die ältesten Ordensburgen massiv erbaut wurde und auf dem Platze der heutigen Schloßschule stand, leitete Bischof Heinrich die wirtschaftliche und kulturelle Erschließung seines Landes. In der Hafenstadt Braunsberg war der Sammelplatz und Ausgangspunkt jener Kolonisten, die von Lübeck her ins nördliche Ermland strömten, deren niederdeutsche Mundart als „käslauische" noch heute in ihren Nachkommen lebendig ist.

Als Bischof Heinrich sein Leben dem Abend sich zuneigen fühlte, wollte er noch einen Herzenswunsch verwirklichen, ein Franziskanerkloster stiften. Die Missionspredigt unter den zwar bekehrten, aber noch wenig im Christentum verwurzelten Preußen, unter den benachbarten Heidenvölkern erschien ihm als eine wichtige Aufgabe dieser Mönche. Nun hatte er freilich in der Handfeste die Zusicherung gegeben, ohne Zustimmung der Gemeinde keinen Orden nach Braunsberg zu berufen, i. J. 1296 tat er es trotzdem, vermutlich nach Verständigung mit einem Teile der Bürgerschaft. Er schenkte den Minderbrüdern (vielleicht aus Hof in Franken?) einen Platz zum Klosterbau innerhalb der Stadt. Schon im nächsten Jahre wurde der neue Konvent, wohl auf Heinrichs persönliche Befürwortung, gelegentlich des Erfurter Kapitels in den Verband der sächsischen Ordensprovinz aufgenommen.

Heinrichs Maßnahme wurde von einer einflußreichen, selbstbewußten Partei als Wortbruch und Unrecht betrachtet, und eine offenkundige Erregung in diesen Kreisen, die beim Orden mit Erfolg Beschwerde geführt zu haben scheinen, mag die Ursache gewesen sein, weshalb der Bischof in seinen letzten Lebensjahren meist außer Landes in Mitteldeutschland weilte. Vielleicht bedeutete sein Versprechen, der Stadt den 17 Hufen großen Sumpf gegen Rossen zu dem üblichen Zins zu verleihen, einen Vermittlungsversuch in dem schweren Streite. Erst sein Nachfolger Eberhard von Neiße, der als früherer Pfarrer von Braunsberg mit den örtlichen Verhältnissen aufs beste vertraut war, wirkte zur Beilegung des Konfliktes entscheidend mit. So überwies im April 1301 die Bürgerschaft den Franziskanern außerhalb der Stadt an der Nordseite neben der Passarge einen über 8000 Quadratmeter umfassenden Platz, zu dem sie ein Tor (Mönchentor) mit einer befahrbaren Brücke über den Graben zwischen den Häusern des Hermann Hunthoubic und des Heinrich Rurmunt erbauen wollte. Die Ordensniederlassung, die i. J. 1318 bereits von einem preußischen Guardian geleitet wurde, deren Missionsarbeit in Semgallen (Landschaft südwestlich der mittleren Düna) i. J. 1310  13 besonders gerühmt wurde, wechselte 1330 nochmals ihren Platz, und zwar deshalb, weil das Kloster im Kriegsfalle gegen Angriffe ungeschützt lag und zum schweren Schaden der Stadt dem Feinde als Stützpunkt dienen konnte. Damals bildeten aber die Littauer eine dauernde Beunruhigung des Landes. Die Bürger erboten sich nun, den Brüdern innerhalb der Stadt auf dem jetzigen Gymnasialplatz geeignetes Gelände zur Verfügung zu stellen. So wurde mit päpstlicher Genehmigung die Niederlassung vor dem Mönchentor abgebrochen und der Grundstein zu dem Neubau gelegt, an dem nach den Gewohnheiten jener Zeit jahrzehntelang gearbeitet wurde. Noch in den achtziger Jahren wurde an der turmlosen, geräumigen St. Marienkirche gebaut, deren Gewölbe erst um 1445 eingezogen wurden. Zu den Wohltätern des Klosters gehörten auch die Hochmeister, die um die Wende des 14. Jahrhunderts dem Konvent wie auch den anderen preußischen Klöstern alljährlich eine Stiftung von 2 M. (etwa 60 heutige Mark) zuwendeten.

Die von Bischof Heinrich in Aussicht gestellten Sumpf-Hufen erhielt die Stadt von seinem Nachfolger Eberhard zugewiesen, wenn auch erst nach einem Rechtsstreit mit den Gutsherren von Rossen i. J. 1328 dieses Gelände der Bürgerschaft vom neuen Bischof Jordan förmlich verbrieft wurde. Gleichzeitig umschrieb dieser genau die Grenzen der sog. Hertzow (Harzau), der städtischen Sumpfwiesen, nach Sankau, Rosenwalde und Kl. Klenau hin. Der ausgedehnte kommunale Grundbesitz erforderte natürlich in mühsamer dauernder Beackerung, Trockenlegung von Sümpfen, Rodung von Wäldern angespannte Arbeitsleistung, die den Neigungen der meisten Bürger kaum entsprechen mochte. Daher nimmt es uns nicht wunder, wenn die Feldmark, und zwar zunächst die entlegenere, zu Dörfern ausgetan wurde, deren Bewohner der Stadt zu bestimmten Leistungen verpflichtet waren. So wird das Dorf Willenberg (Wildenberg), später das größte der Stadtdörfer, schon 1314 erwähnt, das angrenzende Hermannsdorf (im jetzigen Stadtwald) 1346 (?) und Stangendorf 1364. Auch die Höfe Huntenberg (1346), Auhof (1374), Rodelshöfen (1374) und Katzenhöfen (1405) erlangten als Stadtdörfer ähnlich den bischöflichen Lehnsgütern wirtschaftliche Selbständigkeit. So blieb für die Ackerbürger der Stadt nur ein verhältnismäßig beschrankter Teil der Gemarkung, vor allem der fruchtbare Niederungsboden zu beiden Seiten der Passarge, übrig, Grundbesitz, der zusammen mit dem der Braunsberger Gutsbesitzer und Bauern den mannigfaltigen Ansprüchen der Bürgerschaft vorerst genügen mochte. Denn es fehlte nicht an geeignetem Acker für Weizen und Roggen. Gerste und Hafer. Gemüse und Obst. Flachs und Hopfen, aber auch nicht an den erforderlichen Weiden und Wiesen, an ergiebigen Torfbrüchen und gut bestandenem Wald; und das nahe Haff und die Passarge lieferten den Fischbedarf für die vielen Abstinenztage.

Indessen Braunsberg konnte nach seiner Lage und Bestimmung nicht ein anspruchsloses Ackerstädtchen sein wie spätere Gründungen des ermländischen Hinterlandes. Haff und See lockten die Söhne und Enkel der Lübecker Kolonisten zu Schiffahrt und Handel, die alte Landstraße, von der um 1330 eine Strecke zwischen Braunsberg und Einsiedel zur Sühne für einen Totschlag von dem wohlhabenden Missetäter gepflastert werden mußte, und neue Wege in das immer mehr erschlossene Bistum dienten dem gesteigerten Verkehr. So erwuchs die Passargestadt zum Haupthandelsplatz des Ermlandes, seinem bedeutenden Einfuhr- und Ausfuhrhafen.

Dazu erblühte das Gewerbe. Schon bei der Gründung der Stadt werden die Bäcker, Fleischer, Schuhmacher, Kürschner und Krämer als wichtigste Gewerbe namhaft gemacht. 1364 werden 9 Ämter oder Zünfte erwähnt: Bäcker, Krämer, Wollweber, Kürschner, Fleischer, Schmiede, Schuster, Höker, Schneider. Daneben gab es außer den sonstigen heutigen Handwerksberufen eine bunte Reihe anderer Meister, die in spezialisiertem Betrieb den verschiedenartigsten Anforderungen des bürgerlichen Lebens Rechnung trugen: Messerschmiede, Schwertfeger, Kannengießer, Goldschmiede, Faßbinder, Kistenmacher, Treppenmacher, Wachsgießer, Teerbrenner, Leinweber, Gürtler (die Gürtel machten), Reefschläger (Seiler), Bader u. a.

Die städtische Verwaltung und Gerichtsbarkeit lag anfangs in den Händen jener begüterten Familien, die als Kaufleute, Schiffsreeder und Gutsbesitzer eine soziale Oberschicht, ein Patriziat, bildeten. 1311 werden vier Ratsherren erwähnt: Hermann genannt der Schreiber, Konrad der Reiche, Widko und Johann der Weiße. 1318 begegnen wir in dem Schultheißen Tydelo Bresike nächst dem Lokator dem ersten uns bekannten Stadtrichter; vermutlich war er zugleich der Obmann der Ratsherren. Von diesem Kollegium werden 1328 folgende sechs Mitglieder namhaft gemacht: Rudolf von Elbing, Goswin, Konrad der Reiche, Tydelo der Sohn des Brosike, Arnold der Lange und Johann der Sohn des Hartmann. In Kunik dem Reichen tritt uns 1342 das erste ausdrücklich als Bürgermeister bezeichnete Stadtoberhaupt entgegen. 15

Damals durchlebte Braunsberg schwere innere Kämpfe. Sie standen wohl noch mit dem Streit um den ermländischen Bischofsstuhl in Zusammenhang, bei dem maßgebende Bürgerkreise in Verbindung mit dem Pfarrer Nikolaus für den Ordenskandidaten Martin von Czindal Partei ergriffen hatten. Dem von der päpstlichen Kurie in Avignon bestimmten Hermann von Prag wurde heftiger Widerstand entgegengesetzt. Erst nachdem außenpolitische Verwicklungen den Orden zur Nachgiebigkeit genötigt hatten, konnte Bischof Hermann zwei Jahre nach seiner Weihe im Sommer 1340 in seinem Braunsberger Schloß seinen Einzug halten.

Verschiedene Erwägungen waren es wohl, die den neuen Landesherrn recht bald dazu veranlaßten, seine Residenz von der Passargestadt zu verlegen. Sachlich erforderte die immer weiter zum Süden des Territoriums vorstoßende Kolonisation und die allgemeine Landesverwaltung eine zentraler gelegene Regierungshauptstadt, als sie das an der Peripherie befindliche Braunsberg sein konnte. Dazu kam der Siedlerstrom jetzt vorwiegend auf dem Landwege aus Schlesien, Böhmen und Mitteldeutschland, für den ebenso wie für die Verbindung des Bischofs mit seiner Heimat der neue Residenzort Wormditt näher lag. Schließlich mochte es Bischof Hermann unbehaglich sein, in einer Stadt zu wohnen, die ihn zunächst abgelehnt hatte und in ihrem Selbstbewußtsein schwierig genug war.

Wie dieser Fortzug der bischöflichen Hofhaltung waren auch einige andere Maßnahmen Hermanns für Braunsberg von einschneidender Bedeutung. Zur Vermehrung der fiskalischen Einnahmen errichtete er an der Passarge nahe dem Schloß eine Mühle, ein Unternehmen, das zunächst freilich als Konkurrenz für die ältere Mühle am Rotwasser gelten konnte. Da das auf dem rechten Flußufer gelegene bischöfliche Tafelgut Karwan nach der Verlegung der Residenz nicht mehr benötigt wurde, begründete Hermann hier die Neustadt. Die erfreuliche Entwicklung der Altstadt ermutigte dazu, obwohl dieser eine Rivalin auf dem anderen Passargeufer schwerlich willkommen sein mochte. Freilich blieben Handel und Schifffahrt der älteren Schwester vorbehalten, nur Handwerker und Ackerbürger sollten die Neustadt bewohnen. Ihre Gemarkung grenzte an die Felder von Regitten und Sonnenstuhl und an den Beberbach, der von den darin bauenden Bibern seinen Namen erhalten haben muß. Als Wald und Weideland erhielt die Neustadt über 10 Hufen des großen Sumpfes bei Pettelkau, das sog. Neustädter Moor. Magister Elerus, die Söhne eines Bernhanes und der vorerwähnte altstädtische Ratsherr Arnold Lange sind die Lokatoren der Stadt.

Sie erhielt ebenfalls das lübische Recht. Allerdings sollten die Strafsachen um Hand und Hals durch den Braunsberger Burggrafen oder einen vom Bischof bestimmten Mitbürger abgeurteilt werden Die Gerichtsgefälle standen zu einem Drittel dem bischöflichen Landesherrn. zum anderen der Stadt und zum letzten Drittel den Gründern zu, denen aber die Gemeinde ihren Anteil später abkaufte. Von jedem halben Hofe sollte zum Martinsfeste ein Bierdung, von jedem ganzen 1/2 Mark als Zins gezahlt werden, dazu als sog. Waltgeld für das Feld an der Mühle Bebernik 1 M. Dem Pfarrer der Altstadt sollte der Rat jährlich 1 M. als Meßgetreide abführen. Von allem Zins, der vom Rathaus, den Brot- und Fleischbänken, den Ständen der Schuhmacher, Fleischer, Kürschner, Höker, Tuchscherer und ähnlicher Gewerbe einkämen, sollten ein Drittel der Landesherrschaft, die anderen der Stadt zufallen. In den städtischen Gewässern und der Passarge, sowie im bischöflichen Anteil des Haffes durften die Bürger zu ihres Tisches Notdurft mit allen Gezeugen außer dem Aalsack das Fischereirecht ausüben. Zur Wahl der Ratsherren und Geschworenen war die Genehmigung des Bischofs oder seines Braunsberger Burggrafen erforderlich. Dem Domkapitel wurde eine lastenfreie Hofstätte der Mühle gegenüber als Absteigequartier vorbehalten. So ungefähr müssen die Bestimmungen dieser Neustädter Handfeste gelautet haben, deren ursprünglicher Wortlaut nicht mehr vorliegt. Verglichen mit den viel weitgehenderen Privilegien der Altstadt, zeigt sie im ganzen das im Ermland übliche Maß der städtischen Rechte.

Die neuen bedeutsamen Maßnahmen des bischöflichen Landesherrn scheinen starke verborgene Spannungen innerhalb der altstädtischen Bürgerschaft ausgelöst zu haben. Gegenüber dem aristokratischen Patriziat, das die Geschicke der Gemeinde eigenmächtig und auch eigensüchtig bestimmt hatte, drängten neue Geschlechter und die Handwerkerzünfte zur Herrschaft. Sie erhoben Vorwürfe, die alten Ratsherren und ihr Anhang hätten sich widerrechtlich Landgüter angeeignet und teilweise verkauft, die der ganzen Gemeinde gehörten, - vielleicht in der Annahme, das als Entgelt für die kommunalen Dienste tun zu dürfen, - die Wahlen des Rates seien zum Teil ohne Zustimmung der Bürgerschaft, also wohl durch Kooptation, erfolgt, infolgedessen die Ratsbeschlüsse wider den Willen der Bürgerschaft.

Im August 1345 entschied Bischof Hermann als oberster 17 Gerichtsherr den erbitterten Kampf. In der Angelegenheit der Landentfremdung verurteilte er die Schuldigen zur Rückgabe an die Stadt und zu einer durch ein Schiedsgericht zu bestimmenden Geldstrafe. Die alten und neuen Ratsherren, die mit einmütiger Zustimmung der Bürgerschaft in ihr Amt gekommen seien, sollten darin verbleiben. Für diejenigen aber, denen diese Vorbedingung mangelte, sollten am Feste Petri Stuhlfeier (22. Februar) Ersatzmänner gewählt werden. Bis dahin sollte der Rat keine wichtigeren Geschäfte erledigen ohne Einverständnis der Ältesten der Gemeinde, d. h. eines Bürgerausschusses, der sich vermutlich besonders aus den Zunftvorstehern zusammensetzte. Fürderhin sollte niemand in den Rat zugelassen werden, bevor er dem bischöflichen Landesherrn den Eid der Treue und des Gehorsams geleistet hätte. Kraft seiner geistlichen und weltlichen Gewalt drohte der Bischof schwere Strafen für jene Rebellen an, die sich diesen Entscheidungen widersetzen wollten. Wir sehen, wie der Urteilsspruch den Beschwerden der demokratischen Bürgerschaft Rechnung trug und in die unumschränkte Herrschaft des sog. Junkertums Bresche schlug. Zugleich suchte sich bei diesem Parteien-Hader die bischöfliche Landeshoheit durch den Treuschwur der Ratsherren gegen gefährliche Umtriebe der Zukunft zu sichern.

Erst im nächsten Jahre scheint der Unfrieden aus der Stadt gewichen zu sein. Am 24. März 1346 wurde ein neuer Rat gewählt, der einschließlich des Schultheißen Herbord Witlo 12 Mitglieder umfaßte. Es ist bezeichnend, daß unter den Namen keiner der früheren Ratsherren erscheint, dagegen mindestens drei Handwerksvertreter, ein Kürschner, ein Schmied und ein Schwertfeger. Die neuen Geschlechter und Zünfte haben gesiegt. Im Zusammenhang mit dem Landstreit verzichten der Hofbesitzer Gerung von Huntenberg mit seiner Gefolgschaft und die Bauern von Willenberg auf die von der Harzau beanspruchten Morgen zu Gunsten der Stadt.

Wenn wir hören, daß noch im Oktober desselben Jahres die Ausschachtungs- und Fundamentierungsarbeiten zum Chor einer neuen Pfarrkirche in Angriff genommen wurden, so gewinnen wir den Eindruck, als ob der eben gewählte Rat eine regere Aktivität entfaltet hat. In dem 1344 begonnenen Bürgerbuch, in dem die Männer verzeichnet sind, die ihr Bürgerrecht in der Altstadt erwarben, finden wir für 1347 drei Maurermeister aufgeführt, Godiko von Hamm, Hermann Penkune und Heyne (Heinrich) Penkune; vermutlich sind sie auf die Kunde von großen Bauvorhaben angezogen. Leider lassen uns die Quellen über Einzelheiten im Stich. Im Bau der St. Katharinenkirche, die schon vorher in bescheidenen Formen auf demselben Platze, abseits vom Getriebe des Marktes und dem Lärm der Straßen, gestanden haben muß, scheint nach Vollendung des Ostchors eine längere Unterbrechung eingetreten zu sein; denn erst i. J. 1367 schlössen die Kirchenväter mit Heinrich Penkun einen Vertrag über die Maurerarbeit, nach dem er für das Tausend Ziegel 10 Scot Lohn und dazu jährlich 7 Ellen Tuch erhalten sollte. 1381 muß das mächtige Kirchenhaus, zunächst noch ungewölbt, vollendet gewesen sein, da nunmehr der Zimmermeister Johann die Holzarbeiten für den Musikchor, die Decke und einen mit Blei gedeckten Dachreiter für 200 Mark übernahm, während Meister Bernt mit der Fertigstellung und dem Anstrich des Ostgiebels sowie der Eindeckung des Daches beauftragt wurde. So hatte die lebhafte Stadt ein ihrer Bedeutung entsprechendes würdiges Gotteshaus erhalten, in dem das Handwerk in Altären und Bildwerken, in liturgischen Geräten und Gewändern, in Orgel (1407 zuerst erwähnt) und Uhr (1425 in Auftrag gegeben) Proben seiner reifen Kunst ablegen konnte. Um 1426 wächst der wuchtige, schön gegliederte Turm gen Himmel, ungefähr gleichzeitig von zwei neuen Kapellen flankiert, und um 1442 spannt sich das reiche, klare Sternengewölbe über die drei Schiffe der weiträumigen, weihevollen Hallenkirche.

An der Nordseite des Kirchenplatzes (gegenüber der heutigen Berufsschule) lag die Pfarrschule, die ebenso der würdigen Ausgestaltung des Gottesdienstes wie den praktischen Bedürfnissen des Lebens diente. Wenn wir ihr urkundlich auch erst i. J. 1382 mit dem Schulmeister Heinrich Witte begegnen, so ist doch kein Zweifel, daß sie so alt ist wie die Pfarr- und Stadtgemeinde. Ihr Besuch war freilich an die Entrichtung eines Schulgeldes geknüpft und daher mehr den Kindern der vermögenderen Bürger vorbehalten . Die Berufung des Schulmeisters wie auch des Glöckners stand dem Rate zu, doch wurde i. J. 1402 dem Pfarrer ausdrücklich bestätigt, daß er ein Einspruchsrecht habe, und daß ihm diese Beamten in allen Dingen, „die von alter Gewohnheit zur Kirche gehörten", zum Gehorsam verpflichtet seien. Als der neue Hochmeister Ulrich von Jungingen i. J. 1408 von seiner Reise nach Memel über Braunsberg heimkehrte, begrüßten ihn nach der damaligen Sitte die hiesigen Schüler „zum Einsiedel" und erhielten vermutlich für ihren Gesang und ihre Deklamation 1/2 Firdung (etwa 3—4 heutige Mark) als Belohnung.

Der christlichen Gesinnung werktätiger Caritas entsprangen zwei Stiftungen, deren Gründung uns leider nicht bekannt ist, 19 die aber vermutlich in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts zurückreicht: das nach dem römischen Vorbilde benannte Hl. Geist-Hospital und das St. Georgs-Hospital. Das erstere lag, wie auch sonst üblich, vor den Toren der Stadt am Wasser, und zwar zwischen der Mühlen- und Kesselbrücke auf dem Platze des jetzigen Museums. Seit 1368 lassen sich eine Reihe von Stiftungen für das Armen, Kranken und Pilgern offenstehende Haus, zu dem eine St. Andreaskapelle gehörte, nachweisen. Der anschließende Friedhof wurde von den beiden Landstraßen begrenzt. Dem Rat übertrug der Bischof i. J. 1394 die Leitung und Verwaltung des Hospitals. Weiter nördlich auf dem Damme (dem heutigen evgl. Friedhof), fern der Gemeinschaft der Stadt, war für die bedauernswerten Aussätzigen unter dem Schütze des hl. Georg ein Spital mit Kapelle errichtet, das nachweislich seit 1373 fromme Zuwendungen erfuhr. Auch die Hochmeister pflegten Braunsberg nicht zu passieren, ohne St. Jorgen eine milde Spende zuzuwenden. Als im 15. Jahrhundert die entsetzliche Krankheit erlosch, wurde das Georgshospital den ganz Armen, im Bedarfsfalle auch Seuchenkranken eingeräumt.

Zu diesen einfacheren Bauten, die mit dem kirchlich-religiösen Leben der Bevölkerung aufs innigste verbunden waren und dem schaffensfrohen und opferfreudigen 14. Jahrhundert des Aufbaues zuzuschreiben sind, gehörte schließlich die St. Johanniskirche, die vor dem Obertor auf dem heutigen Johannisfriedhof lag, 1402 zum erstenmal erwähnt wird und sogar aus ihrem Vermögen i. J. 1414 dem Rat eine Anleihe zur Verfügung stellen konnte.

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts, als man mit dem Chor an den Monumentalbau der St. Katharinenkirche die erste Hand anlegte, mag man auch an den Neubau des Rathauses herangegangen sein. Vielleicht erklärt sich die zwanzigjährige Unterbrechung der Arbeiten an dem Kirchenbau mit der Durchführung anderer städtischer Bauprojekte. Wie bei dem jüngsten Rathausumbau (1920) der Befund alten Mauerwerks in der Erde erwies, muß sich an dieser bedeutsamen Stelle schon vorher ein wichtiges Gebäude erhoben haben, in dem wir zweifellos das ursprüngliche Rathaus der Altstadt zu erblicken haben. Da seine engen Räume und bescheidenen Formen den gesteigerten Ansprüchen der aufblühenden Gemeinde nicht mehr genügten, schritt man zu einem Neubau. Er gliederte sich in zwei Teile: das eigentliche Rathaus mit einem Dachreiter für die Ratsglocke, davor zur Langgasse hin ein Vorbau von geringerer Höhe, die Gerichtslaube. Hier "am lübischen Baum" wurde das öffentliche Gericht gehalten, und ein eindringliches Freskogemälde vom Jüngsten Tag erinnerte den Schultheißen und die Schöppen als Richter Kläger, Beschuldigten und Zeugen an die verantwortungsschwere Bedeutung dieser Stätte. Zu beiden Seiten des Rathauses, dessen Erdgeschoß u. a. als Rüstkammer, dessen oberes Stockwerk für Verwaltungszwecke und zu bürgerlichen Beratungen und Festen diente, gliederten sich bald Hakenbuden an, in denen westlich Höker und östlich städtische Beamte wohnten.

Plan der Altstadt Braunsberg v. J. 1635

Gezeichnet von Amtsschreiber Paul Stertzell, in Kupfer gestochen von Konrad Götke.

Die Doppelplatte im Besitz der Stadt.

Auch der Festungsgürtel der Stadt mag während des 14. Jahrhunderts seinen allmählichen Ausbau gefunden haben. Das bischöfliche Schloß umfaßte zwei durch Mauern geschützte Höfe, von denen der größere durch das Schloßtor mit der Stadt verbunden war. Die Längsachse der Altstadt bildete die Langgasse, durch die vom Mühlentor bis zum Hohen Tor auch der Fernverkehr flutete. Da die Nordflanke durch die Passalge gedeckt war, wurden hier am Ausgange der Haupt- und der Parallelstraße einfache Torbauten und Mauern als genügend erachtet. Das Kütteltor an der jetzigen Kesselbrücke trug seinen Namen von dem auf dem gegenüberliegenden Flußufer errichteten Küttelhof (Schlachthaus), den schon i. J. 1378 das Fleischergewerk übernommen hatte. Das Hohe Tor aber an der gefährdeteren Südfront wurde durch einen vorgelagerten Turm an der Zugbrücke im Stadtgraben verstärkt, und außerdem sichelte eine mit Türmen besetzte Doppelmauer, zwischen der ein zur Hälfte als bürgerlicher Schießgarten benutzter Parcham lief, den wichtigsten Zugang zur Stadt . An der Westseite führten ebenfalls parallele Mauerzüge über das Mönchentor und den anschließenden Schießgarten der Junker zum Nagelschmiedetor, einen von zwei Rundtürmen flankierten Bau, der den Verkehr mit dem Hafen vermittelte. Unbedeutender war das folgende Wassertor.

Von diesen umfangreichen Befestigungswerken, die uns der ausgezeichnete Plan der Altstadt v. J. 1635 im Bilde bewahrt hat, haben sich nur spärliche Überreste bis auf den heutigen Tag erhalten: zerbröckelnde und erneuerte Stücke der Wehrmauer, neben kleinen Türmen der Schloßturm in der jetzigen Aufbauschule, der runde Roßmühlenturm am Ende der heutigen Klosterstraße, der viereckige, durch ein dunkles Rautenmuster belebte Pfaffenturm, nach dem benachbarten Franziskanerkloster so benannt. Wenn Steine reden könnten, würde uns das jahrhundertealte Mauerwerk viel Interessantes von 21 harter Belagerung und kühnem Sturm, aber auch von tapferer Wehr und erzwungener Kapitulation zu erzählen wissen.

Die Neustadt, ein längliches Rechteck bildend, war nicht durch ähnliche Wehranlagen geschützt. Zwei Tore schlossen die breite Marktstraße ab. an der wohl im 15. Jahrhundert in schlichtesten Formen Gotteshaus und Rathaus erstanden. Die Passarge bildete im Südwesten, der Regitter Graben im Nordosten die Wassergrenze; vor den Toren, die noch heute an den vorspringenden Häusern an den Ausgängen der Hindenburgstraße erkennbar sind, waren von dem Graben Kanäle zur Passarge abgeleitet, von denen der nordwestliche jetzt ganz unterirdisch, der südöstliche teilweise verdeckt läuft. Im übrigen schützte nur Pfahlwerk statt Mauern die Bürgerschaft der Neustadt.

Zwischen der alten Landstraße und der Neustadt lag ein Streifen bischöflichen Geländes, wo auf dem sogenannten Schloßdamm Gärtner angesetzt waren.

In die Schrecknisse d. J. 1349, als der „schwarze Tod" auch durch Preußens Gaue schritt, gibt uns eine charakteristische Aufzeichnung im ältesten Braunsberger Bürgerbuch Einblick. Danach schob man auch hier die Schuld an dem unerklärlichen Massensterben den Juden zu, die die Brunnen vergiftet und die Menschen behext hätten. So sollte es ein getaufter Jude Rumbold in Elbing getan haben, wo in 4 Monaten mehr als 9000 Menschen von der Pest weggerafft worden sein sollen, und ähnlich wütete sie auch in den Nachbarstaaten. Obwohl Braunsberger Opfer in dieser Notiz nicht erwähnt sind, ist kaum anzunehmen, daß die Passargestadt von dem unheimlichen Gast verschont geblieben ist. Voller Wut schleppte man die vermeintlichen Schuldigen zum Scheiterhaufen und verbrannte sie.

Der Pflege der Gesundheit dienten im Mittelalter die Badestuben, in denen von heilkundigen Badern warme Bäder verabfolgt und einfache ärztliche Eingriffe vorgenommen wurden. Das älteste Bad. das 1291 erwähnt wird, lag auf der bischöflichen Wiese, die Badershagen (Petershagen) genannt wurde. I. J. 1318 verschrieb Bischof Eberhard seine nahe dem Schloß gelegene bischöfliche Badestube (am Baderberg) dem erprobten und ehrbaren Bader Bartusche und seinen Erben zu dem beträchtlichen Jahreszins von 4 M. gewöhnlicher Münze. Der Bischof und sein Hof sollten gebührenfreie Benutzung des Bades genießen; die Gerichtsbarkeit über die Badestube blieb dem bischöflichen Vogt vorbehalten. I. J. 1387 erwarb der bischöfliche Bader im Einverständnis mit dem Vogt das altstädtische Bürgerrecht für 1/2 M. Aus den Badestuben zogen damals die Besitzer erhebliche Einnahmen. Das öffentliche Baden in Fluß und See war noch nicht in Übung.

I. J. 1353 erhält ein Diener des Artushofes das Braunsberger Bürgerrecht. Wir ersehen aus dieser Notiz, daß schon damals ein Klubhaus vorhanden war, das unter dem Titel des sagenhaften Königs Artus einen geschäftlichen und geselligen Sammelpunkt des städtischen Junkertums bildete. Hier verhandelten die reichen Schiffsreeder und Kaufleute untereinander und mit auswärtigen Geschäftsfreunden, hier suchten sie bei einem guten Trunk, bei Spiel, Musik und Tanz Erholung nach des Tages Lasten. Im Junker-Schießgarten zwischen Mönchen- und Nagelschmiedetor erprobte man sich wehrhaft in der Armbrust, und den Rittern gleich rang man auf der Langgasse gegenüber dem Artushof (heute Nr. 34) im Turnier um Silberkranz und -Kette.

Von den benachbarten Hansastädten Danzig und Elbing mag der Anstoß zur Braunsberger Artusbruderschaft ausgegangen sein, die bald den ritterlichen St. Georg als christlichen Patron erkor. Spätestens um die Mitte des 14. Jahrhunderts ist die Passargestadt in geschäftliche und politische Beziehungen zur Hansa getreten, die damals eine deutsche Großmacht war und durch ihre straffe Organisation und starke Flotte selbst ausländischen Fürsten ihren Willen aufnötigte. Zum erstenmal begegnen wir in den Hanseakten einem Braunsberger Handelsherrn im August 1358. Damals wendet sich „Heyne Langhe van dem Brunsberghe" an die Älterleute der deutschen Kaufmannschaft zu Brügge in Flandern mit der Bitte um Schadensersatz. Seine Kogge (Segelschiff) sei ihm bei dem Unternehmen des Grafen von Flandern gegen Antwerpen von der Stadt Sluys beschlagnahmt und zum Kampf entführt worden, und dadurch sei ihm ein Schaden von 1400 Brüggeschen Schilden entstanden. Es dauerte freilich sechs Jahre, ehe durch Vermittlung des Lübecker Rates diese Forderung, wenn auch nur mit 413 Schildtalern, beglichen wurde. Dem Lübecker Hansetage vom Mai 1364 wurden von der Brügger deutschen Kaufmannschaft außer anderen die Braunsberger Schiffer Johann Holzste, Hanneke Rode und Arnold Schof gemeldet, die gegen ein hansisches Verbot von Flandern weggesegelt und daher straffällig geworden seien.

Laut Beschluß des Kölner Hansetages vom November 1367 sollten die sechs preußischen Schwesterstädte Thorn, Kulm, Danzig, Elbing, Braunsberg und Königsberg 5 Koggen gegen König Waldemar von Dänemark ausrüsten und zur Bestreitung 23 der Kriegskosten ein Pfundgeld von den auslaufenden Schiffen erheben. Als Lohn ihrer Teilnahme an dem siegreichen Kampfe erhielten sie das für ihren Heringshandel außerordentlich wichtige Recht, bei Falsterbo auf Schonen gleich anderen Hansestädten eine eigene Bitte. d. h. Handelsplatz, anzulegen. Hier planten übrigens die Braunsberger Franziskaner i. J. 1399 den Bau einer Kapelle, um die in der Fangzeit (Juli bis Oktober) tätigen preußischen Kaufleute seelsorglich zu betreuen. Ob diese Absicht verwirklicht wurde, ist nicht bekannt.

Auch an der Ostküste Englands lassen sich Braunsberger Kauffahrteischiffe nachweisen. Als i. J. 1386 die preußischen Hansastädte ihre Klagen gegen die Engländer vorbrachten, führte auch Braunsberg Beschwerde, daß dem Tydeke Swarcz eine vollbeladene Kogge im Werte von 425 M. zwischen Ulemborgishovede und dem Schilde (vor der Wash-Bucht) von Engländern gekapert und dem Kord Grote nach seinem Schiffbruch vor Schardenborch (Grafschaft York) durch Raub ein Schaden von 40 Goldmark zugefügt worden sei. Wie hier im Westen Braunsbergs Seeverkehr erstaunlich weit reichte, so ging er auch zur Ostsee bis Reval hinauf; das lehrt uns ein Brief des Braunsberger Rates an den von Reval aus der Zeit um 1400 wegen eines untergegangenen Schiffes. Trotzdem kann die Zahl der seefesten Koggen, wenn wir den engen Passargehafen und den schmalen Flußlauf in Betracht ziehen, nicht als groß angenommen werden: vielleicht blieben die breiteren, schwereren Holte an der Flußmündung liegen, wo schon seit Beginn des 14. Jahrhunderts ein Krug nachweisbar ist, den gegen Ende des Jahrhunderts der Braunsberger Bürger Goswin erwarb. Die Schiffe, die vermutlich auf dem Werftplatz gebaut wurden, gehörten entweder ganz den Reedern oder einer Gruppe von Anteilbesitzern. So hören wir i. J. 1366 von dem Erbe 1/32 Anteils der Kogge des vorgenannten Arnt Schof.

In den weiträumigen Speichern und Schuppen staute sich die Last an Gütern, die aus dem Bistumshinterlande zur Ausfuhr gelangten: Roggen, Hafer, Mehl. Hopfen, Flachs, Leinwand, Garn, Honig, Federn, Wachs, Holzprodukte, Häute u. a. Und dafür kamen aus der Ferne: Salz, Heringe und andere Seefische, Wein, Gewürze, Leinen- u. Seidenstoffe, Haus­und Wirtschaftsgeräte. Waffen. Eisen. Zinn, Blei. Kupfer, Stahl, Glas, Öl, Papier u. a. Weit mehr war das Land auf die Einfuhr fremder Erzeugnisse angewiesen, als daß es seine eigenen auf den damaligen Weltmarkt werfen konnte. Aber24die Braunsberger Reeder und Kaufherren vermittelten jenen starken Warenaustausch, und dabei verblieb ihnen naturgemäß ein ansehnlicher Verdienst. 1401 wurde über die Ausbesserung der Kernhäuser vor der Stadt ein Ratsbeschluß herbeigeführt, 1452 ist die Lastadie (Schiffsladeplatz) erwähnt.

Zur Beratung ihrer gemeinsamen Angelegenheiten versammelten sich die preußischen Hansestädte nach Bedarf gewöhnlich in Marienburg, wo sie nach Verständigung mit dem Hochmeister ihre Maßnahmen trafen. Die einladenden Städte Thorn oder Danzig pflegten Elbing zu beauftragen, die Einladung nach Braunsberg und Königsberg weiterzugeben. Wenn auch die unbedeutendere Passargestadt wegen der „Zehrungskosten" oft auf die Entsendung eigener Ratsvertreter verzichtete, so hatte sie als Hansagenossin doch das Recht dazu. Bei besonders wichtigen Verhandlungen begegnen wir sogar ihren Deputierten auf den allgemeinen Hansetagen. Als i. J. 1395 die Besetzung von Stockholm geboten erschien, mußte Königsberg 10, Braunsberg 5 Mann stellen, von denen 3 Gewappnete und 2 Schützen sein sollten. Die Schützen sollten 1 Schock guter getülleter (Tülle ist die Zwinge zur Befestigung der Pfeilspitze) Pfeile, 3 Armbrüste (1 große, 1 mittelmäßige, 1 kleine) mitbringen und mit Panzer, Brustharnisch, Kappe, Eisenhut, Blechhandschken und Tartsche (einem kleinen länglich­runden Schild) versehen sein. Zum anschließenden Kriege gegen die sog. Vitalienbrüder, die durch ihr Piratenunwesen den Ostseehandel schädigten, genehmigte der Hochmeister auf der Marienburger Tagfahrt vom 6. Dezember 1395 eine städtische Steuer im ganzen Lande; jeder Bürger sollte 2 Slot und von der Mark 4 Pf. von allem seinem Gute zahlen; außerdem wurde von der fremden Einfuhr ein Pfundgeld erhoben. Braunsberg sollte das Geschoß von dem ganzen „Bischofftum und der Thumheren Land" einziehen. Daraufhin sollten im nächsten Frühjahr Danzig 140, Thorn und Elbing je 80, Königsberg u. Braunsberg zusammen 50 Gewappnete stellen; die beiden letzten Städte hatten an Friedeschiffen 1 mäßig Schiff, 1 Schnicke (kleines Fahrzeug) und 1 Schute (meist für Heringsladungen verwendet) auszurüsten. Zu der gleichen Unternehmung gegen Gotland stellte Braunsberg i. J. 1398 15 Mann. Königsberg 35, Elbing und Thorn je 95, Danzig 160 Wappner. Aus einer Abrechnung über das Pfundgeld d. J. 1390, das alle einlaufenden und ausgehenden Seegüter mit einer Steuer von etwa 1/410 des Wertes belastete, ersehen wir. daß Danzig 550 M. einnahm, Thorn 165, Königsberg 50, Elbing 42 1/2 M. und Braunsberg 2 M. 2 scot. Wenn diese Zahlen 25 abschließende Jahresergebnisse darstellten, würde die Passargestadt damals einen Umschlag von etwa 27000 Mark heutiger Währung gehabt haben. Aus allen diesen Ziffern lassen sich vergleichende Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Hanseorte ziehen, die Braunsberg in jedem Falle an die letzte Stelle rücken.

Diese Hansazugehörigkeit stärkte das Selbstbewußtsein der Passargestadt, kostete wohl auch materielle Opfer, brachte aber doch reicheren Gewinn. Die Sicherheit zur See verbürgte allein die Blüte des Handels, und an seinen Früchten hatten weiteste Kreise der Gemeinde Anteil. Daher drängte sich die ganze Bürgerschaft, Männer, Frauen und Kinder, am Hafen zusammen, wenn die allen bekannte Kogge, sonst zu friedlicher Ladung bestimmt, gegen den Feind mit schwellenden Segeln und lustig flatternden Wimpeln die Passarge abwärts fuhr, und des Winkens und Glühens mit den Wappenern und Schützen, mit dem Steuermann und seiner Besatzung, den sog. Schiffskindern, war kein Ende.

Nahmen solche Flottenunternehmungen wiederholt die Bürgerschaft in Anspruch, so fehlte es inzwischen nicht an Kriegsreisen zu Lande. Eine zufällig erhaltene Aufzeichnung v. J. 1364 - inzwischen übt der Rat anscheinend in einer aristokratischen Reaktion wieder das Recht der Selbstergänzung aus - meldet uns, daß wegen der Zerstörung der littauischen Burgen Welun und Neu-Kowno über 20 angesehene, namentlich aufgeführte Braunsberger vermutlich zu Pferde mit dem Orden ins Feld zogen. 10 andere Bürger und die beiden Mühlen lösten sich mit einer Zahlung von 1 1/2 M. aus, wofür der Rat Ersatzmänner warb. Außerdem steuerten die 9 städtischen Gewerke und drei Stadtdörfer bestimmte Geldbeträge zu der Expedition nach Littauen bei. Als die zahlungsfähigste Zunft galten die Bäcker, die 3 M. aufbrachten; am wenigsten trugen die Höker mit 1 1/2 M., die Kürschner und Krämer mit 1 M. bei, während die anderen Gewerke je 2 M. entrichteten. Von den Stadtdörfern gab Wildenberg (Willenberg) 7 M., Hermannsdorf und Stangendorf je 5 M. Vielleicht stellten die Gewerke und Dörfer mit diesen Beträgen weitere Gewappnete, und wenn wir den Durchschnittssatz von 1 1/2 M. für Ausrüstung und Verpflegung des Mannes annehmen, würden sich dabei rund 20 Krieger errechnen, so daß die Altstadt insgesamt über 50 Bewaffnete entsandt haben dürfte. So konnte das Braunsberger Fähnlein gut ausgerüstet zum Ordenheere stoßen und unter den Augen des Hochmeisters und seiner Komture vor dem Feinde beweisen, was der einzelne im friedlichen Schießgarten erlernt hatte. Und dann kehrten die braven Vaterlandsverteidiger nach Monaten heim, vom Rat und der Bürgerschaft in Ehren bewillkommnet, von den Angehörigen mit Jubel begrüßt, und staunend lauschte man ihren Berichten von dem fremden Land und Volk und von mancher Heldentat.

So heischten die fast das ganze 14. Jahrhundert hindurch anhaltenden Kriege des Ordens mit den Littauern wiederholt die aktive Beteiligung Braunsberger Mitstreiter.

Im stolzen Bewußtsein ihrer wachsenden Kraft und Macht geriet die Stadt mit dem kunstliebenden Bischof Heinrich III. Sorbom (1373 -1401) in schwere Kämpfe. Von wesentlicher Bedeutung für den Ablauf dieser Spannungen war der Umstand, daß der Bischof gleich nach seinem Regierungsantritte in friedliebender Nachgiebigkeit dem erbitterten Grenzstreit mit dem Orden ein Ende gemacht und sich diesen günstig gestimmt hatte; er durfte daher in den Konflikten mit seiner Hansestadt der Unterstützung des Hochmeisters versichert sein. Wenn wir auch dem unzuverlässigen Chronisten Simon Grünau nicht Glauben zu schenken brauchen, der berichtet, die Braunsberger hätten damals des Hochmeisters Untertanen werden wollen, seien aber von diesem aus grundsätzlichen Erwägungen abgewiesen worden, so haben wir doch schon im Vorhergehenden gezeigt, daß die Stadtverwaltung bei wiederholten Zusammenstößen mit dem bischöflichen Landesherrn beim Orden Rückhalt gesucht hatte. Dieser Möglichkeit hatte der neue Bischof in kluger Voraussicht vorgebeugt.

Wir kennen nicht im einzelnen die Gründe, die zum ersten Konflikte fühlten. Vermutlich schädigte der völlige Verzicht des Bischofs auf die Wiesen zwischen Haff, Passarge, Rune und Rosser Weg zugunsten des Ordens die Stadt in ihrem Grundbesitz. Es hat auch den Anschein, als ob die Streitsache des Braunsberger Rates mit dem Kleriker Arnold Lange mit hineinspielte. Dieser Sohn der Stadt, wohl aus der reichen, mehrfach erwähnten Patrizierfamilie, läßt sich von 1356 - 64 als Scholar an der Universität Paris nachweisen. Heimgekehrt verfeindete er sich aus unbekannten Ursachen mit einer großen Zahl angesehener Laien der Diözese aus Stadt und Land. Der Priester Johann von Heilsberg scheint ihr Wortführer gewesen zu sein, als er beim Braunsberger Rate Klage erhob. Dieser ächtete den Angeschuldigten und zog seine im Stadtgebiete liegenden Besitzungen ein. Darüber führte Lange aber beim päpstlichen Stuhle in Avignon Beschwerde mit dem Erfolge, daß Gregor XI. im November 1374 die Äbte von Suckau, Oliva und Pelplin beauftragte, den Rat sowohl 27 wie die Kläger mit dem Banne, die Altstadt aber mit dem Interdikt zu belegen, bis die Strafmaßnahmen gegen den Kleriker zurückgenommen und ihm Genugtuung verschafft sei. Wenn dieser Exekutionsauftrag nicht dem zuständigen Bischof zuging, so konnte darin wohl ebenso eine Rücksichtnahme auf ihn erblickt werden, indem ihm der harte Strafvollzug erspart bleiben sollte, andererseits aber ein gewisser Vorwurf, daß in einer seiner Städte dieses den kanonischen Bestimmungen widersprechende Urteil erlassen werden konnte. Ob es zur Durchführung der päpstlichen Sentenz gekommen ist, wissen wir nicht. Wenn wir aber den Kleriker Arnold Lange schon i. J. 1379 als Mitglied des Guttstädter Kollegiatstifts und später als ständigen Vikar an der Frauenburger Kathedrale und Pfarrer von Heilsberg antreffen, so erkennen wir, daß er sich bei Heinrich III. vollen Vertrauens erfreute. Es liegt nahe, daß der Bischof diesen ungeahnte Auswirkungen annehmenden Rechtsfall zum Anlaß nahm, um die Frage der Braunsberger Gerichtsbarkeit aufzurollen. Dabei stieß er aber auf den hartnäckigen Widerstand des Rates und der Gemeinde, die sich auf die städtische Handfeste beriefen.

Der Streit nahm solche Formen an, daß beide Parteien wie gleiche Gegner, obwohl Landesherr und Untertanen sich gegenüberstanden, die Komture von Elbing und Balga als Schiedsrichter erkoren und diese am 26. Mai 1376 zu Neutief auf der Frischen Nehrung im Beisein des Hochmeisters Winrich von Kniprode, des Bischofs Bartholomäus von Ermland, des Großkomturs, obersten Marschalls und vieler anderer Zeugen folgenden Spruch fällten: Die Braunsberger zahlen „czu besserunge" d. h. als Buße binnen 4 Jahren die hohe Summe von 1000 preußischer Mark an den Bischof. Die Ratleute sollen weiter richten wie bisher, aber nicht das Begnadigungsrecht ohne ihren Landesherren und seinen Vogt ausüben; der soll bei dem Gerichte sitzen, wenn er will. Ob nach der Handfeste dem Rate die peinliche Gerichtsbarkeit über Hals und Hand zustehe, darüber sollte er sich bei den Seestädten mit lübischem Recht, insbesondere zu Wismar, erkundigen. Bei bejahendem Bescheide sollte er weiter lichten wie zuvor; im negativen Falle müßte er dieses Recht erst von dem Bischof erwerben. Für jede Verletzung dieses Schiedsspruches, den beide Teile annahmen, sollte der Schuldige dem anderen Partner eine Buße von 100 M. zahlen.

Vier Jahre später, am 15. Mai 1380, wurde zu Heilsberg in Anwesenheit des Hochmeisters, des Balgaer Komturs und der ermländischen Domherren eine Vereinbarung, vorläufig für 2 Jahre, getroffen des Inhaltes, daß der Rat am Abend, bevor man über Hand und Hals richte, dem auf dem Schlosse wohnenden bischöflichen Vogte Meldung zu erstatten habe; wolle dieser erscheinen, so sitze er dabei; käme er nicht, so solle man gleichwohl richten.

So hatte der Bischof in dem zähen Streite um die Blutgerichtsbarkeit dank der Unterstützung des Ordens einen unverkennbaren Erfolg errungen. Offensichtlich kam ihm dabei der Einfluß des römischen Rechtes zustatten, das damals die landesherrlichen Befugnisse gegenüber denen der Untertanen mehr und mehr zu erweitern suchte. Mußte sich die in ihren früheren Privilegien beschränkte, mit harter Geldbuße bestrafte Altstadt auch der vereinten Macht der Landesfürsten des Ermlandes und des Ordensstaates beugen, so blieb doch ein Stachel zurück, und das gegenseitige Verhältnis des Rates und des Bischofs kann nicht das beste gewesen sein, wenn auch Heinrich III. in einer Urkunde vom 10. Februar 1394 über das Hl. Geist-Hospital dem Rate das Zeugnis ausstellte, daß er sich „durch seine Umsicht, Emsigkeit, Rechtschaffenheit, Treue und Zuverlässigkeit" sein volles landesherrliches Vertrauen erworben habe.

Schon im nächsten Monat stellte er diese Treue auf eine schwere Belastungsprobe. Die Bürger der Neustadt Braunsberg, deren Gemeinwesen nicht recht vorwärts kam, ja unter ärgerlichen Zwistigkeiten, vermutlich auch mit der Altstadt, litt, hatten sich an den Bischof gewandt mit der dringenden Bitte, ihre Gemeinde mit der Schwesterstadt auf dem gegenüberliegenden Passargeufer zu vereinigen. Sie hätten damit Anteil an deren weitgehenden Privilegien erhalten und wären aus ihrer untergeordneten wirtschaftlichen Bedeutung zu einem lebendigen Gliede der angesehenen Hansastadt emporgewachsen. Andererseits wachte die Altstadt eifersüchtig über ihren Vorrechten, die sie mit niemandem zu teilen gedachte. Der Bischof pflog mit seinem Domkapitel und seiner vertrauten Umgebung, in der der ständige Vikar der ermländischen Kirche und bischöfliche Schäffer Arnold Lange uns besonders auffällt, Rat und kam mit ihnen überein, die Handfeste der Neustadt einzuziehen und die Gemeinde mit der Altstadt zu vereinigen. In seinem Erlaß vom 28. März 1394 vollzog er diese Einverleibung, nach der die Neustadt mit ihrer ganzen Gemarkung fortan zur Altstadt geschlagen, die neustädtische Einwohnerschaft alle Rechte der altstädtischen genießen und ein gemeinsamer Rat, der nach Ermessen auch aus neustädtischen Bürgern bestehen sollte, die vereinigte Stadt regieren sollte. Von einer 29  Zustimmung des altstädtischen Rates verlautet bezeichnenderweise nichts.

Mit leidenschaftlicher Erregung nahm die Bürgerschaft der Altstadt diesen eigenmächtigen Eingriff in ihre verbriefte Ver­fassung auf. Sie wird es an Vorstellungen und Protesten bei Bischof Heinrich nicht haben fehlen lassen; dieser fühlte sich jedoch als Landesherr zu seiner Handlungsweise berechtigt, die der Altstadt nichts nahm, sondern nur einem erweiterten Bürgerkreise dieselben Privilegien zugänglich machen wollte. Vermutlich trug noch folgender Umstand zur Verschärfung der Spannung bei. Wegen des Seekrieges mit den Vitalienbrüdern war die Hansestadt Braunsberg auf der Marienburger Tagfahrt vom Dezember 1395 von ihren Schwesterstädten beauftragt worden, die beschlossene bürgerliche Kopf- und Besitzsteuer von den ermländischen Städten einzufordern. Wenn auch der Hochmeister zu diesem Geschoß seine Einwilligung erteilt hatte, so griff doch tatsächlich die Passargestadt, die in ihrer hanseatischen Politik ohnehin eigene Wege ging, mit ihrer Steuereinziehung empfindlich in die landesherrlichen Rechte des Bischofs ein, und es läßt sich leicht vorstellen, daß es bei der Durchführung dieser Abgabe, für die die ermländischen Hinterstädte wenig Verständnis aufbringen konnten, zu erneuten Reibungen kam. Nach dem aus einer Braunsberger Ratsfamilie stammenden Chronisten Johann Plastwich war Bischof Heinrich in Braunsberg erschienen, um Rat und Bürger „wegen einer gewissen erheblichen Ausschreitung" zu bestrafen. Er beschied die Ratsleute aufs Schloß, stellte sie zur Rede und gewährte ihnen auf ihren Wunsch eine Frist zur Überlegung der Antwort. Sie gingen sogleich zum Rathaus, ließen die Ratsglocke Sturm läuten, um die gesamte Bürgerschaft zu versammeln, und stürmten dann in blinder Wut aufs Schloß, um den Bischof zu töten. Mit knapper Not gelang es diesem, durch eine Hintere Pforte zu entweichen.

Gegenüber dieser offenen Rebellion griff Heinrich Sorbom mit strenger Energie durch. Sofort rief er seine dienstpflichtigen Mannen zu den Waffen und erhielt wohl auch von dem Hochmeister Konrad von Jungingen militärischen Zuzug. In besten Beziehungen zum Orden hatte er hilfsbereit dessen Außenpolitik gefördert und noch am 22. Juli 1396 mit dem Hochmeister an dessen persönlichen Verhandlungen mit dem Littauerherzog Witowd teilgenommen. Dafür zeigte sich Konrad von Jungingen erkenntlich, indem er dem Bischof in dem Kampf mit der empörerischen Stadt seine volle Unterstützung angedeihen ließ. Gegenüber dem starken Belagererheer ohne jede Aussicht auf Hilfe, blieb den Altstädtern nichts anderes übrig, als zu kapitulieren und demütig um Verzeihung zu bitten. Ähnlich den Bürgern der von Friedlich Rotbart eroberten Stadt Mailand, kamen sie unbeschuht und barhäuptig, ihre Gürtelstricke um den Hals, aus dem Tore heraus, zogen zum Lager des Bischofs, warfen sich ihm zu Füßen und baten ihn um Verzeihung und Gnade. Dieser willfahrte ihren Bitten, überließ aber das Urteil dem Hochmeister.

Am 4. November 1396 verhängte Konrad von Jungingen in seiner Marienburger Residenz folgende Strafe: Die Glocken, mit denen die Braunsberger zum Sturm gegen ihren Herrn geläutet haben, sollen ihm verfallen sein, und es soll in seinem Ermessen stehen, was er mit ihnen tun will. Die Gemeinde soll die Ringmauer am bischöflichen Schlosse nach der Stadtseite zu aufführen und daran fünf Jahre hindurch je 100 M. vermauern. Alle Anstifter des Aufruhrs, zu denen namentlich der erste Bürgermeister Heinrich von Rossen gehört zu haben scheint, sollen aus der Stadt und dem Bistum verwiesen werden, bis sie der Bischof begnadigt. Der Rat soll der Gemeinde, die Gemeinde dem Rate wegen des begangenen Frevels keinen Vorwurf machen, sondern die Sache auf sich beruhen lassen. Lediglich der bischöfliche Landesherr soll das Recht haben, Angeschuldigte zur Verantwortung zu ziehen und nach Verdienst zu bestrafen, und weder der Rat noch die Gemeinde sollen sich dem widersetzen, bei Verlust ihrer Freiheiten.

Mochten die Altstädter auch durch das eigenmächtige Vorgehen des bischöflichen Landesherrn schwer gereizt worden sein, ihre offene Empörung war deswegen doch nicht gerechtfertigt, und so traf sie der sorgfältig abwägende, nicht zu harte Spruch des Hochmeisters, der die angegriffene fürstliche Autorität des Bischofs wiederherstellte. Dieser mag die Landesverweisung einiger Rädelsführer als gebotene Maßnahme durchgefühlt haben, dann aber durfte nicht Fortsetzung des Konfliktes mußte vielmehr Frieden und Versöhnung sein Ziel sein. In einsichtiger Erkenntnis, daß die Vereinigung der Neustadt mit der Altstadt die Hauptursache des heftigen Streites gewesen war, hob er am 1. September 1398 von seinem Schlosse Seeburg aus diese verfehlte Anordnung auf. Beide Städte sollten in Zukunft völlig selbständige Gemeinden bilden wie früher, und die Neustadt erhielt ihre von Bischof Hermann ausgestellte Handfeste in ihrem wesentlichen Inhalt neu ausgefertigt. Hinzugefügt war die Bestimmung, daß die Bürger für die 14 Morgen an der Oberpassarge (Neustädter Anger), die ihnen 31 Bischof Heinrich als Entschädigung für den neu angelegten Mühlengraben zugewiesen hatte, jährlich 1/2 Stein Wachs für Kerzen an die Frauenburger Kathedrale liefern sollten. Möglich, daß auch die Befugnisse des bischöflichen Burggrafen in der kommunalen Gerichtsbarkeit und Verwaltung nach den Erfahrungen mit der Altstadt erst in der erneuerten Handfeste der Neustadt ihre Festlegung fanden.

Die Bürgerschaft der Altstadt konnte mit dieser Regelung der leidigen Angelegenheit wohl zufrieden sein. Heinrich Sorbams Nachfolger Heinrich IV. Heilsberg unterhielt von Anfang an freundliche Beziehungen zu den Braunsbergern wie zum Hochmeister. Als dieser auf einer Reise von Elbing nach Königsberg i. J. 1402 Braunsberg berührte, nahm ihn der Bischof auf dem hiesigen Schlosse aufs gastlichste auf, und der Heilsberger Hofnarr Peter Pfiffer ergötzte die Gesellschaft mit seinen Spatzen. Dafür zeigte sich Konrad erkenntlich, indem er dem „Toren", der sich auch auf die Ablichtung von Jagdfalken verstand, 1/2 M., dem Stallknecht des Bischofs 1 M. als Zaumgeld schenkte. Heinrichs Wohlwollen zur Altstadt kam bei einer Entscheidung zum Ausdruck, die er am 13. Mai 1405 auf seinem Braunsberger Schlosse traf. Der Rat, fast vollzählig wieder derselbe wie vor der Rebellion, war in einen Streit mit den Besitzern der Stadtgüter Huntenberg, Rudloffhoven (Rodelshöfen), In der Owe (Auhof) und Kattenhoven (Katzenhöfen) geraten, weil diese jedes bäuerliche Scharwerk ablehnten. Sie wollten gleich den Stadtbewohnern behandelt werden und wie diese an Jagd und Fischerei und allen anderen Vergünstigungen der Handfeste teilhaben, glaubten aber zum Scharwelk und sonstigen bäuerlichen Lasten nicht verpflichtet zu sein. Beide Parteien riefen den Bischof als Schiedsrichter an. Dieser beriet sich mit mehreren rechtskundigen Domherren über den Text der Handfeste und entschied zu Gunsten der Stadt. Ausdrücklich sprach er den Hofbesitzern die Rechte des Gründungsprivilegs ab; dieses sollte allein für die Stadt und die in ihr wohnenden Bürger Geltung haben. Welche bösen Weiterungen aus diesem Streitfall trotzdem erwachsen sollten, wird im nächsten Kapitel zu zeigen sein.

Auch die Neustadt erfuhr die Gunst des Bischofs. Am 19. März 1410 verkaufte Heinrich IV. ihrer Bürgerschaft mit Genehmigung des päpstlichen Stuhles und im Einverständnis mit dem Kapitel 46 Hufen seines Tafelgutes Karwan zwischen den Gemarkungen der Neustadt, Regitten, Schillgehnen und Böhmenhöfen zu kulmischem Recht, jede Hufe zu 30 M. Die Mühle Bevernick (Kleine Amtsmühle) und mehrere HufenWiesen und Wald behielt er sich vor. Als Zins hatten die Bürger fortan von jeder Hufe 1 M. zu St. Martini an die Landesherrschaft zu entrichten; vom Scharwerksdienst waren sie dagegen frei. Die Äcker sollten mit den einzelnen Stadthöfen untrennbar verbunden bleiben. Die bischöflichen Gärtner auf dem Damm, wo man zur St. Georgs-Kapelle geht, sollen für ihre Schweine und Rinder zu dem üblichen Weidegeld die städtische Weide benutzen dürfen. Die Gerichtsbarkeit auf dem neuen Stadtfelde bleibt dem Burggrafen vorbehalten. Bezeichnend ist für die mehr und mehr vordringende Rezeption des römischen Rechtes, daß der Bischof gegen die Berufung auf abscheuliche Rechtsbücher. wie den von der Kurie verworfenen Sachsenspiegel, förmliche Verwahrung einlegt.


III. Vom ersten zum zweiten Thorner Frieden (1410—88)


Trotz unerquicklicher innerer Spannungen und heftiger Zusammenstöße mit dem bischöflichen Landesherrn hatte die Altstadt Braunsberg einen gesicherten, stetigen Aufstieg genommen. In ihrer baulichen Anlage, ihren Straßenzügen, öffentlichen Bauten und Befestigungswerken hatte sie das wesenhafte Gepräge gewonnen, das ihr durch die Jahrhunderte nicht verloren ging. Als wirtschaftlicher Vorort des Bistums Ermland genoß die Stadt in Preußen und der großen Hansa Ruf und Achtung, und ihre Schiffe trugen ihren Namen bis zu den fernen Küsten der Nordsee, brachten Waren und Verdienst in die selbstbewußte, wohlhabende Bürgerschaft. Und mittelbar hatte auch die Neustadt, obwohl fast ausschließlich eine Handwerker- und Ackerbürger-Gemeinde, an dem Aufschwung ihrer älteren Schwesterstadt Anteil.

Von der gedeihlichen Entwicklung der Stadt legte auch ihr großes Amtssiegel Zeugnis ab, das für besonders wichtige Urkunden Verwendung fand und seit 1351 nachweisbar ist. Das 75 mm messende Rundbild zeigt eine gezinnte Stadtmauer, die von drei auf Hügeln stehenden Türmen überragt wird, unten auf einer blumigen Wiese einen nach links springenden Hirsch; dazu die lateinische Umschrift: Siegel der Bürger (der Stadt) Braunsberg. Wir sehen, der Drachen, die Erinnerung an das preußische Heidentum, ist infolge der fortgeschrittenen 33 Christianisierung der angestammten Bevölkerung in Wegfall gekommen; der Hirsch als Symbol des Christentums beherrscht das fruchtbare Feld, das den Segnungen der christlich-deutschen Kultur ebenso zu verdanken ist wie die inzwischen von wehrhaften Befestigungswerken umschlossene Stadt „zum Brunsberg".

Noch im selben Jahre, in dem Bischof Heinrich Heilsberg der landwirtschaftlichen Entfaltung der Neustadt durch den Verlauf seines Gutes Karwan neue Aussichten bot, erging der Kriegsruf durch die preußischen Lande. Das finstere Gewölk, das sich seit der Verbindung Littauens mit Polen für den Orden am politischen Himmel zusammengeballt hatte, entlud sich in einem furchtbaren Gewitter. Schon i. J. 1409 hielt Hochmeister Ulrich von Jungingen den entscheidenden Waffengang mit Polen für unabwendbar, da erwirkte der Böhmenkönig Wenzel nach den ersten für den Orden günstigen Grenzkämpfen einen neunmonatlichen Waffenstillstand, der im Juli 1410 ab­lief. Am 28. März 1410 vereinbarten die Vertreter der preußischen Hansestädte, darunter von Braunsberg Johann Sassendorf und Helmike Ludeke, auf ihrer Tagfahrt zu Elbing, daß alle Haus- und Grundbesitzer und sonstigen vermögenden Männer in den Städten ihren Harnisch, nämlich Panzer, Brustschutz, Eisenhüte und Blechhandschken, haben sollten. Für die Mobilmachung galt der städtische Ratsbeschluß v. J. 1403, daß zwei Ratsherren mit der gleichmäßigen Verteilung der Dienst­leistungen und Abgaben betraut werden sollten. Der aus dem Rat zu einer Kriegsreise entsandte Hauptmann sollte von jeder der beiden Maygen (Abteilung von etwa 30 Reitern und Fußtruppen) ein Streitroß und den gewöhnlichen Sold, von der Stadt ein Pferd und 1 M. zu seiner Ausrüstung erhalten, Angesichts der besonderen Landesgefahr dürfte das Braunsberger Kriegskontingent sicherlich mindestens das Doppelte der üblichen Starke erreicht haben. Unter einem eigenen Banner rückten sie aus, das 1 1/2 Ellen lang, 1 1/4 Ellen breit, lustig im Winde flatterte; im oberen weißen Felde sah man ein schwarzes, im unteren schwarzen ein weißes Kreuz, der Fahnenschaft war am Tuche schwarz, sonst hellbraun. So führte sie der Hauptmann auf seinem Streitroß zum Hohen Tore hinaus. Spielleute und Pfeifer begleiteten die scheidende Abteilung mit mutiger Marschmusik, Wagen mit Lebensmitteln und Kriegsgerät folgten, und vorwärts ging's der Weichsel zu und von da mit dem Ordensheere zum schicksalsvollen Blachfelde von Tannenberg.

Welchen Anteil die Braunsberger Streitkräfte an der unglücklichen Schlacht des 15. Juli 1410 gehabt haben, wissen wir nicht. Aber zweifellos werden sie, soweit sie in dem schweren Ringen von der Heeresleitung eingesetzt wurden, ihre Pflicht und Schuldigkeit getan haben; vermutlich erlitt auch mancher von ihnen den Heldentod oder geriet in Gefangenschaft. Unter den 51 von den Polen erbeuteten Ordensfahnen waren auch die der Stadt Braunsberg, des Domkapitels und des Bischofs von Ermland. König Wladislaus ließ die Banner bei seiner Rückkehr nach Krakau im November 1411 im Triumph in die Schloßkirche tragen und dort aufhängen.

Die Katastrophe von Tannenberg, in der der Hochmeister mit den obersten Gebietigern und etwa 200 Ordensrittern den Heldentod gefunden hatte, schien das ganze Gefüge des Ordensstaates über den Haufen zu werfen. Verzweiflung, Angst und Ergebung überall. Nur der Komtur von Schwetz Heinrich von Plauen warf sich mit den noch verfügbaren Truppen in die Marienburg, fest entschlossen, das Haupthaus des Ordens bis zum Äußersten zu halten. Der Polenkönig lagerte sich am 23. Juli vor dem Schlosse und nahm hier die Huldigungen der vier preußischen Bischöfe entgegen, die ebenfalls alles verloren gaben. Am 10. August erschienen die Ratssendboten von Thorn, Elbing, Braunsberg (Heinrich Vlugge) und Danzig vor Wladislaus, den sie als ihren neuen Herrn glaubten ansehen zu müssen, und erbaten sich freie Verfügung über die Münze und die Kornausfuhr, uneingeschränkten Besitz der Einfahrt in die Weichsel und bei Balga, ungestörten Handelsverkehr im ganzen polnischen Reiche und freie Pfarrerwahl. Auf ihren wirtschaftlichen Vorteil bedacht, suchten die von der allgemeinen Panik erfaßten Hansastädte von dem neuen Machthaber so viele Vergünstigungen herauszuschlagen, wie nur eben möglich; und der König war nicht karg im Versprechen.

Indessen, wider alles Erwarten trat bald ein Umschwung ein. Anrückende Hilfs-Heere für den Orden und Seuchen im polnischen Lager veranlaßten Wladislaus, gegen Ende September die Belagerung aufzugeben und südwärts abzuziehen. Innerhalb kurzer Wochen war nun wieder das ganze Land in den Händen des Ordens, der in einmütiger Dankbarkeit den Retter der Marienburg am 9. November zum Hochmeister wählte. In dem am 1. Februar 1411 auf einer Weichselinsel bei Thorn abgeschlossenen Frieden behielt zwar der Orden sein preußisches Gebiet; aber die ihm auferlegte Kriegsentschädigung von 100 000 Schock böhmischer Groschen bedeutete eine gewaltige finanzielle Belastung des Staates, der damit materieller Verarmung und innerer Zerrüttung entgegenging. 35

In dieser Not sah sich Hochmeister Heinrich von Plauen zu außerordentlichen Steuerforderungen gezwungen, glaubte er, das Ermland, dessen Bischof wegen des Vorwurfes des Verrates flüchtig geworden war, dem Ordensstaate gleich den anderen preußischen Bistümern eingliedern zu dürfen. Am 22. April hielt er in Braunsberg eine wichtige Ständeversammlung ab, die ihm eine zweite Beihilfe zur Kriegsschuld bewilligte; hier wurde auch das widerspenstige Danzig, das die im Februar beschlossene erste Landessteuer verweigert und in strengen Handelsmaßnahmen des Hochmeisters und der Ermordung seiner beiden Bürgermeister eine harte Ahndung erfahren hatte, nach Zusage einer hohen Geldbuße begnadigt. Als Plauen im Oktober 1412 zur Stütze seiner auch unter den Ordensbrüdern auf wachsenden Widerstand stoßenden Politik einen 48köpfigen ständischen Landesrat berief, gehörte diesem auch ein Vertreter von Braunsberg an. Die verzweifelten Bemühungen des Hochmeisters, des unerträglichen finanziellen und außenpolitischen Druckes Herr zu werden, schlugen schließlich fehl, weil ihnen sowohl der Orden wie die Stände die Gefolgschaft versagten. Der politische Kurswechsel, der nach Plauens Absetzung (Oktober 1413) einsetzte, brachte wohl die Rückkehr des Bischofs Heinrich in das Ermland, verschonte aber das Preußenland nicht vor polnischen Angriffen. Der sog. Hungerkrieg traf im Sommer 1414 das Ermland besonders schwer: bis zum Haff drangen die Polen und ihre heidnischen Verbündeten vor und scheuten nicht vor der Plünderung und Schändung des Frauenburger Domes zurück. Die Passargestadt entging solchem Unheil, vermutlich weil sie den beutegierigen Scharen zu stark befestigt erschien. Vielleicht schützten auch die hier zwischen dem Orden und Polen angeknüpften Friedensverhandlungen den Ort vor Brandschatzung. Bald aber fand neuentflammter Bürgerhader in einer gräßlichen Untat seine folgenschwere Entladung.

Als Heinrich von Plauen das ermländische Bistum besetzt hielt, glaubten die Besitzer der Braunsberger Stadtgüter, an ihrer Spitze Ambrosius, der Sohn des Hermann Gerung von Huntenberg, den Zeitpunkt gekommen, mit ihren alten Rechtsansprüchen gegen die Altstadt wieder hervortreten zu sollen. Unzufrieden mit dem ablehnenden Urteil des Bischofs v. J. 1405, verlangten sie, gleich den freien Bürgern der Stadt von allen bäuerlichen Pflichten entbunden zu weiden; ja wahrscheinlich führten sie bei ihrem neuen Landesherrn, dem Hochmeister selbst, Beschwerde wegen des ihnen angetanen Unrechts. Demgegenüber fühlte sich der Braunsberger Rat, an seiner Spitze die Bürgermeister Heinrich Flucke und Jakob von der Leiße, genötigt, am 29. Dezember 1411 von dem kaiserlichen Notar Bernhard Hundertmarck das Zeugnis dreier Frauenburger Domherren beglaubigen zu lassen, wonach die Hofbesitzer damals vor der Entscheidung des Bischofs in ihrer Anwesenheit versprochen hätten, den Spruch ohne Arg und Falsch widerspruchslos anzunehmen. Vermutlich hielt der Hochmeister trotz dieses Notariatsaktes seine schützende Hand über die klagenden Gutsbesitzer, deren Rechtssache auch die anderen ermländischen Lehnsleute bewegt haben muß. Als aber Heinrich von Plauen seines Amtes entsetzt worden war und Heinrich Heilsberg in sein Bistum zurückkehrte, konnte der Rat wieder seine früheren Forderungen erheben.

Wie sehr in diesem wechselseitigen Spiel der Kräfte die Erbitterung und der Haß gestiegen sein muß, kam in den letzten Monaten der Regierung des Bischofs Heinrich (+ 4. 6. 1415) mit erschreckender Deutlichkeit zum Ausdruck. Eines Nachts wurde Ambrosius von Huntenberg in seinem Hause ermordet. Am nächsten Morgen fand man seine Leiche, mit Steinen an Hals und Füßen beschwert, in der Passalge, wohin sie nach den vorhandenen Spuren zu Wagen gebracht worden war. Erst sprach man's leise, dann hörte man's laut: die Ratsherren von Braunsberg müssen die Missetäter sein! Die städtischen Hofbesitzer und mit ihnen viele ländliche Edelleute wandten sich an Hochmeister Michael Küchmeister mit der Bitte, den Mord zu ahnden. Dieser verwies den Kriminalfall an den zuständigen Bischof Heinrich, der als oberster Gerichtsherr in seinem Bistum mit Recht verlangen konnte, daß die Sache im Ermland abgeurteilt werde. Andererseits forderten die Bürger von Braunsberg, daß die Angelegenheit vor ihrem Stadtgericht verhandelt werden müsse. Demgegenüber erklärten die Kläger mit aller Entschiedenheit, sie weigerten sich nach Braunsberg zu gehen, wo die Verdächtigen selbst auf der Schöppenbank säßen. Der Hochmeister ließ diesen triftigen Grund gelten und berief die Prälaten, Ritter und Knechte und Städte des Landes zu einer Tagfahrt auf das Elbinger Schloß, um den üblen Rechtsfall zum Austrag zu bringen. Indessen alle seine Bemühungen erwiesen sich als erfolglos. Die Landesbischöfe, die mit Ausnahme des sterbenskranken ermländischen zugegen waren, protestierten dagegen, daß dieser Prozeß der Gerichtshoheit des Heilsberger Bischofs entzogen würde, die anwesenden Vertreter der Städte fühlten sich juristisch mit den Braunsbergern solidarisch, und nur der Landadel hätte gern die angeschuldigten „Pfeffersäcke" abgeurteilt. So endete die Versammlung statt mit einem einmütigen Urteil mit gesteigerter Erbitterung. 37

Kurz darauf starb Heinrich Heilsberg. Die Todesnachricht nährte die Aufregung, und so bedrohlich wurde die Stimmung, daß der Hochmeister in Sorge geriet, es könnte ein großes Morden im Lande entstehen. Da der ermländische Bischofsstuhl verwaist war, hielt er sich als Schirmherr des Bistums zum Eingreifen für berechtigt. Nach sorgfältiger Beratung berief er nach Wormditt eine Landbank, zu der außer den gewöhnlichen 12 ermländischen Landschöppen noch 12 andere vom Landadel und den Städen hinzugezogen wurden. Diese 24 Schöppen hielten drei Sitzungen, aber jedesmal, wenn die Braunsberger Rede und Antwort stehen sollten, legten sie Berufung an den Hochmeister ein, daß sie aus ihrem verbrieften lübischen Recht vor ein kulmisches Landding gefordert seien, und erzwangen dadurch Vertagung. Nun suchten beide Parteien den Meister in Mewe auf, und dieser erreichte in Gegenwart seiner Gebietigel eine urkundlich festgelegte Einigung dahin, daß die Braunsberger das zum Kriminalverfahren erforderliche Lichzeichen (ein Zeichen vom Leichnam oder sonstiges Beweisstück des Mordfalles) den vier Bänken des Wormditter Landdinges ausliefern wollten. Zu diesem Termin waren nicht weniger als 400 Braunsberger geladen, aber die Beschuldigten weigerten sich, ohne Urteil das Lichzeichen herauszugeben. Nun wurde ihnen gedroht, der Hochmeister würde sie ächten, und man würde sie fangen und köpfen und ihnen mancherlei antun. Da machten sich die angeklagten Ratsherren aufs Schlimmste gefaßt. Neun von ihnen flüchteten plötzlich aus ihrer Stadt, nicht im Eingeständnis ihrer Schuld, behaupteten sie, sondern weil sie dem Rechte ihres bischöflichen Landesherren und ihrer Stadt nichts vergeben wollten. Zwei andere Ratsleute, auf denen kein Verdacht ruhte, blieben zurück.

Nach Beratung mit seinen Gebietigern und den Prälaten belegte der Hochmeister die Flüchtigen mit der Acht. Diese aber suchten sofort Hilfe bei dem neugewählten Bischof Johann Abezier, der im Auftrage des Ordens auf dem Konzil zu Konstanz weilte, um für einen friedlichen Ausgleich mit Polen zu wirken. Wie wir aus einem Schreiben des Ordensprokurators Peter von Wormditt aus Konstanz (29. 9. 1415) erfahren, waren hier vier der entwichenen Braunsberger eingetroffen und hatten mit dem erwählten Bischof und fünf anwesenden ermländischen Domherren in ihrer Rechtssache verhandelt. Sie scheinen die Absicht gehabt zu haben, die Angelegenheit vor das Konzil zu bringen, doch hielt sie Abezier davon zurück. Ihm und den anderen Ordensgesandten erschien es bedenklich, wenn dieser Fall als Klage gegen den Orden der Kirchenversammlung unterbreitet wurde, zumal schon genug andere Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Daher riet der Ordensprokurator dem Hochmeister, das Beste sei, die Entscheidung dem künftigen Bischof zu überlassen und die Leute in ihrem Stadtrecht zu schützen. Nach dem Rechtsgrundsatz: Der Kläger folge dem Beklagten in sein Gericht, könnten die Braunsberger verlangen, nach ihrem Stadtrecht sich zu verantworten. Wendeten die vom Lande ein, daß die Schuldigen dann selbst auf der Schöppenbank säßen, so sorge man dafür, daß die Beschuldigten vom Richteramt ausgeschlossen und nur unverdächtige Männer damit betraut würden. Wären aber alle Braunsberger verdächtig, so lasse man die Schöppen aus Elbing, wo dasselbe lübische Recht gelte, kommen und von ihnen Recht sprechen. Der Bischofselekt Abezier, dem für den Fall seiner Bestätigung gute Beziehungen mit dem Orden von besonderem Wert sein mußten, vermochte die vier Ratsherren zur Abreise von Konstanz zu bewegen, ohne daß sie ihre Beschwerde über den Hochmeister bei der Konzilsleitung vorgebracht hatten. Sie begaben sich in die befreundeten Seestädte, um dort die Entwicklung der Angelegenheit abzuwarten. Inzwischen fanden sich im Oktober vier weitere Braunsberger Flüchtlinge in Konstanz ein, und zwar die entschlossensten, unter ihnen Flucke. Sie verhandelten mit Abezier, der die Klage zu unterdrücken wußte. Zwei reiften bald wieder ab, die beiden anderen aber blieben, da ihre Widersacher gedroht hatten, ebenfalls zum Konzil zu kommen und dort ihr Recht zu suchen. Der Ordensprokurator legte dem Hochmeister nahe, im Interesse des Friedens und der Eintracht des Landes die Acht zurückzunehmen und die Sache gütlich zu schlichten. Ebenso bat der erwählte Bischof, die Geächteten wieder in den Besitz ihrer Häuser und Güter einzusetzen und ihnen Geleitsbriefe für sichere Rückkehr auszustellen. Auch der Erzbischof von Riga vertrat als der zuständige Metropolit die Auffassung, daß der erbitterte Rechtsstreit im Lande bleiben müsse und nicht vor dem Konzil verhandelt werden dürfe, er wolle bei seiner Heimreise die Braunsberger mitbringen, und der Hochmeister möge für sie den Geleitsbrief nach Frankfurt a. O. senden.

Da weitere Urkunden fehlen, läßt sich dieser verwickelte Kriminalfall, der ungeahnte Weiterungen annahm, den Rat der Altstadt Braunsberg weithin bloßstellte und von den schweren Mängeln jener uneinheitlichen Rechtsverfassung ein eindringliches Zeugnis ablegt, nicht weiter verfolgen. Die Braunsberger selbst waren offensichtlich darauf bedacht, die Erinnerung an diese peinliche Angelegenheit, die überdies mit 39 den Prozeßverfahren und Reisen ihre Finanzen stark belastet haben muß, aus den Akten zu tilgen. Es hat jedoch den Anschein, als wenn erst Bischof Johann Abezier nach seinem Einzug im Ermland im Spätfrühling 1418 nach persönlicher Verständigung mit dem Hochmeister den verhängnisvollen Rechtsstreit gütlich beigelegt hat. Wenn wir seit 1420 die meisten früheren Ratsherren wieder in den Ratslisten begegnen, dürfen wir daraus schließen, daß der Bischof durch ein neues Gerichtsverfahren die Unschuld der Verdächtigten erweisen ließ; vielleicht daß einzelne von ihnen zu den Anstiftern des Mordes gehörten und ihre verdiente Strafe erhielten. Andere Ratsherren, die nach jenen stürmischen Jahren wieder in ihre städtischen Ehrenämter zurückkehrten, zeichneten sich durch ihre frommen Stiftungen aus, so Heinrich Flucke, der am Turm der Pfarrkirche die jetzige Muttergotteskapelle stiftete, Klaus Refelt, der am 23. Mai 1427 „Gott dem Allmächtigen und der Jungfrau Maria und allen lieben Heiligen zu Dienste und zu Lobe und auch um unserer Eltern und unserer Seelen willen ein ewiges Almosen" von 9 Mark Zins für den Priester am Kreuzaltar errichtete.

Der unselige Streit zwischen der Stadt und ihren Hofbesitzern, der die Ursache aller dieser Kämpfe gewesen war, wurde durch einen Schiedsspruch des Bischofs Johann Abezier am 5. November 1420 dahin entschieden, daß die Besitzer der Höfe von ihren Hufen zum Scharwerk und anderen Verpflichtungen in gleicher Weise herangezogen weiden sollten wie die Bürger, die in der Stadtfreiheit Hufen hatten, und wie die anderen Höfe, die in der Stadtfreiheit lagen. Weitere Differenzen sollten „um guten Alters und Freundschaft willen quitt" sein; über die Vorflut in der neuen Harzau und das Gatter zum Damm wurden besondere Bestimmungen getroffen. So hatte Johann III. ein Urteil gefällt, das den Forderungen der städtischen Gutsbesitzer entgegenkam, andererseits auch den Wünschen des Rates Rechnung trug. Wenn aber noch in den nächsten Jahren ein Braunsberger Bürger vor dem sitzenden Rat die Erklärung abgeben mußte, daß er niemand von dem ehrbaren Rat schelten oder verleumden oder schädigen wolle bei Strafe seines freien Halses, so scheint uns darin die nachhaltige Erregung herauszuklingen, die auch die Bürgerschaft selbst lange in Atem hielt.

