Braunsberg
im Wandel der Jahrhunderte
Festschrift zum 650jährigen
Stadtjubiläum am 23. und 24. Juni 1934
von Franz Buchholz
Ins Internet gestellt von
der
KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN)
e.V.
Vorwort des Webmasters
Liebe Braunsberger! Da es jetzt ein Programm gibt, mit dem man auch Texte mit
der alten Frakturschrift einscannen und in unserer heute üblichen lateinischen
Schrift wiedergeben kann, war es klar: Dieses für uns Braunsberger so wichtige Buch
von Franz Buchholz muß einfach ins Internet!
Und das ist nun auch geschehen! Leider finden sich trotz aller Sorgfalt immer wieder Fehler - ich bitte um Nachsicht. Das
Problem ist nämlich, dass diese alte Schrift nun einmal ihre Tücken hat, so sind
in ihr etwa manche Buchstaben schon für uns kaum auseinander zu halten, ich
denke hier etwa an das t und k, oder an das s und f, oder an das N und die Null
(0) usw. - und solche Probleme hat natürlich erst recht eine Maschine!
Immerhin konnte mir unser früherer Kreisvertreter Gerhard Steffen ein
Originalexemplar des Buchs zu Verfügung stellen, wo die Buchstaben für die
Maschine noch einigermaßen auseinander zu halten sind, mit einer Kopie wäre das
ungleich aufwendiger gewesen! Konkret heißt das: Beim Einscannen legt mir das Programm zwar alle Wörter zur Überprüfung, die es nicht kennt, und dabei sind vor allem die Eigennamen, aber nicht die
normalen Wörter. Daher sind die Eigennamen wohl alle richtig. Doch wenn etwa bei den
normalen Wörtern ein Wort mit
einem Fehler auch einen Sinn ergibt, dann gilt das für das Programm als richtig
und wird also gar nicht mehr vorgelegt und so wird also auch von mir nichts mehr überprüft,
irgendwo muß mit der Überprüferei ja auch Schluß sein! (Vielleicht sammelt mal jemand
ja einmal die Fehler, die er so findet, und teilt sie mir mit, aber viele dürften es
nicht sein! Es reicht dabei völlig, mir das falsche Wort, so wie es geschrieben
ist, zuzumailen - das Finden und Korrigieren ist dann für mich kein Problem
mehr! Bitte haben Sie auch keine Probleme mit Wörtern, die ihnen komisch
vorkommen!)
Und noch etwas: Es ist schon merkwürdig: Vor 71 Jahren hatte auch mein Vater
(Dr. Hans Preuschoff) an diesem Buch mitgearbeitet: Von ihm stammte das
Personenverzeichnis. Ein Personenverzeichnis ist heute im Computerzeitalter nun nicht mehr nötig, heute
findet man Personen durch "Eingeben und Klicken". Daher habe ich das
Personenverzeichnis auch gar nicht mehr korrigiert.
Das mit dem "Eingeben und Klicken" hat im Übrigen den Vorteil, dass nicht nur die Besitzer des Buchs jemanden finden,
sondern - etwa über google - alle Benutzer des Internets weltweit! Wer etwa den Namen des ermländischen Bischofs "Franz Kuhschmalz" aus Rößel in Australien ins Internet eingibt, stößt
jetzt garantiert auch auf unsere Braunsberger Geschichte! Und mit einem
weiteren Klick kann er die sich sogar ins Englische übersetzen (zwar nicht
besonders gut, aber immerhin!)
Da es nun möglich ist, ohne besonderen Aufwand mehr
Bilder einzugeben, habe ich das getan, schließlich lockern die den Text etwas
auf. Gleichzeitig
habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, behutsam etwas zum Ende Braunsbergs hinzuzufügen.
Meine Zusätze habe ich durch grüne Schrift gekennzeichnet.
Die roten Zahlen im Text sind die Seitenzahlen des Originalbuchs - zum
Zurechtfinden!
Und - trotz aller Wehmut um unser schönes Braunsberg - nun viel Freude bei
der Lektüre!
Weihnachten 2005
Michael Preuschoff
Braunsberg um das
Jahr 1960 vom Passargehafen aus gesehen
(Gefertigt von C.
Pistech. Aus Hartknoch, Alt und Neues Preußen)
Vorwort des Verfassers
Seitdem i. J. 1837 Oberlehrer Dr. Jakob Lilienthal, der Vater der Geschichte Braunsbergs, die reichen Archivbestände seiner Vaterstadt zu lokalhistorischen
Arbeiten auszuwerten begann, hat es nicht an wissenschaftlichen und
volkstümlichen Darstellungen aus der buntbewegten Vergangenheit der alten
Hansestadt gemangelt. Ein gewisses Fazit der bisherigen Untersuchungsergebnisse
zog anläßlich des 600jährigen Stadtjubiläums am 2. Juli 1884 Prof. Dr. Josef
Bender in seinen „Geschichtlichen Erinnerungen aus Braunsbergs Vergangenheit",
die systematische Durchblicke durch die kulturelle Entwicklung der Stadt boten.
Seither hat der Fleiß heimatliebender Forscher nicht gerastet und neue
Bausteine zu ihrer Geschichte zutage gefördert.
Das bevorstehende 650jährige Stadtjubiläum gab den Anstoß zu der vorliegenden
Arbeit, die zum erstenmal eine zusammenhängende Darstellung hauptsächlich der
politischen Entwicklung Braunsbergs versucht und in diese kulturgeschichtliche
Bilder hineinzuweben bemüht ist. Sie kann dankbar auf dem aufbauen, was andere
in mühevollen Einzelstudien erforscht haben, und will die verstreuten Beiträge
zusammenfassen und in volkstümlicher Form zu einem Heimatbuch für Braunsbergs
Bürger, Söhne und Freunde verbinden. Eigene Archivstudien waren mir bei der
Kürze der verfügbaren Zeit nur in geringem Maße möglich.
Der Leser soll keine vollständige Geschichte der Passargestadt erwarten. Wer
jemals einen Blick allein in die Schätze des städtischen Archivs geworfen hat,
weiß, wie umfassende Vorarbeiten noch erforderlich wären, um dieses ferne Ziel
zu erreichen. Die Fülle des vorhandenen Stoffes zwang zur Beschränkung; aber die
Auswahl des Dargebotenen war nicht immer leicht. Entsprechend dem Stande der
bisherigen Forschungsresultate konnte die ältere Geschichte der Stadt (die
ersten 4 Kapitel) verhältnismäßig eingehend wiedergegeben werden, während die
mittlere (Kapitel 5 - 8) gedrängter gehalten ist und die Geschichte des 19.
Jahrhunderts sich mit einer knappen Übersicht, die des 20. Jahrhunderts mit
einer flüchtigen Schau begnügen muß. Hier bietet sich der zukünftigen
Heimatforschung am meisten und dringlichsten ein Feld der Ergänzung und
Erweiterung.
Wenn ich die Frucht einer fünfmonatlichen Arbeit, die neben meinen
Berufspflichten einherging, als herzliche Weihegabe der jubilierenden
ermländischen Hauptstadt widme, bin ich mir der Mängel der Schrift wohl bewußt;
aber ich hoffe, daß sie, von ernstem Streben um historische Treue und voll
inniger Heimatliche getragen, bei seinen Mitbürgern freundliche Statt finden und
im Sinne der neuen Staatsidee die Bindungen zwischen Blut und Boden festigen und
kräftigen wird. Es ist mir eine besondere Freude, dank dem Entgegenkommen der
Ermländischen Zeitungs- und Verlagsdruckerei mehrere Abbildungen aus dem alten
Braunsberg bieten zu können.
Ein kurzer Anhang bringt einige Quellen, Literaturnachweise und Nachträge. Das
Personenverzeichnis am Schluß, das ich Herrn Schriftleiter Dr. Hans Preuschoff
verdanke, soll nicht nur die Benutzung des Buches erleichtern, sondern auch der
Familienforschung Hilfsdienste leisten.
Nach Vollendung dieser Schrift ist es mir eine angenehme Pflicht, allen
Amtsstellen und Gönnern, die mir durch einzelne Auskünfte oder sonstige
Förderung ihre Unterstützung angedeihen ließen, aufrichtig zu danken;
insbesondere gebührt mein Dank der hiesigen Stadtverwaltung für ihre vielseitige
Hilfe und Herrn Stadtbaumeister i. R. Lutterberg für die Überlassung seiner
lokalgeschichtlichen Materialien und seine stets bereitwilligen Aufschlüsse.
Braunsberg, 8. Juni 1934.
Franz Buchholz,
Studienrat.
Inhalt:
Vorwort
1. Braunsbergs Anfänge
2. Braunsbergs Entwicklung bis zur Schlacht von Tannenberg (1410)
3. Vom ersten zum zweiten Thorner Frieden (1410—66)
4. Bis zum Krakauer Frieden (1525)
5. Im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation
6. Im Jahrhundert der Schwedenkriege (1626—1721)
7. Bis zur ersten Teilung Polens (1772)
8. Bis zum Frieden von Tilsit (1807)
9. Bis zum Weltkrieg
10. Ausklang
Besprechungen von Hans Schmauch in ZGAE Band 25 und von H. Kleinau
Quellen und Personenverzeichnis (unkorrigiert)
I. Braunsbergs Anfänge
Schon in grauer Vorzeit bildete die Passarge eine wichtige Grenzlinie. Sie
schied zu Beginn unserer Zeitrechnung die im Westen wohnenden Gepiden,
einen Teilstamm der germanischen Goten, von den baltischen Altpreußen im
Osten. Der Unterlauf des Flusses hielt diese völkische Trennung aufrecht,
während allmählich an der mittleren und oberen Passarge die Germanen
ostwärts bis zur Alle und darüber hinaus vorstießen. Als mit der
Völkerwanderung (2. - 4. Jahrhundert) die Goten südwärts zogen, rückten
die Preußen vom östlichen Natangen her in das kampflos geräumte Gebiet vor
und breiteten sich bis zur Weichselmündung aus. Die Landschaft an der
Südostküste des Frischen Haffes war von den Stämmen der Warmier und
Pogesanier besiedelt. Sie bestellten mit ihrem hölzernen Hakenpflug
geeignete Ackerstücke, schätzten von ihren Haustieren besonders das
Pferd, gingen in den weiten Wäldern der Jagd und der Imkerei nach, trieben
an den vielen Seen und Flüssen Fischerei. Namentlich das Haff lockte sie
zum Fischfang und zur Schifffahrt, und preußische Segelschiffe, vor allem
wohl aus Truso, ihrem Haupt-Handelsplatz in der Gegend des heutigen
Elbing, dienten dem Warenaustausch bis zu den Küsten Jütlands und
Schwedens. Denn auch das Handwerk war ihnen bekannt, die Töpferei, Leinen-
und Wollweberei, Leder- und Eisenbearbeitung, und es fehlte ihnen nicht an
Marktstätten, wo ihre Erzeugnisse ausgetauscht und gegen fremde,
eingeführte eingehandelt wurden.
Die Passarge strebte damals noch in weit mehr Windungen als heute, in oft
den Lauf verlegenden Betten der Mündung zu; trotzdem war sie bei normalem
Wasserstand schon oberhalb des heutigen Braunsberg für leichte Fahrzeuge
schiffbar. Eine uralte Straße führte längs des eiszeitlichen Hügelrückens
der Haffküste und kreuzte im Weichbilde der jetzigen Stadt den Fluß. Liegt da
nicht die Vermutung nahe, daß dieser wichtige Schnittpunkt des Verkehrs schon
von den Preußen für eine Siedlung ausgewählt worden ist? Nun wird uns in einer
Urkunde d. J. 1249 ein preußisches Brusebergue im Warmierlande als eine ihrer
sechs wichtigsten Wohnstätten benannt, und es ist fast einmütige Ansicht unserer
Heimatforscher, daß dieser Ort der heidnisch-preußische Vorläufer des
deutsch-christlichen Braunsberg gewesen ist. Den altpreußischen Namen wird man
vielleicht mit Röhrich als „preußisches Lager" oder als Preußensiedelung deuten
können.
Als nun der deutsche Ritterorden in frommer Kreuzzugsbegeisterung und
frischem Tatendrang i. J. 1231 die Eroberung Preußens begann, ging er
planmäßig längs der Wasserstraße der Weichsel und Nogat vor, erreichte i.
J. 1237 den Elbingfluß, wo er nahe dem früheren Truso den neuen
Handelsplatz Elbing begründete, und gewann so die bedeutsame Verbindung
mit dem Frischen Haff und der Ostsee. Für die Beherrschung des Haffes war
die Eroberung der Preußenburg Balga gegenüber einem seither versandeten
Tief von besonderem Wert. Es gelang der Umsicht und Tapferkeit des Ordens
i. J. 1239, die heidnische Seefestung zu besetzen; aber alsbald taten sich
die unterlegenen Preußen zusammen, um den verlorenen Stützpunkt
zurückzugewinnen. Ihrer Belagerung und Absperrung von der Landseite her
wäre wahrscheinlich der Erfolg nicht versagt geblieben, wenn nicht i. J.
1240 Herzog Otto von Braunschweig vom Haff her zum Entsatz herangekommen
wäre. Er errang in einem unvermuteten, starken Ausfall einen
vernichtenden Sieg über die Feinde, unter denen sich die durch die List
eines preußischen Verräters herbeigelockten Führer Warmiens, Natangens und
Bartens befanden. Mit den führerlosen Stämmen wurden die Ordensritter auf
Streifzügen schnell fertig; es sah aus, als wäre ihre Herrschaft
gesichert. Gleichwohl gebot die Vorsicht die Anlage militärischer
Befestigungswerke.
Unter den Burgen, die damals in dem unterworfenen Lande errichtet wurden,
finden wir auch Brunsberg. Die wichtige Verkehrslage des Ortes, die schon
die Preußen erkannt und ausgenutzt hatten, mußte dem Orden auch
strategisch wertvoll erscheinen. So führte er denn hier i. J. 1240 oder
1241 ein einfaches Verteidigungswerk auf, im Schütze von Wasser, Wall und
Plankenzaun ein Blockhaus für die militärische Besatzung. Diese
Befestigung sollte der Ausgangspunkt für eine deutsche Siedlung werden.
Schon zogen erwartungsvolle, mutige Kolonisten zu rüstiger Aufbauarbeit
an, als ein jäher Sturm die ersten Keime der deutschen Kultur vernichtete.
Im Sommer 1242 brach nämlich ein Aufstand der unterjochten
Eingeborenen
los. Im Bunde mit Herzog Swantopolk von Pomerellen, der von Westen her
die junge deutsche Herrschaft aufrollen wollte, erhoben sich die Preußen
allenthalben gegen die verhaßten Fremden, erstürmten mit wildem Ingrimm
ihre Burgen, erschlugen die Besatzungen und was ihnen von deutschen
Siedlern in die Hände fiel. So fand auch die eben erst entstandene
Braunsberger Pflanzung ein schnelles Ende.
Und doch inmitten der blutigen Kämpfe nahm der mit den nordischen
Missionsverhältnissen wohlvertraute päpstliche Legat Wilhelm von Modena in
sicherer Erwartung des christlichen Endsieges i. J. 1243 die Einteilung
Preußens in vier Bistümer vor, von denen das mittlere Warmien oder Ermland
das umfangreichste war.
Als der Orden i. J. 1248 Swantopolk zum Frieden gezwungen hatte, brach
auch der preußische Aufstand zusammen, und durch Vermittlung des
päpstlichen Gesandten Jakob von Lüttich kam am 7. Februar 1249 ein Vertrag
zustande, in dem die unterworfenen Stämme des westlichen Preußen die
Ordensherrschaft anerkannten und die Annahme des Christentums
versprachen. Die Warmier erklärten sich bereit, bis zum nächsten
Pfingstfest sechs Kirchen zu erbauen, so ansehnlich und schön, daß ihnen
dort die Ausübung des Gottesdienstes mehr gefallen sollte als in den
Wäldern. Die letzte dieser Kirchen sollte in dem vorerwähnten Brusebergue
erstehen. Der Orden verpflichtete sich, die Gotteshäuser binnen
Jahresfrist mit Priestern zu besetzen und auszustatten.
Dieser Frieden schien dem Aufbauwerk des Ordens endlich die gesicherte
Grundlage zu geben. So konnte er denn aus den Ruinen neues Leben erblühen
lassen, mit der Anlage neuer Burgen und Siedlungen beginnen. Dabei kam der
altpreußische Platz an der Passarge wegen seiner günstigen Lage sogleich
wieder in Betracht. Es fehlte auch nicht an Kolonisten, die für diesen Ort
besonderes Interesse bekundeten.
Schon seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert hatte die 1143 begründete
Seestadt Lübeck in ihrer baltischen Handelspolitik eine erstaunliche
Aktivität entfaltet. Von der Aufsegelung der Düna bis zur Germanisierung
Livlands begleitete eine Kette von Erfolgen ihre wagemutigen
Unternehmungen. Und als die Eroberung Preußens begann, regten sich sofort
in diesem wichtigsten Ausgangshafen der Ostsee lebendige Kräfte zu wertvoller
Hilfe. Schon bei der Besiedlung Elbings waren Lübecker Bürgersöhne bestimmend
tätig; i. J. 1242 plante die freie Reichsstadt einen Kriegszug gegen das Ermland,
wo ein städtischer Handelsplatz erstehen sollte; 1246 unternahm tatsächlich eine
Anzahl lübischer Bürger mit livländischen Ordensbrüdern einen siegreichen
Vorstoß gegen die Samländer.
Unter jenen Männern, die sich dem Orden durch ihre bewährten
Kriegsdienste empfohlen hatten, begegnen wir am 10. März 1246 dem Lübecker
Ratsherrnsohn Johann Fleming. Schon damals heißt es, es sollte ihnen in
Warmien Landbesitz zugeteilt werden. Alle Umstände sprechen dafür, daß
Fleming nach dem Friedensvertrage von 1249 im Einvernehmen mit dem Orden
an die Besiedlung von Braunsberg heranging. Hier bot sich ihm die
Möglichkeit einer ähnlichen Stadtgründung, wie sie seine Vaterstadt
Lübeck und Elbing waren: nicht unmittelbar am Meere gelegen, aber in naher
Entfernung an einem schiffbaren Flusse. An dem erforderlichen Kapital zur
Durchführung des kostspieligen Unternehmens, an dem weitreichenden
Einfluß zur Gewinnung heimischer Kolonisten fehlte es dem jungen Lübecker
Patriziersprossen nicht; so glauben wir in ihm den Mann erblicken zu
dürfen, der nach Anlage einer neuen Ordensbefestigung schon i. J. 1250 die
Arbeit einer deutschen Siedlung neben der altpreußischen in Angriff nahm.
Nach Angabe des Ordenschronisten Peter von Dusburg lagen diese Burg und
die neue Stadt auf einer Insel der Passarge, kaum zwei Steinwürfe
flußabwärts von der Stelle, wo wir sie jetzt finden. Wenn auch die
unbestimmte Entfernung nicht wörtlich genommen werden dürfte, so ist doch
an der Tatsache einer späteren Verlegung der Stadt nicht zu zweifeln.
Vermutlich dürfte wie i. J. 1240 jene inselartige Stelle gewählt worden
sein, wo der Rotwassergraben in die noch unbegradigte Passarge mündete, damals etwas unterhalb der jetzigen Kreuzkirche. Hier, wo leichte
Erhebungen Schutz vor Überschwemmungen boten, wo die Passarge und das
Rotfließ im Osten, Norden und Westen die Vorbedingungen zu einem
brauchbaren Verteidigungswerk wie zu einem nutzbaren Hafen zu erfüllen
schienen, machten sich die fremden Anzöglinge unter Flemings Führung ans
Werk, um eine deutsche und christliche Handelsstadt zu begründen.
Wenn sie ihrer Niederlassung den Namen Brunsberg gaben, so folgten sie
damit einer Gewohnheit, die auch sonst dort angewandt wurde, wo bereits
eine preußische Siedlung vorhanden war: man übernahm den preußischen
Ortsnamen, formte ihn aber der deutschen Sprache mundgerecht um. So wurde
aus Brusebergue Brunsberg, was in der niederdeutschen Mundart jener
Kolonisten gleichbedeutend mit dem hochdeutschen Braunsberg war. Eine
gewisse innere Berechtigung dieses Namens ergab sich leicht für sie, die
bei ihrer Ankunft in die neue Heimat zunächst die weißen Dünen der
Nehrung, das „Witland", begrüßten und dann hinter dem Spiegel des Haffes
und der Niederung der Passargemündung die eiszeitliche Erhebung, auf der
die Stadt erbaut werden sollte, als braunen Berg bezeichnen konnten.
Wenn wir im April 1251 einem Pfarrer Friedrich von Braunsberg begegnen, so
sind wir zu der Folgerung berechtigt, daß bereits eine hinreichende
christliche Gemeinde hier bestanden haben muß. Wahrscheinlich haben die
bekehrten Preußen ihrem Versprechen gemäß schon 1249 ein primitives
Kirchlein erbaut, wohl dort, wo man östlich des heutigen Klenauer Weges
schon im 14. Jahrhundert ein Ackerstück als alten Kirchhof bezeichnete.
Der vom Orden bestellte Pfarrer Friedlich hatte ebenso die neugetauften
Preußen, die vielleicht in der Gegend des jetzigen Köslin wohnten, wie die
deutschen Anzöglinge seelsorglich zu betreuen.
Inzwischen hatte die neue Diözese Ermland i. J. 1250 in dem Ordensbruder Anselmus ihren eisten Bischof erhalten. Nach eingehender Beratung
wählte
er am 27. April 1251 entsprechend den Bestimmungen der Einteilungsbulle
von 1243 das geschützte, mittlere, vom Ordensgebiet umgebene Drittel
seiner Diözese als selbständiges Fürstentum aus. Die Passarge sollte von
der Quelle bis zum heutigen Borchertsdorf die Westgrenze des ermländischen
Territoriums bilden; nur ihr Unterlauf geholte ganz dem Bistum an, wenn
auch an der Nordgrenze das Ordensgebiet sich in einem auffälligen Winkel
die Rune entlang nahe an die Passargemündung heranschob; dazu gestattete
der Bischof Anselm dem Orden noch die Mitbenutzung der bei Braunsberg
zwischen Rune und Passarge gelegenen Wiese. Der Wunsch der Ritterbrüder,
an den schiffbaren Fluß heranzukommen, war unverkennbar.
So lag nun Braunsberg im ermländischen Bistum. Anselmus erkannte
vertragsgemäß die von der Ordensherrschaft getroffenen Bestimmungen als
ihm genehm und zu Recht bestehend an und nahm an der Entwicklung des
aufstrebenden Gemeinwesens tätigsten Anteil. Wenn uns auch Einzelheiten
über diese Zeitspanne fehlen, so ersehen wir doch aus einer Urkunde vom
27. Dezember 1254, daß damals schon Braunsberg vom Bischof das Stadtprivilegium erhalten hatte und für die Errichtung der
Kathedralkirche in Aussicht genommen war.