Gegenüber jenen ehrenrührigen Angriffen bedeutete es eine besondere Auszeichnung für den Braunsberger Rat, wenn im September 1424 der neue Hochmeister Paul von Rußdorf, anscheinend aus Gegnerschaft gegen den hansischen Vorort Danzig, „seinen getreuen und lieben" Peter Benefelt aus Braunsberg, zu dessen „Treue, Redlichkeit und Eifer er das größte Vertrauen" hatte, bevollmächtigte, von Heinrich Vl., dem Könige von England und Frankreich und Herrn von Spanien, über 19 274 Nobeln englische Münze einzufordern als Ersatz für den Schaden, den die Engländer zur See den preußischen und livländischen Untertanen des Ordens während der Regierung Heinrichs IV. zugefügt hatten, und die nach den Schuldbriefen bereits 1411 und 1412 hätten gezahlt weiden müssen. Außerdem sollte er mehrere andere gegenseitige Verbindlichkeiten preußischer und englischer Kaufleute regulieren. Die Ausführung im einzelnen wurde Benefelts freiem Ermessen überlassen, und alle seine Maßnahmen sollten vom Hochmeister und Orden unverbrüchlich gehalten weiden. Tatsächlich begegnen wir dem Braunsberger Kaufherrn im Sommer 1425 in London, wo er bei seiner ehrenvollen, aber auch schwieligen Mission mit einem Mitglied der dortigen Hansa in Auseinandersetzungen und Wortwechsel geriet.

Die wirtschaftliche Not des Ordenslandes nach der Katastrophe von Tannenberg wirkte sich naturgemäß auch auf den Seehandel der preußischen Hansa aus. Wie schwer Braunsberg, zumal nach den kostspieligen Prozeßjahren, davon mitbetroffen wurde, ist aus einem Brief des Rates vom Jahre 1425 ersichtlich, in dem er den hansischen Ratssendboten zu Marienburg erklärt, „sie vermöchten fortan nicht mehr die Tagfahrten in und außer dem Lande zu beschicken, wie sie das schon vormals oft geklagt hätten; sie bäten gar freundlich, daß ihnen die Sendboten das nicht für einen Unwillen aufnähmen; denn sie seien arm und müßten jetzt auf Geheiß ihres Herrn die Stadt (offenbar die Befestigungen) bessern." Die anwesenden Vertreter beauftragten die Herren vom Elbing, dem Braunsberger Rat zu antworten, daß man ihm die Unkosten der Tagfahrt nie erlassen habe und auch nicht erlassen wolle. Auf dem nächsten Städtetag zu Elbing (5.6.1425) lag ein Schreiben der Braunsberger vor, worin sie sich weigerten, die Beschlüsse der Marienburger Tagfahrt und den Brief der Elbinger anzunehmen; denn sie seien zu arm und könnten die Kosten nicht aufbringen, wollten auch in Zukunft die Rezesse (Veschlußprotokolle) der Schwesterstädte nicht mehr annehmen. Darüber wollten die erschienenen Sendboten in ihrem Rate sprechen und bis zur nächsten Zusammenkunft überlegen, was da nützlich zu tun sei. Offenbar stieß diese ablehnende Haltung der Stadt Braunsberg, die vom handelspolitischen Gesichtspunkt aus schwer verständlich erscheint, auf entschiedenen Widerspruch der anderen 41 preußischen Hansaplätze. Daher nahmen seit April 1426 wieder Braunsberger Ratsherren an den Städtetagen teil, baten aber, von den Zehrkosten zu auswärtigen Tagfahrten befreit zu werden, und entschuldigten öfter ihr Fernbleiben. Doch half ihnen ihr Sträuben wenig; zu der Gesandtschaft nach Dänemark i. J. 1427 mußten sie ebenso beisteuern, wie sie zu einer diplomatischen Verhandlung des Hochmeisters mit Herzog Witowd von Littauen i. J. 1428 ein Pferd für den Vertreter der Städte stellen muhten. Als i. J. 1443 der Pfundzoll wieder eingefühlt wurde, von dem die großen Städte 1/3 zur Bestreitung hanseatischer Botschaften erhalten sollten, meldeten auch Braunsberg und Kneiphof ihre Ansprüche an. Die anderen Städte wollten ihnen ihren Anteil nur unter der Voraussetzung zukommen lassen, daß sie sich verpflichteten, in Zukunft gemeinsam an den Gesandtschaftskosten „binnen und baußen Landes" zu tragen, auch wenn das Pfundgeld wieder abgeschafft würde. Das versprach Braunsberg und erhielt für 1445 und 1446 je 50 M., obwohl Danzig dagegen war.

Im Handelsinteresse sah sich die Stadt zu besonderen Aufwendungen genötigt, als i. J. 1445 infolge gewaltiger Orkane bei Pillau ein neues Tief entstanden war. Gleichzeitig begann das bisherige Tief zu versanden. Für die Schiffahrt der Städte an der Haffküste war ein freier Zugang zur See eine Lebensfrage. Deshalb wurde das neue Tief befestigt und eine Steuer der Anwohner erhoben, bis die Arbeiten vollendet waren. Noch 1450 war der Bau nicht abgeschlossen, und als der Hochmeister den Bischof, das Domkapitel und die beiden Städte Braunsberg zu weiteren Zahlungen aufforderte, fand er wenig Gehör. Die Neustädter erklärten, sie hätten nichts vom Haff, und der Bischof stimmte ihnen bei. Die Altstädter weigerten sich weiter zu zahlen, ehe die Elbinger ihre Steuer entrichtet hätten. Und Bischof und Domkapitel glaubten ebenfalls, bisher schon weit mehr aufgebracht zu haben, als ihrem schmalen Anteil „vielleicht nicht eine Meile an dem Haff" entspräche, „und ungleicher Anschlag machet unwillige Leute."

Aus jener Zeit seien zwei Erbschaftsregulierungen mitgeteilt zum Beweise für den Vermögensstand in Braunsberger Bürgerfamilien. Am 9. Februar 1431 erschien vor dem Rat Laurentius Tralaw, der nach dem Tode seiner Frau seinen drei Kindern 80 Mark guten Geldes als Muttelteil hypothekarisch übereignete. Seine Tochter Katharina sollte dazu 1 Nett, 4 Kissen, 1 Hauptpfühl (Kissen), 2 Paar Laken. 3 Handtücher. 1 Decke, 2 Tischhandtücher. 3 zinnene Kannen, 1 Messingkessel und 3 Gropen (metallene Kessel) erhalten, die beiden Söhne jeder ein Pfühl, 1 Paar Laken und 1 Kissen und, wenn möglich, 1 Bett. Außerdem sollte er die Kinder sechs Jahr lang verköstigen und kleiden, und wenn er die Tochter ausgegeben hätte, sollte er ihren Vermögensanteil in zwei Jahren auszahlen. In eine reiche Kaufmannsfamilie versetzt uns die Erbschichtung vom 6. Oktober 1431, die nach dem Tode des Jakob Kroll von seiner Witwe Barbara und den Vormündern ihrer Kinder Barbara und Jakob vor den Ratsbeauftragten vorgenommen wurde. Als Vaterteil wurden den Kindern bestimmt: 2 M. Zins auf der Reifelscheune zu Danzig nahe der St. Barbara-Kapelle, eine vergoldete Krone, ein vergoldeter Gürtel, vergoldete Pfeifenschnüre, ein vergoldeter Vorspann (Brustspange), 2 vergoldete Bretzem (Broschen) und vergoldete Knöpfe, Silberwerk von über 7 1/2 lotiger Mark Gewicht. Der Jüngste, Jakob, soll einen Fingerring von 2 Nobeln Wert erhalten; weiter ist ihm seine Mutter für einen Rock, den ihm der Vater gegeben hat, 4 M. schuldig. Die Tochter Barbara soll 2 Fingerlinge von 2 Golden Gewicht bekommen. Außerdem sollen ihnen gemeinsam zufallen: 4 englische Kannen von 14 Pfund. 5 schlichte Kannen von 22 Pf., 6 Becken und 3 Kessel von 29 Pf.. 8 Gropen und 1 Leuchter von 50 Pf., 9 zinnerne Fässer, davon 1 zerbrochen, 10 Musschüsseln, davon 2 zerbrochen, 4 Salzfäßchen und 5 Bratschapen (Bratpfannen) von 57 Pf., 6 Kissen mit Schnüren, 4 einfache Kissen, 7 drillichte Handtücher, 2 drillichte Tafellaken von 4 Ellen Länge, 1 gute Badekappe (Bademantel), 1 Paar vierschrötige Leinenlaken, 6 einfache Handtücher, 5 einfache Tafellaken, 4 Paar Bettlaken, 1 gutes Federbett mit 1 neuen Ziche (Überzug), 1 gutes Hauptpfühl mit 1 neuen Ziche, 4 neue Stuhlkissen, 1 Frauenkasten und 1 Schiffskiste. Diese Sachen mit dem Harnisch soll die Mutter in Verwahrung behalten. Weiter bleibt sie den Kindern 62 1/2 M. schuldig. Mit ihren Kindern teilt sie folgenden Grundbesitz: ihr Haus, eine Scheune mit Garten, 3/4 Speicher, 1 leere Hofstätte und ein halbes Haus in Danzig. Verschuldet ist der Besitz mit 112 M. guten Geldes.

Die unsichere außenpolitische Lage des Ordensstaates, die immer wieder abwechselnd zu kostspieligen Rüstungen gegen Polen und zu Waffenstillständen führte, die i. J. 1433 auch Verteidigungsmaßnahmen gegen die böhmischen Hussiten not­wendig machte, wobei 1 Braunsberger Fähnlein zu dem Heere des obersten Marschalls an der Weichsel stieß, sollte nach dem Willen der Stände durch den „ewigen" Frieden zu Brest i. J. 1435 ein Ende finden. Er bedeutete einen Sieg des preußisch-territorialen Ständegedankens über die Staatsidee des Ordens. 43 Das Selbstgefühl der Stände wurde dadurch um so gefährlicher gesteigert, als unerhörte Spaltungen zwischen dem Hochmeister und dem Deutschmeister, aber auch unter den ober-, mittel- und niederdeutschen Ordensbrüdern in Preußen die Autorität der Ordensaristokratie aufs stärkste erschütterten. So war es kaum verwunderlich, daß die Stände, denen es an materiellen Wünschen und Beschwerden gegen die Landesherrschaft nie gemangelt hatte, am 21. Februar 1440 zu Elbing einen förmlichen Bund gründeten zum gegenseitigen Schutz ihrer Rechte gegen jegliche Gewalt. Auf der entscheidenden Elbinger Tagung waren die Braunsberger mit ihren Ratsherren Thomas Werner und Zander von Loyden vertreten. Am 14. März wurde der Bundesvertrag zu Marienwerder von 53 Adelsvertretern und 19 Städten, darunter auch Braunsberg, besiegelt. Am 5. Mai ließen auch die Ritter, Knechte und Städte des Bistums Ermland zum Zeichen ihres Anschlusses ihre Siegel an den Bundesbrief hängen. Wenn dieser auch in der Form maßvoll gehalten war, so richtete er sich doch unverkennbar im Endziel gegen die Landesherrschaft, im Ordenslande gegen den Hochmeister, im Ermland gegen den Bischof.

Bischof Franz Kuhschmalz von Rößel war während einer schweren Pferdeseuche, die ihm bis zum 20. Juli 1430 83 Pferde gekostet hatte, mit seinem ganzen Hofe vorübergehend nach dem Braunsberger Schloß übergesiedelt, da „der große Gestank" der verendeten Tiere ihn von Heilsberg verscheucht hatte. Er nannte sich übrigens oft nach seiner größten und bekanntesten Stadt Bischof „zum Brunsberge", wie es auch seine Vorgänger vielfach getan hatten. Das Verhältnis zur Passargestadt verschlechterte sich zusehends, als nach dem Abschluß der ständischen Einung Braunsberg die Führung der Bistumsopposition übernahm. Auf dem Städtetag zu Marienwerder vom 24. August 1440 äußerten die Sendboten der anderen Städte auf eine Anfrage der Braunsberger ihre Ansicht dahin, daß diese befugt seien, die Mannschaft und die Städte des Stiftes gemeinsam einzuberufen und mit ihnen über ihre Anliegen zu beraten; nach Ermessen sollten sie das Nötige ihrem bischöflichen Herrn vortragen und dessen Bescheid dem nächsten allgemeinen Landtag mitteilen. Zugleich versprachen die Städte, den Braunsbergern in ihren rechtfertigen Sachen hilfreich beizustehen.

Eine solche Auffassung offenbarte unverhüllt die Machtansprüche der Stände, bedeutete zweifellos trotz der einschränkenden Betonung des Rechtsstandpunktes eine grundsätzliche Bedrohung der Hoheitsrechte des Bischofs; dieser aber war nicht gewillt, sich seine überkommenen Machtbefugnisse kampflos entwinden zu lassen. Der oppositionelle Geist des Ständetums erwies sich gesinnungsverwandt mit den Bauernunruhen, die damals im Ermland zum Ausbruch gekommen waren. Domkapitulärische Bauern des Kammeramtes Mehlsack verweigerten ihrer Herrschaft Scharwerk und alle Leistungen, die nicht in ihren Dorfhandfesten verzeichnet waren; und nach der glaubhaften Versicherung des Chronisten Plastwich wurden sie von den Braunsbergern in ihrer Haltung beraten und bestärkt. Das Domkapitel, das z. V. das sog. Wartgeld im Interesse der preußischen Landesverteidigung erhob und bei dem Rückgang der Einnahmen infolge Geldentwertung sich unter dem wachsenden Einfluß römisch-kanonischer Rechtsanschauungen zur Forderung gelegentlicher Frondienste berechtigt glaubte, wandte sich beschwerdefühlend an den Bischof, und als dessen Vermittlungsversuche scheiterten, an den Hochmeister. Dieser wagte den Streitfall nicht selbständig abzuurteilen, sondern verwies ihn an den ständischen Elbinger Richttag vom 15. Juni 1441, wo 16 Schiedsrichter erkannten, daß das übliche Scharwerk weiter zu leisten sei, das ungewöhnliche aber fortfallen solle. Ermutigt jedoch von oppositionellen Zusprüchen aus ständischen Kreisen lehnten die Führer der Rebellion nachträglich das Urteil ab und suchten durch Versammlungen ihre aufsässige Gesinnung weiter zu verbreiten. Erneute Verhandlungen führten zu keinem Ergebnis, ja Benedikt von Gayl erklärte als Sprecher der Unzufriedenen, sie würden im Falle der Gewalt nicht allein stehen. Da entschloß sich Bischof Franziskus zur Strenge; er lud sie zum 22. Dezember 1441 nach Braunsberg und drohte ihnen an, falls sie sich nicht dem Elbinger Spruch fügen wollten, müßte er sie „nach Rechte mit dem geistlichen oder weltlichen Schwert dazu halten." Als sie nach einer Bedenkfrist nach Heilsberg vorgeladen, bei ihrer trotzigen Haltung verharrten, ließ der Bischof 46 Rädelsführer, Schulzen und Bauern, festnehmen und ins Gefängnis werfen. Gegenüber diesem energischen Vorgehen und den Vorbereitungen des Ordens zu bewaffneter Hilfe, legte sich der Braunsberger Rat mit dem Adel und den Städten des Bistums ins Mittel; die Bauern baten um Gnade und fügten sich endlich dem Urteilsspruche, den der Bischof in Gegenwart ständischer Vertreter, darunter der Braunsberger Ratmannen Hans Slepstange und Hans Truntzmann, am 5. Februar 1442 in Heilsberg fällte, und der das Elbinger Erkenntnis aufrecht erhielt und um weitere Bestimmungen verschärfte. 45

So war dieser erste Versuch oppositioneller Selbsthilfe niedergeschlagen, aber er war ein bedenkliches Symptom des Zeitgeistes und schon ein Vorspiel schlimmerer Machtkämpfe.

Das Versteifen auf dem geschriebenen Recht der Handfeste, das die tatsächliche Entwicklung der Rechtsverhältnisse zwischen Landesherrschaft und Untertanen in den verflossenen anderthalb Jahrhunderten, zumal in den letzten Jahrzehnten des Niederganges übersah, war offenbar der Grund der Solidarität zwischen den aufsässigen Bauern und den sympathisierenden Braunsbergern. Ungefähr gleichzeitig geriet die Stadt aus derselben Ursache in einen heftigen Streit mit Bischof Franz. Auf dem Elbinger Ständetag vom 8. Juni 1444 klagten die Braunsberger Ratsboten Klaus Weise und Johann Beszele, daß sie wegen ihres Stadtprivilegs von ihrem Landesherrn bedrängt würden und vor das Konzil vorgeladen werden sollten. Die Vertreter der anderen Städte erwiderten, falls die Braunsberger sich wegen der Ladung mit dem Herrn Bischof nicht in Freundschaft vertragen könnten und etwa Überfall und Gewalt erleiden sollten, so würden sie ihnen nach Ausweis des Bundesbriefes Beistand leisten. Trotzdem suchten Braunsberger Sendboten die Ritterschaft des Kulmerlandes und die Räte von Kulm und Thorn auf und baten sie um Hilfe, daß sie nicht „in ihrem Privileg überwältigt" würden. Diese lichteten alsbald ein Schreiben an den Hochmeister, er möge bei dem Bischöfe vermitteln, daß die Sache nicht aus dem Lande komme. Vom Hochmeister befragt, erklärte Bischof Franziskus, die Braunsberger täten ihm Unrecht, wenn sie ihm vorwürfen, er halte niemand sein Privileg wie ein Tyrann. Er halte sich an die Urteile, die laut versiegelten Briefen vor langen Jahren in Streitfällen zwischen seinen Vorgängern und ihnen gesprochen worden seien, über die sie sich hinwegsetzten. Da sie sich auf keine schiedsrichterliche Entscheidung einlassen, sondern in ihrer Sache selbst Richter sein wollten, habe er die Vorladung betreiben müssen. An ihm solle es nicht liegen, daß die Sache im Lande bleibe.

Wir kennen nicht den unmittelbaren Anlaß dieses Privilegienstreites, auch nicht die Einzelheiten des weiteren Verlaufes. Vermutlich erreichte Hochmeister Konrad von Erlichshausen, der die grundsätzliche Ablehnung der zersetzenden Ständepolitik durch den ermländischen Bischof wohl zu schätzen wußte, zunächst eine Vertagung des verbitternden Prozesses: Bischof Franz erkannte jedoch immer klarer, daß der preußische Bund, ein Staat im Staate, „wider alles göttliche und natürliche Recht, gegen päpstliche und kaiserliche Ordnungen und Gesetze" sei. Dieser Auffassung glaubte er aus seiner oberhirtlichen Verantwortung heraus auf der Elbinger Ständeversammlung im April 1446 offenen Ausdruck geben zu sollen, erregte dadurch aber den heftigsten Unwillen der Bundesmitglieder, die sich in ihrer Ehre schwer gekränkt fühlten.

I. J. 1448 führten die Braunsberger erneut beim Hochmeister Beschwerde, daß der Bischof ihre städtischen Rechte und Freiheiten immer mehr zu beschränken suche und sie bereits sehr darin beeinträchtigt habe. Der Bischof stellte dagegen diese Vorwürfe in Abrede und behauptete, die Braunsberger täten den Gerechtsamen seiner Kirche täglich mehr Abbruch, während er noch keines ihrer Rechte auch nur um einen Buchstaben verkürzt habe. In diesem hartnäckigen Streit wollte Bischof Franz die Braunsberger nach Rom vorladen lassen, nahm aber auf Wunsch des Hochmeisters davon Abstand, und erklärte sich zum Entgegenkommen bereit. Aber da die Braunsberger die Bundesstädte Kulm, Thorn und Elbing in den Streit hineinzogen, scheiterte die Annäherung. Weiter schlug Bischof Franz Schiedsrichter, darunter den Hochmeister, vor; allein die Braunsberger lehnten diese ab, ebenso jeden anderen Weg des Ausgleichs, obwohl man ihnen sogar das nötige Geld zur Verfolgung des Rechtsganges anbot. So prallten alle Versöhnungsversuche des Bischofs, alle Ermahnungen des Hochmeisters an dem unbeugsamen Rechtsstandpunkt der Braunsberger ab. Bevor die Stände im April 1450 dem neuen Hochmeister Ludwig von Erlichshausen huldigten, trugen sie alle möglichen Beschwerden vor. Von Braunsberg waren Czander von Loyden, Johann Bayseman und Johann Slepstange anwesend. Sie baten den Hochmeister, er möge sie in ihren Privilegien, Freiheiten und Rechten gegen ihren Herrn Bischof beschützen. Ludwig antwortete, Bischof Franz sei mit einem Schiedskollegium aus dem Hochmeister und von diesem bestimmten Vertretern der Prälaten, Ordensgebietiger, des Landadels und der Städte einverstanden und wolle sich deren Entscheid fügen, ohne zu appellieren, sei auch bereit, das schriftlich zu geben. Damit waren aber die Braunsberger nicht zufrieden, weil sie fürchteten, daß diese Schiedsmänner zu Gunsten des bischöflichen Landesherrn erkennen würden, und daher machte sich der Bannerführer des Kulmer Landes Johann von Czegenberge zu ihrem Dolmetsch, indem er in bitteren Worten ausführte, der Hochmeister solle den guten Leuten helfen, daß sie endlich zur Ruhe kämen. Sie hätten ihre Privilegia, darinnen die Stadtgrenzen und ihr Hufenzins aufgezeichnet seien. In diesen Rechten habe sie der Hochmeister als Beschirmer dieser Lande zu 47 schützen. Der Bischof wolle den Fall ins geistliche Gericht ziehen, die Stände verlangten aber, daß er im Lande bleibe. Und Czegenberg schloß mit der Versicherung für die Braunsberger: „Wir wollen sie nicht lassen mit Gelde, mit Leibe und mit Gute, sollte es vielen den Hals kosten". Und auf seine Frage, ob die anwesenden Vertreter von dem Landadel und den Städten mit seinen Worten einverstanden seien, antworteten sie „mit gemeiner Stimme": „Jo, jo, jo!"

Während sich die gegenseitige Erbitterung steigerte, erschien auf  Veranlassung des Bischofs Franziskus auf dem Elbinger Ständetag vom Dezember 1450 der päpstliche Legat Ludwig de Selves, um den ständischen Bund, sofern er gegen den Christenglauben verstoße, unter Anwendung der schwersten kirchlichen und weltlichen Strafen aufzuheben. Der Hochmeister sah sich zu einer vermittelnden Haltung gezwungen, um bei dem geschlossenen Widerstand der Bundesführung einen sofortigen Bruch zu verhindern. Auch der römische König und die Kurfürsten mahnten in wiederholten Schreiben zur Aufhebung des ungesetzlichen Bundes. Die Mehrzahl der Mitglieder aber scharte sich um so trotziger um ihre Einung, die ja bei ihrer Gründung die Duldung des Ordens gefunden hatte, richtete um so leidenschaftlicher ihren Haß gegen den ermländischen Bischof, dem man die Hauptschuld an dieser Entwicklung zumaß, der sich zu der Äußerung hinreißen ließ, was er getan habe, habe er auf die von Braunsberg getan. Dabei trieb der Machtkampf um die landesherrliche Autorität oder die ständische Autonomie seiner gewaltsamen Entscheidung entgegen. Auf dem Marienwerderer Ständetag vom August 1452 beschlossen die Stände eine Gesandtschaft an Kaiser Friedrich III., um vor ihm den Bund zu rechtfertigen. Braunsberg mußte dazu 200 M. auslegen, Königsberg 400, Elbing 600, Danzig 1000 M. Wählend am Wiener Hofe der Prozeß schwebte, entbrannten in Preußen die Parteileidenschaften immer wilder, spannen die Bundesführer Fäden nach Polen, ob man dort für alle Fälle auf Hilfe rechnen dürfe. Zur Deckung der hohen Prozeßkosten scheuten die Bundesmitglieder nicht vor materiellen Opfern zurück. Eine Steuerliste vom März 1453 für Bundeszwecke führt in der Altstadt rund 500 Zensiten auf, dazu 29 aus den drei Stadtdörfern und 9 von den Stadtgütern. Eine Bundesversammlung in Braunsberg im August sollte dazu dienen, Schwankende zu festigen, erzielte die Zusage fühlender ermländischer Ritter, „daß der Kirche Land wolle lebend und tot bei dem Bunde bleiben." Braunsberg selbst gehörte zu den entschiedensten Anhängern des Bundes, mußte aber schon am 13. Dezember den in Thorn versammelten Genossen bekennen, daß wegen der bisherigen Aufwendungen für die gemeinsame Sache die Stadt „zu unüberwindlichem und merklichem Schaden" gekommen sei, und daß diese Ausgaben „nach ihrem höchsten Vermögen über ihre Macht" gingen und ihr in Zukunft „sehr zu schwer" werden würden. Die mit dem Ratskumpan Johann Kale übersandten 100 M. Beisteuer hätten sie „mit großer Müh und schwerer Sorgfältigkeit aufgenommen, da sie an Geld sehr schwach seien." Im übrigen erklären sich die Ratmannen in unverbrüchlicher Treue mit den allgemeinen Beschlüssen einverstanden.

Inzwischen hatte am 1. Dezember das kaiserliche Gericht den Bund als ungesetzlich verurteilt, und Bischof Franziskus, der als Ordensgesandter am Kaiserhofe weilte, sah sich am Ziel seines politischen Strebens. Die Kunde von dem Verbot der Einung entfesselte aber in Preußen den Aufstand. Am 4. Februar 1454 sagten Ritterschaft und Städte des Bundes dem Hochmeister „um vieler Gewalt und Unrechts willen" die Huldigung auf, und der Absage folgte in wenigen Tagen die Erstürmung der Ordensburgen durch die Bündischen. Dieser Geist der Empörung erfaßte auch das Ermland. Als erste machten die Braunsberger ihrer lange verhaltenen Wut Luft, stürmten das bischöfliche Schloß, raubten es aus, brachen die hohe Mauer mit ihren Türmen nach der Stadt zu, die ihre Vorfahren zur Strafe hatten aufführen müssen, plünderten die bischöflichen Mühlen (die heutige Große und Kleine Amtsmühle) und setzten sich in ihren Besitz. Ja, sie streckten ihre Hand auch nach den Gütern der Frauenburger Domherren aus; da erklärten diese, um das Äußerste zu vermeiden, ihren Beitritt zum Bunde. Schon hatte der Rat der Gemeinde einige Faß Bier gespendet und die Trunkenen angestachelt, einen Angriff auf Frauenburg zu machen, als die Kunde von dem Anschluß des Kapitels diesem Unternehmen Einhalt gebot. Dafür wurde jetzt die entfesselte Volksmut auf ein anderes Ziel gelenkt. Nach den Worten des Chronisten Plaßwich zog der Pöbel gleich sinnlosen wilden Tieren durch das entgegengesetzte Tor gen Balga, nahm das Schloß, raubte es aus und ließ einige Gebäude in Flammen aufgehen. Am 14. Februar kündeten Land und Städte des Ermlandes ihrem Bischof in aller Form Eid und Huldigung auf und begründeten ihre Tat hauptsächlich mit der Parteinahme des Bischofs für den Orden.

Inzwischen hatten die angesehensten Bundesmitglieder, unter ihnen auch der Braunsberger Ratsherr Kale, in verhängnisvoller Untreue und blinder Eigensucht mit König 49 Kasimir in Krakau verhandelt und ihm die Oberherrschaft über das preußische Land angetragen. Deutsche Zwietracht und Würdelosigkeit boten dem polnischen Nachbarreich die günstigste Gelegenheit, seinen Ausdehnungsdrang zur Ostsee zu befriedigen. Schon am 22. Februar erklärte König Kasimir als Bundesgenosse der Stände dem Orden den Krieg und vollzog nach mancherlei Zugeständnissen an deren Sonderinteressen am 6. März die Einverleibung der preußischen Lande in sein Reich.

Ende Mai erschien der Polenkönig in Preußen, um die Huldigung der Stände entgegenzunehmen. Am 8. Juni gelobten auch die ermländischen Stände und, dem bündischen Zwange nachgebend, das Frauenburger Domkapitel, sich nie von der Krone Polens zu trennen. Nur Bischof Franz, der in Marienburg seine Zuflucht gefunden hatte, stand auch in dieser kritischen Zeit in unverbrüchlicher Treue zum Orden. Wie sehr eigennützige Motive die Stände in ihrer Haltung bestimmten, ist auch aus Braunsbergs Forderungen ersichtlich, die es damals dem Polenkönig unterbreitete. Zunächst verlangte es eine bedeutende Erweiterung seines Grundbesitzes auf dem rechten Passargeufer bis zur Mündung der Bahnau, weiter bis Wermten, Birkenau, Waltersdorf, Rehfeld, Hohenwalde, Schönlinde und Vogelfang. Alle Dörfer, Höfe, Wälder, Mühlen, Wiesen und sonstigen Nutzungen innerhalb dieser Grenzen sollten fortan mit den kleinen und großen Gerichten zu den bis­herigen Rechten dem städtischen Territorium einverleibt werden. Weiter forderten die Ratsherren die Fischereigerechtigkeit, die bisher dem Dorfe (Alt-) Passarge zugestanden hatte, und ebenso freie Fischerei in den Balgischen Gewässern mit allerlei Gezeuge. Endlich wünschten sie das Besitzrecht der bischöflichen Korn- und Walkmühlen bei der Stadt, die sie sich tatsächlich bereits angeeignet hatten. Als Gegenleistung versprachen sie Sr. Königlichen Gnaden einen Hof zu Einsiedel zu halten und dort bei seinen Reisen einen Tag und eine Nacht „Station" zu geben, auch ihm „der Gaben halber" dienstpflichtig zu sein, obwohl sie vorher „nie pflichtig gewesen seien zu dienen."

Der Braunsberger Rat war also im Fordern nicht blöde, dabei kam es ihm auf ein paar Unrichtigkeiten nicht an, wie daß die Bahnau von der Passarge eine halbe (statt einer ganzen) Meile entfernt sei, daß die Bürgerschaft früher nie dienstpflichtig gewesen sei. Er hielt außerdem das Schicksal des Ordens für besiegelt, so daß auch er seinen Anteil an der Beute sich sichern zu sollen glaubte. Für die großen Geldopfer, die ihm schon der bisherige Kampf im Bunde gekostet hatte, glaubte er die erstrebte Belohnung verdient zu haben. Aber König Kasimir hütete sich, die übertriebenen Forderungen der Städte zu bewilligen. Abgesehen davon, daß er sich seines Sieges noch längst nicht sicher fühlte, hatte er auch Bedenken, das Machtbewußtsein der großen Städte ins Gefährliche zu steigern. Deshalb war es für den Braunsberger Rat eine herbe Enttäuschung, als die königlichen Räte über seinen Wunschzettel mit freundlichen Worten hinwegglitten.

Da der Orden zur Verteidigung seiner Hoheitsrechte und Ehre entschlossen war, sahen sich die Bündner zur Anwerbung von Söldnern genötigt, und diese kosteten schwerere Steuern, als jemals der Orden verlangt hatte. Bis diese beigetrieben waren, mußten die Städte Kapital vorschießen. Auf der Graudenzer Bundestagung vom 13. Juli 1454 wurde dazu die Altstadt Braunsberg mit 2000, die Neustadt mit 200 M. taxiert, Wormditt, Heilsberg und Rößel sollten je 600, Guttstadt, Seeburg und Allenstein je 200, Mehlsack und Frauenburg je 100 und Bischofstein 50 M. aufbringen. Weitere interessante Vergleichszahlen bieten die Taxen von Danzig. das mit 10000, Königsberg und Kneiphof, die mit insgesamt 7000, und Altstadt und Neustadt Elbing, die diesmal nur mit 2 200 M. wie Braunsberg veranschlagt waren.

Inzwischen hatten bündische Truppen Marienburg belagert, und auch Braunsberg hatte dazu die Besoldung von 70 Reisigen und 80 Trabanten fast ein halbes Jahr hindurch übernommen. Der Sieg des Ordens bei Konitz (18. 9. 1454) über das polnische Heer veranlaßte aber die Belagerer zu wilder Flucht. Sogleich trat wieder ein Umschwung zugunsten des Ordens ein, aber die dauernde Geldnot, die den Hochmeister bald darauf sogar zur Verpfändung seiner Residenz und aller anderen Burgen und Städte an die böhmischen Soldtruppen veranlaßte, ließ den Krieg in eine Reihe kleiner Einzelunternehmungen zerfließen.

So stießen Ordenstruppen des Elbinger Komturs Heinrich Reuß von Plauen bei ihrem Überfall auf Frauenburg um den 11. Dezember bis Braunsberg vor, „peinigten, marterten und brandschatzten" die „armen Bürger" außerhalb der schützenden Stadtmauern und nahmen ihnen ihr Vieh, woraus der Gemeinde ein Schaden von 8000 M. erwuchs. Ihren Gesamtschaden aus dem ersten Kriegsjahre berechneten die Braunsberger mit rund 37 000 M. Dabei waren sicherlich auch die Löhnungen für die böhmischen Söldner einbegriffen, die die Verteidigung der Stadt gegen den Orden durchführen sollten 51 und sich rasch zu einer schrecklichen Plage für die Bevölkerung entwickelten.

Am 10. April 1455 erschien der Ordensspittler Heinrich von Plauen wieder vor Braunsberg und verlangte mit den Bürgern zu reden und ihre Meinung zu hören; doch diese lehnten jede Verhandlung von vornherein ab. Da ließ der Komtur seine Reiter absitzen und erlief mit ihnen zu Fuß die Neustadt. Sie erschlugen dabei etwa 30 Mann und nahmen ihrer wohl 20 fest, darunter den Altstädter Ratsherrn Beckmann und den Bürgermeister und Stadtschreiber der Neustadt; andere Bürger der Neustadt flüchteten über die Passarge in die Altstadt. Um dem Feinde nicht die Mühle mit ihren Vorräten in die Hände fallen zu lassen, liefen einige Altstädter über den Fluß und ließen sie in Flammen aufgehen. Da rächte sich der Komtur, indem er die Neustadt nebst der Vorstadt „in die Grund brannte."

Seit der ersten Hälfte des Js. 1455 lag als Führer der böhmischen Söldner John Schalski oder von Walstein auf dem Braunsberger Schloß, zu dessen ersten hiesigen Heldentaten die Teilnahme an einer Racheaktion des Bundes an dem Frauenburger Domkapitel gehörte; in hussitischem Kirchenhaß tobte sich die rohe Soldateska an den Heiligtümern und Kunstschätzen des hehren Domes aus. Da gegenseitige, erbarmungslose Plünderungen und Brandschatzungen jenem unseligen Bürgerkriege das Gepräge gaben, wundern wir uns nicht, wenn die Söldner des zum Bunde haltenden Braunsberg bald zu Streifzügen gegen Ordensstädte ausrückten, bald wieder zur Verteidigung der von Ordensscharen angegriffenen Garnisonstadt bereit sein mußten. Mitte August 1455 machte ein Ordenstrupp unter dem Heiligenbeiler Hauptmann Siegfried Flach von Schwarzenberg einen Vorstoß gegen die Braunsberger, nahm ihnen 60 ausländische Trabanten mit gutem Gerät ab und erschlug ihrer 20. Anfang Mai 1456 richteten dafür die Braunsberger einen Beutezug nach Heiligenbeil, fingen dort das Vieh fort und trieben es weg. Da aber eilte ihnen die Ordensbesatzung der Stadt nach, nahm ihnen den Raub ab, fing 83 böhmische Fußknechte mit gutem Geräte; die aber Preußen waren, die schlug sie alle tot und gab keinen Pardon. Wenige Tage später, am 7. Mai, fielen 5 Reisige der Passargestadt einem Ordenstrupp in die Hände, der auf dem Marsch nach Heiligenbeil war. Am 7. Juli machten die Heiligenbeiler wieder einen Plünderungszug nach Braunsberg, verwüsteten die Felder und erbeuteten Vieh. Um dieses zu retten, machten die Einwohner einen Ausfall, der aber kläglich zurückgeschlagen wurde. 30 von ihnen fielen, 77, darunter 45 Bürger, gerieten in Gefangenschaft; auch 20 gesattelte Reitpferde gingen ihnen verloren. Ebenso mißglückte Ende Juli ihr Versuch, den Ordenstruppen, die nach der Brandschatzung von Tolkemit 50 Wagen mit Beute gen Heiligenbeil entführten, ihren Raub beim Übergang über die Passarge abzujagen. In einem Hinterhalt überfiel sie der Heiligenbeiler Söldnerführer Vollel Roder mit 500 Pferden und nahm ihnen 80 Gefangene ab.

Wenn diese Verlustziffern auch meist den Berichten der Sieger entstammen und daher wahrscheinlich oft übertrieben sein mögen, so beweisen sie doch, daß die Braunsberger Besatzung entsprechend der Bedeutung der Passalgestadt für den Bund nicht unbeträchtlich gewesen sein kann, und daß auch die wehrhafte Bürgerschaft in den erbärmlichen Kleinkrieg hineingezogen wurde. Als der Kommandant Schalski mit seinen Söldnern in der Stadt eingerückt war, da hatte er in Gegenwart des Rates, der ganzen Gemeinde und der Gewerke auf dem Rathause bei Treu und Ehren gelobt, die Stadt zu beschirmen und einen jeden bei seinen Gerechtigkeiten zu belassen. Alles, was er und seine Leute kaufen, leihen und borgen würden, das wollten sie zur Genüge bezahlen, zumal er glaubte, nicht lange am Orte zu verbleiben. Aber die vertrauensselige Bürgerschaft sollte in kürzester Frist merken, welch wilder Soldateska sie sich überantwortet hatte.

Wider alle Versicherungen bemächtigten sich die Böhmen mit bewaffneter Hand des Rathauses und beherrschten von hier die Stadt, „wie es sich die guten Braunsberger selbst in ihren bösesten Träumen nicht hatten beifallen lassen. Sie, die den Bischöfen, ihren Landesherren, gegenüber von so reizbarer Empfindlichkeit gewesen waren, wo es, wenn auch nur in ihren aufgeregten Köpfen, ihr lübisches Stadtrecht galt, mußten nun zu ihrem Entsetzen sehen, in welch sonderbarer Weise Schalski und seine Getreuen dieses ihr gutes lübisches Recht auslegten. Mit einer gewissen Virtuosität setzten sie ehrsame Hausbesitzer, deren Heimwesen ihnen gefiel, auf die Straße, erschlugen sie, vergewaltigten ihre Hausfrauen, hielten regelrechte Schießübungen ab auf friedlich ihres Weges gehende Bürger, spran­gen den Bauern in den Bierbottich oder warfen tote Kälber und Katzen hinein. Einbrüche und Diebstähle bei Tag und bei Nacht waren etwas Gewöhnliches, und wehe demjenigen, der ihnen dabei wehren wollte; er konnte froh sein, wenn er mit dem Leben davonkam. Ein Ansehen der Person kannten sie nicht. Ob sie einen gewöhnlichen Bürgersmann oder einen Ratskompan vor sich hatten, galt ihnen gleich, und wollten 53 einmal die Stadtknechte, die Polizei also, eingreifen, dann kam es wohl zu regelrechten Straßenkämpfen, wobei natürlich die Böhmen Sieger blieben.

Noch ärger hausten sie im äußern Stadtgebiet. Aus bloßer Freude am Zerstören rissen sie in der Stadtfreiheit den armen Leuten die Häuser ein, hieben die Bäume nieder, schleppten, was ihnen des Mitnehmens wert schien, weg und töteten, was ihnen vor die Klinge kam. Auf Jahre hinaus legten sie hier jede gedeihliche Tätigkeit lahm und beraubten die Braunsberger der reichen Einkünfte, die sie sonst aus ihrem Stadtacker zogen. Und nicht genug damit, wußten die Söldner auch nach außen hin ihre Quartiergeber in Mißkredit zu bringen. Indem sie den verbündeten Elbingern und Danzigern auf dem Haffe auflauerten, sie überfielen, ihrer Waren beraubten, trieben sie diese den Braunsbergern gegenüber zu Vergeltungsmaßnahmen. Es kam so weit, daß die letzteren mit ihren Schiffen nicht ohne Geleit in den Hafen von Danzig einlaufen durften, infolgedessen oft Tage lang am Danziger Haupte liegen blieben und dann von den Feinden festgehalten wurden, woraus ihnen gleichfalls großer Schaden erwuchs. Und das alles mußten die sonst so trotzigen und aufsässigen Bürger der stolzen Hansestadt, wenn auch mit Wut und Grimm im Herzen, geduldig über sich ergehen lassen. All ihr Klagen und Bitten bei Schalst!, seinen Anwälten und edelsten Hofleuten, all ihr Hinweisen und Berufen auf ihr gerühmtes lübisches Recht verschlug nichts, weckte nur Hohn und Spott. Womit sie gesündigt hatten, damit wurden sie bestraft" . . . (Röhrich, Ermland im dreizehnjährigen Städtekriege.)

Auf nicht weniger als 180000 ungarische Gulden und 27 903 preußische Mark berechneten die Braunsberger den Gesamtschaden, den sie durch Schalski und seine Spießgesellen erlitten hatten. Aber mit diesen ungeheuren wirtschaftlichen Verlusten und bürgerlichen Verdemütigungen war für sie das Kriegsleid noch längst nicht erschöpft. Die städtischen Führer hofften freilich auf ein baldiges Ende und mahnten zum unverzagten Durchhalten, da ihrer guten, gerechten Sache, an die sie noch immer glaubten, der endliche Triumph gewiß sei. Die einfachen Bürger jedoch, die Handwerker, Ackerbürger, Tagelöhner, fühlten je länger, um so empfindlicher, in welches Elend sie die hohe Politik der verantwortlichen Ratsherren hineingesteuert hatte, daß die gute alte bischöfliche Zeit ein Paradies war gegen die brutale Herrschaft der fremden Soldateska.

Inzwischen verlangte das konsequente Festhalten am Bunde weitere schwerste Opfer. Der Ratsmann Johann Sleppestange gehörte zu der ständischen Gesandtschaft, die um die Wende 1455/56 vom polnischen König in Thorn die Erlaubnis zu Landessteuern erwirkte, um sich für ihre Kriegsauslagen zu entschädigen. Auf der Elbinger Tagfahrt vom 19. und 20. April 1456 war Braunsberg durch 5 Abgeordnete vertreten: Johann Trunzmann, Bayser (Baysemann?), Sleppestange, Frenzel Scharff und Hans Gerle. Einmütig beschloß man eine Reihe tariflich geregelter Warenkaufs- und Verkaufssteuern sowie eine Vermögensabgabe, um damit den Ordenssöldnern die verpfändete Marienburg und andere Schlösser abzukaufen. Einige Tarifsätze betrafen ausdrücklich den Braunsberger Handel. So wird die Ausfuhr von Flachs, Leinwand, Garn, Hopfen, Mehl, Korn und allerlei sonstigem Getreide, Erzeugnissen des ermländischen Hinterlandes, nach Danzig und anderen Städten besteuert, auffallenderweise auch von Eisen, Blei, Kupfer, Stahl und Zinn, die offenbar als Durchgangsgüter aus weiter Ferne den Braunsberger Hafen berührten. Aus Danzig wurden damals Salzheringe und Öl eingeführt und teilweise wieder exportiert. Der nicht unbedeutende Weinhandel führt als die gangbarsten Sorten Gubener, Rheinwein, romanischen (spanischen) und Malvasier auf.

Als die einkommenden Steuerbeträge noch nicht ausreichten, um die Söldnerforderungen zu befriedigen, sah sich der Elbinger Ständetag vom 14. November zu einer neuen Taxe gezwungen, die Braunsberg mit 2000 ungarischen Gulden belegte. Wenn damals selbst Wormditt mit 2150 Gulden veranschlagt wurde, so ist das ein Beweis für die auch von den Ständen anerkannte Verarmung Braunsbergs. Aber auch diese Summe vermochte die Passargestadt nicht mehr aufzubringen, so daß Danzig für sie eintreten mußte. Nunmehr, als die böhmischen Söldner ihre ausbedungenen Zahlungen erhalten hatten, übergaben sie den bündischen und polnischen Beauftragten die Schlüssel des Schlosses und der Stadt Marienburg. Ludwig von Erlichshausen mußte die ruhmvolle Hochmeisterresidenz verlassen, und König Kasimir hielt am 8. Juni 1457 in diesem Brennpunkt deutscher Macht und Kultur seinen Einzug....

Wenn die Bundesführer gehofft hatten, jetzt würde das verheerende Ringen schnell ein Ende nehmen, so wurden sie schwer enttäuscht. Aber auch darin erlebten sie eine harte Ernüchterung, daß die königliche Belohnung für ihre gewaltigen finanziellen Leistungen als Erfüllung ihrer Sonderwünsche ausblieb. Seit Anfang Mai lassen sich im Gefolge des Königs 55 die Braunsberger Gesandten, Bürgermeister Trunzmann und der Ratsherr Benedikt von Schönwiese, nachweisen. Sie wurden nicht müde, ihren bischöflichen Landesherrn anzuklagen, daß er 28 Jahre lang und darüber ihre Gemüter erregt und ihre Rechte angetastet habe und daß ihnen die Verteidigung ihrer Privilegien und der jetzige Kampf um ihre Freiheiten ungeheure Opfer gekostet habe. Daher erneuerten sie, diesmal in lateinischer Sprache, ihre Wünsche, die sie schon vor drei Jahren erhoben hatten, ließen manche fort und fügten andere hinzu. Frei wollten sie sein von allem Zins; sämtliche Gerichtsbußen aber wollten sie zum Nutzen der Stadt verwenden. Weiter beanspruchten sie die große Amtsmühle und die Walkmühle mit ihrem Zubehör, sowie folgende andere bischöfliche Besitzungen in ihrem Weichbilde: die Badestube, die Güter Gr. Klenau, Rosenort und die Höfe eines gewissen Beckmann (Ratsherrn?) zusammen mit dem Dörfchen Kl. Klenau, die ihnen alle von den Bischöfen mehr durch Gewalt als durch Geld entfremdet worden seien. Ferner verlangten sie das Eigentum des von der Bundessache abgefallenen Ritters Segenant von Rossen, nämlich die Güter Rossen, Hammersdorf und seinen Anteil am Dorfe Regitten. Aus dem Balgaer Gebiet begehrten sie die benachbarten Dörfer Grunau, Grunenfeld mit der dortigen kleinen Mühle, den Damerau-Wald, Vogelfang und die beiden Höfe eines Kneto Rodaw, schließlich das Dorf Alt-Passarge, in dem nur Fischer und Gärtner säßen, mit der Fischereigerechtigkeit und der Hälfte der Wiesen, die um den sog. Fuchsberg an die Stadtgemarkung grenzten. Von den Landforderungen d. J. 1454 haben die Bittsteller inzwischen erhebliche Abstriche gemacht. Zum Ausbau und zur Unterhaltung des Bollwerks an der Passargemündung wünschten sie freie Holzung in den nahen Wäldern und Überlassung der Steine und des Strauchwerks am Strand, weil die Anlage nicht ihnen allein, sondern dem ganzen Lande zu nutze komme. Schließlich wiederholten sie ihre Bitte um freie Fischerei im Balgaer Gewässer mit allen Gezeugen zum gemeinsamen Nutzen der Stadt, ebenso um die volle Gerichtsbarkeit in den genannten Gütern und das freie Besitz- und Verfügungsrecht. Als Gegenleistung für die erwartete Schenkung versprachen die Braunsberger erneut dem Könige Quartier in Einsiedel oder sonst das zu leisten, wozu sich ihre Abgesandten verpflichten würden.

Aber alles Klagen und Bitten war umsonst. Der König zeigte sich „sehr hart", Gnaden zu bewilligen; nur dann wollte er sich zu Schenkungen oder Verleihungen verstehen, wenn ihm jemand darauf Geld liehe. Wo aber sollte Braunsberg bei leinen leeren Kassen das herbekommen? Allmählich mußte auch dem Rat die Erkenntnis aufdämmern, daß er sich arg verrannt hatte, als er Trugbildern folgend die Treue zu dem angestammten bischöflichen Herrn gebrochen hatte; aber der Starrsinn der Unentwegten, der Druck der böhmischen Besatzung verwehrten noch einen politischen Frontwechsel.

Bischof Franz war zwei Tage, nachdem König Kasimir von der Marienburg Besitz ergriffen hatte, hochbetagt in Breslau verstorben, bis an sein Ende ein unbeirrter Vorkämpfer der rechtmäßigen Landesherrschaft gegen die zersetzenden Machtgelüste des ständischen Bundes. Nach dem kurzen Episkopat des berühmten Humanisten Kardinals Enea Silvio Piccolomini, der schon im August 1458 als Pius II. den päpstlichen Thron bestieg, wurde Paul von Legendorf mit der Verwaltung des erledigten Bistums betraut. Vom Papste dem Hochmeister und Polenkönig empfohlen, suchte er seinem Lande die Neutralität zu sichern und einen „christlichen Beifrieden" zu erwirken.

Während dieser Jahre dehnte Schalski mit beschlagnahmten Schiffen der Braunsberger Reeder seine Raubzüge auf das Haff aus. Im Juli 1457 segelte er im Verein mit den Elbingern gen Balga, um Vieh zu erbeuten. Bei der Verfolgung durch 8 Schiffe der Balgaer und Heiligenbeiler entwickelte sich ein hitziges Seegefecht, bei dem 39 Ordensleute in Gefangenschaft gerieten und eine ihrer Barsen (kleines Schiff) mit 40 Bewaffneten sank. Ebenso entwickelte sich im April 1458 eine Wasserschlacht, als Elbinger und Braunsberger Barsen zum Schütze des heimischen Kaufmannes das Haff kreuzten. Sie stießen auf eine Flottille des Ordens aus Königsberg, Memel und Fischhausen, auch Dänen und Livländer waren darunter. Es gab auf beiden Seiten Verluste, die Braunsberger beklagten 4 Erschlagene. Schließlich flüchteten die Ordensschiffe, denen eine Barse gekapert wurde. 1460 versuchte eine gemeinsame Flottenaktion der Danziger, Elbinger und Braunsberger mit 24 Fahrzeugen den Entsatz von Wehlau und brandschatzte Dörfer, Güter und Mühlen an der Küste. Bei einem Raubzug nach Heiligenbeil im Oktober wurden die Bündischen verlustreich zurückgeschlagen; dabei fiel auch Schalskis Bruder.

Nachdem Bischof Paul im Juli 1460 in den Besitz von Wormditt gelangt war, forderte er die Hauptleute der übrigen Bistumsstädte wiederholt auf, ihm diese auszuliefern. John Schalski, der Kommandant von Braunsberg, erwiderte, die Stadt sei ihm vom König zu treuer Hand übergeben und 57 befohlen, und er wolle sie ihm auch halten zu treuer Hand. In Wahrheit fühlte er sich in dem festen Platz zu wohl und sicher, als daß er ihn auf gütliche Vorstellungen geräumt hätte. Auch der altstädtische Rat flüchtete sich hinter den Vorwand, die Bürger hätten dem König Treue geschworen; wollte sie dieser der Eide entbinden, so wollten sie als gute Männer den Bischof für ihren Herrn aufnehmen. Indessen die Kleinbürger, die schon längst mit der Ratspolitik und erst recht mit Schalskis Gewaltherrschaft unzufrieden waren, begrüßten mit unverhohlener Freude den neuen Bischof, den sie als ihren angestammten Herrn anerkannten, von dem sie endlich Befreiung von dem unerträglichen Druck der fremden Söldner und die Wiederkehr besserer, friedlicher Zeiten erhofften.

Es war im September 1461. Wieder einmal war ein Teil der böhmischen Besatzung ausgerückt, um auf einem ihrer üblichen Raubzüge Beute zu machen. Schalski selbst war mit dem Bürgermeister Vochs gen Konitz gezogen, um wegen der Übergabe der Stadt an den Bischof mit dem Könige zu verhandeln. Da schritt die Bürgerschaft zur Selbsthilfe. Heimlich setzte man sich mit den Bauern der Umgebung in Verbindung, ließ sie unauffällig mehrere Tage hindurch in die Stadt und verbarg sie bewaffnet in den Häusern. Eine Geschoßforderung der Söldner soll der nächste Anlaß zum Losschlagen gewesen sein. Die Bürger erklärten durch 6 sympathisierende Ratsmänner, sie hätten manch Geschoß gegeben und wüßten nicht warum, sie vermöchten keins mehr zu geben und seien auch nicht willens dazu; im übrigen sollten die Söldner unverzüglich von dannen ziehen, sie wollten sie nicht mehr länger sehen. Erstaunt über diese kühne Sprache, nahmen die Söldner die Abgeordneten fest und warfen sie ins Verlies. Aber des Nachts vom 10. zum 11. Sept. hielten die Verschworenen die Stadttore geschlossen und fielen über die ahnungslos schlafenden Söldner her. In aller Haft gelang es einigen, über die Stadtmauer zu springen und zu entkommen, 10 wurden von der wütenden Bevölkerung kurzerhand erschlagen, 14 preußische Knechte, die den Böhmen gedient und sich als Verräter besonders verhaßt gemacht hatten, wurden wie Hunde ersäuft. Die übrigen etwa 100 Reisigen wurden gefangen genommen und in die Türme geworfen. Diejenigen Ratsherren, die auf der Seite der Böhmen standen, wurden in ihren eigenen Häusern in Gewahrsam gehalten; bei Todesstrafe durften sie nicht diese Haft verlassen. Die reiche Beute an Harnischen, Waffen, Kleidern und Gerät wurde auf dem Rathaus abgeliefert und fein säuberlich aufgezeichnet. Auch an 100 gute Pferde hatten die Feinde im Stich lassen müssen.

Die Vertreibung der Böhmen war ein Ereignis, das von beiden kriegführenden Parteien mit größter Aufmerksamkeit aufgenommen wurde. Schon am nächsten Tage versuchten die Ordensbesatzungen aus Balga, Heiligenbeil und Mehlsack, ob sie von den Braunsbergern eingelassen würden. Sie erwarteten das um so zuversichtlicher, als die Gemeinde der Stadt die Hauptleute von Balga und Heiligenbeil dringlich gebeten hatte, zu ihnen zu kommen und zu raten, wie man den Söldnern auch Frauenburg entreißen könnte. Doch die Braunsberger waren nicht gewillt, statt der eben verjagten Plagegeister sich andere aufzubürden, und verwehrten deshalb den Ordenstruppen den Zutritt. Andererseits lichtete der bündische Vorort Danzig am 14. September ein bekümmertes Schreiben an die Braunsberger, worin er riet, dem König treu zu bleiben, die Ausgleichung mit dem Bischof noch anstehen zu lassen und vorläufig den Ort gut zu bewachen und Hab und Gut der Getöteten und Gefangenen in Verwahrung zu halten.

Als dieser Brief am Ziele anlangte, hatte die Braunsberger Bevölkerung bereits dem Bischof zugejubelt. Am 15. hielt er in der Altstadt seinen feierlichen Einzug und nahm die Huldigung und den Treueid der Bürger entgegen. Mehrere Ratsmitglieder, die wegen ihrer polnisch-bündischen Haltung der Bevölkerung verhaßt waren, wies er aus der Stadt. Dann verblieb er auf seinem Schlosse, um die verwirrten Gemüter der Einwohnerschaft, die sich im Taumel ihrer jungen Freiheit der Zügellosigkeit hingab, zur Besonnenheit zurückzuführen und die neuen Verhältnisse zu festigen.

Die Böhmen auch aus Frauenburg zu vertreiben, war der Wunsch des Bischofs wie der Braunsberger Bürgerschaft. Deshalb setzte sich schon am 18. ein Trupp von ungefähr 600 Mann, Braunsberger, ermländische Ritter und Bauern aus dem Hinterlande, in Marsch, um die Domburg zu belagern und Bischof Paul zu überantworten. Aber die starken Mauern trotzten dem Anschlag, und als am 5. Oktober polnisch-bündische Entsatzabteilungen von Wormditt und Holland anrückten, fielen diese über die Belagerer her, fingen 140 von ihnen ab, trieben weitere 140 in die Pfarrkirche, die sie dann aufs unmenschlichste in Brand steckten, und schlugen die anderen erbarmungslos tot.

Schalski aber konnte den Verlust Braunsbergs nicht verwinden; hatte er sich doch in der Hoffnung gewiegt, die Stadt als erblichen Besitz für sich und seine Familie behaupten zu können. In Verbindung mit dem Hauptmann Johann Rosal von Wormditt und Holland, mit dem Befehlshaber von Friedland und mit den Danzigern und Elbingern bereitete er sorgfältig  59 den Handstreich vor, der die Altstadt wieder in seine Gewalt bringen sollte. Nachdem er Braunsbergs Umgegend aufs rücksichtsloseste hatte brandschatzen lassen, zog er in der Nacht zum Sonntag 29. November mit etwa 600 Mann von Frauenburg zur Passargestadt. Eine rechte Diebesnacht: durch die schwüle Finsternis heulte der Sturm, peitschte der Regen, zuckten die Blitze eines verspäteten Gewitters, krachten die Donner. Fluchend standen sie endlich vor dem Hohen Tor. Nun ließen sie den mitgefühlten Kahn in den Stadtgraben hinab und ruderten heimlich hinüber. Als ihrer etwa 150 übergesetzt waren, stiegen sie auf Sturmleitern „um des Seegers vier" über die Mauer und wollten das Tor aufhauen, die anderen einzulassen. Aber da wurde es doch die Schildwache bei und auf dem Rathause gewahr und gab aus den Büchsen Feuer und schrie Zeter und Mordio und erweckte die schlaftrunkene Bürgerschaft aus süßer Ruh. Und da fielen sie über die siegesgewissen Eindringlinge her und schlugen viele von ihnen tot, „und die Maide und Weibesnamen taten das Neste im Spiele." Und da wurde miterschlagen der grausame Hauptmann von Wormditt und der von Frauenburg und andere gute Hofleute. Mehr als 50 gerieten in Gefangenschaft. Herrn John Schalski ward „der Arm entzweigeworfen", aber er rettete sich mit anderen, indem sie über die Mauer sprangen und im Dunkel der Nacht entkamen.

Das war für den Söldnerführer ein peinlicher Mißerfolg, und da er mit Gewalt und List nichts hatte erreichen können, versuchte er es auf dem diplomatischen Wege. Auf dem Elbinger Ständetage vom Dezember 1461, an dem sich Bischof Paul gegen die politischen Vorwürfe der polnischen Beauftragten verteidigen mußte, trat auch Schalski mit Anklagen hervor. Deshalb waren auch vier Vertreter von Braunsberg, die Ratmannen Jorge Gerds und Hans Hogewald und aus der Gemeinde Peter Kistenbuch und Hans Bardöl zur Stelle. Schalski beschuldigte die Braunsberger, daß sie gegen den König, seine Dienstleute und ihn selbst nicht „als gute Leute" verfahren seien. Der Bischof hielt ihm vor, daß er durch die Ersteigung der Stadt ihn mit den Seinen „von Leib und Gut" habe bringen wollen. Die Braunsberger Abgeordneten legten eine ausführliche Beschwerdeschrift gegen sein Schreckensregiment vor. Der polnische Statthalter verlangte von ihnen die Herausgabe der böhmischen Gefangenen mit ihrer Ware und Habe. Die Stadtvertreter waren dazu bereit, falls Schalski die Frauenburger Domburg an den Bischof zurückgeben wollte. Wie eine reuevolle Einsicht klang ihre anschließende Beteuerung, daßie nimmer wider den Herrn Bischof, noch seine Kirche, noch leine Lande und Städte sein wollten zu ewigen Zeiten." In den folgenden Verhandlungen versprach der Bischof, dafür Sorge tragen zu wollen, daß die Gefangenen nicht verhungern, noch an ihren Gliedmaßen gelähmt werden sollten. Herr John sei den Bürgern viel schuldig geblieben, habe ihnen auch sonst schweren Schaden zugefügt, so daß dagegen die Pferde und Harnische der Söldner wenig ausmachten. Schließlich einigte man sich auf einen Beifrieden bis Fastnacht 1462, wonach die Gefangenen bis dahin beurlaubt sein sollten. Würde dann Frauenburg zurückgegeben, so sollten sie mit ihrer Habe quitt und frei sein.

Aber Schalski räumte trotz dieser Abmachungen die Domfeste nicht, die im Sommer 1462 auch einer fünfwöchigen Belagerung trotzte. Im Vollgefühl dieses Erfolges zog er am Abend des 23. August mit polnischen, Danziger und Elbinger Hilfstruppen wiederum gen Braunsberg. Am nächsten Morgen „berannten sie den Braunsberg", aber die Verteidiger waren auf dem Posten und schlugen tapfer die Angriffe ab. So begnügten sich die Feinde, alle Höfe und Dörfer vor der Stadt auszupochen und niederzubrennen, dann hoben sie auf die Kunde, daß Ordenstruppen zu Hilfe kommen wollten, am Morgen des 29. die Belagerung auf. Kampfesfreudig verfolgten die Braunsberger ihre Nachhut, da holte Schalski zu einem Gegenstoß aus, bei dem 14 der angesehensten Bürger gefangen und andere getötet wurden.

Bischof Pauls Politik war darauf gerichtet, seinem Bistum die Neutralität und damit die territoriale Selbständigkeit zu erhalten. Deshalb folgte er nur ungern dem Drängen seiner Städte, unter Führung Braunsbergs, die jetzt im Anschluß an den Orden endlich friedliche Zustände erhofften. So unterzeichnete er am 25. Juli 1463 zu Bartenstein einen Bündnisvertrag mit dem Orden, der ihn zur Hilfe verpflichtete „nach seinem höchsten Vermögen." Die dadurch bedingten neuen Lasten übernahm Braunsberg aber nur unwillig. Zu einer Ordensbesatzung wollte sich die Stadt nach ihren Erfahrungen mit den böhmischen Söldnern „ohne Verschreibung" nicht verstehen, und an dem mißglückten Entsatzversuch von Mewe, den der Hochmeister mit einer großen Flottille unternahm, beteiligte sie sich mit einigen Barsen nur nach ernster Mahnung durch den Bischof. Da sich aber die Kriegslage des Ordens mit dem Fall von Mewe (27. 12. 1463) merklich verschlechterte und die polnischen Söldner erobernd im Ermland vordrangen, sah sich der Bischof nach Beratung mit seinen Städten zu einem politischen 61 Frontwechsel gezwungen. Am 4. März 1464 tätigte er mit ihrem Einverständnis einen Beifrieden mit den Vertretern Polens, der schon am 16. in Elbing zu einem „ewigen Frieden" erweitert wurde. Dabei wurden die noch unerledigten Ersatzansprüche Schalskis an Braunsberg einem Schiedsgericht von acht Mitgliedern überwiesen, dessen Obmann bei vergeblicher Einigung König Kasimir sein sollte.

Die Folge dieses Friedensvertrages mit Polen, der dem Ermlande sein staatliches Eigenleben zusicherte, den der Hochmeister als schweren Treubruch betrachtete, war, daß die Ordenssöldner schonungslos Plünderungszüge durch das Bistum unternahmen. Trotzdem verwehrte der Domkantor Bartholomäus Libenwald, der die Verteidigung Braunsbergs leitete, am 1. April 1464 Schalski energisch den Eingang, als dieser mit 60 Reitern vor den Toren erschien und unter gleißnerischen Vorspiegelungen Einlaß begehrte. Auch den Elbingern wurde im Juni 1465 der Durchzug verweigert, als sie mit erbeutetem Vieh aus dem Balgaer Gebiet heimkehrten. Zur Rache dafür machten bald darauf die Elbinger mit Söldnern aus Holland und Frauenburg einen Raubzug. Ihre Fußknechte versteckten sich nachts in Kellern und Gräben vor der Altstadt, während die Reisigen in der Nähe hielten. Als morgens die Bürger ausjagten, stürzten sich die Feinde aus ihren Verstecken hervor und nahmen ihnen ihr Vieh und wohl zwei Schock Pferde. Als nun die Braunsberger ihr Eigentum retten wollten, eilten die Reisigen hinzu, töteten 9 Bürger und nahmen 5 gefangen.

In diesem entsetzlichen Kleinkrieg atmeten die geplagten Bürger im August endlich auf, als sie vernahmen, daß auf der Frischen Nehrung Friedensverhandlungen mit Aussicht auf Erfolg angebahnt seien. Freilich dauerte es noch ein ganzes Jahr, bis die verhandelnden Parteien eins wurden. Inzwischen hatte Schalski Anfang 1466 Braunsberg erneut bedroht, Bischof Legendorf im Februar dem Orden in aller Form den Krieg angesagt. So sehr verschlechterte sich zuletzt das Verhältnis des Bischofs zu Hochmeister Ludwig, daß der Rat von Braunsberg auf Geheiß des Bischofs dem Hochmeister auf seiner Reise zu den Thorner Friedensverhandlungen die Tore sperrte. „Mit großer Bitte" erreichte Ludwig, daß man die Speisewagen die Stadt passieren ließ, er selbst mit seinem Volk mußte durch das Wasser der Passarge reiten, „und das war ihm ein großer Hohn". Dafür verweigerte er in Thorn dem Bischof die Begrüßung durch Händedruck, bis der König selbst beider Hände vereinigte.

Der verhängnisvolle 2. Thorner Frieden vom 19. Oktober 1466 entriß dem Orden Westpreußen und beließ ihm Ostpreußen unter polnischer Oberhoheit. Das Ermland behauptete seine territoriale Selbständigkeit; die bisherigen Rechte des Hochmeisters als des Schirmherrn über das Bistum gingen auf den polnischen König über. Polen hatte dank der deutschen Zwietracht, Verblendung und Untreue einen folgenschweren Sieg errungen, den es allein, ohne die gewaltigen Anstrengungen der großen Städte des Weichselgebietes, nie erzielt hätte. Wenn auch die Päpste den Friedensvertrag nicht anerkannten, so schuf dieser doch für drei Jahrhunderte neue staatspolitische Verhältnisse, die trotz aller Versicherungen der polnischen Krone an die preußischen Stände allmählich ein planmäßiges Vordringen des Polentums auf Kosten der angestammten deutschen Kultur mit sich brachten.



IV. Bis zum Krakauer Frieden (1525)

Als Ende Oktober die Kunde durch die Stadt Braunsberg eilte, das Unglaubliche sei Ereignis geworden, wahrhaftig, der dreizehnjährige Krieg sei nunmehr begraben, da ging das Gefühl der Erlösung durch die Bürgerschaft, und in frommer Dankbarkeit läutete man zum Lobe Gottes den ganzen Nachmittag alle Glocken und läutete sie des nächsten Morgens, als man wie gewöhnlich am Donnerstag mit dem hl. Sakrament „umging". „Levt und loved!" diese fromme Mahnung der altstädtischen Rathaus-Schlagglocke an die Einwohner, das Leben als ein Geschenk Gottes zu werten und zu seinem Lobe zu gestalten, hatte gerade jetzt ihre innerste Berechtigung. Vorbei aller Druck brutaler Söldner, jede Gefahr von einem rachsüchtigen Feind, vorüber die unaufhörlichen Erpressungen und Plünderungen, die erbarmungslosen Verheerungen und Brandschatzungen, zu Ende die aufregenden, wechselvollen, verrohenden Kämpfe, die unsäglichen Opfer an Ehre, Leib und Leben, die dieser schreckliche 13jährige Bürgerkrieg gekostet hatte. Fürwahr, alle Kräfte galt es zu regen, um die verarmte Stadt, die ausgepochte Feldmark zu neuem wirtschaftlichen Erblühen und Wohlstand emporzuarbeiten.

Und doch sollte der Frieden nicht von langer Dauer sein. Bischof Paul war von Thorn krank und siech heimgekehrt, ob infolge einer Ansteckung oder, wie ein weitverbreitetes Gerücht 63 wissen wollte, durch Vergiftung, ist ungewiß. Seine letzten Tage scheint er auf dem Braunsberger Schloß verlebt zu haben. Als er am 23. Juli 1467 starb, begrub man ihn vor dem Hochaltar der Pfarrkirche, da damals der Frauenburger Dom noch nicht von Schalski geräumt war. Bischof Lukas ließ seinem Vorgänger im J. 1494 eine kunstvolle Grabplatte errichten, die heute an der südlichen Längswand in leider ungünstiger Beleuchtung steht. Der vielleicht aus der berühmten Hütte Peter Vischers in Nürnberg stammende Bronzeguß zeigt in Flachrelief das Bildnis des Verstorbenen in vollem Ornat, mit Mitra, Hirtenstab und Evangelienbuch; das Haupt ruht auf einem Kissen, das Geschlechtswappen zu Füßen. Eine lateinische Inschrift in gotischem Rankenwerk bildet die Umrahmung, in deren vier Ecken das Wappen des Bischofs Lukas eingefügt ist. Das Ganze ist in eine Steinplatte eingelassen.

Nach dem Tode des Bischofs Paul wählte das Domkapitel am 18. August seinen Domdechanten Nikolaus von Tüngen, einen Wormditter Bürgersohn, zum Nachfolger. König Kasimir wollte dagegen dem Kulmer Bischof Vinzenz Kielbassa die ermländische Kathedra zuwenden. Anfang Dezember ergriff dieser vom Bistum Besitz, und auch die Braunsberger huldigten ihm. Da sich Papst Paul II. aber im November 1468 für Tüngen entschied, zog sich Kielbassa im Herbst des nächsten Jahres aus dem Ermland zurück, während der König es militärisch besetzen ließ. Zu Weihnachten 1483 mußten Rat, Gemeinde und Gewerke der Stadt Braunsberg dem königlichen Gesandten Nikolaus Tomicki versichern, daß sie dem Könige den früher geleisteten Treuschwur unverbrüchlich halten und keinen Bischof ohne Wissen und Willen des Königs, seiner Prälaten und Räte aufnehmen würden.

Trotzdem brachte der größte Teil der Bevölkerung dem Ermländer Tüngen, zumal hinter ihm die Autorität des Papstes stand, offene Sympathien entgegen. An der Spitze dieser Partei, der insbesondere die Handwerker angehörten, stand wohl der Ratsherr Peter Konike. Nachdem man schon seit Ostern 1470 in brieflicher Verbindung mit Bischof Nikolaus gestanden hatte, schritt man im Herbst zur Tat. In der Nacht vom 16. zum 17. September besetzten die Verschwörer die Tore und Mauern der Stadt. Am nächsten Tage verlangten sie vom Bürgermeister Frenzel Scherff die Einberufung der ganzen Gemeinde und der Gewerke. Während noch der Rat darüber verhandelte, vertrieben sie die Stadtwache von den Toren des Rathauses und stellten ihre eigenen Leute als Wächter dorthin. Dann beriefen sie eine Gemeindeversammlung und entsetzten den Rat seines Amtes. Noch zu Beginn des folgenden Jahres 1471 verweigerte der neue Rat den königlichen Gesandten den Eintritt in die Stadt. Dagegen scheint sich im Schloß der vom König bestellte Hauptmann Thomas von Baysen gehalten zu haben.

Gegenüber dem ansehnlichen polnischen Waffenaufgebot mußte Bischof Nikolaus weichen. Seine Anhänger aber wurden in die Acht erklärt, eingekerkert oder verbannt. Braunsberg, dessen Bürgermeister Mate (Mathias) Vochs im August 1468 sogar vom König zum Mitglied des Obersten Gerichtshofes in Preußen ernannt worden war, verlor zur Strafe seinen Sitz unter den großen Städten. Deshalb führten auf der Marienburger Tagfahrt Anfang März 1471 der Braunsberger Bürgermeister und sein Kompan Klage, da sie „von alter Gewohnheit" allzeit mit den großen Städten zu Rate gegangen, jetzt aber ausgelassen seien, was sie sehr befremdete. Es wurde ihnen entgegnet, daß man ihnen persönlich nicht schuld gebe, daß aber die Bürger mit ihren Aufläufen die Schuld treffe. Einstweilen möchten die Braunsberger davon absehen, der Hansa die Entscheidung anzutragen. Auch in Graudenz beschwerte sich Bürgermeister Vochs vor den Ständen im Februar 1472 über die Zurücksetzung seiner Stadt, aber diese erwiderten im März zu Thorn, „daß man sie halten sollte, als sie es verdient hätte", doch überließ man dem König die Entscheidung.

Inzwischen hatte die päpstliche Kurie angesichts der politischen Schwierigkeiten im Dezember 1471 Bischof Nikolaus nach Kamin versetzt und das Ermland dem Gnesener Andreas Oporowski verliehen. König Kasimir lehnte aber auch diesen Prälaten ab und verbot den Ermländern seine Aufnahme ins Bistum. Bevor Tüngen amtliche Nachricht von den römischen Entscheidungen erhielt, mußte er handeln, wenn er nicht auf sein heimatliches Bistum verzichten wollte. Hier aber hatte sich die Zahl seiner stillen Anhänger vermehrt und ihn zu energischem Vorgehen ermuntert. Von Livland kehrte er ins Ermland zurück. Als Kaufleute verkleidet zogen er und sein Domdechant Kirsten (Christian) Taviau mit je 7 Pferden durch das Ordensland gen Braunsberg. Hier waren nur vier Vertraute in seinen Plan eingeweiht. Trotzdem gelang es dem Bischof, in der Nacht zu Pfingsten 1472 die Stadt einzunehmen. Das Gros der Bevölkerung, das ihm vorher freundlich gesinnt gewesen war, leistete ihm auch jetzt Unterstützung, zumal die Strafmaßnahmen des Königs die polnischen Sympathien schwerlich gefördert haben können. Sogleich setzte Bischof 65 Nikolaus das mächtige Danzig von seinem Erfolge in Kenntnis und bat um dessen Hilfe. Schon eine Woche später war die Einnahme Braunsbergs auch in Krakau bekannt, und König Kasimir gab sofort seinem Marienburger Hauptmann Johann Koscielecki Befehl zum Einschreiten. Auch Danzig und die preußischen Stände sollten Kriegsvolk aufbieten, um den Friedensbrecher Tüngen aus dem Lande zu vertreiben. Dieser reizte den Zorn des Königs noch dadurch, daß er die beiden königlichen Schreiber Nikolaus Brunowski und Hans Szander mit mehreren Dienern auf der Rückreise vom Hochmeister durch die Braunsberger festnehmen ließ, weil die Frauenburger polnische Besatzung wider die Vereinbarungen bischöfliche Untertanen beraubt hatte. Man erzählte sich sogar auf polnischer Seite, die Gefangenen seien an Händen und Füßen angeschmiedet worden. Trotzdem zeigten die preußischen Stände keine Lust, um des ermländischen Bischofs willen einen neuen Krieg zu beginnen, zumal die ermländischen Städte ihnen ihre unbedingte Gefolgschaft zu Tüngen versicherten. Da dieser in wenigen Monaten von seinem Ländchen tatsächlichen Besitz ergriff und es durch ein Heeresaufgebot zu verteidigen entschlossen war, vereinbarten die Abgesandten der preußischen Stände mit ihm am 20. September in Heilsberg einen Vertrag, nach dem der Streit um das Bistum auf dem Rechtswege durch den Hl. Stuhl entschieden werden sollte. Zugleich zeigten sie sich mit der Auffassung der ermländischen Stände einverstanden, daß Oporowski als Pole für das deutsche Ermland nicht tragbar sei, da das den Landesprivilegien widerspreche. In demselben Sinne richteten die Untertanen der ermländischen Kirche ein Bittgesuch an den Papst, in dem sie sich für Bischof Nikolaus und gegen Oporowski oder einen anderen Polen erklärten.

Um den verhaßten Tüngen loszuwerden, ließ König Kasimir aus taktischen Gründen seinen Kandidaten Kielbassa fallen und entschied sich im November 1472 für den päpstlichen Bewerber Oporowski. Trotzdem hielten die Ermländer an ihrem Landsmann Nikolaus fest und beklagten sich bei den preußischen Ständen auch darüber, daß Oporowski zuvor als königlicher Gesandter dem ganzen Rat und der Gemeinde von Braunsberg gedroht habe, er wolle allen Helfern Tüngens Hals, Leib und Gut nehmen. Wenn auch der preußische Landadel im Gegensatz zu den Städten für Oporowski Stellung nahm, so lehnten doch beide Stände wegen des Konfliktes eine kriegerische Auseinandersetzung ab. Da Kasimir aber durch Kämpfe mit König Matthias Korvinus von Ungarn in Anspruch genommen war.blieb Oporowski nichts übrig, als schon im Sommer 1474 das Feld zu räumen, zumal die römische Kurie im Hinblick auf die für das Ermland geltenden deutschen Konkordate Tüngen in seinem preußischen Bistum bestätigt hatte. Diesem sicherte ein förmlicher Bündnisvertrag mit Ungarn seinen Besitz, bis der Anschluß des Hochmeisters an dieses Bündnis i. J. 1477 den Ausbruch einen Krieges mit Polen in fühlbare Nähe rückte.

Im November wandte sich der Danziger Rat, der den Frieden aufrechtzuerhalten wünschte, im Ernstfalle aber um seiner Vormachtstellung willen dem polnischen König Waffenhilfe zu leisten entschlossen war, an Braunsberg mit der Aufforderung, Bischof Nikolaus zu neuen Verhandlungen mit den preußischen Landesräten zu bewegen. Indessen die Braunsberger erwiderten im Geiste vertrauensvoller Unterordnung unter ihren Bischof, es sei für sie als Untertanen ungebührlich, erneut ein solches Verlangen an ihren Landesherrn zu stellen. Als im Juni 1478 der neue Hochmeister Martin Truchseß mehrere westpreußische Burgen besetzte, verstand sich König Kasimir zu grundsätzlichen Zugeständnissen an die westpreußischen Stände, um dadurch ihre militärische Unterstützung zu erkaufen. Am 15. September erließ der königliche Statthalter den Absagebrief an die Ermländer, mit denen jeder Handelsverkehr verboten wurde, und befahl den Vormarsch des polnischen Heeres, das unter dem Befehl des Krakauer Burggrafen Jan Bieli stand. Damit begann der sog. Pfaffenkrieg. Vom Süden des Bistums drang der Feind siegreich zum Norden vor und rückte nach der Übergabe von Mehlsack (16. Okt.) gen Braunsberg, das vielleicht Ordenstruppen zur Verstärkung aufgenommen hatte. Gleichzeitig sollten bewaffnete Kähne der Danziger und Elbinger durch Sperrmaßnahmen auf dem Haff den Braunsberger Seehandel lahm legen, vielleicht auch von der Passarge her bei der Belagerung der Altstadt mitwirken. Aber die ermländische Hauptstadt mehrte sich tapfer. So fest waren ihre Mauern, so energisch der Widerstand der Verteidiger, daß Bieli sie trotz vierwöchiger Einschließung nicht niederzwang. Ja, die Besatzung fügte den Belagerern sogar in Ausfällen empfindliche Verluste bei. Da half den Bedrängten sichtlich die Hand Gottes und auch der Bistumspatron St. Andreas, dessen wunderbare Erscheinung manche in der Luft gesehen haben wollten. Trotz der Zufuhr von Lebensmitteln auf dem Haffwege war die Umgegend der Stadt bald so von Lebensmitteln ausgeplündert, daß Hunger und Not, auch Kälte den polnischen Hauptmann am 19. November zum Abzug zwangen. Bevor er wieder südwärts ins Bistum abrückte, ließ er 67 wohl die eben erst aus ihren Trümmern erstehende Neustadt und Vorstadt in Flammen aufgehen.

Während dieser ruhmvollen Verteidigung hatte der Braunsberger Rat Erlaubnis erhalten, an einem friedlichen Ausgleich diplomatisch mitzuwirken. Auf der Elbinger Tagfahrt (22.-29. Oktober) war die Stadt mit Bürgermeister Gorge Schonenzhe und Ratmann Czander von Loden vertreten, die als Wortführer der Ermländer für ihren Bischof und die Rechte ihres Bistums eintraten, gegenüber der ablehnenden Haltung der polenfreundlichen Stände jedoch einer Vereinbarung zustimmen mußten, wonach Tüngen das Land verlassen sollte. Dieser erklärte sich dazu bereit, wofern das Bistum bei seinen Freiheiten und Privilegien erhalten würde. Der polnische Heergraf Bieli verweigerte aber dem Bischof das freie Geleit zum Abzug und fuhr mit seiner Brandschatzung des Ermlandes trotz eines Waffenstillstandes fort. Auf dem Ständetag zu Elbing und Marienburg (29. 12. 1478 bis 12. 1. 1479) fühlten die vier Braunsberger Ratmannen Zander von Leyden, Paul Huge, Merten Scholtze und Nikolaus Krüger energische Beschwerde über Bieli und die polnische Besatzung von Frauenburg, die wiederholt Braunsberger Gesandte und Briefjungen ausgeplündert und durch Mord, Kinderraub u. a. ihnen schweren Schaden zugefügt habe. Während der verheerende Kleinkrieg weiterging, der auch Braunsbergs Seehandel empfindlich traf, bemühten sich die ermländischen Stände, durch Verhandlungen den Feindseligleiten ein Ende zu machen. Deshalb lehnten die Braunsberger im April ein Gesuch des Hochmeisters ab, der von ihnen zu einem Unternehmen gegen die Polen Hilfe erbat; rings von Feinden umdroht, müßten sie ihre eigene Stadt schützen und hätten keinen Mann übrig.

Da brachte endlich der Waffenstillstand zwischen Polen und Ungarn ( 2. 4. 1479) dem Bischof Nikolaus von Tüngen in seiner höchsten Not Rettung. Es war darin die Bestimmung aufgenommen, daß er als gleichberechtigter Vertragspartner unter ungarischem Schutz bei der entscheidenden Aussprache persönlich erscheinen durfte. In seinem Gefolge, das im Gegensatz zu dem „eitel schwarz" gekleideten des Hochmeisters die rote Farbe angelegt hatte, weilte als Vertreter der ermländischen Städte der Braunsberger Bürgermeister Alexander von Loyden. Wochenlange schwierige Verhandlungen zeitigten in Petrikau das überraschende Ergebnis, daß Bischof Nikolaus vom Könige in seinem Amte belassen wurde, dafür aber den Treueid leisten mußte. Am 15. Juli bat er zusammen mit zwei Domherren und dem Braunsberger Bürgermeister in der Vollsitzung des polnischen Reichstages den König Kasimir kniefällig um Verzeihung, und dann schwuren die ermländischen Vertreter zugleich im Namen der Bistumsinsassen dem polnischen Könige und seinen Nachfolgern als Schirmherren der ermländischen Kirche Treue und die unverbrüchliche Beobachtung des Thorner ewigen Friedens. Dafür erhob Kasimir den Bischof in den Rang eines senatorischen Reichsrats, gewährte allen seinen Anhängern Amnestie und bestätigte die Privilegien des Bistums. Verpflichtungen wie die, daß in Zukunft nur eine dem König genehme Person zum Bischof gewählt werden durfte, verstärkten jedoch die Bindung des Ermlandes an das Königreich Polen.

Nun rückten die polnischen Truppen aus dem Bistum ab, das nach entsetzlichen Verheerungen noch eine Steuer zur Bezahlung der Söldnerscharen aufbringen mußte. Eine Vereinigung, die Bischof Nikolaus im März 1485 zu Thorn mit den preußischen Ständen zum gegenseitigen Schutz ihrer Privilegien schloß, erwies sich als sehr nützlich, als nach dem Tode Tüngens das Domkapitel am 19. Februar 1489 den Thorner Patriziersohn Dr. Lukas Watzenrode zum ermländischen Bischof wählte. Da König Kasimir seinem eigenen Sohne Friedrich diese Würde zugedacht hatte, drohten wieder kriegerische Verwicklungen. Am 2. April erschienen der polnische Hofmarschall Raphael von Lesno und der Krakauer Domherr Johann Lubianski als königliche Gesandte in Braunsberg und erhoben vor den herbeigeholten sechs Domherren in Gegenwart des altstädtischen Rates förmlichen Protest gegen die Wahl Watzenrodes, da sie gegen den Petrikauer Vertrag verstoße. Als die Domherren die Rechtmäßigkeit ihrer Wahl energisch verteidigten, versuchten die Gesandten, die Braunsberger vom Domkapitel zu trennen, indem sie äußerten, wenn die Kanoniker dem König den Gehorsam verweigerten, so sollten doch die Städte ihrem Eide treu bleiben und dem Willen des Königs folgen. Aber auch diese Lockung scheiterte an der Einmütigkeit der Ermländer. Offene Drohungen, die die Gesandten und ihre Diener aussprachen, veranlaßten die ermländische Landesregierung, Städte und Schlösser mit Lebensmitteln zu versorgen, die Befestigungswerke instand zu setzen und Munition und Waffen zu beschaffen. Daß es trotz des königlichen Zornes gegen den „Menschen Lukas" nicht zum Kriege kam, war das Verdienst der preußischen Stände, vor allem Danzigs, das die Seele des Widerstandes im Kampfe um die Landesrechte war. Wiederholte Gesandtschaften der Ermländer waren notwendig, um der Sache ihres Bischofs zum Erfolge zu verhelfen; als Vertreter 69  der Städte nahm daran der Braunsberger Bürgermeister Loyden teil. Als die Gesandten im Dezember 1490 dem König selbst ihr Anliegen vortragen wollten, wurden sie von diesem nicht vorgelassen. Erst Kasimirs Tod (7. Juni 1492) bedeutete eine wesentliche Entspannung der bedrohlichen Lage, und zu seinem Nachfolger Johann Albrecht bahnte sich für Bischof Lukas bald ein vertrauensvolles Verhältnis an.

So waren dem Ermland einige Jahrzehnte des Friedens vergönnt, die auch Braunsbergs Wirtschaft und Wohlstand fördernd zustatten kamen. Der 1477 gestiftete dreitägige Jahrmarkt „uf tag Francisci" (4. Oktober) sollte nach Beendigung der Ernte und vor Beginn des Winters weitere Käuferkreise anziehen. In frommem Wetteifer wandte man sich wieder der Bereicherung und Ausschmückung der Pfarrkirche zu. So errichtete das Schuhmachergewerk mit Bewilligung des Bischofs i. J. 1484 den Andreasaltar, dessen Hauptbild auf reichem, gemustertem Goldgrunde die markigen, breiten Gestalten der hl. Petrus, Andreas und Simon zeigt und in einem späteren Altarwerk noch heute erhalten ist. Aus dem Jahre 1485 stammen vier von kleinen Löwen gestützte Messingleuchter auf dem Marienaltar. In den Ausgang des 15. Jahrhunderts ist wohl auch der prächtige Marien-Kronleuchter aus Bronze zu setzen, dessen farbige Doppelstatue der Gottesmutter von zierlichen ovalen Reifen und schwungvoll ausladenden Lichtarmen umrahmt wird. Eine Nachbildung des kostbaren Stückes hängt neuerdings in der Marienkapelle der Marienburg. 1490 erwirkte der Rat einen päpstlichen Ablaß für die Teilnehmer der Sakramentsprozession am Donnerstag vom Hochaltar in die „Kapelle der Schiffsleute und Hauptherren St. Nikolai." In dieser Zeit muß auch der wertvolle Holzschrein entstanden sein, der noch jetzt die Donnerstagkapelle ziert und in seiner gemütvollen, behäbig bürgerlichen Darstellung des Marienlebens zu den schönsten Werken der mittelalterlichen Holzschnitzerei in unserer Heimat gehört. 1494 weihte Bischof Lukas dem Gedächtnis seines Vorgängers Paul die vorerwähnte Bronzeplatte. 1509 ließ der Rat einen Jakobusaltar fertigen: im selben Jahre entstand unter dem Glockenturm ein zweiter Kreuzaltar. Um dieselbe Zeit arbeitete Meister Hans der Orgelmacher, wohl derselbe Hans von Konitz, der eben im Frauenburger Dom seine Kunst bewiesen hatte, an einer neuen großen Orgel in der Katharinenkirche. Auch das kleine Orgelchor am Hochaltar ist, wie das Wappen des Bischofs Lukas beweist, um 1500 erbaut worden.

Wenn auch die reifsten jener gotischen Kunstwerke den Werkstätten erprobter auswärtiger Meister zu verdanken sein mögen, so werden wir doch den Anteil eingesessener Kunsthandwerker an unserm gotischen Kircheninventar nicht unterschätzen dürfen.

Die reichsten Zuwendungen aber erfuhr die Kirche und auch die ganze Stadt von einem ihrer gelehrtesten und bedeutendsten Söhne, von Thomas Werner. Dieser war der Sproß einflußreicher und wohlhabender Patrizierfamilien. Sein gleichnamiger Vater begegnet uns in der Zeit von 1430 - 32 als bischöflicher Vogt auf dem Braunsberger Schloß und seit 1439 als Bürgermeister der Altstadt. Seine Mutter Katharine geb. Trunzmann entstammte einem alteingesessenen Geschlecht, das schon 1355 im Bürgerbuch erscheint; ihr Vater Nikolaus saß bereits 1408 im Rate. Nach dem Tode ihres Gatten heiratete die Witwe um 1453 den aus dem Christburgschen stammenden Ritter Benedikt von der Schonenwiese, der 1457 als Ratsmitglied mit wichtigen Gesandtschaften betraut wurde. Der junge, begabte Thomas Werner bezog zu Ostern 1448 die Universität Leipzig, wurde dort schon nach zwei Jahren Baccalaureus und im Herbst 1454 Magister der artistischen (philosophischen) Fakultät. Damit trat er als Professor in den Lehrkörper der Universität ein. Nach Weihnachten 1457 lieh ihm auf seine Bitten der Braunsberger Rat aus seiner Libraria (Bücherei) zwei kostbare Handschriften, ein juristisches Werk des Johann Calderinus aus Bologna und ein philosophisch-religiöses von Petrarka. Die Bücher wurden mit 20 ungarischen Gulden bewertet, und die Mutter des Magisters mußte mit ihrer ganzen Habe Bürgschaft leisten, damit im Verlustfalle zwei andere Bücher „in solcher Form" wieder der Ratsbibliothek einverleibt werden könnten. Erst 1485 wurden die entliehenen Bücher zurückgeliefert.

Inzwischen war Thomas Werner zu hohen Würden aufgestiegen. 1461 und 1479 bekleidete er das Amt eines Dekans der Artistenfakultät, 1464 war er Rektor der Universität, 1471 wurde er Mitglied des größeren Fürstenkollegs in Leipzig, 1476 ermländischer Domherr und Domkustos. Auch dem Domkapitel von Zeitz wurde er eingereiht. Nachdem er 1482 zum Doktor der Theologie promoviert worden war, wurde er 1486 in die theologische Fakultät aufgenommen. Neben seiner Lehrtätigkeit in den artistischen, später in den theologischen Wissenschaften verfaßte er geschätzte theologische und historische Schriften. Als ermländischer Domkustos weilte er nur vorübergehend zur Wahrnehmung dieser Amtsobliegenheiten in seiner 71 Heimat, nahm aber an dem Kampf der Bischöfe Nikolaus und Lukas um die Rechte der ermländischen Kirche tätigsten Anteil.

Wie stark er innerlich mit seiner Vaterstadt verbunden blieb, bewies er in mehreren Stiftungen. Aus besonderer Verehrung gegen die Gottesmutter Maria und zur Förderung ihres Psalters gründete er in der von seinen Vorfahren errichteten sog. Flügghen-Kapelle die Rosenkranz-Bruderschaft, deren Satzung am 8. Januar 1485 von Bischof Nikolaus bestätigt wurde. 1489 überwies Werner dieser Stiftung ein Kapital und 30 Morgen Land in der Aue zur Dotation von zwei aus Braunsberg gebürtigen Priestern, die je 4 Messen wöchentlich in der Kapelle lesen sollten. Bevor der reiche Professor am 23. Dezember 1498 in Leipzig verstarb, übergab er am 14. Dezember auf seinem Sterbelager in Gegenwart seiner beiden Schüler Tidemann Giese aus Danzig und Matthias Höpner aus Braunsberg sein genaues Testament in aller Form dem Notar. Daraus seien folgende seine Geburtsstadt betreffende Bestimmungen mitgeteilt:

Als Vollstrecker seines letzten Willens berief er für die Braunsberger Legate den dortigen Bürgermeister Zander von Loyden und den Ratsherrn Urban Kroll. Aus seiner reichhaltigen Bibliothek überwies er 60 teils geschriebene, teils gedruckte Bücher an das Franziskanerkloster seiner Vaterstadt; die 30 wertvollsten, die er mit 160 rheinischen Gulden taxierte, machte er mit ihren Titeln namhaft, 30 andere sollten für sie die Minderbrüder in Leipzig auswählen. Der größte Teil dieser kostbaren Handschriften und Wiegendrucke wurde i. J. 1626 aus Braunsberg von den Schweden entführt und findet sich heute in der Universitätsbibliothek Uppsala. Weiter sollten die Braunsberger Pfarrkirche für ihre bauliche Unterhaltung 30 M. erben, die Armen des Georghospitals 30 M., das Andreas-Hospital 8 M.; in beiden Anstalten sollte dafür ein weiteres Bett beschafft werden. Der Dreifaltigkeits-Kapelle in der Neustadt sollten 5 M. zufallen, der Johanniskapelle 6 M.. dem Minoritenkloster 20 M., den beiden Häusern der Beginenschwestern je 5 M. Mit allen diesen Legaten waren Meß- und Gebetsverpflichtungen verbunden. Für die Bekleidung bedürftiger Armen in Braunsberg waren 10 M. ausgesetzt, von denen graues und schwarzes Tuch gekauft werden sollte. Für 5 M. sollten Schuhe für Arme und Schüler der Stadt beschafft werden. Selbst für öffentliche Bauten und die Unterhaltung der Befestigungsmauern vermachte der anhängliche Sohn der Stadt 10 M., dazu seinen Panzer mit Zubehör. Schließlich errichtete er mit einem Kapital von 600 rheinischen Gulden eine Studien Stiftung in Leipzig, aus der zwei bedürftige Braunsberger Studenten nach Wahl ihres Rates 6 Jahre hindurch je 30 Gulden jährlich erhalten sollten. Das waren beträchtliche Summen eines sehr großen Vermögens, für die man erst den rechten Maßstab gewinnt, wenn man hört, daß Hochmeister Hans von Tiefen in seiner Finanznot dem Professor Werner das ganze Dorf Eisenberg für 1000 M. verpfändete.

Ein hervorragendes Kunstwerk hält das Andenken des frommen Wohltäters in seiner Marienkapelle noch bis auf unsere Tage fest: der Rosenkranzaltar, der wahrscheinlich wenige Jahre nach seinem Tode hier Aufstellung fand. Er besteht aus dem Hauptbilde, an das sich zu beiden Seiten je zwei Flügel wie die Blätter eines Buches anfügen. In feinen, edlen Formen stellt der Meister vielleicht vom Niederrhein Szenen aus dem Marienleben und Heiligenfiguren dar. Am schönsten aber das Mittelstück: Aus goldener Himmelsglorie schwebt in hoheitsvoller Majestät die Gottesmutter mit dem Jesuskinde im Arm auf der Mondsichel. Zwei Engel halten eine Krone über ihrem Haupte. Zu Füßen der Rosenkranzkönigin knien, den Blick flehend zu ihr erhoben, zwei Gestalten mit Rosenkränzen in den Händen: rechts der Stifter Thomas Werner in weißer Domherrntracht, links seine Mutter in schwarzem Mantel mit weißem Kopfschleier. Auf dem Spruchbande der Patrizierfrau lesen wir die Worte: Du moder godes Bidde gott vor mich, und auf dem des Domherrn: Mater Dei memento mei (Mutter Gottes, gedenke meiner). Vielleicht sind die Gesichtszüge des gelehrten Professors von porträthafter Ähnlichkeit; wir hätten dann das älteste Bildnis eines Braunsbergers vor uns.

Über solcher gläubigen Erhebung in das beseligende Reich der himmlischen Ewigkeit, wie sie die frommen Stiftungen und Bildwerke jener Zeit offenbaren, sank das Erdenschwere dieser Zeitlichkeit in ein vergängliches Nichts. Das Leben aber mit seinen Sorgen und Mühen, Leidenschaften und Kämpfen ging darüber weiter, forderte von jedem seinen Zoll . . .

Weil der Schloßkaplan von Barten den dortigen Lehrer tätlich mißhandelt und dieser beim zuständigen Diözesanbischof Lukas Klage geführt hatte, entstand i. J. 1493 ein ärgerlicher Rechtsstreit zwischen dem Bischof und dem Hochmeister, da dieser behauptete, kraft päpstlicher Privilegien seien alle zum Hausstand des Ordens gehörigen Personen von der bischöflichen Rechtsprechung befreit. Bei den verwickelten juristischen Auseinandersetzungen wurde wiederholt Braunsberg als Verhandlungsort gewählt. So kam eine illustre Gesellschaft, die 73 Komture von Brandenburg, Holland, der Großkomtur, der Ordensmarschall, zwei samländische Domherren, 6 Ratsherren der drei Städte Königsberg und adlige Lehensleute des Ordens, am 2. Dezember 1493 zu einer Aussprache mit Bischof Lukas und mehreren Domherren auf dem Braunsberger Rathaus zusammen, die aber zur Verschärfung der Gegensätze führte. Nachdem der Streit bis zur römischen Kurie und den deutschen Fürsten getragen worden war und Bischof Lukas dabei vergeblich für eine Verpflanzung des Ordens nach Podolien als Schutzwehr gegen die Türken Stimmung gemacht hatte, kam am 14. November 1496 in Einsiedel eine Begegnung zwischen dem Hochmeister und seinen Gebietigern mit dem Bischof und Vertretern des Domkapitels zustande. Am ersten Tage speiste Watzenrode, feierlich vom Großkomtur eingeholt, an der Tafel des Hochmeisters, am folgenden Tage bewirtete er diesen in seinem Braunsberger Schlosse. Hatte diese Zusammenkunft bereits eine Annäherung der fürstlichen Nachbarn erzielt, so ergaben neue Verhandlungen in Braunsberg im März 1497 zu Heilsberg einen förmlichen Vergleich.

Bald darauf ereignete sich in Braunsberg ein merkwürdiger Zwischenfall, der nach der eben erfolgten politischen Entspannung kaum verständlich erscheint. Am Abend des 3. April streuten einige Bürger das Gerücht aus, Bischof Lukas habe einige hundert Bewaffnete in Marienburg zusammengezogen und wolle sie nachts heimlich ins Schloß lassen, um dann gegen die Bevölkerung nach Willkür vorzugehen. Als die Nacht anbrach, hörte man hier und dort in der Stadt Waffen klirren; aufgeregte Bürger hatten für alle Fälle Harnisch und Hellebarde vorgeholt. Dadurch wurden wieder andere mobil, die von der Sache noch nichts erfahren hatten, und so entstand rasch ein großer Tumult, der auch Frauen und Kinder aus dem eisten Schlummer scheuchte. Mutig ließ man das Hohe Tor öffnen und lauschte, ob in der Nähe feindliches Waffengeräusch zu vernehmen sei; aber nichts regte sich, alles war draußen ruhig und still. Da rückte man zur Schloßbrücke, riß sie zu einem Drittel ab und warf die Stücke in die Passarge, damit nicht etwa hier der Feind einzöge. Einige Kecke drangen so» gar ins Schloß und untersuchten die Gewölbe und Keller, ob sich da nicht Soldaten verborgen hielten. Aber sie konnten nichts Verdächtiges entdecken und berichteten das den anderen. Da überkam sie alle ein Gefühl peinlicher Scham, und man drückte sich kleinlaut ins heimische Schlafgemach.

Die Kunde von den Vorfällen der verflossenen Nacht verbreitete sich mit Windeseile durchs Ermland und erreichte auch rasch den Bischof in Heilsberg. Dieser aber war über das Verhalten seiner Braunsberger Untertanen empört, glaubte er doch, sich immer wohlwollend um die Förderung der städtischen Interessen bemüht zu haben. Der Bürgerschaft kam mittlerweile zum Bewußtsein, welchen Argwohn und welche Unbotmäßigkeit sie gegenüber dem Bischof bekundet habe. Daher entsandte sie eine Abordnung zu ihm und legte ihm wiederholt dar, die Ausschreitung sei ohne Wissen des Rates durch einige Einwohner hervorgerufen, der Rat und die ganze Gemeinde bedauerten lebhaft das Vorkommnis, und der Herr Bischof möge nicht die Gerechten mit den Ungerechten verfolgen. Dieser aber überschüttete sie mit heftigen Vorwürfen und entließ sie in Ungnaden. Nun griffen einige Prälaten des Domkapitels vermittelnd ein. Auf ihre Anregung veranstaltete der Rat eine Untersuchung über den Tumult und ließ drei Rädelsführer festnehmen, während ein vierter entfloh. Danach reiste eine neue Gesandtschaft nach Heilsberg, der Dompropst und der Domdechant und zwei Ratsmitglieder. Durch ihre gemeinsamen Vorstellungen und Bitten ließ sich Watzenrode erweichen. Auf die Einladung des Rates kam er zum Feste Peter und Paul nach Braunsberg, wo seinem Burggrafen die drei Delinquenten ausgeliefert wurden. Dieser trat mit dem Stadtschultheißen und seinen Besitzern zum Gericht zusammen, und dieses verurteilte die Übeltäter zum Tode, weil sie die Mitbürger zum Aufstande aufgewiegelt, freventlich die Unverletzlichkeit des Schlosses gebrochen und Untreue gegen den Landesherrn verübt hätten. Der Henker ergriff sie, um am nächsten Morgen das Urteil an ihnen zu vollstrecken. Der strenge Spruch weckte nun doch weite Teilnahme, und die Angehörigen der Schuldigen bestürm­ten den Bischof mit Bitten um Begnadigung. Wirksamer aber war die Fürsprache der Frauenburger Domherren, auf deren Rat die Rädelsführer damals in Haft genommen waren; sie fürchteten, bei Hinrichtung der Verurteilten selbst schweren kirchlichen Strafen zu verfallen. Daher wurde nicht ohne viele Schwierigkeiten das Urteil dahin gemildert, daß zwei der Schuldigen dauernd aus der Stadt verbannt wurden; der Hauptanstifter aber wurde zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt und im Heilsberger Schloßverlies eingekerkert, wo er dann starb.

Die Durchreise des neuen Hochmeisters, des Herzogs Friedlich von Sachsen und seines Bruders Georg, denen der Bischof durch die Stadt bis zur Grenze das Ehrengeleit gab, schaffte der Bevölkerung am 26. September 1498 ein willkommenes Schauspiel. Eine böse Zeit durchlebte sie, als eine pestartige Seuche 75 vom Herbst 1505 bis Anfang 1507 in der Stadt wie auch sonst im Lande zahlreiche Opfer forderte.

Hatte schon die Ablehnung des polnischen Huldigungseides durch Hochmeister Friedrich wiederholt die Kriegsgefahr in bedrohliche Nähe gerückt, so kam diese Spannung unter seinem Nachfolger Markgraf Albrecht von Brandenburg zur Entladung. Im Ermland regierte seit 1512 Dr. Fabian von Loßainen, der nach langem Sträuben den folgenschweren Petrikauer Vertrag hatte unterschreiben müssen, wo­nach fortan bei Erledigung des Bischofsstuhles der polnische König das Recht hatte, eine Liste von vier ihm genehmen ermländischen Domherren aufzustellen, an die das Domkapitel bei seiner Wahl gehalten war. Während so Ermlands Bindungen an Polen verstärkt wurden, suchte sich Hochmeister Albrecht von ihnen frei zu machen. Schon 1516 plante er eine kriegerische Befreiung von der polnischen Oberhoheit, wenn auch zunächst die gereizte Spannung auf Grenzüberfälle und Handelsverbote beschränkt blieb. So beklagte sich Heiligenbeil im April 1517 beim Hochmeister, daß die Braunsberger alle umliegenden Krüge mit Bier versorgten, das Getreide schon auf dem Halm aufkauften „der armen Stadt Heiligenpeyl zu Schaden". Daraufhin verbot der Hochmeister im Juli 1517 allen Handel der Ermländer, besonders der Braunsberger und Wormditter, im Ordenslande bei Verlust der Ware. In der Nacht vom 29. zum 30. August wurden 50 Speicher, Scheunen und Häuser vor der Passargestadt und andere Höfe und Dörfer von einer Bande von etwa 100 Reitern aus dem Ordensgebiet in Brand gesteckt. Beschwerden beim Hochmeister schufen kaum Abhilfe. Noch Ende Oktober 1519 ereignete sich hart an der ermländischen Grenze ein räuberischer Überfall. Der Faktor des englischen Königs Heinrich VIII. Jaen Johanssoen und der eng» tische Untertan Thomas Merten kamen mit einer wertvollen Ladung Pelzwerk aus Livland. In Königsberg erstanden sie in der Kanzlei des Hochmeisters zu ihrer größeren Sicherheit, einen Paßbrief. Trotzdem folgten ihnen „etzliche" von Königsberg an bis Einsiedel; hart hinter der Landesgrenze sprengten die Räuber auf sie los und raubten ihnen 11 Zimmer Zobelpelz, wovon 9 Zimmer für 6300 Rigaer Mark für den englischen König selbst, die beiden anderen für 1600 M. von Merten angekauft worden waren. Außerdem ließ die Bande noch Kleider, Kleinodien und Geld im Werte von 300 M. mitgehen. Wie weit die aus Danzig abgesandte Beschwerde des königlichen Handelsherren beim Hochmeister Erfolg hatte, ist nicht aktenkundig. Der Danziger Rat fühlte sich zu einer Eingabe an Bischof Fabian veranlaßt, er möge sich beim Hochmeister der Beraubten annehmen, um Vergeltungsmaßnahmen der Engländer gegen die preußischen Kaufleute abzuwenden.

Über den Reichtum einzelner Braunsberger Kaufherren vor dem sogenannten Reiterkrieg gibt uns eine briefliche Notiz des Hochmeisters Aufschluß, nach der das wohlhabende Handelshaus Kirsten Mitte Dezember 1519 für einen großen Abschluß 1800 M. an barem Gelde vereinnahmte.

1519 begannen auf Seiten des Ordens wie Polens die Kriegsrüstungen. Bischof Fabian wußte, daß der Kampf vornehmlich in seinem Lande würde ausgetragen werden. Daher bemühte er sich bei beiden Parteien zu vermitteln, traf aber auch Sorge, Haß die Mauern, Gräben und Türme der Bistumsstädte instand gesetzt wurden.

Da zu Ende des Jahres polnische Truppen sowohl von Süden wie von Westen den Ordensstaat angriffen, entschloß sich der Hochmeister zu einem Handstreich auf die ermländische Hauptstadt. Er hatte sich früher dem Bischof gegenüber erboten, zwei Meilen von Braunsberg entfernt eine Brücke über die Passarge zu schlagen, um die Stadt nicht beim Durchzug zu schädigen. Natürlich konnte Fabian allein um der gefährdeten Braunsberger Handelsinteressen willen diesem Wunsche nicht entsprechen. Jetzt besetzte Albrecht den wichtigen Brückenkopf, um den Polen zuvorzukommen.

Es war am Neujahrsmorgen 1520. Hoch lag der Schnee, durch den eine Reiterabteilung von etwa 200 Pferden und ein Infanterietrupp von ungefähr 30 Mann mit etlichen Geschützen auf der Königsberger Straße gen Braunsberg stapfte. Durchfroren und übernächtigt machten sie um 7 Uhr in Einsiedel halt. Eine Patrouille wurde vorgeschickt; sie meldete, das Stadttor sei offen und unbewacht. Sofort gab der Führer, Hochmeister Albrecht selbst, Befehl zum Weitermarsch. Der Schnee dämpfte den Schall der Anrückenden, die plötzlich vor der Brücke erschienen. Der Stadtkämmerer Fabian Gert wollte noch die Mühlenbrücke hochziehen, zu spät, er büßte seinen Versuch mit dem Tode. Nun hielt Albrecht auf dem Ring (Markt), ließ ihn besetzen, die Heertrommel schlagen und mit Trompeten blasen, daß es in der ganzen Stadt erschallte. Der Rat und die Ältesten der Gemeinde waren gerade bei der Prozession in der Kirche, als sie der Hochmeister vor sich laden ließ. Erst als er ihnen Leib und Gut sicher sagte, kamen sie heraus. Inzwischen hatte auch der Landvogt Fabian von Maulen, der Schwager des Bischofs, aber zugleich ein Untertan des Hochmeisters, das Schloß übergeben. Es hatte genügt, 77 daß Albrecht vor dem verschlossenen Tore dreimal rief: „Fabke, tu auf!" Da kam dieser hervor, bat um Gnade und öffnete ihm das Tor. Der Burggraf Peter, ein Priester, weilte ebenfalls in der Pfarrkirche.

Hier im Schloß forderte der Hochmeister von dem Rat und den Gemeindeältesten den Treueid; aber viele verwiesen auf den Schwur, den sie dem Bischof und der ermländischen Kirche geleistet hatten. Da entgegnete Albrecht, er habe im Sinne des Papstes und im Einvernehmen mit Bischof Fabian die Stadt besetzt, um sie vor den Polen zu schützen; deshalb sollten sie schwören oder sterben. Nun baten ihn viele kniefällig, er möge sie sicher wegziehen lassen; aber das lehnte er ab. Da traten der Landvogt Fabian und der 2. Bürgermeister Philipp Teschner hervor, erklärten von einer Vereinbarung des Bischofs und des Hochmeisters gehört zu haben, daß dieser die Stadt „bis zu Austrag der Sachen bewahren" wollte, und befürworteten die Huldigung; „denn man müßte tun wie arme Leute, die unvertorben sein wollen." Der Hochmeister versicherte noch, er werden ihnen hernach schriftlich beweisen, daß der Bischof mit der Besetzung der Stadt einverstanden sei, es sollte ihnen auch „nicht ein Haar gebrochen, nicht eines Hellers Wert genommen" werden. „So sie also klug wären und unvertorben sein wollten, so würden sie sich der Eidesleistung nicht weigern." Durch alle diese Vorstellungen und Drohungen wurden die Anwesenden endlich mürbe, lieferten die Schlüssel der Stadt aus und schwuren dem Hochmeister Treue.

So hatte Albrecht ohne jeden Verlust, in kecker Überrumpelung den wichtigen Handelsplatz, die Hauptstadt des Bistums, erobert, ein verheißungsvoller Anfang für seine kriegerischen Unternehmungen, ein schwerer Verlust für die polnische Gegenpartei, aber auch für den Bischof, der seinem Lande um des Friedens willen am liebsten die Neutralität erhalten hätte. Es fehlte daher in Braunsberg und im Ermland nicht an Stimmen der Kritik, die von Untreue und sogar Verrat sprachen und namentlich gegen den Landvogt und den Bürgermeister heftige Anschuldigungen richteten, sie hätten treulos gehandelt, sogar heimlich ihre Hand im Spiele gehabt.

Um gegenüber unangenehmen Überraschungen gesichert zu sein, befahl der Hochmeister der Bürgerschaft, alle Hauswehren (Waffen) auf dem Schloß abzuliefern, und verbot alle Zusammenkünfte. An den Bischof lichtete er ein Schreiben, in dem er seine Handlungsweise im Hinblick auf die kriegerische Lage rechtfertigte. Dann ernannte er seinen Kumpan Friedrich 78von Heideck zum Kommandanten der eroberten Stadt und fuhr am selben Tage „selbst sechste" nach Königsberg zurück.

Bischof Fabian wollte am Silvestertage von Elbing nach Braunsberg heimkehren, hatte aber des tiefen Schnees wegen seine Reise verschoben. Als er nun am Neujahrstage unterwegs war, erfuhr er von einem flüchtigen Braunsberger den Überfall, drehte eilends um, setzte den königlichen Hauptmann von Elbing in Kenntnis und machte sich am nächsten Tage auf nach seinem festen Schloß Heilsberg. Hier erhob er in einem Antwortschreiben lebhafte Klage über das Vorgehen des Hochmeisters. Die Stadt Braunsberg sei diesem stets geöffnet gewesen, auch wenn er nachts gekommen sei; ihre Besetzung sei wider die Abrede und gegen den Willen des Papstes. Der Hochmeister „sollte sich über diese Lande erbarmen und sich zu Freundschaft und Frieden mit dem Könige von Polen neigen."

Inzwischen hatte Heideck in Braunsberg die nötigen militärischen Sicherungen getroffen. Drei große Büchsen ließ er aufs Schloß rücken mit der Schußrichtung gegen die Stadt, auch die Türme und Tore der Stadt wurden mit Geschützen, darunter sechs kleinen Feldschlangen aus Balga, bestückt. Durch Sicherungsbauten und Schutzwehren suchte er die Befestigungen so zu verstärken, daß sie ohne große Gefahr nicht genommen werden könnten. Die Brücke am Kutteltor wurde abgebrochen, nur das Mühlen- und Hohe Tor wurden offen gehalten, die anderen festgemacht. Die Besatzung wurde durch Königsberger Handwerksgesellen, die wöchentlich 1 M. Sold erhielten, und Bürger vermehrt. Sie wurde zu dreien und vieren auf Bürgerquartiere verteilt. Im Schloß lag der Befehlshaber Heideck mit seinem Stab, den Hauptleuten Dietrich von Schlichen, Peter von Dohna, Klingenbeck und anderen. In Kürze war hier der Hafer verbraucht, alles Bier ausgetrunken, und das Brotkorn auf den Söllern ging zur Neige. Mit dem vorgefundenen Malz braute man neues Bier. Vom Gute Klenau mußte das Vieh herhalten, zwei Ochsen wurden auf einmal geschlachtet.

Der Verlust Braunsbergs war für die Polen sehr empfindlich. Bevor sie mit Waffengewalt die Rückeroberung betrieben, verfolgte ein Marienburger Hauptmann einen anderen Plan. Er dang drei Gesellen, die je 10 M. erhalten sollten, wenn sie die Passargestadt an mehreren Stellen in Brand steckten. Indessen der verbrecherische Anschlag wurde entdeckt und den Übeltätern Schwefel und Pulver abgenommen; dann wurden sie dem Scharfrichter überliefert. Heideck ließ nun alle Keller und Häuser durchsuchen, alle Lebensmittel aufzeichnen 79 und die Einwohner mahnen, aufs Feuer achtzuhaben. 2 - 3 Königsberger Jungen wurden mit Pferden in den Krügen zu beiden Seiten der Stadt stationiert, im Adlerkrug, (der am 18. 5. 1427 vom Rate begründet wurde, indem dieser an Peter Reymann den Bauplatz hinter dem Hl. Geiste (Hospital) verlieh), und im Hohen Krug, (zu dessen Anlage am 17. 8. 1432 Meister Johann Sonnefeld der (Toten) Gräber einen Raum „gegenüber den Leinenwebern" (Berliner Straße) erhielt.) Wenn nachts Briefe ankämen, sollten diese Postjungen mit blasendem Horn geweckt werden, damit sie an die geschlossenen Pforten kämen und hier die Briefe in einer Rolle in Empfang nähmen und weiterbeförderten.

Von seinem Braunsberger Stützpunkt aus unternahm Heideck Streifzüge in die Umgegend. Um Vieh, Getreide und anderen Proviant zu erbeuten, ritt er schon in der Nacht zum 8. Januar mit 70 Pferden ins Elbinger Gebiet aus. Im übrigen mußten die Gebiete von Balga und Brandenburg, selbst Königsberg Zufuhren an Lebensmitteln leisten, die in Braunsberg auch zur Verteilung an andere Ordenstruppen aufgestapelt wurden. Bei Pr. Holland holte sich der Hochmeister am 19. von den Polen eine empfindliche Schlappe.

In diesen Tagen führte der Braunsberger Rat über alle möglichen Ausschreitungen und Willkür der Landsknechte vor dem durchreisenden Hochmeister lebhafte Klage und erinnerte ihn an seine früheren Zusicherungen. Die Söldner verantworteten sich mit Vorwürfen gegen die Ratsherren, die verräterische Beziehungen mit dem Mehlsacker Burggrafen Pfaff angeknüpft hätten und ihm die Schlüssel der Stadt überliefern wollten, damit die Polen desto leichter hineinkämen. Albrecht stellte durch eine Untersuchung fest, daß noch von altersher Nachschlüssel auf dem Stadthause vorhanden seien. Da ihm erzählt wurde, daß schon früher einmal die Braunsberger eine Besatzung aus der Stadt vertrieben hätten (i. J. 1461), machte er kurzen Prozeß, ließ 12 Ratsherren gefangennehmen und paarweise gefesselt nach Königsberg bringen. Dann ließ er einen anderen Rat einsetzen, der ihm huldigen und schwören mußte; Schlüssel zu den Toren wurden ihm aber nicht mehr belassen. Selbst das Läuten der Glocken verbot Albrecht vorsichtshalber. Und weil er erfuhr, daß von Domherren, Dorfpfarrern und anderen Priestern Geld und Silberwerk in der Braunsberger Pfarrkirche vergraben sei, ließ er diese verschließen und nahm die Schlüssel in Verwahrung. Als sich darüber die in der Kirche amtierenden Priester beklagten, ließ er sie zum Bischof nach Heilsberg treiben und bestellte zum Pfarrer der Gemeinde einen gewissen Lorenz, Herzog von Geldern genannt, den der Bischof wegen Teilnahme an früheren Raubzügen mit lebenslänglichem Kerker bestraft hatte. Die vergrabenen Schätze aber konnte der Hochmeister ausfindig machen.

Die gefangenen 12 Ratsherren durften sich in Königsberg eine Herberge suchen, mußten aber eine eidesstattliche Versicherung abgeben, daß sie sich nicht ohne Wissen des Hochmeisters aus der Stadt entfernen, auch nicht Briefe oder Kundschaften schreiben würden. Alle Tage mußten sie sich um 12 Uhr auf dem Schlosse dem Hauskomtur oder dem Hofmarschall vorstellen. Auf vielseitige Bitten wurden sie Ende März nach Braunsberg entlassen, aber bald nach Ostern wurden der Bürgermeister Georg Schönwiese, sein Kumpan Teschner und Hans Ludtke abends bei der Kreuzkapelle auf einen Wagen gebunden und nach Königsberg weggeführt, ohne daß zunächst jemand erfahren konnte, weshalb und wohin.

Am 23. Januar zog Heideck nach Frauenburg, brannte die Stadt und alle Wohnhäuser auf dem Dome aus, konnte aber die Kathedrale selbst wegen einer geringen polnischen Besatzung nicht nehmen. Ende Januar forderte der Hochmeister die städtischen Privilegien, Register und amtlichen Briefe aus der Stadtkammer nach Königsberg. Die Privilegien fand man nicht und vermutete, sie konnten vergraben sein. Von Rechnungsbüchern und sonstigen Archivalien waren aber so viele vorhanden, daß man wohl einen Monat gebraucht hätte, um alle zu überlesen, und deshalb war Heideck ungehalten darüber, daß man ihn mit solchen Dingen behelligte.

Wie die früheren Kriege brachte auch der Reiterkrieg die übliche Wegelagerei und Brandschatzung auf beiden Seiten zu trauriger Blüte. Von Frauenburg aus verheerten polnische Streifzügler mehrere Dörfer der Braunsberger Umgebung, darunter Passarge, und äscherten sie ein. Ihr Anschlag auf die Vorstadt vor dem Hohen Tor wurde dadurch vereitelt, daß Heideck ihn durch einen gefangenen Spion vorher erfuhr. Der Ergriffene wurde tags darauf gehenkt, ebenso ein anderer Pole, obwohl der Hochmeister nachträglich dieses schnelle Verfahren mißbilligte, da er Gegenmaßnahmen befürchtete und von den Gefangenen gern mehr Nachrichten aus dem feindlichen Lager herausbekommen hätte.

Am 8. Februar unternahm Heideck einen Eroberungszug nach Mehlsack, das sich sogleich ergab und eine Besatzung von 300 Mann erhielt, die aber schon nach einer Woche nach Braunsberg zurückbefohlen wurden, weil die Polen, etwa 600 81 Reiter und 400 Fußtruppen, am 13. die Stadt bedrohten. Sie beschränkten sich aber darauf, in der Vorstadt und der Umgegend Vieh zu rauben und Käufer niederzubrennen, doch wagte Heideck mit feinen 500 Landsknechten nicht den Kampf mit ihnen, zumal es ihm an Pferden mangelte. Da ihm auch Blei fehlte, riet ihm der Hochmeister, die Orgeln in den Kirchen, die Taufkannen und Schüsseln anzugreifen. Seine Lage wurde auch dadurch schwieriger, daß die Landsknechte stürmisch ihren Sold forderten, seine Mittel aber erschöpft waren. Erst am 28. Februar verließen die Polen ihre Stellungen vor der Stadt. Sie nahmen Mehlsack und rückten verheerend in das östliche Ordensgebiet vor. Am 15. März eroberte Albrecht im Sturm Mehlsack zurück; doch gewann die Übermacht der Polen auch im Bistum immer mehr Boden.

Bischof Fabian und sein Domkapitel, deren Neutralitätspolitik Schiffbruch erlitt, hatten inzwischen über die Schädigungen ihres Landes durch den Orden bei der päpstlichen Kurie und dem polnischen König Klage geführt. Neue Friedensvermittlungen des Bischofs blieben erfolglos. Noch hatte das Kriegsglück nicht eindeutig entschieden.

Heidecks Schwierigkeiten in Braunsberg wuchsen. Seine Büchsenmeister klagten über die Verpflegung und verlangten Geld, um sich selbst beköstigen zu können. Die Landsknechte erzwangen von ihm eine Lohnerhöhung. Der Hochmeister wollte Teile seiner Besatzung für andere Unternehmungen verwenden, doch drohte der ermländischen Hauptstadt von Westen her, wo starke polnische Truppen lagen, unmittelbare Gefahr. Daher zog Heideck zur besseren Bewachung der Mauern Schalwerksleute aus dem Brandenburgischen und Balgischen heran.

Mit 200 Pferden erschienen die Polen am 14. April vor der Neustadt. Fast hätten sie diese auf den ersten Streich genommen. Sie drangen schon bis an die inneren Schranken vor, da schlug diese ein hinzugelaufener Bürger der Altstadt zu, wobei er durch den Arm geschossen wurde. Die Polen trieben Vieh weg und lieferten mit den sie daran hindernden Ordensknechten ein Scharmützel; die wegen ihrer Grausamkeit gefürchteten Tataren verschossen dabei etwa 200 Pfeile, ohne jedoch viel zu treffen.

Nachdem Ende April Holland von den Polen genommen war, bei dessen Verteidigung auch Braunsberger Bürger hatten mitkämpfen müssen, sollte Braunsberg an die Reihe kommen. Hier fehlte es an Truppen, Proviant und Geld; auch die 12 Hakenbüchsen und 4 Büchsenmeister waren unzureichend. Heideck wollte bei einer Belagerung das Äußerste tun, wunderte sich aber, daß der Hochmeister diesen Flecken, der jetzt das Herz des Ordens sei, so vernachlässigte. Am 7. Mai drangen etwa 90 feindliche Reiter von Regitten her gegen die Neustadt vor, deren Schranken geschlossen waren. Heideck schickte 60 Knechte hinaus, die auf der Wiese vor den Schranken mit den Polen scharmützelten, ein Fähnlein erbeuteten und sie zurückdrängten. Diese vereinigten sich mit anderen Reserven und griffen von drei Seiten her die Neustadt an, die die Ordensknechte räumen mußten. Die Mühle, in die sich die Flüchtigen zurückgezogen hatten, konnte Heideck mit Geschütz entsetzen. Auf der Brücke drängte sich die verängstigte Bevölkerung der Neustadt, der der Feind auf den Fersen war. Das Mühlentor konnte der Kommandant aber nicht öffnen, weil sonst Freunde und Feinde in der Stadt Einlaß gefunden hätten. Die Polen erstachen Bürger und Bauern und erwürgten und verwundeten selbst Frauen, Wöchnerinnen und Kinder in der Wiege. Auch 100 Mann der Ordenstruppen wurden erstochen, erwürgt oder verbrannt. An drei Stellen der Neustadt legten die Feinde Feuer an. Nach diesen Heldentaten zogen sie ab. Trotz eigener Not mußte Heideck den armen Leuten Lebensmittel verabrei­chen. Aber nur die Verwundeten konnte er in die Altstadt hineinlassen, für alle Neustädter hätte der Proviant nicht gereicht. Gleichzeitig mit diesem Angriff vom Lande her unternahmen die Danziger mit 4 Jachten einen Einfall von der Passarge her, beraubten die armen Leute und führten sie weg.

Waffenstillstandsverhandlungen ließen im Juni eine Kampfpause eintreten. Auf einer Reise nach Thorn machte Albrecht am 14. Juni in Braunsberg Station und ernannte bei dieser Gelegenheit Heideck zum Hauptmann und Verwalter der Stadt; was er in des Hochmeisters Namen tat, sollte so angesehen werden, als habe es der Hochmeister in eigener Person getan.

Anfang Juli wurde die Lage für die Altstadt kritischer. In neuer Aktivität legten sich die Feinde vor die Passarge, um den Wasserweg nach Königsberg zu sperren. Eine Pulverzufuhr aus der Pregelstadt wurde von den Polen aufgehoben. Die Landsknechte drohten wegen der ausstehenden Soldforderungen den Dienst aufzukündigen und wurden beim Hochmeister selbst vorstellig. Es war ihnen außer ihrem Gehalt zugesagt, bei der Einnahme von Städten, Flecken und Schlössern sollten die Sturmglocke, das Geschütz und Pulver auf der Wehr ihr eigen sein, oder der Hochmeister müßte dafür eine Ablösung zahlen. Sie erinnerten nun an die Eroberung von Braunsberg und Mehlsack, für die ihnen die ausbedungene Belohnung noch 83 ausstehe. Aber Albrecht konnte beim besten Willen statt der angeforderten 6000 nur 1000 M. und wenige Bewaffnete zur Verfügung stellen. Er riet Heideck, den Söldnern die Kirchenkleinodien und alles Silbergeschirr der Stadt zu verpfänden; selbst die Stadt und das Geschütz wollte er ihnen schlimmstenfalls zum Pfande überlassen.

Am 7. Juli begann die Belagerung Braunsbergs. Etwa 7000 Mann unter Führung des Palatins von Sandomir Nikolaus Firlei wurden dazu angesetzt. Zunächst warfen die Polen Schanzen auf und beschossen daraus vom 10. bis 12. die Stadt. Besonders den Kirchturm nahmen sie unter Feuer, um die dortigen Beobachtungsposten zu verscheuchen. Die Spitze des massigen Turmes und das Dach wurden dabei „verschampiert", auch die größte Glocke beschädigt. Am 12. eröffneten die Braunsberger ihr Geschützfeuer und brachten die feindlichen Büchsen zum Verstummen. Am 14. kam es zu einem Ausfallgefecht. Heideck schickte etwa 150 Knechte zu der Schanze beim oberen Tor, hinter der 16 Fähnlein mit etwa 500 Polen und Böhmen lagen. Den Angriff unterstützte von den Mauern her die Artillerie. Die Polen verloren zwei Hauptleute, 120 Mann, 14 Fahnen und 5 Hakenbüchsen. Die Polen waren im Kampfe den Deutschen trotz ihrer Überzahl nicht gewachsen, und hätten diese mehr Knechte zur Verfügung gehabt, so hüten sie ihnen alle Geschütze, die sie von Holland hinübergeschafft hatten, weggenommen. Auf Ordensseite war der Tod des Hauptmanns Hans von Helb, der der stellvertretende Befehlshaber von Braunsberg war, zu beklagen. Die erbeuteten Fahnen ließ Heideck „Gott und seiner werten Gebärerin zu Lob" in der Pfarrkirche aufstellen.

Ein anderes bedeutenderes Scharmützel spielte sich am 22. Juli ab. 40 Pferde und 200 Knechte der Stadtbesatzung fielen in das Lager der Tataren und Polen, das diese bei der Vogel-Schießstange vor dem Obertore aufgeschlagen hatten, und vertrieben sie daraus, waren aber zu schwach, um diesen Erfolg auszunutzen; vielmehr wurden 30 Reisige und mehrere Knechte verwundet und 3 Knechte getötet, während die Polen nur einen Toten und mehrere Verwundete zählten.

Ein andermal überfielen bei stiller Nachtzeit polnische Reiter das Vieh, das Heideck requiriert hatte und auf der Weide zwischen der Stadt und der Passarge mit etlichen Hakenbüchsen bewachen ließ. Sie trieben es weg und wurden wohl unter Feuer genommen, jedoch die Schützen „beleidigen keinen nicht, allein einem Kalbe haben sie das Hinterbein durchgeschossen." Auf den Lärm des Gefechtes stürzten sich über 100 Knechte aus der Stadt auf die Viehräuber und kämpften mit ihnen; dabei büßten sie über 40 Knechte, die Polen 11 Mann ein.

Zu den Belagerern gehörte auch der Hauptmann Baltzer von Donen, ein Vetter des Braunsberger Hauptmanns Peter von Dohna; er war mit 200 Bewaffneten aus Schlesien auf dem preußischen Kriegsschauplatz erschienen. Durch eine List wollte er vor Braunsberg einen Hauptstreich führen. Er bat seinen Vetter um eine Unterredung. Als diese im schönsten Fluß war, versuchte er mit seinen verborgenen Landsknechten die Stadt zu überrumpeln. Aber die Verteidiger waren auf der Hut; der Anschlag mißlang, und Herr Baltzer wurde ins Bein gestochen.

Noch wird uns aus diesen Belagerungswochen berichtet, wie 15 kecke Landsknechte in der Stadt Lecker auf Kirschen bekamen und sich bewaffnet über die schönen Flüchte am Frauenburger Weg hermachten. Das wurden die Polen gewahr, fielen mit 50 Mann zu Roß und Fuß über sie her und jagten sie in den Grund; aber die Braunsberger wehrten sich wacker und erzählten nachher, sie hätten mehr als die Hälfte erschlagen. Ihnen selbst hatten freilich die frischen Kirschen 6 Schwerverwundete gekostet. Fortan ließ man aber die Landser nicht mehr ohne Urlaub aus den Toren.

Wochen und Wochen schleppte sich die Belagerung der mit den damaligen Geschützen kaum einnehmbaren Altstadt hin. Nach den eisten Mißerfolgen war die Kampfeslust auf der polnischen Seite bald erlahmt. Einer ihrer Hauptleute, der Schlesier Hans von Rechenberg, klagte, es sei schade um das Pulver, das man hier verschieße, besser wäre es, könnte man es gegen die Ungläubigen gebrauchen. Immerhin setzte man das Bombardement fort, richtete an den Befestigungswerken, Häusern und der Kirche manchen Schaden an und verschanzte sich immer stärker gegen die städtische Beschießung. Man hoffte die Eingeschlossenen allmählich doch mürbe zu machen. Zur Verpflegung wurde die nähere und weitere Umgegend ausgepocht; aber an Sold fehlte es auch den Polen. Wegen der ungenügenden Löhnung wollten 400 Reiter abrücken und wurden nur mit Mühe von ihrem Hauptmann festgehalten.

Trotz der energischen Verteidigung sah es bei den Belagerten keineswegs rosig aus. Die widerspenstige Besatzung und der Geldmangel machten Heideck nach wie vor viel zu schaffen. Mit Mühe und Not erhielt er von den Bürgern 1500 Gulden geliehen, doch sie reichten nicht weit, und die Knechte schrien wieder nach Sold. Die meisten von ihnen hatten sich nur für 85 drei Monate verpflichtet, und ihr Artikelsbrief gestattete ihnen, 14 Tage vor Ablauf des Monats den Dienst abzusagen oder neu zuzusagen. Jetzt machten sie trotz der Gegenvorstellungen der Hauptleute Schwierigkeiten, weigerten sich länger zu bleiben und schickten Abgesandte mit ihren Forderungen zum Hochmeister, der in Finanznöten steckte. Ja, bei einem Scharmützel gebürdeten sie sich so ungehorsam, daß die Hauptleute den Kampf abbrechen mußten, obwohl sie keine Verluste erlitten hatten. Sorge machte dem Kommandanten auch das Zerspringen von zwei Geschützen binnen kurzer Zeit, es deuchte ihm, „es geht nicht richtig zu." Zeitweilig war er krank und quälte sich auf seinem Schmerzenslager mit schlimmen Zweifeln über das Schicksal der ihm anvertrauten Stadt. 

Da in höchster Not geschah das Unerwartete, schier Unglaubliche! Die Polen rückten zu Michaelis (29. September) nach fast dreimonatlicher vergeblicher Belagerung ab. Anhaltender Regen und die ungeregelte Verpflegung hatten viele Erkrankungen verursacht. Außerdem verlautete, ein dänisches Hilfsheer für den Orden sei im Anmarsch. Heideck konnte sich mit Recht seines Erfolges rühmen, und selbst ein Dichter feierte im Landsknechtlied die siegreiche Verteidigung:


Vor Königsperg schuffen die feinde nicht,

Sie karrten wider hinder sich,

Thetten vor den Brawnsperg rücken.

Sie logen dar ein firtel jar,

Es wolt inn nicht gelücken.


Sie richten uff ein feste schanntz,

Dorin sich Hub der bettler tantz.

Die Prewschen meisterknechte

Schlugen die Polen uff den schwantz,

Gar vil zu tode blechten.


XIIII schoen fenlein wol gethan

Stunden uff demselbigen plan,

Die wurden eyngetragen

Zu Brawnsperg in des ordens stadt,

Sy getorften vor schandt nicht klagen.


Uff der heiligen sanndt Magdalenen tag (22. Juli)

Ein feyn schirmützell do geschah,

Die Polen musten weichen.

Manch resiger an der erde lag,

Die drabenn dergleichen.

 

Indessen das launische Kriegsglück bescherte dem Hochmeister vor der Vischofsburg Heilsberg eine arge Enttäuschung. Zwei hartnäckige Versuche, sie zur Übergabe zu zwingen, schlugen fehl; dagegen fielen Guttstadt und Wormditt im November in seine Hände. Da aber des sehnlich erwartete deutsche Hilfsheer vor Danzig aufgerieben wurde, zeigte er sich mehr als früher den Friedensvermittlungen des Herzogs von Liegnitz zugänglich. Dieser brachte am 15. Februar 1521 zunächst einen vierwöchigen Waffenstillstand zuwege. Während dieser Zeit befahl der Hochmeister seinem Braunsberger Burggrafen Peter von Dohna, die Eisenschlangen, welche auf dem Keuteltor lagen, samt Kugeln und anderm Zubehör, sowie sechs Serpentiner samt anderen Büchsen, die für Schiffe tauglich waren, eilends nach Königsberg zu schicken; offenbar wollte er damit seine Kriegsflottille bestücken. Am 5. April wurde dann zu Thorn ein vierjähriger Anstand vereinbart, durch den dem Blutvergießen und Plündern ein Ziel gesetzt wurde. Über die von jeder Partei eroberten Städte und Schlösser sollten später Schiedsrichter die Entscheidung fällen.

Demgemäß verblieb auch Braunsberg einstweilen dem Orden, und dieser suchte aus der arg mitgenommenen Stadt möglichst viel Nutzen zu ziehen. Die städtische Freiheit, die vordem 40 M. Jahreszins eingebracht hatte, war völlig leistungsunfähig geworden; viele benachbarte Dörfer waren nahezu oder ganz wüst geworden. Burggraf Dohna hatte deshalb schwierige Verwaltungsaufgaben zu lösen.

Mitte April verbot Albrecht, ohne seine besondere Genehmigung Waren aus der Stadt auszuführen. Er begründete die Maßnahme damit, daß er erfahren habe, es sei dort noch Eigentum der feindlichen Danziger an Flachs, Hopfen und anderer Ware vorhanden, die er hätte beschlagnahmen können. In seiner Finanznot forderte er nun 3/4 des Flachses, das letzte Viertel könnten die Braunsberger zu ihrem eigenen Besten gebrauchen. Diese erklärten, Danziger Güter nicht zu besitzen. Gegen die Flachssteuer sträubten sie sich, indem sie an ihre Kriegsleistungen erinnerten; sie hätten für die Knechte 3000 M. vorgestreckt. Mehr als 150 Bürger hätten drei Monate vor Holland gelegen und seien von städtischem Gelde unterhalten worden, auch hätten sie die Knechte des Hochmeisters mit Essen und Trinken, Kühen und Pferden versorgt. Der Flachs sei in den Kellern zum Teil naß geworden und verdorben, so daß er keine große Einnahme erhoffen lasse. Nach weiteren Verhandlungen erboten sie sich schließlich im Juni notgedrungen, für den Flachs 3000 M. zu steuern. Obwohl der Hochmeister aus diesem 87 Hauptausfuhrgut noch mehr herausholen wollte, mußte er sich doch mit der angebotenen Summe zufrieden geben. Den städtischen Schuldbrief überwies Albrecht dem Berliner Bankier Anton Wins, dem er größere Zahlungen zu leisten hatte. Daraus erwuchsen der Stadt erhebliche Schwierigkeiten. Als Wins seine Forderung geltend machte, aber auf Widerstand stieß, kam es zu vielen Weiterungen, die nicht nur den Hochmeister und seinen Stellvertreter, sondern auch den Magistrat von Danzig und selbst den Kurfürsten von Brandenburg beschäftigten. Schließlich half sich der Berliner Bankier i. J. 1524 damit, daß er Braunsberger Güter in Danzig mit Arrest belegen ließ. Darüber erhob sich in der Passargestadt eine solche Erregung, daß der Rat im Dezember den Burggrafen Dohna festnehmen ließ. Der Hochmeister forderte alsbald seine Freilassung, um ihn zu Verhandlungen zum Kurfürsten Joachim zu schicken, und versprach der Bürgerschaft, für allen Schaden aufzukommen.

Da der Krieg den Bestand an Schlachtvieh nahezu vernichtet hatte, waren teure Fleischpreise die natürliche Folge. Daher beschloß im August 1521 der Braunsberger Rat einen Ziegenmarkt, wie er damals auch in anderen Städten stattfand, abzuhalten, wofür er die Erlaubnis des Hochmeisters erbat. Dieser ließ ferner den Braunsbergern im September ein strenges Verbot zugehen, die Braugerste, die sie in Königsberg und im Samlande gekauft hatten, nach Elbing und Danzig weiter zu verkaufen. Starke Unzufriedenheit über den bürgerlichen Wachdienst, den man nicht mehr für nötig hielt, führte Ende 1522 sogar zu feiner Verweigerung. Trotzdem glaubte die Ordensregierung, auf dieser Sicherheitsmaßnahme bestehen zu müssen. Im Mai 1523 wurde eine genauere Bestimmung dahin getroffen, daß des Nachts vier Bürger samt dem Stadtdiener Wache halten sollten; am Tage sollte ein Bürger unter allen geöffneten Toren wachen und ein Bürger dem Türmer beigegeben werden; ebensoviele Wachtmannschaften sollte auch der Burggraf namens des Hochmeisters stellen.

An dem dauernden Besitz des für den Durchgangs- und Handelsverkehr wichtigen Braunsberg war dem Hochmeister sehr viel gelegen; deshalb sollte auch fein Prokurator bei der römischen Kurie dafür sorgen, wenn nicht das ganze ermländische Stift, so doch wenigstens Braunsberg für den Orden zu sichern. Als am 30. Januar 1523 Bischof Fabian verstarb, trug sich Albrecht mit neuen Hoffnungen. Er wies seinen römischen Gesandten in einem Schreiben auf den besonderen Wert Braunsbergs hin. „Denn wir in nächster Fehde wohl empfunden. ob wir solche Flecken, in Sonderheit Braunsberg nicht gehabt, da es mitten zwischen unserm Lande gelegen, wie leichtlich die Polen uns wurden Schach geboten haben." Die Wahl des vom polnischen König benannten ermländischen Domkustos Mauritius Ferber zum Nachfolger Fabians (14. 4. 1523), die alsbald die Bestätigung der päpstlichen Kurie fand, vereitelte Albrechts Bemühungen um eine Eingliederung des Bistums in den Ordensstaat. Alle seine weiteren diplomatischen Schritte konnten doch den Krakauer Frieden (8. April 1525) nicht verhindern, nach dem er als Vasall der Krone Polen den Huldigungseid leisten mußte, dafür aber den Ordensstaat als weltliches Herzogtum erhielt. Die vom Ermland besetzten Gebiete mußte er räumen, auch die Stadt Braunsberg, obwohl er diese unter allen Umständen behalten wollte.

Nun lockte die als Brückenkopf bedeutende Handelsstadt auch die Begehrlichkeit der polnischen Krone, und man fand bald einen Grund, sie dem Bistum abspenstig zu machen, indem man den verstorbenen Bischof Fabian verdächtigte, er habe die Stadt verräterisch dem Orden in die Hände gespielt. Die Mehrheit des polnischen Reichssenates schloß sich diesen Auffassungen an, und so erschienen am 3. Juni 1525 in Braunsberg königliche Gesandte, um der Bürgerschaft den Eid der Treue für König Sigismund abzunehmen. Vergeblich hatte Bischof Mauritius sich an den Rat mit dem dringenden Ersuchen gewandt, als bischöfliche Untertanen die Huldigung abzulehnen: gegenüber der Forderung des mächtigen Königs war man zur Nachgiebigkeit gezwungen. Georg von Pröck bezog als königlicher Hauptmann das bischöfliche Schloß. Trotzdem wurde Mauritius nicht müde, durch einflußreiche Fürsprecher am Krakauer Hofe den König dazu zu bewegen, daß er ihm Braunsberg zurückgebe. Sigismund zeigte sich allmählich entgegenkommender, begegnete aber auf dem entscheidenden Petrikauer Reichstag, auf dem Bischof Ferber die Rückgabe der Städte Braunsberg und Tolkemit als von der Gerechtigkeit geboten darlegte (8.1.1526), sogar Einwänden der preußischen Abgeordneten, die sich offenbar von reformatorischen Erwägungen leiten ließen. Erst am 18. August 1526 wurde die ermländische Hauptstadt von königlichen Kommissaren ihrem angestammten bischöflichen Landesherrn wiedergegeben. 89

 

V. Im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation

Die kühnen Lehren des Wittenberger Augustinermönchs Dr. Martin Luther hatten wie in allen deutschen Landen auch in Preußen ihre Wellen geschlagen. Aus einem Lehrstreit hatte sich bald eine romfeindliche Bewegung entwickelt, die in ihrer völkischen und religiösen Ideenverbindung eine Erneuerung der deutschen Kirche erstrebte und in weiten Kreisen des Volkes wie der Fürsten begeisterter Zustimmung, in anderen, konservativen Schichten aber auch entschiedener Ablehnung begegnete. Hochmeister Albrecht brachte bald der Wittenberger Lehre offene Sympathien entgegen. Im März 1523 richtete Luther ein eigenes Sendschreiben „an die Herren deutschen Ordens, daß sie falsche Keuschheit meiden." Am Weihnachtstage desselben Jahres hielt der samländische Bischof Georg von Polenz die erste evangelische Predigt im Dome zu Königsberg. Seine Verordnung, deutsch zu taufen und Luthers Schriften fleißig zu lesen, rief sogleich ein Gegenmandat des ermländischen Bischofs Ferber an seinen Klerus hervor, worin er ihn eindringlich beschwor, der alten Kirche Gottes die Treue zu bewahren (Januar 1524). Eine zur Abwehr verfaßte theologische Abhandlung des gelehrten Frauenburger Domkustos Tidemann Giese, die dieser auf Veranlassung seines gleichgesinnten Amtsbruders Nikolaus Koppernikus der Öffentlichkeit übergab, bewies, daß auch das ermländische Domkapitel bei aller Erkenntnis kirchlicher Mißbräuche und Mängel der lutherischen Lehre grundsätzlich abhold war. Dieser Kampf der Geister, in dem bald der machtpolitische Faktor der Landesfürsten in beiden Lagern den Ausschlag gab, spiegelte sich auch in der ermländischen Hauptstadt wider. Noch zur Zeit der Ordensbesatzung zeigte der van ihr abhängige Rat seine Hinneigung zu den neuen Ideen. Der frühere Stadtkommandant Friedrich von Heideck, der im Ordenslande umherritt, um die Bevölkerung für die Reformation zu gewinnen, meldete dem lutherischen Bischof Polenz, die Braunsberger wünschten einen evangelischen Prediger, und Polenz erklärte sich am 15. März 1524 bereit, ihnen einen Gelehrten zu schicken, der Pfarrer und Prediger zugleich sei - sie sollten ihn mit einem bequemen Haus versorgen. Am 19. April sandte er ihnen einen gewissen Christoph (Wedemann?). Obwohl Bischof Ferber dem Rat eine ernste Warnung zugehen ließ, entzog dieser dem Pfarrer, den Vikaren und anderen Priestern ihre stiftungsgemäßen Pfründen und verwandte sie vermutlich zum größten Teil für kommunale Bedürfnisse, teilweise auch für den Pfarrer des neuen Glaubens. Auch aus ihren Amtswohnungen wurden die katholischen Priester vertrieben und so der Mildherzigkeit ihrer Glaubensgenossen überantwortet.

Auch das Franziskanerkloster blieb von den religiösen Wirren jener Zeit nicht verschont. Am 20. März richtete Polenz an mehrere Ämter, darunter Braunsberg, den Befehl, die Kleinodien der Klöster zu beschlagnahmen. Der Bestand an Ornaten und Kirchenschätzen sollte aufgenommen werden, weil es sich an vielen Orten ereigne, daß die Mönche den Klöstern entliefen, wobei zu befürchten sei, daß auch Kleinodien entführt würden. Daher sollten diese wertvollen Inventarslücke im Beisein des Bürgermeisters in Verwahrung genommen und jedem Kloster nur ein schlichtes Meßgewand und das sonstige Zubehör zur Meßfeier, sowie ein silberner oder vergoldeter Kelch gelassen werden.

Am Gründonnerstag wurde den Franziskaner das Mandat über die Beschlagnahme der Klosterschätze zugestellt. Daraufhin bildete sich das Gerücht, der Hochmeister bereite eine Plünderung der Stadt vor, und es entstand eine ungewöhnliche Erregung. In der Nacht zu Karfreitag pflegte die St. Marienkirche für die Gläubigen offen zu stehen, und schon am frühen Morgen wurde eine Passionspredigt gehalten. Diesmal war aber der Guardian vor nächtlichen Störungen gewarnt worden, und deshalb hielt er Kloster und Kirche bis morgens 7 Uhr verschlossen, obwohl sich viele Beter vor den Türen einfanden. Andererseits hatten zwei Betrunkene, ein Fleischer und der Stadtknecht, nachts ihren Harnisch angelegt und eine drohende Haltung eingenommen. Nun hieß es, ein Königsberger habe für die Osternacht einen Überfall zum Zwecke der Plünderung angekündigt. Zur Abwehr entschlossen, zogen die Bürger am Vorabend des Festes ihre Rüstung an und rotteten sich drohend zusammen. Die Frauen und Jungfrauen aber verbargen ihr Geschmeide, das sie zu den Feiertagen so gern gezeigt hätten, weil sie der vermeintlichen Beraubung entgehen wollten. Burggraf Dohna hielt es nach diesen Vorfällen für geraten, den Mönchen nicht ihre Kleinodien zu nehmen; durch eine Besichtigung überzeugte er sich, daß sie noch alle vorhanden waren. Bald darauf befahl Polenz dem Rat der Stadt, das Silberwerk des Klosters in Verwahrung zu nehmen, da er erfahren hatte, daß ein beträchtlicher Teil der Wertstücke nach Danzig geschafft worden sei. 91

Daß bei dieser Revolte auch die altgläubige Gesinnung breiter Bevölkerungsschichten und die Beliebtheit der Mönche mitgewirkt haben muß, ist aus einer brieflichen Äußerung des Hochmeisters aus Nürnberg (27. 6.) ersichtlich. Er beklagt sich nämlich, daß „in Braunsberg und Bartenstein das gemeine Volk dermaßen verstockt ist, dem Worte Gottes zuwider zu handeln, und müssen daher besonders befürchten, daß die von Braunsberg Ursache suchen wollen, auf diese Weise wieder zum Bistum zurückzukommen." Deshalb hält er es für geraten, die zeitigen Prediger, die ihm an dem Mißerfolg schuld zu haben scheinen, zurückzuziehen und „andere ehrliche verständige" Männer zu berufen. Inzwischen hatte aber schon sein Stellvertreter Polenz im Mai seinen Offizial Johannes als Pfarrer nach Braunsberg geschickt. Wegen der Klosterschätze gab er Dohna den Rat, mit den Mönchen zu verhandeln, daß er ihr Silber zu treuer Hand in Verwahrung nehmen und einen Hinterlegungsschein daraus ausstellen wolle bis zur Rückkehr des Hochmeisters. Polenz hofft, die Franziskaner würden darauf eingehen, da sie sonst zu befürchten hätten, es würde ihnen bei einem Überfall alles mit Gewalt genommen werden. Ende November erhielt Dohna den Auftrag, zu dem am 6. Dezember in Königsberg stattfindenden Ständetag, nicht nur alles vorhandene Geld mitzubringen, sondern auch was er sonst an Barschaft, Silbergeld, Gold oder Kleinodien bei den Kirchen, Kapellen, Gilden oder Bruderschaften in seinem Amte aufbringen oder entlehnen könnte. Der Hochmeister benötigte dringend alle verfügbaren Mittel zu den bevorstehenden Friedensverhandlungen.

Kurze Zeit bevor die Ordensbesatzung gemäß den Bestimmungen des Krakauer Friedens aus Braunsberg abrücken mußte, wurde der frühere Braunsberger Bürgermeister Georg Schonwese festgenommen und zu Königsberg einem Verhör unterzogen, dem der neue Herzog, der samländische Bischof Polenz und andere hochgestellte Männer des herzoglichen Hofes beiwohnten. Schonwese, der bereits zu Beginn d. J. 1520 zweimal als politisch verdächtig gefangengesetzt und nach Königsberg geschafft worden war, scheint der Führer der katholischen, konservativen Volkskreise gewesen zu sein. Man warf ihm nun vor, er habe geheime Zusammenkünfte abgehalten und die Bürger am Ostersonnabend des Vorjahres zur Erhebung gegen die Ordensherrschaft aufgewiegelt. Er habe auch Reden gegen die neuen Prediger gefühlt wie: „Sie meinen nicht den Glauben, sondern wollen uns die Kelche und Monstranzen aus den Kirchen klauben, wir wollen sie totschlagen!" Schließlich sollte er behilflich gewesen sein, aus dem Franziskanerkloster Geld, Kleinodien und Silberwerk zu entwenden und nach Danzig zu schaffen. Die Untersuchung führte nach der Verteidigung des Angeschuldigten zu keinem rechten Ergebnis. Schonwese mußte freigelassen werden, als der Burgvogt Georg Pröck im Auftrage des polnischen Königs am 3. Juni Stadt und Schloß Braunsberg von der herzoglichen Besatzung übernahm.

Mit Albrechts abziehenden Truppen war vermutlich auch der lutherische Pfarrer Johannes abgereist, nachdem er mit seinen Predigten einen großen Teil der Gemeinde, an erster Stelle den Rat, für die Reformation gewonnen hatte. Der königliche Burggraf Pröck suchte aber das katholische Leben in der Stadt wiederherzustellen. Eine seiner ersten Maßnahmen war wohl, daß er die früheren Pfarrgeistlichen in ihr Haus zurückführte. Bürgermeister und Ratmannen wandten sich jedoch (am 24. 6.) an den lutherischen Bischof Polenz mit der Bitte, ihnen Johannes, den Pfarrer von Arnau, vielleicht ihren eben geschiedenen Prediger, binnen 8 Tagen zu senden, „der sie Evangelischer unnd Christlicher lere underweyssenn unnd das getliche wort predigen wolle." Sie wollten ihn samt seinen „Capellanen und dieneren" zur Genüge versorgen. Aber Pfarrer Johannes, dem die Stellung unter den veränderten politischen Verhältnissen gefährlich erscheinen mochte, entschuldigte sich mit „schwachheit und unvermogen seines Leybs", dafür wollte Polenz den Königsberger Kaplan Paul Pole schicken, der geneigt und gewillt war, sich als Prediger eine Zeitlang zu den Braunsbergern zu verfügen. Der samländische Bischof unterließ nicht zu bemerken, „das solcher Cristlicher Prediger sich ehelicher beweybbt." Vielleicht nahm der Rat an diesem Umstand Anstoß und verzichtete deshalb auf das Angebot. Jedenfalls ist Pole, der sich nunmehr als Kaufmann in Königsberg dem Handelsstande widmete und später eine preußische Chronik verfaßte, als Prediger in Braunsberg nicht nachweisbar. Dafür berief der Rat durch Peter Kirsten aus dem befreundeten Danzig, wo ebenfalls die Reformation Eingang gefunden hatte, einen unverheirateten Johannes Barbitonsoris (Bartscherer). Bürgermeister Gregor Rabe wies diesem das Priesterhaus zu, obwohl es von früheren Geistlichen mit ihrem eigenen Gelde erbaut worden war. Da sich die katholischen Priester weigerten, ihre Wohnungen zu räumen, ließ ihnen Rabe das Türschloß vom Hause abreißen.

Der religiöse Gegensatz nahm allmählich immer schärfere Formen an. Nach der katholischen Anklageschrift, von der noch 93  später zu sprechen ist, griff der lutherische Pfarrer in seinen Predigten Bischof, Domherren und andere Geistliche „mit überschwenglicher schmeung" an. Damit stand wohl in Zusammenhang, daß die altgläubigen Priester öffentlich auf den Gassen „als Übelteter, Betriger und reyßende Wolffe" angeschrien und ihre Türen besudelt wurden. Als im September der Aufstand der deutschen Bauern auch auf das Samland übersprang, ergriff Bartscherer in seinen Predigten für sie Partei und riet der Bevölkerung, ihre Reihen zu verstärken. Der ermländische Bischof entsandte freilich dem bedrängten Herzog Albrecht Hilfstruppen, um die revolutionäre Erhebung im Keime zu ersticken. Insbesondere eiferte der radikale Prädikant gegen das hl. Altarssakrament, in dem nicht Christus, sondern der Teufel enthalten wäre; wenn zur Wandlung geläutet werde, solle man weit fliehen und die Ohren zustopfen.

Da solche Reden den „Obersten der Stadt" gefielen, scheute sich Bürgermeister Rabe nicht, in Gegenwart seines Ratskumpans Leonard von Rossen und vieler anderer in seinem Hause beim Bierbrauen eine Spottmesse aufzuführen und aus einem Meßkelch den andern zuzutrinken. Vermutlich unter der Wirkung des Alkohols traten dann Rossen und Lorenz Schonrade in Priesterkleidung auf den Markt, äfften eine Messe nach und vergaßen sich in unsagbaren Schamlosigkeiten. Rabe ließ sich am 2. Adventssonntag weiter dazu hinreißen, bei der Messe in der Gründonnerstagskapelle, hinter dem Priester stehend, alle seine Zeremonien und Gebärden höhnisch nachzuahmen. Neue schwere Ausschreitungen ereigneten sich in der Christnacht, als Schonrade und Hans Fuchs mit ihrem Anhang in Bärenfellen und „an der Lotterbuben-Kleidung" während der Christmette mit großem Geschrei in die Pfarrkirche und danach in das Kloster eindrangen, dort einen wilden „Spuk" aufführten und den Gottesdienst unterbrachen. Ein andermal wurden Heiligenbilder aus der Kirche gerissen und mitsamt päpstlichen Briefen an dem „Kack" (Pranger) vor dem Rathaus ausgestellt. Alle diese Ausbrüche zügelloser Leidenschaften duldete der Magistrat, ohne einzuschreiten; gehörte ja ein Teil der Übeltäter zu seinen Mitgliedern.

Als nun der Burggraf Pröck einem königlichen Befehl zufolge anordnete, daß ein katholischer Priester in der Pfarrkirche predige, kam es mit Zulassung des Rates zu einem Aufruhr. Bürgermeister Rabe stieß den Ruf aus: „Ein Wolf, ein Wolf!" Dann riß man den Geistlichen vom Predigtstuhl, jagte ihn aus der Kirche, bedrohte andere Priester und gab dem lutherischen Prediger das Wort. In dem Tumult, der sich (94) nicht zuletzt gegen den anwesenden Burggrafen Pröck richtete, wäre beinahe Blut geflossen.

 Daß der Rat im Kampfe gegen den alten Glauben die Fühlung übernahm, ist auch daraus ersichtlich, daß er aus der Pfarr- und der Klosterkirche wertvolle Meßgeräte beschlagnahmte: aus der Katharinenkirche 8 silberne vergoldete Kelche, 6 silberne Ampullen, 2 Pazifikalien und 3 Humeralien. Diesem Beispiel folgend eigneten sich auch die Tuchmacher das zu ihrer Bruderschaft gehörige Silbergut aus der Pfarrkirche an, verkauften es und liehen den Erlös bedürftigen Zunftgenossen aus. Die Franziskaner vermißten noch später eine Monstranz von 27 Mark Silber, zwei kostbare Kelche und ein silbernes Kreuz.

Im März 1526 erschien König Sigismund in Marienburg, um die auch in anderen preußischen Städten, am meisten in Danzig, entstandenen Unruhen zu unterdrücken und möglichst die früheren kirchlichen Verhältnisse wiederherzustellen. Wiederholte königliche Mandate gegen die „Lutheranische ketzerer)" ließen es schon vorher dem Bürgermeister Rabe geraten erscheinen, den Prädikanten Bartscherer nach Danzig zurückzusenden, bis Sigismund nach Polen zurückgekehrt wäre. Bischof Mauritius hatte nun die Franziskaner beauftragt, die Predigten in der Pfarrkirche zu übernehmen. Diese wollten die lateinische Verordnung am 22. Februar dem Magistrat vorlegen, erhielten aber durch den Stadtbüttel den Bescheid, die Ratsherren seien augenblicklich zu sehr in Anspruch genommen. Am 24. früh forderte der Rat eine deutsche Übersetzung des Mandats, die ihm sofort übergeben wurde. Als es aber in der Magistratssitzung verlesen wurde, schimpften einige über die darin angekündigte Exkommunikation und stießen gegen den Bischof Drohungen aus. Andere äußerten, wenn die Mönche die Erlaubnis erhielten, den Predigtstuhl zu besteigen, dann sei zu befürchten, daß die bisherigen lutherischen Erfolge zunichte gemacht würden. Deshalb untersagte man den Mönchen bis zur bevorstehenden Ordnung der preußischen Angelegenheiten die Predigt in der Pfarrkirche. Diese fügten sich und baten den Bischof, ihnen das nicht zu verargen, da sie fortwährend Mißhandlungen ausgesetzt seien.

Im Juni wurde zu Danzig in Anwesenheit des Königs der Prozeß gegen die dortigen Aufrührer gefühlt. Die Hauptschuldigen wurden teils auf dem Langenmarkte mit dem Schwelte gerichtet, teils verbannt, teils waren sie geflohen. Diese strenge Bestrafung jagte den Braunsbergern, die sich an den Unruhen führend beteiligt hatten, Furcht und Schrecken ein. 95  Ein königliches Edikt, das ihnen ihre Vergehen und ihren Ungehorsam gegen die früheren Mandate vorhielt, zugleich aber auch zum Ausdruck brachte, die meisten Bürger seien an den gerügten Vorfällen unschuldig und keineswegs damit einverstanden, lud 20 namentlich aufgeführte Häupter der lutherischen Bewegung von Danzig aus nach Elbing vor. Am vierten Tag, nachdem der König dort eingezogen sein würde, sollte der Prozeß gegen sie beginnen. Diese Vorladung sollte zuerst in der Ratssitzung verkündigt und dann an den Kirchen- und Klostertüren allen sichtbar angeschlagen werden. Da Sigismund jedoch von seiner Elbinger Reise Abstand nehmen mußte, ließ er am 30. Juli von Marienburg aus eine zweite Zitation ausgehen, die nunmehr die Angeschuldigten vor die königlichen Kommissare, den Leslauer Bischof Matthias Drzewicki und den Elbinger Hauptmann Ludwig von Mortangen, zum 4. August nach Elbing vorlud.

Nach einer dritten Vorladung erschienen die Braunsberger am 6. August in Elbing; auch Bischof Ferber, dem in wenigen Tagen seine Hauptstadt in aller Form zurückgegeben werden sollte, hatte sich als der zuständige Kirchenhirte und zukünftige Landesherr den beiden Kommissaren beigesellt. Den Beschuldigten wurde nun die ausführliche Anklageschrift vorgelesen, worauf sie einzelnes abstritten, anderes abschwächten. Um aber dem Schicksal der Danziger zu entgehen, warfen sie sich der Kommission demütig zu Füßen und flehten Bischof Mauritius an, „wo sie immer übertreten und aus menschlichen Gebrechen als verführt mißhandelt hätten und derhalben sträflich erfunden würden, daß ihnen solche ihre Missitat als denjenigen, die geirrt hatten, aus milden Gnaden und Barmherzigkeit verziehen und um Gottes willen vergeben und die Schärfe des Rechtes wider sie nicht vorgenommen würde." Durch diese Haltung zu „mylder Guttikait" bestimmt, begnügten sich die königlichen Richter zunächst, Urban Poytke und Lorenz Schonrade als vermutliche Anstifter des Aufruhrs gegen Hauptmann Pröck zu verhaften, den anderen aber ernstlich anzubefehlen, die aus der Pfarrkirche und dem Kloster entwendeten Kleinodien und Geräte sofort und, soweit sie abhanden gekommen waren, binnen Jahresfrist zurückzustellen. Die letzte Entscheidung in der Strafsache sollte in Braunsberg fallen, wo am 16. August Bischof Ferber die beiden Kommissare empfing.

Am folgenden Tage begann im Franziskanerkloster die Verhandlung. Die Angeklagten baten kniefällig um Gnade. Obwohl sie sich gegenseitig nicht verraten wollten, verstärkte sich doch der Verdacht, daß der Bürgermeister Rabe, der Ratsherr Rossen und von der Gemeinde Peter Kirsten bei dem Aufruhr in der Kirche führend beteiligt gewesen seien. Ihre wiederholte fußfällige Bitte um Verzeihung bewog die Kommissare, von der vollen Strenge des Rechtes abzusehen und „linder" mit ihnen umzugehen.

Am 18. 8. wurden die Vertreter beider Stadtgemeinden und die Angeklagten ins Schloß befohlen. Der Bistumskanzler Felix Reich verlas ihnen eine Anzahl Artikel, die „zu Unterhaltung (Niederhaltung) der Mutwilligen, Trost der Frommen, auch Gedeih und Wohlfahrt dieser Stadt" fortan von jedermann unverrücklich gehalten werden sollten.

Der alte Gebrauch und Wandel des Glaubens und der Zeremonien wurde wiederhergestellt; alle Lutheraner mußten innerhalb 14 Tagen auswandern, wollten sie nicht mit ihrem Halse und ihren Gütern verfallen sein. Ohne Erlaubnis des Bischofs oder seines Ofizials durfte niemand weder heimlich noch öffentlich predigen bei Verlust des Leibes und Gutes. Die Geistlichen sollen die priesterlichen Tageszeiten und die Messe nach alter christlicher Gewohnheit halten; neue Gebete und Gesänge sind nur nach Zulassung durch die bischöfliche Behörde erlaubt. Wer „seine reißenden Hände" nach geistlichen Gütern, wie Kleinodien, Gewändern, Geräten der Kirchen und Klöster ausstreckt, soll als Kirchenräuber mit dem Tode bestraft werden. Wer kirchlich verbotene Bücher, Gesänge, Gemälde, Schmähschriften und dergleichen in die Stadt einführt oder verbreitet, wird mit Verbannung und Verlust der Güter geahndet.