Diesen Plan verwirklichte er im Juni 1260, indem er seinen Willen kundtat,
in der Passargestadt die ermländische Mutterkirche zu Ehren des hl.
Andreas zu begründen und ein Domkapitel zu stiften, das aus 16 Kapitularen bestehen sollte.
Indessen wenige Monate nach diesem Entschluß, am 20. September 1260, raste
mit so unerwartetem Ungestüm ein Orkan über die preußischen Lande, daß
allem Planen und Schaffen der deutschen Christen ein jähes Ende gesetzt
wurde. Die schwere Niederlage des livländischen Ordenszweiges bei Durben,
die tückische Verbrennung eingeborener Häuptlinge durch den Lenzenberger
Ordensvogt stachelten die weitverbreiteten Kräfte des Widerstandes zu
geschlossenem Abfall und Aufruhr an. Schlagartig brach es los: unter
zielbewußter Führung stürmten die wütenden Preußen die Burgen, Städte und
Kirchen, plünderten sie nach Herzenslust und brannten sie nieder,
erschlugen die Deutschen oder führten sie in die Knechtschaft.
Auch Braunsberg ereilte das traurige Schicksal. Die Stadt hatte in den
wenigen Jahren ihres Bestehens unter dem umsichtigen Schultheißen Johann
Fleming eine verheißungsvolle Entwicklung genommen. Niederdeutsche
Kolonisten waren dank seiner rührigen Werbetätigkeit von Lübeck her ins
ferne Ostland gesegelt, um am Passargestrand unter lübischem Recht ein
neues Gemeinwesen zu bilden. Grundlegende Bauarbeiten an der Stadt, am
Hafen und Fluß fühlten unter der wohlwollenden Förderung des bischöflichen
Landesherrn zu den ersten sichtbaren Erfolgen. Da vernichtete völkischer
Haß alle Früchte ihres emsigen Strebens.
Ein starkes Heer der Preußen wälzte sich, vermutlich noch im September,
von Süden her gen Braunsberg und belagerte die Stadt. Zum Widerstand
entschlossen, verbarrikadierten Bürger und Burgbesatzung alle schwachen
Stellen und Zugänge der Befestigung mit Wagen und anderem hölzernen
Wirtschaftsgerät. Da begann der wilde Angriff; einen ganzen Tag lang
stürmten die Preußen an. Auf beiden Seiten fiel manch tapferer Mann, mehr
noch wurden verwundet. Aber die heldenmütigen Verteidiger nötigten die
Feinde zum Rückzug: doch blieben Abteilungen von diesen in der Nähe,
vielleicht auf dem Köslin, zurück, um den Eingeschlossenen die
Verbindungen abzuschneiden. So wuchs in der Stadt die Not. Als sich nun 40
Männer herauswagten, um Heu und Holz zu holen, wurden sie von den Preußen
überfallen und sämtlich erschlagen. Dahielt die Bürgerschaft ernsten Rat,
getraute sich nach ihren empfindlichen Verlusten und bei dem drohenden
Hunger den Ort nicht mehr gegen einen zweiten Ansturm zu verteidigen und
entschloß sich, schmerzbewegt und doch die Zahne zusammengebissen, zum
Letzten: Sie legten selbst Feuer an Burg und Stadt und flüchteten mit Weib
und Kind und der wenigen Habe, die sie mitnehmen konnten, gen Elbing.
Unterwegs trafen sie 60 Kriegsleute, die ihnen die Ordensritter von Elbing
zu Hilfe gesandt hatten. Zu spät, da Braunsberg verloren und zerstört
war; gemeinsam traten sie den Weg nach der sicheren Schwesterstadt an und
pflanzten noch am Grabe die Hoffnung auf. Denn auch in Elbing hielten sie
mit ihrem Schulzen und Pfarrer als eigene Gemeinde treu zusammen, trotz
aller trüben Erfahrungen und inmitten der hartnäckigen Kämpfe in
ungebrochener Zuversicht des Zeitpunktes harrend, wo sie ihre geliebte
Stadt Braunsberg wieder aufbauen und beziehen könnten.
Darüber vergingen aber lange, bange Jahre. Es bedurfte immer erneuter
Kreuzzugsbullen der Päpste, um aus den verschiedensten Gegenden
Mitteleuropas Streiter für die bedrohte Sache Christi im Preußenlande zu
gewinnen, und auch Bischof Anselmus, der im März 1261 Preußen verlassen
hatte, warb auf seinen Reisen durch Böhmen, Mähren und Schlesien eifrig
für die Teilnahme an dem heiligen Kampf. Erst als i. J. 1273 die
Häuptlinge der Natanger und Warmier gefangen und gehängt worden waren,
unterwarfen sich die führerlosen Stämme. Auch ein verzweifelter Vorstoß
der Pogesanier gegen Elbing endete im selben Jahre mit einer harten
Bestrafung ihres Gaues.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die flüchtigen Braunsberger den
ersten Sicherheit bietenden Zeitpunkt benutzten, um an ihre ersehnte
Wiederaufbauarbeit in der zerstörten Passargestadt heranzugehen. Da die
Feindseligkeiten an der Haffküste i. J. 1273 erloschen, steht - zumal bei
den Widerspruchsvollen Angaben der späteren Chronisten - nichts der
Annahme entgegen, daß schon im nächsten Jahre 1274 mit den ersten
Vorbereitungen begonnen wurde. Dazu gehörte auch die Verbindung des
Schultheißen Fleming mit seiner Vaterstadt, wo er neue Ansiedler gewinnen
und neue Kapitalien beschaffen mußte. Bischof Anselmus mußte ein
natürliches Interesse haben, daß seine Kathedralstadt wieder aus der
Asche erstehe. Wenn er auch in der Fremde alternd und durch viele
Enttäuschungen entmutigt, nicht mehr recht an ein Gelingen glauben wollte,
so stellte er der Bürgerschaft für ihr (7) großes
Vorhaben doch 100 Mark reinen Silbers (je 16 Lot) und einen Teil
seines Nachlasses testamentarisch zur Verfügung. Die neue Stadt Brunsberg
wurde oberhalb der alten Stelle angelegt. Gewichtige Gründe müssen zu
dieser veränderten Planung mitgewirkt haben. Fürs erste mag vielleicht
eine abergläubische Scheu vor jener Gegend zurückgeschreckt haben, wo
bereits zweimal hoffnungsvolle Ansätze so schmerzlich erstickt waren.
Vermutlich hatte aber auch die Erfahrung gelehrt, daß die Verteidigung
jenes Platzes besonders schwierig, daß er selbst vor Hochwasser nicht
genug geschützt war. Sorgfältige Überprüfung des Geländes ergab, daß die
heutige Stelle der Altstadt nach dem nötigen Ausbau den Anforderungen der
miltärischen Sicherheit mehr entsprach, auch weniger der
Überschwemmungsgefahr ausgesetzt sein mußte. Selbstverständlich war zur
Verlegung des Ortes die Zustimmung des bischöflichen Landesherrn oder
seines Vertreters, vielleicht sogar wegen der Burganlage die der
Ordensritter, notwendig, indessen die Hauptverantwortung trug dabei der
Siedlungsunternehmer (Locator) Johann Fleming, der nur für eine
aussichtsreiche Stadtgründung Kapital und Kolonisten werben
konnte.
Vielleicht bedeutet die für die Erbauung der Stadt „to dem Brunsberghe"
angegebene Jahreszahl 1276 der Chronik Detmars von Lübeck den Zeitpunkt,
an dem neue niedersächsische Auswanderer die Seereise nach Braunsberg
antraten. Inzwischen mochte unter Flemings Leitung das große Aufbauwerk
in Angriff genommen worden sein. Da waren unter Ausnutzung der
natürlichen Terrainverhältnisse für die ersten Befestigungen Erdmassen zu
verlagern, Wege zu ebnen, Flußregulierungen und Hafenarbeiten
durchzuführen, die herrschaftliche Burg, primitive Häuser für den
Gottesdienst und Versammlungen zu errichten, Unternehmungen, bei denen
die Preußen, die durch den letzten Abfall die 1249 festgesetzten Rechte
und Freiheiten verwirkt hatten, Frondienste leisten mußten. Aber es blieb
dabei auch für die Deutschen übergenug Arbeit, zumal sie selbst noch durch
den Bau notdürftiger eigener Wohnräume, Ställe und Scheunen, durch den
neuen landwirtschaftlichen, handwerklichen oder Handelserwerb aufs
stärkste in Anspruch genommen waren. Bischof Anselm im schlesischen
Reichenbach fühlte sich aber durch den glücklichen Umschwung der Dinge in
Preußen im Juli 1277 veranlaßt, das bis auf ein Mitglied ausgestorbene
ermländische Domkapitel zu erneuern und grundlegende Bestimmungen über
diese geistliche Körperschaft zu treffen. Er starb jedoch im nächsten
Jahre, ohne sich von den Fortschritten der neuen Siedlung persönlich überzeugt
zu haben.
Sein Nachfolger wurde i. J. 1279 der erst vor zwei Jahren zum Dompropst
ernannte Bruder des Braunsberger Lokators Heinrich I. Fleming. der schon
früher dem Braunsberger Domkapitel angehört und während des großen
Aufstandes eine niederösterreichische Pfarrei als Zuflucht erhalten hatte.
Ehe er im Frühjahr 1282 in sein Bistum zurückkehrte, hatte er mit seiner
Vertretung in den geistlichen und weltlichen Angelegenheiten den Elbinger
Pfarrer und seinen Bruder Johann betraut. Diese weitgehende Vollmacht
konnte den Plänen des Braunsberger Schulzen nur förderlich sein. Auch die
Tatsache, daß ein Lübecker Patriziersohn den ermländischen Bischofsstuhl
bestiegen hatte, mußte auf den lübischen Zuzug werbend wirken; kamen doch
bald danach zwei weitere Brüder und ein Schwager des Bischofs ins Land, um
mit Hilfe ihres beträchtlichen Vermögens eine großzügige
Kolonisationsarbeit in Stadt und Land durchzuführen.
Aus Lübeck und seiner Umgegend, dem Gebiet des heutigen Holstein und
Mecklenburg und der unteren Elbe scheinen die ersten Einwohner der
christlichen Passargestadt eingewandert zu sein. Sie brachten aus ihrer
alten Heimat in die neue ihr zähes Streben, ihren stolzen Freiheitssinn
und ihr starkes Selbstbewußtsein, und mit ihrem Recht, ihren Sitten und
Bräuchen begleitete sie in das ferne Ostland ihre niederdeutsche Mundart.
Als der Wiederaufbau Braunsbergs zu einem ersten Abschluß gelangt war,
erteilte Bischof Heinrich mit Zustimmung des Kapitels der jungen Gemeinde
am 1. April 1284 ihre Handfeste, ihre Verfassungsurkunde, die sich
vermutlich im wesentlichen an Bischof Anselms Privileg für die erste Stadt anschloß, von dem wir leider keine Kunde haben.
Darin wurde zunächst das rund 328 Hufen große Stadtgebiet genau
abgegrenzt. Es begann am linken Ufer der Passarge bei der Mündung des
Büchleins, dessen Nett (der sog. Katzengrund) die Braunsberger Feldmark
von den Gütern der Domherren (Dorf Zagern) schied. Von der Quelle dieses
Baches verlief die Grenze geradeaus südlich bis zum Grenzmale gegen Fehlau
hin, bog dort rechtwinklig nach Westen um zum Bache bei Sonnenberg, von
hier nordwärts längs dieses Baches bis zu einem Wege, der über den
„Landwehrgraben" fühlte, um dort auf die Sumpfwiesen des Haffes zu stoßen.
Diese sollten bis zum Walde Rosenwalde (Rosenort) Gemeindeland sein. Der
Gemarkung des Dorfes Klenau entlang (9) erreichte
die Stadtgrenze die Passarge. Auf dem rechten Flußufer grenzte das
Stadtgebiet an die Runewiesen und zog sich über den Rosser Weg längs der
Passarge südlich bis zum bischöflichen Tafelgut Karwen (der Feldmark der
späteren Neustadt). Von der sog. Freiheit wurde der Stadt damals nur ein
drei Meßseile (120 Meter) breiter Streifen jenseits des Grabens, der noch
heute die Freiheit von der Aue und dem Roßgarten trennt, als zinsfreies
Gemeindeland zugewiesen.
Diesen weitgedehnten Grundbesitz erhielt die Bürgerschaft zu dem von der
Heimat her gewohnten lübischen Recht mit allem Nutzen und Nießbrauch außer
der Biberjagd und dem Bergbau auf Gold, Silber, Salz und sonstige
Bodenschätze. Für Mühlen- und Wasserwehranlagen war die bischöfliche
Erlaubnis erforderlich. Noch zehn Jahre sollten die Bürger von allen
Steuern frei sein; von Martini 1294 aber war von jeder städtischen Hufe
1/4 Mark der üblichen Münze an den Bischof zu entrichten. Frei von dieser
Abgabe blieben die 100 Hufen Gemeindeland, die als Weide, Wald und Sumpf
in der Feldmark lagen, dazu die 6 Hufen, die jenseits der Mühle Arnolds
(Wecklitzmühle) gegen die Burg Unserer lieben Frau als Pfründe der
Katharinenpfarrei ausgeworfen wurden.
Im ganzen Stadtbereich, auch auf den öffentlichen Straßen, auf Wegen und
Stegen, sollte die Bürgerschaft die erbliche Gerichtshoheit genießen, eine
ungewöhnliche Vergünstigung. Ein Drittel der Geldbußen sollte der Bischof
als oberster Gerichtsherr erhalten, das zweite die Stadt; das letzte
Drittel, das dem Lokator als Schultheißen zustand, hatte die
kapitalkräftige Gemeinde bereits von Johann Fleming abgekauft und sich
dadurch das Schulzenamt, den Vorsitz beim Gericht, selbst gesichert. Als
Zeichen besonderer Gunst verlieh der Bischof weiter den Einwohnern und
Bürgern für alle Zukunft freie Fischerei mit jeder Art von Gezeugen im
ermländischen Teil des Haffes wie in der Passarge. Nur die Flußmündung
sollte ausgenommen sein, um den Zug der Fische nicht zu stören: ebenso
durften die Braunsberger ohne landesherrliche Genehmigung in der Passarge
nicht Aalsäcke aufstellen und Wehre errichten.
Das volle, uneingeschränkte Lübecker Recht sicherte den Bürgern folgende
Freiheiten: An einem geeigneten Tage der Woche durften sie ihr Erbe,
soweit es nicht ländliche Lehen waren, vor dem Richter und Erbgerichte der
Stadt verkaufen, vertauschen, verschenken, darauf verzichten. Ebenso
bedurften sie nicht der bischöflichen Zustimmung zur Wahl, Einführung und
Absetzung der kommunalen Obrigkeiten, des Schultheißen, der Schöffen,
Ratsherren und Älterleute; einzig und allein das Wohl der Stadt sollte
dabei entscheidend sein. Weiter durfte die Gemeinde zu ihrem Nutzen für
Bäcker und Fleischer, Schuster, Kürschner und Krämer Verkaufsstände
errichten und allen Zins daraus selbst ziehen. Schließlich versprach der
Bischof den Bürgern, wenn auch ungern, daß er, keiner
Ordensgenossenschaft innerhalb der Stadtgrenzen eine Hofstätte oder ein
Grundstück schenken oder verkaufen würde, es sei denn mit Willen und
Zustimmung der Bürgerschaft. Es sollte dadurch offenbar in der
Bischofsstadt der wirtschaftlichen Ausbreitung der sog. toten Hand
vorgebeugt werden.
Den Rechten einer freien Reichsstadt kamen die ganz ungewöhnlichen
Privilegien nahe, die Bischof Heinrich sicher in Anlehnung an frühere
Festsetzungen seinen Lübecker und niedersächsischen Landsleuten feierlich
verbriefte. Uneingeschränkte Selbstverwaltung, fast vollkommene
Gerichtshoheit, weitgehende finanzielle und materielle Berechtigungen,
ein umfangreicher Landbesitz bedeuteten Dank und Anerkennung des
bischöflichen Landesherren für die bisher geleistete zweimalige
Aufbauarbeit, zugleich aber auch die beste Propaganda für neue Anzöglinge.
Demgegenüber war die Anerkennung der Territorialherrschaft in dem
ländlichen Grundzins, in dem Drittel der Gerichtsgefälle, in einigen
Vorbehalten von wenig Belang. Kein Wunder, wenn sich aus diesem
Grundprivileg, das der wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch dem
Selbstbewußtsein und Freiheitsdrang der Stadt mächtigen Auftrieb gab,
Spannungen zu den bischöflichen Landesherren, ihrer Autorität und ihren
Rechtsansprüchen ergeben mußten.
Von dem entscheidenden Umbruch aber, der sich in diesen Zeiten an der
Passarge wie im Preußenlande vollzogen hatte, kündete das Siegel, mit dem
die junge Gemeinde ihre Briefe und Urkunden beglaubigte. Der noch heute
von der Stadtverwaltung aufbewahrte ehrwürdige sog. Sekretstempel von 36
Millimeter Durchmesser zeigt auf einer Wiese eine heraldisch stilisierte
Linde, rechts davon einen Drachen, links einen Hirsch, dazu die Umschrift: Secretum Burgensium Brunsberg. (Sekretstempel der Bürger von Brunsberg.)
Wenn wir die geheimnisvolle Sprache dieses Wappens recht verstehen,
bedeutet die deutsche Linde den Schutzbaum der ganzen Gemeinde. Der
Drachen gilt schon seit der ältesten christlichen Zeit als das Symbol des
Teufels und des Heidentums; demgegenüber versinnbildet der Hirsch als
Feind des Drachens Christus, den Überwinder der Hölle. So wollte
vermutlich 11 das Siegel nicht allein den
Sieg des Christentums über das Heidentum, wie
ihn auch die im Ordenslande vielverehrte Braunsberger Kirchenpatronin St.
Katharina offenbarte, zum Ausdruck bringen, sondern zugleich den Triumph
der christlich-deutschen Kultur über die heidnisch-preußische und die
Vereinigung der einheimischen früher heidnischen Preußen mit den
zugewanderten, christlichen Deutschen unter derselben Landeshoheit, wie
auch der Name Brunsberg preußische und deutsche Elemente verband. Seit
kurzem hat die Stadt wieder dieses ursprüngliche Wappen zu Ehren
gebracht.
II. Braunsbergs Entwicklung bis zur Schlacht von Tannenberg
(1410)
Im beglückenden Bewußtsein, unter Überwindung ungewöhnlicher Schwierigkeiten
eine sicher fundierte, aufblühende lübische Tochterstadt begründet zu haben, zog
sich der bejahrte Johann Fleming aus der kommunalen Verantwortung zurück, um als
ländlicher Lehnsmann seines bischöflichen Bruders in Gr. Klenau, Kilien bei
Frauenburg und Schalmey, besonders aber in Wusen seine kolonisatorische
Wirksamkeit fortzusetzen. 1294 wird er urkundlich zum letztenmal erwähnt. Sein
Andenken ist vor wenigen Jahren in dem Namen einer neuen Siedlungsstraße frisch
belebt worden.
Seitdem der Frieden in Preußen eine Klärung der territorialen Verhältnisse
ermöglichte und dem ermländischen Domkapitel ein Teil des ihm zustehenden
Landesdrittels zugewiesen werden konnte, ergab es sich von selbst, daß
Braunsberg nicht gleichzeitig Sitz der bischöflichen und kapitularischen
Herrschaft sein konnte.
Mit kundigem Blick erkoren die Domherren, die zunächst die Kapelle des
bischöflichen Schlosses für ihren Gottesdienst benutzten, wohl bald nach
Heinrichs I. Ankunft das malerisch zugleich und sicher gelegene, unmittelbar die
Wasserverbindung offenhaltende Frauenburg zur Residenz, wo vermutlich schon
vorher Johann Flemings Bruder Gerhard mit niedersächsischen Anzöglingen den
Grund zu einem städtischen Gemeinwesen gelegt hatte. Bereits i. J. 1288 reckte
sich hier eine kleine, in Holz erbaute Kathedrale auf kahler Düne zum Himmel.
Von seinem Braunsberger Schloß, das sicherlich schon ebenso wie
die ältesten Ordensburgen massiv erbaut wurde und auf dem Platze der
heutigen Schloßschule stand, leitete Bischof Heinrich die wirtschaftliche
und kulturelle Erschließung seines Landes. In der Hafenstadt Braunsberg
war der Sammelplatz und Ausgangspunkt jener Kolonisten, die von Lübeck her
ins nördliche Ermland strömten, deren niederdeutsche Mundart als
„käslauische" noch heute in ihren Nachkommen lebendig ist.
Als Bischof Heinrich sein Leben dem Abend sich zuneigen fühlte, wollte er
noch einen Herzenswunsch verwirklichen, ein Franziskanerkloster stiften.
Die Missionspredigt unter den zwar bekehrten, aber noch wenig im
Christentum verwurzelten Preußen, unter den benachbarten Heidenvölkern
erschien ihm als eine wichtige Aufgabe dieser Mönche. Nun hatte er
freilich in der Handfeste die Zusicherung gegeben, ohne Zustimmung der
Gemeinde keinen Orden nach Braunsberg zu berufen, i. J. 1296 tat er es
trotzdem, vermutlich nach Verständigung mit einem Teile der Bürgerschaft.
Er schenkte den Minderbrüdern (vielleicht aus Hof in Franken?) einen
Platz zum Klosterbau innerhalb der Stadt. Schon im nächsten Jahre wurde
der neue Konvent, wohl auf Heinrichs persönliche Befürwortung,
gelegentlich des Erfurter Kapitels in den Verband der sächsischen
Ordensprovinz aufgenommen.
Heinrichs Maßnahme wurde von einer einflußreichen, selbstbewußten Partei
als Wortbruch und Unrecht betrachtet, und eine offenkundige Erregung in
diesen Kreisen, die beim Orden mit Erfolg Beschwerde geführt zu haben
scheinen, mag die Ursache gewesen sein, weshalb der Bischof in seinen
letzten Lebensjahren meist außer Landes in Mitteldeutschland weilte.
Vielleicht bedeutete sein Versprechen, der Stadt den 17 Hufen großen Sumpf
gegen Rossen zu dem üblichen Zins zu verleihen, einen Vermittlungsversuch
in dem schweren Streite. Erst sein Nachfolger Eberhard von Neiße, der als
früherer Pfarrer von Braunsberg mit den örtlichen Verhältnissen aufs beste
vertraut war, wirkte zur Beilegung des Konfliktes entscheidend mit. So
überwies im April 1301 die Bürgerschaft den Franziskanern außerhalb der
Stadt an der Nordseite neben der Passarge einen über 8000 Quadratmeter
umfassenden Platz, zu dem sie ein Tor (Mönchentor) mit einer befahrbaren
Brücke über den Graben zwischen den Häusern des Hermann Hunthoubic und des
Heinrich Rurmunt erbauen wollte. Die Ordensniederlassung, die i. J. 1318
bereits von einem preußischen Guardian geleitet wurde, deren
Missionsarbeit in Semgallen (Landschaft südwestlich der mittleren Düna) i. J.