Während diese Bestimmungen die religiöse Neuerung ausrotten sollten, griffen die folgenden tief in die städtische Verfassung ein:

Fortan sollte der bischöfliche Amtmann, er sei Vogt, Hauptmann oder Burggraf, als Vertreter des bischöflichen Landesherrn den Vorrang vor dem Bürgermeister und Rat der Stadt haben. Da die übermäßige Freiheit der Stadt zu ihrer großen Betrübnis und Gefahr vom Rate wiederholt mißbraucht worden und der jetzige Magistrat unrechtmäßig er wählt ist, soll dieser seine Ämter niederlegen. Der Bischof soll diesmal das Recht haben, anstelle des abgetretenen Rates einen neuen zu bestimmen. In Zukunft darf niemand ohne Wissen und Willen des Bischofs in den Rat gewählt werden; auch soll der Bischof berechtigt sein, nötigenfalls Bürgermeister und Ratmannen abzusetzen. Ihm und seinem Amtsverwalter allein soll auch die Halsgerichtsbarkeit zustehen; ahne seine 97 Genehmigung darf der Rat niemand freies Geleit noch Heereshaufen freien Durchzug gewähren. Neugewählte Ratmänner und Schöppen müssen dem Bischof den Treueid leisten, ebenso die Altermänner der Gewerke. Der Rat soll nur aus 14 Personen bestehen; wer in ihn gewaltsam einzudringen versucht, soll es mit dem Halse büßen. Versammlungen der ganzen Bürgerschaft sollen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Bischofs oder seine Amtsmannes gestattet sein bei Verlust aller städtischen Privilegien. Wenn aber besonders wichtige Angelegenheiten zu beraten sind, soll der Magistrat aus jeglichem Stadtquartier 6 „fromme und aufrichtige" Bürger und von jedem der 4 Hauptgewerke zwei Älterleute mit vollem Stimmrecht hinzuziehen, die aber nur über die vorgelegte Tagesordnung beraten dürfen. Beschlüsse des Rates, der Schöppen und der 32 sollen von der ganzen Gemeinde fest und unverbrüchlich gehalten und vollstreckt werden. Streitigkeiten der Bürger untereinander sollen in erster Instanz vom Rate oder dem Stadtgericht, in zweiter vom Bischof entschieden weiden. Geheime oder hetzerische Reden gegen geistliche Personen und die Obrigkeit sind untersagt. Aufrührerische Zusammenkünfte in Häusern, Kirchen, Gärten, in oder außerhalb der Stadt, sei es auch nur von 3 oder 4 Personen, sind sogleich dem Bischof anzuzeigen. Die Älterleute aller Gewerke sollen auf die zuwandernden Gesellen fleißig achtgeben, daß diese sich nach den geltenden Satzungen „fromlich, treulich und gehorsamlich" erweisen. Der Besuch der Schießgärten, namentlich des bürgerlichen, sowie die Abhaltung der Gilden und sonstigen Zusammenkünfte ist ohne Erlaubnis des Bischof oder seines Amtmannes nicht erlaubt. Alle Bierschenken, Krüger, Gastwirte und die Bürger insgemein werden angehalten, ihren Gästen diese Bestimmungen bekanntzugeben; und wenn ein Gast lutherische Reden führen oder Lehren ausbreiten wollte, soll er vom Burggrafen und dem Rat gemäß seiner Übertretung hart gestraft werden. Schließlich sollten diese Artikel „zum ewigen Gedächtnis" ins Stadtbuch eingeschrieben und alljährlich der Gemeinde vorgelesen werden. Dem Bischof blieb aber das Recht ihrer Aufhebung oder Abänderung vorbehalten.

Diese neue Satzung sollte nun von der Bürgerschaft beschworen werden. Als die anwesenden Vertreter sich zu einer Besprechung zurückzogen, machte der frühere Bürgermeister Johann Lutke darauf aufmerksam, daß mehrere Bestimmungen, besonders die über die Gerichtsbarkeit, gegen die Privilegien der Stadt verstießen. Als sie diese Bedenken erhoben, wurde ihnen von den Kommissaren entgegnet, sie hätten durch ihr 98 aufrührerisches Verhalten nicht nur ihre Privilegien, sondern auch Leib und Gut verwirkt; die oberste Gerichtsbarkeit stehe aber überall dem Landesherrn zu. Als die bürgerlichen Abgeordneten trotzdem bei ihren Einwendungen beharrten, drohten die königlichen Richter mit ihrer sofortigen Abreise. Schließlich einigte man sich dahin, daß der Artikel über die Halsgerichtsbarkeit der Entscheidung des Königs anheimgestellt werden sollte.

Dann beschwor die Bürgerschaft beider Städte einmütig die Satzung und leistete den Treueid. Der Bischof ernannte drei Bürgermeister der Altstadt: Simon Wynpfennig. Georg Schonwese und Laurentius Hasse; zu Ratsherren Lutke, Leonard Scholcz, Simon Steffen, Lorenz Zigler, Jost Weichman, den Goldschmied Peter Simon. Jorge Schonberg, Peter Braszke, Peter Austin, Simon Marquart, Joachim Flint, Valentin Gert, Hans Zincke. Als Scholz (Richter) sollte Simon tätig sein. In der Neustadt bestimmte der Bischof Jakob Trampe und Eltmann Scholtz als Bürgermeister und gab ihnen folgende Ratsleute bei: Hans Scholtz (zugleich Stadtschultheiß). Simon Bartsch, Nicklas Bibersteyn, Valentin Tidecke, Benedikt German, Jorge Grau und Christoff Tuchmacher.

Danach hielt der Bischof von Leslau als Kommissar eine Ansprache, worin er ausführte, wie wohlwollend die Königliche Majestät die aufrührerische Stadt behandelt habe, und daß sie sie sich dafür gleich den anderen rebellischen Städten in einer besonderen Steuer dankbar erweisen sollte. Nach anfänglichem Sträuben bewilligten die Braunsberger als Buße für drei Jahre die geforderte Abgabe. Darauf verpflichteten sich die Hauptschuldigen Rabe, Rossen und Kirsten eidlich mit Handschlag vor dem Burggrafen Pröck, keine Umtriebe zu schmieden, sondern dem Bischof zu gehorsamen bei Verlust ihres Lebens und ihrer Güter. Auf die Bitten der Bürgerschaft ließ der Elbinger Hauptmann Mortangen die verhafteten Rädelsführer Schonrade und Poytke frei, letzteren, nachdem er eine dreiwöchige Gefängnisstrafe verbüßt hatte.

Da nur 170 Bürger aus beiden Städten geschworen hatten, erhob sich bei der Kommission der Verdacht, daß viele sich mit Lift dem Eide entzogen hätten. Diese sollten nun vorgeladen werden. Zu dem bezeichneten Termin erschienen aber nur 5 Bürger, von denen zuvor zwei abwesend und drei verhindert gewesen waren. Die Unverheirateten hielten aber den Schwur noch nicht für nötig. Die geringe Bürgerzahl liefert uns einen eindringlichen Beweis für die verheerenden 99 Auswirkungen der letzten Kriegsjahre. Die sonstigen Einwohner der Städte wurden damals ebenso wie die Frauen zum Treueid nicht herangezogen.

Nachdem die königlichen Kommissare am 18. August ihre Sonderaufgabe gelöst hatten, entließen sie die Bürgerschaft aus dem im Vorjahre dem Polenkönig geleisteten Huldigungseid und übergaben die Stadt dem Bischof Mauritius und seinen Nachfolgern, dem jetzt ein neuer Treuschwur zu leisten war. Ein bischöfliches Edikt vom 22. August, das an die Kirchentüren geheftet wurde, gebot die Auslieferung aller lutherischen Schriften. König Sigismund bestätigte die Satzungen seiner Kommissare und behielt sich und seinen Räten wegen der Blutgerichtsbarkeit die Entscheidung vor.

Scharfe Eingriffe in die bürgerliche Selbstverwaltung und Freiheit waren es, die die religiöse Umwälzung der bischöflich-ermländischen Hauptstadt kosten sollte. Obwohl sie dem Wortlaut und Sinne der ursprünglichen Stadtverfassung, der Gründungshandfeste, widersprachen, lagen sie doch im Zuge der Zeit, die die landesherrliche Macht der Territorialfürsten auf Kosten der Untertanen steigerte. Hier boten die vorgefallenen Ausschreitungen die einfachste Handhabe zur Beschränkung der bürgerlichen Rechte. Trotzdem blieben die sog. Constitutionen Sigismunds mehr theoretisch als tatsächlich in Kraft. Die Beruhigung der Verhältnisse führte bald dazu, daß die beengenden Bestimmungen unbeachtet gelassen werden konnten, wie die Bischöfe auch in der Regel in die freie Kür der Stadt nicht eingriffen und bei ihrem Amtsantritt die alten städtischen Privilegien bestätigten.

Daß trotz der beschworenen Artikel und wiederholter bischöflicher Erlasse in der hart an der Grenze des lutherischen Preußen, an der wichtigsten Verkehrsstraße dorthin gelegenen Hansastadt die Ideen der Reformation nicht völlig ausstarben, wird bald zu zeigen sein.

Wie schwer die Stadt auch materiell unter dem Reiterkrieg gelitten hatte, ist daraus erkennbar, daß der bei der Belagerung d. J. 1520 beschädigte Kirchturm erst i. J. 1536 wiederhergestellt wurde. Und auch jetzt sah man sich genötigt, mit Zustimmung des Bischofs für 283 M. Silberwerk der Kirche zu verkaufen. Der Wormditter Maurermeister Niclis arbeitete vom 27. März bis nach Michaelis am Turm. Die Eindeckung des Turmes mit Kupfer erfolgte erst i. J. 1544, und Bischof Johann Dantiskus bestellte dazu bei Anton Fugger in Augsburg 20 Zentner Kupfer, die über Danzig geliefert und mit jährlich 100 M. allmählich bezahlt werden sollten.

Wie zwei Bände Hansarezesse im Ratsarchiv beweisen, pflegte Braunsberg noch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit dieser bedeutenden Handelsorganisation trotz ihres offensichtlichen Niederganges rege Beziehungen. 1553 reisten bevollmächtigte Ratsvertreter in hanseatischen Angelegenheiten nach Danzig, 1554 nach Marienburg, 1557 nach Lübeck. 1555 erbat sich Merten Marquart für seinen Sohn, der mit Waren nach England fahren sollte, ein Beglaubigungsschreiben, daß er ein Braunsberger sei. Ein schwedischer Krieg, der Vorstoß der Moskowiter gegen Livland, die Beeinträchtigung des deutschen Handels in England, das mehr und mehr zu eigener Aktivität überging, in den Niederlanden, wo der Freiheitskampf gegen Spanien entbrannt war, — solche Sorgen bildeten Verhandlungspunkte der immer seltener werdenden Hansatage, bei denen das reiche Danzig meist die kleineren preußischen Schwesterstädte zu vertreten pflegte. 1598 wurde zu Lübeck noch einmal der Hansabund erneuert und auch Braunsberg als Mitglied ausdrücklich benannt. Trotzdem war sein Schicksal bereits besiegelt, und der dreißigjährige Krieg tat ein übriges. Die Braunsberger Hansaakten schließen mit dem Jahre 1604 ab, obwohl noch 1681 der altstädtische Rat sein Seerecht und seine hanseatische Würde betonte, da Braunsberger Schiffe zu ausländischen Küsten, namentlich nach Schweden, Dänemark und Holland, kreuzten.

Über die Handwerkerinnungen jener Zeit gibt uns eine Notiz aus dem Jahre 1561 interessanten Aufschluß. Damals wurde in der Stadtfreiheit ein neuer Galgen für die Verbrecher der Altstadt errichtet, wie für die Neustadt auf dem kahlen Berge in der Nähe der Rochuskapelle (auf dem heutigen Bahnhof) die Richtstätte lag. Nach altem Brauch mußte beim Behauen des Holzes der präsidierende Bürgermeister den ersten Hieb tun, dann folgten die übrigen Herren des Rates nach ihrem Dienstalter. Zur Aufrichtung des Galgens mußten aus jeder Innung zwei Vertreter anwesend sein. Damals standen in der ersten Reihe die Schuster, Schneider, Bäcker, Tuchmacher, Böttcher, Schmiede, Krämer, Fleischer, Kürschner, Radmacher, Reifschläger und Leinweber. Die Tischler, Barbiere, Korkenmacher, Sattler, Hütner (Hutmacher), Töpfer und Maurer bildeten damals kein Gewerk. Andere Handwerkszweige, die nur mit einzelnen Meistern in der Altstadt vertreten waren, schlugen sich zu verwandten Innungen.

Nachdem Jahrzehnte des Überganges manche Unklarheit und Zweideutigkeit mit sich gebracht hatten, sollte das Konzil von Trient (1545 - 63) die endgültige religiöse Scheidung der 101 Geister herbeiführen. Bischof Stanislaus Hosius (1551 bis 1579), der an den Arbeiten der Kirchenversammlung, zuletzt als päpstlicher Legat und Kardinal hervorragenden Anteil nahm, ging mit Eifer daran, die Beschlüsse des Konzils in seiner Diözese zu verwirklichen. In Braunsberg hatte sich inzwischen um den Burggrafen Johann von Preuck ein Kreis einflußreicher lutherischer Glaubensgenossen geschart. Dieser, der i. J. 1552 seinem Vater Georg im Amte gefolgt war, wurde durch seine Heirat mit einer Tochter des Marienburger Woywoden Achatius von Zehmen, eines Führers der westpreußischen Protestanten, für deren religiöse Anschauungen gewonnen. Durch persönliche Unterredungen suchte der Bischof die Eheleute zu beeinflussen, stieß aber besonders bei der Frau auf entschiedenen Widerstand. Da er einen andersgläubigen hohen Beamten nach dem Grundsätze wessen Land, dessen Religion, den eben der Augsburger Religionsfrieden für Deutschland festgesetzt hatte, in seinem Ländchen nicht dulden wollte, stellte er im Herbst 1556 dem Schloßhauptmann Amtsentsetzung und Ausweisung in Aussicht, wenn er nicht binnen Jahresfrist zum Katholizismus zurückgekehrt wäre. Gestützt auf den weitreichenden Einfluß, den sein Schwiegervater in Preußen und selbst am polnischen Hofe ausübte, glaubte Preuck den Drohungen seines bischöflichen Landesherrn trotzen zu können. Allein dessen Wille erwies sich als der stärkere, und so mußte nach erneuten vergeblichen Bekehrungsversuchen der Burggraf Ende 1557 sein Amt niederlegen. Doch durfte er auf seinem Gute Regitten bleiben, wo seine Mühle der Amtsmühle erhebliche Konkurrenz machte. Hier in der Nähe der Stadt wußte er in den obersten Schichten der Bevölkerung für seine protestantischen Ideen Anhänger zu werben. Der Frauenburger Domkustos Eustachius von Knobelsdorff, der in seiner Scholarenzeit zu den Füßen der Reformatoren in Wittenberg gesessen hatte, hielt in der Fasten- und Osterzeit 1558 im Auftrage des Bischofs eine Reihe von Religionsvorträgen in der Pfarrkirche, um die Andersgläubigen umzustimmen: doch blieben seine Darlegungen ohne besonderen Erfolg.

Stanislaus Hosius, Kardinal, Bischof von Ermland
Stanislaus Hosius, Kardinal, 1504 (Krakau) bis 1579 (Capranica bei Rom)

Sohn eines aus Pforzheim zugewanderten Bürgers, studiert in Krakau, Bologna und Padua, am polnischen Hof in Krakau tätig, Domherr in Frauenburg und Krakau, erhielt die Priesterweihe erst 1543, kurze Zeit Bischof von Kulm und seit 1551 von Ermland, weilte jedoch häufig außerhalb seiner Diözese, 561 Kardinal und päpstlicher Legat beim Konzil von Trient, dessen Reformbeschlüsse er in seinem Bistum durchführte. Hosius rief 1565 die Jesuiten nach Braunsberg, die ein Gymnasium gründeten, dazu ein Priesterseminar und später ein päpstliches Missionsseminar für die nördlichen und östlichen Länder. Damit wurde Braunsberg zum geistigen Zentrum des Ermlands und darüber hinaus.

 

Während der siebenjährigen Abwesenheit des Bischofs Hosius in Rom, Wien und Trient hatte die religiöse Opposition in seiner Hauptstadt merkliche Fortschritte gemacht. Der damaligen Sitte entsprechend kommunizierte am ersten Osterfeieitag der gesamte Magistrat. Nun fehlten Ostern 1561 der Bürgermeister Marquard und der Ratsherr Johann Bartsch am Tische des Herrn, weil sie nur unter beiden Gestalten kommunizieren wollten und die katholische Form des Abendmahles verwarfen. Da aufklärende Predigten und gütliche Vorstellungen an der entschlossenen Haltung der Lutheraner scheiterten, sah sich das Domkapitel zur Ausweisung einiger Bürger veranlaßt, erreichte dadurch aber keine Beruhigung, sondern eine wachsende Erregung der Gemüter. Ostern 1563 entzogen sich fünf Ratsmitglieder durch Reisen der gemeinsamen Kommunion, während vier andere, die sich vorher der protestantischen Auffassung angeschlossen hatten, in die katholische Gemeinschaft zurücktraten.

Nach seiner Rückkehr ins Ermland hielt Kardinal Hosius es für eine seiner dringlichsten Hirtenpflichten, in seiner Haupt­stadt die kirchliche Einheit wiederherzustellen. Für den 24. März 1564 lud er die Magistrate der Alt- und Neustadt ins Braunsberger Schloß und legte ihnen eingehend dar, wie vor der Autorität der Kirche die persönliche Schriftauslegung sich bescheiden müsse. Der Rat der Neustadt erklärte sich sogleich mit diesen Grundsätzen einverstanden und versprach, dem Glauben der Väter treu zu bleiben; die Mitglieder des altstädtischen Rates aber erwirkten die Erlaubnis, sich einzeln mit dem Kardinal über die strittigen Fragen auseinandersetzen zu dürfen. Drei Tage später, am Montag in der Karwoche, erschien der Bürgermeister Marauard mit 4 Ratsherren und bat für sich und seine Genossen um den Gebrauch des Kelches; im übrigen wollten sie an den Lehren und Gebräuchen der katholischen Kirche festhalten und ihrem bischöflichen Landesherrn die Treue wahren. Hosius begründete seine Ablehnung dieser Forderung und stellte ihnen beim Beharren auf ihrem Standpunkt die Exkommunikation in Aussicht. Weitere Einzelbesprechungen, zu denen Hosius auch die Frauen des Bürgermeisters und eines widerstrebenden Ratmannes heranzog, und die Androhung strenger Strafen zeitigten schließlich das Ergebnis, daß innerhalb der Osteroktave alle Magistratsmitglieder nach dem katholischen Ritus kommunizierten. Nur zwei Bürger, die sich davon ausschlossen, wurden mit dem Kirchenbann belegt und des Bistums verwiesen. Wenn gegen den Kardinal auch wegen seines Verfahrens von andersgläubiger Seite, so von Danzig und Herzog Albrecht, Vorwürfe „wegen unerhörter Strenge" erhoben wurden, so hatte er doch nur von einem Rechte Gebrauch gemacht, das in den deutschen Territorialstaaten gang und gäbe geworden war.

Um in Zukunft solchen Störungen der kirchlichen Einheit vorzubeugen und eine Pflanzstätte katholischer Bildung und Erziehung zu schaffen, berief der Kardinal nach Braunsberg den Jesuitenorden. Hier stand seit mehreren Jahren 103 das Franziskanerkloster mit 50 Zellen, Refektorium, Kirche und Garten fast leer, ein Priester und ein 80jähriger Laienbruder bildeten die Hüter der Baulichkeiten, an denen die Stürme der Reformationszeit nicht spurlos vorübergegangen waren. Mit Zustimmung des Domkapitels übereignete der Bischof der Gesellschaft Jesu das Kloster, und am 8. Januar 1565 hielten die elf ersten Patres, von denen drei aus Rom, die übrigen aus dem Rheinlande gekommen waren, in Begleitung zweier Domherren von Heilsberg her ihren Einzug an ihrer neuen Wirkungsstätte. Sie gingen sogleich daran, eine aus fünf Klassen bestehende höhere Lehranstalt ins Leben zu rufen. Ihre Bemühungen um Schüler begegneten anfangs eisiger Ablehnung. Übelwollende hatten das Gerücht ausgestreut, wer seine Söhne den Jesuiten übergebe, müsse gewärtigen, sie nie mehr zurückzuerhalten; denn die Schüler würden sechs Jahre ins Kloster gesperrt und dann nur entlassen, wenn sie nichts gelernt hätten oder zur Aufnahme in den Orden unbrauchbar seien. Erst am 19. Februar fanden sich die ersten sechs bisher ungeschulten Zöglinge. Die unleugbaren Unterrichtserfolge der pädagogisch durchgebildeten Lehrer und das Vertrauen, das sie sich rasch erwarben, führten ihnen schon im Sommer 160 und nach einem weiteren Jahre 260 Schüler zu, die sich nicht nur aus dem Ermland, sondern auch aus Preußen, Polen und Litauen rekrutierten und zum Teil den höchsten Gesellschaftsschichten entstammten. Auch aus der protestantischen Nachbarschaft wurden Knaben angemeldet, so daß sich Herzog Albrecht im September 1565 veranlaßt fühlte, in einem Erlaß an den Hauptmann von Balga seine Untertanen vor der Braunsberger Lehranstalt ernstlich zu warnen. So hatte die überraschende Schülerzahl die Daseinsberechtigung der neuen Schule erwiesen, die auf christlich-katholischer Glaubensgrundlage der Pflege der klassischen Wissenschaften dienen wollte. Ein dem Kolleg angegliedertes Konvikt beherbergte einen Teil der auswärtigen Schüler, von denen die polnischen und litauischen nach der ermländischen Hauptstadt geschickt wurden, um gleichzeitig die deutsche Sprache zu erlernen. Nationale Spannungen, auch mit der Bürgerschaft, waren dabei von Anfang an unausbleiblich. Für arme Zöglinge erwuchs um 1585 aus milden Stiftungen eine Bursa pauperum, die 1602 in einem eigenen, unmittelbar am sogenannten Steinhaus gelegenen Gebäude untergebracht wurde. Ein dem Jesuitenkolleg angeschlossenes Noviziat war von vornherein für die Heranziehung des Ordensnachwuchses bestimmt.

Nachdem im August 1565 die Heilsberger Diözesansynode der Durchführung der Tridentiner Konzilsbeschlüsse ihre Zustimmung erteilt hatte, schritt Kardinal Hosius zur Begründung eines Priesterseminars, dessen Leitung er ebenfalls den Jesuiten übertrug. Gegenüber der Pfarrkirche an der Stelle der heutigen Berufsschule wurde ein Haus für das Seminar gemietet, und am 25. November 1567 wurde die bedeutsame Bildungsstätte für den zukünftigen ermländischen Klerus mit 10 Alumnen feierlich eröffnet.

Mit diesen Lehranstalten hatte Kardinal Hosius die Metropole seines Bistums zu dessen wichtigster Schulstadt zugleich und zum Brennpunkt der katholischen Glaubenserneuerung gemacht. Die glückliche Entwicklung dieser Bildungsstätten veranlaßte Papst Gregor Xlll. zu einer neuen Stiftung.

Der schwedische König Johann III. (1569—92) ließ nämlich nach seiner Verheiratung mit Katharina, der Schwester Sigismund II. August von Polen, seinen Sohn Sigismund in der katholischen Religion erziehen, um ihm die polnische Krone zu sichern. Der religiöse Einfluß der Königin auf ihren Gatten nährte nun gewisse Hoffnungen auf die Wiedergewinnung der schwedischen Länder für die römische Kirche. Der gelehrte Generalsekretär des Jesuitenordens Antonio Possevino kam auf Grund persönlicher Eindrücke und Beobachtungen in Schweden zu der Üerzeugung, daß in einem ausländischen Missionsseminar Priester für die nordischen Länder herangebildet werden müßten. Braunsberg, wo er Ende Mai 1578 anlangte, schien ihm nicht nur wegen der hier blühenden Jesuitenanstalten, sondern auch wegen seiner günstigen Verkehrslage für die Errichtung dieser neuen Bildungsstätte besonders geeignet. Seinen Vorschlägen folgte Gregor XIII., indem er am 10. Dezember 1578 zu Braunsberg und Olmütz zwei Seminare begründete, in denen je 50 Missionszöglinge aus päpstlichen Mitteln unterhalten wurden. Schon nach zwei Jahren war diese Zahl in Braunsberg erreicht. Die wirksamsten Missionare mußten naturgemäß Söhne des eigenen Landes sein, und so waren denn zunächst die meisten der Alumnen des Braunsberger päpstlichen Seminars Ausländer.

Königin Katharina bewies der Anstalt ihre innere Verbundenheit dadurch, daß sie ihr testamentarisch 10000 Taler jährlicher Renten aus ihren polnischen Gütern zur Erziehung von 5 jungen Schweden hinterließ; aber ihr Tod (1582) und die Entthronung ihres Sohnes Sigismund (1600), der sich fortan mit der polnischen Krone begnügen mußte, verminderten mehr und mehr die Aussichten auf eine Rekatholisierung der schwedischen Länder. Als schließlich König Karl, der Vater 105 Gustav Adolfs, i. J. 1613 den Besuch „aller papistischen oder jesuitischen Kollegien" bei Todesstrafe verbot und gleichzeitig Dänemark das Studium an Jesuitenschulen mit Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter ahndete, war dem Zuzug schwedischer und dänischer Alumnen in Braunsberg ein Ende gesetzt. Immerhin finden wir bis 1624 unter den 521 päpstlichen Seminaristen 127 Schweden und Finnen und 34 Dänen. Wie weit der Aktionsradius der internationalen Missionsanstalt damals leichte, ist aus folgenden weiteren Angaben ersichtlich: Wählend der ersten 45 Jahre stellte das ehemalige Deutschordensland 71, das übrige Deutschland 81 Zöglinge, Schottland 34, Norwegen 20, Livland 44, Kurland 7, Litauen 5, Polen 7, Rußland 5, Ungarn 17, Siebenbürgen 13, Italien 4, die Tataren im Chersones 4. Auch einzelne Iren, Engländer, Niederländer, Esten, Böhmen, Mähren, Kärtner und Griechen studierten damals am Passargestrand. Der Basilianerorden der griechisch-unierten Kirche war mit 19 Novizen vertreten und blieb der päpstlichen Stiftung bis zu ihrem Ende (1798) treu.

Nachdem der Anstalt zunächst die beiden dem Klosterhof benachbarten Häuser der Nordseite der Kollegienstraße Unter­kunft geboten hatten, erstanden die Jesuiten i. J. 1614 für 5000 M. das schon seit dem 15. Jahrhundert so genannte „Steinhaus". Freilich bedurfte es dazu des Eingreifens des Bischofs Rudnicki; denn der Rat sah mit Unwillen, wie das Kloster in wenigen Jahrzehnten seinen Hausbesitz beträchtlich vermehrte. Da aber in der von Wehrmauern eingeengten Stadt die Wohnhäuser und Bauplätze sehr beschränkt waren, setzten sie dem Ankauf des Steinhauses durch den Orden starken Widerstand entgegen, um nicht neuen Wohnraum für die Bürger und ihr Gewerbe und bisherige kommunale Zinseinkünfte und sonstige Leistungen zu verlieren. Nachdem sie dem Druck des Bischofs nachgegeben hatten, bauten die Jesuiten das zuletzt der Familie Preuck gehörige Steinhaus für die Zwecke des päpstlichen Seminars um. Die heutige Gestalt des monumentalen Barockbaues, der italienische Kunstformen mit nordischer Würde und Sachlichkeit reizvoll verbindet, entstammt einem durchgreifenden Umbau unter dem Pontifikat des Papstes Innozenz XII. in den Jahren 1692—1694. Heute erinnern noch Papstbildwerke über dem Portal, eine Gedenktafel vor der Wandelbahn und päpstliche Schlüssel an dem Giebel wie das Jesuszeichen und die Petersschlüssel als Zeiger einer Sonnenuhr an der Rückfront an die Stifter und die ehemalige Bestimmung dieses imposanten Baudenkmals.

Wenn auch die gutbesuchten Lehranstalten der Bürgerschaft mancherlei Verdienstmöglichkeiten brachten, so fühlte doch andererseits das Verhalten der gärenden, oft landfremden jungen Leute wiederholt zu schweren Zusammenstößen. So duellierte sich i. J. 1577 ein Scholar mit einem Bernsteindreher; und da der Schuldige der Gerichtsbarkeit der Schule unterstand, bat der Rat die Jesuiten um seine Bestrafung. Wiederholt kam es zwischen trunkenen Studenten zu nächtlichen Schlägereien, wobei jene sogar von ihren Säbeln und Gewehren Gebrauch machten. Wenn sie deshalb in die Wachtbude gesperrt und in Ketten gespannt wurden, war das eine Selbsthilfe des Rates, die freilich nicht den Sonderrechten der Schule entsprach. Bischof Tylicki gab, um solchen Exzessen vorzubeugen, i. J. 1602 den Befehl, daß die Studenten ihre Waffen, die sie bei der Unsicherheit der Wege auf ihrer Anreise wohl brauchen konnten, den Wirten abgeben müßten und nicht früher in das Kolleg aufgenommen werden dürften, bis sie eine schriftliche Bescheinigung über die Waffenabgabe von ihren Wirten beigebracht hätten. Trotzdem wurde i. J. 1607 der Bürgersohn Georg Follert bei einer nächtlichen Schlägerei von einem Studenten durch einen Säbelhieb in den Kopf getötet. Der Bevölkerung bemächtigte sich begreiflicherweise eine große Erregung und Erbitterung. Der Täter wurde festgenommen und dem bischöflichen Gericht überliefert. 1609 wurde ein schwedischer Student wegen wiederholten Diebstahls vom Stadtgericht zum Strange verurteilt, aber auf Fürbitte der anderen Studenten mit dem Schwerte gerichtet. 1622 wurde für die Studenten, die nachts auf der Gasse betroffen wurden, in der Stadtpfeiferei eine besondere Kammer zur Schutzhaft eingerichtet.

Wie der Schulbetrieb der Jesuiten den Anzug eines bischöflich privilegierten Buchhändlers und Buchbinders erforderlich machte, - als solcher ist Johann Bretter i. J. 1571 im Taufbuch zum erstenmal erwähnt, - so ließ die weitgreifende Propagandatätigkeit des päpstlichen Seminars die Begründung einer Druckerei besonders erwünscht erscheinen. Johann Sachse, vielleicht derselbe, der bis 1589 in Lübeck tätig war, brachte in demselben Jahre in seiner neueröffneten Braunsberger Druckerei seine ersten Veröffentlichungen heraus, den lateinischen Katechismus des Jesuiten Canisius und mehrere lateinische Traktate von Possevino. Im nächsten Jahre erschienen bei dem geschäftstüchtigen Verleger neben einem lateinischen Briefsteller vier deutsche Streitschriften gegen das Luthertum und merkwürdigerweise auch Luthers Kleiner Katechismus und eine Verteidigung des Abendmahles unter beiden Gestalten. Die 107 leistungsfähige Offizin, die ihre Publikationen mit Rot- und Schwarzdruck, Noten und Randleisten ausstatten konnte, war schon i. J. 1593, als sie ein ermländisches Brevier herausgab, im Besitz der Erben des Gründers. Erst 1598 setzte Georg Schönfels die Drucktätigkeit fort; durch bischöfliches Privileg wurde ihm i. J. 1608 auch der Aufkauf von Lumpen im Ermland gestattet, um Druck- und Schreibpapiere herzustellen. Aus der Druckerei, die nach wiederholtem Besitzwechsel i. J. 1697 von den Jesuiten käuflich erworben wurde, lassen sich bis zu ihrer Auflösung i. J.1773 rund 500 Werke meist religiösen und theologischen Inhalts, aber auch Schulbücher, historische und Gelegenheitsschriften nachweisen, von denen etwa 60 % in der lateinischen Gelehrtensprache, etwa 35 % deutsch und 5 % polnisch verfaßt waren. Die literarische Ausstrahlung dieser mit dem Jesuitenkolleg in engster Verbindung stehenden Buchdruckerei wird nicht unterschätzt werden dürfen; sie reichte räumlich weit über das Ermland nach Preußen, Polen, Litauen und den baltischen Ländern hinaus.

Am stärksten wirkte sich naturgemäß der Einfluß des Jesuitenordens an dem Orte seiner Tätigkeit selbst aus. Die Patres waren nicht nur Lehrer der studierenden Jugend, Dozenten der Alumnen des ermländischen und des päpstlichen Seminars und religiöse Schriftsteller, sondern auch eifrige Seelsorger, die als gelegentliche Prediger, Exerzitienmeister und Beichtväter in den Pfarrgemeinden der Bistumsstädte großen Zuspruch fanden. Eine offensichtliche Festigung und Vertiefung des katholischen Lebens in der Bevölkerung war der Erfolg ihrer Arbeit, und es fehlte auch nicht an zahlreichen Konversionen bisheriger offener oder geheimer Protestanten.

Von nachhaltiger Bedeutung wurde das Auftreten der Jesuiten auch für die Braunsberger Nonnen. In der „alden Tymenitcze-Gasse" (nach dem Gefängnisturm, dem heutigen Klosterturm, benannt) wird bereits i. J. 1438 ein Beginenkanvent erwähnt, in dem gottgeweihte Jungfrauen dem Gebet, der Krankenpflege und Handarbeit lebten. Aus dem Legat des Leipziger Professors Werner v. J.1498 ersehen wir, daß zu jener Zeit zwei Beginenhäuser in der Nonnengasse vorhanden waren. Die bischöfliche Visitation d. J. 1565 stellte fest, daß beide Gebäude alt und verfallen seien, das eine ohne Dach und verlassen, das andere ihm gegenüber von 2 Schwestern bewohnt.

Während diese alten Nonnenniederlassungen ihrer Auflösung entgegengingen, sprossen unter dem Einfluß der Seelsorgsarbeit der Jesuiten, vermutlich auch unter dem Eindruckeiner Pest die Keime einer neuen, lebensfähigen Schwesternkongregation empor. Regina Protmann, die 19jährige Tochter eines wohlhabenden und angesehenen Braunsberger Kaufmanns, verließ in dem Seuchenjahre 1571 ihr Elternhaus und zog sich mit zwei gleichgesinnten Freundinnen in ein baufälliges Häuschen der 2. Kirchenstraße (heute Siechenhaus) zurück, auf das sie Erbansprüche hatte. Sie wollte ihr Leben ganz Gott widmen und ihren Mitmenschen im Geiste der christlichen Nächstenliebe dienen. Bischof Martin Kromer erwies sich als ihr tatkräftiger Förderer, indem er „den gottverlobten Jungfrauen unter dem Titel und Namen der hl. Jungfrau und Martyrin Katharina" (der Braunsberger Kirchenpatronin) das Grundstück des alten Beginenkonventes mit einem neuerbauten Hause überwies, sodaß nun das Klosteranwesen von der 2. Kirchenstraße bis in die Nonnengasse reichte. Auch sonst erleichterte er durch hochherzige Schenkungen die Wirtschaftsführung der Schwestern. Auf seine Veranlassung schrieb Regina unter dem Beirat ihres Beichtvaters des P. Engelbert und des Jesuitenprovinzials P. Paul Boxa ihre in 12 Jahren erprobte Klosterregel auf, und diese fand am 18. März 1583 auf dem Schloß zu Heilsberg die bischöfliche Genehmigung. Kromer gliederte dann die alten Beginenkonvente von Wormditt, Heilsberg und Rößel der Braunsberger Kongregation an, und so war eine Nonnenorganisation im Ermland geschaffen, die in stiller, selbstloser Hingabe zunächst der Krankenpflege und Handarbeit, seit der Jahrhundertwende auch dem weiblichen Unterricht oblag und von dem Mutterhause Braunsberg aus im 19. Jahrhundert eine ungeahnte Ausbreitung und Blüte erreichen sollte.

In diese Periode katholischen Werdens und gestärkten Selbstbewußtseins fiel i. J. 1577 drohende Kriegsgefahr. Als Stephan Bathory von Siebenbürgen und Kaiser Maximilian II. um die polnische Krone stritten, hielten die Stände Preußens mit Einschluß des Ermlandes zu dem deutschen Thronbewerber, änderten aber im Sommer 1576 ihre Haltung, als sich die Waage des Schicksals unverkennbar auf Bathorys Seite neigte. Nur das mächtige Danzig verharrte in seiner Parteinahme für den Kaiser, wobei neben nationalen und religiösen Gründen besonders wirtschaftspolitische den Ausschlag gaben. König Stephan verhängte über die widerspenstige Stadt nach vergeblichen Verhandlungen und Warnungen die Acht und eröffnete im Herbst gegen sie die Feindseligkeiten, worauf die Danziger mit Überfällen auf die dortigen Klöster antworteten. Nach dem Tode Maximilians (12. 10. 1576) zeigten die Danziger 109 Friedensbereitschaft, weigerten sich aber, die harten Bedingungen Bathorys anzunehmen. Dieser führte am 7. März 1577 einen schweren Schlag gegen die Stadt, indem er allen Handelsverkehr mit ihr verbot und den Stapel für alle polnischen Waren von Danzig nach Thorn und Elbing verlegte. Auch das Ermland war an dieses königliche Gebot gebunden, während sich das herzogliche Preußen darüber hinwegsetzte. Elbing zog aus der bedrängten Lage seiner Schwesterstadt reichen Nutzen und erregte dadurch die Wut der Danziger Bevölkerung. Als König Stephan Anfang September die erfolgte Belagerung der Seestadt abbrach, fühlte diese auf Drängen der Massen sogleich einen Rachefeldzug gegen das Ermland und Elbing durch.

Am 10. September lief eine mit 2500 Mann besetzte Flotte unter dem Befehl des erst kürzlich in Danzigs Dienste getretenen Grafen Ferdinand von Haldeck von Weichselmünde aus. Sie bestand aus 15 Schiffen, von denen 5 Dreimaster, 4 Galeeren, einige lange und einige kleine Kähne waren. Ein Teil der Fahrzeuge gehörte dem verbündeten König von Dänemark und stand unter dem Kommando des Admirals Erhard Munk. Ungehindert fuhr das Geschwader aus der Ostsee ins Frische Haff, angeblich nur des schlechten Wetters wegen; nach dem Einkauf von Lebensmitteln würde es wieder auslaufen, und den herzoglichen Untertanen würde nicht „ein Huhn gescheucht werden". Im Haff kaperte die Flotte eine größere Zahl von Elbing kommender belgischer und englischer Handelsschiffe und wuchs auf 40 Fahrzeuge an.

Am Mittag des 13. September warf sie an der Mündung der Passarge Anker. Schon vorher waren Neupassarger Schiffer nach Braunsberg mit der Schreckensbotschaft geeilt, der Feind nehme mit starken Kräften Kurs auf die ermländische Küste. Sofort trat der Rat zusammen, um zu überlegen, welche Maßregeln zu ergreifen seien. Da erschien um ein Uhr in ihrem Kreise, von zwei Soldaten begleitet, ein Hauptmann, verlangte Mundvorrat und entbot den Schloßhauptmann und zwei Bürgermeister zum Danziger Admiral, im Weigerungsfälle drohte er ihnen Plünderung an. Da der Schloßhauptmann Michael von Preuck es ablehnte, der Aufforderung zu folgen, entsandte der Magistrat die Bürgermeister Johann Bartsch und Lukas Wegner sowie den Ratsherrn Peter Schulz. Wie grenzenlos ihr Entsetzen, als sie von dem allgewaltigen Admiral den erbarmungslosen Spruch vernahmen: Wenn sie ihm nicht am Abend 20 000 Taler zahlten und die Jesuiten, „die Feinde Evangeliums", vertrieben, so würde er alles vernichten, Menschen ermorden, die Dörfer, Speicher und Vorstädte einäschern und die Stadt selbst zerstören! Wegner und Schulz mußten als Geiseln zurückbleiben, während Bartsch nach Braunsberg zurückgeschickt wurde, um die grausamen Befehle zur Durchführung zu bringen. Ein mitgesandter Trompeter sollte durch Kriegssignale die Bevölkerung in Angst versetzen.

Alles zitterte und bebte in der Stadt, als man von den erpresserischen Forderungen und Drohungen des Admirals hörte. Die auswärtigen Schüler und Studenten der Jesuiten flüchteten schleunigst in ihre Heimat. Die Bewohner der Neustadt und der benachbarten Dörfer brachten jammernd ihre wertvollen Sachen in die Altstadt und beschworen den Rat, die verlangte Summe zu zahlen; sie würden selbst dazu beisteuern. Auch die altstädtischen Bürger drängten zur Nachgiebigkeit. Da die Stadt aus sträflicher Sorglosigkeit keine Besatzung hatte, schien Widerstand gegen den übermächtigen Feind aussichtslos. Wenn aber der rote Hahn in den Vorstädten und der Neustadt auf die Strohdächer gesetzt würde, würde das Flammenmeer leicht um sich greifen und auch die Altstadt erfassen. In solcher Not bat der Magistrat den bischöflichen Koadjutor Kromer um Rat und schleunige Hilfe. Bevor dessen Antwort aber eingegangen war, hatte er den Admiral dadurch zu besänftigen vermocht, daß er gemeinsam mit dem Schloßhauptmann der Flottenbesatzung einige Tonnen Bier, Ochsen, Mehl und Brot im Werte von mehr als 110 M. zugesandt hatte. Weiter hatte man dem Admiral 2000 Taler geboten und ihn um Schonung ersucht; man sei wohl zu schwach, ihm zu widerstehen, aber Gott würde ihn einst strafen, wenn er Gewalt an Menschen verübte. Hardeck wies das Geldangebot als zu niedrig ab, ermäßigte aber seine vorige Forderung auf 10 000 Taler, die bis Sonnenuntergang zu zahlen seien.

Wieder wurde der Rat zu sorgenvoller Verhandlung zusammengerufen. Einige Mitglieder wiesen auf die Treue zum Koadjutor und König hin, die es verbiete, mit dem Feinde Frieden zu schließen. Die Mehrheit aber riet zur Nachgiebigkeit, durch die man nicht die gebotene Treue verletzen, sondern nur das große Unglück von der Stadt abwenden wolle. Dieser Auffassung zufolge eröffnete der Magistrat den Jesuiten den Befehl des Admirals; sie beschlossen, um keinen zu gefährden, sich unverzüglich zu entfernen, zumal ihre meisten Schüler abgereist waren. Sie verweilten in den benachbarten Städten, bis sich die feindliche Flotte zurückgezogen hatte.

Der Aufbruch der Jesuiten verursachte eine wahre Panik; man schloß daraus auf erhöhte Gefahr. Scharenweise erschienen 111 die Leute vor dem Schloßhauptmann und dem Rat und flehten, sie und ihre Kinder um einer Geldsumme nicht dem Vererben preiszugeben. Das lag natürlich der Obrigkeit fern, aber sie vermochte doch nach langem Unterhandeln mit dem Admiral die Geldforderung auf 5000 Taler herabzudrücken; diese versprach man zum 17. September nach Elbing zu schicken, wohin die Flotte zu segeln gedachte. Die Altstadt steuerte dazu mit ihren Dörfern 3000, die Neustadt samt den bischöflichen Gütern und dem Adel 2000 Taler bei. Nach deren Einzahlung stellten Hardeck und Munk einen Schein aus, daß Braunsberg und sein Weichbild von weiteren Leistungen verschont bleiben sollten.

Inzwischen war vom Koadjutor ein Antwortschreiben ein­gelaufen; der Rat solle der Gewalt nachgeben, jedoch unbeschadet der dem König gelobten Treue. Kromer hatte aber auch seinem Landvogt Christoph Troschke Befehl gegeben, der Stadt Braunsberg sofort zu Hilfe zu ziehen. Mit den Kriegspflichtigen der Kammerämter Heilsberg, Guttstadt und Wormditt rückte dieser nach drei Tagen in Braunsberg ein und wurde von da sogleich nach Frauenburg beordert. Hier hatte die feindliche Flotte vom Frauenburger Domkapitel ebenfalls ein hohes Lösegeld erpreßt und war dann am 16. September unter günstigem Wind nach Elbing gesegelt, um der wohlverteidigten Stadt und ihrer Umgegend durch Plünderung und Brandschatzung, sowie durch das Versenken von vier großen Schiffen im Elbinger Tief möglichst viel Schaden zuzufügen. Der Landvogt Troschke ließ sich mit seinem Heeresaufgebot von der in Frauenburg herrschenden Panik so stark beeinflussen, daß sie schmählich die Flucht ergriffen und den Dom ungeschützt ließen. Die Danziger Flotte beschränkte sich im übrigen auf den Raub der auf dem Haff kreuzenden Handelsschiffe, wandte sich dann nach Königsberg und kehrte am 28. September mit etwa 60 gekaperten Schiffen siegesstolz nach Danzig heim.

König Stephan aber zürnte der Stadt Braunsberg, daß sie trotz ihrer Entfernung von der Küste den Feinden sich so nachgiebig gezeigt habe. Er trug sich daher mit der Absicht, ihr zur Strafe eine polnische Besatzung zu geben, und es bedurfte der persönlichen Fürsprache des Koadjutors Kromer, um den König in Marienburg (am 10. Oktober) zu besänftigen; doch sollten die Braunsberger während des Kriegszustandes nicht die geringste Zufuhr nach Danzig abgehen lassen.

Nach langen, schwierigen Verhandlungen kam am 12. Dezember der Friedensvertrag zwischen König Stephan und der Stadt Danzig zustande. Der Wunsch Kromers, die Rückzahlung des im Ermland erpreßten Geldes unter die Friedensbedingungen aufzunehmen, wurde nicht berücksichtigt, weil die Danziger gerade auf der Niederschlagung der von ihnen verübten Schädigungen nachdrücklich bestanden.

Stephan Bathory, der seinem Neffen Andreas Bathory i. J. 1584 die Würde eines Kardinals und Koadjutors von Ermland zu verschaffen wußte, starb am 12. Dezember 1586. Da die bevorstehende Königswahl neue Thronwillen wahrscheinlich machte, befahl Bischof Kromer, durch die Ereignisse d. J. 1577 gewitzigt, für den 4. Februar 1587 eine allgemeine ermländische Heerschau in Stadt und Land, in der die gemeine Bürgerschaft mit ihren Hauswehren und Rüstungen, die Adligen, Freien und Schulzen mit ihren Pferden, Harnischen, Büchsen und was sonst zur ernsten Wehr gehörig, und die Bauern, so den zehnten Mann mit einem langen Rohr zu Fuß ausrichten, gemustert werden sollten; denn „des Weisen Mannes spruch nach daß Lanndt inn guttem wohlstande sey, welches zur Zeit des friedens die Vorsorge wieder die Kriegsleuffte gebrauchet und Vorradt schaffet." Doch diesmal sollte sich das Kriegsgewölk glücklich verziehen.

Ein Schadenfeuer zerstörte am 8. September 1598 einen großen Teil der Neustadt; auch das Rathaus sank dabei in Asche und mit ihm die hier aufbewahrten Urkunden und Akten. Dagegen blieb die Dreifaltigkeitskapelle von dem Feuer verschont. Sie war ursprünglich i. J. 1437 erbaut und mit 12 Morgen Land ausgestattet worden, im 13jährigen Kriege aber (1455) niedergebrannt. Um 1581 erst wurde die kleine Kapelle wieder aufgebaut und im Jahre 1584 von Bischof Kromer eingeweiht. Ihre jetzige erweiterte Form mit dem Ostgiebel stammt aus d. J. 1681.

An dieser Stelle sei für die Familienforscher die Mitteilung eingeschaltet, daß in Auswirkung der Tridentiner Konzilsbeschlüsse in der Braunsberger Pfarrgemeinde i. J. 1565 die Trauungsbücher, i. J. 1566 die Taufregister beginnen. Die Sterbefälle wurden erst seit 1708 verzeichnet.

Im Jahre 1601 wurde dem Bischof ein Verzeichnis der wehrpflichtigen Bürgerschaft der Altstadt eingereicht. Sie zählte 265 Mann und war in 5 Ordnungen eingeteilt, die wieder in Kohorten von 10 - 12 Mann zerfielen. Jede Ordnung hatte drei Führer, einen Ratsherrn und zwei Bürger. Die vier ersten Ordnungen waren zur Verteidigung der Mauern und Türme bestimmt, die fünfte wurde auf dem Markte aufgestellt, um beim Angriffe eingesetzt zu werden. Diese Bürgerwehr konnte aber im Notfälle durch Tagelöhner, Gesellen und 113 Jungmannen ergänzt werden. Außerdem warb man bei drohenden Gefahren Söldner an, so i. J.1613 60 Musketiere, von denen die Befehlshaber monatlich 30, die Veteranen 10 und die übrigen Mannschaften 5 Gulden Sold empfingen. Spieße, Hellebarden, Luntenrohre, Pulverflaschen, Geschütze und eiserne Kugeln wurden in Königsberg, Lübeck, Braunschweig und Schweden angekauft.

Mit Beginn des 17. Jahrhunderts wurzelte sich in Polen immer mehr das Unwesen der Konföderationen ein, bewaffneter Verbindungen unzufriedener Adliger gegen die königliche Regierung. Sie bestritten den Unterhalt für sich und ihre Soldateska durch willkürliche Erpressungen. Mit „freiwilligen" Zahlungen suchten sich die bedrohten Gebiete von den Durchzügen oder Winterquartieren solcher Kriegsvölker loszukaufen. So mußte Braunsberg seit 1606 immer wieder unter diesen Lasten der zunehmenden Anarchie und Friedlosigkeit bluten. Trotzdem bewies die reiche Stadt, die noch im August 1614 über 1000 Tonnen Bier in den altstädtischen Kellern liegen hatte, ihre großzügige Gastlichkeit, als im Juni 1623 König Sigismund III. mit seiner Gattin, dem Prinzen Wladislaus und einer jungen Prinzessin auf einer Durchreise hier Nachtquartier bezog. Dem Königspaar und dem Prinzen verehrte der Rat vergoldete Silbergefäße, gefüllt mit ungarischen Gulden, der Prinzessin ein kostbares Kleinod, Gaben, deren Wert sich neben der Verpflegung auf 3050 M. belief. Der bischöfliche Statthalter Michael Dzialynski aber erhielt für seine der Stadt geleisteten Dienste ein Geschenk von sechs ineinander gesetzten vergoldeten Hofbechern im Werte von 278 M. und zwei schöne junge Hengste.


VI. Im Jahrhundert der Schwedenkriege (1826—1721)


Schon seit Jahren hing ein neues Kriegsgewitter in der Luft. Während der unselige dreißigjährige Religionskrieg Deutschland zu zerfleischen begann, erfüllte auch Osteuropa Waffenlärm. Der ebenso ehrgeizige wie tapfere König Gustav Adolf wollte die Ostsee in ein schwedisches Meer verwandeln, entriß den Russen i. J.1617 das baltische Küstengebiet Ingermanland, seinem polnischen Vetter i. J. 1621 Livland. Sollte er in seinem Eroberungsdrang vor den Grenzen des Ermlandes Halt machen, auf dessen Bischofsthron seit 1621 der polnische Königssohn Johann Albert saß? Die Einsichtigen witterten Unheil. Schon 1622 beschäftigte sich der Heilsberger Landtag mit Verteidigungsmaßnahmen, und die Altstadt Braunsberg, die bei diesen Versammlungen mit einem Bürgermeister, einem Ratsherrn und dem Stadtnotar vertreten zu sein pflegte, machte sich an die Ausbesserung ihrer Befestigungswerke. Die Wormditter Tagfahrt v. J. 1624 beschloß, fremdes Kriegsvolk anzuwerben. Die Braunsberger kauften Pulver, rückten ihre Geschütze aus der Rüstkammer auf die Mauern und Türme und warfen Schanzen auf. Wer es konnte, sollte eine Muskete anschaffen, die Bewaffneten sollten von den Wachtmeistern ausgebildet werden.

In diese sorgenvollen Vorbereitungen platzte die Schreckenskunde hinein, in Danzig sei die Pest ausgebrochen. Neue Vorsichtsmaßnahmen sind notwendig. Der Rat nimmt mit dem Erzpriester Rücksprache wegen des Versehens der Kranken, und einer der Vikare wird mit dieser opfervollen Aufgabe betraut. Man stellt einen Pestbarbier ein, der sich in Grätz bereits bewährt hat; er soll die Kranken am Halse schmieren, zur Ader lassen u. a. Da entdeckt man auf dem Köslin den ersten Pestfall. Irgend ein Wanderbursche hat vielleicht das Gift aus einer verseuchten Stadt mitgeschleppt; nun liegt er da tot, mit Beulen bedeckt und blauschwarz angelaufen. „Die Pest ist da! Der Schreckensruf verbreitet sich alsbald wie ein Lauffeuer durch die Stadt; angstvoll stehen die Bürger auf den Straßen zusammen, Erinnerungen von der letzten Pestzeit werden aufgefrischt und die schlimmen Botschaften aus der Nachbarstadt eifrig besprochen. Der Rat tritt zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen und beschließt angesichts des Ernstes der Lage, alle Mittel zur Unterdrückung der Seuche anzuwenden. Ein Ausschuß von Mitgliedern des Rats und der Bürgerschaft soll als collegium sanitatis (Gesundheitsausschuß) gewählt werden und täglich im Rathause eine Sitzung halten; die ganze Stadt wird in Bezirke eingeteilt und ein decurio (Hauptmann) mit der speziellen Aufsicht und Anzeige aller Verdächtigen in seinem Revier beauftragt. Das Haus, in dem der Fremde gestorben ist. wird vernagelt und mit einem weißen Kreuze bezeichnet, allen Insassen aber bei Strafe das Verlassen desselben untersagt.

Indes das Verhängnis läßt sich nicht mehr aufhalten, ein zweiter und ein dritter Fall wird gemeldet, und bald steht die ganze Stadt unter dem Szepter des Allbezwingers. Die Bader haben alle Hände voll zu tun mit Aderlassen und mit 115 Schropfköpfesetzen, überall qualmen dicke Rauchwolken von Kaddik, Wermut, trockenen Eichenblättern, Hühnermist, alten Schuhen und erfüllen Stuben und Straßen mit einem „pestilenzischen" Gestank. Der Erzpriester wird gebeten, das Läuten einstellen zu lassen, um die Schrecken nicht noch zu vermehren; in den von Kaddigqualm erfüllten Kirchen drängen sich angstvoll betende Menschen und bestürmen den erzürnten Gott mit Tränen und Gelübden." (G. Matern, die Pest im Ermland.)

Als der Pestbarbier gestorben war, wurde ein neuer aus Hamburg angestellt, der zum Zeichen eine weiße Binde um den Hut erhielt. Ein Bürger, bei dem die Pest ausgebrochen, wollte sein Haus nicht schließen lassen, sondern setzte sich mit geladener Muskete und brennender Lunte zur Wehr. Der Rat beschloß, dem Ungehorsamen das Bürger- und Gewerberecht zu entziehen.

Nachdem so die Pest, mit Unterbrechungen auftretend, in den Jahren 1624 und 25 wie oft zuvor zahlreiche Opfer gekostet hatte, nahte das gefürchtete neue Unheil: der Schwedenkrieg. Noch hatte der Guttstädter Landtag i. J. 1625 die Anwerbung von 300 fremden Söldnern beschlossen, den Dienstpflichtigen das Gewissen geschärft und den Polenkönig um Schutz angerufen, da richtete sich im Sommer 1626 der erste Ansturm der Schweden gegen das Bistum.

Am 19. Juni berief der Rat die ehrbare Gemeine aufs Rathaus, weil ein „groß Geschrei von Gustav von Schweden ausgebracht." Man beschloß eine Wache auf dem Glockenturm aufzustellen, die Waffen und Geschütze zu untersuchen, sich für 2—3 Monate zu verproviantieren; jeder Quartierherr sollte die Wehren, Mauern und Brücken mit dem Zimmermann besichtigen. Am 25. hielt der Rat einen „Durchgang der Bürgerschaft mit ihrem Gewehr" auf dem Rathaus; manche hatten eine „Röhre" mit Feuerschloß, andere nur Spieße. Nun sollten alle binnen Monatsfrist Musketen anschaffen.

Am 5. Juli warfen 80 wohlausgerüstete schwedische Kriegsschiffe mit einer Besatzung von etwa 15 000 Mann auf der Pillauer Reede die Anker. Nachdem König Gustav Adolf diesen schwach verteidigten Hafen seines Schwagers, des brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm, kampflos gewonnen und 3 Regimenter dort zurückgelassen hatte, schlug er am 9. Juli den Kurs südwärts ein gegen „die Pfaffenknechte im Bischthum Ermeland."

Am 6. Juli drang nach Braunsberg „böse Zeitung aus der Pillau, daß die schwedische Armada" dort gelandet. Wieder wurde die Gemeinde zur Beratung auf das Stadthaus geladen. Man dachte, die Elbinger um Hilfe anzugehen. Matthis Thiel aus der Neustadt wurde für einen Monat gegen 100 Gulden Gehalt als Kapitän (Hauptmann) angenommen und vereidigt. 63 städtische Handwerksgesellen, unter ihnen ein „Drommenschläger", wurden für 8 Gulden als Soldaten eingestellt. Sie mußten schwören, „den beiden Städten Braunsberg getreu und hold zu sein, an und vor dem Feind, zu Zug und Wacht, wohin sie gestellt und erfordert werden, mit der Setzung Leibs und Lebens zu Tag und zu Nacht fleißig und getreulich zu dienen, auch dem Kapitän Thielen in allem Gehorsam zu leisten, als mir Gott hilft und sein heiliges Wort." Schließlich wurde als Büchsenmeister Andres Sahm mit einem Monatslohn von 50 Gulden verpflichtet.

Die Altstadt Braunsberg mochte damals nach den letzten Pestopfern etwa 3500 Einwohner zählen. Rechnete man die wehrpflichtigen Bürger aus der Stadt und ihrer Gemarkung und die geworbenen Söldner zusammen, so dürften wenig mehr als 500 Verteidiger vorhanden gewesen sein. Allerdings trafen noch im letzten Augenblick schwache polnische Hilfstruppen ein, Dragoner unter Kapitän Zeridongo und drei Fähnlein „guten Volkes" unter den Hauptleuten Butler, Siatansky und Fordy. Mauern und Türme boten freilich gegen die fortgeschrittene Artillerie nicht mehr dieselbe Sicherheit wie vor 100 Jahren. Die Aussichten eines Widerstandes gegen das kampferprobte Schwedenheer waren also keineswegs günstig; trotzdem waren Rat und Gemeinde entschlossen, um ihrer Ehre und Treue willen die Stadt zu verteidigen.

Nachdem die schwedische Flotte an der Passargemündung unweit des Braunsberger Bollwerks angelegt hatte, rückte Gustav Adolf am folgenden Tage, den 10. Juli, mit etwa 4000 Mann Infanterie und vier Reiterschwadronen gegen die Stadt vor, wohl überrascht, daß die Einwohnerschaft nicht freiwillig die Tore öffnete. Sein Hofmarschall Dietrich von Falckenberg und der schottische Kapitän Lamm führten den Vortrupp. Unterwegs stießen diese auf Zeridongos Dragoner und die dienstpflichtige städtische Reiterei. Es entspann sich ein leichtes Scharmützel, das bald mit der Flucht der Verteidiger endete. Vor dem Weichbilde der Stadt waren neue Schanzen aufgeworfen, die von den Söldnern und den polnischen Hilfstruppen Verteidigt werden sollten. Aber angesichts der schwedischen Übermacht und der Flucht der eigenen Reiterei räumten auch sie ihre Stellung. Um den Feind in ihrer Verfolgung aufzuhalten, steckten sie die Ziegelscheune hinter dem alten Kirchhof 117 in Brand. Aber bald gingen auch der ganze Köslin, die vor den Toren liegenden Scheunen, Speicher, Holzhöfe, Krambuden, das Packhaus, der Hohe Krug und das 1573 von Bürgermeister Johann Bartsch für arme Bürgerwitwen am Rodelshöfer Weg begründete Hospital in Flammen auf. Nach schwedischer Darstellung soll Kapitän Butler den Rat zu dieser Einäscherung gegeben haben, vermutlich um dadurch die dort vorhandenen reichen Vorräte der Benutzung durch die Schweden zu entziehen. Der König ließ deshalb dem Flüchtigen und seiner Mannschaft zu Roß nachjagen und sie teils niederhauen, teils gefangennehmen; auch Butler gehörte zu den Gefangenen.

Und so flackert hier, jetzt dort, bald allerorts die vernichtende Brandfackel empor; gierig verschlingt das Flammenmeer die von der sommerlichen Hitze ausgedörrten Holz- und Fachwerkbauten, und dicke Rauchschwaden lagern sich über der gequälten Stadt. Wie jammern die bedauernswerten Besitzer, deren wertvolle Habe in Asche sinkt; und niemand kann und darf dem verheerenden Elemente Einhalt gebieten. Voller Verzweiflung und Schrecken drängen flüchtige Bürger zu den rückwärtigen Toren hinaus, schließen sich den Hilfstruppen und Söldnern an, die nach kurzer Wehr weiteren Widerstand für sinnlos halten, dem siegreichen Könige nicht in die Hände fallen wollen. Vielleicht geschah es bei diesem letzten schwachen Widerstand vor den Mauern, daß Bürgermeister Simon Wichmann durch einen feindlichen Schwertstreich in Lebensgefahr geriet. Schon fluten die Feuerwogen hinüber zu den Toren und Häusern der Stadt, da bleibt dem Rat nichts übrig, als den Hofmarschall Falckenberg um „Quartier zu bitten" und ihm die Schlüssel von Braunsberg zu übergeben. Dieser, der spätere Verteidiger von Magdeburg, der i. J. 1631 bei der Erstürmung der Stadt den Soldatentod sterben soll, rückt als erster in der verängstigten Stadt ein, und bald hält der „großmächtigste, durchleuchtigste, hochgeborene Fürst und Herr", König Gustav Adolf als Eroberer seinen feierlichen Einzug. Leider berichten die Ratsakten auffallend wenig über diesen denkwürdigen Tag, der für die Stadt über 9 Jahre schwerster Heimsuchungen anbrechen ließ. Zerstreute Nachrichten ergeben etwa folgendes Bild:

Vor versammelter Mannschaft schlug der König seinen Hofmarschall und den Kapitän Lamm zur Belohnung für ihren raschen Erfolg zu Rittern. Die ganze Bürgerschaft, Mann und Weib, wurde in die Pfarrkirche befohlen, wo Gustav Adolf ihnen wohl eröffnete, daß „ihm nicht mit ihrem Menschenblut, sondern mit Frieden, dem er nachjage, gedient wäre," wo sie vielleicht dem neuen Herrn den Huldigungseid schwören mußten und zur Auslieferung sämtlicher Waffen aufgefordert wurden. Während dieser Zeit plünderten die Soldaten die Häuser der flüchtigen Bürger; dabei fiel ihnen alles dem Artushof gehörige Silber, das der Vogt aus Sicherheitsgründen an sich genommen hatte, in die Hände. Auch die Kirchen erfuhren bald eine schwere Beraubung. Altäre, Bilder und gottesdienstliche Geräte wurden teils zerstört, teils fortgeschafft, teils entweiht; sogar die hl. Hostien wurden in der Pfarrkirche auf dem Boden verstreut, und der König soll nach einer Notiz diesem sakrilegischen Treiben höhnisch zugeschaut haben. Besonders gegen das Jesuitenkolleg lichtete sich die Wut der fremden Eroberer; galt es doch jener verfemten Lehrstätte, jenen verhaßten Patres, die ihrer schwedischen Heimat den Glauben hatten entreißen wollen. Freilich auch der gelehrte Johann Messenius, ein Lehrer des Königs, hatte hier in zehnjährigem Studium das wissenschaftliche Rüstzeug erarbeitet, das ihn zum Prinzenerzieher und zum Vater der schwedischen Geschichte und Dramatik befähigte. In klarer Voraussicht des kommenden Unheils hatten die Ordensmitglieder und Schüler die Flucht ergriffen, nur die Patres Nikolaus Kirstein aus Lübeck und Leonhard Kinard aus Schottland mit drei Laienbrüdern waren zum Schütze des Hauses zurückgeblieben. Diese wurden sofort gefangengesetzt und mußten länger als zwei Jahre im „Turm mit dem weißen Kreuz" zu Elbing schmachten. Das Kolleg und die Kirche lieferten den Eroberern reichste Beute. Die kostbare Bibliothek mit vielen Handschriften und Wiegendrucken, die kunstvolle Orgel und anders wertvolles Inventar wurden auf königlichen Befehl zur Verfrachtung nach Schweden bestimmt. Den Ortspfarrer der Stadt Lorenz Friese und seinen Vikar beorderte der König ins Schloß zu sich und verwies sie sofort aus der Stadt; der papistische Gottesdienst sollte nun hier ein für allemal abgetan sein. Die Bevölkerung aber beider Stadtgemeinden sollte eine „Brandschatzung" von 200000 schwedischen Talern binnen 4 Wochen aufbringen; auf flehentliches Bitten ermäßigte der König die ungeheuerliche Summe auf 50 000 Taler. Außerdem verblieb eine beträchtliche schwedische Besatzung in bürgerlichen Quartieren. Der schwedische Hofdichter Johann Narsius aber feierte in einem im nächsten Jahre zu Stockholm erschienenen Heldenepos in lateinischen Distichen auch die schonungsvolle Eroberung der festen Stadt Braunsberg.

Die Einnahme der ermländischen Hauptstadt durch die Schweden fand i. J. 1628 eine weitere literarische Behandlung. Eine lateinische Lobschrift des Elias von Nukrois auf Gustav 119 Adolf rühmte, wie der König im polnischen Preußen fast gleich, zeitig Braunsberg, Elbing und Marienburg dem Feind entrissen habe. Die Verwegenheit Braunsbergs, Widerstand zu versuchen, habe den König nur zum Lachen gereizt, aber nicht im Kampfe ermüdet. Daraufhin veröffentlichte ein gewisser Ahamot Crusius im selben Jahre eine dem Kulmer Bischof Jakob Zadzik und den Danzigern gewidmete Gegenschrift, worin er in feinem Latein ausführte: „Über den Fall Braunsbergs wundern wir uns nicht. Es ist nämlich schon lange eine Stadt gelehrter Ratsherren und mehr ein Wohnsitz der in Linnen gekleideten Minerva als der mit Lanze und Helm, fast ungewohnt kriegerischen Geistes und kriegerischer Einrichtungen, außer wenn bei den frohen Fastnachts-Kampfspielen jene langen Pfähle und stumpfen Ruderstangen als Lanzen auf dem gefrorenen Markt über den Ruhm der Fischer entscheiden."

Als Gustav Adolf am nächsten Mittage seinen Siegeszug über Frauenburg nach Elbing fortsetzte, während andere Trup Üpenabteilungen ins mittlere Ermland abrückten, hinterließ er eine dem Elend geweihte Stadt, die nach dem furchtbaren Erleben des letzten Tages sofort daran ging, die verlangte Geldsumme zusammenzubringen, um noch Schlimmerem zu entgehen. Die in einer dieser Nächte wohl aus militärischen Gründen von den Schweden in Brand gesteckte Johanniskirche (vor dem Hohen Tor) schien Warnung genug. Am 13. Juli konnte der Rat 10630 polnische Gulden abliefern, aber wie die Restschuld begleichen? Für den nächsten Tag berief der Rat die Gemeindevertreter ins Steinhaus, offenbar weil militärische Befehlshaber das Rathaus beschlagnahmt hatten. Man beschloß, das private Silber- und Zinnwerk anzugreifen, ebenso alles Silber des Gewerkes, wie die Willkommen-Humpen, und auch das Silber des Rates, wie die Vogellette (vom Pfingstschießen) nicht zu schonen. Den Neustädtern wurde am 17. eröffnet, sie sollten wenigstens ein Drittel der Restsumme beisteuern, obwohl sie das als unmöglich ablehnten; aber das „Landvolk" sollte ihnen mit Silber, Kupfer, Messing und Zinn Hilfe leisten. Am 18. wurden die Bürger des 1. und 2. Stadtviertels, am 20. des 3. und 4. Quartiers auf dem Artushof versammelt und ihnen klargelegt, daß man auch Kindergelder gegen die Bürgschaft des Rates angreifen müsse, daß sich aber kein Leistungsfähiger „auf die faule Seite legen" dürfe, es würde ihm nötigenfalls der Eid über sein Vermögen zugeschoben werden. Inzwischen reiften drei Ratsmitglieder nach Elbing und Danzig, und es gelang ihnen, bei Bekannten 21 000 Gulden aufzubringen. Durch Verhaftung von Ratsherren suchte der schwedische Gouverneur Oberst Andreas Erichson die Gelder flüssiger zu machen, und schließlich wurde unter größten Opfern der Betrag zusammengebracht.

Schon im Juli ergriff der lutherische Prediger Magister Johann Rüdiger von der Pfarrkirche und ihren Einkünften Besitz, dem der Rat im September 1629 wohl bei seinem Fortgang auf seinen Wunsch bescheinigte, daß er bisher mit seiner Person zufrieden gewesen sei. Als Diakon war Magister Andreas Zachert tätig, dem vom König die Einnahmen aus den Kirchenbenefizien zugewiesen wurden.
Bevor Gustav Adolf Anfang November nach Schweden zurücksegelte, wollte ihn der Braunsberger Gouverneur in Pillau wegen schwebender Fragen sprechen. Auf seinen Rat schlossen sich ihm am 5. November die drei Bürgermeister Hans und Andreas Hintz und Simon Wichmann an. Sie wurden „in gnädiger Audienz" empfangen und brachten als Hauptwünsche der Bürgerschaft vor: 1. habe der König versprochen, wenn die Gelder richtig abgeliefert seien, wolle er ihre Privilegien bestätigen; 2. bäten sie um das Recht zur Ausübung ihrer Religion. Aber Gustav Adolf verschanzte sich hinter seinem Reichskanzler Axel Oxenstierna in Elbing, dem er in den preußischen Dingen Vollmacht gegeben habe. Nun wurden dieselben Abgeordneten zum königlichen Statthalter entsandt, aber wie groß war hier ihre Überraschung, als ihnen auseinandergesetzt wurde, daß der schwedische Taler nicht mit 42, sondern mit 48 Groschen zu rechnen sei, daß also nicht 70000 Gulden der Forderung genügten, sondern 10000 zuzuzahlen seien. Von der Erfüllung der Wünsche war natürlich keine Rede, ja Hans Hintz und Wichmann scheinen vom Kanzler festgehalten worden zu sein. Der Gemeindevertretung wurde dieser unerwartete Bescheid mitgeteilt, aber keiner „wußte Rat zu Gelde; also ist überall difficultas (Schwierigkeit) und größter Mangel." Der Rat hielt es bei dieser Befragung für notwendig, zu „vermahnen und verwarnen, daß jeder sein Mund in guter Acht haben soll; denn alle Bürger wären der Garnison verdächtig, gleichsam man den Schweden gedrohet hätte." Durch Anleihen in Königsberg und Beitreibungen mußte der Rat die Restsumme beischaffen.

Schon aus diesem Beispiel ist die Verarmung und Not der Bürgerschaft erkennbar. Nun mußte die Stadt aber im Winter 1626/27 drei Kompagnien finnischer Reiter unter ihrem Oberstleutnant Zacharias Pauli und 5 Kompagnien finnischer Infantilsten unter dem Obersten von Nessa beherbergen und verpflegen. Was diese Quaitierlasten für den einzelnen Hausstand 121 bedeuteten, welche materiellen Opfer, Demütigungen und Zusammenstöße sie mit sich brachten, sei später an ein paar Beispielen aus d. J 1629 beleuchtet.

Nachdem der Schwedenkönig den preußischen Kriegsschauplatz verlassen hatte, gingen die Polen zum Angriff vor. Mitte Dezember begegnen wir einer ihrer Abteilungen im „fichtenen Wäldchen zwischen Braunsberg und Frauenburg", um einen aus 14 Fahrzeugen bestehenden Transport von Heringen, Salz und anderen Lebensmitteln abzufangen; doch wußte man dem bekannt gewordenen Anschlage durch Umleitung zu entgehen. Am 6. Januar 1627 erfolgte auf Befehl der polnischen Heeresleitung ein gleichzeitiger Ansturm auf mehrere von den Schweden besetzte preußische Städte; auch Braunsberg wurde von den Polen berannt, doch endete das Unternehmen verlustreich und erfolglos.

Etwa in den März dürfte die Freveltat schwedischer Soldaten zu setzen sein, von der zwei Briefe des bei Braunsberg lagernden polnischen Husaren-Obersten Kozakowski vom April die erste Kunde geben. Damals hing in der Nähe der heutigen Kreuzkirche am Wege nach Neu-Passarge an einem alten Eichenstamm ein auf Holz gemaltes Bild des gekreuzigten Heilandes; Gott Vater hält die beiden Arme des Kreuzesstammes, darüber schwebt der Hl. Geist in Taubengestalt. An diesem Heiligtum kamen dauernd schwedische Soldaten vorüber, wenn sie von ihren Schiffen von der Passargemündung zur Stadt wollten. Nun ließen sich drei rohe Kameraden dazu hinreißen, an diesem Zeichen „papistischen Aberglaubens" ihren Frevelmut auszulassen. Sie legten an und durchbohrten mit Flintenkugeln die beiden Kreuzesarme und das Gewand, mit dem Gott Vater bekleidet ist. Aber den Schußöffnungen entquoll eine rötliche Flüssigkeit, die von vorübergehenden Katholiken als Blut angesehen wurde, wodurch der Allmächtige in wunderbarer Weise das Verbrechen der Gotteslästerung offenbaren wollte. Die ruchlose Tat und die blutige Erscheinung konnten in der gequälten Braunsberger Bevölkerung nur im geheimen erörtert werden, aber die Kunde davon drang später auch zu den polnischen Truppen, die unter dem Prinzen Wladislaus bei Regitten lagen. Im Auftrage des Prinzen holte der aus Demut stammende Kapitän Lambert Ehlert in einer stürmischen Nacht das geschändete Bild vom Eichenstamme und brachte es ins polnische Lager. Wladislaus schickte es auf Rat seiner Offiziere über Mehlsack, wo ihm von der Einwohnerschaft und der polnischen Besatzung ein feierlicher Empfang bereitet wurde, zu seinen königlichen Eltern nach Warschau, und hier wurde es am 13. Oktober 1628 in Prozession durch die Straßen der Hauptstadt getragen. Religiöse und nationale Gründe waren es, die dem von dem schwedischen Feinde entweihten Kreuzbilde in Polen hohe Verehrung zuteil werden ließen. König Sigismund III. stellte es in einem Zimmer seines Schlosses auf, und hier verblieb es auch unter seinen Söhnen und Nachfolgern Wladislaus IV. und Johann Kasimir, bis es der Bischof von Kiew Thomas Ujeyski i. J. 1672 an feinen Ursprungsort zurückbrachte.

Hier war schon i. J. 1651 von den Jesuiten an der Stätte des Frevels eine hölzerne Kapelle errichtet worden, die i. J. 1669 - 70 einem vergrößerten Neubau Platz machte, bis am 2. September 1731 die jetzige massive Kuppelkirche mit dem denkwürdigen Kreuzbilde im Hochaltar durch bischöfliche Konsekration ihrer Bestimmung übergeben wurde.

Im Mai 1627 kehrte König Gustav Adolf mit frischen Regimentern nach Preußen zurück, und damit setzte sogleich beiderseits eine kräftige Offensive ein. Während der König vor Dirschau lagerte, suchten stärkere Truppen unter dem Kommando des Starosten von Halle Potocki zur Neustadt vorzudringen und die Altstadt durch Überrumpelung zu nehmen. Bei dem in der Stadt herrschenden Unwillen über die schwedische Gewaltherrschaft gelang es ihnen, einige Bürger zu einem geheimen Anschlag zu gewinnen. Von der Wohnung des Schmiedes Andreas Meißner im Kütteltor arbeitete man ein Loch durch die Stadtmauer, um nachts polnische Soldaten einzulassen. Diese sollten innerhalb der Stadt die Torwachen überfallen und töten, indessen von draußen die Polen eindrangen. Schon waren in der Nacht vom 10. zum 11. Juni etwa 15 Polen im Keller des Schmiedes, der auch Bier ausschenkte, beisammen, als der Major der Garnison die Runde ging. Als der eine brennende Lunte sah und die unbekannten, lärmenden Stimmen derer hörte, „so sich ein Herz zu machen bezechet hatten und jauchzeten", traf er in das Haus und rief: „Wer da?" Die Antwort: „Gut Freund!" genügte ihm nicht, und er fragte, was für ein guter Freund gemeint sei. Da fingen sie in ihrer Trunkenheit an zu schimpfen, zeigten ihre brennenden Lunten und nahmen eine drohende Haltung ein. Der Major schrie nun nach der Wache und ließ in den Keller schießen, so daß einige getroffen niedersanken, die übrigen aber zurückwichen. Nun wurde die ganze Garnison alarmiert und der Anschlag vereitelt.

Schon am nächsten Tage mußte der Rat eine genaue Untersuchung über den „verräterischen Anlauf" vornehmen; quartierweise wurde die Bürgerschaft vernommen und festgestellt, daß schon seit acht Tagen einige Neustädter in dem Meißnerschen 123 Hause ein- und ausgegangen seien. Die drei Hauptschuldigen, die von dem Vorhaben gemußt und die Werkzeuge verschafft hatten, wurden auf Befehl des Stadtgubernators mit einem grausamen Tode bestraft: Meißner sollte lebendig gespießt weiden, Hans Prange sollte enthauptet und geviertelt werden, der Kopf auf einen Pfahl gesteckt und die Körperviertel aufs Rad geflochten werden; Christoph Zimmermann sollte auch geköpft und gepfählt und sein ganzer Körper gerädert werden. Andere Verdächtige wurden verhaftet.

Auf die Kunde von der Bedrohung des wichtigen Braunsberg durch die Polen brach der Schwedenkönig am 17. Juni die Belagerung von Dirschau ab und rückte mit einem Viertel seines Heeres und 10 groben Geschützen gen Braunsberg, wo er am 21. die Polen in der Neustadt und ihrem nahegelegenen Lager antraf. Die Polen forderten den König zum Scharmützel heraus; dieser aber erwiderte, wie ihm zwar nicht mit Scharmützel und Kampf, sondern mit was mehrem für diesmal gedient sei, aber er wolle ihnen folgenden Tages begegnen. Trotzdem folgte er dem zurückgesandten Voten auf den Fersen nach. Sobald die Polen seines Heeres ansichtig wurden, räumten sie Vorstadt und Lager und ließen bei 50 Last Hafer, über 100 Fuder Heu und 2 Geschütze zurück. Nachdem der König aus Pillau und anderen Orten über Wasser noch beträchtliche Verstärkungen erhalten hatte, so daß sein Heer auf 6 000 Mann anwuchs, wandte er sich am 23. Juni nach Mehlsack, das er einnahm, plündern und niederbrennen ließ. Das von einer starken polnischen Besatzung verteidigte Wormditt wagte er nicht zu bestürmen und kehrte deshalb mit seinen Streitkräften am 26. nach Braunsberg zurück. Am 29. bestieg er mit kleinem Gefolge eine Jacht und fuhr nach Pillau hinüber, um dort das neue Befestigungswerk zu besichtigen und weitere Befehle zu erteilen. Während seiner Hinreise kam durch Unvorsichtigkeit seiner Soldaten, die sich „mit der Beute über Gebühr fröhlich erzeigeten", in der Neustadt ein Schadenfeuer aus, das 7 wohlgebaute Scheunen und darin über 100 Pferde von 6 Kompagnien des Oberstleutnants Kallenbach, Rittmeisters Benheim und anderer samt „vielem reisigen Zeug an Rüstungen, Pistolen, Satteln u. dgl." verzehrte. Als die Schwadronen Anfang Juli im großen Werder Quartier bezogen, sollten sie sich hier von dem Feuerschaden erholen und neu ausstaffieren.

Für den 12. November hatte Reichskanzler Oxenstierna Vertreter der besetzten Städte, so auch von Braunsberg, nach Elbing geladen. Außer der Bespeisung von 300 Mann verlangte er ein halbes Jahr hindurch Geldzahlung von 24 000 Gulden, die er dann auf 16 000 ermäßigte. Bei dieser Gelegenheit baten die Braunsberger um einen katholischen Priester. Aber der Kanzler schlug die Bitte kurzweg ab. Auf das weitere dringende Ersuchen, daß die Kirchen „nicht also spoliieret" (beraubt) werden möchten, erwiderte er: „hin ist hin," wollte aber an den Braunsberger Gubernator schreiben, daß fortan ohne königliche Erlaubnis nichts weiter weggenommen werden sollte. Wie sehr die vielfältige Not die Bürgerschaft dem Kummer und der Verzweiflung anheimfallen ließ, ist daraus ersichtlich, daß sich im März 1628 der Bürgermeister Hintz in einem Anfall von Schwermut „mit einem kleinen Messerlein die Gurgel abschnitt und ums Leben brachte".

Gegenseitige Plünderungszüge, so der Polen Ende Januar 1628 vor Braunsberg, denen die Obersten Nessa und Pauli mit 1500 Mann nachsetzten, und der Schweden Ende März in die Heilsberger Gegend bildeten die Kampfhandlungen der feindlichen Parteien. Als dann Gustav Adolf im Mai in Preußen erschien, beorderte er den größten Teil der Garnisonbesatzungen für seine westpreußischen Unternehmungen, die doch zu keinem entscheidenden Erfolg führten.

Auf Befehl des Reichskanzlers mußte die Braunsberger Bürgerschaft im Sommer zwei Häuser in Pillau bauen von 34 Schuh Länge und 16 Schuh Breite. Ein königlicher Ingenieur schlug der Gemeindevertretung vor, die Häuser vor der Stadt, „so der Defension (Verteidigung) und forteza (Festung) hinderlich sein," abzubrechen und für Pillau zu verwenden. Die Gemeinde war aber nur für den Abbruch des Ratsmalzhauses, hatte übrigens bei den Bauten Aufwendungen von 1145 Gulden. Im August mußte sie zur Verstärkung der Befestigungen unter Leitung eines schwedischen Ingenieurs und Hilfe der Soldaten einen Schutzwall um die Kupfer- und große Mühle aufführen, was weitere Kosten von 528 Gulden verursachte.