1310 13 besonders gerühmt wurde, wechselte
1330 nochmals ihren Platz, und zwar deshalb, weil das Kloster im Kriegsfalle
gegen Angriffe ungeschützt lag
und zum schweren Schaden der Stadt dem Feinde als Stützpunkt dienen
konnte. Damals bildeten aber die Littauer eine dauernde Beunruhigung des
Landes. Die Bürger erboten sich nun, den Brüdern innerhalb der Stadt auf
dem jetzigen Gymnasialplatz geeignetes Gelände zur Verfügung zu stellen.
So wurde mit päpstlicher Genehmigung die Niederlassung vor dem Mönchentor
abgebrochen und der Grundstein zu dem Neubau gelegt, an dem nach den
Gewohnheiten jener Zeit jahrzehntelang gearbeitet wurde. Noch in den
achtziger Jahren wurde an der turmlosen, geräumigen St. Marienkirche
gebaut, deren Gewölbe erst um 1445 eingezogen wurden. Zu den Wohltätern
des Klosters gehörten auch die Hochmeister, die um die Wende des 14.
Jahrhunderts dem Konvent wie auch den anderen preußischen Klöstern
alljährlich eine Stiftung von 2 M. (etwa 60 heutige Mark) zuwendeten.
Die von Bischof Heinrich in Aussicht gestellten Sumpf-Hufen erhielt die
Stadt von seinem Nachfolger Eberhard zugewiesen, wenn auch erst nach einem
Rechtsstreit mit den Gutsherren von Rossen i. J. 1328 dieses Gelände der
Bürgerschaft vom neuen Bischof Jordan förmlich verbrieft wurde.
Gleichzeitig umschrieb dieser genau die Grenzen der sog. Hertzow (Harzau),
der städtischen Sumpfwiesen, nach Sankau, Rosenwalde und Kl. Klenau hin.
Der ausgedehnte kommunale Grundbesitz erforderte natürlich in mühsamer
dauernder Beackerung, Trockenlegung von Sümpfen, Rodung von Wäldern
angespannte Arbeitsleistung, die den Neigungen der meisten Bürger kaum
entsprechen mochte. Daher nimmt es uns nicht wunder, wenn die Feldmark,
und zwar zunächst die entlegenere, zu Dörfern ausgetan wurde, deren
Bewohner der Stadt zu bestimmten Leistungen verpflichtet waren. So wird
das Dorf Willenberg (Wildenberg), später das größte der Stadtdörfer,
schon 1314 erwähnt, das angrenzende Hermannsdorf (im jetzigen Stadtwald)
1346 (?) und Stangendorf 1364. Auch die Höfe Huntenberg (1346), Auhof
(1374), Rodelshöfen (1374) und Katzenhöfen (1405) erlangten als
Stadtdörfer ähnlich den bischöflichen Lehnsgütern wirtschaftliche
Selbständigkeit. So blieb für die Ackerbürger der Stadt nur ein
verhältnismäßig beschrankter Teil der Gemarkung, vor allem der fruchtbare
Niederungsboden zu beiden Seiten der Passarge, übrig, Grundbesitz, der
zusammen mit dem der Braunsberger Gutsbesitzer und Bauern den
mannigfaltigen Ansprüchen der Bürgerschaft vorerst genügen mochte. Denn es
fehlte nicht an geeignetem Acker für
Weizen und Roggen. Gerste und Hafer. Gemüse und Obst. Flachs und Hopfen,
aber auch nicht an den erforderlichen Weiden und Wiesen, an ergiebigen
Torfbrüchen und gut bestandenem Wald; und das nahe Haff und die Passarge
lieferten den Fischbedarf für die vielen Abstinenztage.
Indessen Braunsberg konnte nach seiner Lage und Bestimmung nicht ein
anspruchsloses Ackerstädtchen sein wie spätere Gründungen des
ermländischen Hinterlandes. Haff und See lockten die Söhne und Enkel der
Lübecker Kolonisten zu Schiffahrt und Handel, die alte Landstraße, von der
um 1330 eine Strecke zwischen Braunsberg und Einsiedel zur Sühne für einen
Totschlag von dem wohlhabenden Missetäter gepflastert werden mußte, und
neue Wege in das immer mehr erschlossene Bistum dienten dem gesteigerten
Verkehr. So erwuchs die Passargestadt zum Haupthandelsplatz des
Ermlandes, seinem bedeutenden Einfuhr- und Ausfuhrhafen.
Dazu erblühte das Gewerbe. Schon bei der Gründung der Stadt werden die
Bäcker, Fleischer, Schuhmacher, Kürschner und Krämer als wichtigste
Gewerbe namhaft gemacht. 1364 werden 9 Ämter oder Zünfte erwähnt:
Bäcker, Krämer, Wollweber, Kürschner, Fleischer, Schmiede, Schuster,
Höker, Schneider. Daneben gab es außer den sonstigen heutigen
Handwerksberufen eine bunte Reihe anderer Meister, die in
spezialisiertem Betrieb den verschiedenartigsten Anforderungen des
bürgerlichen Lebens Rechnung trugen: Messerschmiede, Schwertfeger,
Kannengießer, Goldschmiede, Faßbinder, Kistenmacher, Treppenmacher,
Wachsgießer, Teerbrenner, Leinweber, Gürtler (die Gürtel machten),
Reefschläger (Seiler), Bader u. a.
Die städtische Verwaltung und
Gerichtsbarkeit lag anfangs in den Händen jener begüterten Familien, die
als Kaufleute, Schiffsreeder und Gutsbesitzer eine soziale Oberschicht,
ein Patriziat, bildeten. 1311 werden vier Ratsherren erwähnt: Hermann
genannt der Schreiber, Konrad der Reiche, Widko und Johann der Weiße. 1318
begegnen wir in dem Schultheißen Tydelo Bresike nächst dem Lokator dem
ersten uns bekannten Stadtrichter; vermutlich war er zugleich der Obmann
der Ratsherren. Von diesem Kollegium werden 1328 folgende sechs Mitglieder
namhaft gemacht: Rudolf von Elbing, Goswin, Konrad der Reiche, Tydelo der
Sohn des Brosike, Arnold der Lange und Johann der Sohn des Hartmann. In
Kunik dem Reichen tritt uns 1342 das erste ausdrücklich als Bürgermeister
bezeichnete Stadtoberhaupt entgegen. 15
Damals durchlebte Braunsberg schwere innere Kämpfe. Sie standen wohl noch
mit dem Streit um den ermländischen Bischofsstuhl in Zusammenhang, bei dem
maßgebende Bürgerkreise in Verbindung mit dem Pfarrer Nikolaus für den
Ordenskandidaten Martin von Czindal Partei ergriffen hatten. Dem von der
päpstlichen Kurie in Avignon bestimmten Hermann von Prag wurde heftiger
Widerstand entgegengesetzt. Erst nachdem außenpolitische Verwicklungen
den Orden zur Nachgiebigkeit genötigt hatten, konnte Bischof Hermann zwei
Jahre nach seiner Weihe im Sommer 1340 in seinem Braunsberger Schloß
seinen Einzug halten.
Verschiedene Erwägungen waren es wohl, die den neuen Landesherrn recht
bald dazu veranlaßten, seine Residenz von der Passargestadt zu verlegen.
Sachlich erforderte die immer weiter zum Süden des Territoriums
vorstoßende Kolonisation und die allgemeine Landesverwaltung eine
zentraler gelegene Regierungshauptstadt, als sie das an der Peripherie
befindliche Braunsberg sein konnte. Dazu kam der Siedlerstrom jetzt
vorwiegend auf dem Landwege aus Schlesien, Böhmen und Mitteldeutschland,
für den ebenso wie für die Verbindung des Bischofs mit seiner Heimat der
neue Residenzort Wormditt näher lag. Schließlich mochte es Bischof Hermann
unbehaglich sein, in einer Stadt zu wohnen, die ihn zunächst abgelehnt
hatte und in ihrem Selbstbewußtsein schwierig genug war.
Wie dieser Fortzug der bischöflichen Hofhaltung waren auch einige andere
Maßnahmen Hermanns für Braunsberg von einschneidender Bedeutung. Zur
Vermehrung der fiskalischen Einnahmen errichtete er an der Passarge nahe
dem Schloß eine Mühle, ein Unternehmen, das zunächst freilich als
Konkurrenz für die ältere Mühle am Rotwasser gelten konnte. Da das auf dem
rechten Flußufer gelegene bischöfliche Tafelgut Karwan nach der Verlegung
der Residenz nicht mehr benötigt wurde, begründete Hermann hier die Neustadt. Die erfreuliche Entwicklung der Altstadt ermutigte dazu, obwohl
dieser eine Rivalin auf dem anderen Passargeufer schwerlich willkommen
sein mochte. Freilich blieben Handel und Schifffahrt der älteren Schwester
vorbehalten, nur Handwerker und Ackerbürger sollten die Neustadt bewohnen.
Ihre Gemarkung grenzte an die Felder von Regitten und Sonnenstuhl und an
den Beberbach, der von den darin bauenden Bibern seinen Namen erhalten
haben muß. Als Wald und Weideland erhielt die Neustadt über 10 Hufen des
großen Sumpfes bei Pettelkau, das sog. Neustädter Moor. Magister Elerus,
die Söhne eines Bernhanes und der vorerwähnte altstädtische Ratsherr Arnold
Lange sind
die Lokatoren der Stadt.
Sie erhielt ebenfalls das lübische Recht. Allerdings sollten die
Strafsachen um Hand und Hals durch den Braunsberger Burggrafen oder einen
vom Bischof bestimmten Mitbürger abgeurteilt werden Die Gerichtsgefälle
standen zu einem Drittel dem bischöflichen Landesherrn. zum anderen der
Stadt und zum letzten Drittel den Gründern zu, denen aber die Gemeinde
ihren Anteil später abkaufte. Von jedem halben Hofe sollte zum
Martinsfeste ein Bierdung, von jedem ganzen 1/2 Mark als Zins gezahlt
werden, dazu als sog. Waltgeld für das Feld an der Mühle Bebernik 1 M. Dem
Pfarrer der Altstadt sollte der Rat jährlich 1 M. als Meßgetreide
abführen. Von allem Zins, der vom Rathaus, den Brot- und Fleischbänken,
den Ständen der Schuhmacher, Fleischer, Kürschner, Höker, Tuchscherer und
ähnlicher Gewerbe einkämen, sollten ein Drittel der Landesherrschaft, die
anderen der Stadt zufallen. In den städtischen Gewässern und der Passarge,
sowie im bischöflichen Anteil des Haffes durften die Bürger zu ihres
Tisches Notdurft mit allen Gezeugen außer dem Aalsack das Fischereirecht
ausüben. Zur Wahl der Ratsherren und Geschworenen war die Genehmigung des
Bischofs oder seines Braunsberger Burggrafen erforderlich. Dem Domkapitel
wurde eine lastenfreie Hofstätte der Mühle gegenüber als Absteigequartier
vorbehalten. So ungefähr müssen die Bestimmungen dieser Neustädter
Handfeste gelautet haben, deren ursprünglicher Wortlaut nicht mehr
vorliegt. Verglichen mit den viel weitgehenderen Privilegien der
Altstadt, zeigt sie im ganzen das im Ermland übliche Maß der städtischen
Rechte.
Die neuen bedeutsamen Maßnahmen des bischöflichen Landesherrn scheinen
starke verborgene Spannungen innerhalb der altstädtischen Bürgerschaft
ausgelöst zu haben. Gegenüber dem aristokratischen Patriziat, das die
Geschicke der Gemeinde eigenmächtig und auch eigensüchtig bestimmt hatte,
drängten neue Geschlechter und die Handwerkerzünfte zur Herrschaft. Sie
erhoben Vorwürfe, die alten Ratsherren und ihr Anhang hätten sich
widerrechtlich Landgüter angeeignet und teilweise verkauft, die der ganzen
Gemeinde gehörten, - vielleicht in der Annahme, das als Entgelt für die
kommunalen Dienste tun zu dürfen, - die Wahlen des Rates seien zum Teil
ohne Zustimmung der Bürgerschaft, also wohl durch Kooptation, erfolgt,
infolgedessen die Ratsbeschlüsse wider den Willen der Bürgerschaft.
Im August 1345 entschied Bischof Hermann als oberster
17 Gerichtsherr den erbitterten Kampf. In der Angelegenheit der
Landentfremdung verurteilte er die Schuldigen zur Rückgabe an die Stadt
und zu einer durch ein Schiedsgericht zu bestimmenden Geldstrafe. Die
alten und neuen Ratsherren, die mit einmütiger Zustimmung der Bürgerschaft
in ihr Amt gekommen seien, sollten darin verbleiben. Für diejenigen aber,
denen diese Vorbedingung mangelte, sollten am Feste Petri Stuhlfeier (22.
Februar) Ersatzmänner gewählt werden. Bis dahin sollte der Rat keine
wichtigeren Geschäfte erledigen ohne Einverständnis der Ältesten der
Gemeinde, d. h. eines Bürgerausschusses, der sich vermutlich besonders aus
den Zunftvorstehern zusammensetzte. Fürderhin sollte niemand in den Rat
zugelassen werden, bevor er dem bischöflichen Landesherrn den Eid der
Treue und des Gehorsams geleistet hätte. Kraft seiner geistlichen und
weltlichen Gewalt drohte der Bischof schwere Strafen für jene Rebellen an,
die sich diesen Entscheidungen widersetzen wollten. Wir sehen, wie der
Urteilsspruch den Beschwerden der demokratischen Bürgerschaft Rechnung
trug und in die unumschränkte Herrschaft des sog. Junkertums Bresche
schlug. Zugleich suchte sich bei diesem Parteien-Hader die bischöfliche
Landeshoheit durch den Treuschwur der Ratsherren gegen gefährliche
Umtriebe der Zukunft zu sichern.
Erst im nächsten Jahre scheint der Unfrieden aus der Stadt gewichen zu sein.
Am 24. März 1346 wurde ein neuer
Rat gewählt, der einschließlich des Schultheißen Herbord Witlo 12
Mitglieder umfaßte. Es ist bezeichnend, daß unter den Namen keiner der
früheren Ratsherren erscheint, dagegen mindestens drei Handwerksvertreter,
ein Kürschner, ein Schmied und ein Schwertfeger. Die neuen Geschlechter
und Zünfte haben gesiegt. Im Zusammenhang mit dem Landstreit verzichten
der Hofbesitzer Gerung von Huntenberg mit seiner Gefolgschaft und die
Bauern von Willenberg auf die von der Harzau beanspruchten Morgen zu
Gunsten der Stadt.
Wenn wir hören, daß noch im Oktober desselben Jahres die Ausschachtungs-
und Fundamentierungsarbeiten zum Chor einer neuen Pfarrkirche in Angriff
genommen wurden, so gewinnen wir den Eindruck, als ob der eben gewählte
Rat eine regere Aktivität entfaltet hat. In dem 1344 begonnenen
Bürgerbuch, in dem die Männer verzeichnet sind, die ihr Bürgerrecht in
der Altstadt erwarben, finden wir für 1347 drei Maurermeister aufgeführt, Godiko von Hamm, Hermann Penkune und Heyne (Heinrich) Penkune; vermutlich
sind sie auf die Kunde von großen Bauvorhaben angezogen. Leider lassen uns
die Quellen über Einzelheiten im Stich. Im Bau der St. Katharinenkirche, die
schon vorher in bescheidenen Formen auf
demselben Platze, abseits vom Getriebe des Marktes und dem Lärm der
Straßen, gestanden haben muß, scheint nach Vollendung des Ostchors eine
längere Unterbrechung eingetreten zu sein; denn erst i. J. 1367 schlössen
die Kirchenväter mit Heinrich Penkun einen Vertrag über die Maurerarbeit,
nach dem er für das Tausend Ziegel 10 Scot Lohn und dazu jährlich 7 Ellen
Tuch erhalten sollte. 1381 muß das mächtige Kirchenhaus, zunächst noch
ungewölbt, vollendet gewesen sein, da nunmehr der Zimmermeister Johann die
Holzarbeiten für den Musikchor, die Decke und einen mit Blei gedeckten
Dachreiter für 200 Mark übernahm, während Meister Bernt mit der
Fertigstellung und dem Anstrich des Ostgiebels sowie der Eindeckung des
Daches beauftragt wurde. So hatte die lebhafte Stadt ein ihrer Bedeutung
entsprechendes würdiges Gotteshaus erhalten, in dem das Handwerk in
Altären und Bildwerken, in liturgischen Geräten und Gewändern, in Orgel
(1407 zuerst erwähnt) und Uhr (1425 in Auftrag gegeben) Proben seiner
reifen Kunst ablegen konnte. Um 1426 wächst der wuchtige, schön
gegliederte Turm gen Himmel, ungefähr gleichzeitig von zwei neuen Kapellen
flankiert, und um 1442 spannt sich das reiche, klare Sternengewölbe über
die drei Schiffe der weiträumigen, weihevollen Hallenkirche.
An der Nordseite des Kirchenplatzes (gegenüber der heutigen Berufsschule)
lag die Pfarrschule, die ebenso der würdigen Ausgestaltung des
Gottesdienstes wie den praktischen Bedürfnissen des Lebens diente. Wenn
wir ihr urkundlich auch erst i. J. 1382 mit dem Schulmeister Heinrich
Witte begegnen, so ist doch kein Zweifel, daß sie so alt ist wie die
Pfarr- und Stadtgemeinde. Ihr Besuch war freilich an die Entrichtung eines
Schulgeldes geknüpft und daher mehr den Kindern der vermögenderen Bürger
vorbehalten . Die Berufung des Schulmeisters wie auch des Glöckners stand
dem Rate zu, doch wurde i. J. 1402 dem Pfarrer ausdrücklich bestätigt, daß
er ein Einspruchsrecht habe, und daß ihm diese Beamten in allen Dingen,
„die von alter Gewohnheit zur Kirche gehörten", zum Gehorsam verpflichtet
seien. Als der neue Hochmeister Ulrich von Jungingen i. J. 1408 von seiner
Reise nach Memel über Braunsberg heimkehrte, begrüßten ihn nach der
damaligen Sitte die hiesigen Schüler „zum Einsiedel" und erhielten
vermutlich für ihren Gesang und ihre Deklamation 1/2 Firdung (etwa 3—4
heutige Mark) als Belohnung.
Der christlichen Gesinnung werktätiger Caritas entsprangen zwei
Stiftungen, deren Gründung uns leider nicht bekannt ist,
19 die aber vermutlich in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts
zurückreicht:
das nach dem römischen Vorbilde benannte Hl. Geist-Hospital und das
St.
Georgs-Hospital. Das erstere lag, wie auch sonst üblich, vor den Toren der
Stadt am Wasser, und zwar zwischen der Mühlen- und Kesselbrücke auf dem
Platze des jetzigen Museums. Seit 1368 lassen sich eine Reihe von
Stiftungen für das Armen, Kranken und Pilgern offenstehende Haus, zu dem
eine St. Andreaskapelle gehörte, nachweisen. Der anschließende Friedhof
wurde von den beiden Landstraßen begrenzt. Dem Rat übertrug der Bischof i. J. 1394 die Leitung und Verwaltung des Hospitals. Weiter nördlich auf dem
Damme (dem heutigen evgl. Friedhof), fern der Gemeinschaft der Stadt, war
für die bedauernswerten Aussätzigen unter dem Schütze des hl. Georg ein
Spital mit Kapelle errichtet, das nachweislich seit 1373 fromme
Zuwendungen erfuhr. Auch die Hochmeister pflegten Braunsberg nicht zu
passieren, ohne St. Jorgen eine milde Spende zuzuwenden. Als im 15.
Jahrhundert die entsetzliche Krankheit erlosch, wurde das Georgshospital
den ganz Armen, im Bedarfsfalle auch Seuchenkranken eingeräumt.
Zu diesen einfacheren Bauten, die mit dem kirchlich-religiösen Leben der
Bevölkerung aufs innigste verbunden waren und dem schaffensfrohen und
opferfreudigen 14. Jahrhundert des Aufbaues zuzuschreiben sind, gehörte
schließlich die St. Johanniskirche, die vor dem Obertor auf dem heutigen
Johannisfriedhof lag, 1402 zum erstenmal erwähnt wird und sogar aus ihrem
Vermögen i. J. 1414 dem Rat eine Anleihe zur Verfügung stellen konnte.
Um die Mitte des 14. Jahrhunderts, als man mit dem Chor an den
Monumentalbau der St. Katharinenkirche die erste Hand anlegte, mag man
auch an den Neubau des Rathauses herangegangen sein. Vielleicht erklärt
sich die zwanzigjährige Unterbrechung der Arbeiten an dem Kirchenbau mit
der Durchführung anderer städtischer Bauprojekte. Wie bei dem jüngsten
Rathausumbau (1920) der Befund alten Mauerwerks in der Erde erwies, muß
sich an dieser bedeutsamen Stelle schon vorher ein wichtiges Gebäude
erhoben haben, in dem wir zweifellos das ursprüngliche Rathaus der
Altstadt zu erblicken haben. Da seine engen Räume und bescheidenen Formen
den gesteigerten Ansprüchen der aufblühenden Gemeinde nicht mehr
genügten, schritt man zu einem Neubau. Er gliederte sich in zwei Teile:
das eigentliche Rathaus mit einem Dachreiter für die Ratsglocke, davor zur
Langgasse hin ein Vorbau von geringerer Höhe, die Gerichtslaube. Hier "am
lübischen Baum" wurde das öffentliche Gericht gehalten, und ein eindringliches
Freskogemälde vom Jüngsten Tag erinnerte den
Schultheißen und die Schöppen als Richter Kläger, Beschuldigten und
Zeugen an die verantwortungsschwere Bedeutung dieser Stätte. Zu beiden
Seiten des Rathauses, dessen Erdgeschoß u. a. als Rüstkammer, dessen
oberes Stockwerk für Verwaltungszwecke und zu bürgerlichen Beratungen und
Festen diente, gliederten sich bald Hakenbuden an, in denen westlich Höker
und östlich städtische Beamte wohnten.
Plan der
Altstadt Braunsberg v. J. 1635
Gezeichnet von Amtsschreiber Paul Stertzell, in Kupfer gestochen von Konrad Götke.
Die Doppelplatte
im Besitz der Stadt.