Nässe und Mißwuchs erzeugten Viehsterben und Seuchen, die auch unter den schwedischen Truppen sehr viele Opfer forderten.
Am 3. November reiften Simon Wichmann und Michael Protmann erneut zum König nach Pillau, um wegen der Bestätigung ihrer Privilegien und der Bespeisung der Garnison vorstellig zu werden; aber zu der ersten Bitte äußerte Gustav Adolf im Tone der Selbstverständlichkeit: „Wie änderst?" zeigte aber für die religiösen Wünsche der katholischen Bürgerschaft nicht das geringste Entgegenkommen. Wenn er aber wegen der Quartierlasten möglichste Schonung versprach, so 125 zeigte sich recht bald, wie wenig der Kanzler Oxenstierna dieser Zusicherung nachkam. Er verlangte eine neue Kontribution von 15 000 Talern, die binnen 5 Monaten zu zahlen sei. Die Gemeinde, die am 1. Dezember sorgenvoll zusammentrat, beschloß, monatlich 1000 Gulden zu bieten und eine Verkaufssteuer auf Heringe, Salz, Roggen usw. aufzulegen, im übrigen aber um eine Ermäßigung der Summe zu bitten. Oxenstierna, der die Soldforderungen seiner Offiziere und Mannschaften nicht mehr befriedigen konnte, setzte zwar die Kontribution auf 10000 Taler herab, erklärte aber, „sie mögen genommen werden, woher sie kommen," und lieh sich auch durch wiederholte Vorstellungen der weit über ihre Leistungsfähigkeit erschöpften Stadt nicht zur Nachgiebigkeit bewegen. Hier lagen in diesem Winter 5 Kompagnien deutsche Reiter unter Oberstleutnant Nessa, die im Dezember mit „allerleifarben Tücher" neu eingekleidet wurden. Im April 1629 forderte Oberst Ehrenreuter von Wormditt 2000 Taler der rückständigen Kontribution: „wo die Gelde nicht in parat (bereit) sein werden, wollte man etwas anderst der Stadt beweisen." Wie es hier aber aussah, zeigt in erschütternder Sprache das Protokoll der Gemeindesitzung vom 24. April: Beim Bollwark ist hochnötig zu scheppen (baggern), aber kein Geld dazu. Weder Saathafer noch Geld dazu ist vorhanden. Die Bauern können nicht mehr scharwerken wegen Mangel der Pferde; man weiß nicht Pferde aufzutreiben, wenn eilige Post gefordert wird. Die ruinierten Wehren zu bessern, fehlt es an Dielen. Im Mai sollte man trotzdem 20 000 Pfähle 7 Schuh lang und 1 Schuh breit nach Pillau liefern, wollte aber mit dem Gouverneur reden, ob dazu die Schloßbauern herangezogen werden könnten.

Im August sah sich der Rat wegen der „grassierenden Pestgefahr" veranlaßt, durch die Bürgerschaft Tagwachen in den Toren einzustellen, weil die Soldaten die fremden Durchreisenden nicht kannten. Aus diesem Monat haben wir eine Reihe Beschwerden über die schottischen Quartiergäste, die sich besonders anspruchsvoll und undiszipliniert benahmen. Sie verlangen „Tafelbier, viel Betten, auf jedes Bett zwei Laken, brechen Kammern mit Gewalt auf, wollen an Sonntagen Zugemös (Gemüse) und Bier haben, jagen die Leut aus ihren Betten und nehmen vor sich heraus, was ihnen dienet. Dem Voigtlender hat ein Soldat 2 Topf mit Tafelbier vorn Kopf geworfen, Bette aus dem Haus anderwärts genommen, gestern aufn Abend ihm die Tür mit einer Axt wollen aufbrechen. Den Kleinschnitt ist einer mit bloßem Messer zu Halse gelaufen, dem Peter Rohden die Kammer mit einer Musketen aufgeschlagen.

Fordern und brennen den Tag durch Licht beim Tabak und sollen ihnen der Fisch fett aus der Putter gekocht werden; Gregor Zimmermann klaget, daß sie ihn geschlagen haben und ihm den Arm zerschmettert; desgleichen bei Mattes Kirsten haben sie sich lassen Bier auftragen, als nun die Tochter die Zahlung fordert, haben sie mit Schlage ausgezahlet, und was des mutwilligen, unbändigen Gesindlnis übermütiges, mutwilliges Beginnen mehr übergelaufen."

Die mit großen Hoffnungen begrüßten Friedensverhandlungen ermutigten den Rat am 7. September in einer Supplikation an den König um Abstellung solcher Beschwerden zu bitten. Die einquartierten deutschen Reiter und schottischen Soldaten begehrten nicht allein Holz, Salz, Essig, sondern auch allerlei Gewürz; jeder wolle ein aufstehendes Bett besonders haben, sie traktierten ihre Wirte nicht allein mit bösen Worten, sondern auch mit Schlägen. Mit ihrem Servis sind die schottischen Kapitän nicht befriedigt, halten daneben große Banketts bis in und durch die ganze Nacht; dazu muß ihnen der Hauswirt auch frei Holz, Salz, Essig, Gewürz und andere überflüssige Zubehörung schaffen und nicht allein des Nacht unterschiedliche Tafellicht, sondern auch den Tag durch beim Tabakpfeifen frei Licht auftragen; und wollen darüber in der Woche zweimal ihre Bette mit reiner Leinwand überzogen haben. Nicht ungleicher hausieren die gemeinen Knechte schottischer Nation, welche nicht allein die Gekochgarten bei der Stadt gewaltsam ausreißen, sondern auch bei den naheliegenden Dörfern mit Kisten- und Kastenanschauen und anderem Mutwillen großen Schaden tun." Deshalb wünschte man, da die Stadt dem Vernehmen nach unter schwedischem Gubernament bleiben sollte, Quartiergäste schwedischer Nation, bat aber, wegen völliger Erschöpfung von weiterer Kontribution verschont zu werden, und endlich um ein „frei öffentlich erercitium catholicae religionis" (Ausübung der katholischen Religion) und Zulassung eines katholischen Priesters.

Als am 26. September zu Altmark ein sechsjähriger Waffenstillstand das unentschiedene Ringen ablöste, verblieben Braunsberg und Tolkemit mit ihrem Gebiet bei Schweden. Den religiösen Wünschen der Passargestadt wurde wenigstens insofern Rechnung getragen, als den Katholiken die kleine neustädtische Kirche freigegeben wurde.

Die trotz aller Vorsichtsmaßnahmen um sich greifende Pest, die dauernde Quartierlast und neue Kontributionen waren Grund genug zu dem ergreifenden Gebet des Stadtschreibers 127 in den Ratsakten zu Beginn d. J. 1630: salve nos, domine, perinus: Rette uns, o Herr, denn wir gehen zugrunde!

Der alte Brauch, zu Petri Stuhlfeier (22. Februar) vor der Bürgerschaft feierlich die Ratswahl und den Wechsel der Ämter vorzunehmen, war in den letzten Leidensjahren außer Übung gekommen; jetzt nach Abschluß des Waffenstillstandes wurde er der Notzeit entsprechend schlicht wieder aufgenommen und der in Krieg und Frieden vortrefflich bewährte Simon Wichman zum präsidierenden Bürgermeister erkoren. Einer angesehenen Braunsberger Familie i. J. 1581 entsprossen und auf den Schulen seiner Vaterstadt klassisch gebildet, gehörte er seit 1623 dem Rate an, wurde bald einer der drei Bürgermeister und bewies nicht nur bei der Eroberung der Stadt seinen persönlichen Heldenmut, sondern leistete auch seinen Mitbürgern durch seine kluge und gerechte Führung, vor allem auch durch seine charaktervollen Verhandlungen mit den schwedischen Machthabern wertvolle Dienste. Schon im März finden wir ihn wieder bei Kanzler Oxenstierna in Elbing, um die Freigabe der leerstehenden Jesuitenkirche für die Katholiken zu erwirken; vergeblich, der Kanzler schützte den Altmarker Vertrag und den königlichen Willen vor. Der katholische Priester, über dessen Berufung sich der König das Patronatsrecht vorbehalten, müsse der Krone Schwedens vereidigt werden und dürfe nicht einer von Heilsberg sein, sondern aus Frankreich (!) oder Deutschland, dürfe auch nicht dem Heilsberger Bischof unterworfen und vor allem kein Jesuit sein. Als nun Wichmann den alter Pfarrer Friese vorschlug, der ein frommer, stiller Mann sei, meinte der Kanzler, der sei auch ein Jesuit. Darauf wurde ihm klargemacht, daß die Stadt ihre besonderen Pfarrer und Priester gehabt habe, worauf er sich schließlich mit der Berufung einverstanden erklärte; mißtrauisch fügte er noch hinzu, der katholische Pfarrer dürfe wohl Briefe schreiben, aber „keine Praktiken machen wie dem Schmiede helfen, Mauern durchhauen."

Bild: Bürgermeister Simon Wichmann.
*1581  + 1638
Original im Amtszimmer des Bürgermeisters im Braunsberger Rathaus.
Photo: Robert Schubert, Braunsberg

So war endlich nach vier Jahren für die Braunsberger die gegründete Aussicht da, öffentlichen katholischen Gottesdienst und eine geregelte Seelsorge, wenn auch in bescheidensten Grenzen, wieder zu erhalten. Unter den rückwandernden Flüchtlingen stellten sich jetzt auch 9 Nonnen ein, die den Schweden aber als staatsgefährlich erschienen und den Reichskanzler im August zu einer Anfrage beim Magistrat veranlaßten. Erst am 26. Juli wurden die Schlüssel der neustädtischen Kirche dem altstädtischen Rat überliefert; die letzten Hindernisse zur Abhaltung des katholischen Gottesdienstes scheinen jedoch erst bei einem Besuch des Reichskanzlers Oxenstierna gefallen zu sein. Am 2. Dezember wollte der Rat ihm ein Präsent offerieren, „damit man wieder einen gnädigen Herrn haben möchte", und beschloß, ihm einen vergoldeten Pokal im Werte von 140 Gulden und dazu 300 Taler zu verehren. Bürgermeister Wichmann sollte allerdings zuvor den Sekretarius fragen, „ob solches dem Herrn Reichskanzler auch annehmlich sein möchte." Immerhin konnte am 10. Dezember „auf des Rats Vokation der achtbarwürdige und hochgelahrte Herr Laurentius Frisius gewesener Pfarrherr feiner verlassenen Schäflein väterliche Sorge und Cur wiederumb in diesen gefährlichen Zeiten auf sich nehmen." Als Kaplan wurde ihm der frühere Pfarrei Jakob Paternoster beigesellt, der in den letzten Jahren „viel Gutes bei der Bürgerschaft getan", im geheimen den Katholiken die Sakramente und geistlichen Trost gespendet hatte. Ihren Unterhalt bestritten sie aus opferwilligen Spenden der Bürgerschaft, da die lutherischen Prediger die Einkünfte der Pfarrgüter und kirchlichen Stiftungen bezogen. Sie durften übrigens nicht einmal in der Altstadt in dem Hause des Georg Schmidt wohnen bleiben, sondern wurden auf fremde Veranlassung in die Neustadt verwiesen.

Der schwedische Kanzler stieß in seinem Bestreben, die Selbstverwaltung und das angestammte Bekenntnis der Bürgerschaft zu unterhöhlen, auf zähen Widerstand des Rates. Die Spannungen wuchsen. Als die Mühle am 1. April 1631 abbrannte, schoben die Schweden die Schuld daran der katholischen Bürgerschaft zu. Am 16. ernannte Oxenstierna den Arzt Dr. Peter Burmeister zum Braunsberger Burggrafen, der im Juli mit drei anderen Evangelischen, die eben das Bürgerrecht erworben hatten, in den Rat aufgenommen werden mußte. Er bestimmte, daß die bisherigen Kirchen- und Spitalväter abgesetzt und durch evangelische ersetzt würden und alle unmündigen Kinder evangelische Vormünder erhielten. Licentiat Andreas Hoyer aus Danzig, der nach dem Abzuge des Hauptpredigers Rüdiger (September 1629) nach Braunsberg gekommen war, beantragte am 30. Juli, daß das Kolleg für ihn instand gesetzt werde, da er als erster Inspektor eine neue höhere Schule eröffnen sollte. Der Rat mußte dazu einen „gemeinen Hausschoß" von 10 Groschen auf alle Kirchspielskinder ausschreiben.

Im August verlas der Reichskanzler den ins Steinhaus berufenen katholischen Ratsmitgliedern eine Reihe von Verwarnungen und Verordnungen, wie die, daß niemand die Ausbreitung des Evangeliums hindern und durch Wort oder Tat die Katholiken vom Evangelium abhalten dürfe, daß die katholische Schule in der 129 Neustadt aufzulösen sei, daß kein Bürger seine Kinder nach einer auswärtigen Schule — gemeint war das eben begründete Jesuitenkolleg Rößel — schicken dürfe bei Verlust der Güter, daß auch die katholischen Bürger in der lutherischen Pfarrkirche taufen und trauen lassen sollten. Wenigstens dieser letzte Gewissenszwang wurde von dem Kanzler nach einigem Zögern zurückgenommen.

Am 11. Dezember 1632 erst langte von Elbing her die Nachricht an, daß Gustav Adolf „in dem blutigen Treffen vor Lützen in Leibes- und Lebensgefahr geraten und zeitlichen Todes gefallen sei. Damit nicht etwa durch Unbedachtsamkeit der Soldateska Ursach zu Unwillen und bösem Argwohn gegeben werde, ist der Bürgerschaft angesagt, daß sie sich hinfort aller äußerlichen Musik, Saitenspiels und Fröhlichkeit enthalten sollen, sich auch in der Zeit, bis etwas Gewisses einkommt, mit Worten, Sitten und Gebärden also erzeigen und stellen, damit die Soldateska und andere nicht bösen Argwohn nehmen, als täte man sich des Unglücks und Unfalls erfreuen." Am 15. wurde dann dem Rat im Schloß die amtliche Todesnachricht bekannt gegeben. Daraufhin wurden Kanzeln und Altar in beiden Kirchen mit schwarzem Trauertuch bekleidet und alle musikalische Fröhlichkeit untersagt. Nunmehr sollte die Bürgerschaft gemäß ihrem Eid bei der Einnahme der Stadt der jungen Königin Christine treu und hold sein.

Am 21. März 1633 erschien Feldmarschall Hermann Wrangel in der Stadt. Er befahl, daß zur größeren Sicherheit des nunmehr außenpolitisch gefährdeten Stützpunktes neue Wallungswerke errichtet würden. Die Altstadt führte mit einem Kostenaufwand von 3289 Gulden ein Hornwerk (2 halbe, hörnerähnliche Vorwerke) vor dem Hohen Tor und mit einem Aufwand von 1460 Gulden eine Revalin (inselartiges Fort) auf dem Reiserdamm auf. Die Neustädter mußten den Wallbau vor dem Mühlentor erstellen. Diese starken, durch Sturmpfähle mit Eisenspitzen und Gräben geschützten Verteidigungsbauten sieht man auf dem ausgezeichneten Stadtplan von 1635, den der Amtsschreiber Paul Stertzell in sorgfältiger Aufnahme zeichnete und durch Conrad Götke in Kupfer gravieren ließ. Die Platte schenkte Stertzell am 13. September dem Rate, der sie als „ewiges Gedächtnis" gern entgegennahm und sich mit einem Honorar von 100 Gulden erkenntlich zeigte. (Abbildung 2.)

Inzwischen hatte das Unglück, das nach Gustav Adolfs Tod über die Schweden hereingebrochen war, besonders der Verlust der Schlacht von Nördlingen (5. 9. 1634) sie geneigt gemacht, den Waffenstillstand mit Polen nach Ablauf des Altmarker Vertrages für weitere 26 Jahre zu verlängern. So wurde denn unter Vermittlung der englischen, französischen und brandenburgischen Gesandten am 12. September 1635 in Stuhmsdorf ein Vergleich geschlossen, wonach Schweden die in Preußen besetzten Orte, darunter auch Braunsberg, ihrem Landesherrn zurückgab. Am 16. langte die Freudenkunde in der ermländischen Hauptstadt ein. Gott hatte endlich „die vielfältigen schweren Seufzer und bitteren Tränen in Gnaden erhört und sein hochbedrängtes Volk von der schweren Dienstbarkeit und Drangsal der fremden Herrschaft erlöst." Auch die Schweden waren des langen Krieges überdrüssig, freuten sich des Friedens. In den Kirchen fanden Dankgottesdienste für die beiden Bekenntnisse statt. Nachmittags wurde die ganze Garnison bewaffnet, teils rund um die Stadt auf die Mauern, teils an die Schanzen, teils auf den Markt geführt und mit brennenden Lunten aufgestellt. Dann krachte aus allen groben Stücken rings um die Stadt der Donner der Geschütze, und die Musketiere auf dem Markt und den Mauern antworteten mit den Salven ihrer Gewehre. Noch einmal wiederholte sich diese militärische Freudenkundgebung, das weithin schallende Signal, daß die Kriegsnot nunmehr ihr Ende gefunden habe.

Nun verabschiedeten sich die fremden Zuzöglinge, die von den schwedischen Machthabern verlassene Bürgergrundstücke erhalten hatten, darunter die evangelischen Herren des Rates, denen auf ihre Bitten Zeugnisse ihres Wohlverhaltens ausgestellt wurden.

Am Mittwoch, 3. Oktober erfolgte die feierliche Übergabe der Stadt. Kommandant der Schweden war damals Oberst Andres Koßkull aus Livland, der ein Regiment Fußvolk befehligte. In und vor der Stadt lagen drei Fahnen Deutscher unter Major Kiest und den Kapitänen Schnur und Dürast, ferner drei Fahnen Schweden unter einem unbekannten Major und den Kapitänen Jost Brockenhusen und Nils Steffenson und das unvollständige Regiment des Andres Wasen. Mittags um 1 Uhr kam der Oberst der polnischen Leibgarde Reinholt von Rosen in einem Wagen in die Stadt, ihm folgte der Dompropst und Offizial Albert Rudnicki als Vertreter des ermländischen Bischofs Nikolaus Sziszkowski. Sie gingen zwischen 3 und 4 Uhr aufs Schloß und mit ihnen die Bürgermeister und Nettesten des Rats. Koßkull trat zu ihrer Begrüßung auf den Platz, richtete einige Worte an sie und übergab die Schlüssel der Stadt und des Schlosses im Namen der Krone Schweden an Oberst Rosen als Vertreter Polens. Dieser 131 reichte sie an den bischöflichen Kommissar Rudnicki weiter, und dieser lieferte sie Bürgermeister Wichmann aus. Dann ward die schwedische Trommel gerührt, die Kriegsknechte sammelten sich auf dem altstädtischen Markte, und zwischen 5 und 6 zogen sie in guter Ordnung mit fliegenden Fähnlein, Sack und Pack, ohne allen zugefügten und empfangenen Schaden, mit vielem Krachen und Schießen, Umsehen und Seufzen durchs Hohe Tor hinaus zum Haff, wo Schiffe ihrer warteten.

Bevor die Schweden abrückten, hatten sie zwei entlaufene Fußknechte erwischt; den einen, einen Deutschen und Katholiken, ließen sie laufen, den andern, einen Engländer und Kalvinisten, henkten sie auf dem Markt gegenüber der Stadtschreiberei. Am Abend ließ Oberst von Rosen die Leiche abnehmen, im Feld begraben und den Galgen durch den Büttel umhauen.

Am nächsten Vormittag hielt Pater Andreas Klüngel in der Jesuitenkirche ein feierliches Amt. Danach versammelte sich der ehrsame Rat im großen Remter des Schlosses, die Bürgerschaft unten im Hof, um dem ermländischen Bischof den Huldigungseid zu leisten. Zuvor rühmte Rudnicki in lateinischer Rede höchlich die in schwerster Zeit bewiesene Treue der Bürgerschaft gegen ihre Landesherrschaft und Religion und versprach ihnen Bestätigung und Mehrung ihrer Privilegien. Nachmittags wurde die St. Katharinenkirche durch den bischöflichen Kommissar neugeweiht und nach einer Litanei das Te Deum mit Trompetenbegleitung gesungen, während polnische Truppen Kanonenschüsse lösten. Pater Klünger und Simon Berent übernahmen das arg geplünderte und verwüstete Besitztum ihres Ordens, und allmählich bevölkerten sich wieder die verlassenen Anstalten mit Lehrern und Schülern.

Von der ganzen Bürgerschaft aber waren nur noch 68 Mann übriggeblieben, von denen 23, darunter auch Bürgermeister Wichmann und der Stadtnotar Martin Schröter, der Zunft der Kaufleute und Mälzenbräuer angehörten, je 9 waren Schuster und Bäcker, je 5 Tuchmacher und Schneider, 4 Schmiede, 3 Kürschner, je 2 Böttcher, Höker und Riemer, je 1 Töpfer, Leinweber, Kannengießer und Tischler.

„Daß aber dieser Zeit eine solche Rarität und Wenigkeit der Bürgerschaft befunden, ist nicht zu verwundern; denn der vornehmste und reichste Teil derselben, die vorm Kriege ihrem Vermögen reputierlich und ansehnlich genug war, teils anno 1627 durch viele Mühe und Widerwillen, teils anno 1629 durch grassierende Pest aufgeraffet hinweggestorben, teils auch der Stadt verzogen und in fremden Orten ihr Domicilium angeleget."

9 Jahre, 2 Monate und 23 Tage hatte die schwedische Fremdherrschaft gedauert. An Kontributionen rechnete der Stadtsekretär einen Gesamtbetrag von 166 548 polnischen Gulden, an Bauten und sonstigen öffentlichen Leistungen 9178 Gulden zusammen. Wenn wir hören, daß i. J. 1636 das Gut Rosenort und die Wecklitzmühle, einen Verkaufspreis von 9000 Gulden erbrachten, gewinnen wir einen ungefähren Maßstab für die Beurteilung dieser Verlustziffern. Diese gewaltigen Summen waren größtenteils von der Bürgerschaft aufgebracht, zum Teil auch geliehen. „Was sonsten an unterschiedlichen Reisen, Unkosten, Honorarien (Ehrengeschenke), Stationen (Post) und Extraordinarien (außergewöhnliche Leistungen) aufgegangen; item wie jämmerlich die Stadtwalde mit Staketen (Latten), Kortegarden, Holz und durch schwedischen Schiffsmajor verhauen, ist hierin nicht comprehendieret (eingerechnet). Denn was die Bürgerschaft an Privatkonten, Alimentation (Verpflegung). Bettkleider, Laken, Tisch- und Handtücher, Servis, Licht, Esser (Essig), Pfeffer, Salz, Holz und andere Beschwerd getroffen, wird mancher und sein Nachkömmling besser gedenken als verschmerzen und erwinden."

Am 5. Oktober trat der aus 10 einheimischen Mitgliedern bestehende Rat zu seiner ersten freien Sitzung zusammen und beglückwünschte einander. Nun waren sie wieder Herr im Haus und durften des zum Zeichen mit den zurückerlangten Stadtschlüsseln die Tore schließen, wenn es gegen Abend beginnt zu schimmern und die Schließglocke geläutet ist und die Bürger die Wache bezogen haben.Im Dezember verlautete, Bischof Sziszkowski und König Wladislaus IV. wollten in Kürze die Stadt besuchen. Man wollte die hohen Gäste bei ihrem ersten Einzüge „mit Manier" einholen: Das schien aber schwierig, da nicht alle Bürger bewaffnet waren. Man beschloß eine Musterung und die Anschaffung neuer Trommeln und rotweißer Fahnen. 3 Kompagnien zu Fuß und möglichst viele Reiter sollten ausstaffiert werden. Am 5. Januar 1636 erschien der polnische Kommissar Alexander Butler, der in Braunsberg bei den Jesuiten studiert hatte und beim Schwedeneinfall dem Feind mit einer Muskete entgegengetreten war, um im Namen des Königs dessen großes Mitleiden mit der Stadt wegen der ausgestandenen Drangsal und Verfolgung und Freude über die Erlösung auszusprechen, zugleich aber auch die Anerkennung, daß „die Bürgerschaft im ersten Angriff des Feindes also getreu und parat (bereit) und nach Vermögen dem feindlichen Anfall Widerstand getan, daß sie dadurch bei männiglich Lob und Ehr erlanget, in Ansehung, 133 daß sie mehr getan als andere Städt mit mehr und stärker befestiget mit Stücken. Kriegsmunition und Volk versehen. gleichwohl nicht ein einzigen Schuß dem Feind entgegengeschickt; hätte also Ihro Kgl. Majestät ein groß Gefallen an erzeigter Fidelität (Treue) und Standhaftigkeit sowohl im ersten Anlauf als die Jahr hero bezeuget."

Dieser dankbaren Anerkennung wollte der Polenkönig persönlichen Ausdruck geben. Zu seinem Empfange traf am 13. Februar Bischof Sziszkowski in Braunsberg ein. Diesen holte eine berittene Kompagnie junger Bürger vom Kreuz im Neustädter Feld ein. Hier überreichten ihm die Bürgermeister, die im Wagen mitgefahren waren, die Stadtschlüssel in rotem Taft, die er ihnen mit freundlichen Worten wiedergab. Dann bewegte sich der Zug zur Stadt, wo Trompetensignale und Kanonenböller ihn begrüßten. 3 Kompagnien mit Ober- und Untergewehr bildeten von der Vorstadt bis zum Schloß „eine Gasse." Sie führten drei verschiedene Fahnen: eine von weißem Taft mit dem zeitigen Ratssiegel bemalt: ein grüner Lorbeerbaum, zu beiden Seiten ein Engel, welche zwei Halbmonde, das Wappen des Bischofs, über dem Baume halten, unten ein Drache mit einem Hirsch; die klassische Unterschrift lautete: Sub hoc sidere truncata viresco (Unter diesem Zeichen werde ich auch verstümmelt wieder ergrünen.) Die zweite Fahne war rot und weiß mit der Stadt großem Wappen, nämlich drei Türme, darunter im grünen Feld ein laufender Hirsch, oben von einer Seite ein schweres Ungewitter von Hagel, auf der anderen Seite Sonnenschein; darunter das lateinische Sprichwort: post nubila Phoebus (Auf Regen folgt Sonnenschein). Die dritte Fahne war ebenfalls rot und weiß, darin das Gerichtssiegel, ein Kreuz mit dem ermländischen Lamm. So hatte der Rat die mittelalterlichen Wappenbilder der Stadt in barocker Gestaltungsfreude mit dem Gedächtnis an das schwere Erleben der Schwedenzeit und zuversichtlicher Hoffnung auf eine bessere Zukunft sinnig verbunden. Der erste Besuch des Bischofs galt der Pfarrkirche, wo das Te Deum gesungen wurde, dann begab er sich ins Schloß.

Am 15. abends langte auch der König an, der im Kriege als Prinz selbst vor der Stadt gelegen hatte. Durch Vermittlung seines bischöflichen Unterkanzlers Peter Gembicki, der ebenfalls im hiesigen Kolleg studiert hatte, empfing Wladislaus den Rat. Der präsidierende Bürgermeister Lukas Schulz begrüßte ihn, gratulierte ihn zur „herrlichen Viktorie wider der Krone Feinde" und legte ihm die überstandene Kriegsnot dar. Im Namen des Königs antwortete dann Gembicki in lateinischer Rede, die der tapferen, vorbildlichen Pflichttreue der Braunsberger Bürgerschaft hohe Anerkennung zollte. Dann ließ der König die Herren zum Handkuß zu, wobei er Tränen des Mitleids und der Rührung vergoß.

Der Rat aber beschloß, das Eisen zu schmieden, so lange es warm war. Man trug dem Unterkanzler allerlei Wünsche vor: Da der Stadt im Kriege ihre groben Geschütze geraubt seien, bitten sie um Ersatz; der Hafen von Frauenburg möge nicht ausgebaut werden, da er der Stadt zu nahe und zu verderblichem Untergang sei; der Rat möchte Patrizierrechte genießen, mit rotem Wachs siegeln und das Stadtsiegel etwas verbessern; die Ratsherren möchten ihre Hausmarke unterm offenen Helm führen; der König möge von seinem Wappen zum ewigen Zeichen etwas dazutun, weil alles Unglück für die Stadt vom Hause Wasa durch Gustav und die Erlösung aus demselben Hause von Wladislaus gekommen sei; da dies Königsgeschlecht eine Garbe führe, möchte die Stadt dieses Zeichen zur freudigen Erinnerung übernehmen. Damit aber diese Bitten geneigteres Gehör fänden, beschloß man, dem Unterkanzler ein kostbares vergoldetes Silbergeschirr zu verehren. Da er dem König nach Königsberg gefolgt war, suchte ihn dort eine Deputation auf, an deren Spitze wieder Bürgermeister Wichmann stand, dessen Initiative wohl die meisten dieser aus einem gesteigerten Lebensgefühl entsprungenen Ehrungswünsche entstammten. In gnädiger Audienz wiederholte der Vizekanzler, wie Braunsberg allen Städten die Palme der Treue und Standhaftigkeit entrissen habe und den verdienten Lohn ernten solle. Das kostbare Geschenk setzte ihn in Verlegenheit, „da er es um die Stadt nicht verdienet", doch ließ er sich endlich bewegen es anzunehmen. Freundlich sagte er den Bitten Erfüllung zu und bat der Einfachheit halber, ihm einen Entwurf für das Patriziats-Diplom, „wie sie es immer konnten," zu verfassen und nach Königsberg zuzusenden.

Seinen Versprechungen folgte bald die Tat. Am 11. März überwies der König den Braunsbergern durch Bischof Sziszkowski als Ersatz 6 Geschütze mit Kraut und Lot. „daß der Ort wohl bewahrt bleibe", und am 23. Mai konnte Wichmann seinen erfreuten Ratskollegen das königliche „herrliche und schöne Diploma lateinisch auf Pergament fein deutlich geschrieben" vorzeigen, das ihm vom Vizekanzler Gembicki zugegangen war, „darein die Stadt herrlich gelobet wird." Wunschgemäß wurde ihr altes Wappen verbessert: die beiden ursprünglichen Wappentiere Lindwurm und Hirsch umstanden jetzt einen grünen Lorbeerbaum im weißen Feld. Neu hinzukamen zwei Engel, 135 die in einer Hand grüne Lorbeerzweige hielten, oben drei volle Ähren und darunter zwei Halbmonde, die die Engel mit der andern Hand trugen. Unter dem Ganzen die Unterschrift: Sub hoc sidere truncata viresco. Weiter erhielt der Rat das Patriziat und damit das Recht, mit rotem Wachs zu siegeln. Die Familien des zeitigen Rates wurden zu Geschlechtern d. h. in den Patrizierstand erhoben und mit Wappen aus gezeichnet, in denen sie über dem weiß-roten Schilde mit dem Haus- oder Familienzeichen einen offenen Helm mit drei Ähren führen sollten. Die ausgezeichneten Patrizier waren die drei Bürgermeister Wichmann, Matthias Kirsten, Lukas Schulz und die Ratsherren Peter Augsten, Peter Schuknecht, Michael Protmann, Christoph Schmidt, Georg Protmann, Peter Siewert und Andreas Ludwig. Bürgermeister Wichmann, der wegen seiner ausgezeichneten Tüchtigkeit, Treue und eifrigen Arbeit für die Vaterstadt noch besonders gerühmt wurde, durfte in seinen Wappenschild zu seiner Hausmarke noch die Halbmonde des Bischofs Sziszkowski aufnehmen und außer den Wasa-Ähren über dem Helm einen das Schwert schwingenden Arm zum Gedächtnis seines bewiesenen Heldenmutes i. J. 1626. Dieses Wappen weist auch das schöne Brustbild im heutigen Amtszimmer des Bürgermeister auf, das uns Simon Wichmann den „ersten Patrizier Braunsbergs dem Range und den Verdiensten nach," im vornehmen Schnürrock und weißen Spitzenkragen zeigt, das Haupt mit den ernsten, klugen, entschlossenen Zügen und dem leichten Schnurrbart von langem, dunklem Haar umwallt. Ein anderes weniger gutes, 1644 gemaltes und 1766 erneuertes Bild, das ihn in Lebensgröße darstellt, schmückt den alten Stadtverordneten-Sitzungssaal.

Anscheinend gab es nun, wie üblich, Neid und Zank bei anderen Familien, die mit demselben Rechte hätten in das Patriziat erhoben werden müssen, da ihre Häupter auch während der Kriegsjahre zum Rat gehört, die Elendjahre aber nicht mehr überlebt hatten. Deshalb dehnte das auf dem Warschauer Reichstag am 22. Februar 1637 feierlich wiederholte königliche Diplom die Standeserhöhung auch auf die Rats» familien Andreas Foltert, Johann und Andreas Hintz, Matthäus Wichmann, Michael Kirsten den Älteren und den Jüngeren und Bartholomäus Follert aus. Die polnische Krone hatte durch diese Auszeichnungen, die keine Aufwendungen kosteten, aneifernd und werbend gewirkt. Auch der Bischof stellte durch weitgehendste Bestätigung aller bisherigen Privilegien und Rechtstitel der Altstadt die Bürgerschaft zufrieden. Nachdem der bischöfliche Sekretär Albert Bialobreszky seiner Zusage entsprechend den Entwurf der Urkunde an Bürgermeister Wichmann geschickt hatte und der Rat sich „sehr wohl content" (zufrieden) gezeigt hatte, unterfertigte Sziszkowski die Pergamentausfertigung am 26. Dezember 1636.

Im Januar 1635 erstand der Rat von Frau Anna Euphrosina von Dohna auf Schlobitten, der Witwe des Georg von Preuck, das Gut Rosenort und die Wecklitzmühle für 5 000 Gulden bar und die Verpfändung von 6 Köslinschen Hufen im Werte von 4000 G. Wenn die Stadt auch nicht Bargeld besaß, so war sie doch nach Friedensschluß kreditfähig, und deshalb lieh ihr der Mehlsacker Burggraf Johann von Schwaben am 17. Dezember 1635 6000 Gulden gegen den Jahreszins von 420 Gulden, mit denen Auhof belastet wurde. Die „kleine Mühle hinterm Köslin" wollte der Rat im Mai zu einer Papiermühle einrichten, für die er sich einen Papiermachergesellen verschrieb. So wußte der Rat umsichtig Stadtbesitz und Erwerbsmöglichleiten zu mehren.

Bürgermeister Wichmann überlebte nicht lange seine verdienten Ehrungen. Die letzten Lebenstage waren ihm noch mit „mancherlei nachteiligen Afterreden" vergällt, die wohl kleinlicher Mißgunst entstammten und durch einen Erbschaftsstreit mit Frau Eisenbletter vergrößert wurden. Im Gefühle seiner Unschuld bat er seine Ratskollegen um einen Verhandlungstermin, jedoch die Eisenblettersche zog es vor, nach Danzig zu verreisen. Wichmann aber fiel am Terminstage, den 26. April 1638 plötzlich in eine schwere Krankheit, an der er am 9. Mai verschied. Der zur Zeit präsidierende Bürgermeister Lukas Schultz setzte das Ratskollegium von dem schweren Verlust in Kenntnis und wünschte, daß nach altem Brauch vom Tage des Abschiedes bis zum Begräbnis die vier Hauptgewerke täglich eine ganze Stunde mit allen Glocken läuteten und bei der Beisetzung in der Kirchengruft die vier jüngsten Ratsherren die Leiche zur Kirche trügen; aber die in Frage kommenden Herren weigerten sich, wohl weil sie sich für die „veraltete Sitte" zu fein blinkten, und beschränkten sich, neben dem Sarge zu gehen, den die Welkleute tragen mußten.

Hatte es auch in den früheren Jahrhunderten in Braunsberg nicht an vereinzelten Fällen gefehlt, wo in der Regel Frauen der Wahrsagerei und Zauberei bezichtigt wurden, so mehrten sich diese Hexenprozesse doch im 17. Jahrhundert ganz erheblich. Eine wahre Psychose erfaßte Deutschland in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, und die Verrohung und Verwilderung des dreißigjährigen Krieges trug zur Verschlimmerung des beklagenswerten Hexenwahns das ihrige bei. 137 Obwohl der Jesuit Friedlich von Spee auf Grund seiner traurigen Erfahrungen i. J. 1631 energisch diesem Aberglauben zu Leibe rückte, dauerten die letzten Hexenprozesse noch bis ins 18. Jahrhundert hinein. In Braunsberg erreichte die Hexenvervolgung in der Mitte des 17. Jahrhunderts, teilweise wohl auch als Auswirkung der Schwedenzeit, ihren Höhepunkt. Soweit das lückenhafte Aktenmaterial Feststellungen ermöglicht, wurde in der Altstadt 1605 die erste und 1670 die letzte Hexe, in der Neustadt wahrscheinlich 1610 die erste und 1686 die letzte verbrannt. In der Altstadt lassen sich bis 1772 über 70 Anklagen wegen verschiedenartiger Zauberei nachweisen; von den Angeschuldigten wurden 11 Frauen und 1 Mann zum Feuertod verurteilt, 17 Frauen und 3 Männer aus der Stadt verbannt und die übrigen mit Geld oder Turmstrafe belegt oder auch unbestraft entlassen. 22 dieser Klagefälle und 8 Verbrennungen gehören aber in die Zeit von 1637 - 52. Ebenso fallen in dieselbe Zeitspanne in der Neustadt von über 50 Hexenprozessen 35 und von 32 Hinrichtungen 23.

Da befaßte sich vielleicht eine Frau nach altem Brauch mit Quacksalberei, Besprechen von Krankheiten und anderen abergläubischen Kuren; hatte sie Pech, erregte sie leicht den Unwillen der enttäuschten Patienten, konnte sie in ihrem geheimnisvollen Getue den Verdacht erwecken, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Oder ein häßliches Weib oder eine Bettlerin war vielleicht in ein Haus oder einen Stall gekommen, wo zufällig gleich darauf eine Person oder Vieh erkrankte, Grund genug zu der Annahme, jene Frau habe durch bösen Blick oder Verwünschung die Krankheit hervorgerufen. Ein andermal machte sich ein hysterisches oder gar fallsüchtiges Weib durch unvernünftiges Gerede und sonderbare Gebärden verdächtig. An gutgläubigen und böswilligen Angebern fehlte es nicht. So muhte das Stadtgericht den Straffall untersuchen. Natürlich leugnete die Beschuldigte die unsinnigen Anklagen, worauf die Zeugen ihre Aussagen beschwören mußten. Nun wurden der Unglücklichen die Marterwerkzeuge gezeigt oder auch leicht angelegt, um sie zum Geständnis zu bewegen. Wirkte dieses Mittel noch nicht, so schritt man zu den Daumenschrauben, dann zu den spanischen Stiefeln. Meist fühlten schon diese Foltern zu den unmöglichsten Bekenntnissen. Blieb aber die Gequälte bei der Behauptung ihrer Unschuld, so ging das Gericht zu den höheren Graden der Tortur über. Die Angeklagte wurde auf die Folterbank gelegt, die Füße angebunden und der Körper mittels einer Kurbel an den zurückgebogenen Armen jammervoll auseinandergezogen. Zuweilen tropfte man noch brennenden Schwefel auf bloße Stellen des Körpers. Wenn das gepeinigte Weib wenig oder gar nicht weinte und schrie, wenn es die Augen nach oben lichtete oder rot wurde, galt das als besonders verdächtig. Hatte die Folterung trotz allem noch nicht den gewünschten Erfolg, so konnte sie an den nächsten Tagen noch ein zweites und drittesmal wiederholt werden.

Bis 1637 griff man auch zu dem Gottesurteil der Wasserprobe. Die Beschuldigte mußte den Arm in siedendes Wasser tauchen, dann wurde dieser in einen Sack gesteckt und, um sicher zu sein, daß inzwischen kein Heilmittel angewandt werden könne, der Sack versiegelt. Zeigte sich der Arm nach einigen Tagen unverletzt, dann erblickte man darin ein Zeichen der Unschuld. In jenem Jahre wurde das sogenannte Hexenbad eingefühlt, durch das man eher hinter die Wahrheit zu kommen glaubte. Die Angeklagte wurde nackt, Hände und Füße kreuzweise gebunden, dreimal aufs Wasser gelegt oder anderthalb Ellen hinuntergelassen. Das Nichtuntergehen wurde als Beweis der Schuld angesehen. Schon 1643 wurde dieses Verfahren von der bischöflichen Behörde verboten. Später bitten manche Weiber selbst, um ihre Unschuld darzutun, die Richter mögen sie schwemmen. Wenn ihnen ohnehin die Todesstrafe bevorstand, wären sie auf diese Weise wenigstens den Folterqualen entgangen.

Was die Richter nun hören wollten und daher die verdächtigten Frauen in der Pein der Tortur aussagten, das war in der Regel die Hingabe an den Teufel, der hier meist den Namen Kasper führte. Als junger, stattlicher Mann pflegte er schwarz gekleidet zu sein, einen schwarzen Hut mit einer loten Feder, einen Degen und lange Schnabelschuhe zu tragen. Mit dem Satan vergnügten sich nun die Hexen gewöhnlich zu Walpurgis und Johannis auf dem Kaddig-, Blocks-, Schwalken- oder Hünenberg, dem Tanzplatz oder der Venuswiese. Meist fuhren sie dorthin in einem von schwarzen Böcken oder einem Rappen bespannten Wagen ohne Fuhrmann, manche ritten auch auf einem Bock, Pferd oder Hund. An Ort und Stelle angelangt, setzte man sich zunächst zum gemeinsamen Mahl, wobei allerlei Fleisch, Fische. Grütze, Käse und Butter verzehrt und Bier getrunken wurde. Rasch war man damit fertig, dann begann der Tanz. Vermummte oder die Teufel selbst machten mit Pfeifen, Fiedeln, Trommeln, Pauken, Harfen oder Zithern Musik. Nach dem Tanze entfernte sich jeder Teufel mit seiner Buhle. Einem brausenden Winde gleich verschwand alles um Mitternacht oder beim Hahnenschrei. Die „Kleinen", die der Umgang mit dem Bösen zur Welt brachte, hatten 139 entweder menschliche oder affen- oder mäuseartige Gestalt. Nicht jeder konnte sie sehen und ihre quiekende Sprache verstehen. Sie verlangten Gelegenheit, Unheil anzurichten. Durch Anhauchen oder ein teuflisches Gift konnten diese Kobolde, Alfen in die Körper von Menschen und Tieren hineinpraktiziert werden und dort allerlei Krankheiten, gichtische Leiden, Hexenschuß, Seuchen und den Tod hervorrufen.

Solche Ausgeburten einer verirrten Phantasie und wahnfinniger Folterqualen wurden damals überall als Wirklichkeiten geglaubt. Oft genug widerriefen natürlich die unglücklichen Frauen ihr Geständnis, wenn die Pein aufhörte. Dann hielten das die Richter für Wankelmut und nahmen die Tortur wieder auf, bis die bedauernswerten Opfer sich eine Aussage fest einprägten und bei ihr bis zum Tode verharrten; dadurch konnten sie sich wenigstens ihre Martern verkürzen. War das Geständnis erpreßt, so fragten die Richter noch auf der Folter nach den Teilnehmerinnen am Hexentanz. Die Angeklagten nannten nun zuweilen ganz beiläufig, oft auch aus Haß und Feindschaft die eine oder andere ihrer Bekannten. Wollten sie später diese Angaben widerrufen, so drohte man von neuem mit der Folter. Die Aussage einer für überführt gehaltenen Hexe, die auf diese Worte starb, erhob ohne weiteres Zeugnis alles zur vollen Gewißheit. So zog oft ein Hexenprozeß eine Reihe weiterer nach sich.

Als Strafe für schwere Zauberei kam nach dem lübischen Recht der Tod mit Feuer und Schwert zur Anwendung. Doch wurde den Verurteilten der Empfang der Sterbesakramente nicht verwehrt. Auf dem Wege zur Richtstätte wurden besonders gefährliche Hexen noch mit glühenden Zangen gezwackt; dann mußten sie den Scheiterhaufen besteigen, um den schrecklichen Irrwahn ihrer Zeit mit einem qualvollen Tode zu büßen. I. J. 1671 ging der altstädtische Rat zu einer etwas milderen Todesstrafe über, indem er auch in Berufung auf die Auffassung des bischöflichen Landesherrn beschloß, die Hexen zuerst zu enthaupten und dann zu verbrennen.

Diese Prozesse dauerten in Braunsberg gewöhnlich 8—14 Tage; der längste währte zwei Monate, der kürzeste einen Tag. Die Gerichtskosten wurden durch einen besonderen Bürgerschoß (1637 von jedem Hause 10 Groschen) aufgebracht. War die Angeklagte aus einem Stadtdorfe, so mußte dieses dafür aufkommen. Der Scharfrichter bezog übrigens nach einer Taxe v. J. 1661 fürs Verbrennen 7 Gulden, fürs Hängen 6, fürs Vierteilen 8, fürs Kopfabhauen 15 Gulden. Ein Brandmal brachte ihm 20 Groschen, die Tortur 1 Gulden ein.

Wenden wir uns von diesen düstern Bildern einer internationalen Massenpsychose zurück zu den politischen Entwicklungen des 17. Jahrhunderts.

Als Königin Christine von Schweden wegen ihres Übertritts zum Katholizismus i. J. 1654 zu Gunsten ihres Vetters, des Pfalzgrafen Karl Gustav von Zweibrücken, auf ihren Thron verzichtete, erhob der polnische König Johann Kasimir Erbansprüche auf die schwedische Krone. Karl Gustav antwortete mit einem Einfall in Polen. Der 2. schwedisch-polnische Krieg kam i. J. 1655 zum Ausbruch.

Nachdem „allerhand böse Avisen wegen besorglichen Einfall der Schweden spargieret" (Nachrichten verbreitet) worden waren, richtete der bischöfliche Schloßhauptmann an den Rat die Aufforderung, die Mauern und Schanzen auszubessern, eine Musterung abzuhalten und für den Notfall vorzubereiten, was sonst zur Verteidigung erforderlich sei. Am 5. April beschlossen Rat und Gemeinde nach langer Beratung, obwohl „ihre arme Stadt ohne genügsamen Schutz und Entsatz ihrer hohen Obrigkeit sich gegen einen mächtigen Feind zu defendieren (verteidigen) gar schlecht bestandt befindet, jedennoch ihren vorigen Fußstapfen inhaerirend (folgend) das ihrige als redliche und treue Bürger, so lange menschliche Müglichkeit vorhanden, zu tun." Demzufolge wollte man die Musterung vornehmen, die großen Löcher in den Mauern „vermachen", die Schanze vor dem Hohen Tor, als der Stadt schädlich, schleifen, die kleine notwendige am Mönchentor aber bis zum Wasser erhalten und instandsetzen, weil man von der Flußseite den feindlichen Einfall fürchtete. Ein polnisches Schreiben des ermländischen Bischofs Wenzeslaus Leszczynski von seinem Kuraufenthalt Baden bei Wien an den Braunsberger Schloßhauptmann, das der Bürgermeister ins Deutsche übertragen ließ, und eine Steuerforderung des Heilsberger Scheffers (bischöflicher Finanzbeamter) ließen die Kriegsgefahr dringlicher erscheinen. Am 19. Mai verlangte die Gemeindevertretung kräftige Förderung des Schanzenbaus durch Scharwerk unter Aufsicht zweier Bürger, Anschaffung von Musketen für die Stadt, Musterung der bürgerlichen Waffen und Munition, Annahme „eines verständigen und zu dieser Stadt sich schickenden Kommandanten, etzlicher in der Artillerie und Büchsenmacherzunft erfahrener Männer." Zur Bistumskontribution wollte man nichts beisteuern, „sintemalen man mit sich selbst genügsam zu tun habe, und nicht die Stadt das Land zu entsetzen, sondern vielmehr die Landschaft dieser Stadt, an welcher Konservierung (Erhaltung) des Landes Wohlfahrt hanget, zu Hilfe zu kommen schuldig ist." 141 Interessant ist die Schlußbemerkung des Sitzungsprotokolls, daß man beim Pater Rektor Beschwerde geführt habe, weil die polnischen Studenten in kriegerischer Begeisterung nachts geschossen und anderen Lärm gemacht hatten. Der Rektor wollte die jungen Leute verwarnen; würde das nichts verschlagen, so sollte die Bürgerschaft ihr Bestes tun und keinen verschonen.

Am 25. Juli berührte Bischof Leszczynski auf einer Reise nach Frauenburg die Stadt, vom Rat und der Bürgerschaft feierlich empfangen und eingeholt. Er ließ einen Leutnant und 60) Mann zurück, die von der Bürgerschaft zunächst im Unterkrug (Adlerkrug) untergebracht wurden. Bald stellte sich heraus, daß der Fürstbischof diese Truppen zum Schutz der Stadt geworben habe, um anderer und vielleicht polnischer Besatzung damit zuvorzukommen. So konnten sich die einzelnen Bürger der Quartierlast doch nicht entziehen. Im übrigen redete man in den Gemeindesitzungen viel und ließ den Worten wenig die Tat folgen, so daß der Ratsschreiber unmutig den Akten die Bemerkung einfügte: „Weil aber insgemein nichts Richtiges beschlossen, und wo ja noch irgend etwas endlich beliebet wird, das Geringste doch nicht ad effectum (zur Durchführung) kommt, sondern wie man von einander gehet, gemeiniglich auch alles vergessen bleibet, ist unnötig, viel anhero zu verschreiben und die Acta, wie bishero geschehen, ferner mit vergeblichen Kalenderien zu erfüllen."

Wenn auch Bischof und Domkapitel zur Landesverteidigung im August Herrn Heinrich Ludwig von der Demut als Major bestellten mit dem Auftrage, 150 Dragoner und 200 Mann zu Fuß zu werben, so konnte selbst diese ermländische Streitmacht den Schutz des Bistums unmöglich sicherstellen. Gegenüber den starken Heeren der benachbarten Mächte blieb das militärisch unorganisierte Ermland völlig wehrlos. Dieses Bewußtsein beeinträchtigte letzlich die Entschlußkraft der Braunsberger, und die Erfahrungen des ersten Schwedenkrieges ließen sie den kommenden Dingen mit trüber Ergebung entgegensehen.

In dem Krieg zwischen Polen und Schweden war die Haltung des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, der als Herzog von Preußen der polnischen Krone lehnspflichtig war, von höchster Bedeutung. Schon i. J. 1652 hatte der Kurfürst den ermländischen Bischof auf die drohende Kriegsgefahr hingewiesen und gemahnt, die Plätze im Bistum, besonders Braunsberg gut zu befestigen; er werde es an nachbarlicher Hilfe nicht fehlen lassen. Als nun die Feindseligkeiten tatsächlich zum Ausbruch kamen, näherte er sich den Schweden und verlangte von ihnen als Preis für die Neutralität oder Waffengemeinschaft außer der Souveränität Preußens auch den Besitz des Bistums Ermland. Die Schweden boten im Juli 1655 die Souveränität, aber das Ermland ohne Braunsberg, weil die Schweden diesen wichtigen Platz für sich behalten wollten. Der Kurfürst entgegnete darauf in klarer Würdigung der Bedeutung der Passargestadt: „Ermland ohne Braunsberg halten wir für einen Leib ohne Seele." Und er gab seinen Gesandten den Auftrag, das ganze Bistum mit Stadt und Hafen Braunsberg von den schwedischen Unterhändlern zu verlangen. Trotzdem sicherte der Geheimvertrag von Rogasen (9. 8. 1655) dem Kurfürsten nur das Ermland ohne Braunsberg als schwedisches Lehen zu, für Braunsberg sollte er anderweitig entschädigt werden.

Das siegreiche Vorrücken der Schweden in Polen und ihr Einzug in Warschau (8. September) spornten den Kurfürsten an, die ihm im Rogaser Vertrage versprochenen Vergünstigungen sich mit Waffengewalt zu sichern. Die ermländischen Söldner und die Landesmiliz kehlten eben von einer unnützen Hilfsaktion nach Masovien zurück, wo sie durch die Schweden vom Gros des polnischen Heeres abgeschnitten wurden, als Ende September brandenburgische Truppen im Bistum einrückten.

Graf von Waldes eröffnete mit etlichen Kompagnien und 12 Geschützen in Braunsberg den Durchzug der Brandenburger. Die Bürgermeister ließen auf Wunsch des Obersten von Kreutz dem Militär durch die Stadtbauern 30 Tonnen Bier und Brote von 1/2 Last bis nach Pillau nachschicken. Darüber große Entlüftung in der Gemeinde, daß der Rat nicht gefragt sei; aber schon wenige Tage danach passierten die Völker des Obersten von Kalkstein die Stadt und wurden wieder mit einigen Tonnen Bier und Brot bewirtet.

Bischof Leszczynski, der nichts von den Rogaser Geheimabmachungen ahnte, begrüßte am 28. September in einem Schreiben den Kurfürsten als Erretter in der Not, bat aber schon wenige Tage später dringend, das Bistum von dauernden Quartierlasten zu befreien. Friedrich Wilhelm drückte von Pr. Holland aus am 9. Oktober sein höfliches Bedauern über die Belästigung aus und versprach, der größere Teil des Regiments Waldes solle abziehen, nur zwei Kompagnien sollten zu seiner Begleitung nach Königsberg verbleiben. Am nächsten Tage passierte „Ihre Churfürstliche Durchlaucht zu Brandenburg in der Frühe ganz stille mit einer Kompagnie Reiter" die Stadt Braunsberg. Bald danach kehrten diese Reiter zurück 143 und bezogen in den Stadtdörfern Huntenberg und Stangendorf Quartier, wo sie zunächst bis zur Rückkehr des Kurfürsten warten sollten, dann aber weiter verblieben. Diesen begrüßte auf seinem Rückweg die bewaffnete Bürgerschaft mit fliegenden Fahnen, sowie die „allhier liegende armselige Soldateska." Eine weitere Kompagnie des Rittmeisters von Brand quartierte sich in Wittenberg ein. Am 18. Oktober sollten noch Dragoner in der Altstadt untergebracht werden, und das empfand man um so drückender, als selbst während des 1. Schwedenkrieges die Altstadt wegen des Mangels und der Ungelegenheit der Stallungen nie mit Pferden belegt worden war.

Bei seinem Vorrücken in Westpreußen war der Kurfürst als Erretter vor der schwedischen Übermacht selbst vom polnischen Adel freudig begrüßt worden. Nach schwierigen Verhandlungen kam am 24. November zu Rinsk (bei Thorn) ein öffentliches Verteidigungsbündnis zum Abschluß, worin der Kurfürst Westpreußen und dem Ermland militärischen Schutz gegen die Schweden zusagte, was allerdings mit dem Geheimvertrag von Rogasen schlecht zu vereinbaren war. Unter den Vertragsbedingungen war auch die, daß der Kurfürst 100 Reiter und 1NN Infanteristen nach Braunsberg legen und den Ort mehr befestigen dürfte, nach dem Kriege aber die Stadt ohne Einwendungen zurückgeben müßte. Der Klerus und die Klöster und Schulen von Braunsberg sollten geschützt sein. Die Übung der katholischen Religion sollte durchaus frei, keine andere als die der Katholischen öffentlich sein. Der kurfürstliche Kommandant von Braunsberg sollte Katholik sein, wenn ein solcher sich fände. Das dortige Bischofsschloß sollte von jeder militärischen Einquartierung frei sein, der Bischof und seine Beamten im friedlichen Besitz des Schlosses bleiben.

Während noch diese Verhandlungen schwebten, waren von Livland her schwedische Truppen nach Preußen und dem Ermland in Marsch gesetzt worden. Um aber einer schwedischen Besatzung zuvorzukommen, legte Kurfürst Friedlich Wilhelm in die wichtigeren Bistumsstädte eigene Truppen. Braunsbergs bemächtige sich in seinem Auftrage Obristleutnant Kurier mit Lift, indem er am 3. Dezember vorgab, mit 3 Garde-Kompagnien durchmarschieren zu wollen, dann aber eingelassen erklärte, gemäß den Vereinbarungen der Fürsten zum Schutze der Stadt verbleiben zu müssen.

Nachdem der Kurfürst durch Besetzung der Städte Braunsberg, Wormditt, Guttstadt und Allenstein sich das Ermland gesichert hatte, nahm er sogleich wieder mit Schweden Verhandlungen auf; dabei beanspruchte er das Bistum für sich und wollte das übrige königliche Preußen den Schweden überlassen. Diese aber legten selbst auf den Erwerb des Ermlandes, namentlich von Braunsberg besonderen Wert und waren entschlossen, sich diese Gebiete zu erobern. In Braunsberg begann der Kommandant Kurier für alle Fälle die Befestigung auszubauen. Da die Schweden vor zwei Jahrzehnten die Wälder verwüstet hatten, konnte er von da nicht das erforderliche Holz zu Palisaden schaffen; er bat deshalb den Kurfürsten, ihm dazu aus dem benachbarten Pusch Damerau Holz zu bewilligen. Auch eine Verstärkung der Garnison hielt er für notwendig. Im übrigen unterstützten ihn bei seinen Verteidigungsmaßnahmen gegen die Schweden ebenso der ermländische Landvogt Stanislawski wie die nach Braunsberg geflüchteten Frauenburger Domherren.

Der brandenburgische Kriegsrat entschied sich dafür, den Schweden zwischen Braunsberg und Wormditt an der Passalge ein Treffen anzubieten. Das kurfürstliche Heer zählte etwa 28000 Mann und verfügte über eine vortreffliche Artillerie. Tatsächlich kam es nur zu kleinen, bedeutungslosen Scharmützeln. Schließlich zog sich das Gros der Brandenburger auf die Festung Königsberg zurück und machte von hier einen Kavallerieangriff auf die Schweden, der aber völlig mißglückte. Daß der Kampf nur lässig geführt wurde, lag daran, daß die Unterhandlungen weitergingen und am 17. Januar 1656 mit dem neuen Vertrage von Königsberg abgeschlossen wurden. Danach löste der Schwedenkönig das Bistum aus seiner Verbindung mit Polen, verwandelte es in ein weltliches Lehen und übertrug es dem Kurfürsten unter Vorbehalt der schwedischen Oberhoheit. Nur Frauenburg und das zugehörige Territorium behielt sich Karl Gustav vor, die Stadt Braunsberg dagegen überließ er dem Kurfürsten unter der Bedingung, daß ihre Befestigungen niedergelegt und nie wiederhergestellt, die Besatzung abgeführt und nicht ersetzt würde. Nach diesem Vertrage konnte der Kurfürst auch das Reformationsrecht ausüben, und demzufolge bestimmte er vier reformierte Prediger für die vier besetzten Städte.

Diese Ereignisse lassen sich auch in den Braunsberger Ratsakten verfolgen. Wir hören am 7. Januar von Gefangenen, offenbar Schweden, die die Bürgerschaft verpflegen sollte. Die Gemeindevertreter weigerten sich zunächst und wollten das denen überlassen, „so die Beute bekommen, welches den Herrn Kommandanten sehr alteriert (erregt) hat." Am 10. Januar lagen in der Altstadt allein 3 Kompagnien Reiter, 147 3 Kompagnien zu Fuß und 1 Kompagnie Dragoner, in der Neustadt und den Vorstädten Oberst Wallenrod Mit seinem Regiment und 1200 Pferden, „welche Last der armen Stadt in der Länge zu ertragen unmöglich, indem die halbe Stadt und prinzipalsten (besten) Häuser von den Offizieren eingenommen seind, die übrigen mit Einquartierung ganz überschwemmet, daß es auszustehen nicht vermögen." Bürgermeister Andreas Ludwig wurde deshalb trotz der Unsicherheit der Straßen zum Kurfürsten nach Königsberg geschickt und erreichte „in gnädiger Audienz" den Abzug dieser Truppen. Aber am 1. Februar folgte ihnen das Regiment von Eulenburg, dessen Kommandeur bei dem alten, kranken früheren Hauptmann Johann Stössel Quartier bezog.

Nachdem der Kurfürst die Herrschaft im Ermland angetreten hatte, bildete er aus dem Grafen Fabian von Dohna-Lauck und den Räten Reinhold Derschau und Andreas Adersbach eine kommissarische Regierung. Sie traf am 7. Februar in Braunsberg ein, ergriff vom Schloß Besitz, ermahnte den bischöflichen Landvogt Hauptmann Albrecht Stanislawski und die anderen Bedienten zur Treue gegen den neuen Landesherrn und forderte Rechenschaft von der bisherigen Verwaltung. Vom Bürgermeister Ludwig und Georg Follert wurden die Kommissare im Namen des Rats begrüßt. Sogleich nahmen sie eine genaue Verhandlung über die Verhältnisse der Stadt auf, die wegen der voraussichtlichen fiskalischen Einkünfte für die neue Regierung von großer Bedeutung war. Dieser Statistik seien folgende in unsere Rechtschreibung übertragenen Mitteilungen entnommen:

„Braunsberg liegt an der Passarge, darin die Schmacken ausm Haff bis in die Stadt hinaufkommen können, mit Mauern al antique (altertümlich) wohl versehen. Hat zu ihrer Fundation ex privilegio (Gründung nach dem Privileg) nur Ungewisse Anzahl Hufen, noch absonderlich an Dorfschaften und Hüben als

Rudolfshöfen                               7 1/2 Huben. darauf 3 Paulen
Kattenhöfen                                 8 Huben. darauf 8 Paulen
Hundenberg                                 21 Huben. darauf 6 Paulen
Stangendorf                                 32 Huben. darauf 8 Paulen
Wollenberg (Willenberg)              42 Huben. darauf 11 Paulen
Vorwerk Rosenort                        7 Huben.
Auhoff                                          8 Huben.

Gesamt                                      125 1/2 Huben. darauf 30 Paulen


Die Alte Stadt giebet jährlich laut des Oekonomi Rechnung wegen ihrer Äcker 85 Floren (zu 20 Groschen), wegen der Kupfermühle 10 Fl., wegen der Badestube und etzlicher Margen 5 Fl. 14 Gr., aus der Waage vom Stein 6 Gr. ist anno 1653 gefallen 45 Fl. 12 Gr., vor unterschiedliche Häuser und Ställe Grundzins 25 Fl. 10 Gr. 12 Pf.

Die Neue Stadt wegen ihrer Äcker, Fleischbänke und Wiesen 281 Fl.. 3 Gr., 6 Pf., noch wegen etzlicher Morgen, Häuser und Handwerker 50 Fl.

In der Altenstadt ist die große Pfarrkirche nebst der Jesuiterkirchen so schön ausgeputzet, dabei dann auch der Jesuiter Kollegium samt den Schulen, so alle gute Gebäude; anitzo sind darinnen nur 35 Jesuiten, da vordem wohl in die 50 sich aufgehalten. So werden dabei noch 24 Alummi erhalten, zu dero Sustentation (Unterhalt) jährlich an Rom per Wechsel 6000 Fl. polnisch übergemacht werden sollen. In der Stadt ist noch ein Nonnenkloster, darinnen 12 Nonnen gehalten werden; sollen aber geringe Einkommen haben und meistenteils mit Nähen, Sticken und dergleichen Arbeit sich unterhalten müssen.

In der Neustadt ist eine absonderliche Kirche, darin aber selten gepredigt wird.

Im Rat in der Altstadt sind drei Bürgermeister und 16 Ratsherren, im Gericht nur 1 Richter und 2 Beisitzer, welche 3 letzte gleichsamt in prima instancia (1. Instanz) Recht sprechen und von ihnen alsdann die Sachen weiter an den Rat per appellationem devolvieren (Berufung einlegen) lassen sollen.

In der Ringmauer ist das Schloß, ein altes und starkes gemauertes Gebäude, mit schlechten Losamentern (Räumen) versehen, so an einem und andern Ort notwendig repariert werden müssen.

Die hochpeinliche Sachen werden meistenteils an das Stadtgericht verwiesen, die Urteile hernach von dem Schloßhauptmann samt den Akten übersehen und justifizieret (bestätigt).

Außer der Stadt liegen zwei Mühlen, die große und die kleine, deren Einnahmen auf rund 6554 Fl. berechnet sind, eine Kupfermühle des Besitzers mit 49 Fl. und eine Lohmühle mit 70 Fl. Einkünften."

Am 14. Februar nahmen die Braunsberger Ratsvertreter Ludwig und Follert an dem Heilsberger Landtag teil, wo sich die ermländischen Stände mit feierlichem Handschlag und schriftlicher Erklärung dem Kurfürsten unterwarfen: die Räte hatten ihnen zuvor erklärt, daß sie bei ihrer Religion und ihren Rechten, und Freiheiten verbleiben dürften.

Am 15. Februar traf ein Stückhauptmann im Auftrage des Kurfürsten und des Generalfeldzeugmeisters von Sparr in Braunsberg ein, um alle Geschütze und Munition abzuholen 147 und nach Königsberg zu schaffen. Die überraschten Bürger glaubten zunächst an ein Mißverständnis und schickten eiligst eine Deputation zum Kurfürsten. Dieser verwies auf die Vereinbarungen mit Schweden, nach denen auch die Stadtmauern und Wälle geschleift werden sollten. Doch wollte er die Niederlegung der Mauern abwenden. Ihren ansehnlichen Geschützpark aber mußten die Braunsberger am 20. Februar abliefern: 1 Sechspfünder mit 188 Kugeln, 2 Vierpfünder mit 361 Kugeln, 3 Dreipfünder mit 646 Kugeln, 9 kleinere Bronzestücke von 1 3/4 bis 1 Pfundkaliber und 2 eiserne Einpfünder. Im ganzen waren es 1? Geschütze und 3979 Kugeln, ein wertvoller Besitz, der „mit viel tausend Floren nicht konnte gezeuget werden". Am stolzesten waren die Bürger auf den „Bauerntanz, das schönste Stück, dergleichen Arbeit heutzutage nicht leicht wird gemachet werden." Nun fühlte der kurfürstliche Stückhauptmann die willkommene Beute ab, und „manche sahen den schönen Stücken mit weinenden Augen nach."

Zu den Hauptsorgen des Rates und der Gemeinde gehörten für die folgenden acht Jahre der brandenburgischen Besatzung Quartierlasten, Steuersorgen und Soldatenbeschwerden. Das Regiment Eulenburg, das bis zum Juni in der Stadt lag, kostete außer der fast fünfmonatlichen Speisung 8112 Taler 17 Groschen an Geld, 20 Last 48 Scheffel Hafer, 24 960 Pf. Heu und 83 Schock Stroh, die angegliederte märkische Artillerie 853 7. Fl. 38 Gr. an Geld, 25 Last 18 Scheffel Hafer, 3000 Pf. Heu und 100 Schock Bund Stroh. Davon fiel auf das ländliche Kammeramt 1/3 und auf beide Städte 2/3, und zwar von letzteren 3/4 auf die Altstadt und 1/4 auf die Neustadt. Der Ratsschreiber macht seinem gepreßten Herzen Luft, wenn er beim Abzug dieser Truppen vermerkt: „Gott sei Dank, daß die schinderischen Offiziere und das ungezähmte, gottlose Lumpenvolk weggeht." Dafür rückten aber Dragoner des Obersten Ritterfurth ein.

Für die Militärseelsorge traf am Ostersonnabend der kurfürstliche Prediger Christian Stobbäus ein. Wir wir einem Briefe vom 18. April entnehmen, wollte er am dritten Feiertag auf dem Rathaus Gottesdienst halten, erhielt aber vom Bürgermeister abschlägige Antwort mit der Begründung, der Stadtpfarrer Johann Conradi widerspreche dem Ansinnen aufs höchste; Oberst Wallenrod habe vordem in der Neustadt auf der Straße unter freiem Himmel Predigten halten lassen. Auch der Junkerhof oder sonst ein Haus in der Stadt sei ihm verweigert worden.

Im Juli ging Oberst Ritterfurth auf Befehl des Statthalters Dohna daran, die Befestigungen Braunsbergs trotz der schwedisch-brandenburgischen Abmachungen zu verstärken. Aus den Kammerämtern Braunsberg und Mehlsack sollten 300 Mann Schanzarbeiten leisten und folgende Lieferungen ausgeführt werden: 200 Spaten u. Schippen, 200 Karren. 3000 Palisaden, 40 Wagen täglich, 100 Beile, 400 Bäume, 50 Schock Dielen, 300 Stück Rückenplanken zur Ausfutterung des Grabens, 300 Stück Eichenpfähle von 20 Schuh Länge, 100000 Ziegel, 50 Last Kalk. 50 Zentner Eisen, 10 Zentner Stahl, 1000 Schock Nägel. Infolge des Einspruchs des schwedischen Kanzlers wurden jedoch vorläufig die Arbeiten eingeschränkt, nur die Palisaden gesetzt, Tore und Gräben gebessert. Der Oberst, der sehr mißtrauisch war, ließ die Bürgerschaft alle Gewehre auf dem Rathaus abliefern, weil es hieß, die ermländische Bevölkerung sehne sich nach Befreiung durch die Polen und bereite sich auf den Einfall des litauischen Unterfeldherrn Gasiewski vor. Durch katholische Frauen wollte er ausgekundschaftet haben, daß die Jesuiten viele Gewehre verborgen hielten; deshalb befahl er den Ordensmitgliedern, binnen 24 Stunden die Stadt zu räumen, und ließ eine „barbarische Umwühlung der Jesuitenkirche" vornehmen. Da die Durchsuchung den Verdacht als unbegründet erwies, nahm er vermutlich den Ausweisungsbefehl zurück. Trotzdem schien es ihm geraten, die Waffen vom Rathause auf das Schloß zu schaffen. Es waren 214 Musketen, 27 Doppelhaken, 6 Feuerröhren, 1 Paar Pistolen, 140 Degen und Säbel. 51 Spieße und 23 Piken. Während eine städtische Abordnung in Königsberg weilte, um bei der kurfürstlichen Regierung Beschwerde über den Obersten zu führen, äußerte dieser einen neuen Verdacht: es sei ein unterirdisches Gewölbe von dem Markt bis zum Hohen Tor; er werden die ganze Stadt umgraben lassen, wenn man nicht im guten offenbaren wolle. „Es wird noch Arbeit genug kosten, ihm solchen Schwarm ausm Kopfe zu bringen," klagt der Ratsschreiber.

Schon im Mai hatte der Kurfürst Braunsberg als Sitz der ermländischen Regierung und den Grafen Dohna als seinen Statthalter bestimmt. Erst im August bezog dieser mit seinen Räten das Braunsberger Schloß. Am 12. September ernannte der Kurfürst den Rat Heinrich Truchseß von Waldburg noch zum Hauptmann von Braunsberg, nachdem Stanislawski nach Seeburg versetzt worden war. Als Dohna am 28. den Bürgermeistern der Altstadt den neuen Schloßhauptmann als Vorgesetzten vorstellte, beriefen sie sich auf ihre Privilegien, allein Dohna gab ihnen schlecht Gehör und zu erkennen, daß er „uns armen Papisten nicht wohl affektionieret" sei. 149

Inzwischen hatte König Karl Gustav den brandenburgischen Kurfürsten zur Waffenhilfe gezwungen und das vereinigte Heer in der dreitägigen Schlacht bei Warschau (28. bis 30. Juli) die Polen trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit geschlagen. Da in dem wechselvollen Ringen die Schweden höhere Anerbietungen machten und die Stärkeren zu sein schienen, schloß der Kurfürst am 20. November zu Labiau mit Karl Gustav ein neues Bündnis ab, durch das er das Herzogtum Preußen und das Fürstbistum Ermland als souveränen Besitz erhielt. Die außenpolitische und militärische Besserung der Lage Polens ließen es jedoch Friedrich Wilhelm im Herbst 165? geraten erscheinen, sich aus der Verbindung mit Schweden zu lösen. Unter Mitwirkung des Bischofs Leszczynski schloß er am 19. September zu Wehlau einen Sonderfrieden mit Polen, nach dem ihm die volle Souveränität über das Herzogtum Preußen zugesichert wurde; dagegen mußte er u. a. das Ermland räumen, obwohl er namentlich auf den weiteren Besitz der Passargestadt das größte Gewicht legte. Damit fand die brandenburgische Regierung in Braunsberg ihr Ende. Da aber der Krieg zwischen Schweden und Polen noch fortdauerte und die Schweden leicht eine feindliche Haltung gegen den Kurfürsten einnehmen konnten, erklärt es sich, daß dieser sich in Wehlau ausbedang, in Braunsberg eine Besatzung von 800 Mann belassen zu dürfen. Diese ließ er nunmehr auf den polnischen König wie den ermländischen Bischof mitvereidigen. Die Kosten trug das Bistum und am meisten die Stadt, die unter den drückenden Lasten aufs schwerste litt. Klagen über die Soldaten fanden keine Abhilfe. „Dem Kurfürsten und dem Bischöfe zugleich könne nach der Lehre Christi die Stadt nicht dienen, einer weise sie in ihrer Not an den andern", seufzt der Ratschreiber i. J. 1658.

Die Braunsberger Besatzungsfrage erschwerte die Friedensverhandlungen, die im Januar 1658 von Frankreich begonnen wurden. Der französische Gesandte schlug als Unterhandlungsorte Braunsberg für die polnischen und Frauenburg für die schwedischen Bevollmächtigten vor. Der polnische König erklärte sich einverstanden, verlangte aber später, daß aus diesen Städten die Besatzung entfernt werde. Da der Kurfürst darauf nicht einging, scheiterte die Vermittlung.

Seit Januar 1659 war Oberst Johann von Hiller Kommandant der Braunsberger Garnison. Ihm unterstand die kurfürstliche Hafflotte, die das Haff und seine Südküste vor den im Werder liegenden Schweden schützen sollte. Im Februar wurden brandenburgisch-preußische Truppen in Braunsberg und den benachbarten Dörfern zusammengezogen, weil das Gerücht ging, ein starkes Schwedenheer rücke heran. Als am 2. März neue Kunde von dem feindlichen Anmarsch kam, obwohl meilenweit kein Schwede zu sehen oder hören war, packte die Soldaten nach der spöttischen Schilderung des Stadtnotars die Hasenfurcht, und sie machten sich eiligst mit Sack und Pack auf und entliefen nach Königsberg, „daß mancher ohne Hosen zu Pferde gekommen, und wenn dort die Tore nicht wären zugemacht, mochten sie wohl gar in Litauen gelaufen sein, ehe sie sich umgesehen hätten, und endlich bei der Karwischen Marthe ein Herz wiedergefasset haben."

Welchen Wert Kurfürst Friedrich Wilhelm auf den Besitz des strategisch wichtigen Braunsberg legte, ist auch aus seinen Bemühungen beim päpstlichen Nuntius Vidoni in Warschau ersichtlich. Er betonte allerdings, er wolle es zur Handelsstadt machen, und versprach, die katholische Religion und die Seminarien unangetastet zu lassen, auch ein anderes Gebiet mit größeren Einkünften als Entschädigung abzutreten. Beim Aussterben seines Hauses solle die Stadt an das Bistum zurückfallen. Als der Nuntius auswich, versuchte ihn der kurfürstliche Gesandte von Hoverbeck durch die Aussicht auf eine Rückkehr des Kurfürsten zur katholischen Kirche zu gewinnen. Da alle diplomatischen Bemühungen erfolglos blieben, verstärkte der Kurfürst die Befestigungen von Braunsberg, um es desto sicherer zu behaupten.

Nachdem Bischof Leszczynski im März 1659 die Diözese verlassen hatte, um das Erzbistum Gnesen zu übernehmen, hielt am 6. Januar 1660 sein Nachfolger Johann Stephan Wydzga in Heilsberg seinen Einzug. Die Braunsberger übermittelten ihm durch die Ratsmitglieder Georg Foltert und Michael Kirstein Willkommensgrüße und Glückwünsche. Auf seinen Rat reisten als Stadtvertreter Jakob Korz und Georg Wichmann am 12. Februar mit einer Bittschrift zum Polenkönig, der sich gerade in Danzig aufhielt. Aber schon am nächsten Tage lief in Braunsberg die Nachricht ein, die Herren seien unterwegs in die Hände der Schweden gefallen und würden in Elbing festgehalten. Erst nachdem für sie 516 Taler Lösegeld gezahlt worden waren, durften sie ihre Reise fortsetzen, die außer Versprechungen keinen Erfolg zeitigte.

Da brachte der unerwartete Tod des Schwedenkönigs Karl Gustav (23. 2. 1660) die Friedensfrage energisch in Fluß. Noch bevor die Verhandlungen beendet waren, hatten Ungeduld und Erbitterung einen Braunsberger Bürger zu gewaltsamer Selbsthilfe verleitet. Um die brandenburgische Garnison zum Abzug 151 zu veranlassen, hatte er wohl Ende März das militärische Getreidemagazin erbrochen und den Hafer weggenommen. Der Kurfürst, dem der Vorfall zu Ohren gekommen war, verlangte in einem Schreiben an den Magistrat der Stadt Wiedergutmachung. Bald darauf wurde am 3. Mai zu Oliva der Frieden geschlossen, der für Brandenburg-Preußen die Bestimmungen des Wehlauer Vertrages bestätigte. Nun hofften die Braunsberger, von den erdrückenden Lasten der Einquartierung befreit zu werden, aber ihre Freude war verfrüht. Da nämlich die Polen nicht den Vereinbarungen gemäß dem Kurfürsten Elbing einräumten, hielt dieser Braunsberg und Frauenburg als Pfänder weiterhin besetzt.

Anfang September stellte sich wieder als unheimlicher Gast „die giftige Seuche der Pestilenz" auf dem Damm und Köslin ein. Der Herbstjahrmarkt wurde abgesagt. Da die Pestkranken trotz ihrer Mittellosigkeit die Häuser nicht verlassen durften, wurden für sie vier Provisoren zum Einsammeln von Almosen bestimmt. Zwei Totengräber wurden für die verstorbenen Einwohner und Soldaten angestellt. Im Winter ließ die Seuche nach, um im nächsten Jahre wieder heftiger aufzutreten. Oberst von Hitler wünschte, daß alle Kranken in Krankenhäusern auf dem Köslin isoliert würden: Rat und Gemeine machten demgegenüber geltend, daß Mann und Frau sich geschworen hätten, sich bis zum Tode nicht zu verlassen. So unterblieb die Verwirklichung des verständigen Vorschlages. Vom Juni 1661 bis zum März 1662 sollen in der Alt- und Neustadt über 1000 Personen an der Pest gestorben sein, darunter die beiden Bürgermeister und zwei Ratmänner der Neustadt, so daß diese, wie der Notar vermerkt, wegen Unordnung fast zu Grund gegangen wäre. Ja, auch auf Tiere verbreitete sich der Seuchenerreger. Der Scharfrichter mußte damals beauftragt werden, die toten Hunde und Katzen von der Straße zu schaffen.

Im März 1662 setzte Oberst Hiller den Kurfürsten von dem Gerücht in Kenntnis, die Polen wollten ihm Braunsberg mit Gewalt entreißen. Daraufhin gab Friedrich Wilhelm dem preußischen Oberpräsidenten von Schwerin den Befehl, Munition und Proviant nach Braunsberg zu schicken. Hiller aber hielt es für notwendig, die Schanzwerke vor der Stadt zu verstärken. Dach hatten die Polen weder die Mittel noch Lust, um der ermländischen Hauptstadt willen neue Kämpfe zu entfachen. Hier stieg die Not immer höher. Hiller griff wiederholt zu Gewaltmaßnahmen, um die rückständigen Kontributionszahlungen zu erpressen, pfändete Vieh aus Auhof, legt dem Bürgermeister ein Exekutionskommando ins Haus u. a.

Hatte Bischof Wydzga sich wiederholt vergeblich beim Kurfürsten für die Rückgabe der gequälten Passargestadt eingesetzt, so bot ihm endlich i. J. 1663 eine besondere diplomatische Mission günstigere Aussichten. Friedrich Wilhelm war nämlich im November 1662 nach Königsberg gekommen, um durch die Erbhuldigung der preußischen Stände in den tatsächlichen Besitz der preußischen Souveränität zu gelangen. Der ermländische Bischof wurde nun vom Polenkönig zu einem der beiden Kommissare ernannt, die den vertragsmäßigen Eid der Stände entgegenzunehmen hatten, daß diese im Falle des Aussterbens der männlichen Linie des brandenburgischen Herrscherhauses die Oberlehnsherrschaft Polens anerkennen würden. Nun verlangte Wydzga, daß vor der Erbhuldigung Braunsberg geräumt würde. Der brandenburgische Gesandte in Warschau von Hoverbeck, der die Schwäche des polnischen Reiches kannte, riet dem Kurfürsten, die ermländische Hauptstadt besetzt zu halten: der Geheimrat von Jena empfahl aber von Heilsberg aus, wo er mit dem Bischof verhandelte, die Räumung mit folgender Begründung: „Meinem wenigen Begriff nach kann ich leinen Vergleich machen zwischen Braunsberg und Ew. Kurf. Durchlaucht befestigter Souveränität und beruhigtem Zustand des Herzogtum Preußen, und würde es ein für mich schlimmes und schwaches Fundament sein, wenn Ew. Kurf. Durchlaucht Staat auf Braunsberg beruhen sollte."