Auch der Festungsgürtel der Stadt mag während des 14. Jahrhunderts seinen
allmählichen Ausbau gefunden haben. Das bischöfliche Schloß umfaßte zwei
durch Mauern geschützte Höfe, von denen der größere durch das Schloßtor
mit der Stadt verbunden war. Die Längsachse der Altstadt bildete die
Langgasse, durch die vom Mühlentor bis zum Hohen Tor auch der Fernverkehr
flutete. Da die Nordflanke durch die Passalge gedeckt war, wurden hier am
Ausgange der Haupt- und der Parallelstraße einfache Torbauten und Mauern
als genügend erachtet. Das Kütteltor an der jetzigen Kesselbrücke trug
seinen Namen von dem auf dem gegenüberliegenden Flußufer errichteten
Küttelhof (Schlachthaus), den schon i. J. 1378 das Fleischergewerk
übernommen hatte. Das Hohe Tor aber an der gefährdeteren Südfront wurde
durch einen vorgelagerten Turm an der Zugbrücke im Stadtgraben verstärkt,
und außerdem sichelte eine mit Türmen besetzte Doppelmauer, zwischen der
ein zur Hälfte als bürgerlicher Schießgarten benutzter Parcham lief, den
wichtigsten Zugang zur Stadt . An der Westseite führten ebenfalls
parallele Mauerzüge über das Mönchentor und den anschließenden
Schießgarten der Junker zum Nagelschmiedetor, einen von zwei Rundtürmen
flankierten Bau, der den Verkehr mit dem Hafen vermittelte. Unbedeutender
war das folgende Wassertor.
Von diesen umfangreichen Befestigungswerken, die uns der ausgezeichnete
Plan der Altstadt v. J. 1635 im Bilde bewahrt hat, haben sich nur
spärliche Überreste bis auf den heutigen Tag erhalten: zerbröckelnde und
erneuerte Stücke der Wehrmauer, neben kleinen Türmen der Schloßturm in der
jetzigen Aufbauschule, der runde Roßmühlenturm am Ende der heutigen
Klosterstraße, der viereckige, durch ein dunkles Rautenmuster belebte
Pfaffenturm, nach dem benachbarten Franziskanerkloster so benannt. Wenn
Steine reden könnten, würde uns das jahrhundertealte Mauerwerk viel
Interessantes von 21 harter Belagerung und
kühnem Sturm, aber auch von tapferer Wehr und
erzwungener Kapitulation zu erzählen wissen.
Die Neustadt, ein längliches Rechteck bildend, war nicht durch
ähnliche
Wehranlagen geschützt. Zwei Tore schlossen die breite Marktstraße ab. an
der wohl im 15. Jahrhundert in schlichtesten Formen Gotteshaus und Rathaus
erstanden. Die Passarge bildete im Südwesten, der Regitter Graben im
Nordosten die Wassergrenze; vor den Toren, die noch heute an den
vorspringenden Häusern an den Ausgängen der Hindenburgstraße erkennbar
sind, waren von dem Graben Kanäle zur Passarge abgeleitet, von denen der
nordwestliche jetzt ganz unterirdisch, der südöstliche teilweise verdeckt
läuft. Im übrigen schützte nur Pfahlwerk statt Mauern die Bürgerschaft der
Neustadt.
Zwischen der alten Landstraße und der Neustadt lag ein Streifen
bischöflichen Geländes, wo auf dem sogenannten Schloßdamm Gärtner angesetzt
waren.
In die Schrecknisse d. J. 1349, als der „schwarze Tod" auch durch
Preußens
Gaue schritt, gibt uns eine charakteristische Aufzeichnung im ältesten
Braunsberger Bürgerbuch Einblick. Danach schob man auch hier die Schuld an
dem unerklärlichen Massensterben den Juden zu, die die Brunnen vergiftet
und die Menschen behext hätten. So sollte es ein getaufter Jude Rumbold in
Elbing getan haben, wo in 4 Monaten mehr als 9000 Menschen von der Pest
weggerafft worden sein sollen, und ähnlich wütete sie auch in den
Nachbarstaaten. Obwohl Braunsberger Opfer in dieser Notiz nicht erwähnt
sind, ist kaum anzunehmen, daß die Passargestadt von dem unheimlichen Gast
verschont geblieben ist. Voller Wut schleppte man die vermeintlichen
Schuldigen zum Scheiterhaufen und verbrannte sie.
Der Pflege der Gesundheit dienten im Mittelalter die Badestuben, in
denen
von heilkundigen Badern warme Bäder verabfolgt und einfache ärztliche
Eingriffe vorgenommen wurden. Das älteste Bad. das 1291 erwähnt wird, lag
auf der bischöflichen Wiese, die Badershagen (Petershagen) genannt wurde.
I. J. 1318 verschrieb Bischof Eberhard seine nahe dem Schloß gelegene
bischöfliche Badestube (am Baderberg) dem erprobten und ehrbaren Bader
Bartusche und seinen Erben zu dem beträchtlichen Jahreszins von 4 M.
gewöhnlicher Münze. Der Bischof und sein Hof sollten gebührenfreie
Benutzung des Bades genießen; die Gerichtsbarkeit über die Badestube blieb
dem bischöflichen Vogt vorbehalten. I. J. 1387 erwarb der bischöfliche
Bader im Einverständnis mit dem Vogt das altstädtische Bürgerrecht für 1/2 M.
Aus den Badestuben zogen damals die
Besitzer erhebliche Einnahmen. Das öffentliche Baden in Fluß und See war noch
nicht in Übung.
I. J. 1353 erhält ein Diener des Artushofes das Braunsberger
Bürgerrecht.
Wir ersehen aus dieser Notiz, daß schon damals ein Klubhaus vorhanden war,
das unter dem Titel des sagenhaften Königs Artus einen geschäftlichen und
geselligen Sammelpunkt des städtischen Junkertums bildete. Hier
verhandelten die reichen Schiffsreeder und Kaufleute untereinander und
mit auswärtigen Geschäftsfreunden, hier suchten sie bei einem guten
Trunk, bei Spiel, Musik und Tanz Erholung nach des Tages Lasten. Im
Junker-Schießgarten zwischen Mönchen- und Nagelschmiedetor erprobte man
sich wehrhaft in der Armbrust, und den Rittern gleich rang man auf der
Langgasse gegenüber dem Artushof (heute Nr. 34) im Turnier um Silberkranz
und -Kette.
Von den benachbarten Hansastädten Danzig und Elbing mag der Anstoß zur
Braunsberger Artusbruderschaft ausgegangen sein, die bald den
ritterlichen St. Georg als christlichen Patron erkor. Spätestens um die
Mitte des 14. Jahrhunderts ist die Passargestadt in geschäftliche und
politische Beziehungen zur Hansa getreten, die damals eine deutsche
Großmacht war und durch ihre straffe Organisation und starke Flotte selbst
ausländischen Fürsten ihren Willen aufnötigte. Zum erstenmal begegnen wir
in den Hanseakten einem Braunsberger Handelsherrn im August 1358. Damals
wendet sich „Heyne Langhe van dem Brunsberghe" an die Älterleute der
deutschen Kaufmannschaft zu Brügge in Flandern mit der Bitte um
Schadensersatz. Seine Kogge (Segelschiff) sei ihm bei dem Unternehmen des
Grafen von Flandern gegen Antwerpen von der Stadt Sluys beschlagnahmt und
zum Kampf entführt worden, und dadurch sei ihm ein Schaden von 1400
Brüggeschen Schilden entstanden. Es dauerte freilich sechs Jahre, ehe
durch Vermittlung des Lübecker Rates diese Forderung, wenn auch nur mit
413 Schildtalern, beglichen wurde. Dem Lübecker Hansetage vom Mai 1364
wurden von der Brügger deutschen Kaufmannschaft außer anderen die
Braunsberger Schiffer Johann Holzste, Hanneke Rode und Arnold Schof
gemeldet, die gegen ein hansisches Verbot von Flandern weggesegelt und
daher straffällig geworden seien.
Laut Beschluß des Kölner Hansetages vom November 1367 sollten die sechs
preußischen Schwesterstädte Thorn, Kulm, Danzig, Elbing, Braunsberg und
Königsberg 5 Koggen gegen König Waldemar von Dänemark ausrüsten und zur
Bestreitung 23 der Kriegskosten ein
Pfundgeld von den auslaufenden Schiffen erheben.
Als Lohn ihrer Teilnahme an dem siegreichen Kampfe erhielten sie das für
ihren Heringshandel außerordentlich wichtige Recht, bei Falsterbo auf
Schonen gleich anderen Hansestädten eine eigene Bitte. d. h. Handelsplatz,
anzulegen. Hier planten übrigens die Braunsberger Franziskaner i. J.
1399 den Bau einer Kapelle, um die in der Fangzeit (Juli bis Oktober)
tätigen preußischen Kaufleute seelsorglich zu betreuen. Ob diese Absicht
verwirklicht wurde, ist nicht bekannt.
Auch an der Ostküste Englands lassen sich Braunsberger Kauffahrteischiffe
nachweisen. Als i. J. 1386 die preußischen Hansastädte ihre Klagen gegen
die Engländer vorbrachten, führte auch Braunsberg Beschwerde, daß dem
Tydeke Swarcz eine vollbeladene Kogge im Werte von 425 M. zwischen
Ulemborgishovede und dem Schilde (vor der Wash-Bucht) von Engländern
gekapert und dem Kord Grote nach seinem Schiffbruch vor Schardenborch
(Grafschaft York) durch Raub ein Schaden von 40 Goldmark zugefügt worden
sei. Wie hier im Westen Braunsbergs Seeverkehr erstaunlich weit reichte,
so ging er auch zur Ostsee bis Reval hinauf; das lehrt uns ein Brief des
Braunsberger Rates an den von Reval aus der Zeit um 1400 wegen eines
untergegangenen Schiffes. Trotzdem kann die Zahl der seefesten Koggen,
wenn wir den engen Passargehafen und den schmalen Flußlauf in Betracht
ziehen, nicht als groß angenommen werden: vielleicht blieben die
breiteren, schwereren Holte an der Flußmündung liegen, wo schon seit
Beginn des 14. Jahrhunderts ein Krug nachweisbar ist, den gegen Ende des
Jahrhunderts der Braunsberger Bürger Goswin erwarb. Die Schiffe, die
vermutlich auf dem Werftplatz gebaut wurden, gehörten entweder ganz den
Reedern oder einer Gruppe von Anteilbesitzern. So hören wir i. J. 1366
von dem Erbe 1/32 Anteils der Kogge des vorgenannten Arnt Schof.
In den weiträumigen Speichern und Schuppen staute sich die Last an Gütern,
die aus dem Bistumshinterlande zur Ausfuhr gelangten: Roggen, Hafer, Mehl.
Hopfen, Flachs, Leinwand, Garn, Honig, Federn, Wachs, Holzprodukte, Häute
u. a. Und dafür kamen aus der Ferne: Salz, Heringe und andere Seefische,
Wein, Gewürze, Leinen- u. Seidenstoffe, Hausund Wirtschaftsgeräte.
Waffen. Eisen. Zinn, Blei. Kupfer, Stahl, Glas, Öl, Papier u. a. Weit
mehr war das Land auf die Einfuhr fremder Erzeugnisse angewiesen, als daß
es seine eigenen auf den damaligen Weltmarkt werfen konnte. Aber24die Braunsberger Reeder und Kaufherren vermittelten jenen starken
Warenaustausch, und dabei verblieb ihnen naturgemäß ein ansehnlicher
Verdienst. 1401 wurde über die Ausbesserung der Kernhäuser vor der Stadt
ein Ratsbeschluß herbeigeführt, 1452 ist die Lastadie (Schiffsladeplatz)
erwähnt.
Zur Beratung ihrer gemeinsamen Angelegenheiten versammelten sich die
preußischen Hansestädte nach Bedarf gewöhnlich in Marienburg, wo sie nach
Verständigung mit dem Hochmeister ihre Maßnahmen trafen. Die einladenden
Städte Thorn oder Danzig pflegten Elbing zu beauftragen, die Einladung
nach Braunsberg und Königsberg weiterzugeben. Wenn auch die unbedeutendere
Passargestadt wegen der „Zehrungskosten" oft auf die Entsendung eigener
Ratsvertreter verzichtete, so hatte sie als Hansagenossin doch das Recht
dazu. Bei besonders wichtigen Verhandlungen begegnen wir sogar ihren
Deputierten auf den allgemeinen Hansetagen. Als i. J. 1395 die Besetzung
von Stockholm geboten erschien, mußte Königsberg 10, Braunsberg 5 Mann
stellen, von denen 3 Gewappnete und 2 Schützen sein sollten. Die Schützen
sollten 1 Schock guter getülleter (Tülle ist die Zwinge zur Befestigung
der Pfeilspitze) Pfeile, 3 Armbrüste (1 große, 1 mittelmäßige, 1 kleine)
mitbringen und mit Panzer, Brustharnisch, Kappe, Eisenhut, Blechhandschken
und Tartsche (einem kleinen länglichrunden Schild) versehen sein. Zum
anschließenden Kriege gegen die sog. Vitalienbrüder, die durch ihr
Piratenunwesen den Ostseehandel schädigten, genehmigte der Hochmeister auf
der Marienburger Tagfahrt vom 6. Dezember 1395 eine städtische Steuer im
ganzen Lande; jeder Bürger sollte 2 Slot und von der Mark 4 Pf. von allem
seinem Gute zahlen; außerdem wurde von der fremden Einfuhr ein Pfundgeld
erhoben. Braunsberg sollte das Geschoß von dem ganzen „Bischofftum und der
Thumheren Land" einziehen. Daraufhin sollten im nächsten Frühjahr Danzig
140, Thorn und Elbing je 80, Königsberg u. Braunsberg zusammen 50
Gewappnete stellen; die beiden letzten Städte hatten an Friedeschiffen 1
mäßig Schiff, 1 Schnicke (kleines Fahrzeug) und 1 Schute (meist für
Heringsladungen verwendet) auszurüsten. Zu der gleichen Unternehmung
gegen Gotland stellte Braunsberg i. J. 1398 15 Mann. Königsberg 35, Elbing
und Thorn je 95, Danzig 160 Wappner. Aus einer Abrechnung über das
Pfundgeld d. J. 1390, das alle einlaufenden und ausgehenden Seegüter mit
einer Steuer von etwa 1/410 des Wertes belastete, ersehen wir. daß Danzig
550 M. einnahm, Thorn 165, Königsberg 50, Elbing 42 1/2 M. und Braunsberg
2 M. 2 scot. Wenn diese Zahlen 25 abschließende
Jahresergebnisse darstellten, würde die Passargestadt
damals einen Umschlag von etwa 27000 Mark heutiger Währung gehabt haben.
Aus allen diesen Ziffern lassen sich vergleichende Rückschlüsse auf die
wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Hanseorte ziehen, die Braunsberg
in jedem Falle an die letzte Stelle rücken.
Diese Hansazugehörigkeit stärkte das Selbstbewußtsein der Passargestadt,
kostete wohl auch materielle Opfer, brachte aber doch reicheren Gewinn.
Die Sicherheit zur See verbürgte allein die Blüte des Handels, und an
seinen Früchten hatten weiteste Kreise der Gemeinde Anteil. Daher drängte
sich die ganze Bürgerschaft, Männer, Frauen und Kinder, am Hafen zusammen,
wenn die allen bekannte Kogge, sonst zu friedlicher Ladung bestimmt, gegen
den Feind mit schwellenden Segeln und lustig flatternden Wimpeln die
Passarge abwärts fuhr, und des Winkens und Glühens mit den Wappenern und
Schützen, mit dem Steuermann und seiner Besatzung, den sog.
Schiffskindern, war kein Ende.
Nahmen solche Flottenunternehmungen wiederholt die Bürgerschaft in
Anspruch, so fehlte es inzwischen nicht an Kriegsreisen zu Lande. Eine
zufällig erhaltene Aufzeichnung v. J. 1364 - inzwischen übt der Rat
anscheinend in einer aristokratischen Reaktion wieder das Recht der
Selbstergänzung aus - meldet uns, daß wegen der Zerstörung der
littauischen Burgen Welun und Neu-Kowno über 20 angesehene, namentlich
aufgeführte Braunsberger vermutlich zu Pferde mit dem Orden ins Feld
zogen. 10 andere Bürger und die beiden Mühlen lösten sich mit einer
Zahlung von 1 1/2 M. aus, wofür der Rat Ersatzmänner warb. Außerdem
steuerten die 9 städtischen Gewerke und drei Stadtdörfer bestimmte
Geldbeträge zu der Expedition nach Littauen bei. Als die zahlungsfähigste
Zunft galten die Bäcker, die 3 M. aufbrachten; am wenigsten trugen die
Höker mit 1 1/2 M., die Kürschner und Krämer mit 1 M. bei, während die
anderen Gewerke je 2 M. entrichteten. Von den Stadtdörfern gab Wildenberg
(Willenberg) 7 M., Hermannsdorf und Stangendorf je 5 M. Vielleicht
stellten die Gewerke und Dörfer mit diesen Beträgen weitere Gewappnete,
und wenn wir den Durchschnittssatz von 1 1/2 M. für Ausrüstung und
Verpflegung des Mannes annehmen, würden sich dabei rund 20 Krieger
errechnen, so daß die Altstadt insgesamt über 50 Bewaffnete entsandt haben
dürfte. So konnte das Braunsberger Fähnlein gut ausgerüstet zum
Ordenheere stoßen und unter den Augen des Hochmeisters und seiner Komture
vor dem Feinde beweisen, was der einzelne im friedlichen Schießgarten
erlernt hatte. Und dann kehrten die braven Vaterlandsverteidiger nach
Monaten heim, vom Rat und der Bürgerschaft in Ehren bewillkommnet, von
den Angehörigen mit Jubel begrüßt, und staunend lauschte man ihren
Berichten von dem fremden Land und Volk und von mancher Heldentat.
So heischten die fast das ganze 14. Jahrhundert hindurch anhaltenden
Kriege des Ordens mit den Littauern wiederholt die aktive Beteiligung
Braunsberger Mitstreiter.
Im stolzen Bewußtsein ihrer wachsenden Kraft und Macht geriet die Stadt
mit dem kunstliebenden Bischof Heinrich III. Sorbom (1373 -1401) in schwere
Kämpfe. Von wesentlicher Bedeutung für den Ablauf dieser Spannungen war
der Umstand, daß der Bischof gleich nach seinem Regierungsantritte in
friedliebender Nachgiebigkeit dem erbitterten Grenzstreit mit dem Orden
ein Ende gemacht und sich diesen günstig gestimmt hatte; er durfte daher
in den Konflikten mit seiner Hansestadt der Unterstützung des Hochmeisters
versichert sein. Wenn wir auch dem unzuverlässigen Chronisten Simon Grünau
nicht Glauben zu schenken brauchen, der berichtet, die Braunsberger hätten
damals des Hochmeisters Untertanen werden wollen, seien aber von diesem
aus grundsätzlichen Erwägungen abgewiesen worden, so haben wir doch schon
im Vorhergehenden gezeigt, daß die Stadtverwaltung bei wiederholten
Zusammenstößen mit dem bischöflichen Landesherrn beim Orden Rückhalt
gesucht hatte. Dieser Möglichkeit hatte der neue Bischof in kluger
Voraussicht vorgebeugt.
Wir kennen nicht im einzelnen die Gründe, die zum ersten Konflikte
fühlten. Vermutlich schädigte der völlige Verzicht des Bischofs auf die
Wiesen zwischen Haff, Passarge, Rune und Rosser Weg zugunsten des Ordens
die Stadt in ihrem Grundbesitz. Es hat auch den Anschein, als ob die
Streitsache des Braunsberger Rates mit dem Kleriker Arnold Lange mit
hineinspielte. Dieser Sohn der Stadt, wohl aus der reichen, mehrfach
erwähnten Patrizierfamilie, läßt sich von 1356 - 64 als Scholar an der
Universität Paris nachweisen. Heimgekehrt verfeindete er sich aus
unbekannten Ursachen mit einer großen Zahl angesehener Laien der Diözese
aus Stadt und Land. Der Priester Johann von Heilsberg scheint ihr
Wortführer gewesen zu sein, als er beim Braunsberger Rate Klage erhob.
Dieser ächtete den Angeschuldigten und zog seine im Stadtgebiete liegenden
Besitzungen ein. Darüber führte Lange aber beim päpstlichen Stuhle in
Avignon Beschwerde mit dem Erfolge, daß Gregor XI. im November 1374 die Äbte von Suckau, Oliva und Pelplin beauftragte, den Rat sowohl
27 wie die Kläger mit dem Banne, die Altstadt aber mit dem Interdikt zu
belegen, bis die Strafmaßnahmen gegen den Kleriker zurückgenommen und ihm
Genugtuung verschafft sei. Wenn dieser Exekutionsauftrag nicht dem
zuständigen Bischof zuging, so konnte darin wohl ebenso eine
Rücksichtnahme auf ihn erblickt werden, indem ihm der harte Strafvollzug
erspart bleiben sollte, andererseits aber ein gewisser Vorwurf, daß in
einer seiner Städte dieses den kanonischen Bestimmungen widersprechende
Urteil erlassen werden konnte. Ob es zur Durchführung der päpstlichen
Sentenz gekommen ist, wissen wir nicht. Wenn wir aber den Kleriker Arnold
Lange schon i. J. 1379 als Mitglied des Guttstädter Kollegiatstifts und
später als ständigen Vikar an der Frauenburger Kathedrale und Pfarrer von
Heilsberg antreffen, so erkennen wir, daß er sich bei Heinrich III. vollen
Vertrauens erfreute. Es liegt nahe, daß der Bischof diesen ungeahnte
Auswirkungen annehmenden Rechtsfall zum Anlaß nahm, um die Frage der
Braunsberger Gerichtsbarkeit aufzurollen. Dabei stieß er aber auf den
hartnäckigen Widerstand des Rates und der Gemeinde, die sich auf die
städtische Handfeste beriefen.
Der Streit nahm solche Formen an, daß beide Parteien wie gleiche Gegner,
obwohl Landesherr und Untertanen sich gegenüberstanden, die Komture von
Elbing und Balga als Schiedsrichter erkoren und diese am 26. Mai 1376 zu
Neutief auf der Frischen Nehrung im Beisein des Hochmeisters Winrich von
Kniprode, des Bischofs Bartholomäus von Ermland, des Großkomturs, obersten
Marschalls und vieler anderer Zeugen folgenden Spruch fällten: Die
Braunsberger zahlen „czu besserunge" d. h. als Buße binnen 4 Jahren die
hohe Summe von 1000 preußischer Mark an den Bischof. Die Ratleute sollen
weiter richten wie bisher, aber nicht das Begnadigungsrecht ohne ihren
Landesherren und seinen Vogt ausüben; der soll bei dem Gerichte sitzen,
wenn er will. Ob nach der Handfeste dem Rate die peinliche Gerichtsbarkeit
über Hals und Hand zustehe, darüber sollte er sich bei den Seestädten mit
lübischem Recht, insbesondere zu Wismar, erkundigen. Bei bejahendem
Bescheide sollte er weiter lichten wie zuvor; im negativen Falle müßte er
dieses Recht erst von dem Bischof erwerben. Für jede Verletzung dieses
Schiedsspruches, den beide Teile annahmen, sollte der Schuldige dem
anderen Partner eine Buße von 100 M. zahlen.
Vier Jahre später, am 15. Mai 1380, wurde zu Heilsberg in Anwesenheit des
Hochmeisters, des Balgaer Komturs und der ermländischen Domherren eine
Vereinbarung, vorläufig für 2 Jahre, getroffen des Inhaltes, daß der Rat am
Abend, bevor man
über Hand und Hals richte, dem auf dem Schlosse wohnenden bischöflichen
Vogte Meldung zu erstatten habe; wolle dieser erscheinen, so sitze er
dabei; käme er nicht, so solle man gleichwohl richten.
So hatte der Bischof in dem zähen Streite um die Blutgerichtsbarkeit dank
der Unterstützung des Ordens einen unverkennbaren Erfolg errungen.
Offensichtlich kam ihm dabei der Einfluß des römischen Rechtes zustatten,
das damals die landesherrlichen Befugnisse gegenüber denen der Untertanen
mehr und mehr zu erweitern suchte. Mußte sich die in ihren früheren
Privilegien beschränkte, mit harter Geldbuße bestrafte Altstadt auch der
vereinten Macht der Landesfürsten des Ermlandes und des Ordensstaates
beugen, so blieb doch ein Stachel zurück, und das gegenseitige Verhältnis
des Rates und des Bischofs kann nicht das beste gewesen sein, wenn auch
Heinrich III. in einer Urkunde vom 10. Februar 1394 über das Hl.
Geist-Hospital dem Rate das Zeugnis ausstellte, daß er sich „durch seine
Umsicht, Emsigkeit, Rechtschaffenheit, Treue und Zuverlässigkeit" sein
volles landesherrliches Vertrauen erworben habe.
Schon im nächsten Monat stellte er diese Treue auf eine schwere
Belastungsprobe. Die Bürger der Neustadt Braunsberg, deren Gemeinwesen
nicht recht vorwärts kam, ja unter ärgerlichen Zwistigkeiten, vermutlich
auch mit der Altstadt, litt, hatten sich an den Bischof gewandt mit der
dringenden Bitte, ihre Gemeinde mit der Schwesterstadt auf dem
gegenüberliegenden Passargeufer zu vereinigen. Sie hätten damit Anteil an
deren weitgehenden Privilegien erhalten und wären aus ihrer
untergeordneten wirtschaftlichen Bedeutung zu einem lebendigen Gliede der
angesehenen Hansastadt emporgewachsen. Andererseits wachte die Altstadt
eifersüchtig über ihren Vorrechten, die sie mit niemandem zu teilen
gedachte. Der Bischof pflog mit seinem Domkapitel und seiner vertrauten
Umgebung, in der der ständige Vikar der ermländischen Kirche und
bischöfliche Schäffer Arnold Lange uns besonders auffällt, Rat und kam
mit ihnen überein, die Handfeste der Neustadt einzuziehen und die
Gemeinde mit der Altstadt zu vereinigen. In seinem Erlaß vom 28. März 1394
vollzog er diese Einverleibung, nach der die Neustadt mit ihrer ganzen
Gemarkung fortan zur Altstadt geschlagen, die neustädtische
Einwohnerschaft alle Rechte der altstädtischen genießen und ein
gemeinsamer Rat, der nach Ermessen auch aus neustädtischen Bürgern
bestehen sollte, die vereinigte Stadt regieren sollte. Von einer
29 Zustimmung des altstädtischen Rates verlautet bezeichnenderweise nichts.
Mit leidenschaftlicher Erregung nahm die Bürgerschaft der Altstadt diesen
eigenmächtigen Eingriff in ihre verbriefte Verfassung auf. Sie wird es an
Vorstellungen und Protesten bei Bischof Heinrich nicht haben fehlen
lassen; dieser fühlte sich jedoch als Landesherr zu seiner Handlungsweise
berechtigt, die der Altstadt nichts nahm, sondern nur einem erweiterten
Bürgerkreise dieselben Privilegien zugänglich machen wollte. Vermutlich
trug noch folgender Umstand zur Verschärfung der Spannung bei. Wegen des
Seekrieges mit den Vitalienbrüdern war die Hansestadt Braunsberg auf der
Marienburger Tagfahrt vom Dezember 1395 von ihren Schwesterstädten
beauftragt worden, die beschlossene bürgerliche Kopf- und Besitzsteuer
von den ermländischen Städten einzufordern. Wenn auch der Hochmeister zu
diesem Geschoß seine Einwilligung erteilt hatte, so griff doch
tatsächlich die Passargestadt, die in ihrer hanseatischen Politik ohnehin
eigene Wege ging, mit ihrer Steuereinziehung empfindlich in die
landesherrlichen Rechte des Bischofs ein, und es läßt sich leicht
vorstellen, daß es bei der Durchführung dieser Abgabe, für die die
ermländischen Hinterstädte wenig Verständnis aufbringen konnten, zu
erneuten Reibungen kam. Nach dem aus einer Braunsberger Ratsfamilie
stammenden Chronisten Johann Plastwich war Bischof Heinrich in Braunsberg
erschienen, um Rat und Bürger „wegen einer gewissen erheblichen
Ausschreitung" zu bestrafen. Er beschied die Ratsleute aufs Schloß,
stellte sie zur Rede und gewährte ihnen auf ihren Wunsch eine Frist zur
Überlegung der Antwort. Sie gingen sogleich zum Rathaus, ließen die
Ratsglocke Sturm läuten, um die gesamte Bürgerschaft zu versammeln, und
stürmten dann in blinder Wut aufs Schloß, um den Bischof zu töten. Mit
knapper Not gelang es diesem, durch eine Hintere Pforte zu entweichen.
Gegenüber dieser offenen Rebellion griff Heinrich Sorbom mit strenger
Energie durch. Sofort rief er seine dienstpflichtigen Mannen zu den
Waffen und erhielt wohl auch von dem Hochmeister Konrad von Jungingen
militärischen Zuzug. In besten Beziehungen zum Orden hatte er hilfsbereit
dessen Außenpolitik gefördert und noch am 22. Juli 1396 mit dem
Hochmeister an dessen persönlichen Verhandlungen mit dem Littauerherzog
Witowd teilgenommen. Dafür zeigte sich Konrad von Jungingen erkenntlich,
indem er dem Bischof in dem Kampf mit der empörerischen Stadt seine volle
Unterstützung angedeihen ließ. Gegenüber dem starken Belagererheer ohne
jede Aussicht auf Hilfe, blieb den Altstädtern nichts anderes übrig, als
zu kapitulieren und demütig um Verzeihung zu bitten. Ähnlich den Bürgern
der von Friedlich Rotbart eroberten Stadt Mailand, kamen sie unbeschuht
und barhäuptig, ihre Gürtelstricke um den Hals, aus dem Tore heraus, zogen
zum Lager des Bischofs, warfen sich ihm zu Füßen und baten ihn um
Verzeihung und Gnade. Dieser willfahrte ihren Bitten, überließ aber das
Urteil dem Hochmeister.
Am 4. November 1396 verhängte Konrad von Jungingen in seiner Marienburger
Residenz folgende Strafe: Die Glocken, mit denen die Braunsberger zum
Sturm gegen ihren Herrn geläutet haben, sollen ihm verfallen sein, und es
soll in seinem Ermessen stehen, was er mit ihnen tun will. Die Gemeinde
soll die Ringmauer am bischöflichen Schlosse nach der Stadtseite zu
aufführen und daran fünf Jahre hindurch je 100 M. vermauern. Alle
Anstifter des Aufruhrs, zu denen namentlich der erste Bürgermeister
Heinrich von Rossen gehört zu haben scheint, sollen aus der Stadt und dem
Bistum verwiesen werden, bis sie der Bischof begnadigt. Der Rat soll der
Gemeinde, die Gemeinde dem Rate wegen des begangenen Frevels keinen
Vorwurf machen, sondern die Sache auf sich beruhen lassen. Lediglich der
bischöfliche Landesherr soll das Recht haben, Angeschuldigte zur
Verantwortung zu ziehen und nach Verdienst zu bestrafen, und weder der Rat
noch die Gemeinde sollen sich dem widersetzen, bei Verlust ihrer
Freiheiten.
Mochten die Altstädter auch durch das eigenmächtige Vorgehen des
bischöflichen Landesherrn schwer gereizt worden sein, ihre offene Empörung
war deswegen doch nicht gerechtfertigt, und so traf sie der sorgfältig
abwägende, nicht zu harte Spruch des Hochmeisters, der die angegriffene
fürstliche Autorität des Bischofs wiederherstellte. Dieser mag die
Landesverweisung einiger Rädelsführer als gebotene Maßnahme durchgefühlt
haben, dann aber durfte nicht Fortsetzung des Konfliktes mußte vielmehr
Frieden und Versöhnung sein Ziel sein. In einsichtiger Erkenntnis, daß die
Vereinigung der Neustadt mit der Altstadt die Hauptursache des heftigen
Streites gewesen war, hob er am 1. September 1398 von seinem Schlosse
Seeburg aus diese verfehlte Anordnung auf. Beide Städte sollten in
Zukunft völlig selbständige Gemeinden bilden wie früher, und die Neustadt
erhielt ihre von Bischof Hermann ausgestellte Handfeste in ihrem
wesentlichen Inhalt neu ausgefertigt. Hinzugefügt war die Bestimmung, daß
die Bürger für die 14 Morgen an der Oberpassarge (Neustädter Anger), die
ihnen 31 Bischof Heinrich als Entschädigung für den
neu angelegten Mühlengraben
zugewiesen hatte, jährlich 1/2 Stein Wachs für Kerzen an die Frauenburger
Kathedrale liefern sollten. Möglich, daß auch die Befugnisse des
bischöflichen Burggrafen in der kommunalen Gerichtsbarkeit und Verwaltung
nach den Erfahrungen mit der Altstadt erst in der erneuerten Handfeste der
Neustadt ihre Festlegung fanden.
Die Bürgerschaft der Altstadt konnte mit dieser Regelung der leidigen
Angelegenheit wohl zufrieden sein. Heinrich Sorbams Nachfolger Heinrich
IV. Heilsberg unterhielt von Anfang an freundliche Beziehungen zu den
Braunsbergern wie zum Hochmeister. Als dieser auf einer Reise von Elbing
nach Königsberg i. J. 1402 Braunsberg berührte, nahm ihn der Bischof auf
dem hiesigen Schlosse aufs gastlichste auf, und der Heilsberger Hofnarr
Peter Pfiffer ergötzte die Gesellschaft mit seinen Spatzen. Dafür zeigte
sich Konrad erkenntlich, indem er dem „Toren", der sich auch auf die
Ablichtung von Jagdfalken verstand, 1/2 M., dem Stallknecht des Bischofs 1
M. als Zaumgeld schenkte. Heinrichs Wohlwollen zur Altstadt kam bei einer
Entscheidung zum Ausdruck, die er am 13. Mai 1405 auf seinem Braunsberger
Schlosse traf. Der Rat, fast vollzählig wieder derselbe wie vor der
Rebellion, war in einen Streit mit den Besitzern der Stadtgüter
Huntenberg, Rudloffhoven (Rodelshöfen), In der Owe (Auhof) und Kattenhoven
(Katzenhöfen) geraten, weil diese jedes bäuerliche Scharwerk ablehnten.
Sie wollten gleich den Stadtbewohnern behandelt werden und wie diese an
Jagd und Fischerei und allen anderen Vergünstigungen der Handfeste
teilhaben, glaubten aber zum Scharwelk und sonstigen bäuerlichen Lasten
nicht verpflichtet zu sein. Beide Parteien riefen den Bischof als
Schiedsrichter an. Dieser beriet sich mit mehreren rechtskundigen
Domherren über den Text der Handfeste und entschied zu Gunsten der Stadt.
Ausdrücklich sprach er den Hofbesitzern die Rechte des Gründungsprivilegs
ab; dieses sollte allein für die Stadt und die in ihr wohnenden Bürger
Geltung haben. Welche bösen Weiterungen aus diesem Streitfall trotzdem
erwachsen sollten, wird im nächsten Kapitel zu zeigen sein.
Auch die Neustadt erfuhr die Gunst des Bischofs. Am 19. März 1410
verkaufte Heinrich IV. ihrer Bürgerschaft mit Genehmigung des päpstlichen
Stuhles und im Einverständnis mit dem Kapitel 46 Hufen seines Tafelgutes
Karwan zwischen den Gemarkungen der Neustadt, Regitten, Schillgehnen und
Böhmenhöfen zu kulmischem Recht, jede Hufe zu 30 M. Die Mühle Bevernick
(Kleine Amtsmühle) und mehrere HufenWiesen und Wald behielt er sich vor.
Als Zins hatten die Bürger fortan von jeder Hufe 1 M. zu St. Martini an
die Landesherrschaft zu entrichten; vom Scharwerksdienst waren sie dagegen
frei. Die Äcker sollten mit den einzelnen Stadthöfen untrennbar verbunden
bleiben. Die bischöflichen Gärtner auf dem Damm, wo man zur St.
Georgs-Kapelle geht, sollen für ihre Schweine und Rinder zu dem üblichen
Weidegeld die städtische Weide benutzen dürfen. Die Gerichtsbarkeit auf
dem neuen Stadtfelde bleibt dem Burggrafen vorbehalten. Bezeichnend ist
für die mehr und mehr vordringende Rezeption des römischen Rechtes, daß
der Bischof gegen die Berufung auf abscheuliche Rechtsbücher. wie den von
der Kurie verworfenen Sachsenspiegel, förmliche Verwahrung einlegt.
III. Vom ersten zum zweiten Thorner Frieden (1410—88)
Trotz unerquicklicher innerer Spannungen und heftiger Zusammenstöße mit
dem bischöflichen Landesherrn hatte die Altstadt Braunsberg einen
gesicherten, stetigen Aufstieg genommen. In ihrer baulichen Anlage, ihren
Straßenzügen, öffentlichen Bauten und Befestigungswerken hatte sie das
wesenhafte Gepräge gewonnen, das ihr durch die Jahrhunderte nicht
verloren ging. Als wirtschaftlicher Vorort des Bistums Ermland genoß die
Stadt in Preußen und der großen Hansa Ruf und Achtung, und ihre Schiffe
trugen ihren Namen bis zu den fernen Küsten der Nordsee, brachten Waren
und Verdienst in die selbstbewußte, wohlhabende Bürgerschaft. Und
mittelbar hatte auch die Neustadt, obwohl fast ausschließlich eine
Handwerker- und Ackerbürger-Gemeinde, an dem Aufschwung ihrer älteren
Schwesterstadt Anteil.
Von der gedeihlichen Entwicklung der Stadt legte auch ihr großes
Amtssiegel Zeugnis ab, das für besonders wichtige Urkunden Verwendung fand
und seit 1351 nachweisbar ist. Das 75 mm messende Rundbild zeigt eine gezinnte Stadtmauer, die von drei auf Hügeln stehenden Türmen überragt
wird, unten auf einer blumigen Wiese einen nach links springenden Hirsch;
dazu die lateinische Umschrift: Siegel der Bürger (der Stadt) Braunsberg.
Wir sehen, der Drachen, die Erinnerung an das preußische Heidentum, ist
infolge der fortgeschrittenen 33 Christianisierung
der angestammten Bevölkerung in Wegfall gekommen; der
Hirsch als Symbol des Christentums beherrscht das fruchtbare Feld, das den
Segnungen der christlich-deutschen Kultur ebenso zu verdanken ist wie die
inzwischen von wehrhaften Befestigungswerken umschlossene Stadt „zum
Brunsberg".
Noch im selben Jahre, in dem Bischof Heinrich Heilsberg der
landwirtschaftlichen Entfaltung der Neustadt durch den Verlauf seines
Gutes Karwan neue Aussichten bot, erging der Kriegsruf durch die
preußischen Lande. Das finstere Gewölk, das sich seit der Verbindung
Littauens mit Polen für den Orden am politischen Himmel zusammengeballt
hatte, entlud sich in einem furchtbaren Gewitter. Schon i. J. 1409 hielt
Hochmeister Ulrich von Jungingen den entscheidenden Waffengang mit Polen
für unabwendbar, da erwirkte der Böhmenkönig Wenzel nach den ersten für
den Orden günstigen Grenzkämpfen einen neunmonatlichen Waffenstillstand,
der im Juli 1410 ablief. Am 28. März 1410 vereinbarten die Vertreter der
preußischen Hansestädte, darunter von Braunsberg Johann Sassendorf und
Helmike Ludeke, auf ihrer Tagfahrt zu Elbing, daß alle Haus- und
Grundbesitzer und sonstigen vermögenden Männer in den Städten ihren
Harnisch, nämlich Panzer, Brustschutz, Eisenhüte und Blechhandschken,
haben sollten. Für die Mobilmachung galt der städtische Ratsbeschluß v. J.
1403, daß zwei Ratsherren mit der gleichmäßigen Verteilung der
Dienstleistungen und Abgaben betraut werden sollten. Der aus dem Rat zu
einer Kriegsreise entsandte Hauptmann sollte von jeder der beiden Maygen
(Abteilung von etwa 30 Reitern und Fußtruppen) ein Streitroß und den
gewöhnlichen Sold, von der Stadt ein Pferd und 1 M. zu seiner Ausrüstung
erhalten, Angesichts der besonderen Landesgefahr dürfte das Braunsberger
Kriegskontingent sicherlich mindestens das Doppelte der üblichen Starke
erreicht haben. Unter einem eigenen Banner rückten sie aus, das 1 1/2
Ellen lang, 1 1/4 Ellen breit, lustig im Winde flatterte; im oberen weißen
Felde sah man ein schwarzes, im unteren schwarzen ein weißes Kreuz, der
Fahnenschaft war am Tuche schwarz, sonst hellbraun. So führte sie der
Hauptmann auf seinem Streitroß zum Hohen Tore hinaus. Spielleute und
Pfeifer begleiteten die scheidende Abteilung mit mutiger Marschmusik,
Wagen mit Lebensmitteln und Kriegsgerät folgten, und vorwärts ging's der
Weichsel zu und von da mit dem Ordensheere zum schicksalsvollen Blachfelde
von Tannenberg.
Welchen Anteil die Braunsberger Streitkräfte an der unglücklichen
Schlacht des 15. Juli 1410 gehabt haben, wissen wir nicht. Aber zweifellos
werden sie, soweit sie in dem schweren Ringen von
der Heeresleitung eingesetzt wurden, ihre Pflicht und Schuldigkeit getan
haben; vermutlich erlitt auch mancher von ihnen den Heldentod oder geriet
in Gefangenschaft. Unter den 51 von den Polen erbeuteten Ordensfahnen
waren auch die der Stadt Braunsberg, des Domkapitels und des Bischofs von
Ermland. König Wladislaus ließ die Banner bei seiner Rückkehr nach Krakau
im November 1411 im Triumph in die Schloßkirche tragen und dort aufhängen.
Die Katastrophe von Tannenberg, in der der Hochmeister mit den obersten
Gebietigern und etwa 200 Ordensrittern den Heldentod gefunden hatte,
schien das ganze Gefüge des Ordensstaates über den Haufen zu werfen.
Verzweiflung, Angst und Ergebung überall. Nur der Komtur von Schwetz Heinrich von Plauen
warf sich mit den noch verfügbaren Truppen in die
Marienburg, fest entschlossen, das Haupthaus des Ordens bis zum Äußersten
zu halten. Der Polenkönig lagerte sich am 23. Juli vor dem Schlosse und
nahm hier die Huldigungen der vier preußischen Bischöfe entgegen, die
ebenfalls alles verloren gaben. Am 10. August erschienen die Ratssendboten
von Thorn, Elbing, Braunsberg (Heinrich Vlugge) und Danzig vor Wladislaus,
den sie als ihren neuen Herrn glaubten ansehen zu müssen, und erbaten sich
freie Verfügung über die Münze und die Kornausfuhr, uneingeschränkten
Besitz der Einfahrt in die Weichsel und bei Balga, ungestörten
Handelsverkehr im ganzen polnischen Reiche und freie Pfarrerwahl. Auf
ihren wirtschaftlichen Vorteil bedacht, suchten die von der allgemeinen
Panik erfaßten Hansastädte von dem neuen Machthaber so viele
Vergünstigungen herauszuschlagen, wie nur eben möglich; und der König war
nicht karg im Versprechen.
Indessen, wider alles Erwarten trat bald ein Umschwung ein. Anrückende
Hilfs-Heere für den Orden und Seuchen im polnischen Lager veranlaßten
Wladislaus, gegen Ende September die Belagerung aufzugeben und südwärts
abzuziehen. Innerhalb kurzer Wochen war nun wieder das ganze Land in den
Händen des Ordens, der in einmütiger Dankbarkeit den Retter der Marienburg
am 9. November zum Hochmeister wählte. In dem am 1. Februar 1411 auf einer
Weichselinsel bei Thorn abgeschlossenen Frieden behielt zwar der Orden
sein preußisches Gebiet; aber die ihm auferlegte Kriegsentschädigung von
100 000 Schock böhmischer Groschen bedeutete eine gewaltige finanzielle
Belastung des Staates, der damit materieller Verarmung und innerer
Zerrüttung entgegenging. 35
In dieser Not sah sich Hochmeister Heinrich von Plauen zu
außerordentlichen Steuerforderungen gezwungen, glaubte er, das Ermland,
dessen Bischof wegen des Vorwurfes des Verrates flüchtig geworden war, dem
Ordensstaate gleich den anderen preußischen Bistümern eingliedern zu
dürfen. Am 22. April hielt er in Braunsberg eine wichtige
Ständeversammlung ab, die ihm eine zweite Beihilfe zur Kriegsschuld
bewilligte; hier wurde auch das widerspenstige Danzig, das die im Februar
beschlossene erste Landessteuer verweigert und in strengen
Handelsmaßnahmen des Hochmeisters und der Ermordung seiner beiden
Bürgermeister eine harte Ahndung erfahren hatte, nach Zusage einer hohen
Geldbuße begnadigt. Als Plauen im Oktober 1412 zur Stütze seiner auch
unter den Ordensbrüdern auf wachsenden Widerstand stoßenden Politik einen
48köpfigen ständischen Landesrat berief, gehörte diesem auch ein Vertreter
von Braunsberg an. Die verzweifelten Bemühungen des Hochmeisters, des
unerträglichen finanziellen und außenpolitischen Druckes Herr zu werden,
schlugen schließlich fehl, weil ihnen sowohl der Orden wie die Stände die
Gefolgschaft versagten. Der politische Kurswechsel, der nach Plauens
Absetzung (Oktober 1413) einsetzte, brachte wohl die Rückkehr des Bischofs
Heinrich in das Ermland, verschonte aber das Preußenland nicht vor
polnischen Angriffen. Der sog. Hungerkrieg traf im Sommer 1414 das
Ermland
besonders schwer: bis zum Haff drangen die Polen und ihre heidnischen
Verbündeten vor und scheuten nicht vor der Plünderung und Schändung des
Frauenburger Domes zurück. Die Passargestadt entging solchem Unheil,
vermutlich weil sie den beutegierigen Scharen zu stark befestigt erschien.