Diese Beweisgründe wirkten. Der Kurfürst erklärte sich einverstanden, vor der ständischen Huldigung seine Truppen aus Braunsberg zurückzuziehen. Am 18. Oktober sollte der festliche Akt in Königsberg vor sich gehen. Voller Freude sahen die Braunsberger ihre unerwünschten Gäste die Vorbereitungen zum Abmarsch betreiben. Da zeigten sie sich nobel und spendierten den gemeinen Soldaten noch 6 Tonnen Bier, dem Obersten 10 Stof Wein, 15 Hühner, 6 Gänse und 1 Kalb. Dann stellte der Oberst dem Rate die Schlüssel der Stadt zurück und verließ am 17. Oktober mit Munition, Proviant und „allem Hack und Pack" die Stadt, zumeist durch das Mühlentor, zwei Kompagnien durch das Hohe Tor, nach Ansicht des Stadtnotars, um den Platz wieder von beiden Seiten zu besetzen, falls die Erbhuldigung nicht zustande käme. Ein Teil der Waffenvorräte wurde auf Schiffen verladen. Als die Königsberger Feier programmäßig verlaufen war, kamen die beiden westwärts abmarschierten Kompagnien zurück, um ebenfalls nach Königsberg zu ziehen. Der Rat gestattete ihnen jetzt vorsichtshalber den Durchzug nur unter der Bedingung, daß nicht mehr als 6 Rotten nach einander durchgeführt würden. 153

Auf 451 733 Gulden berechnete der Ratsschreiber die Lasten, die der Altstadt durch die 8jähr. Einquartierungen und Kontributionen der brandenburgisch-preußischen Besatzung erwachsen waren. Die Neustädter bezifferten ihren Verlust auf 101 565 Gulden. Ein schwerer wirtschaftlicher Aderlaß, der die Stadt um Jahrzehnte in ihrer Entwicklung zurückwarf. Schon 1660 heißt es, mancher Ratsherr hinterlasse nicht genug, um begraben werden zu können. 1663 stand ein Drittel der Häuser wüst und leer. Eine drückende Verschuldung mußte allmählich abgedeckt werden. Wie dankbar sich die Stadt ihrem bischöflichen Landesherrn für seine erfolgreichen Bemühungen um ihre Freiheit fühlte, ist daraus erkennbar, daß sie ihm durch ihre Bürgermeister Korz und Majakowski den silbernen, innen vergoldeten Hofbecher im Werte von 200 Floren und 12 silberne Löffel verehrte. Die Abgeordneten verbanden mit diesem Geschenk die Bitte, der Bischof wolle bei der polnischen Krone seinen Einfluß dahin geltend machen, daß die erschöpfte Gemeinde von einer Besatzung fernerhin verschont und von öffentlichen Lasten auf einige Jahre befreit bleibe. Der Bischof versprach sein Bestes zu tun, zeigte sich auch dadurch dem Rat der hartgeprüften Stadtgemeinde freundlich gesinnt, daß er zum Schutze ihrer Justizhoheit i. J. 1664 den Einwohnern „das Laufen auf das Schloß" in Zivilsachen verbot; sie möchten ihre kommunale Obrigkeit ehren und sich nicht zu Bauern machen, bei Strafe von 3 Mark oder 8 Tagen Turmhaft; der Schloßhauptmann solle aber solche Rechtssachen gar nicht annehmen.

Unruhen in Polen bescherten dem Ermland schon im November 1665 neue Einquartierung. Braunsberg wurde ebenfalls mit 2 Kompagnien belegt, die zum Glück schon im Februar abrückten. Interessant ist folgender Tarif, den der bischöfliche Ökonom Domherr Nycz für die monatliche Verpflegung eines Dragoners festsetzte:

1 Scheffel Roggen                          1 Gulden

1/4 Scheffel Erbsen                                                   10 Groschen

40 Pf. Rindfleisch                           2 Gulden              20 Groschen

1/2 Seite Speck                             3 Gulden

3 Stof Salz                                                                18 Groschen

2 Stof (4 Pf.) Butter                      1 Gulden              10 Groschen

15 Käse (Zwerge)                                                    15 Groschen
1/2 Tonne Bier                              4 Gulden

Summe:                                       13 Gulden             13 Groschen
Dazu ein Eimer Sauerkraut und anderes Gemüse. Für das Pferd wurde als Monatsration bestimmt:

4 Scheffel Hafer                             2 Gulden

1 Fuder Heu                                  3  Gulden

15 Bund Stroh                                                             15 Groschen

Insgesamt:                                    5 Gulden               15 Groschen

Die im Dezember 1666 einziehenden 118 polnischen Dragoner verursachten der Altstadt bis zum Mai einen Kostenaufwand von 10000 Gulden. 1674 mahnt der bischöfliche Statthalter den Rat, auf die durchmarschierenden brandenburgischen Soldaten achtzugeben und nicht alle auf einmal durchzulassen: denn sie hätten schon längst ein Auge auf die Stadt geworfen. Als der Große Kurfürst in seinem Krieg mit den Schweden im Januar 1679 von Marienwerder aus den Braunsbergern schrieb, er sei zu ihrem militärischen Schutze gegen die Armee des Marschalls Horn bereit, antwortete der Rat, er verbiete den Durchmarsch der Truppen und wünsche nicht den Schutz. So zogen die Brandenburger über das Eis der Passarge an der Stadt vorbei; nur der Kurfürst selbst passierte mit seinem Gefolge die Stadt.

I. J. 1679 erhoben sich wirtschaftliche Streitigkeiten zwischen der Altstadt und der Neustadt. Diese hing unter ihrem Rathause eine eigene Waage auf und wollte auch selbst am Flachshandel und der Schiffahrt Anteil haben. Der altstädtische Rat wehrte sich entschieden dagegen, nur die Altstadt gehöre zu den hanseatischen Seestädten. Auf seine Beschwerde griff der Bischof zugunsten der Altstadt ein. Flachshandel und Waage sollten ihr vorbehalten bleiben. Doch wurde den neustädtischen Kaufleuten durch bischöflichen Erlaß vom 29. Januar 1683 erlaubt, kleinere Schiffe bis zum Laderaum von 10 Last (zu 60 Scheffel) für Getreide zu führen und zu bauen.

Ins Jahr 1684 führt uns der Kupferstich, der diesem Buche als Titelbild beigegeben ist. Damals erschien das historisch-geographische Werk von Hartknoch Alt und Neues Preußen, das auf E. 385 Braunsberg in dem Königlichen (Polnischen) Preußen nächst den großen Städten Danzig, Thorn und Elbing die zierlichste Stadt nannte, wiewohl Marienburg mit ihr um den Vorzug streiten könne. Die beigefügte von C. Pistesch gefertigte, stark verzeichnete Ansicht zeigt uns im Vordergrunde den Passargehafen, die Lastadie und den Werftplatz. Zwei Jesuiten und mehrere Studenten weisen auf die Bedeutung der städtischen Bildungsstätten hin. Die Kutsche auf dem linken Bildrand nimmt ihren Weg zum Mühlentor. Das Gewirr der hinter der nördlichen Stadtmauer zusammengedrängten Häusel wird beherrscht von dem Rathaus und den beiden großen Kirchen. 155

Eines der ältesten Bürgerhäuser der Stadt (Langgasse 71) stammt aus demselben Jahre. Früher las man auf seinem Vordergiebel neben der Jahreszahl 1684 das fromme Gebet: Benedic domine domum istam et omnes habitantes in ea — Segne, Herr, dieses Haus und alle seine Bewohner. Erhalten hat sich nach der Brückenstraße die sinnvolle Inschrift auf einem Längsbalken:

Ein idlich haeusgen hat sein Kreutzgen,

Ists nicht von draussen, so ists von drinnen.


Die im Stockholmer Kriegsarchiv aufbewahrte farbige Kopie eines Braunsberger Stadtplans v. J.1892 (Abbild. 4) gibt uns ein anschauliches Bild der Alt- und Neustadt mit ihren in den beiden Schwedenkriegen ausgebauten Befestigungswerken. Nicht nur die Entfernungen sind nach schwedischen Ruten genau vermessen, auch die Höhen über dem Wasserfall sind in der farbigen Vorlage maßgerecht eingetragen. Rote Färbung deutet die in Fachwerk gemauerten und mit Ziegeln bedeckten, die graugelbe Farbe die aus Holz gebauten und mit Stroh gedeckten einfachen Gebäude und Scheunen an. Unsere Wiedergabe mußte sich leider auf den Lageplan beschränken. Ob diese wichtige Stadtaufnahme damals durch Spionage ins Stockholmer Kriegsamt gelangt oder später von König Karl XII. erbeutet wurde, sei dahingestellt.

Bis zum Ende des Jahrhunderts waren der Stadt mehrere Jahrzehnte friedlicher Entwicklung vergönnt. Entspannen wir uns nach den vielen trüben Eindrücken, die die Kriegsgeschichte bietet, an der Hauptstätte edler Geselligkeit und heiteren Lebensgenusses, im Artushofe. I. J. 1582 war der Rat an die Erneuerung des baufälligen Klubhauses herangegangen, und der damalige Wohlstand der Kaufherren und Schiffer erlaubte eine vornehme und geschmackvolle Ausstattung des Junkerhofes und seiner Innenräume. Vom Dachfirst glüht uns eine vergoldete Wetterfahne mit dem Schutzpatron St. Georg, vom Giebel St. Georg und die Wappen des damaligen polnischen Königs und ermländischen Bischofs, der Stadt und des Ermlandes. Sieben Fenster aus französischem Glase in Bleifassung schauen zur Langgasse. Im Hauptsaal hängen Kronleuchter mit vergoldeten Löwentopfen; Paneelwerk bildet die Bänke für den Rat, die Hofbrüder und ihre Älterleute, für Jungfern und Pfeifer. Farbige Rauten mit den Hauswappen von Mitgliedern und frommen Sprüchen dämpfen das Tageslicht, zeugen van Kunstsinn und jener religiösen Grundhaltung, der Bischof Kromer i. J. 1583 bei seiner Reform der Statuten der vereinigten hl. Leichnams- und Georgsbruderschaft neue kirchliche Aufgaben wies. Die Harnische über der Jungfernbank dienen zum Schutze der Kämpfer beim Stechreiten; im Danziger Artushofe sind solche noch heute zu sehen. Das St. Jörgensschaff birgt das Silberwerk und Geld der Bruderschaft. Ein breiter, hoher rotgestrichener Kachelofen spendet im Winter wohlige Wärme. Die hölzerne Decke trägt kunstvolle Gemälde des Königsberger Meisters Hans Blosch, unterhalb läuft ein Flies der Wappen sämtlicher ermländischen Bischöfe. Im Schießgarten am Nagelschmiedetor übt die Pielketafel, ein billardähnliches Gesellschaftsspiel, eine große Anziehungskraft aus. Die im 17. Jahrhundert hier eingerichtete Wasserkunst wird 1675 für 300 Gulden ausgebessert.

Wenn auch die Schwedenkriege unter dem Silberschatz des Junkerhofes arg aufräumten, so dürfte das Haus selbst wenig Beschädigungen erfahren haben. War es doch das gegebene Kasino für die Offiziere, die in den behaglichen Räumen die Bürger verdrängten und an der möglichsten Schonung der Innenausstattung persönliches Interesse haben mußten.

Von der Reichhaltigkeit der Getränke gibt uns eine Notiz aus d. J. 1661. also noch während der brandenburgischen Besetzung, einen Begriff. Dem Weinschenker wurde damals der Rathauskeller für 100 Floren unter der Bedingung vermietet, daß er unverfälschte Weine liefere, die Getränke nicht teurer als in Königsberg und Elbing verkaufe und sich verpflichte, englisches, Lübecker und Rostocker Bier sowie Braunschweiger und Wismarer Mumme zu halten. Kein Mangel also für durstige Kehlen! Dazu gab es das gute einheimische Bier, das den vielsagenden Spottnamen „Stürz den Kerl" führte und um 1668 in 60 Brauhäusern gebraut und in 11 Schenken verzapft wurde.

Besonders hoch ging es natürlich zur Fastnachtszeit her. Die oben (S. 120) angeführte Stelle läßt auf ein Braunsberger Fischerspiel schließen, das uns sonst unbekannt ist. Dagegen erhalten wir öfter Kunde von dem Turnierspiel oder Stechreiten, das sich einer gewissen Berühmtheit erfreute. Zu Beginn des Jahres 1681 war der Rat wegen eines kurz vorher erschienenen „großen und erschrecklichen Kometen" mit starker Besorgnis erfüllt. Würde diese Zuchtrute Gottes nicht neues Unheil künden? War nicht auch der bevorstehende polnische Reichstag mit Zündstoff geladen? In ernster Verantwortung beschlossen die Ratsherren, zur diesmaligen Fastnachtszeit alle Feste auf dem Junkerhof und das öffentliche Stechreiten ausfallen zu lassen. Aber da hatten sie die Rechnung ohne die Brauer gemacht. Die Gemeindevertreter liefen gegen diese 157 Miesmacherei Sturm: die Gerste sei geschüttet und das Bier fertig, man möge also den Bürgern die frohen Feste gönnen; würden üble Nachrichten vom Reichstag einlaufen, so könnten ja die Vergnügungen immer noch abgeblasen werden. Der Rat konnte sich diesen Gründen nicht verschließen, aber nun griff der ängstliche Erzpriester Georg Kedde den Fall auf und eiferte in jeder Weise, auch in seinen Predigten gegen die leichtsinnige Vergnügungssucht. Man wandte sich daher an den Bistumsadministrator Adam Konarski, und dieser entschied, ohne des Kometen zu gedenken, daß man den Hof offenhalten und die Festlichkeiten beginnen könne, „weil nichts Übles vom Reichstage zu hören sei". Das Turnier fiel denn auch so gut aus. daß Bischof Radziejowski bald darauf nach seiner Ankunft im Ermlande den Wunsch äußerte, „das höchst berühmte Ritter- oder Turnierspiel des Stechreitens" anzusehen. Am Sonntag, 5. Oktober desselben Jahres wurde es ihm vorgefühlt, und er fand mit seinem Gefolge an den Darbietungen lebhaftes Gefallen. Ebenso ließ sich Bischof Potocki noch i. J. 1722 einen solchen Wettkampf vorführen.

Der Sieger in diesem bürgerlichen Turnier, Dankherr genannt, genoß ebenso wie der Schützenkönig beim Vogelschießen zu Pfingsten besondere Vergünstigungen; beide waren für das laufende Jahr vom Wachdienst, Scharwerk und allen bürgerlichen Leistungen frei und erhielten einiges Holz aus dem Stadtwalde und einen Wiesenmorgen zur Benutzung. Der feierlichste Augenblick für den Sieger des Stechreitens war aber der, wenn ihn die Dankjungfer vor den zahlreichen Zuschauern mit dem Silberkranz oder einer Silberkette auszeichnete. Diese Dankjungfer wurde vom Rate aus den Patrizierfamilien ausgesucht, und es war für sie keine geringe Ehre, wenn sie die Siegerkrönung vollziehen und mit ihm den Tanz im Junkerhof eröffnen durfte. Nur einmal im Januar 1674 wird uns vermeldet, daß die auserkorene Tochter des Andres Hintz die ihr angebotene Ehre ausschlug. Die Ratshellen steckten die Köpfe zusammen, was bei dem unerhörten Fall zu tun sei. Man drohte der Eigensinnigen an, wenn sie jetzt den Artushof so verachte, sollte sie künftiger Zeit nicht gewürdigt werden, auf selbigem Hof ihren hochzeitlichen Freudentag zu halten. Diese Drohung dürfte wohl gewirkt haben.


Das noch erhaltene Brüderbuch des Artushofes beginnt erst nach dem Abzug der Schweden mit dem Jahre 1636. Jedes neue Mitglied, aber auch die Gäste trugen ihren Namen und meistens dazu einen Spruch oder Vers ein. Da finden wir neben deutschen und lateinischen auch vereinzelte englische und 158 holländische, französische und italienische, polnische und russische Einzeichnungen und Sprüche. Denn auch der ausländische Geschäftsfreund fand hier gastliche Bewirtung.


Ein paar der zahlreichen gereimten Eintragungen seien hier wiedergegeben:


1637: Das Gemüt ehrlich,

Die Rede züchtig,

Die Tat tüchtig.

Die vier (!) gefallen mich.


1650: Das Vaterland ist so süß,

Viel süßer als viele Küß

Allzeit und immerdar

Und kann sein nicht vergessen gar.


1686:
Vors Vaterland soll man tapfer suchen zu streiten,

Dazu die Jugend stets ritterlich tun anleiten,

Die Ringmauer nit allein zu schützen mit Musketen,

Sondern auch das freie Feld zu Pferd, wann's ist von Nöten.

Hiervon giebt Braunsberg Lehr, wenn sie zu Fastnachtzeiten

Mit Wehr und Harnisch im Turnier tun tapfer reiten.

Sitz auf, reit voll und scheu nit deinen Mann zu Pferd,

Es kommt Dir Ehr davon, all fällst auch auf die Erd.

Wann man hier ritterlich gestritten, Sich vor Sünd und Schand tut hüten,

Mag man wohl um die Krone bitten.


1648: Für einen jungen Held
Jungfrauen kosten viel Geld,
Sie machen viel Pein und Schmerzen
Im Beutel und im Herzen.


1680: Ein Mann, den seine Frau des Tags nur einmal kränkt,

Der also jeden Tag nicht mehr wie einmal denkt,

Daß der recht glücklich sei. der keine Frau genommen,

Der hat die beste Frau, so auf der Welt, bekommen.


1708: Laßt uns fein lustig sein,

Solang wir mag sein,

Nach den alten grauen Jahren

Kommt der Tod gefahren.

159 Aber bald danach klagte jemand aus der Not der Pestzeit:

Der Tod, der hat gewürgt die Brüder und gemordet,

Da wird ein treuer Bruder hinwiederum beordnet,

Daß man die Toten soll zu Grabe fleißig tragen

Und sich der treuen Lieb brüderlich laß behagen.

Als kirchliche Begräbnisgilde lebt die St. Georgenbruderschaft, im Volksmunde Hofbrüder genannt, mit ihrer altertümlichen Tracht noch heute fort.

Der baufällige Artushof wurde nach 1760 abgebrochen. Der Rest des Silberschatzes im Gewichte von fast 10 Pfund wurde zunächst der Pfarrkirche in Verwahrung gegeben, dann nach dem unglücklichen Kriege dem Staate abgeliefert. Nur ein paar schlichte Silberschilde gingen in den Besitz der 1825 gestifteten Schützengilde über, die mit der Pflege der wehrhaften Schießkunst eine Übung der Artusbrüder übernommen hatte. Das eine Schild von 1716 erinnerte daran, daß ein Braunsberger Schiff des Ludwig Balck mit einfachem Braunsberger Paß während des nordischen Krieges glücklich nach Schweden durchgekommen war, obwohl die Kaper von drei Nationen es angehalten hatten.

Als unmittelbare Zeugen jener Zeitperiode sprechen noch heute manche barocken Kunstdenkmäler zu uns: neben dem schon oben (S. 106) behandelten Steinhaus ein großer Teil der Innenausstattung der St. Katharinenkirche. Ergriffen von dem neuen Stilgefühl, beseitigte man mittelalterliche Altarwerke der Gotik und ersetzte sie durch zeitgemäße, in denen antikisierende Säulen und Kapitelle, dramatisch bewegte Heiligenfiguren und reiche Schmuckformen, wie hängende Fruchtkörbe und Zapfen, Ranken- und Blattwerk, Ohrmuscheln und Engelköpfe mit ihrer gleißenden Vergoldung von religiöser Inbrunst, klassischem Bildungsgut und farbenfreudiger Prachtentfaltung Kunde geben. So der Brigittenaltar von 1639, der dreigeschossige Peterund Paulsaltar des Magistrats von 1640, die von Bürgermeister Laurentius Maas 1659 gestiftete kunstvolle Kanzel. Auch im Gestühl setzten sich damals gesteigerte Ansprüche durch: die Ratsherrensitze der Neustadt mit Hausmarken stammen von 1644, die der Altstadt an der rechten Pfeilerreihe wohl aus derselben Zeit. Das Gestühl der reichen Kaufmannsfamilie Hanmann unterhalb des großen Orgelchors trägt die Jahreszahl 1678, die Priesterbänke vor dem Hochaltar entstanden 1683. Noch seien die beiden prächtigen, übermannshohen Zinnleuchter an den Stufen des Hauptaltares v. J. 1684 erwähnt, die das Gedächtnis an Bürgermeister Georg Foltert und dessen Ehefrau Barbara verwitwete Protmann aufrechterhalten sollten und von ihrem Schwiegersohn Eustachius Schmit und dessen Sohn Anton gestiftet wurden.

Um die Wende des 17. Jahrhunderts verfinsterte sich wieder der politische Horizont. Nach dem Tode des Polenkönigs Johann Sobieski (1696) begünstigten Thronwirren die Bildung von Konföderationen, deren Banden auch die Stadt Braunsberg umschwärmten, aber nicht eingelassen wurden. Im Frühjahr 1697 berührte Zar Peter der Große nach längerem Aufenthalt in Königsberg die ermländische Hauptstadt und widmete hier dem Kolleg der Jesuiten besonderes Interesse. Nachdem er ihre Kirche, Kongregationen, Sakristei, Schulen und Alumnat aufmerksam besichtigt hatte, erquickte er sich in ihrem Speisesaal an drei Glas Braunbier, das im Kloster selbst gebraut wurde und wegen seiner Güte den vielsagenden Namen St. Katharinenöl führte. Dann setzte er befriedigt seine Reise fort. Nach der Wahl des sächsischen Kurfürsten Augusts des Starken zum König von Polen rückten im Dezember 1697 sächsische Truppen in die Stadt, die in den nächsten Jahrzehnten fast andauernd unter Quartierlasten zu leiden hatte.

Denn i. J. 1700 brach der Nordische Krieg zwischen Schweden einerseits und Rußland und Polen andererseits aus. Der junge Schwedenkönig Karl XII. überraschte alle Welt mit seinen Siegen über die Verbündeten. Schon im Sommer 1701 erschienen aus Livland flüchtige sächsisch-polnische Truppen im Fürstbistum Ermland mit ihren erpresserischen Forderungen. Im Sommer 1703 verlangte der schwedische General Steinbock, der Thorn belagerte, von der ermländischen Landesherrschaft eine allgemeine Kontribution von 125 000 preußischen Gulden, und nachdem der König Thorn im Oktober erobert und Marienburg und Elbing widerstandslos genommen hatte, bezog er selbst mit einem Teil seines Heeres im Bistum Winterquartiere. In Braunsberg hatten sich eben brandenburgische Truppen festgesetzt, als die Schweden sich der Stadt näherten. In Erinnerung des früheren Schwedeneinfalles anno 1626 hielten es die meisten Jesuiten für geraten, nach Heiligelinde oder Königsberg zu fliehen. Am 27. Dezember erschienen die Schweden von Frauenburg her vor dem Hohen Tore und drangen in die Stadt ein. Die Brandenburger wagten keinen Widerstand und rückten eiligst durch das Münchentor ab. König Karl nahm im Steinhaus Wohnung. Am nächsten Tage besuchte er die Jesuitenkirche, lobte ihre Schönheit und verglich sie mit der Kathedrale von Uppsala. Im übrigen fiel er durch seine Schweigsamkeit auf. 161 Die Herren seines Gefolges, Prediger, Gelehrte und Ärzte, wurden im Kolleg einquartiert, „sehr gebildete Männer, in ihren Disputationen milde und versöhnlich." Am 29. reiste der König nach Heilsberg weiter, wo er in dem von Bischof Zaluski verlassenen Schloß bis zum nächsten Juni Residenz aufschlug.

Der Unterhalt der schwedischen Besatzung kostete Stadt und Land gewaltige Summen. So mußte z. B. das Jesuitenkolleg 10 657 Gulden als einmalige Kontribution und außerdem noch monatlich 500 Gulden zahlen. In den nächsten Jahren erhoben abwechselnd die Schweden und Polen Kriegssteuern und sogen die Bevölkerung bis aufs Blut aus. Um die unerschwinglichen Brandschatzungen aufzubringen, verpfändete der Rat der Altstadt unter seinem Präsidenten Johann Littau am 18. März 1705 an den reichen Kaufherrn Thomas Hanmann das Bollwerk Rosenort (6 Hufen Land mit Inventar und ungefähr 8 Hufen Wald) für 11500 Gulden auf sechs Jahre, mußte aber weil das Gut die 6 Prozent Zinsen (690 G.) nicht einbrachte, noch jährlich 2 Last Gerste zugeben. 1707 zahlte Hanmann 2500 G. nach und erhielt das Gut als Eigentum. Vom Stadtdorf Rudelshöfen verkaufte der Rat im Juli 1705 ein Erbe von 3 Hufen an Albert Harasch. Zeigte die Stadtverwaltung also den Willen, unter den größten Opfern den harten Forderungen nachzukommen, so fehlte es doch nicht an Drohungen und Beleidigungen durch die fremden Machthaber, die selbst vor Geldverlegenheiten nicht aus und ein wußten. So ließ der schwedische Kommissar Skraggenschild am 10. Juli den ehrenhaften Präsidenten Littau zu sich fordern, „goß über ihn viel Injurienwörter aus" und deutete wütend an, falls die befohlenen Kontributionen nicht mittags eingingen, wollte er ihm die Wohnung mit Exekution belegen, ihn selbst aber auf die Wachtstube in Haft nehmen. Littau hatte genug von seinem dornenvollen Amte und wollte es niederlegen, aber seine Ratsgenossen nahmen den Verzicht nicht an und versprachen ihm, ihn besser in seiner Ehre und Autorität zu schützen. Im folgenden Jahre rückten Polen ein mit neuen Forderungen. Da sie dabei die Säbel zogen, beschloß man, Gewalt mit Gewalt zurückzuweisen und die Bürger zusammenzurufen; da gaben sie Fersengeld. Während von 1705 - 08 Garnisongelder für die Schweden nach Elbing geschickt werden mußten, verlangten auch die polnischen Truppen Zahlungen.

Zu allem Unglück gesellte sich noch Kälte, Hunger und Pest. Der „heftige und unablässige, unerhörte Frost, als kein Mensch gedenken kann", lichtete zu Beginn d. J.1709 auch in Braunsberg, schweiften Schaden an. Die Saaten u. Bäume, darunter über 100 Eichen, erfroren, Vögel fielen tot aus der Luft, Tiere erlagen in Ställen und im Freien der ungeheuren Kälte. Auch viele Menschen wurden Opfer des strengen Winters. In der Stadt froren alle Röhren bis auf den Hauptbrunnen ein. Beim Eisgang zeigte das Eis eine Dicke von über 2 3/4 Ellen. Infolge der ungewöhnlichen Kälte hatten sich Bären im Stadtwald eingefunden, und noch im Juni sollten die Bauern eine Jagd veranstalten, an der Liebhaber von Bürgern teilnehmen konnten. Mißwuchs, Teuerung und Hunger waren weitere Folgen des strengen Winters.

In diesem Jahre, in dem die Schlacht von Pultawa über Schwedens Stellung als Großmacht entschied, erreichten die fortwährenden Einquartierungen und Kontributionen bald schwedischer, bald sächsisch-polnischer Truppen ihren Gipfelpunkt. Auch die bischöfliche Regierung sah sich zu Steuererhebungen für die feindlichen Parteien genötigt. Die Bürger brachten Schimpfreden statt Geld aufs Rathaus, die Gemeindevertreter weigerten sich wiederholt, den Ladungen des Rats Folge zu leisten. Und doch ließ sich der Rat in seinen Beschlüssen nur von der Sorge um das Gemeinwohl bestimmen. Deshalb sah er sich auch gezwungen, weiteren kommunalen Grundbesitz zu verpfänden und schließlich zu veräußern. So streckte Hanmann im November gegen die Verpfändung von zwei Rodelshöfer Bauerngrundstücken 5000 G. vor und erwarb diese im April 1710 für 10 000 G. Im selben Monat versetzte der Rat an den reichen Mitbürger für 4 000 G. zwei Bauernhöfe in Katzenhöfen, die dieser im nächsten Jahre für einen Nachschuß von 4 600 G. käuflich erstand. Im April 1710 verkaufte die Stadt auch den sog. Schneckengrund bei Huntenberg (Julienhöhe) für 1600 G. an den Regens des päpstlichen Alumnats P. Johann Schwang, der dort einen Erholungsplatz für seine Studenten schaffen wollte. Ebenso wurden drei Bauern in Huntenberg für 3600 G. an die Erben des Harasch verpfändet, aber später wieder eingelöst. In schwerster Notzeit hatte sich also die Stadt ihres Landbesitzes Rosenort, Rodelshöfen und Katzenhöfen (ungefähr 20 1/2 Hufen Ackerland und 8 Hufen Wald) entäußern müssen, und Thomas Hanmann, der schon vorher wohlhabend war, im Kriege bedeutende Gewinne gemacht zu haben scheint, hatte für 32 000 Gulden Güter erworben, die über 100 Jahre in feiner Familie verblieben.

Inzwischen war Mitte September 1709 die Schreckenskunde in die Stadt gedrungen, die Pest sei bereits in Danzig, Elbing und Königsberg ausgebrochen. Der Rektor des Kollegs wird 163 um Schließung der Schule gebeten, in der Kirche soll vor und während der Andacht mit Kaddig geräuchert werden. Anfang Oktober wird die Seuche durch einen, der zu Schiff von Königsberg gekommen ist, eingeschleppt. Im November sterben ganze Häuser aus. Am schlimmsten wütet die Pest 1710; in der Neustadt fordert sie verhältnismäßig mehr Opfer als in der Altstadt. An dem Orte, wo die neustädtischen Leichen begraben werden, wird aus Almosen, die der neustädtische Benefiziat Johann Trojan sammelt, bevor er selbst ein Opfer der Pest wird, die massive Rochuskapelle erbaut. Die Beerdigungen sollen abends um 9 und morgens um 3 Uhr stattfinden. Im Juli wird dem neustädtischen Bader die Praxis in der Altstadt untersagt, „weil er viele umgebracht durch unbesonnene Medikamente und unproportionierte Dosen, gleichviel ob alt oder jung." Als wenn gegen diesen Tod ein Kraut gewachsen wäre! Erst Anfang 1711 erlischt das grausige Sterben. Zweifellos kann die Angabe, ungefähr 8000 Menschen der Braunsberger Pfarrgemeinde seien der Seuche erlegen, schon deshalb nicht zutreffen, weil diese einschließlich der ländlichen Kirchspielsorte vor der Pest kaum mehr als 6—7000 Seelen gezählt haben dürfte. Das Totenbuch führt ungefähr 1050 Verstorbene auf, davon rund 800 für d. J. 1710, vermerkt allerdings, daß viele Namen nicht verzeichnet sind. Aber mochten auch nur 1500 Pestopfer zu beklagen sein, es war eine schreckliche Katastrophe, die ganze Familien wegraffte.

Die folgenden Jahre brachten wieder häufige Truppendurchmärsche und Kontributionen; auch Moskowiter gehörten nun zu den ungebetenen Gästen. Am 8. Februar 1713 reifte die Zarin mit dem Kronprinzen und 900 Mann Begleitung durch die Stadt, am 19. März in kleinem Gefolge der Zar, dem bis Frauenburg über 70 Pferde Vorspann entgegengeschickt werden mußten. Er stieg ein Viertelstündchen im Schloß ab, und weil es morgens war, nahm er ein Gläschen Branntwein und ein Stückchen Weißbrot zu sich. 1716 hielt er sich mit 36 Begleitern zwei Tage in Braunsberg auf und wohnte beim Stadtnotar Dobki; sein Aufenthalt verursachte nur 36 Gulden Unkosten. Zwischen durchmarschierenden brandenburgischen Truppen und Studenten vermutlich der polnischen Nationalität kam es wiederholt zu gefährlichen Zusammenstößen. Schon 1696 wagten Studierende, einer solchen Abteilung drei der neugeworbenen Soldaten „abzuschlagen." Ähnliche Fälle wiederholten sich 1713 und 1715, wobei auch Handwerksgesellen Anteil nahmen. 1712 hatten nach einer Beschwerde des Brigadiers aus Elbing Braunsberger Studenten und Bürger einige seiner Mannschaften „sehr blutig traktieret." Für die Stadt hätten derlei Übergriffe die übelsten Folgen haben können, und deshalb schritt der Rat mit Strenge ein.

Im Februar 1714 veranlaßte ein großes Viehsterben die Bürgerschaft zu einer Prozession aus der Pfarrkirche in die Jesuitenkirche, wobei 6 Patrizier dreipfündige Opferkerzen trugen.

Erst 1718 verebbte in Braunsberg die Brandung des Nordischen Krieges, als Karl XII. vor Friedrichhall fiel und nun die Bahn für die Friedensschlüsse Schwedens mit seinen Feinden frei wurde. Die Gesamtsumme der in den Jahren 1696—1718 erpreßten Gelder berechnete die Altstadt auf über 410 745 Gulden. Dazu kamen noch die durch Einquartierungen und Exekutionen verursachten Kosten an Lebensmitteln, Futter, Fuhren u. a., von Plünderungen der einzelnen Einwohner ganz zu schweigen. Kein Wunder, wenn die Bürgerschaft verarmt war und der Stadt selbst nach der Veräußerung eines Teiles ihres ländlichen Grundbesitzes noch eine Schuldenlast von rund 86148 Gulden verblieb. Zwei Jahrzehnte voller Not und Leid, die nun neuen Friedenshoffnungen Raum gaben.


VII. Bis zur ersten Teilung Polens (1772)

Auf dem oberen Flur des Rathauses hängt ein großes Bild v. I. 1722, das uns die 16 Mitglieder des damaligen Rates in ihren modischen Perücken und Bäffchen um den gekreuzigten Erlöser vereinigt zeigt; darunter das inniger Gottverbundenheit entsprungene lateinische Gebet zu Christus, die Beschlüsse des Magistrats möchten immer mit seinen Wünschen in Einklang stehen.

Kaum waren die eisten Tauben des Friedens über den fallenden Wassern der Kriegsnot sichtbar, als eine regere öffentliche Bautätigkeit in der Stadt einsetzte. Wie die Jahreszahl 1718 an der Stirnseite des Stifts beweist, begann bereits damals Fürstbischof Theodor Potocki auf dem Schloßgelände südlich der Stadt einen klosterähnlichen Bau, der für 12 arme Konvertiten bestimmt war und am 15. September 1722 seine Verfassungsurkunde erhielt. Das rechteckige, einen traulichen Hof umschließende Gebäude trägt noch heute über seinem Eingange das Wappen des Stifters.

I. J. 1721 wurde die alte baufällige Muttergotteskapelle am Turm der Pfarrkirche abgebrochen und eine neue 165 aufgeführt. Die auf Pilastern ruhenden Tonnengewölbe im Innern geben dem Bau ebenso sein spätbarockes Sondergepräge wie der durch Nischen unterbrochene und durch Master gegliederte Giebel von außen. Der 1723 von den Jesuiten begonnene Kuppelbau der Kreuzkirche bot dem Baugewerbe und Kunsthandwerk für Jahre reiche Aufträge. Auch in der Neustadt gab es Arbeit. 1725 mußte hier das alte Rathaus gestützt werden, und zwei Jahre später entschloß man sich zum Neubau. Aber wie unsolide oder sparsam daran gearbeitet war, geht daraus hervor, daß 1733 der neue Giebel einstürzte. In der Altstadt wurde das Rathaus einem durchgreifenden Umbau unterzogen. Der Kaufherr Anton Hanmann, der Sohn des 1729 verstorbenen Thomas, nahm i. J. 1739 als Kämmerer der Stadt den Bau in Angriff. Damals wurde der Rest des städtischen Silberschatzes, 18 Silberlöffel „mit gewundenem Stiel", 5 silberne Recherchen sowie Bleigläser unten mit Knopfchen aus dem Tresor von dem Kassierer Karl Kising in Verwahrung genommen. An den Giebeln wirkte sich die Kunst des Bürgers Gottfried Camehl aus, der auch die beiden Tore mit den Stadtwappen schmückte und dazu im Hohen Tore ein Kreuzbild malte. Ob ihm auch die heute noch vorhandenen Giebelfiguren zuzuschreiben sind, ist ungewiß. Er forderte für seine Renovationsarbeiten an beiden Giebeln 100 Gulden, ging dann aber „aus Liebe zum Gemeinwohl" auf den Selbstkostenpreis von 60 Gulden herunter, die ihm am 15. November 1741 aus der Stadtkasse ausgezahlt wurden. Als der Umbau am 14. November 1741 vollendet war, bot der dem lebhaften Reiseverkehr der Langgasse zugewandte Südgiebel in seiner feinen Rhythmik und seinem plastischen Schmuck jenen bewundernswerten Eindruck bürgerlichen Kunstsinnes und selbstbewußter Würde, der auch heute noch den Beschauer fesselt. Die drei oberen allegorischen Figuren stellen neben dem hl. Joseph mit dem göttlichen Kinde Glaube und Hoffnung, die vier untern vermutlich die natürlichen Tugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Starkmut dar. Dazwischen läuft das Spruchband, das die hohe Bestimmung des Rathauses in einem nicht originalen Distichon mit sinnigen, barock verstellten Worten verkündet:


Haec Domus odit, amat, punit, defendit, honorat

Desidiam, studium, crimina, jura, probos.


Zu deutsch:
Dies Haus hasset und liebt, bestraft, verteidigt und ehret Trägheit, Fleiß, böse Tat. Rechte und Rechtschaffenheit.


 


Südgiebel und Ostseite des Rathauses.

 

Daß es in diesem hohen Hause begreiflicherweise nicht an Spannungen und Reibungen gemangelt hat, sei an einigen Beispielen aus jener Zeit dargetan. Schon während der andauernden Kontributions- und Einquartierungslasten des Nordischen Krieges hatte die Gemeinde i. J. 1714 bei Bischof Potocki förmliche Klage eingereicht, daß der Rat die 32 verfassungsmäßigen Gemeindevertreter nie zu öffentlichen Verhandlungen zuziehe, außer wenn Geld benötigt werde, daß er mit dem Stadteigentum nach Belieben schalte und den Bürgern nicht Rechnung legen wolle. Der Bischof ließ durch eine Kommission die Streitsache untersuchen und verfügte danach, daß der Rat verpflichtet sei, seine Rechnungsbücher Gemeindevertretern vorzulegen; trotzdem bedurfte es dazu auch für die Folge gelegentlicher Mahnungen der Gemeinde. Innerhalb des Magistratskollegiums muß sich der Präsident, offenbar beeinflußt von den Auffassungen jenes absolutistischen Zeitalters, allmählich immer mehr Rechte angemaßt haben, worüber nicht nur in der Bürgerschaft, sondern auch im Rate selbst Mißstimmung entstand. Eine Beschwerde bei Bischof Szembek führte zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der am 15. Mai 1732 einen Vergleich zustande brachte, dem folgende Bestimmungen entnommen seien: Schwierige Angelegenheiten soll der Herr Präsident dem Magistrat vorlegen. Die mit den einzelnen städtischen Dezernaten betrauten Ratsmitglieder sollen nicht vom Präsidenten allein abhängen, sondern Beschwerden gegen sie sind beim Ratskollegium vorzubringen. Bei namhaften Beträgen bedarf der Präsident der Einwilligung des Rates. Über Stadtstall und -Pferde verfügen Präsident und Kämmerer gemeinsam wie vordem. Die Ratsbeschlüsse hat der Präsident genau zur Ausführung zu bringen und darf sie nicht selbständig abändern. Die Aufsicht über die Stadtkasse soll ein bemittelter Ratsherr führen, um Schaden zu verhüten. Die laufenden Kassengeschäfte sollen Männern von gutem Ruf und Vermögen anvertraut, das Geld an einem sicheren Ort im Rathaus aufbewahrt werden. Zu der jährlichen Rechnungslegung darf die Gemeinde zwei Vertreter entsenden. Der Stadtwald soll zur äußersten Notdurft vorbehalten bleiben; nur den Bürgern darf notdürftiges Bau- und Lageholz, falls vorhanden, abgegeben werden, Fremden garnicht, außer wenn es der Stadt zu merklichem Nutzen geschähe, und dann mit Wissen der zwei Ältesten aus der Gemeinde. Kläger u. Beklagte sollen vor dem Stadtgericht stehen, wenn nicht Altersschwäche oder Krankheit sie daran hindert. Mit diesem letzten Punkt war ebenfalls in einer oft leidenschaftlich umstrittenen Ehrensache Klarheit geschaffen. 167

Während der Rathausbau seiner Vollendung entgegenging, beschäftigte ein anderes großes Bauvorhaben die öffentliche Meinung. Die Jesuiten wollten ein massives Wohnhaus errichten und baten i. J. 1740 den Rat um Hergabe eines „wüsten" Platzes zwischen ihrem Grundstück und der Reifschlägerbahn von der Klosterdruckerei bis zur Katergasse. Während der Magistrat sich zustimmend verhielt, war die Gemeindevertretung dagegen. Auch eine im nächsten Jahre aus dem Schloß zusammentretende bischöfliche Kommission kam nicht zum Ziele, weil die Gemeinde bei ihrem Widerstand beharrte. Erst der Vermittlung des neuen Bischofs Adam Stanislaus Grabowski war es zu verdanken, wenn am 26. Januar 1743 Rat und Gemeinde den gewünschten Bauplatz unter bestimmten Bedingungen den Jesuiten unentgeltlich zur Verfügung stellten. Der Rektor P Michael Nahser und die Stadtvertreter Präsident Johann Hintz, Ratsherr Karl Kising und der Stadtsekretär Franz Oestreich unterzeichneten das Abkommen. Nun wurde am 9. Mai feierlich der Grundstein gelegt; aber da es an Mitteln fehlte, geriet der Bau bald ins Stocken. Nach wiederholten Unterbrechungen konnte erst 1756 der dritte Stock in Ordnung gebracht und mit vier Wohnungen versehen werden: die Vollendung des heutigen Gymnasial-Altbaus fiel aber erst ins Jahr 1771.

Das Bild des Soldatenkönigs Friedlich Wilhelm von Preußen wird vor uns lebendig, wenn wir hören, daß i. J. 1724 König August II. von Polen Befehl gibt, alle brandenburgischen Werber gesanglich einzuziehen und am Leben zu strafen. Werde bei solcher Gelegenheit ein Werber erschlagen, so würde deshalb keine Rechenschaft verlangt werden. Damals wurde auch aus dem Fürstbistum eine Reihe junger Leute zum Militärdienst gepreßt, namentlich wohl lange Kerls, für die der König die bekannte Vorliebe hatte. So wurde im August 1723 der Braunsberger Bürger Johann Sahl auf dem Rückwege von Elbing vom Fähnrich Petersdorff des Bredowschen Regiments festgehalten, gefesselt und zu einem zweijährigen Militärdienst verpflichtet. Im März 1724 suchten preußische Soldaten in Regitten einen Deserteur. Im Oktober verfolgte der Krugbesitzer Georg Fiedler aus Einsiedel zwei fahnenflüchtige preußische Soldaten über die ermländische Grenze bis in die Braunsberger Vorstadt, nahm sie dort fest und ließ sie gebunden auf preußischen Boden zurückführen. Als er am nächsten Tage wieder in die Stadt kam, wollten ihn die über die Grenzverletzung erbitterten Braunsberger verprügeln. Nur unter dem Schutz der städtischen Polizei gelangte er heil nach Hause. Da er aber dabei Schimpf- und Drohreden gegen die Braunsberger ausstieß, zog ein Trupp von älteren Jesuitenschülern und anderen jungen Leuten nach Einsiedel und mißhandelte Fiedler. Die Sache hatte ein gerichtliches Nachspiel. Die Studenten wurden bestraft, dem Krüger eine Entschädigung zugebilligt. Ein andermal überfielen im Herbst 1739 Studenten auf der Landstraße im Weichbilde der Stadt ein durchziehendes preußisches Werbekommando und nahmen ihm einen Rekruten ab. Auf die Beschwerde des Königsberger Generalfeldmarschalls von Roeder versprach der Rat, beim Rektor des Gymnasiums nachdrücklich für die Bestrafung der Schuldigen eintreten zu wollen, und bat in ähnlichen Fällen um Meldung der Truppenabteilungen beim präsidierenden Bürgermeister, damit dieser einige Stadtbediente zum sicheren Geleit gegen jeden Unfug „des unvernünftigen Pöbels" mitgeben könne.

Nach dem Tode Augusts des Starken (+ 1733) brach in Polen ein Thronfolgekrieg aus. Der Sohn des Verstorbenen, August III. von Sachsen, und der Pole Stanislaus Leszczynski maßen ihre Kräfte. Rußland und Österreich traten für den Sachsen ein, während sich Leszczynski auf französische Hilfe stützte. Das Ermland wollte neutral bleiben, wurde aber in das feindliche Ringen hineingezogen. Der Rat von Braunsberg entschied sich für August III. und nahm deshalb am 14. April 1734 eine von Elbing anrückende russische Besatzung auf. Ein aus Westpreußen, Polen und Deutschen zusammengesetztes Heer von Konföderierten, das ebenfalls gern die ermländische Hauptstadt für seinen Thronkandidaten gesichert hätte, kam zu spät und versuchte die Russen zu vertreiben. Am Sonnabend vor Palmsonntag beschoß es mit vier kleinen Geschützen von 4 bis 8 Uhr nachmittags die Stadt. Die Besatzung erwiderte mit größerer Wirkung das Feuer. Auf das Gerücht, russische Verstärkungen eilten von Elbing heran, brachen die Verbündeten die erfolglose Belagerung ab und zogen ins mittlere Ermland ab. Erst im Spätsommer 1736, als sich die Herrschaft Augusts III. in Polen endgültig durchgesetzt hatte, verließen die Moskowiter die Stadt und das Bistum, die von den Einquartierungen und Kontributionen schwer mitgenommen waren.

Braunsbergs Parteinahme für den sächsischen Kurfürsten wirkte sich später in dem barocken Rangstreite günstig aus, den Bischof Grabowski i. J. 1747 ins Rollen brachte. Er hatte nämlich erfahren, daß die größeren preußischen Städte dem altstädtischen Magistrat die Bezeichnung edel nicht beilegten, und daß dieser bei Briefen an jene nicht mit rotem 169 Wachs siegelte; der Bischof selbst aber bediente sich wie seine Vorgänger im schriftlichen Verkehr mit dem Rate der Altstadt der adligen Titulatur und des roten Wachses. Auf Grabowskis Anfrage sandten die Braunsberger das Diplom Wladislaus' IV. nach Heilsberg, und der Stadtsekretär Franz Oestreich gab dazu die Erklärung, daß der Rat bei Schreiben an die großen Städte nach wie vor rotes Wachs gebrauche, nur nicht Elbing gegenüber, das i. J 1740 die ungehörige Anrede ehrenfest angewandt habe. Bischof Grabowski erwiderte nach Einsicht in das königliche Privilegium in dem ihm eigenen sarkastischen Ton, er verstehe nicht, was ein Braunsberger Patriciatus zu bedeuten habe, in Danzig heiße man sie Tagediebe. Wladislaus habe zwar einige Familien als Ratsgeschlechter erklärt und ihnen auch Wappen gegeben, was sonst bürgerlichen Leuten nicht eigen wäre; er habe sie aber nicht geadelt, noch weniger der Stadt das Adelsprädikat beigelegt. Wolle die Stadt aber einige Kosten aufwenden, dann wolle der Bischof vom jetzigen König eine Erklärung erwirken, daß mit jenem Diplom der Adel verstanden sei. Da der Rat mit diesem Vorschlage einverstanden war, erhielt er ein von August III. am 18. Juli 1748 in Warschau ausgefertigtes neues Privileg. Hierin erklärte der König in dankbarer Anerkennung der Verdienste der Stadt um den Staat und seine Person, daß dem ganzen Magistrat, seinen einzelnen Mitgliedern und den von Wladislaus ernannten Patriziern sowie ihren Nachkommen das Prädikat Edler stets zugekommen sei und auch für die Zukunft gebühre. Zugleich verlieh er vier anderen Familien, den drei Bürgermeistern Karl Kising, Heinrich Schorn mit seinem Bruder Michael und Klemens Hanmann nebst seinem Bruder Mathias und beider Neffen Anton und dem Stadtnotar Franz Oestreich für sich und ihre Nachkommen eine gleiche Standeserhöhung und Wappen. Außerdem änderte er das Stadtwappen dahin ab, daß statt der Halbmonde ein goldener Ring über dem Baume schweben, die Ähren mit einem scharlachroten Band umwunden sein und die beiden ursprünglichen Wappentiere samt der Unterschrift wegfallen sollten. Diese völlig von dem mittelalterlichen Original abweichende Form des Stadtwappens blieb bis 1927 in Kraft; seitdem ist auf Beschluß der städtischen Körperschaften das alte deutsche Wappenbild wieder zu Ehren gekommen.

Erst i. J. 1750 gelangte das königliche Adelsdiplom in die Hände des beglückten Rates, und er beschloß eine würdige Freudenfeier. Am 12. Januar 1751 um 9 Uhr morgens versammelten sich Magistrat und Bürgerschaft unter Pauken und Trompeten auf dem Rathause. 12 Kanonenböller krachten vom Markte, und es erhob sich der präsidierende Bürgermeister Schorn zu einer wohlgesetzten Begrüßungsansprache. Dann verlas der Ratssekretär Oestreich das auf einem rotsamtnen Kissen ruhende königliche Diplom, und als er zum Schlusse kam, donnerten wieder die Salutschüsse. Nun ließ er eine längere Rede folgen, die einen Überblick über die Vergangenheit der Stadt gab und die Tugenden und Verdienste der regierenden Herrscher von Ermland und Polen nicht genug zu rühmen wußte. Nur die charakterischen Schlußsätze seien aus diesem Beispiel barocker Rhetorik wiedergegeben:

„Erneuertes Braunsberg! werfte nun deine Blick auff deine Alterthümer zurück, und siehe: Anselm dein erster Stiffter hat zu deinem Daseyn den Grund geleget, Heinrich der erste die Gestalt, Adam (Grabowski) aber die Zierde gegeben: die eisten beyden haben angefangen, der letztere aber vollendet, was deinen Ruhm erheben kann. Bestrebe dich demnach Sein Gedächtnuß mit einer verbindlichsten Ehrfurcht auf deine Nachkommenschaft auf so viele Jahrzeiten fortzupflantzen, als wir bereits von denen Zeiten unseres Stamm-Vaters Adam entfernt sind. Ihr Edlen aber, die Ihr den Ausdruck der Kgl. Großmuth an Euch traget, verehret die Huld des Allerdurchlauchtigsten und Großmächtigsten Königs Augusti des dritten mit unvergeßlichem Danck-Opffer, zündet dem Durchlauchten Kgl. Hause in Eurem Heizen ein unauslöschliches Rauch-Werck der Treue an, ermüdet nicht, den König Aller Könige inbrünstig anzuflehen, daß er den Saamen dieses Durchlauchten Kgl. Geschlechts mit zeitlicher Glückseligkeit bis an der Welt Ende segne. Befleisset Euch Euren erneuerten Charakter durch die Edle Unschuld Eurer sittlichen Handlungen stets kenntlich zu machen, denn daran wird die Nachwelt erkennen, daß Ihr das Werck der Hände Eures Theuren und Weisen Adams seid."

Nun fielen abermals 12 Kanonenschüsse, worauf der Professor der Philosophie P. Petrus Schultz zur Feier des Tages „eine zierliche und wohl geratene lateinische Rede mit aller einem echten Orator (Redner) anständigen Annehmlichkeit" vortrug. Jetzt trat im Namen der Jesuitenanstalten der Theologiestudent Anton Hahn auf, um in einem lateinischen Gedicht von rund 250 Hexametern das Ruhmesfest zu besingen. Danach ordnete sich die ganze Versammlung zum Zuge nach der Pfarrkirche, und hier wurde bei einer schönen Musik für das Wohl des Königs und des Fürstbischofs ein feierliches Hochamt gehalten. Anschließend verfügten sich die Festteilnehmer in derselben Ordnung unter Trompeten- und Pauken-, Zinken- und Posaunenschall wieder aufs Rathaus, wo an drei Tafeln 171 gespeist wurde: eine von 40 Gedecken stand in der Ratsstube, die zweite für 60 Bürger in der Gemeinde-Stube, die dritte war für 45 Älterleute der Zünfte und Gewerke bestimmt. Die Ratstafel war u. a. mit drei Zuckerpyramiden von sinniger Konditorarbeit besetzt, deren mittelste den polnischen weißen Adler mit dem kursächsischen Wappen, die rechte das Wappen des Fürstbischofs, die linke die Fortuna mit verschiedenen Sinnbildern vorstellte. Während der Mahlzeit wurde eine Cantate gesungen und dann verschiedene Gesundheiten ausgebracht: erstlich des Königs, zweitens des Kgl. Hauses, wobei jedesmal 12 Völler gelöst wurden; drittens des Fürstbischofs mit 9 Salutschüssen, des Domkapitels, von denen einige Vertreter als Ehrengäste erschienen waren, mit 6 Schüssen und dann jedes anwesenden hohen Herrn, denen je 3 Ehrenböller galten.

Als die Tafel aufgehoben war, wurde der Ball eröffnet und das Fest „unter allseitigem Vergnügen und erwünschter Eintracht der Gemüter in der spätesten Nacht geendigt und beschlossen."

Den Gefühlen des Dankes gegen den bischöflichen Landesherrn sollte auch das Ölgemälde Ausdruck verleihen, das der Magistrat von Grabowski fertigen und im Rathause aufhängen ließ. Noch heute grüßt uns im früheren Stadtverordnetensaal die lebensgroße Gestalt des selbstbewußten Kirchenfürsten, der vor einem Tisch stehend mit der Linken in einem Buche blättert, während die Rechte nach dem Ordensstern auf seiner Brust deutet. Die Züge des von einer Allonge-Perücke umrahmten Gesichtes zeigen jene stark betonte geistige Überlegenheit und spöttische Art, die fein schonungsloses Urteil gefürchtet machten.

Davon konnten auch die Ratsherren der Neustadt ein Liedlein singen. Als diesen bei der Magistratsmahl ein Versehen unterlaufen war, schrieb er ihnen i. J. 1752, sie hätten, da bei ihnen das Küchenlatein ziemlich wohlfeil sei, die Stelle ihres Privilegs wohl verstehen können. Weil man aber von Leuten nicht mehr verlangen könne, als sie verständen, so möchten sie sich die lateinischen Worte verdeutschen, auf eine Tafel malen lassen und zu ewigem Andenken in der Ratsstube aufhängen. Im nächsten Jahre verwies er ihnen, daß sie Häuser ohne Land und Land ohne Häuser verkaufen ließen, überhaupt alles verkehrt anstellten und dadurch unnütze Prozesse verursachten. Das käme aber daher, daß der jeweilige präsidierende Bürgermeister alles nach seinem einfältigen Kopfe erledige, ohne sich bei verständigen Leuten, falls dergleichen in der Neustadt wären, oder bei seinen Kollegen Rat zu holen; solche Winkel-Kontrakte verbiete er. 1755 hatten die Stadtväter in einer Testamentssache nach der altüblichen Gewohnheit entschieden, weil das geltende lübische Recht sich in diesem Fall nicht klar genug ausdrückte. Der Fürstbischof stieß ihr Urteil in der Berufung um und flocht dabei die beleidigende Bemerkung von neustädtischem Hornvieh ein. das nicht wisse, was Rechtens; ihr Richter und die zwei elenden Beisitzer verständen so viel vom lübischen und anderen Rechten wie die Kuh vom neuen Tore. Diesmal antwortete der Rat mit Ernst und Würde: Sie seien nicht Rechtsgelehrte, sondern lichteten nach der Vernunft, mit der Gott alle Menschen begabt hätte, nach Billigkeit und Gewohnheit. Das Testament sei durchaus rechtmäßig gewesen. Sie bäten ihn. den Rat als eine von Höchstdemselben verordnete Obrigkeit anzusehen, damit nicht Respekt und Gehorsam der Bürger gegen sie verloren gingen.

Über dem Rat der Neustadt gießt auch der eigene Stadtschreiber seinen Spott aus, wenn er die schon 1676 im Bruder-jchaftsbuch des Artushofes aufgezeichneten volkstümlichen Verse i. J. 1748 wiederholt:

Wo der Bürgermeister schenkt den Wein

Und die Fleischhauer im Rate sein,

Wo der Ratsherr backt das Brot,

Da muß die Armut leiden Not.

Und er klagt anschließend über das Wirtschaftsleben der Stadt: Handel und Wandel lägen darnieder: die Bauern führen mit ihrem Getreide und Flachs über die neue Brücke bei Zagern nach Elbing; die Handwerker hätten wenig Arbeit und trieben mehr Ackerbau; das Brauen gerate ins Stocken, weil auf dem Land Bier der Adligen in den Krügen verschenkt würde: Schulden der Bürger und Stadt.

Aber der eingehende Bericht über den Bau und Stapellauf einer schmucken Handelsjacht der Neustadt v. J. 1760 bringt freundlichere Töne in das Bild der Wirtschaftslage. Im Winter 1759/60 ließ der rührige Großkaufmann und Ratsverwandte Joachim Bredschneider mit bischöflicher Genehmigung auf Schloßgrund unterhalb des Überfalls ein Handelsschiff von 40 Fuß Länge und 10 Fuß Breite bauen. Der Schiffszimmermann Jakob Helski leitete die Arbeit. Am Charsamstag wurde es mit Pferden in den Fluß gezogen und nach der Ladebrücke geschafft. Hier hatte Bredschneider bereits Garn für englische Schiffe und einige Last Getreide nach Danzig laden lassen, als der altstädtische Bürgermeister Oestreich das Fahrzeug mit Beschlag belegte, da es größer als 10 Last sei. Es bedurfte des Eingreifens des Bischofs Grabowski, 173 um schließlich die Altstädter zur Aufgabe ihres Widerstandes zu bewegen.

Diese neue Jacht, der weiße Schwan benannt, war in der Bauart das beste aller Braunsberger Fahrzeuge. Der Bildhauer Johann Frey und der Maler Karl Moser aus der Altstadt setzten ihre ganze Kunst in den Schmuck des Schiffes. Auf dem Spiegel (Heck) war die göttliche Vorsehung zwischen Blumenwerk geschnitzt und dazu die vergoldete Aufschrift:

Gottes Aug bestrahlt die Welt,

Gottes Vorsicht alles lencket,

Drumb beneide Missgunst nicht,

Wass uns GOTT aus Gnaden schencket.

Das Steuer zielte ein geschnitzter Mohrenkopf, die Seiten zwei grüngestrichene Delphine. Auf dem Schirm (Bug) war Neptun mit seinem Dreizack unter Blumenwerk dargestellt. In der Kajüte waren Bettstätten. Bänke, Tische, Leisten zu Gläsern u. a. so eingerichtet, daß nichts fallen konnte. Die Flaggen auf beiden Masten waren blau und rot und trugen in der Mitte einen weißen Schwan. (Blau-rot-weiß müssen als Farben der Neustadt gegolten haben, da seit 1750 auch die beiden Stadtdiener blaue Röcke mit weißen Knöpfen und roten Aufschlägen und Kragen trugen.)

Am 20. Mai konnte die Jacht endlich ihre erste Ausfahre antreten. Zunächst traktierte der Rheder über 30 Gäste, darunter Verwandte und Freunde mit ihren Frauen und die Handwerker, die am Bau des Schiffes beteiligt waren, mit einem Frühstück. Dann bestieg man die im Schmucke von Flaggen und Wimpeln prangende neue Jacht, vor der sich ein dichtes Gewimmel schaulustiger Menschen eingefunden hatte. Nun wurde der Anker gelichtet, und unter Pauken und Trompetenschall u. dem Knall einiger Musketen setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Voller Bewunderung musterten die Gäste seine glänzende Ausstattung und moderne Einrichtung und beglückwünschten den stolzen Besitzer. In Pfahlbude vollzog Kaplan Johann Mocki die kirchliche Weihe des Schiffes. Dann bewirtete Bredschneider die Gesellschaft mit einem würdigen Festessen, zu dem der altstädtische Musikus Elias Wallroth aufspielte, und bei dem auf Bischof, Domkapitel, den Landvogt und den hochedlen Rat der Altstadt Trinksprüche ausgebracht wurden. An Getränken wurde mit Wein, englischem Bier (Ale). Kaffee und Tee aufgewartet. Ein Tanz beschloß das herrliche Vergnügen, bei dem man sich bis an den hellen Morgen erlustigte. Dann fuhr man teils in Chaisen und Kariolen (Magen verschiedener Art), teils auf dem Losboot des altstädtischen Bürgermeisters Karl Kising nach Hause. Am 23. segelte die Jacht unter Führung des Schiffers Andreas Schier aus Passargendorf wohl befrachtet nach Danzig und kehrte am 4. Juni mit Jahrmarktsware heim.

Das neue Schiff hatte viele Frachten, doch scheint sein prunkvoller Bau die finanzielle Leistungsfähigkeit des Rheders zu stark in Anspruch genommen zu haben: er geriet in Zahlungsschwierigkeiten und Konkurs und hatte das „Gefäß" verkaufen müssen, wenn nicht sein Schwiegervater, der neustädtische Bürgermeister Joseph Schwan, und fein Bruder Martin aus der Altstadt die Gläubiger befriedigt hätten.

Zu jener Zeit kämpfte Friedrich der Große im siebenjährigen Kriege um den Bestand des preußischen Staates. Seitdem i. J. 1758 russische Truppen Ostpreußen erobert hatten, bekam auch das Fürstbistum Ermland mit moskowitischen Einquartierungen die Kriegsnot zu verspüren. Am 29. Oktober 1759 verhandelte der russische Generalleutnant und Gouverneur von Preußen von Korff persönlich mit dem altstädtischen Bürgermeister Klemens Hanmann wegen Anlage eines Magazins für Hafer und Heu. Im November 1760 bezogen 3 russische Regimenter im Ermland Winterquartiere, in Braunsberg und Umgegend das des Generalleutnants Wolchonski, das bis zum Mai 1761 verblieb. Erst als im nächsten Jahre Zar Peter III. mit Preußen Frieden schloß, hörten die Durchmärsche der russischen Truppen auf. Im März 1763 wird ein Transport österreichischer Gefangener in der Stadt untergebracht. Daß auch in diesen martialischen Zeiten der Liebesgott Amor seine zarten Faden zwischen den fremden Soldaten und den Töchtern der Stadt spann, ist aus der Heirat der Ratsherrntochter Katharina Lunitz mit dem russischen Hauptmann Peter von Rossy ersichtlich. Als die Hauptmannsflau im Februar 1763 ihrem Gatten ins ferne St. Petersburg folgte, begleitete sie und ihr Baby mit Braunsberger Pässen nicht nur die Amme Charlotte Monslerin, sondern auch ihr Bruder Anton Lunitz, der mit Einwilligung seiner Eltern sein Glück am Newastrand versuchen wollte.

Ob die mit einem langen Krieg gewöhnlich verbundenen schweren Störungen des Handels auch nach dem Hubertusburger Frieden an dem Zusammenbruch der Braunsberger Firma Michael Schorn mitschuld waren, ist aktenmäßig nicht ersichtlich. Tatsache ist, daß am 10. Juli 1765 der Ratsverwandte Schorn „wider alles Vermuten" vor dem Bürgermeister fein Fallissement anzeigte. Schorn, der aus einer schon um die Mitte des 175 17. Jahrhunderts aus Kaiserswert angezogenen Weinhändlerfamilie stammte, deren Mitglieder es bald in der Altstadt zu Reichtum. Ansehen und den höchsten bürgerlichen Ehrenstellungen brachten, betrieb wohl damals das größte Handelshaus von Braunsberg. Aus Familientradition unterhielt er nicht nur einen umfangreichen Weinhandel, der über Rhein und Mosel bis ins Land des Burgunder- und Champagnerweines reichte, er führte auf eigenem Schiff auch große Ladungen Salz, Kalke, Zucker, Kaffee. Fensterglas ein, exportierte insbesondere ermländische Garne, Flachs, Leinwand und Getreide und genoß das unbedingte Vertrauen seiner ermländischen Kunden wie seiner Geschäftsfreunde in Königsberg, Elbing, Danzig, Stettin und darüber hinaus bis nach Reims. In dem 1728 erbauten Traubenspeicher, nach seinem Familienwappen benannt, lagerten die wertvollen Kaufgüter, ehe sie ins Ermland oder nach auswärtigen Plätzen verfrachtet wurden. Der reiche Kaufherr gehörte zu den Patriziern, die von August III. geadelt wurden; er war damals erst 31 Jahre alt. Dreimal war er verheiratet, zunächst mit Magdalena Dromler aus der Mehlsacker Bürgermeisterfamilie, dann mit Maria Elisabeth von Mathy, der Tochter eines Danziger Finanzrats und Witwe des Braunsberger Kaufmanns Thomas Hanmann, und seit 1752 mit Magdalena von Hertzberg aus Kirschdorf. Alle drei Frauen brachten ihm beträchtliches Vermögen in die Ehe. Seit 1759 gehörte er dem Rate an. Auch das in seinen Anfängen steckende Postwesen hatte er sich übernommen. Das große Haus, das er führte, Möbel, Silberwerk, Bediente und Lakaien, seine Jagdpassion, erweckten den Eindruck unermeßlichen Reichtums, und doch brach plötzlich alles wie ein Kartenhaus zusammen. Nachdem die Forderungen Königsberger Firmen den Konkurs herbeigeführt und Schorn seine Ehrenämter niedergelegt hatte, meldeten zahlreiche andere Gläubiger ihre Ansprüche an, und es zeigte sich, daß auch eine Menge ermländischer Bauern und Kaufleute bis nach Wartenburg, Bischofstein und Rößel teils geliehenes Geld, teils Guthaben für Garn, Flachs u. a. zurückverlangten. Am 4. März 1766 beliefen sich die angemeldeten Gläubigerforderungen auf 326275 Gulden, denen Werte von 168 406 G. gegenüberstanden. Die mit der Konkurssache betraute Ratskommission plante einen Akkord von 44 Prozent; da aber infolge verspäteter Anmeldungen die Gesamtschulden auf 363000 G. (etwa 1 Million RM) anstiegen, konnte nur eine Quote von 35 Prozent bewilligt werden. Auch diese Rückzahlung war Schorn nur dadurch möglich, daß Erzpriester Graf Ludwig von Ladron, Domherr von Olmütz und Abt von St. Denis zu Reims, ein wohl infolge der Beziehungen des polnischen Thronkandidaten Stanislaus Leszczynski zu Lothringen nach dem Ermland verschlagener Franzose, mit feinem Vermögen für ihn eintrat Nachdem Schorn so alle feine Gläubiger prozentual abgefunden und sich dadurch rehabilitiert hatte, empfahl Fürstbischof Ignaz Krasicki dem altstädtischen Rat im Januar 1768 ihn auch wieder in das Magistratskollegium aufzunehmen, welchem Wunsche die Ratsherren Rechnung trugen. — Übrigens zog der Schornsche Konkurs auch den seines Sohnes Anton und der Tuchhandlung Andreas Schwengel in Braunsberg nach sich.

Als nach der Wahl des russischen Thronkandidaten Stanislaus Poniatowski zum Polenkönig (1764) sich Konföderationen bildeten, um die Gleichberechtigung der polnischen Dissidenten mit den Katholiken zu bekämpfen, verfolgten die Nachbarstaaten Rußland und Preußen die Entwicklung der innerpolnischen Verhältnisse mit erhöhter Aufmerksamkeit. Bereits unter dem 15. Oktober 1769 drohte die preußische Regierung zu Königsberg, das Fürstbistum Ermland militärisch besetzen zu lassen, weil sich auch hier die Verbündeten regten. Die künftigen Ereignisse warfen bereits ihre Schatten. Im August 1770 zeigte die Königsberger Kriegs- und Domänenkammer dem Bischof Krasicki ihre Maßnahmen gegen die von Polen drohende Pest an und verlangte deren Veröffentlichung und strikte Befolgung auch in seinem Ländchen. Ein Jahr später forderte Friedrich II. vom Bistum eine Beisteuer zur Verpflegung der preußischen Truppen, die ihm nicht verweigert wurde. Im Februar 1772, als die Verhandlungen zwischen dem Bruder des Königs, dem Prinzen Heinrich, und der Zarin Katharina die erste Teilung Polens erfolgreich angebahnt hatten, ersuchte der preußische Kammerpräsident von Domhardt den Bischof und das Domkapitel von Ermland um einen genauen Kataster ihres Territoriums, vorgeblich damit bei etwaigen Durchmärschen preußischer Truppen jede Überbürdung der einzelnen Orte vermieden würde. Trotz der Weigerung der ermländischen Regierung antwortete die Königsberger Regierung am 24. April mit der Anzeige, daß infolge der Manöver bei Marienwerder eine militärische Durchquerung des Ermlandes unvermeidlich sei; daher möge für die Beschaffung der benötigten Fourage Sorge getragen werden.

Nun benachrichtigte die bischöfliche Landesverwaltung die Altstadt Braunsberg, daß das Infanterieregiment von Stutterheim am 25. Mai dort einrücken und am 27. weiterziehen würde. Der Rat beschloß, den Regimentschef im Hause des 177 Bürgermeisters Anton Hanmann. den Obristen beim Bürgermeister Klemens Hanmann einzuquartieren. 1000 Mann sollten vom Ratsherrn Gottfried Roessel möglichst gerecht untergebracht werden, 500 wurden der Neustadt zugewiesen. 116 Pferde mußten zum Vorspann bis Mühlhausen gestellt werden. Auch auf dem Rückmarsch berührte das Regiment die Stadt; der Generalleutnant von Stutterheim nächtigte diesmal beim Ratsherrn Schorn. Am 15. Juni folgten 5 Kompagnien des Regiments von Sydow, die hier ihr Standquartier beziehen sollten. Sofort ließ Obristwachtmeister von Braun dem präsidierenden Bürgermeister die Stadtschlüssel abfordern, und als dieser entgegnete, er dürfe sie ohne Vorwissen des Fürstbischofs niemandem ausliefern, ließ jener erklären, es sei zur Sicherung der Garnison notwendig, und er müßte im Falle der Weigerung auf Kosten der Stadtkasse andere Schlüssel für die Tore anfertigen lassen. Daraufhin fügte sich der Magistrat, wie er auch den anderen Forderungen nachkam; so stellte er 2 Reitpferde zur Verfolgung etwaiger Deserteure, räumte ein Ordonnanzhaus ein, richtete das Nachhalls auf dem Markt als Hauptwache ein, setzte eine sehr mäßige Fleisch-, Bäcker- und Hökertaxe fest u. a. Am 13. August zeigte Braun an, daß demnächst 300 Rekruten in der Stadt eintreffen und hier ausgebildet werden würden. Alle Bemühungen, die Verlegung des Rekrutendepots an einen anderen Ort wie Pillau zu erwirken, scheiterten. Um Desertionen zu verhindern, mußten die Bürger an den Toren Wachen beziehen.

Nachdem am 5. August 1772 die Einigung Preußens, Rußlands und Oestreichs über die erste Teilung Polens zustande gekommen war, konnte der tatsächlichen Besetzung der Stadt Braunsberg durch preußisches Militär auch die förmliche politische Besitzergreifung durch Vertreter der preußischen Regierung folgen. Eine neue Zeit machte dem geistlichen Kleinstaat Ermland nach über 500jährigem Sonderleben ein ruhmloses Ende. Schon in den Schwedenkriegen hatte sich zum schweren Schaden des Territoriums herausgestellt, wie im machtpolitischen Ringen der benachbarten Staaten Wehrlosigkeit und Ohnmacht das friedliche Fürstbistum zum Spielball der feindlichen Heere gemacht hatten. Der stammesfremde, innerlich zerrüttete polnische Staat war weder fähig noch willens, seine Pflicht als Beschützer des Ermlandes feindlichen Angriffen gegenüber energisch auszuüben. Er hatte sich in der Hauptsache darauf beschränkt, polnischen Magnaten den ermländischen Bischofsstuhl und einträgliche Domherrnpfründen zuzuwenden, und diese fremden Prälaten hatten als Organe der Landesherrschaft wieder ihre Landsleute für den adligen Gutsbesitz, geistliche Ämter und Beamtenstellen herangezogen. Der ermländische Bürger und Bauer war bis auf südliche Teile des Bistums deutsch geblieben, und auch in Braunsberg hatte sich der deutsche Charakter der Stadt und Bürgerschaft trotz der dreihundertjährigen polnischen Oberhoheit und zweihundertjährigen polnischen Bischofszeit unerschüttert behauptet. Nur die Jesuitenanstalten, die einen starken Prozentsatz polnischer Schüler und Lehrer aufwiesen, bildeten eine gewisse Ausnahme. Das Deutschtum der übrigen Stadtbevölkerung wurde auch nicht durch die staatsbürgerliche Loyalität beeinträchtigt, mit der sie ihren rechtmäßigen Herrschern begegnete. In Sprache und Schrift, Recht und Sitte blieb sie dem deutschen Volkstum treu verbunden und fand deshalb auch unschwer den inneren Zugang zu der emporstrebenden deutschen Großmacht Preußen, zu der das Ermland raumpolitisch naturgemäß gehörte, wenn auch konfessionelle Gegensätze, stärkere Steuerforderungen und der Verlust kleinstaatlicher Sonderrechte anfangs Vielfach schmerzliche Gefühle auslösten.

Die ermländische und Braunsberger Sondergeschichte mündete nunmehr in der Geschichte des preußischen Königreichs.
 

VIII. Bis zum Frieden von Tilsit (1807)
 

Es war am Sonntag, dem 13. September 1772, als frühmorgens bei dem altstädtischen Bürgermeister Oestreich der Preußische Kriegsrat Boltz und der Justizrat Hahn von der Königsberger Kriegs- und Domänenkammer vorgefahren kamen und unter Abgabe des königlichen Okkupationspatents mitteilten, sie seien als Kommissare geschickt, um im Namen Sr. Majestät des Königs von Preußen von der Stadt Besitz zu ergreifen, weshalb der Magistrat sogleich auf dem Rathaus versammelt weiden möchte. Dies geschah um 8 Uhr, und nun gaben die Kommissare dem Ratskollegium in aller Form die Okkupation bekannt, überreichten das Patent zur allgemeinen Bekanntgabe, verboten, von der bisherigen Landesregierung weitere Befehle entgegenzunehmen, und versiegelten die städtischen Kassen und Archive. Die Ratsherren äußerten Bedenken, weil sie durch den Treueid ihrer Landesherrschaft verpflichtet seien, und deshalb müßten sie sich mit ihr ins Benehmen setzen. Das wurde ihnen schließlich gestattet, und so entsandten sie nach Heilsberg den Bürgermeister Anton Hanmann und Ratsherrn Schorn, nach 179 Frauenburg die Bürgermeister Johann Kämpff und Oestreich. Dieselbe preußische Bekanntmachung erfolgte auch im fürstbischöflichen Schloß und vor dem herzitierten Rektor des Jesuitenkollegs Szaba. Währenddessen wurden von einem Dutzend preußischer Soldaten die bischöflichen Wappen von den Toren und dem Rathaus abgenommen und der preußische schwarze Adler angeheftet. Schon mittags wiederholten die Kommissare in der Residenz des Domkapitels ihren hohen Auftrag, und ähnlich geschah es in den meisten anderen Bistumsstädten.

Fürstbischof Krasicki zeigte sich über die Treue seiner Braunsberger sehr erfreut und behielt die Deputierten zur Tafel, konnte aber der Entwicklung der Dinge keinen Einhalt gebieten. Zum 27. September wurden Vertreter des Ermlandes nach Marienburg befohlen, wo sie mit den Abgesandten des ebenfalls mit Preußen vereinigten Westpreußen auf dem Schloß dem neuen Landesherrn den Huldigungseid schwören sollten. Von der Altstadt Braunsberg wurden dazu die Bürgermeister Kämpff und Hanmann und der Stadtsekretär Martin Poschmann abgeordnet, die am 23. ihre Reise antraten. Nach vollzogener Huldigung erhielten die Deputierten eine mit dem Siegel versehene gedruckte Wiederholung ihres Eides, die sie nach Hause nahmen.

Um die notwendigen statistischen Unterlagen für die Verwaltung u. Steuererhebung in dem besetzten Gebiete zu erlangen, bereiste eine preußische Klassifikations-Kommission von Ende September bis Anfang November das Ermland. Aus den wertvollen protokollarischen Aufnahmen seien folgende Angaben über die damaligen Braunsberger Verhältnisse mitgeteilt:

Der Rat der Altstadt setzte sich aus 13 Männern zusammen: dem präsidierenden Bürgermeister Kämpff, 57 Jahre alt, 27 im Rat, dessen Jahreseinkünfte einschließlich Sporteln 287 Gulden betrugen. Zweiter Bürgermeister war der 60jährige Oestreich, der 35 Jahre im Dienst war und als rechtsgelehrt angesprochen wurde, wenn er sich auch nicht einer juristischen Prüfung unterzogen hatte; seine Einnahmen betrugen 69 G. Der 3. Bürgermeister Hanmann 49jährig, 23 Jahre im Rat, galt ebenfalls als rechtskundig. Das älteste Ratsmitglied war der 80jährige Andreas Weinreich, der seit 48 Jahren zum Magistrat gehörte; Kämmerer war der 70jährige Georg Lunitz, der 36 Dienstjahre im Rat zählte und 101 Gulden bezog. Der 56jährige Joseph Braun war Stadtrichter, aber ohne besondere Vorbildung, Schorn hatte das Steuerwesen und die Ziegelscheune zu betreuen, sein 44jähriger Bruder Joseph war Beisitzer beim Stadtgericht und Inspektor der Stadtwache, der 75jährige Anton Spohn Pfahlherr; der 42jährige Heinrich Melchior war mit 21 Dienstjahren, von denen die ersten 14 allerdings seine hauptamtliche Tätigkeit als Stadtsekretär ausmachten, Provisor der Braupfannen. Mühle und des Mälzhauses. der 34jährige Joseph Bertram mit 8 Ratsjahren war Wettrichter, Rössel Inspektor der Stadtfelder und Beisitzer beim Wettamt. Der Stadtnotar Poschmann. 33 Jahre alt, 5 Jahre im Amt, war rechtskundig und bezog als berufsmäßiger Beamter ein Jahresgehalt von 330 Gulden.

Der Magistrat hatte das freie Wahl- und Selbstergänzungsrecht und brauchte nicht einmal, was der preußischen Kommission auffallend erschien, dem Landesfürsten von den Wahlen eine Anzeige zu erstatten. Die jährliche Kür fand zu dieser Zeit am Montag vor dem Sonntag Laetare statt, wobei der Vorsitz im Bürgermeisteramt und in den einzelnen Dezernaten wechselte. Schon das vollendete 20. Lebensjahr genügte zur Bekleidung des Stadtschreiberamtes; nicht viel älter brauchte man zu sein, um zum Ratsherrn gewählt werden zu können; die Zugehörigkeit zu den wohlhabenden u. angesehenen Geschlechtern war, wenn nicht ausschlaggebend, so doch sehr förderlich. Das erscheint auch insofern verständlich, als die Ratsherren ihre zeitraubende Tätigkeit ehrenamtlich ausübten; denn die geringen Geldeinnahmen, zu denen jeder noch zwei Achtel Holz aus dem Stadtwald bezog, boten nur ein schwaches Entgelt für die anspannende und verantwortliche Mühewaltung. Der Stadtnotar bildete als einziger berufsmäßiger Beamter eine Ausnahme.

Der Magistrat der Neustadt bestand damals aus folgenden 8 Mitgliedern: dem dirigierenden Bürgermeister Andreas Geritz, 55 J. alt, 23 im Rat, dessen Einnahmen aus Sporteln sich auf etwa 100 Gulden beliefen. 2. Bürgermeister war der 48jähr. Thaddäus Firley, 24 Jahre im Dienst, Kämmerer Simon Neubauer, Wettrichter der Senior des Kollegiums, der 63jährige Peter Klawki. Stadtrichter der von seiner Jacht uns schon bekannte 50jährige Bredschneider, dem als richterliche Beisitzer Johann Palmowski und Joseph Czodrowski zur Seite standen. Der 46jährige Stadtnotar Johann Schlattel war schon 26 Jahre im Dienst und bezog ein Gehalt von rund 300 Gulden, freie Wohnung und hatte 4 Morgen Acker.

Auch in der Neustadt ergänzte sich der Rat selbst, muhte aber die getätigte Wahl durch zwei aus seiner Mitte dem Schloßhauptmann anzeigen.

Die Altstadt zählte i. J. 1772 207 Feuerstellen, in den Vorstädten 156. Als öffentliche Gebäude wurden aufgeführt das 181 Rathaus, Nachhalls, Packhaus, Badestube (in der Wasserstraße), worin jetzt das Lazarett, Schießgarten, Wohnung für den Totengräber, 5 Wohnungen für die Stadtbedienten, Stadtstall; auf der Vorstadt wurde unter den öffentlichen Gebäuden der schwarze Adler, ein Wachhaus, Holzhof und Scheune und Malzhaus (in der Malzstraße) benannt. Die Einwohnerschaft umfaßte 2871 Seelen. Davon waren nur 190 Vollbürger, 42 Handwerker in den Vorstädten hatten das Bürgerrecht nicht erworben. Auf dem Köslin wohnten Mietsleute und Tagelöhner. 6 Geistliche wirkten an der Pfarrkirche. Das Jesuitenkolleg zählte einschließlich der Novizen 32 Ordensmitglieder, 200 Gymnasiasten und 14 Küchen- und Stallbediente; im päpstlichen Alumnat waren 20 Zöglinge und 13 Bedienstete, im ermländischen Priesterseminar 19 Kandidaten und 3 Küchenbediente. Das Katharinenkloster umfaßte 21 Nonnen und 6 Mägde in Küche und Stall. Insgesamt wohnten in der Altstadt und ihren Vorstädten 643 Männer, 643 Weiber, 403 Knaben unter 12, 50 über 12 Jahre, 375 Töchter unter, 147 über 12 Jahre, 11 Gesellen, Jungen und Knechte unter 12, 94 über 12 Jahre, 9 Dienstmädchen unter 12, 157 Mägde über 12 Jahre, 336 Geistliche und Gymnasiasten.

An Grundbesitz verfügte die Altstadt einschließlich der Viehweide und der zu den Häusern gehörigen sog. Radikalgründe und der Kirchenländereien über 124 Hufen ohne Wald. Außer den drei Dörfern Huntenberg, Willenberg und Stangendort besaß die Stadt das Vorwerk Auhof von 8 Hufen, das unlängst urbar gemachte Vorwerk Kälberhaus, die Wecklitz-Mühle mit 2 Rädern, eine Ziegelscheune und das Wirtshaus Pfahlbude. An Fabrikanten werden nur 9 Tuchmacher in der Stadt aufgeführt, die die Jahrmärkte besuchen und einige Waren auch nach Danzig exportieren. Die Braugerechtigkeit steht 76 Bürgern zu, von denen sie aber nur 37 ausüben. 7 Bürger brennen Branntwein. Außer diesen Bürgern und den Handwerkern treiben einige Handel, „der wie auch überhaupt alle Nahrungsarten seit geraumer Zeit in großen Verfall geraten ist." Als öffentliches Feuergerät werden u. a. 2 Spritzen mit Messingröhren und Schläuchen, 2 Wassersäcke, 26 Feuereimer, 2 Feuerlaternen, 3 große Feuerleitern erwähnt; im übrigen sollte jedes Bürgerhaus 1, die größeren 2 Feuereimer besitzen.

Die Einkünfte der Stadtkämmerei wurden nach dem Durchschnitt der letzten 6 Jahre auf 9241 Gulden errechnet, von denen einige Posten hier herausgehoben seien. Die bedeutendste Einnahme kam von Auhof, das mit Scharwerk von den Stadtdörfern bewirtschaftet wurde, nämlich rund 2193 G. Willenberg zinste jährlich 596 G. bar, dazu 86 Scheffel Hafer, 110 Hühner, 22 Gänse, Stangendorf 475 G., 64 Sch. Hafer. 80 Hühner, 16 Gänse, Huntenberg 443 E., 63 Sch. Hafer, 60 Hühner. 12 Gänse, Kälberhaus zahlte 400 G. Pacht. Aus der Brauakzise kamen durchschnittlich 1519 G. ein. dazu aus der Benutzung der Stadtbraupfannen 36 G., des Mälzhauses 68 G. Das Pfahlamt erbrachte einschließlich der Miete von der Pfahlbude 976 G. Die Gewerke zahlten jährlich 512 G. und zwar die Bäcker 108, Schuhmacher 106 G., Schmiede 60, Fleischhauer 49, Schneider 37, Töpfer 26, Tischler und Maurer 24, Leinweber 20, Böttcher 19, Tuchmacher 16, Kürschner 12 und Radmacher 8 G. Kaufleute und Bürger, die zu den genannten Gewerken nicht gehörten, zahlten unter dem Titel Nahrungsanlage von ihrem Gewerbe jährlich 409 G. Außerdem wurde von den Kaufleuten für ein- und ausgehende Waren noch eine besondere Steuer erhoben, die 409 G. eintrug.

An Grundzins kamen aus Stadt und Vorstädten 272 G. ein. Die Jahrmarktsbuden ergaben 230, die Stadtmühle 139, der Schwarze Adler 170, der Stadtroßgarten 68, die Ziegelscheune 57, der Schießgarten 40, die Stadtwaage 30, das Packhaus 20 Gulden. Von diesen Einkünften mußten 4 500 G. Schutzgelder an die Krone Polen abgeführt werden. Von der anderen Hälfte wurden an die städtischen Beamten und Angestellten Entschädigungen und Gehälter bezahlt und die öffentlichen Bauten besorgt. Dem bischöflichen Landesherrn waren außer den Akzisen 58 G. Anerkennungszins sowie ein Drittel der Gerichtsstrafen zu entrichten.

Der Bestand an Pferden und Vieh bezifferte sich in der Altstadt und den Vorstädten auf 396 Pferde, 45 Fohlen, 112 Ochsen. 233 Kühe. 40 Stück Jungvieh, 130 Schafe, 215 Schweine und 8 Ziegen. Zur Aussaat brauchte man 1 Last (60 Scheffel) 49 Scheffel Weizen, 27 Last 23 Sch. Roggen, 17 L. 3 Sch. Gerste, 5 L. 36 Sch. Erbsen, 22 L. 19 Sch. Hafer. An Erträgen brachten Weizen und Roggen in einem Mitteljahr das dritte, Gerste, Erbsen und Hafer das vierte Korn. Die Gesamternte leichte also bei weitem nicht zur Ernährung der Einwohnerschaft aus: dabei rechnete man für den Kopf jährlich 3/4 Sch. Weizen. 6 Sch. Roggen. 6 Sch. Gerste zu Grütze und 5 Sch. zu Bier, 1 Sch. Erbsen und etwas Hafer zu Grütze. Wir sehen aus diesen Zahlen, welche Bedeutung damals Erbsen und Grützen für die Volksnahrung hatten, als noch die Kartoffel fehlte.

Die Neustadt zählte 200 Feuerstellen und 195 Bürger. Die Gesamtbevölkerung betrug 1378 Personen, wovon 314 183 Männer, 382 Frauen, 244 Söhne, 280 Töchter, 105 Dienstmägde, 37 Knechte und Jungen und 16 Gesellen waren. 46 Hufen Hausäcker waren in Morgen an die Eigentümer vermessen, 10 Hufen 18 Morgen sog. Freiacker gehörten den Bürgern als Eigentum. Der sog. Peterhagen mit 34 Morgen Säeland wurde alle 6 Jahre der Bürgerschaft durch das Los verpachtet. Am unfruchtbaren Moor stand eine Ziegelscheune. Außer 51 Mälzenbräuern und 3 Branntweinbrennern werden auch in der Neustadt 9 Tuchmacher als Hauptvertreter des Gewerbes erwähnt.

Die Kämmereieinnahmen waren erheblich geringer als in der Altstadt und erreichten mit Mieten, Pachten, Marktgeldern, Ziegeleiabsatz, Bürgerrechtsgeldern im letzten Jahre 1240 Gulden; davon mußte die Stadt dem Bischof jährlich 137 G. Grundzins abführen, dazu ein Drittel der Gerichtsstrafen und die Akzisen. An Weizen hatte die Neustadt über ihre eigenen Erträge einen Anlauf von 555 Sch. Weizen, 6266 Sch. Roggen, 6229 Sch. Gerste, 2446 Sch. Hafer und 1577 Sch. Erbsen nötig. 316 Pferde, 23 Fohlen, 62 Ochsen, 169 Kühe, 29 Stück Jungvieh, 41 Schafe und 201 Schweine waren das lebende Inventar der neustädtischen Ställe.

Der Etat beider Städte belief sich also i. J. 1772 auf rund 10 500 Gulden, nach preußischem Gelde 3 500 Taler; eine sehr geringe Summe, wenn man bedenkt, daß davon nicht nur die ganz unerheblichen Verwaltungskosten, sondern auch die Zahlungen an die ermländische Landesherrschaft und die polnische Krone zu bestreiten waren. Eine der ersten Maßnahmen, die die neue preußische Regierung vollzog, war, daß sie die beiden Städte, die oft in kleinlicher Rivalität einander befehdet hatten, zu einem städtischen Gemeinwesen vereinigte. Gemeinsamer Juftizbürgermeister wurde der bisherige Großkaufmann Franz Oestreich, ein geborener Guttstädter, der in Königsberg die Rechte studiert hatte. Als Polizeibürgermeister wurde ihm der preußische Steuerrat Johann Jakob Velhagen saus der Bielefelder Buchhändlerfamilie) zur Seite gestellt. Aus den Ratsherren beider Städte wurde ein gemeinsamer Stadtrat gebildet, der seine Sitzungen im altstädtischen Rathaus abhielt. Poschmann wurde Stadtsekretär, Czodrowski Stadtkämmerer. Im neustadtischen Rathaus wurde eine Dienstwohnung für den Polizeibürgermeister eingerichtet.

Die größeren Finanzansprüche des preußischen Staates erwiesen sich in dem Steueranschlag, den Oberpräsident Domhardt für 1773 aufstellte. Danach sollten die 4860 Einwohner von Braunsberg an Akzise und Tranksteuer 12150 Taler, an Servis oder Quartiergeldern 3240, an Kopf- und Hornschoß der Stadtdörfer 168, an Mühlengefällen 648, Salzertrag 972, Warenzöllen 1000, insgesamt 18178 Taler aufbringen. Als direkte Staatssteuer kam die Kontribution in Höhe von 1758 Taler hinzu. Für die Besoldung der Staatsbeamten und andere Kommunalbedürfnisse wurde ein Betrag von 3 655 Taler in Aussicht genommen. So stieg der Jahresetat von 3 500 auf 23 000 Taler.

Hatte schon kurz vor der preußischen Okkupation preußisches Militär in Braunsberg Garnison bezogen, so wurde die Stadt i. J. 1773 Standort des Füsilier-Regiments von Luck, das nach seinen späteren Kommandeuren umbenannt wurde (1780 von der Goltz, 1784 Graf von Schwerin, 1785 von Raumer, 1786 von Favrat, 1794 Graf zu Anhalt). Nachdem das Regiment infolge der 3. Teilung Polens verlegt worden war, zog i. J. 1799 das Infanterie-Regiment von Diericke unter seinem dichterisch tätigen, Prügelstrafen und Spießrutenlaufen verabscheuenden Kommandeur ein, das bis zum Kriege 1806 in der Passargestadt verblieb. Die religiösen Bedürfnisse der überwiegend evangelischen Offiziere und Mannschaften machten die Berufung eines Feldpredigers notwendig. Der Königsberger Gouverneur von Stutterheim sandte den Kandidaten der Theologie Jester nach Braunsberg, der außer der Militärgemeinde auch die anziehenden protestantischen Beamten und Geschäftsleute betreute. Als Raum für ihren Gottesdienst benutzten sie den großen Vorsaal des altstädtischen Rathauses. Der Garnisonküster Kloß errichtete für die evangelischen Soldatenkinder eine Elementarschule. Die Toten wurden meist in Grunau begraben, bis der Polizeibürgermeister Velhagen den schon lange unbenutzten Friedhof des ehemaligen St. Georg-Hospitals der jungen evangelische Gemeinde am 1. Juni 1782 als Begräbnisplatz überwies. Im selben Jahre gelang es ihm auch, in der Person des Soldauers Krickente der Gemeinde einen staatlich besoldeten Katecheten und Rektor zu gewinnen, der die erste evangelische Schule eröffnete und mit Beihilfe des Staates in der Vorstadt gegenüber dem Et. Andreashospital ein eigenes Schulhaus erbaute. (Nachdem in den Stürmen des Reiterkrieges sowohl das Hl. Geist- wie das St. Georgs-Hospital in Flammen aufgegangen waren, waren beide Stiftungen vereinigt und ein massiver Neubau auf der Stelle des früheren Hl. Geist-Hospitals aufgeführt worden, das St. Andreashospital, das 1804 als baufällig und verkehrsstsrend niedergelegt wurde. Nach Vereinigung verschiedener 185 Hospitäler und Fonds i. J. 1849 konnte i. J 1850 der Neubau in der Seeligerstraße bezogen werden.)

Als Bürgermeister Velhagen i. J. 1784 starb, stellte die evg. Gemeinde den Antrag, das bis dahin von ihm bewohnte neustädtische Rathaus zu einer Kirche ausbauen zu dürfen. Friedrich der Trotze erteilte dazu die Genehmigung und ließ zum Umbau 1200 Taler überweisen. Der königliche Amtmann Hardt, der als Nachfolger des bischöflichen Burggrafen vom Schloß aus das Domänenamt verwaltete, leitete den Bau, und am 1. Januar 1786 bezogen in feierlichem Gottesdienst die vereinigte Zivil- und Militärgemeinde die neue Kirche. Der Feldprediger Dittmar übernahm die Vormittagspredigt, der Katechet und Rektor die Nachmittagsandacht. Die ersten Kirchenvorfteher, der Großbürger und nachmalige Stadtkämmerer Johann Herzog und der Klempnermeister Matthias Wolfgang Herzog, wurden 1787 von Bürgermeister und Rat vereidigt.

Trotz der Vereinigung der beiden Städte wurden alle Tore militärisch besetzt gehalten. Regimentskommandeur Graf Schwerin machte im November 1784 den Vorschlag, die Wachen am Mühlentor der Altstadt und der Einfahrt in die Neustadt vom Vorstädtischen Markt aus einzuziehen, um den freien Verkehr der beiden Stadtteile namentlich während der langen Winterabende nicht zu behindern. I. J. 1786 wird der Plan in der Weise verwirklicht, daß die Torwachthäuser am Mühlen- und Kesseltor, sowie an der neustädtischen Einfahrt abgebrochen werden. Dafür wird auf der Königsberger Straße ein neuer Torweg mit Wachthaus (Nr. 12) errichtet, in der Wache am Mehlsacker Tor (Hindenburgstr. 66) ein Offizierzimmer angebaut, eine Unteroffizierwache vor dem Kesseltor auf der Vorstadt und eine Hauptmacht auf dem altstädtischen Markt aufgeführt. Zu den Neubauten werden außer den niedergelegten Wachtgebäuden auch die oberen Teile der äußeren Ringmauer nördlich des Obertors bis zum Pfaffenturm zur Verfügung gestellt.

Die gesteigerten Verkehrsbedürfnisse und Baufälligkeit machten allmählich auch den Stadttoren und dem alten Mauerwerk den Garaus. So wurde die 22 Fuß über dem Stadt» graben liegende massive Brücke vor dem Obertor i. J. 1791/92 abgebrochen und die Öffnung verfüllt, der sog. Kohlenturm, der dort lag, wo die Zugbrücke begann, i. J. 1793 niedergelegt, der Turm des Hohen Tores i. J. 1803 bis zum 1. Stockwerk abgetragen und in den sechziger Jahren völlig beseitigt. Das alte Nagelschmiedetor in der Wasserstraße fiel 1791 der Spitzhacke zum Opfer, ein neuerbautes Tor kam bereits 1819 zum Abbruch. Der blaue Turm im Süden der Pfarrkirche wurde in der Zeit zwischen 1806 - 19 niedergelegt. Die Ostpreußische Kriegs- und Domänenkammer wünschte schon i. J. 1805 den Abbruch des Mühlentors, das als Getreidemagazin benutzt wurde; erst 1827 kam dieser Plan zur Durchführung. Am längsten hielt sich das Kesseltor, das erst 1843 niedergelegt wurde. So schwanden jahrhundertealte Baudenkmäler, die mit der Kultur- und Kriegsgeschichte der Stadt aufs engste verwachsen waren.

Wie der Einzug einer dauernden Garnison und die Bildung einer evangelischen Gemeinde das Gepräge der städtischen Bevölkerung wesentlich umgestalteten, so geschah es auch durch die Aufhebung des Jesuitenordens. Als Papst Klemens XIV. unter dem Druck mehrerer katholischer Staaten i. J. 1773 zu dieser Maßnahme schritt, verbot Friedrich der Große die Bekanntgabe des Aufhebungsbreves und sagte den Jesuiten, die er namentlich als tüchtige und billige Lehrkräfte schätzte, seinen Schutz und die Belastung in ihrer bisherigen Verfassung zu. I. J. 1772 setzte sich die Braunsberger Niederlassung aus 18 Patres, 7 Novizen und 7 Brüdern zusammen, von denen der Rektor Zaba aus Polen, 2 Patres aus Litauen und 1 Bruder aus Bayern, alle übrigen aus dem Ermland stammten. Im Verzeichnis d. I. 1773 werden nur noch 19 Mitglieder aufgeführt, und zwar 12 Patres, als Rektor der Danziger Joseph Schorn, 3 Novizen und 5 Brüder; die fremden Patres gehören dem Kolleg nicht mehr an. Unter dem königlichen Schutz setzten die Braunsberger ihre bewährte pädagogische Wirksamkeit fort, bis ihnen am 22. Juni 1780 der ermländische Generalvikar Karl von Zehmen in ihrem Refektorium das päpstliche Breve amtlich bekanntgab und eröffnete, daß sie fortan Namen und Tracht ihres Ordens abzulegen hätten, aber als Weltpriester ihre bisherige Arbeit fortsetzen könnten. Da dem König an dem Bestände der blühenden Jesuitenschulen viel gelegen war, vereinigte er die 8 im Ermland und Westpreußen aufgehobenen Kollegien zu einem Kgl. Schuleninstitut, an dem die Ex-Jesuiten als literarische Patres weiter unterrichten sollten. Als Protektor war bei dem schwierigen Umbau dieses kath. höheren Schulwesens der Koadjutor des Kulmer Bischofs Graf Karl von Hohenzollern tätig. Die Braunsberger Anstalt wurde zu einem akademischen Gymnasium erhoben, an dem zugleich der ermländische Klerus seine philosophische und theologische Ausbildung erfahren sollte. Das Kapital und Grundvermögen des aufgelösten Kollegs wurde vom Staate eingezogen und aus den Erträgen der Betrag von 1109 Talern für die 187 Verpflegung und Besoldung des Rektors, der 5 Professoren und 2 „abgelebten" Patres zur Verfügung gestellt; zweifellos äußerst gelinge Mittel, mit denen ein so umfassender Lehrbetrieb nur notdürftig aufrecht erhalten werden konnte. Die Jesuitendruckerei hatte schon i. J. 1773 mit einem Verzeichnis der hier erschienenen und noch käuflichen Bücher ihre letzte Veröffentlichung herausgebracht. Seit 1784 begann man das Lager der Druckschriften zu räumen. Erst 1795 wurden die beiden über 20 Jahre brachliegenden Druckpressen und das zugehörige Material, allein 66 Kisten Lettern, für 400 Taler an den Hofbuchdrucker Kanter in Marienwerder verkauft, obwohl sich der Magistrat um die Erhaltung der Druckerei am Orte bemüht hatte. Das baufällige Druckereigebäude war schon 1792 niedergelegt worden. Die beiden unbenutzten 70 Fuß tiefen und 4 Stockwerke hohen Schulgebäude in der Kollegienstraße waren zunächst an Offiziere der Garnison als Wohnungen vermietet und wurden später an Bürger verkauft, das Eckhaus von der Firma Kuckein als Speicher verwendet. Die Wappentafel an der Straßenfront erinnert noch heute daran, daß diese Gebäude durch die großzügige Unterstützung des Domherrn Mathias Montanus i. J.1646 vollendet wurden. 1805/06 wurde das alte Kolleg wegen Baufälligkeit abgebrochen; für die Unterrichts-zwecke genügte der Neubau, der auch den Lehrern Obdach bot.

Seitdem i. J. 1797 Papst Pius VI. der Napoleonischen Gewaltpolitik zum Opfer gefallen war, hörten die bisherigen Zahlungen der römischen Kurie für das Braunsberger Missionsseminar, das seit 1783 nur preußische Staatsangehörige aufnehmen durfte, auf. Daher mußte der Regens Exjesuit Maximus Lowicki im September 1798 seine letzten Alumnen entlassen. Da aber das 1651 erbaute Diözesan-Priesterseminar am Kirchenplatz dem Einsturz nahe war, überließ Pius VII. auf Bitten des ermländischen Bischofs Karl von Hohenzollern im Oktober 1800 das leerstehende Steinhaus mit dem zugehörigen Landbesitz als Heim für die Theologiestudenten der Diözese; bis 1932 hat es diesem Zwecke gedient. Nach Abbruch des Seminargebäudes an der Pfarrkirche wurde die Baustelle i. J. 1827 zur Errichtung der kath. Knabenschule geschenkt.

Nachdem auf Erneuerungsarbeiten an der Jesuitenkirche in den Jahren 1805/06 1200 Taler verwandt worden waren, gab die Ostpreußische Kriegs- und Domänenkammer i. J. 1809 den Befehl, den ehrwürdigen mittelalterlichen Monumentalbau abzubrechen und vorher die Utensilien meistbietend zu verlaufen. Diese mit den heutigen Auffassungen über Denkmalspflege unvereinbare Maßnahme wurde damit begründet, daß der Einsturz der Kirche zu befürchten sei. Es war nämlich der auf dem Kollegplatz 1757 angelegte große Brunnen zugeworfen und da. durch bewirkt worden, daß die unteren Gewölbe des Gotteshauses sich mit Wasser füllten und die Bodenfliesen gehoben wurden. Statt das Grundübel etwa durch Röhrenleitungen zum Stadtgraben zu beseitigen, riß man in unverständlicher Barbarei das bedeutende Bauwerk nieder, dessen Schutt noch im Herbst 1813 nicht weggeräumt war. Aus dem Verlauf der Baumaterialien und des wertvollen Inventars wurden ganze 8392 Taler vereinnahmt. Die Orgel, einige Altäre, Kelche und Paramente wurden für andere ermländische Kirchen ersteigert, viele Stücke an Silberwerk, Kupfer- und Messinggerät, Bilder, Ornate, Grabsteine u. a. gingen in die Hände von Altwarenhändlern und Laien über. Reste des gotischen Chorgestühls sind noch in der Sammlung für christliche Kunst des Akademie-Museums erhalten.

So setzte mit der Aufhebung des Jesuitenordens ein unaufhaltsamer Niedergang der Braunsberger Lehranstalten ein. Dem Verfall der Gebäude entsprach der Rückgang des Schulbetriebes. Ein kleines, schlecht besoldetes Kollegium, zumeist noch frühere Jesuiten, unterrichtete auf 5 Klassen in Theologie, Philosophie und den gymnasialen Fächern angehende Priester bis herab zu Knaben von 7—8 Jahren. Trotzdem war die Schülerzahl i. J. 1808 auf 55 gesunken.

Erfreulicher ist dagegen das Bild der damaligen wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt. Vor allem war es der Garn-Handel, durch den das Handelshaus Oestreich weitreichende Geschäftsbeziehungen gewann. Die Frau des Ratssekretärs Oestreich Magdalene geb. von Kärpen hatte mit geringem Kapital das Unternehmen begonnen, das bald ihr Mann in die Hand nahm. I. J. 1747 verband er sich mit dem Bürgermeister Heinrich Schorn zu einem Kompagnie-Geschäft, machte sich 1752 selbständig und nahm i. J. 1782 seinen Sohn Johann als Gesellschafter in die Firma auf. Dieser, am 6. September 1750 geboren, hatte schon mit 16 Jahren das Jesuitenkolleg absolviert und dann die Universität Königsberg bezogen, wo er außer juristischen Vorlesungen auch philosophische bei Kant hörte. Der berühmte Professor hatte einmal der Familie des Bürgermeisters Schorn in Braunsberg einen Besuch gemacht, und wahrscheinlich auf Schorns Empfehlung durfte der junge Obstreich in Kants Hause verkehren. 1770 kehrte er heim, um sich im elterlichen Geschäft einzuleben, das ihm der Vater, inzwischen Bürgermeister geworden, allmählich immer mehr überließ. Um neue Handelsbeziehungen anzuknüpfen, reiste Johann i. J.1772 189 nach Hamburg, Holland und England, und seine Bemühungen führten zu überraschenden Erfolgen. In allen Handelsstädten des nördlichen Europa erfreute sich die Firma Oestreich, die Johann nach dem Tode des Vaters (+ 1785) allein vertrat, bald eines guten Rufes und sicheren Kredits. In direktem Schiffsverkehr setzten Braunsberger Schiffe ähnlich wie zur Hansazeit an deutschen und ausländischen Küstenplätzen erstaunliche Mengen Garne ab. Selbst in den Wintermonaten beschäftigte Johann Oestreich, der schon am 13. 6. 1783 zum kgl. Kommerzienrat ernannt worden war, aber diese Ehrung aus Bescheidenheit jahrelang zu verheimlichen wußte, auf seinen Speichern täglich etwa 250 Menschen mit dem Sortieren, Binden und Verpacken des Garns. Von 1774—1803 brachte sein Handelshaus rund 3 1/2 Millionen Bunde Garn zum Versand, das Bund zu 60 Tall, diese zu 10 Gebinden gerechnet. Am blühendsten war dieser Absatz im Jahrzehnt der Koalitionskriege von 1792—1803 mit fast 1 1/2 Millionen Bunden. 1801 erwarb daher Oestreich den Platz am sog. Lehmberg zum Bau des mächtigen Löwenspeichers, den noch heute sein Familienwappen ziert. I. J. 1785 begründete er eine Damastfabrik und errichtete in der Langgasse (Nr. 55) das stattliche, 1796 noch bedeutend erweiterte Wohn- und Geschäftshaus, das mit seinem mächtigen Mansardendach und dem feinen Rokokoornament seine Nachbarn in den Schatten stellt und mit dem Löwenwappen und einer 1932 angebrachten Gedächtnistafel an einen der angesehensten und verdientesten Bürger Braunsbergs erinnert.

Der starke Schutz des preußischen Staates schenkte der Stadt Braunsberg über drei Jahrzehnte friedlicher Entwicklung. In die kriegerischen Verwicklungen jener Zeit wurde nur die Garnison hineinbezogen. So rückte das Regiment Luck im sog. Kartoffelkrieg d. J. 1778 bis über die böhmische Grenze. Auch der junge Leutnant Hans von Yorck war dabei, der mit seinem Vater, einem Hauptmann, als 14jähriger Junker i. J. 1773 bei den Braunsberger Füsilieren eingetreten war. Nach ruhmlosem Feldzuge hatte das Regiment im schlesischen Habelschwerdt Quartier bezogen. Am Krönungstage (18. Januar) 1779 gab die dortige Bürgerschaft einen Ball und lud auch die Offiziere dazu ein. Man war in frohester Feier, als plötzlich österreichische Kroaten in die Stadt eindrangen, die Fahnenwache umstellten und die Fahnen erbeuteten, die Tore und den Ballsaal besetzten und den größten Teil der Offiziere und Mannschaften kriegsgefangen abführten. Yorck gehörte zu den wenigen, die entkamen. Erst im Teschener Frieden wurden die Gefangenen ausgetauscht.

 

Kommerzienrat Johann Oestreich (1750 - 1833).

(Ölgemälde im Amtszimmer des Bürgermeisters auf dem Braunsberger Rathaus.)

 

Die Enttäuschungen dieses kampflosen Feldzuges, gegenseitige Vorwürfe und Spöttereien wirkten auf das Regiment höchst demoralisierend. So begann es der Braunsberger Bürgerschaft nach seiner Rückkehr überaus lästig zu werden. Übermut gegen die Zivilbevölkerung, Zechgelage und nächtlicher Lärm, Duelle und Ärgernisse aller Art waren an der Tagesordnung. Die städtische Behörde fand nicht den Mut zu Beschwerden. Die Ortsgeistlichkeit versuchte es mit Strafpredigten, ohne anderen Erfolg als ärgeren Spott. Erst als 1780 General Luck den erbetenen Abschied erhielt und sein Nachfolger Obrist von der Goltz die Zügel straffer anzog, lehrte Disziplin in die Truppe zurück.

Damals wurde Yorck aus dem Heere ausgestoßen und zu einjähriger Festungshaft verurteilt. Veranlassung dazu bot der Stabskapitän von Naurath, der im Feldzuge seine Hände nicht sauber gehalten hatte. Da er trotz Neckereien und ernster Vorstellungen seiner Kameraden sich nicht zum Abschied entschließen konnte, teilte man ihm mit, daß die Ehre des Offizierskorps auf dem Spiele stehe. Dennoch erschien er, um die nächste Wachtparade zu kommandieren. Yorck sollte sie als wachthabender Leutnant führen. Als nun Hauptmann Naurath antrat und das Kommando begann, kehrte Yorck den Degen zur Erde, und jeder verstand das. Sofort wurde er abgelöst und in Arrest geführt. Er erwartete, daß jeder Leutnant nach ihm der Verabredung gemäß dasselbe tun werde; aber schon der nächste ließ ihn im Stich. Diese offene Insubordination mußte er schwer büßen; denn nach seiner Entlassung aus der Haft lehnte der alte Fritz seine Wiederaufnahme ins Heer ab, obwohl General Luck in einem empfehlenden Zeugnis bescheinigte, daß Yorck nie etwas Unehrenhaftes begangen und sich im Dienst wie außerdienstlich bis auf den gesühnten Fall stets zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten betragen habe. Der verabschiedete Offizier begab sich daher in holländische Dienste, nachdem ihm seine Braunsberger Freunde ihre Hilfsbereitschaft bewiesen hatten. Er hatte ihnen seine beiden schönen Pistolen zum Verkauf angeboten, um sich für die weite Reise und den neuen Dienst die erforderlichen Mittel zu verschaffen. Seine Kameraden spielten die Waffen untereinander aus; aber der Gewinner, ein Stabsoffizier, übersandte sie mit dem Erlös von 150 Talern als Geschenk an Yorck, dem damit seine trübe Erinnerung an die Braunsberger Garnisonzeit in etwa verklärt wurde. Erst nach dem Tode Friedrichs des Großen wurde Yorck i. J. 1787 gleich Blücher wieder in die preußische Armee eingestellt, beides charaktervolle Männer, die dem Vaterlands in schwerster Notzeit unvergängliche Dienste leisten sollten. 191

Nachdem die 2. und 3. Teilung Polens den kampflosen Einsatz der ost- und westpreußischen Regimenter notwendig gemacht hatte, rief Napoleons herausfordernde Willkür die Armee des unentschlossenen, friedliebenden Königs Friedrich Wilhelm III. auf das Feld der Ehre. Schon im Herbst 1805 war während des österreichisch-russischen Krieges gegen Napoleon das Braunsberger Regiment Diericke zunächst ostwärts gegen die Russen, bald darauf nach Schlesien gegen die Franzosen in Marsch gesetzt worden, kehrte aber im März 1806 heim, ohne daß das preußische Heer zum Losschlagen gekommen wäre. Aber im Sommer wurde es ernst. Am 28. August rückte das Braunsberger Regiment nach Danzig ab. Weitverbreitet war die Überzeugung, die ruhmgekrönte Armee des alten Fritz werde mit dem französischen Emporkömmling schnell fertig werden. Aber die unvermutete Niederlage von Jena und Auerstädt warf das ganze Gefüge des preußischen Staates über den Haufen. Der hemmungslose Siegeslauf der Franzosen kam erst in Ostpreußen zum Stehen. Am 21. Januar mußte der preußische General Rouqette bei Braunsberg über die Passarge zurückweichen; die französische Division Dupont folgte ihr. Am 22. mittags rückte ein Offizier mit etwa 36 reitenden Schützen vor das Rathaus, befahl den Polizei-Bürgermeister von Bronsart und den Rat auf das Rathaus und forderte 10 000 Taler, widrigenfalls die Stadt angesteckt und dem festgenommenen Bürgermeister 100 Prügel verabfolgt würden. Sofort wurde von Haus zu Haus gesammelt, um die Erpresser zu befriedigen. Als das aber dem Offizier zu lange dauerte, vergriff er sich an den vorhandenen Kindergeldern der Waisenkasse, obwohl ihm bedeutet wurde, daß diese laut kaiserlicher Verordnung zu schonen seien. Er entgegnete, die Stadt sei zum Ersatz verpflichtet, begnügte sich aber mit 5 000 Talern, von denen die Bürger-Sammlung 3162 Taler erbrachte, der Rest aus der Waisenkasse gegeben werden mußte. Dem Tuchhändler Gehrmann wurde sein ganzes Lager geraubt. Am Abend rückte General Cambacères mit einer starken Infanterie und Kavallerie ein. Dieser verlangte am nächsten Tage von dem alten Bürgermeister einen sicheren Noten. Da Bronsart mit Recht befürchtete, daß dieser als Spion mißbraucht werden könnte, nahm er Rücksprache mit den Ratspersonen und schickte dann den Schneidermeister Korschewski, der die Versicherung abgab, sich nicht als Spion verwenden zu lassen. Auf Grund dieses Vorfalles wurden i. J. 1809 mehrere Ratsangestellte entlassen, obwohl sie ihre Unschuld beteuerten; der Bürgermeister war inzwischen verstorben.

Nach der blutigen Winterschlacht bei Pr. Eylau (7. und 8. Februar 1807) zog Napoleon sein Heer hinter die Passarge in Ruhestellung zurück. 600 Mann Garde-Kavallerie unter Führung des kaiserlichen Adjutanten General Durosnel trafen zwei Tage nach der Schlacht des Morgens in Braunsberg ein. Sie waren von der Kälte sehr mitgenommen und litten fast ausnahmslos an erfrorenen Füßen. Sie lagerten bei Feuern auf der Straße und erwärmten ihre erstarrten Glieder, benahmen sich im übrigen sehr diszipliniert und zogen nachmittags weiter. Andere französische Heeresabteilungen folgten ihnen. Den Flügel gegen das Haff zu bildete das Korps des Marschalls Bernadotte. Die verbündeten Preußen und Russen rückten unter General L'Estocq gegen die untere Passarge nach zur Verfolgung der Feinde. Die Kampfhandlungen vor dem Hauptgefechtstag (26. Februar) sind nicht ganz klar.

Nach Abzug der Franzosen drang am 24. Februar Oberst Maltzahn mit einem Bataillon Prittwitz-Husaren und zwei Füsilier-Bataillonen bis Braunsberg vor. Westlich der Stadt entwickelte sich ein hitziges Gefecht, das für die Franzosen mit dem Verlust von 31 Toten und 9 Gefangenen und dem Rückzug auf Zagern endete. Die Preußen hatten 7 Tote, 28 Verwundete und 3 Gefangene, sowie 30 Pferde verloren.

Am folgenden Tage zog General von Plötz mit seinem aus Preußen und Russen gemischten Korps von etwa 14 000 Mann in Braunsberg ein und schob Husaren und Füsiliere nach Zagern, Willenberg und Stangendorf vor. Vorgetriebene Patrouillen stellten in der Gegend von Mühlhausen und Laut starke feindliche Verbände fest. Trotzdem glaubte die Korpsleitung, daß die Franzosen über die Weichsel zurückfluteten und die hier gegenüberstehenden Truppen nur den Rückzug zu decken hätten. In diesem Gefühl der Sorglosigkeit unterließ man jede Sicherungsmaßnahme zum Schütze der Stadt.

Allein es sollte anders kommen, als man dachte. Kaum hatte Bernadotte von dem Braunsberger Scharmützel und der Besetzung der Stadt durch die Verbündeten Kunde erhalten, als er sogleich Befehl gab, den wichtigen Brückenkopf unter allen Umständen zurückzugewinnen. Er ließ daher den General Dupont, der bei Mühlhausen stand, mit seiner Division und drei leichten Kavallerieregimentern unter General La Houssaye sowie einer Dragonerbrigade gegen die Stadt vorrücken. Die Franzosen marschierten in drei Kolonnen ostwärts über Zagern, den Stadtwald und Stangendorf.

Als mittags Husaren die erste Nachricht von dem feindlichen Angriff brachten, saß der Korpsstab im Östreichischen 193 Hause an der Tafel und lieh sich im Mahle nicht stören, da man die Meldung für unglaublich hielt. Als aber nahe Kanonenschüsse die Tischmusik machten, brach man eiligst auf und ließ Alarm schlagen. Vom Turm des Rathauses beobachteten Stabsoffiziere die Entwicklung des Gefechts. Die Bagage der Vorhut zog sich bereits zurück.

Bei Zagern hatte der Vortrupp des rechten Flügels Labruyere die preußischen Vorposten bis in den Katzengrund zurückgetrieben; hier eröffneten diese mit heraneilenden Verstärkungen in guter Deckung ein lebhaftes Schützenfeuer, das beiden Parteien etwa je 40 Mann kostete. Gegen die nachrückende französische Übermacht konnten sie sich nicht behaupten. General Plötz hatte indessen eiligst die verfügbaren Truppen dem Feinde entgegengeworfen. Dragoner und Kürassiere preschten vor, um die bedrängten Vortruppen aufzunehmen. Das russische Regiment Kaluga, das Grenadierregiment Braun und die reitende Batterie Graumann zogen durch das Schloß nach dem Rodelshöfer Grund und dem Zagerer Weg, nahmen die vom Katzengrund zurückgehenden Abteilungen auf und hielten in tapferer Wehr den Vormarsch des rechten feindlichen Flügels auf. Das schwache Regiment Plötz und zwei andere Infanteriebataillone hatten am Wege nach dem Stadtwald Aufstellung genommen, als gegen 4 Uhr hier und von Stangendorf her die gegnerische Hauptmacht unter Dupont selbst auftauchte. Plötz erkannte, daß er es mit einem überlegenen Feind zu tun habe, und gab den Befehl zum Rückzug, der bald in wilde Flucht ausartete.

Die Kavallerie und reitende Artillerie folgte der Bagage bis zum Einsiedelkrug. Labruyere setzte den zurückweichenden Verbündeten mit solchem Ungestüm nach, daß das „Rette sich, wer kann!" eine Panik auslöste. Ein großer Teil der Flüchtigen wählte den Weg durch das Schloßtor, wo bald eine heillose Verstopfung eintrat. Vorzeitig versperrten sie die Pforte und riegelten dadurch die letzten Abteilungen ab, von denen viele versuchten, sich über das Mühlenwehr und durch die Passarge zu retten; dabei ertranken aber nicht wenige. Während noch der Rest des Soldauer Füsilierbataillons unter dem Hauptmann Sommerhausen am Hecktor nach Rodelshöfen den Rückzug deckte, waren die Feinde durch das Schloßtor und die Pforten an der Kirche und dem Klosterturm in die Stadt gedrungen, wo sich nun ein Straßenkampf abspielte, bei dem die verängstigten Einwohner Türen und Fenster schlossen, um sich gegen die Kugeln zu schützen. Auch durch das Wassertor folgten die Feinde den fliehenden Preußen auf den Fersen und besetzten die Poststraße bis zum Kesseltor, so daß nur die Langgasse, deren Ausgang am Mühlentor von dem Bataillon Ruets gesichert wurde, den Flüchtigen offen blieb. Aber es gelang den Franzosen, am Rathause eine Kanone aufzufahren, deren Feuer die Reihen der Weichenden lichtete. Auch soll der Feind von einer südöstlichen Erhebung die Mühlenbrücke beschossen haben und kam über die Kesselbrücke oder das Mühlenwehr dem Bataillon Ruets in den Rucken. Das Gefecht dauerte kaum eine Stunde, kostete den Verbündeten aber nicht weniger als 800 Tote, Verwundete und Gefangene, sowie 6 Kanonen. Noch nach zwei Tagen lagen auf der Langgasse, dem altstädtischen Markt und dem Kirchenplatz eine Menge Gefallener.

Der Feind verfolgte die Verbündeten bis gegen Heiligenbeil und genoß dann im Plündern und Rauben die Flüchte seines Sieges.

Das glänzende Bravourstück eines schwarzen Husaren aber gab dem verlustreichen Gefechtstage einen rühmlichen Ausklang. Am Morgen war Unteroffizier Giese mit 20 Prittwitz-Husaren in Richtung Elbing als Patrouille abgesandt worden. Auf dem Rückwege erfuhr er die Besetzung Braunsbergs durch die Franzosen. Da er die mit Eis gehende Passarge nicht durchschwimmen konnte, mußte er die Brücken benutzen, um wieder zu seiner Truppe zu gelangen. Er ritt mutig in die Stadt und kam, von der beginnenden Dunkelheit und Schneegestöber begünstigt, unbeachtet bis zur Kesselbrücke. Hier erkannt und beschossen, bahnte er sich mit seinen Reitern, den Säbel in der Faust, den Weg. Nur vier Husaren, die mit ihren Pferden im Feuer stürzten, mußten zurückgelassen werden, mit den übrigen erreichte er glücklich die Straße nach Heiligenbeil. Noch aber befand er sich im Rücken der französischen Vorposten. Eine Feldwache wurde überfallen und zusammengehauen. Weiter jagend, stießen die Husaren auf eine feindliche Kavallerieabteilung, die eben zwei erbeutete preußische Geschütze nebst Pulverwagen fortschaffen wollten. Sie wurde zersprengt, ihre Beute abgenommen, und glücklich traf Giese mit seinen 16 Husaren und den zurückeroberten Kanonen am späten Abend beim Korps Plötz in Heiligenbeil an. Er erhielt für seine Heldentat das goldene Ehrenzeichen, wurde 1808 zum Junker, ernannt, im Befreiungskrieg mit dem Eisernen Kreuz und pour le merite ausgezeichnet, später geadelt und war zuletzt Kommandant der 6. Kavallerie-Brigade (+ 1855 zu Brandenburg a. H.).

Wie diese Ruhmestat in Wort und Schrift viel verherrlicht wurde, so hielt ein Farbendruck eine andere Szene des Braunsberger Gefechtes fest: Ein Franzose bot einem schwarzen Husaren 195 Pardon an, aber dieser zog seinen Säbel und rief ihm heldenmütig zu: „Wofür trüg ich diesen?"

Obwohl eine kaiserliche Bekanntmachung der Braunsberger Bevölkerung verkündete, das; sie nichts von französischen Truppen zu fürchten brauche, sondern schonungsvoll behandelt werden würde, wenn sie sich selbst ruhig verhalte und den militärischen Befehlen nicht widersetze, so machte sie doch eine schreckensvolle Woche durch. Lebensmittel aller Art, Branntwein, Bier und Wein waren den Siegern willkommene Beute, und im trunkenen Zustand ließen sie sich zu den gröbsten Ausschreitungen hinreißen. So drang eine Gruppe in das Haus des alten Oberstabschirurgus Seeliger an der nördlichen Markisette ein, wohin sich die Gutsbesitzerfamilie von Hanmann aus Rodelshöfen geflüchtet hatte. Seeliger gab ihnen an Lebensmitteln, was er konnte; aber immer frecher wurden ihre Forderungen und Plünderungen, und als er sie an die Zusicherungen des Kaisers erinnerte, verlachten sie ihn und mißhandelten ihn mit Schlägen und Stößen. Eine qualvolle Stunde verging, ehe die trunkene Bande das Haus verließ; das obere Stockwerk, wo 17 Flüchtlinge auf Stroh lagen und nicht wagten, sich zu zeigen, verschonten sie jedoch infolge der flehentlichen Bitten des ehemaligen Stabsarztes. Noch am selben Abend wurde der Kavalleriegeneral Lahoussaye hier einquartiert, und damit war die Gefahr weiterer Plünderungen eingedämmt. Freilich ließ sich sein Adjutant Labarbe sofort 30 Dukaten und Seeligers bestes Pferd „verehren".

Sogleich nach der Eroberung der Stadt raubten die Feinde aus den verschiedenen Stadtkassen an Bargeld, Pfandbriefen, Obligationen u. dgl. 21230 Taler. Als nun noch eine Kontribution von 25 000 T. gefordert wurde, erklärte die Stadtvertretung ihr Unvermögen. Nun wurde die Summe ermäßigt. Eine Zwangsbeitreibung bei den Bürgern ergab 2103 T. Namentlich mit Kleidungsstücken. Wasche und Schuhzeug versorgte sich die Einquartierung aus den bürgerlichen Beständen. Selbst auf der Straße waren die Einwohner vor dem Stiefelausziehen nicht sicher: sie konnten sehen, wie sie barfuß weiterkamen. Zwei Soldaten gingen gewöhnlich ganz absichtslos auf ihr Opfer zu; dann faßte es der eine um den Leib, während der andere im Nu die Füße aufhob und die Stiefel abzog. Ähnlich erging es dem Kreisphysikus Dr. Elsner. Er wurde in der Nacht nach der Einnahme zu dem General Bellegarde gerufen, der sich unwohl fühlte. Danach wurde er von einem Sergeanten angegangen, noch einen Kranken in der Nähe zu besuchen. Als der Kreisarzt dem Unteroffizier in sein Quartier gefolgt war, erklärte ihm dieser, der Patient seien seine Stiefel, und er ersuche ihn, mit ihm zu tauschen. Gegenvorstellungen fluchteten nichts, und der Arzt, der früher gern die Höflichkeit der Franzosen gerühmt hatte, mußte jetzt die Stiefel abziehen und die völlig zerrissenen des Soldaten nehmen. Aber da er sie doch nicht gebrauchen mochte, bot ihm eine junge Dame in demselben Hause ihre Pantoffeln an, auf denen er wie auf Stelzen seiner Wohnung zustrebte. Andere, denen ihre Anzüge geraubt waren, sah man in bloßen Unterhosen und Hemden oder Schlafröcken auf Pantoffeln mit Leinen umwickelt. Tuche, Leinwand, Leder, Schlitten, Wagen und Pferde wurden für Militärzwecke beschlagnahmt. Aber auch Wertsachen und Kostbarkeiten verschwanden in den Taschen und Tornistern der Soldateska. In der Pfarrkirche wurden am Gefechtstage 7 silberne Kelche und anderes Silberwerk im Werte von 365 Talern gestohlen. Andere Nachweisungen führen geraubte Brillanten, Gold- u. Silbersachen, Uhren, Porzellan, Gemälde, Bücher, Musikinstrumente u. a. auf. Erst nach acht Tagen wurde das Plündern bei Todesstrafe verboten, aber das Requirieren von Lebensmitteln und Futter für die Pferde ging weiter. Bald trat daher allgemeine Not ein: die umliegenden Dörfer und selbst der Markt von Elbing mußten Braunsberg ernähren helfen.

Der spätere Kommerzienrat Kunckein hatte einem Glücksumstande seinen späteren Reichtum zu verdanken. Seine Frau lag am Gefechtstage als Wöchnerin darnieder, als Plünderer in den unteren Laden eindrangen. Ein rücksichtsvoller Sergeant verjagte die Bande, ließ den Laden schließen und bewachte bis zum nächsten Morgen mit dem Gewehre die Tür. Ein hoher Offizier schrieb auf seine Bitte einen Sicherheitsschein. So wurden die reichen Vorräte im Laden und Keller verschont, die Kuckein bald mit großem Gewinn verkaufen konnte. Er wollte den Sergeanten mit Geld belohnen, aber dieser erbat sich nur ein reines Hemde, das nicht gleich vorhanden war. Man wollte es besorgen und bat ihn wiederzukommen, aber am nächsten Morgen mußte er abrücken und ließ sich nicht mehr sehen.

Der Ortskommandant General Narrow war ein edler Mann, der jedem Bedürftigen gern seine Hilfe angedeihen ließ. Oft teilte er seine Verpflegung mit den hungernden Almen. Aber der Unterhalt der etwa 5000 Mann mit ihren hohen Stäben machte ihm genug Kopfschmerzen. Der Divisionsgeneral Dupont. einer der Helfer Napoleons beim Staatsstreich des 18. Brumaire 1799, der den ehrgeizigen Korsen als ersten Konsul zum wahren Machthaber Frankreichs machte, war im 197 Hause des Kommerzienrats Oestreich einquartiert, der kurz zuvor nach Königsberg geflüchtet war, von wo er sich später nach Tilsit und Memel begab. Er war sicher dem Feinde verhaßt, hatte er doch im Herbst in England und Preußen Sammlungen für die Familien der im Felde stehenden Krieger und der Gefallenen, sowie für die Invaliden veranstaltet und selbst sofort 5000 T. gespendet, sodaß ihm der König, durch den Staatsminister Freiherr von Stein davon in Kenntnis gesetzt, in einem huldvollen Schreiben von Küstrin aus (24. 10. 1806) für seine opferfreudige Vaterlandsliebe seinen Dank aussprach. Sein Sohn Friedrich und seine Schwester hüteten das Haus, das von dem Divisionär und seinen Adjutanten, den Ordonnanzen und einer Wache von über 20 Mann belegt war und in dem täglich 20 hohe Offiziere speisten. Die vorsorglich beschafften Vorräte an Lebensmitteln und Getränken reichten nur kurze Zeit, so daß jeden dritten Tag ein vierspänniger Wagen nach Elbing gesandt werden mußte, um dort zu hohen Preisen die gewünschten Einkäufe für die drei Köche zu machen. Der Aufenthalt des Generals Dupont kostete Oestreich über 23 000 Taler, deren Erstattung er nie von der Stadt verlangt hat. Dupont ereilte übrigens im Juli 1808 in den spanischen Kämpfen sein Schicksal; mit 20000 Mann mußte er in Baylen kapitulieren.

Schon in der Nacht zum 28. Februar brannten die Franzosen vorsichtshalber beide Flußbrücken ab, um vor gegnerischen Überraschungen geschützt zu sein. In die Türme und Stadtmauern wurden Schießscharten geschlagen und so die mittelalterlichen Werte in Verteidigungszustand gebracht. Da aber von preußischer Seite kein Angriff erfolgte, wurde die Mühlenbrücke notdürftig wiederhergestellt und auch die Neustadt besetzt. Mehrere hundert Arbeiter mußten an der Königsberger Straße und vor dem Mehlsacker Tor Bastionen für etwa 10 Kanonen errichten, dazwischen an der heutigen Seeligerstraße ein Werk für 4 Kanonen. Wälle und Palisaden verbanden diese Bastionen, die mit Verhauen von Obststämmen gesichert waren; spanische Reiter sperrten die Wege. Diese neuen Schanzwerke galten nur der Vor- und Neustadt, weil hier preußische Vorstöße zu erwarten waren. Eine Anzahl von Gebäuden mußte diesen Befestigungsanlagen weichen. Im ganzen verlor die Stadt während dieses Jahres 46 Häuser.

Während der französischen Besatzung wurden in Braunsberg die in Lübeck in Gefangenschaft geratenen General Blücher gegen den französischen General Victor und Jägeroberst von Yorck ausgewechselt.

Erst als im Juni in neuen Schlachten die Entscheidung gesucht wurde, rückten die Feinde aus der völlig erschöpften Stadt all Leider nicht für lange; denn nach dem Friedensschluß von Tilsit (7. Juli) hielt ein französisches Korps weiter die Passargelinie besetzt, um einen Teil der rückständigen Kontributionen einzutreiben. In Braunsberg waren es 800 Mann, die bis zum 9. Dezember verblieben. Das schon vorher eingerichtete Kriegslazarett in der ehemaligen Burse neben dem Steinhaus war zeitweise mit 60—80 Kranken belegt. Aber auch in der Einwohnerschaft selbst wirkte sich die Not und der Hunger dieses schrecklichen Jahres in seuchenartigem Sterben aus. Hatte die kath. Pfarrgemeinde i. J. 1806 266 Tote zu verzeichnen, so waren es 1807 nahezu 1000, 1808 rund 370. Einige Zivilisten waren auch dem Straßenkampf am 26. Februar zum Opfer gefallen.

Sämtliche Kriegsschäden vom Tage des feindlichen Einmarsches bis zu ihrem endgültigen Abzug betrugen für die Stadt 783965 Taler und für die drei Stadtdörfer 76 661 T. Die Kriegsschuld der Stadt belief sich nach der Regulierung i. J. 1821 noch auf 44 379 T. Viele wohlhabende Familien waren gänzlich verarmt, und noch ein halbes Jahrhundert später hatte die Bürgerschaft die Leiden des unglücklichen Kriegsjahres nicht völlig überwunden.


IX. Bis zum Weltkrieg


Unglück und Not zwingen zur Selbstbesinnung, wecken oft schlummernde Kräfte zu ungeahnter Aktivität. Auch im preußischen Staate erwuchs aus den Ruinen des Zusammenbruchs neues verheißungsvolles Leben, entfalteten sich in den regeren Bevölkerungsschichten erstaunliche Energien.

Am 30. Juni 1808 taten sich Königsberger Patrioten zu einem sittlich-wissenschaftlichen Verein, dem sog. Tugendbund, zusammen, der die Förderung des Schulwesens, der Kunst und Wissenschaft, der körperlichen Kraft und Gewandtheit, der Sittlichkeit und religiösen Gesinnung bezweckte, im Endziele aber einer nationalen Erneuerung und einer Befreiung aus den Ketten des Tilsiter Schmachfriedens zustrebte. Noch im selben Jahre traten mehrere Braunsberger Honoratioren dem Tugendbunde bei, und am 8. April 1809 gründeten 199 36 Herren unter dem Vorsitz des Majors von Rochelle in der Passargestadt einen Zweigverein, der bald auf 63 Mitglieder anwuchs. Offiziere, Akademiker, Ratsherren, Kaufleute waren es hauptsächlich, die unter dem Wahlspruch „Gott, König und Vaterland!" in 6 Sektionen ihre gemeinnützige Wirksamkeit aufnahmen und zu monatlicher Generalversammlung und Geselligkeit zusammenkamen.

Scheiterte auch die geplante Errichtung einer Militärschule für angehende Fähnriche, so begann man doch im Juli mit gymnastischen und militärischen Hebungen, an denen sich bald 60 Jungen beteiligten. So turnte man in Braunsberg schon ein Jahr, bevor der Turnvater Jahn auf der Hasenheide damit anfing. Am 1. Mai wurde eine Industrieschule für Mädchen eröffnet, die schon nach Monatsfrist 106 Schülerinnen zählte und diese durch Damen in vielen weiblichen Handarbeiten unterrichten ließ. Aus ihr entwickelte sich Anfang 1811 eine Töchterschule mit wissenschaftlichem Unterricht, die Vorgängerin der 1846 entstehenden kath. und evg. höheren Mädchenschule und der seit Ostern 1922 städtischen Elisabethschule. In einer Zeichenschule bemühte sich besonders der Kassierer des Oestreichschen Handelshauses Höpffner, junge Handwerker und Soldaten auszubilden. Die Einrichtung einer Kunstschule und Sonntagsschule für Handwerker wurde erwogen, wenn auch nicht verwirklicht.

In diesen regen pädagogischen Unternehmungen des Tugendbundes wirkten sich die neuen Ideen und Methoden Pestalozzis und Zellers aus, deren begeisterter Apostel der 1771 in Breslau gebürtige Kornelius Burgund war, ein früherer Prämonstratensermönch, der aus dem Orden ausgetreten und 1801 zu pädagogischen Studien nach Berlin gegangen war und nach kurzer Tätigkeit als Seminardirektor in Lowicz seit 1808 dem Lehrkörper des Gymnasiums angehörte. Er war es auch, der am 1. Juni 1809 das „Braunsberger Wochenblatt", die erste Ortszeitung, ins Leben rief und leitete, das er zum „ermländischen Provinzialblatt" auszubauen hoffte. Dadurch wurde der Buchdrucker Feyerabend veranlaßt, sich in Braunsberg niederzulassen und eine eigene Presse zu eröffnen. Freilich stellte das Organ schon im nächsten Jahre sein Erscheinen ein, weil die Zeit für ein solches Unternehmen noch nicht reif war und der Herausgeber nicht den inneren Kontakt mit dem gewünschten Leserkreis finden konnte.

Wie weit sich die fortschrittliche, gemeinnützige Arbeit des Tugendhundes erstreckte, mag noch daraus ersehen werden, daß man die Anlage von Baumschulen zu Verschönerungen betrieb, dem Kartoffelbau besondere Aufmerksamkeit zuwandte, ein Bürger-Rettungs-Institut für Handwerkerkredit, eine Badeanstalt, öffentliche Aborte u. a. plante. Der königliche Auflösungsbefehl vom 31. Dezember 18N9, der durch das Mißtrauen der französischen Gewalthaber erzwungen worden war, machte dem Tugendbund und den meisten seiner Bestrebungen ein Ende.

Noch kurz vorher, am 16. Dezember 1809 ernteten die Braunsberger Mitglieder die verdiente Anerkennung. Nach dreijährigem Aufenthalt in Ostpreußen kehrten König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise nach Berlin zurück und berührten an diesem Tage morgens um 9 Uhr unter dem Geläute aller Glocken Braunsberg. Die Garnison war in Parade auf dem altstädtischen Markt aufmarschiert; daher wurden die hohen Gäste in das Seeligersche Haus geladen. Hier ließen sie sich die Abordnungen des Bistums und der städtischen Körperschaften vorstellen und wurden durch Handarbeiten der Industrieschule erfreut. Königin Luise erhielt auf weißen Kissen einige Ridiculs (Arbeitstäschchen), 2 Kindermützen, 1 Paar seidene Kinderschuhe, ein Paar wollene Schuhe und 3 Tock Garn; sie erkundigte sich nach den Verfertigerinnen der Gegenstände, lobte sie und versprach, sie als dauerndes Andenken gern gebrauchen zu wollen. Durch den Geheimrat von Auerswald ließ sie später der Schule 10 Louisdor (150 RM) überweisen. Dem König wurde von einer Schülerin eine seidene Börse mit eingesticktem Eichenlaub und der Inschrift: „Die Töchter Braunsbergs dem Vater des Vaterlandes" überreicht. Mit dem Ausdruck des Dankes sprach der König seine Anerkennung über die Begründung solcher gemeinnützigen Anstalten aus.

Durch einschneidende neue Gesetze hatte auch die königliche Regierung ihren Reformwillen bewiesen. Die Städteordnung vom 10. November 1808 berief die Bürger zu freier, verantwortungsbewußter Arbeit zum Wohle der Gemeinden. Am 23. März 1809 morgens 9 Uhr versammelten sich die bisherigen von der Regierung ernannten Magistratspersonen und die nunmehr durch das Vertrauen der Mitbürger gewählten Stadtverordneten im großen Saale des Rathauses. Nachdem der kgl. Kommissar Hagen auf die Bedeutung der Selbstverwaltung hingewiesen hatte, bewegte sich der Zug unter Glockengeläute zur Pfarrkirche, wo nach dem Hochamt die Vereidigung des neuen Magistrates vorgenommen wurde. Der frühere Landrat von Willich wurde Bürgermeister, als Ratsherren standen ihm zur Seite die Bürger Schlattel, Bertram, Fischer, Schulz, Regenbrecht, Wasserzier, Vontheim, Langhanki, Grodd, Romahn, Kaninski und Chales. Nach einem Gebet für 201 das Königshaus und dem Tedeum lehrten die städtischen Körperschaften zum Rathaus zurück. Hier übertrug der Kommissar dem Magistrat die Polizeiverwaltung. Dann sprach im Namen der 38 Stadtverordneten ihr erster Vorsteher Kommerzienrat Oestreich, der die Städteordnung als das Heilmittel gegen den Verfall der Städte und den Keim künftigen Wohlstandes pries. „Eine richtige Anwendung derselben ist hierbei jedoch unerläßliche Bedingung: denn wir wollen es uns nicht verhehlen, daß hier neben dem Keime zu so vielem Guten, zugleich für Selbstsucht und ungezügelte Leidenschaft ein Zunder zum Parteikampf bereit liegt... Lassen Sie uns alle Persönlichkeiten (alles Persönliche) als ein tödliches Gift vermeiden. Dagegen leite uns bei allen Verhandlungen ein reiner Gemeingeist. Wir haben das Wohl einer braven Bürgerschaft zu besorgen, die es durch ihre Rechtlichkeit, Ordnungs- und Friedensliebe wohl wert ist, daß wir uns ihrem Dienst mit ausdauerndem Eifer widmen und so das in uns gesetzte Vertrauen rechtfertigen." Nach einem Hinweis auf die schweren Kriegsopfer der Stadt und einer Bitte an den Kommissar um Erleichterung ihres harten Schicksals schloß Oestreich seine gehaltvolle Rede, die er auf allgemeinen Wunsch dem Druck übergab, nicht aus Eitelkeit, wie er in seiner Widmung an den befreundeten Königsberger Präsidenten Friedrich Nikolovius ausführte, „denn wenn ich auch meine Fehler habe, so gehört, wie Sie wissen, die Begierde mich vor dem Publikum geltend zu machen, doch nicht zu den meinigen", sondern um den Erlös dem neuerrichteten Krankenhause zuzuwenden.

Dieses behandelte schon im ersten Jahre seines Bestehens 181 Patienten und gehörte zu den gemeinnützigen Einrichtungen, mit denen die neuerwachte bürgerliche Initiative dem Elend steuern wollte. Noch sei die Melioration der altstädtischen Wiesen aus den eisten Arbeiten der neuen Stadtverwaltung erwähnt.

Bewunderswert, wie der preußische Staat trotz seiner schweren Finanznot das an geistigen Kräften zu ersetzen wußte, was er an materiellen verloren hatte. In rechter Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung des Bildungswesens für den Wiederaufbau von Volk und Vaterland ließ die preußische Regierung auch dem darniederliegenden ermländischen Schulwesen ihre hilfsbereite Sorge angedeihen. Die alte Schulstadt Braunsberg war als Hauptstadt des Ermlandes der gegebene Platz für die neuen Lehranstalten. Zunächst wurde in dem früheren bischöflichen Schlosse ein staatliches Normal-Institut begründet, in dem Lehrer für die ermländischen Volksschulen im Geiste Pestalozzis herangebildet werden sollten. Als Kgl. Kommissar führte Oestreich die Oberaufsicht über diese Anstalt, deren Leitung Burgund übertragen wurde. Am 2. Juli 1811 erfolgte der festliche Eröffnungsakt, bei dem u. a. der Königsberger Oberschulrat Zeller über das Wesen der Normalinstitute sprach. Mit 25 Zöglingen begann die Schule ihre verdienstvolle Arbeit. Seit 1814 kgl. Erziehungsanstalt, seit 1825 Schullehrerseminar benannt, nahm sie eine gedeihliche Entwicklung. 1824 wurde ihr eine Übungsschule, 1850—78 eine Taubstummenschule angegliedert. Nachdem das alte unzureichende Schloß den wachsenden Bedürfnissen zum Opfer gefallen war, wurde an derselben Stelle mit Einbeziehung einiger denkmalswerter Bauteile ein Neubau aufgeführt, dessen Haupthaus i. J. 1874, die Seitenflügel i. J. 1876 bezogen werden konnten. Die staatliche Neugestaltung der Lehrerbildung setzte dem kath. Seminar, dessen pädagogische Ausstrahlungen weit über die Grenzen Ostpreußens reichten, am 13. März 1926 ein Ziel. Seither bietet das Gebäude der staatlichen Aufbauschule (Schloßschule) Unterkunft.

Noch im selben Jahre 1811 sah Oestreich seine wiederholten Eingaben an die Staatsbehörden wegen Reorganisation des Braunsberger Gymnasiums von Erfolg gekrönt. Die königliche Kabinettsordre vom 11. Dezember 1810 gab ihm die verheißungsvolle Antwort: „Ich werde auf die Erfüllung des Wunsches um so lieber Bedacht nehmen, da es Meiner Neigung gemäß ist, solche gemeinnützige Zwecke zu befördern und Meinen guten ermländischen Untertanen Beweise Meines Wohlwollens zu geben." Die materiellen Vorbedingungen wurden dadurch erfüllt, daß sechs ermländische Domherrnstellen mit Genehmigung des hl. Stuhles aufgehoben und deren Einkünfte dem nunmehr staatlichen Gymnasium überwiesen wurden. Zum ersten Direktor der reorganisierten Anstalt wurde der geistliche Professor Heinrich Schmülling aus Münster berufen, mit dem Amte eines Kurators für die Vermögens-Verwaltung Kommerzienrat Oestreich betraut. Sonntag, 29. Dezember 1811 fand die feierliche Eröffnung der Schule statt. Der kgl. Kommissar Delbrück hielt eine richtunggebende Ansprache über das Thema: „Im Geiste des echten Protestantismus liegt nichts, was der Achtung des echten Katholizismus widerstrebt." Dann zeichnete der neue Direktor in lateinischer Rede den durch Wissenschaft und Herzensbildung zu erziehenden Jüngling. Ein Preislied auf den König beschloß diesen Teil der Feier. Nun begab sich unter Glockengeläute ein langer Festzug zur Pfarrkirche: voran eine militärische Begleitung, dann die Pfarrschule, das 203 Normalinstitut, die Schüler des Gymnasiums mit ihren Fahnen und die Lehrer in ihrer Amtstracht, Frack mit schwarzseidenen Kniehosen, schwarzseidenen Strümpfen, Schnallenschuhen, seidenem Mäntelchen und dreieckigem Faltenhut. Nun folgte der kgl. Kommissar Delbrück inmitten des Kurators und Direktors und dann die anderen Ehrengäste, zum Abschluß wieder Militär. In der Kirche hielt Weihbischof von Hatten ein von voller Instrumental- und Vokalmusik begleitetes Hochamt mit folgendem Tedeum. Die zur Feierlichkeit geladenen 81 Gäste nahmen an dem Diner im Deutschen Hause teil, zu dem der alte Oestreich den Wein stiftete.

 

Johann-Heinrich Schmülling (1774  - 1851)

Lehrer am Paulinum (Gymnasium) in Münster, Direktor des königlich preußischen Gymnasiums in Braunsberg/ Ermland, Professor der Philosophie am Lyceum „Hosianum“ in Braunsberg und Professor für neutestamentliche Exegese an der Akademie in Münster, Regens des Priesterseminars in Münster, Ehrendoktor der Theologie und der Philosophie durch die Universität in Münster. Schmülling reformierte das Braunsberger Gymnasium.
 

Im Januar 1812 wurde der Unterricht mit 94 Schülern in 5 Klassen aufgenommen. Außer dem Direktor wirkten zunächst 5 ordentliche Lehrkräfte, von denen nur einer ein Ermländer war. Die Anstalt, von einem ausgezeichneten Pädagogen geleitet, erfreute sich bald verdienter Schätzung und weitreichenden Zuzugs, so daß schon i. J. 1824 315 Schüler gezählt wurden. Auch der Neudecker Landschaftsdirektor Louis von Benekendorf-Hindenburg vertraute seinen Sohn Robert, den Vater unseres Reichspräsidenten Generalfeldmarschalls von Hindenburg, i. J. 1829 dem Braunsberger Gymnasium an, bis Robert i. J. 1832 als Fahnenjunker in das Posener Infanterie-Regiment Nr. 18 eintrat. Oestreich betreute in hingebender ehrenamtlicher Tätigkeit bis 1827 nicht nur die äußeren Verwaltungsgeschäfte, sondern auch seit 1817 eine Hilfskasse für bedürftige Gymnasiasten, für die er eifrig warb, und die Kapitalien der testamentarisch gestifteten Seeligerschen Erziehungsanstalt, die 1829 für 8 Gymnasiasten beider Konfessionen eröffnet wurde. Der berühmte Mathematiker Karl Theodor Weierstraß wirkte von 1848—55 als Lehrer an der Anstalt, bis die gelehrte Welt auf seine geniale Funktionenforschung aufmerksam wurde und er einem ehrenvollen Rufe nach Berlin folgte. 1822 wurde ein Direktor- und Lehrerwohnhaus auf der Nordostecke des Schulhofes errichtet, 1861/62 die Gymnasialkirche, 1868 die Aula und 1871 die Turnhalle erbaut. Die schon vor dem Weltkriege beantragte Angliederung einer Realabteilung wurde i. J. 1922 für die Mittelstufe bewilligt. Die steigende Schülerfrequenz, die zu Ostern 1928 unter Studiendirektor Dr. Jüttner die Höchstzahl von 447 erreichte, erwirkte i. J. 1930 die Erhebung der Schule zur großen Doppelanstalt und i. J. 1932 den Neubau eines modernen Erweiterungsflügels, der Ostern 1934 bezogen werden konnte.

Karl Theodor Weierstraß (1815 - 1897), deutscher Mathematiker, in Braunsberg von 1848 - 1855

Weierstraß schuf für Funktionstheorie und elliptische Funktionen neue Grundlagen, löste das Umkehrproblem für die Abelsche Integrale, lieferte Beiträge zur Variationsrechnung, gab ein Beispiel einer stetigen, nicht differenzierbaren Funktion. Hier ein Bild, wie W. etwa ausgesehen haben mag. als er in Brunsberg war.

 

Wilhelm Killing (1847 - 1923), deutscher Mathematiker

Nach dem Studium in Münster (1865/66) und in Berlin (1867/68) promovierte er 1872 bei Karl Theodor Weierstraß mit einer Dissertation mit dem Titel Der Flächenbüschel zweiter Ordnung über die Anwendung der Elementarteiler einer Matrix auf Oberflächen. Von 1868 bis 1892 unterrichtete Killing an Schulen in Berlin, Brilon und Braunsberg; 1892 wurde er Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Mit 39 Jahren trat Killing dem Dritten Orden der Franziskaner bei. Killing publizierte über nicht-Euklidische Geometrie in n Dimensionen (1883), diee Erweiterung des Begriffs Raum, mit der Klassifikation der einfachen Lie-Algebren (1886) und über Lie-Gruppen. In seiner Forschung über Nicht-Euklidische Geometrie erfand Killing gegen 1870 unabhängig von Sophus Lie die Lie-Algebra. Er führte die Cartan-Subalgebra, die Cartan-Matrix und die Idee des Wurzelsystems ein. Auf Killing geht auch die Bezeichnung charakteristische Gleichung einer Matrix zurück.

 

Napoleons russischer Feldzug brachte dem Ermland i. J. 1812 schwere Lasten. Obwohl das Jahr 1811 eine Mißernte geliefert hatte, mußten für das durch Ostpreußen marschierende Riesenheer gewaltige Proviantmengen beigeschafft werden. Am 11. April hielt der Verpflegungsdirektor des Braunsberger Kreises von Willich eine Beratung mit den Gemeindevertretern, um zunächst durch freiwillige Beiträge die Magazine zu füllen. Da das Ergebnis naturgemäß ein ganz ungenügendes war, wurden Zwangslieferungen befohlen, für die auch in Braunsberg ein Magazin für Mehl, Hafer, Heu und Stroh eingerichtet wurde. 5 Feldbäckereien für je 500 Brote wurden erbaut. Seit Anfang Mai fluteten nun in fast unaufhörlicher Folge Teil des ersten Korps des Marschalls Davoust durch die Stadt. Ein buntes Gemisch der verschiedensten Völker, unter ihnen auch Deutsche. Nicht wie Verbündete, sondern als rücksichtslose Eroberer traten ihre Führer und vielfach auch die Mannschaften auf. Die Tagesration für den Unteroffizier und Gemeinen betrug 900 Gr. Brot, 300 Gr. Rindfleisch, 60 Gr. Reis oder 120 Gr. Hülsenfrüchte, 1/60 Klgr. Salz, 1 Liter Bier, 1/16 Liter Branntwein; für Offiziere das Mehrfache, z. B. Divisionsgeneräle das Achtfache. Für die Pferde wurden 2 Rationen bestimmt, eine größere (2 3/4 Metzen Hafer, 13 Pfund Heu, 8 Pfd. Stroh) für die schwere Reiterei, wie Kürassiere, Dragoner, Karabineurs, Artillerie, die kleinere (4 Pf. Heu weniger) für leichte Kavallerie, wie Husaren, Jäger, Bagage u. a. Da aber die vollen Portionen oft nicht beigeschafft werden konnten, wurden die Quartiergeber herangezogen; und wenn die Truppen über diese Sonderleistungen auch Quittungen ausstellen sollten, so unterblieb es doch meist. Oft genug ließen die fremden Gäste in ihrem Logis allerlei mitgehen. In Auhof lagerten an einem Tage 88 Mann und 160 Pferde, die Felder wurden abgeweidet, 6 Pferde und 10 Zentner Heu mitgenommen. Noch Anfang August bezogen 4000 Mann des Victorschen Korps für drei Tage in der Stadt Quartiere. Napoleon selbst passierte am 12 Juni nachmittags gegen 3 Uhr unter dem Geläute aller Glocken die Stadt, hielt am Rathaus, blieb aber im Wagen und setzte nach einigen Minuten seine Fahrt nach Königsberg fort — seinem Schicksal entgegen.

Nach der furchtbaren Katastrophe der grande armée in Moskaus Flammenmeer und Rußlands Schneewüste erreichten Ende November die ersten der flüchtigen Franzosen das Weichbild der Stadt. Hören wir den Bericht des Augenzeugen Direktor Schmülling: „Aber was sahen wir für eine Kolonne anrücken? Erst einige Generäle im Wagen, und dann 14 Tage hindurch das wandernde Elend selbst. Fast gar keine Waffen, die Arme untereinandergeschlagen und mühsam sich fortschleppend 205 oder halb erfroren auf Schlitten kamen sie herangezogen, keine Bedeckung als die am Biwakfeuer durchlöcherten und zerfetzten Kittel. . . Wir erwarteten mit Angst das Korps von Macdonald; denn die Lage von Braunsberg eignet sich zu gut für eine militärische Disposition. Am 6. Januar rückte nun das Korps hier ein. In hastiger Flucht kam alles heran und hindurch gezogen. Da sich einige Tage vorher ein Trupp polnischer Kavallerie unter unserm (Gymnasiums)-Korridor gelagert hatte, die aber bald wieder abgezogen waren, so wollte ich mit Erlaubnis des Landrats von Willich den Schulplatz verschließen lassen, damit leine ungebetenen Gaste herkämen; aber ich konnte nicht durch das Gedränge von Kanonen, Infanteristen und Kavalleristen. Ich ging wieder zu Hause; da drängte es aber so stark am Tore, daß ich mußte öffnen lassen, — 100 Pferde wurden herausgebracht, ungefähr 10 Mann quartierten sich in den unteren Stuben ein. Ein großes Feuer wurde gerade vor der Gymnasiumtüre angelegt. Doch als ich die Küche einräumte und bei den Pferden Lichte versprach, so ward es für diese Nacht erlöscht; aber die folgenden Nächte mußte es lodern. Wenn wir nur Bier und Branntwein hergaben, so waren sie zufrieden, aber da man am letzten Tage auch für Geld nichts bekommen konnte, so drohte man dem Monsieur directeur die Türe einzuschlagen und einen Besuch abzustatten. Ich suchte für die folgende Nacht etwas Vorrat herbeizuschaffen; und da war ich gleich wieder un brave homme (ein guter Mensch); doch mußte ich sehr oft den Reim Russien et Prussien (Russe und Preuße) hören. Des Nachts war Braunsberg fürchterlich anzusehen. Hoch strahlten am ganzen Horizont und rund um uns her die Wachefeuer. Nahe im Walde zeigten sich die Wachtfeuer der Kosaken. Jeden Augenblick war die Stadt in Gefahr, in einen Aschehaufen verwandelt zu sehen; Säcke zum Einpacken des wohl verwahrten Gymnasiumsschatzes lagen stets bereit. Wie froh ward ich, als den 8. um 11 Uhr in der Nacht der Marschall de logis mir sagte, daß sie abziehen würden. Bald darauf ward die Brandglocke gelautet, doch bald hörten wir, daß das Feuer nur einen Zaun ergriffen habe und wieder gelöscht sei. Unter Qualm und Flammen zogen sie in finsterer Nacht ab und zündeten nahe vor dem Tore Heu und Stroh an, was sie nicht mitnehmen konnten. Die beiden Brücken zwischen der Altstadt und Vorstadt wurden in Brand gesteckt. Bald darauf rückten die Kosaken über die gefrorene Passarge und kamen durch das Obertor in die Altstadt, nachher am Tage durch das Schloßtor. Die Kinder riefen ihnen Hurrah! entgegen, und die ganze Stadt genoß wieder eine Ruhe, die wir lange entbehrt hatten . . ." Die kühne Freiheitstat Yorcks entfachte jene vaterländische Bewegung, der sich auch der zaghafte König nicht verschließen konnte. Am 3. Februar erließ dieser von Breslau aus einen Aufruf zur Bildung freiwilliger Jägerkorps. Am 7. Februar beschlossen die ostpreußischen Stände in Königsberg die Bewaffnung einer Landwehr und eines Landsturms. Am 17. März forderte der zündende Aufruf des Königs „An mein Volk" zum letzten Entscheidungskampf auf.

Schon am 14. März entließ das Gymnasium seine älteren Schüler, die sich begeistert zu den Waffen drängten. Oberlehrer Dr. Gerlach gab den patriotischen Gefühlen der Abschiedsstunde beredten Ausdruck. „Von allen Leiten des preußischen Staats wetteifern die Einwohner durch Anstrengungen jeder Art ihren Sinn an den Tag zu legen; in allen erwacht die Begeisterung für König und Vaterland, der kein Opfer zu schwer ist. Was in diesem Geiste begonnen wird, muß gut enden. Dafür bürgt die gleiche Gesinnung aller, dafür die großen Anstalten, die getroffen werden, dafür der Mut und die Ausdauer des russischen Heeres, das siegreich schon in Deutschland steht, dafür die Entkräftung und das geschwächte Zutrauen des französischen Volles; dafür bürgt vor allem der stets wache Geist im Lauf der Dinge, der jeden steigen läßt, bis sein Maß voll ist."

Für die Landwehr hatte die Stadt nach der beschlossenen Verhältniszahl (1/45) 116 Mann zu stellen. Da keine freiwilligen Meldungen erfolgten, entschied das Los. 90 Infanteristen aus der Stadt und 9 aus den städtischen Dörfern wurden im April aus kommunalen Mitteln mit grauen Mänteln, Kamisolen (Waffenröcken), Patronentaschen u. a. nach eingeschickten Mustern ausgerüstet; aus wohlhabenderen Familien wurden 5 Kavalleristen aus der Stadt und 1 vom Lande bestimmt, die sich selbst mit ihrem Pferd equipieren sollten. Es war übrigens den Ausgelosten gestattet, Ersatzmänner zu stellen; so übernahm einer die Stellvertretung gegen eine monatliche Vergütung von 2 Talern für sich und 1 Taler für seinen Vater. Wir finden die Braunsberger Landwehrleute im Lager vor Danzig, von ihrer Vaterstadt mit Leinwand, Scharpie, Hemden, Socken» schließlich sogar mit Lebensmitteln versorgt, bis die von General Rapp zäh verteidigte Seestadt zu Neujahr 1814 kapitulieren mußte.

Landschaftsrat von Schau-Korbsdorf hatte als Präsident der 4. Spezialkommission die Organisierung der Landwehr wie des Landsturms des Braunsberger Kreises unter sich. Für den 207 Landsturm waren in Braunsberg 638 Mann unter 50 Jahren dienstpflichtig, die in einer Eskadron, einer Schützenkompagnie und 4 Infanteriekompagnien in militärischen Übungen, Märschen, Wachtdienst und Patrouillen notdürftig ausgebildet wurden. Selbst 16jährige Gymnasiasten reihten sich mit Begeisterung in diese mehr durch guten Willen als durch soldatische Leistungen ausgezeichnete Phalanx ein, deren Arbeitsrock der rote Kragen zur Uniform stempelte, die mit Stolz die Landsturmmütze und den Schießprügel oder die Pike trugen. Gelegentlich nahm der Oberkommandant von Schau eine Besichtigung ab, und bei der Durchreise der Zarin Elisabeth am 16. Januar 1814 durften sie tüchtig Hurra schreien und den hohen Gast einholen und geleiten.

Die Opfer der Befreiungskriege brachten dem preußischen Vaterlande ein halbes Jahrhundert friedlicher Entwicklung, und das war um so notwendiger, als die schwere Kriegszeit sich trotz des Endsieges noch jahrzehntelang lähmend auf die Volkswirtschaft auswirkte. Die Verschuldung des Staates, der Gemeinden und Privatleute war sehr bedeutend, es fehlte an Kapital und Kredit, daher mangelte es an Aufträgen und lohnendem Verdienst, Handel und Wandel stockten, Konkurse vertrieben namentlich viele Rittergutsbesitzer von ihrer ererbten Scholle. So kamen auch die Güter Rodelshöfen und Rosenort der früher so wohlhabenden Familie von Hanmann i. J. 1816 unter Sequester. Infolge der Gesetze über die Bauernbefreiung wurde in den 2Ner Jahren die Erbuntertänigkeit der Bauern in den Stadtdörfern Huntenberg, Stangendorf und Willenberg aufgehoben; dabei verpflichteten sich die Hofbesitzer zur Zahlung einer Ablösungsrente an die Kämmereikasse und erlangten dadurch volles Eigentumsrecht und bildeten fortan selbständige Gemeinden.

Als Garnison beherbergte Braunsberg seit 1809 ein Füsilierbataillon wechselnder Regimenter, das weiter in Bürgerquartieren untergebracht war und im Exerzierschuppen auf der Teichstraße ausgebildet wurde. „Zum Zwecke geselliger Unterhaltung im Kreise gebildeter Teilnehmer" wurde aus Offizierskreisen und den Honoratioren der Stadt i. J. 1817 eine Ressource gegründet, die zunächst in Mietsräumen, seit 1839 in dem von Baurat Bertram auf dem alten Hospitalplatz errichteten Kasino ihre Zusammenkünfte hatte. Auf breiter bürgerlicher Grundlage griff die 1825 gestiftete Schützengilde eine alte wehrhafte Übung auf, wobei das Scheibenschießen mit der Büchse an die Stelle des früheren Vogelschießens mit der Armbrust trat.

Den unermüdlichen Bemühungen des edlen ermländischen Bischofs Joseph von Hohenzollern, dem Kommerzienrat Oestreich und Direktor Schmülling aufs eifrigste sekundierten, war es zu verdanken, daß durch königliche Kabinettsordre vom 19. Mai 1818 in Braunsberg eine staatliche Hochschule für den Klerus der Diözese Ermland gestiftet wurde. Lange war von den maßgebenden Regierungsstellen der Plan erwogen worden, die kath. Theologiestudenten Ostpreußens der Universität Breslau anzugliedern oder auch an der Königsbeiger Albertina einige Lehrstühle für katholische Theologie zu errichten. Indem schließlich die seelsorglichen und pädagogischen Auffassungen und Wünsche des Ermlandes Berücksichtigung fanden, wurde in der Passargestadt in neuer Form an eine jahrhundertealte Tradition angeknüpft, erhielt das reiche Bildungswesen des Ortes seine Krönung. Das Organisationsstatut des zum ehrenden Gedächtnis des ersten Gründers benannten Kgl. Lyzeum Hosianum schuf i. J. 1821 eine theologische und eine philosophische Fakultät, die planmäßig aus je vier Professuren bestehen sollten. Die Verfassung entsprach der der Volluniversitäten. Der Oberpräsident von Ostpreußen fühlte die Oberaufsicht. 11 Jahre lang betreute Kommerzienrat als Kurator auch diese Lehranstalt und nahm an ihrem Aufblühen wie vorher an ihrer Gründung tätigsten Anteil. I. J. 1817 wurde das an die ehemalige Bursa anstoßende Haus, i. J. 1863 der Kuckeinsche Speicher zu Lehrzwecken und Professorenwohnungen vom Staate zurückgekauft. Die Hochschule vertauschte i. J. 1912 ihren bisherigen Namen mit dem einer Akademie. Die 1820 begründete Bibliothek wird seit 1919 hauptamtlich verwaltet und enthält rund 100 000 Werke. Unter den wissenschaftlichen Sammlungen verdienen das 1880 von Prof. Wilhelm Weißbrodt errichtete Archäologische Museum (am Hitlerplatz) und der von Prof. Franz Niedenzu 1893 angelegte Botanische Garten besondere Erwähnung. Die in ihren wissenschaftlichen Auswirkungen weit über die Grenzen des Ermlandes hinausreichende kath. Hochschule wird seit 1925 auch von Theologiestudenten der Diözese Danzig, seit 1932 von solchen der Administratur Schneidemühl aufgesucht.