Vielleicht schützten auch die hier zwischen dem Orden und Polen
angeknüpften Friedensverhandlungen den Ort vor Brandschatzung. Bald aber
fand neuentflammter Bürgerhader in einer gräßlichen Untat seine
folgenschwere Entladung.
Als Heinrich von Plauen das ermländische Bistum besetzt hielt, glaubten
die Besitzer der Braunsberger Stadtgüter, an ihrer Spitze Ambrosius, der
Sohn des Hermann Gerung von Huntenberg, den Zeitpunkt gekommen, mit ihren
alten Rechtsansprüchen gegen die Altstadt wieder hervortreten zu sollen.
Unzufrieden mit dem ablehnenden Urteil des Bischofs v. J. 1405, verlangten
sie, gleich den freien Bürgern der Stadt von allen bäuerlichen Pflichten
entbunden zu weiden; ja wahrscheinlich führten sie bei ihrem neuen
Landesherrn, dem Hochmeister selbst, Beschwerde wegen des ihnen angetanen
Unrechts. Demgegenüber fühlte sich der Braunsberger Rat, an seiner Spitze
die Bürgermeister Heinrich Flucke und Jakob von der
Leiße, genötigt, am 29. Dezember 1411 von dem kaiserlichen Notar
Bernhard Hundertmarck das Zeugnis dreier Frauenburger Domherren
beglaubigen zu lassen, wonach die Hofbesitzer damals vor der Entscheidung
des Bischofs in ihrer Anwesenheit versprochen hätten, den Spruch ohne Arg
und Falsch widerspruchslos anzunehmen. Vermutlich hielt der Hochmeister
trotz dieses Notariatsaktes seine schützende Hand über die klagenden
Gutsbesitzer, deren Rechtssache auch die anderen ermländischen Lehnsleute
bewegt haben muß. Als aber Heinrich von Plauen seines Amtes entsetzt
worden war und Heinrich Heilsberg in sein Bistum zurückkehrte, konnte der
Rat wieder seine früheren Forderungen erheben.
Wie sehr in diesem wechselseitigen Spiel der Kräfte die Erbitterung und
der Haß gestiegen sein muß, kam in den letzten Monaten der Regierung des
Bischofs Heinrich (+ 4. 6. 1415) mit erschreckender Deutlichkeit zum
Ausdruck. Eines Nachts wurde Ambrosius von Huntenberg in seinem Hause
ermordet. Am nächsten Morgen fand man seine Leiche, mit Steinen an Hals
und Füßen beschwert, in der Passalge, wohin sie nach den vorhandenen
Spuren zu Wagen gebracht worden war. Erst sprach man's leise, dann hörte
man's laut: die Ratsherren von Braunsberg müssen die Missetäter sein! Die
städtischen Hofbesitzer und mit ihnen viele ländliche Edelleute wandten
sich an Hochmeister Michael Küchmeister mit der Bitte, den Mord zu ahnden.
Dieser verwies den Kriminalfall an den zuständigen Bischof Heinrich, der
als oberster Gerichtsherr in seinem Bistum mit Recht verlangen konnte, daß
die Sache im Ermland abgeurteilt werde. Andererseits forderten die Bürger
von Braunsberg, daß die Angelegenheit vor ihrem Stadtgericht verhandelt
werden müsse. Demgegenüber erklärten die Kläger mit aller Entschiedenheit,
sie weigerten sich nach Braunsberg zu gehen, wo die Verdächtigen selbst
auf der Schöppenbank säßen. Der Hochmeister ließ diesen triftigen Grund
gelten und berief die Prälaten, Ritter und Knechte und Städte des Landes
zu einer Tagfahrt auf das Elbinger Schloß, um den üblen Rechtsfall zum
Austrag zu bringen. Indessen alle seine Bemühungen erwiesen sich als
erfolglos. Die Landesbischöfe, die mit Ausnahme des sterbenskranken
ermländischen zugegen waren, protestierten dagegen, daß dieser Prozeß der
Gerichtshoheit des Heilsberger Bischofs entzogen würde, die anwesenden
Vertreter der Städte fühlten sich juristisch mit den Braunsbergern
solidarisch, und nur der Landadel hätte gern die angeschuldigten
„Pfeffersäcke" abgeurteilt. So endete die Versammlung statt mit einem
einmütigen Urteil mit gesteigerter Erbitterung. 37
Kurz darauf starb Heinrich Heilsberg. Die Todesnachricht nährte die
Aufregung, und so bedrohlich wurde die Stimmung, daß der Hochmeister in
Sorge geriet, es könnte ein großes Morden im Lande entstehen. Da der
ermländische Bischofsstuhl verwaist war, hielt er sich als Schirmherr des
Bistums zum Eingreifen für berechtigt. Nach sorgfältiger Beratung berief
er nach Wormditt eine Landbank, zu der außer den gewöhnlichen 12
ermländischen Landschöppen noch 12 andere vom Landadel und den Städen
hinzugezogen wurden. Diese 24 Schöppen hielten drei Sitzungen, aber jedesmal, wenn die Braunsberger Rede und Antwort stehen sollten, legten
sie Berufung an den Hochmeister ein, daß sie aus ihrem verbrieften
lübischen Recht vor ein kulmisches Landding gefordert seien, und erzwangen
dadurch Vertagung. Nun suchten beide Parteien den Meister in Mewe auf, und
dieser erreichte in Gegenwart seiner Gebietigel eine urkundlich
festgelegte Einigung dahin, daß die Braunsberger das zum
Kriminalverfahren erforderliche Lichzeichen (ein Zeichen vom Leichnam oder
sonstiges Beweisstück des Mordfalles) den vier Bänken des Wormditter
Landdinges ausliefern wollten. Zu diesem Termin waren nicht weniger als
400 Braunsberger geladen, aber die Beschuldigten weigerten sich, ohne
Urteil das Lichzeichen herauszugeben. Nun wurde ihnen gedroht, der
Hochmeister würde sie ächten, und man würde sie fangen und köpfen und
ihnen mancherlei antun. Da machten sich die angeklagten Ratsherren aufs
Schlimmste gefaßt. Neun von ihnen flüchteten plötzlich aus ihrer Stadt,
nicht im Eingeständnis ihrer Schuld, behaupteten sie, sondern weil sie dem
Rechte ihres bischöflichen Landesherren und ihrer Stadt nichts vergeben
wollten. Zwei andere Ratsleute, auf denen kein Verdacht ruhte, blieben
zurück.
Nach Beratung mit seinen Gebietigern und den Prälaten belegte der
Hochmeister die Flüchtigen mit der Acht. Diese aber suchten sofort Hilfe
bei dem neugewählten Bischof Johann Abezier, der im Auftrage des Ordens
auf dem Konzil zu Konstanz weilte, um für einen friedlichen Ausgleich mit
Polen zu wirken. Wie wir aus einem Schreiben des Ordensprokurators Peter
von Wormditt aus Konstanz (29. 9. 1415) erfahren, waren hier vier der
entwichenen Braunsberger eingetroffen und hatten mit dem erwählten Bischof
und fünf anwesenden ermländischen Domherren in ihrer Rechtssache
verhandelt. Sie scheinen die Absicht gehabt zu haben, die Angelegenheit
vor das Konzil zu bringen, doch hielt sie Abezier davon zurück. Ihm und
den anderen Ordensgesandten erschien es bedenklich, wenn dieser Fall als
Klage gegen den Orden der Kirchenversammlung unterbreitet wurde, zumal schon
genug andere Vorwürfe gegen ihn
erhoben wurden. Daher riet der Ordensprokurator dem Hochmeister, das Beste
sei, die Entscheidung dem künftigen Bischof zu überlassen und die Leute in
ihrem Stadtrecht zu schützen. Nach dem Rechtsgrundsatz: Der Kläger folge
dem Beklagten in sein Gericht, könnten die Braunsberger verlangen, nach
ihrem Stadtrecht sich zu verantworten. Wendeten die vom Lande ein, daß die
Schuldigen dann selbst auf der Schöppenbank säßen, so sorge man dafür, daß
die Beschuldigten vom Richteramt ausgeschlossen und nur unverdächtige
Männer damit betraut würden. Wären aber alle Braunsberger verdächtig, so
lasse man die Schöppen aus Elbing, wo dasselbe lübische Recht gelte,
kommen und von ihnen Recht sprechen. Der Bischofselekt Abezier, dem für
den Fall seiner Bestätigung gute Beziehungen mit dem Orden von besonderem
Wert sein mußten, vermochte die vier Ratsherren zur Abreise von Konstanz
zu bewegen, ohne daß sie ihre Beschwerde über den Hochmeister bei der
Konzilsleitung vorgebracht hatten. Sie begaben sich in die befreundeten
Seestädte, um dort die Entwicklung der Angelegenheit abzuwarten.
Inzwischen fanden sich im Oktober vier weitere Braunsberger Flüchtlinge in
Konstanz ein, und zwar die entschlossensten, unter ihnen Flucke. Sie
verhandelten mit Abezier, der die Klage zu unterdrücken wußte. Zwei
reiften bald wieder ab, die beiden anderen aber blieben, da ihre
Widersacher gedroht hatten, ebenfalls zum Konzil zu kommen und dort ihr
Recht zu suchen. Der Ordensprokurator legte dem Hochmeister nahe, im
Interesse des Friedens und der Eintracht des Landes die Acht
zurückzunehmen und die Sache gütlich zu schlichten. Ebenso bat der
erwählte Bischof, die Geächteten wieder in den Besitz ihrer Häuser und
Güter einzusetzen und ihnen Geleitsbriefe für sichere Rückkehr
auszustellen. Auch der Erzbischof von Riga vertrat als der zuständige
Metropolit die Auffassung, daß der erbitterte Rechtsstreit im Lande
bleiben müsse und nicht vor dem Konzil verhandelt werden dürfe, er wolle
bei seiner Heimreise die Braunsberger mitbringen, und der Hochmeister möge
für sie den Geleitsbrief nach Frankfurt a. O. senden.
Da weitere Urkunden fehlen, läßt sich dieser verwickelte Kriminalfall, der
ungeahnte Weiterungen annahm, den Rat der Altstadt Braunsberg weithin
bloßstellte und von den schweren Mängeln jener uneinheitlichen
Rechtsverfassung ein eindringliches Zeugnis ablegt, nicht weiter
verfolgen. Die Braunsberger selbst waren offensichtlich darauf bedacht,
die Erinnerung an diese peinliche Angelegenheit, die überdies mit
39 den Prozeßverfahren und Reisen ihre Finanzen stark belastet haben muß, aus
den Akten zu tilgen. Es hat jedoch den Anschein, als wenn erst Bischof
Johann Abezier nach seinem Einzug im Ermland im Spätfrühling 1418 nach
persönlicher Verständigung mit dem Hochmeister den verhängnisvollen
Rechtsstreit gütlich beigelegt hat. Wenn wir seit 1420 die meisten
früheren Ratsherren wieder in den Ratslisten begegnen, dürfen wir daraus
schließen, daß der Bischof durch ein neues Gerichtsverfahren die Unschuld
der Verdächtigten erweisen ließ; vielleicht daß einzelne von ihnen zu den
Anstiftern des Mordes gehörten und ihre verdiente Strafe erhielten. Andere
Ratsherren, die nach jenen stürmischen Jahren wieder in ihre städtischen
Ehrenämter zurückkehrten, zeichneten sich durch ihre frommen Stiftungen
aus, so Heinrich Flucke, der am Turm der Pfarrkirche die jetzige
Muttergotteskapelle stiftete, Klaus Refelt, der am 23. Mai 1427 „Gott dem
Allmächtigen und der Jungfrau Maria und allen lieben Heiligen zu Dienste
und zu Lobe und auch um unserer Eltern und unserer Seelen willen ein
ewiges Almosen" von 9 Mark Zins für den Priester am Kreuzaltar
errichtete.
Der unselige Streit zwischen der Stadt und ihren Hofbesitzern, der die
Ursache aller dieser Kämpfe gewesen war, wurde durch einen Schiedsspruch
des Bischofs Johann Abezier am 5. November 1420 dahin entschieden, daß die
Besitzer der Höfe von ihren Hufen zum Scharwerk und anderen
Verpflichtungen in gleicher Weise herangezogen weiden sollten wie die
Bürger, die in der Stadtfreiheit Hufen hatten, und wie die anderen Höfe,
die in der Stadtfreiheit lagen. Weitere Differenzen sollten „um guten
Alters und Freundschaft willen quitt" sein; über die Vorflut in der neuen
Harzau und das Gatter zum Damm wurden besondere Bestimmungen getroffen. So
hatte Johann III. ein Urteil gefällt, das den Forderungen der städtischen
Gutsbesitzer entgegenkam, andererseits auch den Wünschen des Rates
Rechnung trug. Wenn aber noch in den nächsten Jahren ein Braunsberger
Bürger vor dem sitzenden Rat die Erklärung abgeben mußte, daß er niemand
von dem ehrbaren Rat schelten oder verleumden oder schädigen wolle bei
Strafe seines freien Halses, so scheint uns darin die nachhaltige Erregung
herauszuklingen, die auch die Bürgerschaft selbst lange in Atem hielt.
Gegenüber jenen ehrenrührigen Angriffen bedeutete es eine besondere
Auszeichnung für den Braunsberger Rat, wenn im September 1424 der neue
Hochmeister Paul von Rußdorf, anscheinend aus Gegnerschaft gegen den
hansischen Vorort Danzig, „seinen getreuen und lieben" Peter Benefelt aus
Braunsberg, zu dessen „Treue, Redlichkeit und Eifer er das größte
Vertrauen" hatte, bevollmächtigte, von Heinrich Vl., dem Könige von
England und Frankreich und Herrn von Spanien, über 19 274 Nobeln englische
Münze einzufordern als Ersatz für den Schaden, den die Engländer zur See
den preußischen und livländischen Untertanen des Ordens während der
Regierung Heinrichs IV. zugefügt hatten, und die nach den Schuldbriefen
bereits 1411 und 1412 hätten gezahlt weiden müssen. Außerdem sollte er
mehrere andere gegenseitige Verbindlichkeiten preußischer und englischer
Kaufleute regulieren. Die Ausführung im einzelnen wurde Benefelts freiem
Ermessen überlassen, und alle seine Maßnahmen sollten vom Hochmeister und
Orden unverbrüchlich gehalten weiden. Tatsächlich begegnen wir dem
Braunsberger Kaufherrn im Sommer 1425 in London, wo er bei seiner
ehrenvollen, aber auch schwieligen Mission mit einem Mitglied der dortigen
Hansa in Auseinandersetzungen und Wortwechsel geriet.
Die wirtschaftliche Not des Ordenslandes nach der Katastrophe von
Tannenberg wirkte sich naturgemäß auch auf den Seehandel der preußischen
Hansa aus. Wie schwer Braunsberg, zumal nach den kostspieligen
Prozeßjahren, davon mitbetroffen wurde, ist aus einem Brief des Rates vom
Jahre 1425 ersichtlich, in dem er den hansischen Ratssendboten zu
Marienburg erklärt, „sie vermöchten fortan nicht mehr die Tagfahrten in
und außer dem Lande zu beschicken, wie sie das schon vormals oft geklagt
hätten; sie bäten gar freundlich, daß ihnen die Sendboten das nicht für
einen Unwillen aufnähmen; denn sie seien arm und müßten jetzt auf Geheiß
ihres Herrn die Stadt (offenbar die Befestigungen) bessern." Die
anwesenden Vertreter beauftragten die Herren vom Elbing, dem Braunsberger
Rat zu antworten, daß man ihm die Unkosten der Tagfahrt nie erlassen habe
und auch nicht erlassen wolle. Auf dem nächsten Städtetag zu Elbing
(5.6.1425) lag ein Schreiben der Braunsberger vor, worin sie sich
weigerten, die Beschlüsse der Marienburger Tagfahrt und den Brief der
Elbinger anzunehmen; denn sie seien zu arm und könnten die Kosten nicht
aufbringen, wollten auch in Zukunft die Rezesse (Veschlußprotokolle) der
Schwesterstädte nicht mehr annehmen. Darüber wollten die erschienenen
Sendboten in ihrem Rate sprechen und bis zur nächsten Zusammenkunft
überlegen, was da nützlich zu tun sei. Offenbar stieß diese ablehnende
Haltung der Stadt Braunsberg, die vom handelspolitischen Gesichtspunkt
aus schwer verständlich erscheint, auf entschiedenen Widerspruch der
anderen 41 preußischen Hansaplätze. Daher nahmen
seit April 1426 wieder Braunsberger
Ratsherren an den Städtetagen teil, baten aber, von den Zehrkosten zu
auswärtigen Tagfahrten befreit zu werden, und entschuldigten öfter ihr
Fernbleiben. Doch half ihnen ihr Sträuben wenig; zu der Gesandtschaft nach
Dänemark i. J. 1427 mußten sie ebenso beisteuern, wie sie zu einer
diplomatischen Verhandlung des Hochmeisters mit Herzog Witowd von Littauen
i. J. 1428 ein Pferd für den Vertreter der Städte stellen muhten. Als i. J. 1443 der Pfundzoll wieder eingefühlt wurde, von dem die großen Städte
1/3 zur Bestreitung hanseatischer Botschaften erhalten sollten, meldeten
auch Braunsberg und Kneiphof ihre Ansprüche an. Die anderen Städte wollten
ihnen ihren Anteil nur unter der Voraussetzung zukommen lassen, daß sie
sich verpflichteten, in Zukunft gemeinsam an den Gesandtschaftskosten
„binnen und baußen Landes" zu tragen, auch wenn das Pfundgeld wieder
abgeschafft würde. Das versprach Braunsberg und erhielt für 1445 und 1446
je 50 M., obwohl Danzig dagegen war.
Im Handelsinteresse sah sich die Stadt zu besonderen Aufwendungen
genötigt, als i. J. 1445 infolge gewaltiger Orkane bei Pillau ein neues
Tief entstanden war. Gleichzeitig begann das bisherige Tief zu versanden.
Für die Schiffahrt der Städte an der Haffküste war ein freier Zugang zur
See eine Lebensfrage. Deshalb wurde das neue Tief befestigt und eine
Steuer der Anwohner erhoben, bis die Arbeiten vollendet waren. Noch 1450
war der Bau nicht abgeschlossen, und als der Hochmeister den Bischof, das
Domkapitel und die beiden Städte Braunsberg zu weiteren Zahlungen
aufforderte, fand er wenig Gehör. Die Neustädter erklärten, sie hätten
nichts vom Haff, und der Bischof stimmte ihnen bei. Die Altstädter
weigerten sich weiter zu zahlen, ehe die Elbinger ihre Steuer entrichtet
hätten. Und Bischof und Domkapitel glaubten ebenfalls, bisher schon weit
mehr aufgebracht zu haben, als ihrem schmalen Anteil „vielleicht nicht
eine Meile an dem Haff" entspräche, „und ungleicher Anschlag machet
unwillige Leute."
Aus jener Zeit seien zwei Erbschaftsregulierungen mitgeteilt zum Beweise
für den Vermögensstand in Braunsberger Bürgerfamilien. Am 9. Februar 1431
erschien vor dem Rat Laurentius Tralaw, der nach dem Tode seiner Frau
seinen drei Kindern 80 Mark guten Geldes als Muttelteil hypothekarisch
übereignete. Seine Tochter Katharina sollte dazu 1 Nett, 4 Kissen, 1
Hauptpfühl (Kissen), 2 Paar Laken. 3 Handtücher. 1 Decke, 2
Tischhandtücher. 3 zinnene Kannen, 1 Messingkessel und 3 Gropen (metallene
Kessel) erhalten, die beiden Söhne jeder ein Pfühl, 1 Paar Laken und 1 Kissen
und, wenn möglich, 1 Bett.
Außerdem sollte er die Kinder sechs Jahr lang verköstigen und kleiden, und
wenn er die Tochter ausgegeben hätte, sollte er ihren Vermögensanteil in
zwei Jahren auszahlen. In eine reiche Kaufmannsfamilie versetzt uns die
Erbschichtung vom 6. Oktober 1431, die nach dem Tode des Jakob Kroll von
seiner Witwe Barbara und den Vormündern ihrer Kinder Barbara und Jakob vor
den Ratsbeauftragten vorgenommen wurde. Als Vaterteil wurden den Kindern
bestimmt: 2 M. Zins auf der Reifelscheune zu Danzig nahe der St.
Barbara-Kapelle, eine vergoldete Krone, ein vergoldeter Gürtel,
vergoldete Pfeifenschnüre, ein vergoldeter Vorspann (Brustspange), 2
vergoldete Bretzem (Broschen) und vergoldete Knöpfe, Silberwerk von über 7
1/2 lotiger Mark Gewicht. Der Jüngste, Jakob, soll einen Fingerring von 2
Nobeln Wert erhalten; weiter ist ihm seine Mutter für einen Rock, den ihm
der Vater gegeben hat, 4 M. schuldig. Die Tochter Barbara soll 2
Fingerlinge von 2 Golden Gewicht bekommen. Außerdem sollen ihnen
gemeinsam zufallen: 4 englische Kannen von 14 Pfund. 5 schlichte Kannen
von 22 Pf., 6 Becken und 3 Kessel von 29 Pf.. 8 Gropen und 1 Leuchter von
50 Pf., 9 zinnerne Fässer, davon 1 zerbrochen, 10 Musschüsseln, davon 2
zerbrochen, 4 Salzfäßchen und 5 Bratschapen (Bratpfannen) von 57 Pf., 6
Kissen mit Schnüren, 4 einfache Kissen, 7 drillichte Handtücher, 2
drillichte Tafellaken von 4 Ellen Länge, 1 gute Badekappe (Bademantel), 1
Paar vierschrötige Leinenlaken, 6 einfache Handtücher, 5 einfache
Tafellaken, 4 Paar Bettlaken, 1 gutes Federbett mit 1 neuen Ziche
(Überzug), 1 gutes Hauptpfühl mit 1 neuen Ziche, 4 neue Stuhlkissen, 1
Frauenkasten und 1 Schiffskiste. Diese Sachen mit dem Harnisch soll die
Mutter in Verwahrung behalten. Weiter bleibt sie den Kindern 62 1/2 M.
schuldig. Mit ihren Kindern teilt sie folgenden Grundbesitz: ihr Haus,
eine Scheune mit Garten, 3/4 Speicher, 1 leere Hofstätte und ein halbes
Haus in Danzig. Verschuldet ist der Besitz mit 112 M. guten Geldes.
Die unsichere außenpolitische Lage des Ordensstaates, die immer wieder
abwechselnd zu kostspieligen Rüstungen gegen Polen und zu
Waffenstillständen führte, die i. J. 1433 auch Verteidigungsmaßnahmen
gegen die böhmischen Hussiten notwendig machte, wobei 1 Braunsberger
Fähnlein zu dem Heere des obersten Marschalls an der Weichsel stieß,
sollte nach dem Willen der Stände durch den „ewigen" Frieden zu Brest i.
J. 1435 ein Ende finden. Er bedeutete einen Sieg des
preußisch-territorialen Ständegedankens über die Staatsidee des Ordens.
43 Das Selbstgefühl der Stände wurde dadurch um so gefährlicher gesteigert,
als unerhörte Spaltungen zwischen dem Hochmeister und dem Deutschmeister,
aber auch unter den ober-, mittel- und niederdeutschen Ordensbrüdern in
Preußen die Autorität der Ordensaristokratie aufs stärkste erschütterten.
So war es kaum verwunderlich, daß die Stände, denen es an materiellen
Wünschen und Beschwerden gegen die Landesherrschaft nie gemangelt hatte,
am 21. Februar 1440 zu Elbing einen förmlichen Bund gründeten zum
gegenseitigen Schutz ihrer Rechte gegen jegliche Gewalt. Auf der
entscheidenden Elbinger Tagung waren die Braunsberger mit ihren Ratsherren
Thomas Werner und Zander von Loyden vertreten. Am 14. März wurde der
Bundesvertrag zu Marienwerder von 53 Adelsvertretern und 19 Städten,
darunter auch Braunsberg, besiegelt. Am 5. Mai ließen auch die Ritter,
Knechte und Städte des Bistums Ermland zum Zeichen ihres Anschlusses ihre
Siegel an den Bundesbrief hängen. Wenn dieser auch in der Form maßvoll
gehalten war, so richtete er sich doch unverkennbar im Endziel gegen die
Landesherrschaft, im Ordenslande gegen den Hochmeister, im Ermland gegen
den Bischof.
Bischof Franz Kuhschmalz von Rößel war während einer schweren
Pferdeseuche, die ihm bis zum 20. Juli 1430 83 Pferde gekostet hatte, mit
seinem ganzen Hofe vorübergehend nach dem Braunsberger Schloß
übergesiedelt, da „der große Gestank" der verendeten Tiere ihn von
Heilsberg verscheucht hatte. Er nannte sich übrigens oft nach seiner
größten und bekanntesten Stadt Bischof „zum Brunsberge", wie es auch seine
Vorgänger vielfach getan hatten. Das Verhältnis zur Passargestadt
verschlechterte sich zusehends, als nach dem Abschluß der ständischen
Einung Braunsberg die Führung der Bistumsopposition übernahm.
Auf dem Städtetag zu Marienwerder vom 24. August 1440 äußerten die
Sendboten der anderen Städte auf eine Anfrage der Braunsberger ihre
Ansicht dahin, daß diese befugt seien, die Mannschaft und die Städte des
Stiftes gemeinsam einzuberufen und mit ihnen über ihre Anliegen zu
beraten; nach Ermessen sollten sie das Nötige ihrem bischöflichen Herrn
vortragen und dessen Bescheid dem nächsten allgemeinen Landtag mitteilen.
Zugleich versprachen die Städte, den Braunsbergern in ihren rechtfertigen
Sachen hilfreich beizustehen.
Eine solche Auffassung offenbarte unverhüllt die Machtansprüche der
Stände, bedeutete zweifellos trotz der einschränkenden Betonung des
Rechtsstandpunktes eine grundsätzliche Bedrohung der Hoheitsrechte des Bischofs;
dieser aber war nicht gewillt,
sich seine überkommenen Machtbefugnisse kampflos entwinden zu lassen. Der
oppositionelle Geist des Ständetums erwies sich gesinnungsverwandt mit
den Bauernunruhen, die damals im Ermland zum Ausbruch gekommen waren.
Domkapitulärische Bauern des Kammeramtes Mehlsack verweigerten ihrer
Herrschaft Scharwerk und alle Leistungen, die nicht in ihren
Dorfhandfesten verzeichnet waren; und nach der glaubhaften Versicherung
des Chronisten Plastwich wurden sie von den Braunsbergern in ihrer Haltung
beraten und bestärkt. Das Domkapitel, das z. V. das sog. Wartgeld im
Interesse der preußischen Landesverteidigung erhob und bei dem Rückgang
der Einnahmen infolge Geldentwertung sich unter dem wachsenden Einfluß
römisch-kanonischer Rechtsanschauungen zur Forderung gelegentlicher
Frondienste berechtigt glaubte, wandte sich beschwerdefühlend an den
Bischof, und als dessen Vermittlungsversuche scheiterten, an den
Hochmeister. Dieser wagte den Streitfall nicht selbständig abzuurteilen,
sondern verwies ihn an den ständischen Elbinger Richttag vom 15. Juni
1441, wo 16 Schiedsrichter erkannten, daß das übliche Scharwerk weiter zu
leisten sei, das ungewöhnliche aber fortfallen solle. Ermutigt jedoch von
oppositionellen Zusprüchen aus ständischen Kreisen lehnten die Führer der
Rebellion nachträglich das Urteil ab und suchten durch Versammlungen ihre
aufsässige Gesinnung weiter zu verbreiten. Erneute Verhandlungen führten
zu keinem Ergebnis, ja Benedikt von Gayl erklärte als Sprecher der
Unzufriedenen, sie würden im Falle der Gewalt nicht allein stehen. Da
entschloß sich Bischof Franziskus zur Strenge; er lud sie zum 22. Dezember
1441 nach Braunsberg und drohte ihnen an, falls sie sich nicht dem
Elbinger Spruch fügen wollten, müßte er sie „nach Rechte mit dem
geistlichen oder weltlichen Schwert dazu halten." Als sie nach einer
Bedenkfrist nach Heilsberg vorgeladen, bei ihrer trotzigen Haltung
verharrten, ließ der Bischof 46 Rädelsführer, Schulzen und Bauern,
festnehmen und ins Gefängnis werfen. Gegenüber diesem energischen
Vorgehen und den Vorbereitungen des Ordens zu bewaffneter Hilfe, legte
sich der Braunsberger Rat mit dem Adel und den Städten des Bistums ins
Mittel; die Bauern baten um Gnade und fügten sich endlich dem
Urteilsspruche, den der Bischof in Gegenwart ständischer Vertreter,
darunter der Braunsberger Ratmannen Hans Slepstange und Hans Truntzmann,
am 5. Februar 1442 in Heilsberg fällte, und der das Elbinger Erkenntnis
aufrecht erhielt und um weitere Bestimmungen verschärfte.
45
So war dieser erste Versuch oppositioneller Selbsthilfe niedergeschlagen,
aber er war ein bedenkliches Symptom des Zeitgeistes und schon ein
Vorspiel schlimmerer Machtkämpfe.
Das Versteifen auf dem geschriebenen Recht der Handfeste, das die
tatsächliche Entwicklung der Rechtsverhältnisse zwischen Landesherrschaft
und Untertanen in den verflossenen anderthalb Jahrhunderten, zumal in den
letzten Jahrzehnten des Niederganges übersah, war offenbar der Grund der
Solidarität zwischen den aufsässigen Bauern und den sympathisierenden
Braunsbergern. Ungefähr gleichzeitig geriet die Stadt aus derselben
Ursache in einen heftigen Streit mit Bischof Franz. Auf dem Elbinger
Ständetag vom 8. Juni 1444 klagten die Braunsberger Ratsboten Klaus Weise
und Johann Beszele, daß sie wegen ihres Stadtprivilegs von ihrem
Landesherrn bedrängt würden und vor das Konzil vorgeladen werden sollten.
Die Vertreter der anderen Städte erwiderten, falls die Braunsberger sich
wegen der Ladung mit dem Herrn Bischof nicht in Freundschaft vertragen
könnten und etwa Überfall und Gewalt erleiden sollten, so würden sie
ihnen nach Ausweis des Bundesbriefes Beistand leisten. Trotzdem suchten
Braunsberger Sendboten die Ritterschaft des Kulmerlandes und die Räte von
Kulm und Thorn auf und baten sie um Hilfe, daß sie nicht „in ihrem
Privileg überwältigt" würden. Diese lichteten alsbald ein Schreiben an
den Hochmeister, er möge bei dem Bischöfe vermitteln, daß die Sache nicht
aus dem Lande komme. Vom Hochmeister befragt, erklärte Bischof Franziskus,
die Braunsberger täten ihm Unrecht, wenn sie ihm vorwürfen, er halte
niemand sein Privileg wie ein Tyrann. Er halte sich an die Urteile, die
laut versiegelten Briefen vor langen Jahren in Streitfällen zwischen
seinen Vorgängern und ihnen gesprochen worden seien, über die sie sich
hinwegsetzten. Da sie sich auf keine schiedsrichterliche Entscheidung
einlassen, sondern in ihrer Sache selbst Richter sein wollten, habe er die
Vorladung betreiben müssen. An ihm solle es nicht liegen, daß die Sache
im Lande bleibe.
Wir kennen nicht den unmittelbaren Anlaß dieses Privilegienstreites, auch
nicht die Einzelheiten des weiteren Verlaufes. Vermutlich erreichte
Hochmeister Konrad von Erlichshausen, der die grundsätzliche Ablehnung
der zersetzenden Ständepolitik durch den ermländischen Bischof wohl zu
schätzen wußte, zunächst eine Vertagung des verbitternden Prozesses:
Bischof Franz erkannte jedoch immer klarer, daß der preußische Bund, ein
Staat im Staate, „wider alles göttliche und natürliche Recht, gegen
päpstliche und kaiserliche Ordnungen und Gesetze" sei. Dieser Auffassung glaubte
er aus seiner oberhirtlichen
Verantwortung heraus auf der Elbinger Ständeversammlung im April 1446
offenen Ausdruck geben zu sollen, erregte dadurch aber den heftigsten
Unwillen der Bundesmitglieder, die sich in ihrer Ehre schwer gekränkt
fühlten.
I. J. 1448 führten die Braunsberger erneut beim Hochmeister Beschwerde,
daß der Bischof ihre städtischen Rechte und Freiheiten immer mehr zu
beschränken suche und sie bereits sehr darin beeinträchtigt habe. Der
Bischof stellte dagegen diese Vorwürfe in Abrede und behauptete, die
Braunsberger täten den Gerechtsamen seiner Kirche täglich mehr Abbruch,
während er noch keines ihrer Rechte auch nur um einen Buchstaben verkürzt
habe. In diesem hartnäckigen Streit wollte Bischof Franz die Braunsberger
nach Rom vorladen lassen, nahm aber auf Wunsch des Hochmeisters davon
Abstand, und erklärte sich zum Entgegenkommen bereit. Aber da die
Braunsberger die Bundesstädte Kulm, Thorn und Elbing in den Streit
hineinzogen, scheiterte die Annäherung. Weiter schlug Bischof Franz
Schiedsrichter, darunter den Hochmeister, vor; allein die Braunsberger
lehnten diese ab, ebenso jeden anderen Weg des Ausgleichs, obwohl man
ihnen sogar das nötige Geld zur Verfolgung des Rechtsganges anbot. So
prallten alle Versöhnungsversuche des Bischofs, alle Ermahnungen des
Hochmeisters an dem unbeugsamen Rechtsstandpunkt der Braunsberger ab.
Bevor die Stände im April 1450 dem neuen Hochmeister Ludwig von Erlichshausen huldigten, trugen sie alle möglichen Beschwerden vor. Von
Braunsberg waren Czander von Loyden, Johann Bayseman und Johann Slepstange
anwesend. Sie baten den Hochmeister, er möge sie in ihren Privilegien,
Freiheiten und Rechten gegen ihren Herrn Bischof beschützen. Ludwig
antwortete, Bischof Franz sei mit einem Schiedskollegium aus dem
Hochmeister und von diesem bestimmten Vertretern der Prälaten,
Ordensgebietiger, des Landadels und der Städte einverstanden und wolle
sich deren Entscheid fügen, ohne zu appellieren, sei auch bereit, das
schriftlich zu geben. Damit waren aber die Braunsberger nicht zufrieden,
weil sie fürchteten, daß diese Schiedsmänner zu Gunsten des bischöflichen
Landesherrn erkennen würden, und daher machte sich der Bannerführer des
Kulmer Landes Johann von Czegenberge zu ihrem Dolmetsch, indem er in
bitteren Worten ausführte, der Hochmeister solle den guten Leuten helfen,
daß sie endlich zur Ruhe kämen. Sie hätten ihre Privilegia, darinnen die
Stadtgrenzen und ihr Hufenzins aufgezeichnet seien. In diesen Rechten
habe sie der Hochmeister als Beschirmer dieser Lande zu 47 schützen. Der Bischof wolle den Fall ins geistliche Gericht ziehen, die
Stände verlangten aber, daß er im Lande bleibe. Und Czegenberg schloß mit
der Versicherung für die Braunsberger: „Wir wollen sie nicht lassen mit
Gelde, mit Leibe und mit Gute, sollte es vielen den Hals kosten". Und auf
seine Frage, ob die anwesenden Vertreter von dem Landadel und den Städten
mit seinen Worten einverstanden seien, antworteten sie „mit gemeiner
Stimme": „Jo, jo, jo!"
Während sich die gegenseitige Erbitterung steigerte, erschien auf
Veranlassung des Bischofs Franziskus auf dem Elbinger Ständetag vom
Dezember 1450 der päpstliche Legat Ludwig de Selves, um den ständischen
Bund, sofern er gegen den Christenglauben verstoße, unter Anwendung der
schwersten kirchlichen und weltlichen Strafen aufzuheben. Der Hochmeister
sah sich zu einer vermittelnden Haltung gezwungen, um bei dem
geschlossenen Widerstand der Bundesführung einen sofortigen Bruch zu
verhindern. Auch der römische König und die Kurfürsten mahnten in
wiederholten Schreiben zur Aufhebung des ungesetzlichen Bundes. Die
Mehrzahl der Mitglieder aber scharte sich um so trotziger um ihre Einung,
die ja bei ihrer Gründung die Duldung des Ordens gefunden hatte, richtete
um so leidenschaftlicher ihren Haß gegen den ermländischen Bischof, dem
man die Hauptschuld an dieser Entwicklung zumaß, der sich zu der Äußerung
hinreißen ließ, was er getan habe, habe er auf die von Braunsberg getan.
Dabei trieb der Machtkampf um die landesherrliche Autorität oder die
ständische Autonomie seiner gewaltsamen Entscheidung entgegen.
Auf dem Marienwerderer Ständetag vom August 1452 beschlossen die Stände
eine Gesandtschaft an Kaiser Friedrich III., um vor ihm den Bund zu
rechtfertigen. Braunsberg mußte dazu 200 M. auslegen, Königsberg 400,
Elbing 600, Danzig 1000 M. Wählend am Wiener Hofe der Prozeß schwebte,
entbrannten in Preußen die Parteileidenschaften immer wilder, spannen die
Bundesführer Fäden nach Polen, ob man dort für alle Fälle auf Hilfe
rechnen dürfe. Zur Deckung der hohen Prozeßkosten scheuten die
Bundesmitglieder nicht vor materiellen Opfern zurück. Eine Steuerliste vom
März 1453 für Bundeszwecke führt in der Altstadt rund 500 Zensiten auf,
dazu 29 aus den drei Stadtdörfern und 9 von den Stadtgütern. Eine
Bundesversammlung in Braunsberg im August sollte dazu dienen, Schwankende
zu festigen, erzielte die Zusage fühlender ermländischer Ritter, „daß der
Kirche Land wolle lebend und tot bei dem Bunde bleiben." Braunsberg selbst
gehörte zu den entschiedensten Anhängern des Bundes, mußte aber schon am 13. Dezember den in Thorn versammelten Genossen bekennen, daß wegen der
bisherigen Aufwendungen für die gemeinsame Sache die Stadt „zu
unüberwindlichem und merklichem Schaden" gekommen sei, und daß diese
Ausgaben „nach ihrem höchsten Vermögen über ihre Macht" gingen und ihr in
Zukunft „sehr zu schwer" werden würden. Die mit dem Ratskumpan Johann Kale
übersandten 100 M. Beisteuer hätten sie „mit großer Müh und schwerer
Sorgfältigkeit aufgenommen, da sie an Geld sehr schwach seien." Im übrigen
erklären sich die Ratmannen in unverbrüchlicher Treue mit den allgemeinen
Beschlüssen einverstanden.
Inzwischen hatte am 1. Dezember das kaiserliche Gericht den Bund als
ungesetzlich verurteilt, und Bischof Franziskus, der als Ordensgesandter
am Kaiserhofe weilte, sah sich am Ziel seines politischen Strebens. Die
Kunde von dem Verbot der Einung entfesselte aber in Preußen den Aufstand.
Am 4. Februar 1454 sagten Ritterschaft und Städte des Bundes dem
Hochmeister „um vieler Gewalt und Unrechts willen" die Huldigung auf, und
der Absage folgte in wenigen Tagen die Erstürmung der Ordensburgen durch
die Bündischen. Dieser Geist der Empörung erfaßte auch das Ermland. Als
erste machten die Braunsberger ihrer lange verhaltenen Wut Luft, stürmten
das bischöfliche Schloß, raubten es aus, brachen die hohe Mauer mit ihren
Türmen nach der Stadt zu, die ihre Vorfahren zur Strafe hatten aufführen
müssen, plünderten die bischöflichen Mühlen (die heutige Große und Kleine
Amtsmühle) und setzten sich in ihren Besitz. Ja, sie streckten ihre Hand
auch nach den Gütern der Frauenburger Domherren aus; da erklärten diese,
um das Äußerste zu vermeiden, ihren Beitritt zum Bunde. Schon hatte der
Rat der Gemeinde einige Faß Bier gespendet und die Trunkenen angestachelt,
einen Angriff auf Frauenburg zu machen, als die Kunde von dem Anschluß des
Kapitels diesem Unternehmen Einhalt gebot. Dafür wurde jetzt die
entfesselte Volksmut auf ein anderes Ziel gelenkt. Nach den Worten des
Chronisten Plaßwich zog der Pöbel gleich sinnlosen wilden Tieren durch das
entgegengesetzte Tor gen Balga, nahm das Schloß, raubte es aus und ließ
einige Gebäude in Flammen aufgehen. Am 14. Februar kündeten Land und
Städte des Ermlandes ihrem Bischof in aller Form Eid und Huldigung auf und
begründeten ihre Tat hauptsächlich mit der Parteinahme des Bischofs für
den Orden.
Inzwischen hatten die angesehensten Bundesmitglieder, unter ihnen auch der
Braunsberger Ratsherr Kale, in verhängnisvoller Untreue und blinder
Eigensucht mit König 49 Kasimir in Krakau
verhandelt und ihm die Oberherrschaft über das
preußische Land angetragen. Deutsche Zwietracht und Würdelosigkeit boten
dem polnischen Nachbarreich die günstigste Gelegenheit, seinen
Ausdehnungsdrang zur Ostsee zu befriedigen. Schon am 22. Februar erklärte
König Kasimir als Bundesgenosse der Stände dem Orden den Krieg und vollzog
nach mancherlei Zugeständnissen an deren Sonderinteressen am 6. März die
Einverleibung der preußischen Lande in sein Reich.
Ende Mai erschien der Polenkönig in Preußen, um die Huldigung der Stände
entgegenzunehmen. Am 8. Juni gelobten auch die ermländischen Stände und,
dem bündischen Zwange nachgebend, das Frauenburger Domkapitel, sich nie
von der Krone Polens zu trennen. Nur Bischof Franz, der in Marienburg
seine Zuflucht gefunden hatte, stand auch in dieser kritischen Zeit in
unverbrüchlicher Treue zum Orden. Wie sehr eigennützige Motive die Stände
in ihrer Haltung bestimmten, ist auch aus Braunsbergs Forderungen
ersichtlich, die es damals dem Polenkönig unterbreitete. Zunächst
verlangte es eine bedeutende Erweiterung seines Grundbesitzes auf dem
rechten Passargeufer bis zur Mündung der Bahnau, weiter bis Wermten,
Birkenau, Waltersdorf, Rehfeld, Hohenwalde, Schönlinde und Vogelfang. Alle
Dörfer, Höfe, Wälder, Mühlen, Wiesen und sonstigen Nutzungen innerhalb
dieser Grenzen sollten fortan mit den kleinen und großen Gerichten zu den
bisherigen Rechten dem städtischen Territorium einverleibt werden.
Weiter forderten die Ratsherren die Fischereigerechtigkeit, die bisher
dem Dorfe (Alt-) Passarge zugestanden hatte, und ebenso freie Fischerei in
den Balgischen Gewässern mit allerlei Gezeuge. Endlich wünschten sie das
Besitzrecht der bischöflichen Korn- und Walkmühlen bei der Stadt, die sie
sich tatsächlich bereits angeeignet hatten. Als Gegenleistung
versprachen sie Sr. Königlichen Gnaden einen Hof zu Einsiedel zu halten
und dort bei seinen Reisen einen Tag und eine Nacht „Station" zu geben,
auch ihm „der Gaben halber" dienstpflichtig zu sein, obwohl sie vorher
„nie pflichtig gewesen seien zu dienen."
Der Braunsberger Rat war also im Fordern nicht blöde, dabei kam es ihm auf
ein paar Unrichtigkeiten nicht an, wie daß die Bahnau von der Passarge
eine halbe (statt einer ganzen) Meile entfernt sei, daß die Bürgerschaft
früher nie dienstpflichtig gewesen sei. Er hielt außerdem das Schicksal
des Ordens für besiegelt, so daß auch er seinen Anteil an der Beute sich
sichern zu sollen glaubte. Für die großen Geldopfer, die ihm schon der bisherige Kampf im Bunde gekostet hatte, glaubte er die
erstrebte Belohnung verdient zu haben. Aber König Kasimir hütete sich, die
übertriebenen Forderungen der Städte zu bewilligen. Abgesehen davon, daß
er sich seines Sieges noch längst nicht sicher fühlte, hatte er auch
Bedenken, das Machtbewußtsein der großen Städte ins Gefährliche zu
steigern. Deshalb war es für den Braunsberger Rat eine herbe
Enttäuschung, als die königlichen Räte über seinen Wunschzettel mit
freundlichen Worten hinwegglitten.
Da der Orden zur Verteidigung seiner Hoheitsrechte und Ehre entschlossen
war, sahen sich die Bündner zur Anwerbung von Söldnern genötigt, und diese
kosteten schwerere Steuern, als jemals der Orden verlangt hatte. Bis diese
beigetrieben waren, mußten die Städte Kapital vorschießen. Auf der
Graudenzer Bundestagung vom 13. Juli 1454 wurde dazu die Altstadt
Braunsberg mit 2000, die Neustadt mit 200 M. taxiert, Wormditt, Heilsberg
und Rößel sollten je 600, Guttstadt, Seeburg und Allenstein je 200,
Mehlsack und Frauenburg je 100 und Bischofstein 50 M. aufbringen. Weitere
interessante Vergleichszahlen bieten die Taxen von Danzig. das mit 10000,
Königsberg und Kneiphof, die mit insgesamt 7000, und Altstadt und
Neustadt Elbing, die diesmal nur mit 2 200 M. wie Braunsberg veranschlagt
waren.