Während der französischen Okkupation hatte die evangelische Gemeinde ihre Kirche, das ehemalige neustädtische Rathaus, zum Heeresmagazin einräumen müssen. Daher waren durchgreifende Erneuerungsarbeiten notwendig, als das Gotteshaus wieder seiner Bestimmung zugeführt werden sollte. Während der 16 Wochen der Renovierung wurde die katholische Trinitatiskirche der evangelischen Gemeinde überlassen. Die zunehmende Seelenzahl 209 ließ allmählich die bisherige Kirche als zu eng erscheinen; denn bei der staatlichen Erhebung der Gemeinde zur eigenen Pfarrei i. J. 1818 umfaßte sie bereits rund 1500 Seelen ohne die Militärgemeinde. Durch das Wohlwollen des Königs Friedrich Wilhelm III. wurde ihr im Mai 1828 die bedeutende Summe von 53196 Talern zum Bau der Kirchen-, Pfarr- und Schulgebäude aus Staatsfonds bewilligt. Eine mächtige Feuersbrunst hatte im Januar 1824 an der Königsbeiger Straße sehr geeignete Bauplätze freigelegt, und so konnten hier i. J.1829/30 das Pfarrhaus und die dreiklassige Schule errichtet werden. Der Grundstein zu der neuen Kirche wurde am 30. Mai 1830 in feierlicher Weise gelegt. Ein langer Festzug bewegte sich von der bisherigen Kirche zu der Baustelle: voran sämtliche evangelische Schülerinnen und Schüler, dann die Stadtkapelle und die Meister und Gesellen der verschiedenen Handwerke, die bei dem Kirchenbau beschäftigt wurden, mit ihren blumengeschmückten Werkzeugen und Abzeichen, sodann der Kirchenvorstand, dessen Vorsteher, Kaufmann Barth, auf einem blauseidenen Kissen die Urkunde für den Grundstein trug. Nun folgten der Vertreter der Königsberger Regierung Konsistorialrat Dr. Kähler, der Ortspfarrer Bock nebst 8 Amtsbrüdern, die Militär- und Zivilbeamten des Kreises und der Stadt, das Baukomitee, dann die Gäste und Gemeindemitglieder. Den Abschluß bildete eine Abteilung des Garnison-Bataillons in Paradeuniform. Zwischen dem neuen Pfarr- und Schulhaus sah man das begonnene Kirchengemäuer, umrahmt von jungen Tannen; ein mit Grün und Blumen umwundenes Gerüst deutete die Formen der beiden künftigen Türme an. Vor dem Portal stand eine Rednerbühne, von der aus Konsistorialrat Kähler über den Sinn der Feierstunde sprach. Erst im November 1837 konnte die nach Schinkels Plänen erbaute stattliche Kirche ihrer Bestimmung übergeben werden.

Nordseite des Altstädtischen Marktes (Steinhaus, Mönchentor, Post und barocke Patrizierhäuser) um 1835.

(Stich vermutlich von E. Höpffner auf dem Kopf eines Briefbogens im Ermländischen Museum.)

Im Verhältnis zu der katholischen Pfarrgemeinde fehlte es nicht an Spannungen. So erregte der Prozeß gegen den Erzpriester Andreas Schröter und seine Kapläne wegen Proselytenmacherei und Einmengung in Mischehen in den 20er Jahren weithin Aufsehen. Das Königliche Oberlandesgericht fällte im Mai 1826 das Urteil, daß Schröter „wegen dringenden Verdachtes, die evangelische Religionsgesellschaft durch entehrende Äußerungen beleidigt, auch in öffentlichen Reden die Erregung von Haß und Erbitterung unter der evangelische und katholische Religionspartei versucht zu haben, von seinem Posten als Erzpriester und Pfarrer auf eine andere Stelle zu versetzen und mit achtwöchentlichem Gefängnis zu bestrafen sei", während seine drei Kapläne zu je 5 Talern Untersuchungskosten verurteilt wurden. Die eingelegte Berufung führte im Mai 1827 zu der Erkenntnis zweiter Instanz, wonach sämtliche Angeklagten freigesprochen wurden und zum Ausdruck gebracht wurde, „daß zur Einleitung der betr. Untersuchung eigentlich kein Grund vorhanden gewesen sei."

Am 21. Oktober 1833 segnete Kommerzienrat Oestreich, „der Kaufmann von Braunsberg", nach vollendetem 83. Lebensjahre das Zeitliche. Auf dem Johannisfriedhof fand er seine letzte Ruhestätte. Über seinem Grabe erhebt sich eine mannshohe, oben abgestumpfe Pyramide aus Sandstein, deren lateinische Inschrift besagt, daß der hier Beerdigte, durch Geist, Tüchtigkeit und öffentliche Verdienste hervorragend, eine Zierde Braunsbergs, des Ermlandes und Preußens gewesen sei und sich ein Andenken gesichert habe dauernder als dieser Stein. Am Abend des 31. Oktober wurde auf dem Rathause eine Trauerfeier gehalten, bei der Gymnasialdirektor Gerlach zwischen ernsten Gesängen die Gedächtnisrede auf den Toten hielt. Die kgl. Regierung aber widmete seinem Andenken im Amtsblatte einen ehrenden Nekrolog, worin Oestreichs Leben und Wirken als ehrendes Beispiel zur Nacheiferung gerühmt wurde. „Er war ein Mann, auf den nicht bloß seine Vaterstadt stolz sein durfte, sondern den auch die Provinz zu ihren Zierden rechnete."
Das allmähliche Wachstum der Stadt Braunsberg mögen folgenden Zahlen dartun:

Jahr Einwohner   

1782- 4370
1843- 8355
1849- 8954
1852- 9608
1861-10164
1875-10796
1802 - 5111

1810 - 4520

1816 - 5046

1822 - 6069

1828 - 7260

1837- 7746

1880-11542
1890-10851

1900-12497

1910-13599

1916-12305

1920-14332

1933- 15353

Dabei blieb die Bevölkerung nicht von schweren Epidemien verschont. So forderte die Geißel der Cholera in der Zeit vom 19. September bis 15. November 1831 allein in der kath. Gemeinde 306 Opfer, i. J. 1866 264 und 1873 innerhalb 5 Wochen über 300. Von der Cholera des Herbstes 1848 lesen wir in einem Briefe, daß innerhalb 4 Wochen 270 Personen in der Stadt verstorben, daß der besonders gesuchte Arzt Dr. Jacobson eine Zeitlang 100 Besuche täglich zu machen hatte, von der des September 1852, daß in diesem Monat jeder 15 Einwohner verstarb. Jacobson wurde für seine menschenfreundliche 211 und erfolgreiche ärztliche Tätigkeit in den Cholerajahren von 1831—52 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Auch der technische Lehrer Höpffner vom Gymnasium machte sich während dieser schweren Feiten durch seine gefahrverachtende, opferwillige Hilfe, mit der er namentlich den Armen und Waisen beisprang, besonders verdient und wurde vom Könige mit dem Allgemeinen Ehrenzeichen dekoriert. Auch sonst fehlte es nicht an Helden todesverachtender Nächstenliebe; so zeichnete die Stadt den Kaplan Anton Marquardt für seine furchtlose, allgemein anerkannte Caritas im Cholerajahre 1848 mit dem Ehrenbürgerrechte aus und erwirkte i. J. 1852 von der bischöflichen Behörde seine Versetzung von einer Landpfarre auf die Braunsberger Erzpriesterei.

 

Den wachsenden Erfordernissen der fortschreitenden Zeit trug seit Anfang 1840 das von Otto Model herausgegebene Braunsberger Wochenblatt Rechnung, das am 1. April 1841 von C. A. Heyne in das Braunsberger Kreisblatt umgewandelt wurde, seit 1859 zweimal, seit 1869 dreimal wöchentlich, seit 1907 täglich erschien, auch unter den städtischen Akademikern manchen geschätzten Mitarbeiter fand und eine Fülle lokal- und kulturgeschichtlich interessanter Nachrichten birgt. Seit Juli 1933 als Braunsberger Zeitung vom Amtlichen Kreisblatt getrennt, hat die älteste Ortszeitung unter dem Druck der Wirtschaftlichen Verhältnisse Ende 1932 ihr Erscheinen eingestellt.

 

Das nach Einweihung der neuen evangelischen Kirche freigewordene ehemalige neustädtische Rathaus wurde bald einem anderen Zwecke zugeführt: es wurde Stadttheater. Die stolze klassische Weiheaufschrift an der Straßenfront: Apolloni et Musis! (Apollo und den Musen) deutete auf die neue Bestimmung des Hauses hin, das fortan mehr oder minder guten Wandertruppen vorübergehenden Aufenthalt gewährte, bis es i. J. 1901 dem Neubau der Konditorei Tolksdorf (heute Bank der Ostpreußischen Landschaft) Platz machte.


Der Ausbruch der Pariser Februarrevolution d. J. 1848 riß auch Deutschland in den Strudel der Freiheitsbewegung hinein, und selbst in der stillen Passargestadt schlugen die neuen Ideen ihre Kreise. In den leidenschaftlichen Breslauer Märztagen hatte Friedlich Wilhelm IV. u. a. Volksbewaffnung und parlamentarische Wahlen zugestanden. Am 22. März wurde auch in Braunsberg eine Bürgergarde aus 800 Mann gebildet, deren Kern die Schützengilde war. Sie erhielt auf Antrag vom Kommandierenden General Grafen zu Dohna 400 Perkussionsgewehre aus dem Zeughause der städtischen Garnison zugewiesen und versah den Wacht- und Patrouillendienst zur Aufrechterhaltung der Ruhe, zumal seitdem am 26. April das Füsilier-Bataillon des 3. Infanterie-Regiments verlegt worden war. Bauinspektor Bertram war der Kommandeur der Bürgerwehr, die durch die Turmglocken alarmiert weiden sollte und eine eigene Standarte führte.

 

Am 1. Mai sollte die Wahl der Wahlmänner erfolgen. Unter dem agitatorischen Einfluß radikaler Führer schaffte sich die Unzufriedenheit der Arbeiter und Knechte über ihre bedrängte Lage, die geringen Löhne und die teuren Mieten und Lebensmittelpreise, die Konkurrenz auswärtiger Arbeiter u. a. gewaltsam Luft. Am Sonntag, dem 30. April rotteten sich Arbeitergruppen von etwa 200 Mann auf dem Vorstädtischen Markt zusammen, nahmen trotz der gütlichen Mahnungen des Kommandeurs der Bürgergarde eine drohende Haltung ein und begannen die als Klubhaus der Reichen verhaßte Ressource (Museumsgebäude) zu stürmen und zu demolieren. Indessen wurde die Bürgerwehr von der Wache herbeigeholt, viele freiwillige Bewaffnete schlossen sich ihr an, und nach einem kurzen und energischen Bajonettangriff „lagen die Tumultanten furchtbar zerstoßen und zerschlagen zu Boden, 19 Rädelsführer wurden auf die Wache geschleppt, die übrigen zerstoben." Die Untersuchung ergab eine vorbereitete Aktion und fühlte zur Festnahme weiterer 11 Delinquenten. Einer der Hauptschuldigen erhängte sich nach zwei Tagen im Gefängnis, die anderen wurden mit harten Zuchthausstrafen (6—1 1/2 Jahre) belegt.


Schon nach wenigen Wochen wurde von Rastenburg das 1. Jäger-Bataillon nach Braunsberg verlegt, das hier bis zum 1. April 1884 lag und in diesen, durch drei siegreiche Kriege ausgezeichneten Jahrzehnten in besonders engem, harmonischem Verhältnis mit der Bürgerschaft verwuchs. Davon zeugen noch heute die gotische Pyramide auf dem Hitlerplatz zum ehrenden Gedächtnis der 1870/71 gefallenen Jäger und zwei Denksteine im Stadtwald.


Aus den ersten parlamentarischen Wahlen des Mai 1848 gingen am 8. für die Berliner preußische verfassunggebende Nationalversammlung u. a. der Braunsberger Professor am Lyzeum Dr. Anton Eichhorn, der spätere Hosius-Biograph und erste Präsident des Ermländischen Historischen Vereins, als sein Stellvertreter Oberlehrer Joseph Lingnau vom Gymnasium hervor, am 10. für die Frankfurter deutsche Nationalversammlung der Lyzeumsdozent Karl Cornelius. Der namhafteste der späteren ermländischen Abgeordneten war der Braunsberger Kirchenhistoriker und spätere Dompropst Dr. Franz Dittrich (+ 1915), der 1893 in den preußischen Landtag gewählt, in 213 Schul- und Kultusfragen bald eine einflußreiche Stellung gewann.


Ein gewisses Gefühl des Selbstbewußtseins und der Eigenverantwortung entband als Auswirkung der Revolution auch im Ermland neue geistige Kräfte. So trat 1851 in Braunsberg der Adalbertus-Verein ins Leben, der planmäßig den Notständen der kath. Diaspora in Ostpreußen steuern wollte. Im Spätsommer 1856 begann von hier aus der Ermländische Hauskalender seine jährliche Wanderung durch die Heimat, und im Oktober desselben Jahres konstituierte sich aus Braunsberger und Frauenburger Gelehrtenkreisen der Historische Verein für Ermland, der wegen seiner gründlichen Forscherarbeit und seiner Veröffentlichungen schnell die verdiente Anerkennung fand. Ein Ermländischer Kunstverein, der i. J. 1869 ebenfalls in Braunsberg hoffnungsvoll auf den Plan trat, brachte es nur zu kurzer Wirksamkeit. Die Verbundenheit zwischen ermländischem Blut und Boden fand durch diese Unternehmungen, die in Braunsberg ihren geistigen Mittelpunkt hatten, eine liebevolle Pflege.


Inzwischen hatte die Stadt den Anschluß an das neue Verkehrsnetz der Eisenbahnen gewonnen. Am 19. Oktober 1852 konnte die älteste Bahnlinie Ostpreußens Marienburg-Braunsberg und mit ihr die Telegraphenleitung in Betrieb genommen weiden. Braunsberg war bis zum 1. August 1853 Endstation der Ostbahn. Wichtige Baubüros, eine Maschinenwerkstätte, eine große Zahl Streckenarbeiter brachten damals der Stadt wenn auch eine Teuerung der Lebensmittel, so doch rege Aktivität und steigende Verdienstmöglichkeiten. Deshalb fürchteten Schwarzseher, Braunsberg würde nach der Vollendung der Strecke nach Königsberg zum „Dorf" herabsinken, d. h. sein Handel von dem der benachbarten Großstadt aufgesogen werden. Die Eröffnung der Strecke nach der alten Krönungsstadt Königsberg sollte aber mit besonderem Glanz vor sich gehen. Der König selbst hatte sein Erscheinen zugesagt.


Friedlich Wilhelm IV. hatte bereits mehrfach die Stadt passiert, so am 9. September 1840, als er mit seiner Gemahlin Elisabeth zur Huldigung nach Königsberg reiste. Das Spalier der Bürger freundlich grüßend, hielt er vor dem Hause des Kaufmanns Kuckein (Langgasse 32), nahm eine Erfrischung zu sich und empfing von einem Atlaskissen mehrere Proben ermländischer Seide. Damals wurden im Ermland energische Versuche gemacht, Maulbeerbäume anzupflanzen und Seidenzucht zu betreiben. Besonders der Lehrer Tolksdorf in Heinrikau war der Meister dieser Kunst, der daher dem durchreisenden König die beste Seidenprobe vorlegen konnte. Von Braunsberger Bürgern befaßten sich der Seminardirektor Dr. Anton Arendt und der Spediteur Ehlert damit, die ebenfalls vor den Majestäten mit Mustern ihrer Zucht aufwarteten. Kalte Winter erwiesen freilich nach wenigen Jahren alle Bemühungen, diese Industrie nach Ostpreußen zu verpflanzen, als vergeblich.


Ein Festkomitee unter Vorsitz des Landrats von Schwarzhoff traf die Vorbereitungen für den Königsbesuch am 1. August 1853. Kreisbauinspektor Bertram hatte mit ungewöhnlichem Kunstsinn einen Güterschuppen am Bahnhof in königliche Gemächer umgewandelt. In dem Schmuck der Fahnen und Ehrenpforten auf dem Bahnhof erregte folgende sinnvolle Transparentaufschrift besondere Aufmerksamkeit:

 

Fern zu des Ostens Gestaden entsendet auf eisernen Schienen

König Dein schaffendes Wort kühn das beflügelte Rad.

Stolz auf den älteren Ruhm der Treue, der Vaterlandsliebe,

Schaut hier ein kräftiges Volk dankend zum Herrscher empor.

Näher bist Du uns gerückt; denn die Räume, die Zeit sind geschwunden,

Näher sind Fürst sich und Volk! Gott schütze Preußen in Dir!


Nachdem vormittags von auswärts eine Reihe von Gästen, darunter auch Bischof Dr. Geritz von Frauenburg, eingetroffen waren, langte der König in seinem Salonwagen vor 1 Uhr auf der Station an. Tausendstimmiger Jubel und die Vaterlandshymne der Militärmusik begrüßte ihn, dann lichteten der zuständige Minister von der Heydt und Regierungsbaurat Wiebe die Bedeutung des Festtages würdigende Dankesworte an ihn. Hierauf nahm der König vor dem Empfangsgebäude die Parade des Jägerbataillons ab, danach den Vorbeimarsch der Schützengilde, die ihm für die zu Anfang des Jahres geschenkte Fahne ihren Dank aussprach. Nun folgte die Vorstellung der um den Bahnbau verdienten Beamten und der Festteilnehmer und schließlich in der Festhalte ein Frühstück, bei dem Landrat von Schwarzhoff den Toast auf den König ausbrachte, der seinerseits gerührt mit einem dreimaligen Hoch auf die Provinz, die Festgeber und die Verwirklichung der Hoffnungen, die sich an die Vollendung des Bahnbaues knüpften, erwiderte. Um 3 Uhr setzte sich der Extrazug unter stürmischen Huldigungen nach Königsberg in Bewegung.


Seither verlor Braunsberg als Durchgangsort des Verkehrs an Bedeutung, und mancher vornehme Gast, der zuvor in dem Deutschen Haus (Langgasse 70) und Schwarzen Adler seine Reise in der Postkutsche unterbrochen hatte, sah nunmehr vom 2l5 schnaubenden Dampfroß aus die Passargestadt vorüberfliegen. Ein Ausnahmefall war es, wenn Zar Alexander II. mit seiner Gattin und einem Gefolge von 90 Personen in der Nacht vom 22. bis 23. Mai 1865 in Braunsberg Logis bezog. Schlaf- und Speisewagen gab es noch nicht, und in der friedlichen Passargestadt mochte es sich ruhiger schlafen als in der Großstadt Königsberg. Das Kaiserpaar und die Großfürsten nächtigten auf dem Bahnhof; aus vier Beamtenwohnungen war ein Quartier mit 20 Zimmern hergerichtet, Mauern durchbrochen, Möbel aus dem Königsberger Schloß, Teppiche u. a. zur fürstlichen Ausstattung beschafft worden. Da aber für die hohe Begleitung der Schwarze Adler mit 8 und der neue Rheinische Hof mit 19 Zimmern nicht ausreichten, wurde eine größere Zahl möblierter Zimmer benötigt. Kommerzienrat Kuckein beherbergte Herzog von Mecklenburg, Postmeister Kersten den Oberhofmarschall Grafen Schuwaloff und Staatssekretär Müller, sein Sohn Rittergutsbesitzer Theodor Kuckein den Fürsten Dolgorucki usw. Nach Ankunft des aus 12 Wagen bestehenden Extrazuges nahmen die hohen Herrschaften ein Souper ein. Als sie am nächsten Morgen bis Dünaburg weiterreisten, sprachen sie sich sehr anerkennend über ihre Unterkunft aus.


Um dem verehrten Herrscherhause bei der Durchreise ihre Huldigung darzubringen, nahmen wiederholt städtische Körperschaften, Vereine und Schulen auf dem festlich geschmückten Bahnhof Aufstellung. So am 10. September 1879, als Kaiser Wilhelm I. und der Kronprinz vormittags auf der Fahrt nach Königsberg die Stadt passierten. Den Aufenthalt von 6 Minuten benutzte der greise Monarch zur freundlichen Begrüßung der führenden Persönlichkeiten. Zur Schützengilde, die seine Lieblingsblumen, Kornblumen, in den Lauf gesteckt hatten, äußerte er: „Sie haben friedliche Munition aufgesteckt."


Der Anschluß der Passargestadt an den modernen Schienenstrang und die Verbreitung der Dampfschiffahrt bedeuteten das Absterben der Braunsberger Handelsschiffahrt. Noch in den vierziger Jahren besaß das Handelshaus Kuckein mehrere Segelschiffe, andere die Firmen Stampe, Oestreich und Kutschkow und Drews, von denen zwar nicht die Dreimasterbarken, wohl aber die zweimastigen Briggschiffe den Braunsberger Hafen anlaufen konnten; sie führten damals außer ermländischen Getreide- und Flachsfrachten auch Holzladungen von Memel bis nach England und Irland. Jetzt nahm die Bahn der Schiffahrt, die vom Wasserstand und Eis der Passarge abhängig war, die Frachten zu den innerdeutschen Plätzen ab, mehr noch, als das Bahnnetz das Innere der Provinz erfaßte; bald verdrängte auch die mechanisierte Großschiffahrt die kleinen Flußfahrzeuge. Für die Flachserzeugung versprachen sich die Behörden freilich durch die Bahn eine Belebung. Man schätzte i. J .1856 das jährliche Wachstum des Flachses im Ermland auf fast 1 Million Taler; der größte Teil davon wurde ungereinigt von Aufkäufern in den Bauernhäusern abgeholt und kam dann zu den Braunsberger Großhändlern, die durch ihre Speicherarbeiter und Flachsbinder das Rohmaterial zurichten, sortieren und lagern ließen, um es zu verkaufen und zu verschiffen. Nun glaubte die Behörde, gestützt durch Gutachten des landwirtschaftlichen Zentralvereins, der nachlassenden ermländischen Flachserzeugung dadurch einen neuen Auftrieb zu geben, daß sie den Bauern riet, durch sorgfältiges Schwingen, Reinigen und Hecheln die Güte des Flachses zu heben und ihn dann auf einem besonderen Markt direkt an auswärtige Spinnereibesitzer abzusetzen, die mit der Bahn leicht anreisen könnten. Durch Prämien sollten außerdem die besten Erzeugnisse ausgezeichnet werden. Obwohl diese Maßnahmen den Braunsberger Großhandel in seiner Existenz bedrohten, wurde für den 27.-29. Februar 1856 der erste ermländische Flachsmarkt in Braunsberg anberaumt, den die Bauern mit hohen Erwartungen begrüßten. Am ersten Tage fuhren gegen 500 Wagen 15000 Bunde Flachs an. Der Umsatz und Preis brachte aber den Produzenten schwere Enttäuschungen. Wenn auch die besten 15 Flachssorten mit Geldprämien, später mit Silberbechern ausgezeichnet wurden, — diesmal erhielt Bes. Andreas Marquardt aus Grunenberg für seine Spitzenleistung 25 Taler, — so waren doch nur wenige schlesische Fabrikanten erschienen, der ganze Umsatz belief sich auf 60 000 Taler, die Preise waren gedrückt. Trotzdem behauptete sich der Braunsberger Flachsmarkt, der später am 3. Dezember stattfand, bis in die 90er Jahre, verlor aber mit der mangelnden Rentabilität des Flachsanbaus und seinem Rückgang seit den 70er Jahren mehr und mehr an Bedeutung.


Die Eröffnung der Ostbahn gab den Anstoß zur Gründung des Polytechnischen Vereins (1853), der seine Mitglieder mit den neuesten Errungenschaften der Naturwissenschaften und Technik bekannt machen wollte. Sein erster Vorsitzender Prof. Dr. Feld und sein vorletzter Prof. Switalski waren die erfolgreichsten Leiter dieses verdienstvollen populärwissenschaftlichen Vereins, dessen Vorträge durch Pressereferate auch weiten Kreisen der heimatlichen Bevölkerung zugänglich gemacht wurden.


Im November 1854 konnte die kleine jüdische Gemeinde ihre Synagoge einweihen. 2l7

Die ruhmreichen Kriege der Jahre 1864, 1866 und 1870/71 weckten auch in Braunsberg patriotischen Widerhall, um so mehr, als die Bevölkerung an den Geschicken ihrer mitkämpfenden Jäger wie ihrer eigenen Söhne herzlichen Anteil nahm. Als am 3. März 1871 die Freudenkunde von der Ratifikation des Friedens die Stadt durcheilte, da ließ man die Fahnen wehen, hängte Transparente aus und tauchte abends selbst die kleinsten Gäßchen in den Lichterglanz der Illumination. Ratsherr Sinogowitz aber ließ als Schützenhauptmann seine Mannen zum Zapfenstreich antreten; bengalische Flammen flackerten grün und rot durch das Dunkel der Nacht, und übermütiges Schießen und Knallen störten die gemessene Ruhe des sonst so stillen Stadt.

Die aufrichtige Freude an dem neuen Kaiserreich erfuhr bald durch den Kulturkampf bei der kath. Bevölkerung eine schmerzliche Trübung. Gerade in Braunsberg entzündete sich dieser kirchenpolitische Kampf am ersten und am schärfsten. Mehrere Braunsberger Geistliche, so der Philosophie-Professor Dr. Michelis, der Gymnasial-Religionslehrer Dr. Wollmann und der Seminardirektor Dr. Treibel weigerten sich, die vom Vatikanischen Konzil im Juli 1870 definierte päpstliche Unfehlbarkeit anzuerkennen, und wurden deshalb vom Bischof Dr. Philippus Krementz exkommuniziert. Da der Staat sich schützend vor seine Beamten stellte, war der Konflikt gegeben.

Bischof Krementz sah sich genötigt, Dr. Wollmann die Erlaubnis zur Erteilung des Religionsunterrichtes zu entziehen, meldete dem Kultusminister von Mühler diese Maßregelung und erbot sich, mit seiner Zustimmung einen anderen Priester auf seine eigenen Kosten mit der Erteilung des Religionsunterrichts zu betrauen. (5.4.1871). Der Minister lehnte das Angebot ab, da die Verhängung kirchlicher Zensuren auf ein Staatsamt ohne Einfluß sei. Zugleich wurde dem Direktor Weisung gegeben, daß eine Dispensation von den Religionsstunden nicht zulässig sei. Es stünde den Eltern frei, ihre Kinder auf ein anderes Gymnasium zu schicken. Als Dr. Wollmann demgemäß den Religionsunterricht fortsetzte, wandten sich viele Eltern nach vergeblichen Eingaben an die Behörden zuletzt unmittelbar an Kaiser Wilhelm I., indem sie baten, ihre Kinder nicht ihres Glaubens wegen von dem Besuche einer stiftungsmäßig kath. Lehranstalt auszuschließen, sondern für die Erteilung eines kath. Religionsunterrichtes Sorge tragen zu wollen (19. 8. 1871). Auch die in Fulda versammelten preußischen Bischöfe baten in einer Immediateingabe um Aufhebung des Gewissenszwanges, der an den Schülern des Braunsberger Gymnasiums geübt werde. Da diesen Bittgesuchen nicht Rechnung getragen wurde, sank die Zahl der kath. Schüler im Herbst 1871 von 251 auf 88; die meisten der Abgegangenen suchten eine andere Anstalt, insbesondere Rößel, auf.

Die Braunsberger Vorgänge erregten in der ganzen kath. Welt Aufsehen. Selbst aus Italien, England, Irland und dem amerikanischen Pennsylvanien liefen Sympathiekundgebungen ein. In den katholischen Teilen Deutschlands wurden Sammlungen für die ausgewanderten Gymnasiasten veranstaltet. Im Dezember 1871 ging eine von 439 Familienvätern Braunsbergs und seiner Umgebung unterschriebene Petition an das preußische Abgeordnetenhaus ab, worin Abhilfe verlangt wurde. Bevor am 1. März 1872 dieses Gesuch in der Unterrichtskommission verhandelt wurde, hatte der neue Kultusminister Dr. Fall am Tage zuvor bestimmt, daß in den öffentlichen höheren Schulen eine Befreiung vom Religionsunterrichte zulässig sei, sofern ein genügender Ersatz dafür nachgewiesen sei. Im übrigen lehnte die Mehrheit der Kommission wie des Plenums trotz eingehender Begründung der Braunsberger Petition eine Einmischung in diese innerkirchlichen Dinge ab. Auf Grund der ministeriellen Verfügung übernahm Privatdozent Dr. Krause im Einverständnis mit dem Bischof alsbald den fakultativen Religionsunterricht am Gymnasium, an dem sogleich die meisten der kath. Schüler, die nunmehr auch von auswärts zurückkehrten, teilnahmen. Die Gymnasialkirche überwies der Minister im Februar 1874 den sogenannten Altkatholiken. Erst als zu Ostern 1876 Dr. Wollmann auf eine Oberlehrerstelle nach Köln versetzt und zum Herbst der Rektor der Wormditter Selekta Anton Matern mit der freigewordenen Religionslehrerstelle betraut wurde, fanden die Wirren am Gymnasium ihr Ende. Das bischöfliche Konvikt, das i. J. 1843 hauptsächlich für solche Schüler gestiftet worden war, die sich dem theologischen Studium widmen wollten, und dessen Neubau in den Jahren 1870—72 aufgeführt wurde, durfte laut Verordnung des Königsberger Piovinzial-Schulkollegiums seit 1873 keine neuen Zöglinge mehr aufnehmen, war damit auf den Aussterbeetat gesetzt und wurde erst im Oktober 1886 feierlich wiedereröffnet. Im Weltkriege für Lazarettzwecke verwendet, wurde es 1925 seinem ursprünglichen Zwecke wieder dienstbar gemacht und seither von Pallotinern aus dem Mutterhause Limburg a. L. geleitet.

Ähnlich wie am Gymnasium gestaltete sich die kirchenpolitische Entwicklung auch am kath. Lehrerseminar. Da Direktor Dr. Treibel trotz seiner Suspension den Religionsunterricht 219 weiter erteilte, eine Anwendung des Falkschen Dispens-Erlasses zunächst abgelehnt wurde, weil das Seminar keine höhere Schule sei und außerdem aus pädagogischen Gründen, petitionierten 3475 ermländische Familienväter an das Abgeordnetenhaus und erwirkten, daß im Februar 1873 die Befreiung vom Religionsunterricht auch auf das Seminar ausgedehnt wurde. Darauf schied die überwiegende Mehrheit der Seminaristen aus Treibels Religionsunterricht aus. Treibel wurde im Oktober 1876 versetzt.

 

Friedrich Michelis (1815 - 1886),

deutscher Philosoph und altkatholischer Theologe, Professor der Philosophie in Paderborn und Braunsberg.

 

Michelis, der 1870 wegen seiner Ablehnung des Unfehlbarkeitsdogmas exkommuniziert worden war und deshalb seine Professur in Braunsberg (Ostpreußen) aufgeben mußte, war einer der redegewandtesten Agitatoren gegen die römischen Herrschaftsansprüche und für die altkatholische Sache.
Der Vatikan exkommunizierte kurzerhand alle Unfehlbarkeitsgegner, ganz gleich, ob sie aus grundsätzlichen dogmatischen oder biblischen Gründen das Dogma ablehnten, oder ob sie Gegner der Ohrenbeichte, des Zölibats, der lateinischen Gottesdienstsprache, des kirchlichen Gebühren- und Ablaßwesens oder bestimmter religiöser Praktiken waren und schrieb damit den Bruch endgültig fest.

Am Lyzeum Hosianum verweigerten die Professoren Michelis und Menzel ihre Unterwerfung unter die Vatikanischen Konzilsbeschlüsse. Da sie gegen den Einspruch des Bischofs vom Staat in ihrem Amt belassen wurden, kamen ihre Vorlesungen für die Theologiestudenten nicht mehr zustande. Im September 1873 verfügte die Regierung die Einbehaltung der für das bischöfliche Priesterseminar ausgesetzten Mittel und verbot den Studierenden des staatlichen Lyzeums die Zugehörigkeit zum Priesterseminar. Daraufhin mußten die Studenten Privatwohnungen in der Stadt beziehen. Auch eine gemeinsame Bespeisung im Seminar und Andachtsübungen daselbst wurden im November untersagt. Nur die Kleriker des letzten Pastoralen Ausbildungsjahres durften im Seminar verbleiben, bis es im Dezember 1876 auch für diese auf staatlichen Befehl geschlossen wurde. Die bischöfliche Behörde sandte fortan ihre Kleriker nach dem bayrischen Eichstätt, bis nach Abbau der Kulturkampfgesetze im Oktober 1886 das verwaiste Steinhaus wieder von 24 Alumnen bezogen werden konnte.

Die kirchenpolitischen Kämpfe waren im Dezember 1871 der Anlaß zur Gründung der Ermländischen Volksblätter, die unter der gewandten Redaktion des ermländischen Kalendermannes Domvikars Julius Pohl rasch eine führende Bedeutung in der Provinzpresse gewannen. Seit Ende 1874 konnte die umbenannte Ermländische Zeitung in einer eigenen Druckerei erscheinen.

Katharinenschwestern unterrichteten wie in den anderen ermländischen Städten auch in Braunsberg an der katholischen Mädchenschule, für die sie außerdem die Klassenräume hergaben. Ein Erlaß des Ministers Fall vom Juni 1872 verbot die Zulassung von Klosterschwestern als Lehrerinnen an öffentlichen Volksschulen. Infolge der entstehenden erheblichen Mehrkosten sah das Gesetz jedoch eine gewisse Frist zur Durchführung vor. In Braunsberg wurden erst im Oktober 1877 die Schwestern mit dem Ausdrucke des Dankes für ihre langjährigen, erfolgreichen Dienste verabschiedet, das von ihnen neuerbaute Schulhaus an die Stadt vermietet. Auch das 1866 begründete Waisenhaus mußten die Katharinerinnen i. J. 1877 für mehrere Jahre aufgeben.

Bald aber wuchs der Wirkungskreis der Kongregation, die sich auch im Lazarettdienst der Kriege 1866 und 1870/71 bewährt hatte, ins Ungeahnte. Von ihrem Braunsberger Mutterhause aus übernahm sie nicht nur neue Kranken- und Siechenhäuser, Erziehungs- und Waisenanstalten, Haushaltungsschulen, Kindergärten und Schwesternstationen in der ganzen Diözese, seit 1908 griff ihre karitative Arbeit auch in die Großstadt Berlin über. Nach vorübergehender Auslandsbetätigung in Finnland (1877—82), St. Petersburg (1877—80) und England (1896—1915) ist ihr seit 1897 unter den deutschen Volksgenossen Brasiliens ein besonders dankbares Feld der Erziehung und Krankenpflege eröffnet worden. 230 Schwestern gehören jenem südbrasilianischen Zweige der Braunsberger Kongregation an, während es in Deutschland 600 sind. Bei dieser zentralen Bedeutung Braunsbergs für die ermländische kirchliche Wohlfahrtspflege war es naheliegend, daß die Stadt bei der Gründung des ermländischen Caritasverbandes i. J. 1906 auch zu dessen Vorort bestimmt wurde.

Von karitativen Anstalten der kath. Pfarrgemeinde seien anschließend hier erwähnt das St. Marienkrankenhaus, das einem Legat des Pfarrers Kampfsbach in Tolksdorf i. J. 1863 seinen Ursprung verdankt, allmählich ausgebaut wurde und 1913/14 durch einen Neubau erweitert wurde, so daß es eine Belegstärke von 120 Betten hat. Neben dem aus alten Stiftungen vereinigten St. Andreashospital bietet ein 1882 begründetes Siechenhaus jetzt Raum für 80 alte Leute. Das St. Elisabethstift wurde unter Erzpriester Reichelt 1915/16 für schulentlassene Fürsorgezöglinge errichtet, 1922 aber in ein Heim für kath. Magdalenen umgewandelt. Kindergärten in der Altstadt (1898 begründet) und in der Neustadt (1917), sowie ein vom jetzigen Erzpriester Prälat Schulz errichteter Kinderhort (1932) im Theresienheim, der früheren „Liedertafel", betreuen zahlreiche Kinder der Gemeinde. Ein Vereinshaus bietet seit 1872 den katholischen Vereinen Unterkunft.

Dem Geiste der inneren Mission entsprossen mehrere Wohlfahrtsanstalten der evangelischen Gemeinde. 1862 wurde ein Hospital für Alte, 1874 ein Waisenhaus, zum Lutherjubiläum i. J. 1883 das Martinsstift für Sieche und die Lutherkapelle errichtet. 1899 erbaute Superintendent Schawaller mit einem Kostenaufwand von 70 000 Mark ein neues Kranken- und Siechenhaus und 1906/07 mit Provinzialmitteln das Magdalenenstift für 70—80 weibliche Fürsorgezöglinge. Ein 221 Säuglingsheim im Neubau des Mädchen-Waisenhauses (1925) ist das letzte große Liebeswerk der evangelischen Gemeinde unter ihrem jetzigen Superintendenten Graemer. Das alte Schützenhaus ist i. J. 1894 angekauft und in ein Gemeindehaus umgewandelt worden.

Im ehemaligen Kreishaus am Bahnhof hat der Kreis i. J. 1908 ein Altenheim, im früheren Lazarettgebäude die Stadt i. J. 1926 ein Rentnerheim eingerichtet.

Am 24. April 1886 verstarb im Alter von fast 82 Jahren ein origineller Wohltäter der Stadt, der Seminardirektor a. D. Dr. Anton Arendt. 1804 in Wormditt geboren, hatte er in Braunsberg das Gymnasium und Lyzeum absolviert, als Kaplan dieser Stadt sich durch seine hingebende Seelsorge an Cholerakranken i. J. 1831 und seinen Unterricht an der Mädchenschule ausgezeichnet und war im Herbst 1833 zum Direktor des Lehrerseminars befördert worden, das er bis zu seiner Pensionierung i. J. 1868 leitete. Arendt schaffte sich durch eine Reihe trefflicher Lehrbücher, namentlich sein Lesebuch für die katholischen Volksschulen, einen anerkannten Ruf. Durch peinliche Sparsamkeit und kluge Verwaltung schuf er sich ein beträchtliches Vermögen, zu dessen Universalerben er die Stadt Braunsberg, in der er seit 1820 gelebt hatte, oder falls sie die Erbschaft ablehnen sollte, seine Vaterstadt Wormditt einsetzte. An liegenden Gründen (Häusern, Scheunen und Land in beiden Städten, aber auch Ländereien in Joinville in Brasilien) hinterließ er einen Wert von 14 000 Talern, an Wertpapieren und Schuldforderungen 20000 Tl. Dieses Erbe sollte der Grundstock einer wohltätigen Stiftung sein. Von den 1640 Tl. Jahreszinsen sollten 640 Tl. in der ersten Etatsperiode von 25 Jahren zu besonderen Unterstützungen und gemeinnützigen Zwecken für Kranke, Arme, Studierende, Waisen, Schwestern u. a. verausgabt, die restlichen 1000 Tl. auf Zinseszins angelegt werden, so daß das Gesamtkapital nach einem Vierteljahrhundert auf 61900 Tl. gestiegen sein sollte. Die 2. Etatsperiode sollte 20 Jahre umfassen; während dieser Zeit sollten jährlich 756 Tl. verausgabt, die Mehrzinsen von 2 000 Tl. aber wieder kapitalisiert werden, so daß das Gesamtvermögen i. J. 1921 die Höhe von 109000 Tl. erreicht haben sollte. Nach weiteren Perioden von 20 Jahren sollten zu Beginn der 6. Periode 467 900 Tl. und 18 996 Tl. Zinsen zur Verfügung stehen; dann sollte die Stiftung ihre volle Höhe erlangt haben und sämtliche Zinsen zur Verteilung kommen, davon 12 946 Tl. für gemeinnützige Zwecke vorwiegend in Braunsberg. Der Weltkrieg und die Inflation haben Arendts sorgfältige Zinseszinsrechnung über den Haufen geworfen. Zur Zeit beträgt die Jahresrente für Braunsberg rund 1800 M. Auf dem mit seiner Beihilfe gekauften Katharinenfriedhof in der Malzstraße birgt eine genau nach seinen Angaben erbaute Grabkapelle seine Leiche, die einbalsamiert werden mußte.

Bischof Augustinus Bludau (1862 - 1930)

Er hatte ich Braunsberg Theologie studiert, setzte seine  theologischen Studien in Münster fort und kehrte 1891 nach seiner Promotion zum Dr. theol. in die Heimat zurück. Nach drei Jahren Kaplanszeit in Braunsberg wurde er 1894 Subregens des Priesterseminars und Präfekt am bischöflichen Knabenkonvikt, 1895 ao. und 1899 o. Professor für Neues Testament in Münster. 1908/09 wurde er Bischof von Ermland. B. ist bekannt als Exeget und Förderer der Caritas. Ohne sein Bischofsamt zu vernachlässigen, blieb er seiner liebgewonnenen wissenschaftlichen Tätigkeit treu. In den Nöten und Sorgen der Kriegszeit und der Nachkriegsjahre bewährte sich B. als Bischof.

Im April 1884 war das 1. Jägerbataillon unter lebhaftestem Bedauern der Bürgerschaft nach Allenstein verlegt worden, und die Verstimmung darüber war so groß, daß die Feier des 600jährigen Stadtjubiläums in Frage gestellt war. Die frische Initiative des Prof. Dr. Dittrich wußte dann doch die Heimatliebe der Einwohner so zu entfachen, daß am 2. Juli in schlichtem Rahmen eine würdige Feier in der Stadt und im Stadtwalde veranstaltet wurde. Zwar erhielt Braunsberg als Ersatz für die Jäger ein Bezirkskommando, aber Garnison wurde es erst wieder im Oktober 1893, als zunächst in gemieteten Bürgerhäusern. Mt Oktober 1898 in den von der Stadt neuerbauten Kasernen das Füsilier-Bataillon des 3. Ostpreußischen Grenadier-Regiments König Friedrich Wilhelm Nr. 3 seinen Einzug hielt. Vom Oktober 1912 bis 31. Juli 1914 garnisonierte hier das 3. Bataillon des 5. Westpreußischen Infanterie-Regiments Nr. 148. Während des Weltkrieges war das Kasernement mit verschiedenen Ersatzabteilungen und Rekrutendepots, das Lazarett mit einem Reservelazarett belegt. In der Nachkriegszeit wurde es zu Wohnungen eingerichtet. Seit dem letzten Winter bietet ein Block der ostpreußischen Bezirksführerschule des Arbeitsdienstes Unterkunft.

Seitdem dem Braunsberger Großhandel durch die moderne Verkehrsentwicklung das Rückgrat gebrochen war, beruhte das Wirtschaftsleben der Stadt hauptsächlich auf dem gewerblichen Mittelstand. I. J. 1860 zählte man 381 Meister 313 Gesellen und 185 Lehrlinge in 44 Berufsgruppen. 1888 schlossen sich 15 Innungen zu einem Innungsausschuß zusammen. Von industriellen Unternehmungen entstanden neben der alten Amtsmühle im 19. Jahrhundert eine Seifenfabrik, die seit 1824 im Familienbesitz Sonnenstuhl befindliche Lederfabrik, i. J. 1828 eine Spritfabrik und 1854 die Bergschlößchen-Bierbrauerei, beides Unternehmungen des betriebsamen Jakob von Roy, 1879 die Wendelsche Ofenfabrik, 1885 die Filiale der Zigarrenfabrik Loeser und Wolff, 1896 die Feinlederfabrik Beiger. 1884 beschafften Braunsberger Kaufleute einen Dampfer für den Verkehr nach Pillau und Königsberg. Immerhin wurden i. J. 1905 zu Schiff nach Braunsberg 4 536, von der Stadt 3 982 Tonnen Fracht befördert. 223

Den Eisenbahnverkehr ins Ermland ermöglichte die 1884 eröffnete Strecke Braunsberg—Mehlsack, die hier auf die neue Linie Allenstein—Königsberg traf. Die Haffuferbahn, die von Braunsberg und Elbing aus die malerische Haffküste und Kahlberg dem Verkehr erschloß, wurde als Unternehmung einer Aktiengesellschaft erst 1899 in Betrieb genommen. Zu der ältesten Kunststraße der Provinz Königsberg—Elbing, die die ermländische Hauptstadt schon i. J. 1826 berührte, kam die Chaussee nach Mehlsack in den Jahren 1845—53 hinzu, während die anderen von Braunsberg ausgehenden Kunststraßen später, die Zagerer erst i. J. 1932 vollendet wurden.
Staatliche Behörden entschädigten die Stadt für die geschwundene Handelsbedeutung. Schon 1821 war das Stadtgericht und das kgl. Domänenjustizamt zu Braunsberg zu einem kgl. Land- und Stadtgericht vereinigt. 1849 wurden die Kreise Braunsberg und Heiligenbeil zu dem Kreisgericht Braunsberg mit mehreren Gerichtsdeputationen und Kommissionen zusammengefaßt. Nach der Justizorganisation d. I. 1879 wurde in Braunsberg ein Land- und Amtsgericht geschaffen, für das alsbald ein geräumiger Neubau aufgeführt wurde. I. J. 1890-1891 wurde das preußische Landgestüt Braunsberg begründet, dessen Bezirk zur Zeit die Kreise Braunsberg, Heilsberg, Allenstein, Elbing, Pr. Holland, Mohrungen, Heiligenbeil, Pr. Eylau, Fischhausen, Königsberg und Wehlau umfaßt. Der Hengstbeftand beträgt 107 Hengste, davon 69 Warmblüter und 38 Kaltblüter, die auf 45 Deckstellen verteilt sind.

Schon frühzeitig i. J. 1867 erbaute die Stadt eine Gasanstalt, 1881 wurde das Schlachthaus eröffnet, das 1900 erweitert wurde. Unter der besonnenen Amtsführung des Bürgermeisters Heinrich Sydath (1890—1917), dessen Gedächtnis in einer neuen Straße fortlebt, wurde das städtische Wasserwerk errichtet, das im Februar 1897 in Betrieb genommen werden konnte. In seine Amtszeit fällt die durchgreifende, wohlgelungene Erneuerung der St. Katharinenkirche durch Erzpriester Anton Matern, durch die das ehrwürdige mittelalterliche Gotteshaus in verjüngter Schönheit erprangte (1891—97). 1910/11 wurde die Kanalisation der Stadt durchgeführt. Der Abschluß dieses über 500 000 M. kostenden Werkes war der Anlaß zu einer Ehrung der Stadt. Regierungspräsident Dr. Graf von Keyserlingk gab in einer Festsitzung der städtischen Körperschaften am 25. Januar 1912 unter anerkennenden Worten bekannt, daß dem Bürgermeister Sydath das Recht zum Anlegen einer goldenen Amtskette, dem Stadtverordnetenvorsteher Justizrat Mehlhausen der Rote Adlerorden 4. Klasse verliehen sei. Als Sydath zum Oktober 1917 in den Ruhestand trat, wurde er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Im Alter von 83 Jahren starb er 1931 in Neukölln bei Berlin.

Heinrich Sydath (1848 - 1931)
Bürgermeister der Stadt Braunsberg (1890 - 1917)

Zum Bild: Heinrich Sydath gehört neben Simon Wichmann (1581 - 1638, Bürgermeister während der Schwedenherrschaft im 30jährigen Krieg) und Kommerzienrat Johann Oestreich (1750 - 1833, Kgl. Kommissar und Begründer des neuen reformierten Bildungswesens) zu den Männern, die die Geschichte der Stadt Braunsberg entscheidend geprägt haben. Unter seiner besonnenen Amtsführung wurde u. a. das städtische Wasserwerk erbaut und die St. Katharinenkirche neugotisch ausgestattet. Höhepunkt in der 27-jährigen Amtszeit Sydaths war die Einweihung des städtischen Kanalisationssystems. In einer Festsitzung der städtischen Körperschaften am 25. Januar 1912 teilte der Regierungspräsident Dr. Graf von Keyserlingk dem Braunsberger Bürgermeister Sydath mit, daß der König ihm das Recht verliehen habe, eine goldene Amtskette zu tragen. Während des Ersten Weltkrieges hat Bürgermeister Sydath durch besonnenes Handeln größere Not von der Bevölkerung seiner Stadt abgewendet.

Braunsbergs jahrhundertealter Ruf als Schulstadt hat sich bis in die Gegenwart behauptet. Zu den früheren Lehrstätten kam i. J. 1887 als eine der ersten landwirtschaftlichen Schulen der Provinz die Braunsberger hinzu, die i. J. 1912 ein eigenes Heim erhielt. Seit 1926 ist ihr eine Hauswirtschaftliche Abteilung für Mädchen angegliedert. Eine besonders blühende Entwicklung nahm die kath. höhere Mädchenschule, die i. J. 1909 22 Klassen umfaßte und in vier Zweige zerfiel: zwei Seminare für höhere Lehrerinnen und Volksschullehrerinnen, eine dreiklassige Präparandie, eine zehnklassige höhere Mädchenschule und eine achtstufige dreiklassige Übungsschule. Die verdiente Leiterin Elisabeth Schröter hatte die Freude, daß diese wichtigste ermländische Bildungsstätte für die weibliche Jugend i. J. 1909 vom Minister anerkannt wurde und als Lyzeum und Oberlyzeum i. J. 1917 den Namen Elisabeth-Schule erhielt. Während der kritischen Inflationsjahre i. J. 1922 mit der evangelischen höheren Mädchenschule vereinigt und auf den städtischen Haushalt übernommen, wurde die Elisabeth-Schule, deren Aufgabenkreis mit der Reform der Lehrerinnenbildung eingeschränkt worden war, als öffentliche höhere Lehranstalt am 1. April 1925 anerkannt. Die das frühere katholische Lehrerseminar in seinen Klassenräumen ablösende Schloßschule ist 1922 als deutsche Oberschule in Aufbauform begründet und führt in sechs Jahren zur Reifeprüfung. Die 1906 eingerichtete Berufsschule umfaßt eine gewerbliche, eine kaufmännische und eine hauswirtschaftliche Abteilung und eine Haushaltungsschule. Eine Kraftfahrzeug-Mechanikerschule mit halbjährigen Kursen wurde 1928 vom Mechaniker-Innungsverband Ostpreußens eingerichtet. Als neueste Bildungsstätte ist die Bezirksschule für den Arbeitsdienst am 18. Januar 1934 feierlich eröffnet worden.

Katholische St. Katharinenpfarrkirche

Evangelische Pfarrkirche

Braunsbergs jahrhundertealter Ruf als Schulstadt hat sich bis in die Gegenwart behauptet. Zu den früheren Lehrstätten kam i. J. 1887 als eine der ersten landwirtschaftlichen Schulen der Provinz die Braunsberger hinzu, die i. J. 1912 ein eigenes Heim erhielt. Seit 1926 ist ihr eine Hauswirtschaftliche Abteilung für Mädchen angegliedert. Eine besonders blühende Entwicklung nahm die kath. höhere Mädchenschule, die i. J. 1909 22 Klassen umfaßte und in vier Zweige zerfiel: zwei Seminare für höhere Lehrerinnen und Volksschullehrerinnen, eine dreiklassige Präparandie, eine zehnklassige höhere Mädchenschule und eine achtstufige dreiklassige Übungsschule. Die verdiente Leiterin Elisabeth Schröter hatte die Freude, daß diese wichtigste ermländische Bildungsstätte für die weibliche Jugend i. J. 1909 vom Minister anerkannt wurde und als Lyzeum und Oberlyzeum i. J. 1917 den Namen Elisabeth-Schule erhielt. Während der kritischen Inflationsjahre i. J. 1922 mit der evangelischen höheren Mädchenschule vereinigt und auf den städtischen Haushalt übernommen, wurde die Elisabeth-Schule, deren Aufgabenkreis mit der Reform der Lehrerinnenbildung eingeschränkt worden war, als öffentliche höhere Lehranstalt am 1. April 1925 anerkannt. Die das frühere katholische Lehrerseminar in seinen Klassenräumen ablösende Schloßschule ist 1922 als deutsche Oberschule in Aufbauform begründet und führt in sechs Jahren zur Reifeprüfung. Die 1906 eingerichtete Berufsschule umfaßt eine gewerbliche, eine kaufmännische und eine hauswirtschaftliche Abteilung und eine Haushaltungsschule. Eine Kraftfahrzeug-Mechanikerschule mit halbjährigen Kursen wurde 1928 vom Mechaniker-Innungsverband Ostpreußens eingerichtet. Als neueste Bildungsstätte ist die Bezirksschule für den Arbeitsdienst am 18. Januar 1934 feierlich eröffnet worden.

Abtransport russischer Gefangener nach der Schlacht bei Tannenberg, September 1914 - im Zusammenhang mit den Kämpfen in Ostpreußen

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges drangen zwei russische Armeen von Osten und Süden in Ostpreußen ein. Nach der deutschen Niederlage von Gumbinnen (20.08.1914) flohen große Teile der ostpreußischen Bevölkerung bis hinter die Weichsel. Der Süden des Kreises Braunsberg wurde von russischen Truppen besetzt, die Stadt Braunsberg selbst wurde nicht direkt bedroht. Hindenburgs Erfolge in der Schlacht bei Tannenberg (26. 30.08.1914) mit der Vernichtung der russischen NarewArmee und in der Schlacht an den masurischen Seen (06. - 15.09.1914) mit der schweren Niederlage der Njimen-Armee bedeuteten das Ende des russischen Vormarsches und den Beginn der Rückeroberung Ostpreußens. Die Stadt Braunsberg blieb von den Auswirkungen des Krieges nicht verschont. 400 Männer fielen an der Front, eine große Zahl Flüchtlinge wurde in der Stadt aufgenommen. Der durch die Kampfhandlungen bedingte Verlust der Ernte führte zur Lebensmittelknappheit. Zur Milderung der Not übernahm die Stadt Münster eine Kriegspatenschaft über Braunsberg.

Die ruhige, aufstrebende Entwicklung des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens der Stadt erfuhr durch die schon lange drohende katastrophale Entladung des Weltkrieges einen schweren Rückschlag. Erhebend die Begeisterung, mit der rund 100 der 347 Gymnasiasten bis zum Alter von 16 Jahren als Freiwillige zu den Waffen eilten, die Opferwilligkeit, mit der die ganze Einwohnerschaft in der Ablieferung von Gold, Zeichnung von Kriegsanleihen, der Liebestätigkeit für die Feldgrauen und Lazarettkranken, in allen möglichen Sammlungen ihre Liebe zum Vaterland bekundete. Zwar wurde die Stadt nicht unmittelbar von den Schrecknissen des Russeneinfalls 225 betroffen wie die meisten Gebiete der Provinz, aber den Jammer der Flüchtlinge, die Sorge um das Schicksal ihrer Söhne, die steigende Not an Lebensmitteln und den verschiedensten Bedarfsstoffen durchkostete auch sie in der zuversichtlichen Hoffnung, daß das Durchhalten zum endlichen Siege führen müsse. Über 3000 Braunsberger Männer und Jünglinge, d. h. fast jeder 4. Einwohner, zogen nach und nach mit Gott für Kaiser und Reich an die verschiedensten Fronten, und nicht weniger als 400 von ihnen sind den Heldentod gestorben.


X. Ausklang

Eine spätere Zeit wird das buntbewegte, erschütternde Geschehen der Nachkriegsjahre eingehend schildern und sicherer beurteilen: die lähmende Kunde der militärischen Katastrophe unserer Verbündeten und der dadurch notwendigen eigenen Waffenstillstandsverhandlungen; das folgenschwere Unheil der Novemberrevolution mit ihren Arbeiter- und Soldatenräten; die auflegenden Bemühungen des demokratischen Parlamentarismus, über die Revolutionspsychose zu geordneten Verhältnissen zu gelangen; das unsagbare Verhängnis des Versailler Friedensdiktats; die demoralisierenden Auswirkungen der unglaublichen Inflation; die Geißel der Arbeitslosigkeit mit ihren gewaltigen Soziallasten: die fortschreitende Verschuldung der Gemeinden und die Verarmung breitester Volksschichten.

Trotzdem hat die Braunsberger Stadtverwaltung unter den schwieligsten Wirtschaftsverhältnissen während der Amtszeit der Bürgermeister Gandy (1917—29) und Kayser (seit 1929) große Aufgaben zur Durchführung gebracht. So erhielt die Stadt im November 1919 von der Kreisüberlandzentrale elektrisches Licht. Die aus dem städtischen Elektrizitätswerk (Stromquelle jetzt das Überlandwerk Ostpreußen), Gas- und Wasserwerk 1926 vereinigten Technischen Werke bilden heute eine Haupteinnahmequelle der Gemeinde und setzten im letzten Rechnungsjahre 695000 Kubikmeter Gas, 251000 Kubikmeter Wasser und 756000 Kilowatt elektrische Energien um. 1920 wurde mit den durch die drückende Wohnungsnot gebotenen Randsiedlungen begonnen, die an der Peripherie der Alt- und Neustadt ganze Straßenzüge neu erstehen ließen. In demselben Jahre wurde ein durchgreifender Umbau des Rathauses vorgenommen. Pflasterungen erneuerten fast das ganze Straßennetz der Stadt. 1926/27 wuchs in der Ackerstraße ein neuzeitliches Schulgebäude für die katholische Mädchenvolksschule und die evang. Volksschule empor. Das Haus, das bis dahin der evang. Volksschule gedient hatte, wurde zu einer Haushaltungsschule umgebaut. Der Errichtung der staatlichen Aufbauschule, mit der die Stadt erhebliche dauernde finanzielle Leistungen übernahm, und der Verstadtlichung der Elisabethschule wurde schon vorher gedacht, ebenso des Umbaus und der Verwendung des Kasernements zu Wohnzwecken und zur Einrichtung eines Rentnerheims. Den Bemühungen des Erzpriesters Schulz gelang die Übereignung der barocken Kreuzkirche an den Redemptoristenorden i. J. 1923: ein stilgemäß ausgeführter Anbau schuf 1923—25 den Patres Kloster und Kapelle. Das 1920 im alten Oestreichschen Geschäftshaus untergebrachte Finanzamt konnte 1932 seinen schlichten Neubau in der Malzstraße, die 1905 begründete Reichsbanknebenstelle im selben Jahre 1932 ein hochgiebliges Eigenheim in der Magazinstraße beziehen. Der 1931 erbaute 30 Meter hohe Wasserturm, der einem namentlich bei Feuersbrünften in den höher gelegenen Stadtteilen dringend empfundenen Bedürfnis abhelfen sollte, erinnert in seiner monumentalen Sachlichkeit an ein modernes Hochhaus. Vornehme Schlichtheit und Zweckmäßigkeit charakterisieren auch das neue Priesterseminar, das am 23. August 1932 durch den päpstlichen Nuntius Orsenigo seine festliche Weihe erfuhr. Mitten in der Finanzkrise d. J. 1931 erfolgte auf dem Gymnasialhof der Abbruch des Direktorwohngebäudes und der Turnhalle, um dem lange erstrebten Erweiterungsflügel Raum zu bieten. Das am 22. Oktober 1933 feierlich enthüllte Kriegerdenkmal am alten Stadtgraben hält in seiner eindringlichen Sprache neben den Gedenktafeln der Pfarrkirchen und Anstalten das Gedächtnis an die im Weltkriege gefallenen Söhne der Stadt fest. Eine neue, notwendige Wasserversorgungsanlage wird zum Stadtjubiläum in Betrieb gesetzt. Wie der Kunstverein, suchte auch eine gute Waldbühne dem Kunstleben der Stadt rege Impulse zu geben. Die Arbeiten des 1877 begründeten Verschönerungsvereins, der sich um die Grünanlagen der Stadt dankenswerte Verdienste erworben hat, hat neuerdings die Stadtverwaltung selbst übernommen und im Zusammenhang mit den Schrebergärten an der Oberpassarge und im Rodelshöfer Grund Schmuckanlagen und Wege geschaffen, die um so begrüßenswerter sind, als das Weichbild der Stadt an schönen Spaziergängen nicht eben reich ist. 227

Anmerkung des Webmasters: Ich benutze hier in tiefer Trauer, daß dieses schöne Braunsberg untergegangen ist, die Gelegenheit, 71 Jahre nach Drucklegung der Festschrift die folgenden Anmerkungen zu machen: "Die Festschrift erhielt nach Auskunft von Frau Katharina Buchholz (Stuttgart) von den Nationalsozialisten nicht die Druckerlaubnis, bevor ihr Vater, Studienrat Franz Buchholz, nicht die Ausführungen mit dem Hinweis auf den Führer und Reichskanzler formuliert hatte."

Am 30. Januar 1933 ging das Sehnen ungezählter Volksgenossen in Erfüllung. Der einfache Soldat des Weltkrieges Adolf Hitler wurde von dem ruhmreichen Generalfeldmalschall von Hindenburg als Reichskanzler zur Führung der Reichsregierung berufen. In ungeahnter Einheit wußte er das zerklüftete deutsche Volk zusammenzufassen. Mit erstaunlicher Kraft wurden alte Formen gesprengt und der Aufbau des dritten Reiches ins Werk gesetzt.

Auf wirtschaftlichem Gebiet wirkte sich die neue Zeit am deutlichsten in der fast völligen Beseitigung der städtischen Arbeitslosigkeit aus: Hatte in den letzten Jahren die Zahl der Unterstützungsempfänger in Braunsberg am 1. April 1930 — 632, 1931 - 1145, 1932 - 1111 und 1933 - 1167 betragen, so sank sie am 1. April 1934 auf 81; am 1. Oktober 1933 waren es sogar nur 14 gewesen. Die offiziellen Organisationen der NSDAP erfaßten auch die Bevölkerung der Stadt in schnell wachsendem Maße. Der vom Geiste des Führers getragenen Bezirksschule des Arbeitsdienstes folgte im Frühjahr die Errichtung eines Brigadestabes der SA.

Den Bevölkerungsstand der Stadt zeigt uns das Ergebnis der Volkszählung vom 10. Oktober 1933. Danach zählte die Stadt 15 353 Einwohner gegen 14031 i. J. 1925. An Geburten wurden i. J. 1933 323 (1932: 303), an Sterbefällen 214 (233) und an Eheschließungen 126 (102) standesamtlich verzeichnet. Noch sei folgende Schulenfrequenz angefügt: Die Hindenburgschule (kath. Knabenschule) zählt zur Zeit 786 Schüler, die kath. Adolf-Hitler-Schule (Mädchenschule) 839, die evg. Adolf-Hitler-Schule (Volksschule) 651, die Berufsschulen 368, die Haushaltungsschule 16. die Elisabethschule 256, das Gymnasium 322, die Schloßschule 86, die Landwirtschaftsschule 62 Schüler und 20 Schülerinnen, die Bezirksschule über 200 Schüler, die Akademie 103 Studierende.

Möge dem ernsten Wollen und starken Ringen des Führers der ersehnte Erfolg beschieden sein zu des Vaterlandes Wohlfahrt, Freiheit und Größe! Möge der Schutz des Allmächtigen auch fürderhin über der guten, alten Stadt Braunsberg walten und sie in Gnaden geleiten in eine glückliche Zukunft!

 

XI. Das Ende

Der Erste Bürgermeister bei Beginn der Ära des Nationalsozialismus und auch noch zur Zeit des Stadtjubiläums war der Münsteraner Ludwig Kayser. Nach den beiden juristischen Staatsprüfungen wandte er sich der kommunalen Laufbahn zu und wurde Stadtassessor in Trier. Als solchen wählte ihn das Braunsberger Stadtparlament 1929 zum Ersten Bürgermeister der Passargestadt.

Von seiner Bewerbung und Wahl wird Folgendes berichtet: Als Kayser schließlich von über 60 Bewerbern übrig blieb, teilten ihm die Braunsberger Parlamentarier mit, dass er zwar den Anforderungen voll genüge, daß man ihn aber trotzdem nicht nehmen könne. Auf seine Frage, warum das denn nicht, erhielt der die Antwort, weil er Rheinländer sei - und Trier, wo er doch wohne und arbeitete, sei nun einmal Rheinland! Als er dann erklärte, daß er erst nach seinem Studium in Trier angefangen habe, und daß er als Münsteraner ein waschechter Westfale sei, war er eingestellt: "Na, ein Westfale, der paßt anders als ein Rheinländer eben zur ermländischen Art!"

Kayser, selbst Mitglied der Zentrumspartei, zeigte ein kritisch-distanziertes Verhältnis zum Nationalsozialismus. So ließ er z. B. am 6. März 1933 morgens die Hakenkreuzfahne entfernen, die in der Nacht zuvor eine Gruppe uniformierter SA- und SS-Männer, die sich gewaltsam Zugang zum Rathaus verschafft hatten, auf dem Rathausturm gehisst hatten. Und es gelang ihm auch durch geschickte Verteidigung ("Katz- und Mausspiel"), daß seine Maßnahme akzeptiert wurde.  Man brauchte den geschickten Organisator ja wohl auch noch zur 650Jahrfeier.

Jedoch war ein solcher Erster Bürgermeister für die nationalsozialistischen Machthaber im Reich auf Dauer nicht tragbar. So wurde er 1935 in den Ruhestand versetzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Kayser von 1946 bis 1964 als Oberstadtdirektor in Bocholt tätig. Er hat insbesondere die Patenschaft der Städte Braunsberg und Münster begründet und gefördert. Darüber hinaus galt sein besonderes Interesse der Geschichte Braunsbergs, des Ermlandes und Ostpreußens.

Sein früher Ruhestand als Braunsberger Erster Bürgermeister könnte für uns Braunsberger heute von Vorteil sein, denn er konnte alle seine privaten Unterlagen und Erinnerungsstücke bei seinem Umzug in den Westen mitnehmen. Sie befinden sich heute im Stadtarchiv in Münster und harren der Auswertung.

Anmerkung des Webmasters: Mein Onkel Gregor Preuschoff konnte sich noch erinnern, wie Ludwig Kayser am sonntäglichen Hochamt in der St. Katharinenkirche auf einem für ihn als Bürgermeister reservierten Platz teilnahm.

Ludwig Kayser hat seine besonderen Erlebnisse als nichtangepaßter Bürgermeister in der Nazizeit in einem Brief zusammengefaßt, bitte klicken Sie HIER!

Ludwig Kayser, Erster Bürgermeister von Braunsberg 1929 - 1935
* 1899, + 1984 - jeweils Münster/Westf.

Der Bürgermeister trägt die dem Bürgermeister Sydath 1913 verliehene Amtskette, die nach 1935 eingeschmolzen und durch eine Bernsteinkette ersetzt wurde.

 

Die Nachfolger im Amt des Ersten Bürgermeisters, Petrusch (1935 - 1938) und Mayer (1939 - 1941), waren nur noch Marionetten der nationalsozialistischen Machthaber.

 

Von der Staatlichen Akademie sind während der "Endphase Braunsbergs" drei Professoren besonders in Erscheinung getreten: Das waren zunächst einmal die beiden Professoren Barion und Eschweiler, die ein Gutachten zur Euthanasie im Sinne der Nationalsozialisten angefertigt hatten, siehe den Beitrag von Dr. Hans Preuschoff  "Zur Suspension der Braunsberger Professoren Eschweiler und Barion im Jahre 1934".

 

Und dann war das noch der Luxemburger Joseph Adam Lortz. Er wurde besonders bekannt im Zusammenhang mit seiner Reformationsforschung, die bestimmt ist von einem historischen Verständnis für Martin Luther und sein Anliegen.

Ein anderer Professor im Zusammenhang mit Braunsberg war Max Meinerz (1880 - 1965). Doch er war zwar in Braunsberg geboren und hatte auch hier an der Staatlichen Akademie sein Studium begonnen, doch bis auf eine kurze Tätigkeit als außerordentlicher Professor an der Staatlichen Akademie von 1907 bis 1909 spielte sich seine Lebenswirklichkeit im Westen ab, vor allem in Münster.

 

Joseph Adam Lortz, deutscher katholischer Kirchenhistoriker (1887 - 1975)

Professor in Braunsberg, Münster und Mainz. Lortz war einer der letzten Professoren an der Staatlichen Akademie in Braunsberg.

 

Das Ende 1945 kennen wir, die Zerstörung Braunsbergs, die Flucht vieler über das zugefrorene Haffe, die Vertreibung...

 

 

Ruinen der Pfarrkirche St. Katharina

 

 

Seit 1945 hat die Stadt Braunsberg einen polnischen Namen. Die durchaus noch wiederaufbaufähigen Ruinen von Rathaus und Altstadt wurden abgerissen und das freie Gelände wurde in der kommunistischen Zeit lieblos teilweise zugebaut. Lediglich die Pfarrkirche St. Katharina wurde dank der Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland in den 80er Jahren, also noch zu kommunistischer Zeit, wieder aufgebaut. Die Polen witzelten, dass man so viel Geld bekommen und die Devisensituation so gut ausgenutzt habe, dass man von dem Geld nicht nur eine, sondern drei Kirchen bauen konnte.

 

 

Eine polnische Stadt mit der wiederaufgebauten Pfarrkirche St. Katharina...

 

Und noch etwas Interessantes aus dem Anhang:

Ergänzend sei hier noch zugefügt, daß am 1. September 1880 auf dem Platze des heutigen evangelischen Gemeindehauses von Bürgermeister Maraun eine Gewerbeausstellung für das Ermland und den Kreis Heiligenbeil eröffnet wurde, die gegenüber der wachsendes Großindustrie die Erzeugnisse des Kleingewerbes vorführen sollte. In 13 Gruppen wurde eine umfassende, ansprechende Schau geboten, die zahlreiche Zuschauer von nah und fern anlockte. Zur Erinnerung an diese Ausstellung fand Anfang September 1930 eine Jubiläums-Ausstellung in beiden Vereinshäusern statt, die ebenfalls tüchtige Leistungen des Heimatgewerbes aufwies, wenn auch ihre Anziehungskraft nicht mehr so weit reichte wie vor einem halben Jahrhundert.
Noch sei der großen Überschwemmung gedacht, die das Hochwasser der Passarge am Karfreitag, 29. und Karsamstag 1888 im Weichbilde der Stadt verursachte. Schon an der Kreuzkirche sperrten gewaltige Eisbarrikaden dem reißenden Strom den Abfluß. In breiten Fluten ergoß er sich weithin über die Aue. Die Neustadt bildete vom Bahnhof bis zur Seeligerstraße einen 3—4 Fuß tiefen See, der von Kähnen und Flößen befahren wurde. Nur die höher gelegene Altstadt ragte wie eine Insel aus dem Meere empor, die Mühlenbrücke wurde schwer beschädigt, hielt aber stand. Im Patschwinkel wurden die Parterrewohnungen durch Ausheben der Fußböden und Aufweichen der Wände unbrauchbar gemacht. Hunderte frierender und hungernder Menschen waren auf die Hilfe ihrer Mitmenschen angewiesen. Erst am 2. Feiertag war das Wasser aus den Straßen verschwunden.
Von einer systematischen Darstellung der städtischen Verfassung, des Rechts- und Zunftswesens wurde in diesem Buche abgesehen, da hierfür bereits von Lilienthal grundlegende Arbeiten vorhanden sind (Wermke Nr. 7505—09, 7512) und ihre Wiedergabe den Rahmen der Schrift gesprengt hätte.
 

Quellen und Personenverzeichnis  (unkorrigiert)

Plan der Alt- und Neustadt Braunsberg

(Gezeichnet nach der farbigen Originalkopie aus dem Jahr 1692 im Schwedischen Kriegsarchiv zu Stockholm.)


Besprechungen

Hans Schmauch: Franz Buchholz, Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte.
Festschrift zum 650jährigen Stadtjubiläum am 23. und 24. Juni 1934. - IV und 239 S. mit 7 Abbildungen und 2 Stadtplänen. Braunsberg, Erml. Zeitungs- und Verlagsdruckerei 1934.
Das 650jährige Ortsjubiläum hat der Stadt Braunsberg einen gut orientierenden Gesamtüberblick über ihre Geschichte gebracht. Die Festschrift stammt aus der Feder von Franz Buchholz, der bereits durch seine "Bilder aus Wormditts Vergangenheit" seine vorzügliche Befähigung zu einer wissenschaftlich gut fundierten und dabei doch durchaus volkstümlichen Darstellung bewiesen hat (vgl. diese Zeitschrift Bd. 73 - 1930 - S. 257 ff.).
Als größte Stadt des Ermlandes hat Braunsberg immer hervorragenden Anteil an den geschichtlichen Begebenheiten des alten Fürstbistums gehabt, zumal die Lage an der wichtigsten Übergangsstelle über die untere Passarge der Stadt eine starke militärische
Bedeutung gab, die fast in allen Kriegen der Vergangenheit deutlich in die Augen springt. Dazu war Braunsberg bis ins 19. Jahrhundert hinein der Haupthandelsplatz des Ermlandes; in seiner Frühzelt rechnete es zu den 6 großen Städten des Preußenlandes und gehörte mehrere Jahrhunderte hindurch der deutschen Hansa an. Seit der Regierung des Kardinals Hosius ward es dann als Stadt der Schulen und als Brennpunkt der katholischen Glaubenserneuerung auch der geistige Mittelpunkt des Ermlandes, Dieser hervorragenden Stellung, die Braunsberg in politischer und militärischer, in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht gegenüber den anderen ermländischen Städten eingenommen hat, trägt der Verfasser in seiner Festschrift voll und ganz Rechnung.
Entsprechend dem Zweck seiner Arbeit, die Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte zeigen soll, hat Buchholz das Hauptgewicht auf einen geschichtlichen Überblick gelegt, der die Ergebnisse der mannigfachen Einzeluntersuchungen zur Geschichte Braunsbergs und überhaupt des Ermlandes zusammenfaßt. Darüber hinaus aber ist der Verfasser öfter auch zu neuen Auffassungen gekommen, die sich ihm aus der Gesamtschau der Braunsberger Geschichte ergaben. Das gilt vor allein für die älteren Zeiten der Passargestadt. Gelegentlich kommen dabei auch für die gesamtermländische Geschichte neue Resultate heraus. So versucht Buchholz die Tatsache, daß Bischof Heinrich I. Flemming gegen Ende seines Lebens mehrere Jahre (1298-1300) außerhalb seines Bistums weilte, aus dem scharfen Gegensatz zu erklären, der sich wegen der Gründung des Franziskaner-klosters innerhalb der Stadtmauern zwischen dem Bischof und den Bürgern Braunsbergs herausgebildet hatte und den erst Flemmings Nachfolger Eberhard von Neisse durch die Verlegung des Klosters vor die Tore der Stadt beilegte (S. 13 f.). Diese Deutung erscheint mir viel ansprechender als die Erklärung Röhrichs (Geschichte des Fürstbistums Ermland S. 58), Flemming habe im Thüringerlande neue Ansiedler für sein Bistum zu werben gesucht. Ganz abgesehen davon, daß eine Reise im vorgerückten Alter zu diesem Zwecke nicht gerade sehr wahrscheinlich ist, spürt man in der Folgezeit im Ermland kaum irgendwelche Erfolge einer solchen Werbefahrt.
Beachtenswert ist auch die neue Deutung, die der Verfasser für das älteste bekannte Siegel der Stadt gibt, das jetzt wieder im Gebrauch ist. In der das Mittelfeld beherrschenden Linde sieht er den Schuhbaum der ganzen Gemeinde, in dem rechts davon dar» gestellten Drachen das Symbol des Teufels und des Heidentums, während der Hirsch auf der linken Seite als Feind des Drachens Christus, den Überwinder der Hölle, versinnbildet. Das Ganze deutet B. als "Sieg des Christentums über das Heidentum", als "Triumph der christlich-deutschen Kultur über die heidnisch-preußische" (S. 11 f.).
Den Namen Brunsberg (= Braunsberg) bringt der Verfasser gleich Röhrich mit dem altpreußischen Brusebergue (= preußisches Lager) in Verbindung (S. 2 und 4 f). Zur weiteren Stütze dieser Ansicht sei darauf hingewiesen, daß die älteste uns überlieferte Form des Wortes "Preußen" in dem Reisebericht des spanischen Juden Ibrahim ibn Jakub (etwa aus dem Jahre 965) mit "Brus" wiedergegeben ist (W. Gaerte, Urgeschichte Ostpreußens - 1929 - S. 357).
Bei einem solchen Gesamtüberblick, wie Buchholz ihn hier für die Geschichte Braunsbergs bietet, wird man leicht einmal den Wunsch haben, dies und jenes auch noch berücksichtigt zu sehen. (So hätte, um nur ein Beispiel zu nennen, bei dem S. 108 genannten Braunsberger Buchdrucker Georg Schönfels auch der von ihm 1616 besorgte Druck der „Privilegia der Stände deß Hertzogthumbs Preußen" Erwähnung finden können, zumal dieses Buch bis heute als einziger preußischer Druck den vollständigen Wortlaut der Friedensverträge von 1466 und 1525 enthält.) Dem Verfasser konnte es aber nicht so sehr auf die Sammlung möglichst vieler Einzelheiten ankommen, sondern er hatte die große Linie der geschichtlichen Entwicklung der Passargestadt aufzuzeigen — und diese Aufgabe ist ihm gut gelungen. Erfreulicher Weise sind ein kurzer Anhang, der auf 4 Seiten das allerwichtigste aus der umfangreichen Literatur bietet, und ein Personenverzeichnis beigegeben, das namentlich den Familienforschern erwünscht sein dürfte. Nimmt man noch die allgemein verständliche, gefällige Darstellungsweise des Verfassers und die zwar bescheidene, aber ansprechende äußere Ausstattung des Buches (9 gute Abbildungen bezw. Stadtpläne) hinzu, so kann man abschließend sagen: »Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte' gehört zu den besten Ortsgeschichten des Preußenlandes

H. Kleinau: Franz Buchholz, Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte. Festschr. zum 650jährigen Stadtjubiläum am 23. und 24. Juni 1934. Mit 9 Abb. Braunsberg 1934. II, 239 S. 8'.
Die Hauptstadt des Ermlandes hat zu ihrer 650jährigen Gründungsjubelfeier die erste zusammenfassende, bis auf die neueste Zeit fortgeführte Stadtgeschichte erhalten. Aus seiner reichen Sachkenntnis heraus hat der bekannte Erforscher ermländischer Geschichte seinen Mitbürgern eine schöne Festgabe und ein Denkmal großer Heimatliebe geschenkt. — In neun einleuchtend gegliederten Abschnitten, die ein kurzer Ausklang mit einigen Mitteilungen über die Ereignisse und über die Entwicklung der Stadt in der Nachkriegszeit beschließt, wird uns die politische Geschichte der alten, von der Mitte des 14. bis zum Anfang des l7. Jhdts. der Hanse angehörenden Stadt vor Augen geführt. Der Verf. hat das Buch in der Hauptsache auf sorgfältig herangezogenem Schrifttum aufgebaut, dazu aber verschiedentlich Neues gegeben und frühere Meinungen sorgfältig gegeneinander abgewogen. Neben einer altpreußischen Siedlung wurde — nach Zerstörung einer vorübergehend angelegt gewesenen Befestigung — unter Führung des Lübecker Ratsherrnsohnes Johann Fleming die Stadt 1250 gegründet. Aber erst nach dem Ende der langjährigen Aufstände i. J.1273 konnte der endgültige Bau der Stadt durch neue niedersächsische Einwanderer beginnen und am 1. 4.1284 durch Verleihung einer Handfeste gekrönt werden. Die dem Verfasser zur Verfügung stehende Zeit war wohl zu knapp, um gerade die mittelalterliche Geschichte Braunsbergs mehr unter allgemeinen Gesichtspunkten darzustellen. Gerade bei einer Tochterstadt Lübecks reizt doch der Versuch, Gemeinsamkeiten in der Entwicklung der städtischen Verfassung, des in den Stadtbüchern überlieferten an» gewandten Rechts, im Aufbau der Stadt und in der Zusammensetzung ihrer Bevölkerung ganz besonders hervorzuheben und früher etwa gewonnene Ergebnisse mit allen neustens an den Lübecker Verhältnissen erprobten Methoden nachzuprüfen. Im Nahmen des vorliegenden Buches hätten sich, wenn auch in knapper Form, wohl einige beachtliche und den Leser anziehende Gesichtspunkte herausarbeiten lassen. — In den späteren Abschnitten sind vielleicht hier und da in der Liebe zur Sache ein wenig zu viel Einzelheiten geboten. Einiges davon hätte in Anmerkungen seinen Platz finden können.
Sehr vorteilhaft vor den meisten übrigen preußischen Stadtgeschichten zeichnet sich diese durch ein zuverlässiges Namensverzeichnis aus, dem man freilich auch die Ortsnamen gern eingefügt sähe. Als Anhang wären vielleicht einige Übersichten (z. B. die Bürgermeister) und auch eine knappe Zeittafel von Nutzen. Die Beigabe einiger wohlgelungener Abbildungen, darunter zwei Stadtplanwiedergaben, ist erfreulich.
Möchte es nun in einem allmählichen Aufbau von Einzelabschnitten gelingen, der Geschichte Braunsbergs eine als endgültig anzusehende Form zu geben.
Königsberg i. Pr.

 

www.braunsberg-ostpreussen.de