Inzwischen hatten bündische Truppen Marienburg belagert, und auch
Braunsberg hatte dazu die Besoldung von 70 Reisigen und 80 Trabanten fast
ein halbes Jahr hindurch übernommen. Der Sieg des Ordens bei Konitz (18.
9. 1454) über das polnische Heer veranlaßte aber die Belagerer zu wilder
Flucht. Sogleich trat wieder ein Umschwung zugunsten des Ordens ein, aber
die dauernde Geldnot, die den Hochmeister bald darauf sogar zur
Verpfändung seiner Residenz und aller anderen Burgen und Städte an die
böhmischen Soldtruppen veranlaßte, ließ den Krieg in eine Reihe kleiner
Einzelunternehmungen zerfließen.
So stießen Ordenstruppen des Elbinger Komturs Heinrich Reuß von Plauen
bei ihrem Überfall auf Frauenburg um den 11. Dezember bis Braunsberg vor,
„peinigten, marterten und brandschatzten" die „armen Bürger" außerhalb der
schützenden Stadtmauern und nahmen ihnen ihr Vieh, woraus der Gemeinde
ein Schaden von 8000 M. erwuchs. Ihren Gesamtschaden aus dem ersten
Kriegsjahre berechneten die Braunsberger mit rund 37 000 M. Dabei waren
sicherlich auch die Löhnungen für die böhmischen Söldner einbegriffen, die
die Verteidigung der Stadt gegen den Orden durchführen sollten
51 und sich rasch zu einer schrecklichen Plage für
die Bevölkerung
entwickelten.
Am 10. April 1455 erschien der Ordensspittler Heinrich von Plauen wieder
vor Braunsberg und verlangte mit den Bürgern zu reden und ihre Meinung zu
hören; doch diese lehnten jede Verhandlung von vornherein ab. Da ließ der
Komtur seine Reiter absitzen und erlief mit ihnen zu Fuß die Neustadt. Sie
erschlugen dabei etwa 30 Mann und nahmen ihrer wohl 20 fest, darunter den
Altstädter Ratsherrn Beckmann und den Bürgermeister und Stadtschreiber der
Neustadt; andere Bürger der Neustadt flüchteten über die Passarge in die
Altstadt. Um dem Feinde nicht die Mühle mit ihren Vorräten in die Hände
fallen zu lassen, liefen einige Altstädter über den Fluß und ließen sie in
Flammen aufgehen. Da rächte sich der Komtur, indem er die Neustadt nebst
der Vorstadt „in die Grund brannte."
Seit der ersten Hälfte des Js. 1455 lag als Führer der böhmischen Söldner
John Schalski oder von Walstein auf dem Braunsberger Schloß, zu dessen
ersten hiesigen Heldentaten die Teilnahme an einer Racheaktion des Bundes
an dem Frauenburger Domkapitel gehörte; in hussitischem Kirchenhaß tobte
sich die rohe Soldateska an den Heiligtümern und Kunstschätzen des hehren
Domes aus. Da gegenseitige, erbarmungslose Plünderungen und
Brandschatzungen jenem unseligen Bürgerkriege das Gepräge gaben, wundern
wir uns nicht, wenn die Söldner des zum Bunde haltenden Braunsberg bald zu
Streifzügen gegen Ordensstädte ausrückten, bald wieder zur Verteidigung
der von Ordensscharen angegriffenen Garnisonstadt bereit sein mußten.
Mitte August 1455 machte ein Ordenstrupp unter dem Heiligenbeiler
Hauptmann Siegfried Flach von Schwarzenberg einen Vorstoß gegen die
Braunsberger, nahm ihnen 60 ausländische Trabanten mit gutem Gerät ab und
erschlug ihrer 20. Anfang Mai 1456 richteten dafür die Braunsberger einen
Beutezug nach Heiligenbeil, fingen dort das Vieh fort und trieben es weg.
Da aber eilte ihnen die Ordensbesatzung der Stadt nach, nahm ihnen den
Raub ab, fing 83 böhmische Fußknechte mit gutem Geräte; die aber Preußen
waren, die schlug sie alle tot und gab keinen Pardon. Wenige Tage später,
am 7. Mai, fielen 5 Reisige der Passargestadt einem Ordenstrupp in die
Hände, der auf dem Marsch nach Heiligenbeil war. Am 7. Juli machten die
Heiligenbeiler wieder einen Plünderungszug nach Braunsberg, verwüsteten
die Felder und erbeuteten Vieh. Um dieses zu retten, machten die Einwohner
einen Ausfall, der aber kläglich zurückgeschlagen wurde. 30 von ihnen fielen,
77, darunter 45 Bürger,
gerieten in Gefangenschaft; auch 20 gesattelte Reitpferde gingen ihnen
verloren. Ebenso mißglückte Ende Juli ihr Versuch, den Ordenstruppen, die
nach der Brandschatzung von Tolkemit 50 Wagen mit Beute gen Heiligenbeil
entführten, ihren Raub beim Übergang über die Passarge abzujagen. In
einem Hinterhalt überfiel sie der Heiligenbeiler Söldnerführer Vollel
Roder mit 500 Pferden und nahm ihnen 80 Gefangene ab.
Wenn diese Verlustziffern auch meist den Berichten der Sieger entstammen
und daher wahrscheinlich oft übertrieben sein mögen, so beweisen sie doch,
daß die Braunsberger Besatzung entsprechend der Bedeutung der
Passalgestadt für den Bund nicht unbeträchtlich gewesen sein kann, und daß
auch die wehrhafte Bürgerschaft in den erbärmlichen Kleinkrieg
hineingezogen wurde. Als der Kommandant Schalski mit seinen Söldnern in
der Stadt eingerückt war, da hatte er in Gegenwart des Rates, der ganzen
Gemeinde und der Gewerke auf dem Rathause bei Treu und Ehren gelobt, die
Stadt zu beschirmen und einen jeden bei seinen Gerechtigkeiten zu
belassen. Alles, was er und seine Leute kaufen, leihen und borgen
würden, das wollten sie zur Genüge bezahlen, zumal er glaubte, nicht lange
am Orte zu verbleiben. Aber die vertrauensselige Bürgerschaft sollte in
kürzester Frist merken, welch wilder Soldateska sie sich überantwortet
hatte.
Wider alle Versicherungen bemächtigten sich die Böhmen mit bewaffneter
Hand des Rathauses und beherrschten von hier die Stadt, „wie es sich die
guten Braunsberger selbst in ihren bösesten Träumen nicht hatten beifallen
lassen. Sie, die den Bischöfen, ihren Landesherren, gegenüber von so
reizbarer Empfindlichkeit gewesen waren, wo es, wenn auch nur in ihren
aufgeregten Köpfen, ihr lübisches Stadtrecht galt, mußten nun zu ihrem
Entsetzen sehen, in welch sonderbarer Weise Schalski und seine Getreuen
dieses ihr gutes lübisches Recht auslegten. Mit einer gewissen Virtuosität
setzten sie ehrsame Hausbesitzer, deren Heimwesen ihnen gefiel, auf die
Straße, erschlugen sie, vergewaltigten ihre Hausfrauen, hielten
regelrechte Schießübungen ab auf friedlich ihres Weges gehende Bürger,
sprangen den Bauern in den Bierbottich oder warfen tote Kälber und Katzen
hinein. Einbrüche und Diebstähle bei Tag und bei Nacht waren etwas
Gewöhnliches, und wehe demjenigen, der ihnen dabei wehren wollte; er
konnte froh sein, wenn er mit dem Leben davonkam. Ein Ansehen der Person
kannten sie nicht. Ob sie einen gewöhnlichen Bürgersmann oder einen
Ratskompan vor sich hatten, galt ihnen gleich, und wollten
53 einmal die Stadtknechte, die Polizei also, eingreifen, dann kam es wohl zu
regelrechten Straßenkämpfen, wobei natürlich die Böhmen Sieger blieben.
Noch ärger hausten sie im äußern Stadtgebiet. Aus bloßer Freude am
Zerstören rissen sie in der Stadtfreiheit den armen Leuten die Häuser ein,
hieben die Bäume nieder, schleppten, was ihnen des Mitnehmens wert schien,
weg und töteten, was ihnen vor die Klinge kam. Auf Jahre hinaus legten sie
hier jede gedeihliche Tätigkeit lahm und beraubten die Braunsberger der
reichen Einkünfte, die sie sonst aus ihrem Stadtacker zogen. Und nicht
genug damit, wußten die Söldner auch nach außen hin ihre Quartiergeber in
Mißkredit zu bringen. Indem sie den verbündeten Elbingern und Danzigern
auf dem Haffe auflauerten, sie überfielen, ihrer Waren beraubten, trieben
sie diese den Braunsbergern gegenüber zu Vergeltungsmaßnahmen. Es kam so
weit, daß die letzteren mit ihren Schiffen nicht ohne Geleit in den Hafen
von Danzig einlaufen durften, infolgedessen oft Tage lang am Danziger
Haupte liegen blieben und dann von den Feinden festgehalten wurden, woraus
ihnen gleichfalls großer Schaden erwuchs. Und das alles mußten die sonst
so trotzigen und aufsässigen Bürger der stolzen Hansestadt, wenn auch mit
Wut und Grimm im Herzen, geduldig über sich ergehen lassen. All ihr Klagen
und Bitten bei Schalst!, seinen Anwälten und edelsten Hofleuten, all ihr
Hinweisen und Berufen auf ihr gerühmtes lübisches Recht verschlug nichts,
weckte nur Hohn und Spott. Womit sie gesündigt hatten, damit wurden sie
bestraft" . . . (Röhrich, Ermland im dreizehnjährigen Städtekriege.)
Auf nicht weniger als 180000 ungarische Gulden und 27 903 preußische Mark
berechneten die Braunsberger den Gesamtschaden, den sie durch Schalski
und seine Spießgesellen erlitten hatten. Aber mit diesen ungeheuren
wirtschaftlichen Verlusten und bürgerlichen Verdemütigungen war für sie
das Kriegsleid noch längst nicht erschöpft. Die städtischen Führer hofften
freilich auf ein baldiges Ende und mahnten zum unverzagten Durchhalten, da
ihrer guten, gerechten Sache, an die sie noch immer glaubten, der endliche
Triumph gewiß sei. Die einfachen Bürger jedoch, die Handwerker,
Ackerbürger, Tagelöhner, fühlten je länger, um so empfindlicher, in
welches Elend sie die hohe Politik der verantwortlichen Ratsherren
hineingesteuert hatte, daß die gute alte bischöfliche Zeit ein Paradies
war gegen die brutale Herrschaft der fremden Soldateska.
Inzwischen verlangte das konsequente Festhalten am Bunde weitere
schwerste Opfer. Der Ratsmann Johann Sleppestange gehörte zu der
ständischen Gesandtschaft, die um die Wende 1455/56 vom polnischen König
in Thorn die Erlaubnis zu Landessteuern erwirkte, um sich für ihre
Kriegsauslagen zu entschädigen. Auf der Elbinger Tagfahrt vom 19. und 20.
April 1456 war Braunsberg durch 5 Abgeordnete vertreten: Johann Trunzmann,
Bayser (Baysemann?), Sleppestange, Frenzel Scharff und Hans Gerle.
Einmütig beschloß man eine Reihe tariflich geregelter Warenkaufs- und
Verkaufssteuern sowie eine Vermögensabgabe, um damit den Ordenssöldnern
die verpfändete Marienburg und andere Schlösser abzukaufen. Einige
Tarifsätze betrafen ausdrücklich den Braunsberger Handel. So wird die
Ausfuhr von Flachs, Leinwand, Garn, Hopfen, Mehl, Korn und allerlei
sonstigem Getreide, Erzeugnissen des ermländischen Hinterlandes, nach Danzig
und anderen Städten besteuert, auffallenderweise auch von Eisen, Blei,
Kupfer, Stahl und Zinn, die offenbar als Durchgangsgüter aus weiter Ferne
den Braunsberger Hafen berührten. Aus Danzig wurden damals Salzheringe
und Öl eingeführt und teilweise wieder exportiert. Der nicht unbedeutende
Weinhandel führt als die gangbarsten Sorten Gubener, Rheinwein,
romanischen (spanischen) und Malvasier auf.
Als die einkommenden Steuerbeträge noch nicht ausreichten, um die
Söldnerforderungen zu befriedigen, sah sich der Elbinger Ständetag vom 14.
November zu einer neuen Taxe gezwungen, die Braunsberg mit 2000
ungarischen Gulden belegte. Wenn damals selbst Wormditt mit 2150 Gulden
veranschlagt wurde, so ist das ein Beweis für die auch von den Ständen
anerkannte Verarmung Braunsbergs. Aber auch diese Summe vermochte die
Passargestadt nicht mehr aufzubringen, so daß Danzig für sie eintreten
mußte. Nunmehr, als die böhmischen Söldner ihre ausbedungenen Zahlungen
erhalten hatten, übergaben sie den bündischen und polnischen Beauftragten
die Schlüssel des Schlosses und der Stadt Marienburg. Ludwig von
Erlichshausen mußte die ruhmvolle Hochmeisterresidenz verlassen, und
König Kasimir hielt am 8. Juni 1457 in diesem Brennpunkt deutscher Macht
und Kultur seinen Einzug....
Wenn die Bundesführer gehofft hatten, jetzt würde das verheerende Ringen
schnell ein Ende nehmen, so wurden sie schwer enttäuscht. Aber auch darin
erlebten sie eine harte Ernüchterung, daß die königliche Belohnung für
ihre gewaltigen finanziellen Leistungen als Erfüllung ihrer Sonderwünsche
ausblieb. Seit Anfang Mai lassen sich im Gefolge des Königs
55 die Braunsberger Gesandten, Bürgermeister
Trunzmann und der Ratsherr
Benedikt von Schönwiese, nachweisen. Sie wurden nicht müde, ihren
bischöflichen Landesherrn anzuklagen, daß er 28 Jahre lang und darüber
ihre Gemüter erregt und ihre Rechte angetastet habe und daß ihnen die
Verteidigung ihrer Privilegien und der jetzige Kampf um ihre Freiheiten
ungeheure Opfer gekostet habe. Daher erneuerten sie, diesmal in
lateinischer Sprache, ihre Wünsche, die sie schon vor drei Jahren erhoben
hatten, ließen manche fort und fügten andere hinzu. Frei wollten sie sein
von allem Zins; sämtliche Gerichtsbußen aber wollten sie zum Nutzen der
Stadt verwenden. Weiter beanspruchten sie die große Amtsmühle und die
Walkmühle mit ihrem Zubehör, sowie folgende andere bischöfliche
Besitzungen in ihrem Weichbilde: die Badestube, die Güter Gr. Klenau,
Rosenort und die Höfe eines gewissen Beckmann (Ratsherrn?) zusammen mit
dem Dörfchen Kl. Klenau, die ihnen alle von den Bischöfen mehr durch
Gewalt als durch Geld entfremdet worden seien. Ferner verlangten sie das
Eigentum des von der Bundessache abgefallenen Ritters Segenant von Rossen,
nämlich die Güter Rossen, Hammersdorf und seinen Anteil am Dorfe Regitten.
Aus dem Balgaer Gebiet begehrten sie die benachbarten Dörfer Grunau,
Grunenfeld mit der dortigen kleinen Mühle, den Damerau-Wald, Vogelfang und
die beiden Höfe eines Kneto Rodaw, schließlich das Dorf Alt-Passarge, in
dem nur Fischer und Gärtner säßen, mit der Fischereigerechtigkeit und der
Hälfte der Wiesen, die um den sog. Fuchsberg an die Stadtgemarkung
grenzten. Von den Landforderungen d. J. 1454 haben die Bittsteller
inzwischen erhebliche Abstriche gemacht. Zum Ausbau und zur Unterhaltung
des Bollwerks an der Passargemündung wünschten sie freie Holzung in den
nahen Wäldern und Überlassung der Steine und des Strauchwerks am Strand,
weil die Anlage nicht ihnen allein, sondern dem ganzen Lande zu nutze
komme. Schließlich wiederholten sie ihre Bitte um freie Fischerei im
Balgaer Gewässer mit allen Gezeugen zum gemeinsamen Nutzen der Stadt,
ebenso um die volle Gerichtsbarkeit in den genannten Gütern und das freie
Besitz- und Verfügungsrecht. Als Gegenleistung für die erwartete Schenkung
versprachen die Braunsberger erneut dem Könige Quartier in Einsiedel oder
sonst das zu leisten, wozu sich ihre Abgesandten verpflichten würden.
Aber alles Klagen und Bitten war umsonst. Der König zeigte sich „sehr
hart", Gnaden zu bewilligen; nur dann wollte er sich zu Schenkungen oder
Verleihungen verstehen, wenn ihm jemand darauf Geld liehe. Wo aber sollte
Braunsberg bei leinen leeren Kassen das herbekommen? Allmählich mußte auch
dem Rat die Erkenntnis aufdämmern, daß er sich arg verrannt hatte, als er
Trugbildern folgend die Treue zu dem angestammten bischöflichen Herrn
gebrochen hatte; aber der Starrsinn der Unentwegten, der Druck der
böhmischen Besatzung verwehrten noch einen politischen Frontwechsel.
Bischof Franz war zwei Tage, nachdem König Kasimir von der Marienburg
Besitz ergriffen hatte, hochbetagt in Breslau verstorben, bis an sein
Ende ein unbeirrter Vorkämpfer der rechtmäßigen Landesherrschaft gegen die
zersetzenden Machtgelüste des ständischen Bundes. Nach dem kurzen
Episkopat des berühmten Humanisten Kardinals Enea Silvio Piccolomini, der
schon im August 1458 als Pius II. den päpstlichen Thron bestieg, wurde Paul von Legendorf mit der Verwaltung des erledigten Bistums betraut. Vom
Papste dem Hochmeister und Polenkönig empfohlen, suchte er seinem Lande
die Neutralität zu sichern und einen „christlichen Beifrieden" zu
erwirken.
Während dieser Jahre dehnte Schalski mit beschlagnahmten Schiffen der
Braunsberger Reeder seine Raubzüge auf das Haff aus. Im Juli 1457 segelte
er im Verein mit den Elbingern gen Balga, um Vieh zu erbeuten. Bei der
Verfolgung durch 8 Schiffe der Balgaer und Heiligenbeiler entwickelte
sich ein hitziges Seegefecht, bei dem 39 Ordensleute in Gefangenschaft
gerieten und eine ihrer Barsen (kleines Schiff) mit 40 Bewaffneten sank.
Ebenso entwickelte sich im April 1458 eine Wasserschlacht, als Elbinger
und Braunsberger Barsen zum Schütze des heimischen Kaufmannes das Haff
kreuzten. Sie stießen auf eine Flottille des Ordens aus Königsberg, Memel
und Fischhausen, auch Dänen und Livländer waren darunter. Es gab auf
beiden Seiten Verluste, die Braunsberger beklagten 4 Erschlagene.
Schließlich flüchteten die Ordensschiffe, denen eine Barse gekapert wurde.
1460 versuchte eine gemeinsame Flottenaktion der Danziger, Elbinger und
Braunsberger mit 24 Fahrzeugen den Entsatz von Wehlau und brandschatzte
Dörfer, Güter und Mühlen an der Küste. Bei einem Raubzug nach
Heiligenbeil im Oktober wurden die Bündischen verlustreich
zurückgeschlagen; dabei fiel auch Schalskis Bruder.
Nachdem Bischof Paul im Juli 1460 in den Besitz von Wormditt gelangt war,
forderte er die Hauptleute der übrigen Bistumsstädte wiederholt auf, ihm
diese auszuliefern. John Schalski, der Kommandant von Braunsberg,
erwiderte, die Stadt sei ihm vom König zu treuer Hand übergeben und
57
befohlen, und er wolle sie ihm auch halten zu treuer Hand. In Wahrheit
fühlte er sich in dem festen Platz zu wohl und sicher, als daß er ihn auf
gütliche Vorstellungen geräumt hätte. Auch der altstädtische Rat flüchtete
sich hinter den Vorwand, die Bürger hätten dem König Treue geschworen;
wollte sie dieser der Eide entbinden, so wollten sie als gute Männer den
Bischof für ihren Herrn aufnehmen. Indessen die Kleinbürger, die schon
längst mit der Ratspolitik und erst recht mit Schalskis Gewaltherrschaft
unzufrieden waren, begrüßten mit unverhohlener Freude den neuen Bischof,
den sie als ihren angestammten Herrn anerkannten, von dem sie endlich
Befreiung von dem unerträglichen Druck der fremden Söldner und die
Wiederkehr besserer, friedlicher Zeiten erhofften.
Es war im September 1461. Wieder einmal war ein Teil der böhmischen
Besatzung ausgerückt, um auf einem ihrer üblichen Raubzüge Beute zu
machen. Schalski selbst war mit dem Bürgermeister Vochs gen Konitz
gezogen, um wegen der Übergabe der Stadt an den Bischof mit dem Könige
zu verhandeln. Da schritt die Bürgerschaft zur Selbsthilfe. Heimlich
setzte man sich mit den Bauern der Umgebung in Verbindung, ließ sie
unauffällig mehrere Tage hindurch in die Stadt und verbarg sie bewaffnet
in den Häusern. Eine Geschoßforderung der Söldner soll der nächste Anlaß
zum Losschlagen gewesen sein. Die Bürger erklärten durch 6
sympathisierende Ratsmänner, sie hätten manch Geschoß gegeben und wüßten
nicht warum, sie vermöchten keins mehr zu geben und seien auch nicht
willens dazu; im übrigen sollten die Söldner unverzüglich von dannen
ziehen, sie wollten sie nicht mehr länger sehen. Erstaunt über diese kühne
Sprache, nahmen die Söldner die Abgeordneten fest und warfen sie ins
Verlies. Aber des Nachts vom 10. zum 11. Sept. hielten die Verschworenen
die Stadttore geschlossen und fielen über die ahnungslos schlafenden
Söldner her. In aller Haft gelang es einigen, über die Stadtmauer zu
springen und zu entkommen, 10 wurden von der wütenden Bevölkerung
kurzerhand erschlagen, 14 preußische Knechte, die den Böhmen gedient und
sich als Verräter besonders verhaßt gemacht hatten, wurden wie Hunde
ersäuft. Die übrigen etwa 100 Reisigen wurden gefangen genommen und in die
Türme geworfen. Diejenigen Ratsherren, die auf der Seite der Böhmen
standen, wurden in ihren eigenen Häusern in Gewahrsam gehalten; bei
Todesstrafe durften sie nicht diese Haft verlassen. Die reiche Beute an
Harnischen, Waffen, Kleidern und Gerät wurde auf dem Rathaus abgeliefert
und fein säuberlich aufgezeichnet. Auch an 100 gute Pferde hatten die
Feinde im Stich lassen müssen.
Die Vertreibung der Böhmen war ein Ereignis, das von beiden
kriegführenden Parteien mit größter Aufmerksamkeit aufgenommen wurde.
Schon am nächsten Tage versuchten die Ordensbesatzungen aus Balga,
Heiligenbeil und Mehlsack, ob sie von den Braunsbergern eingelassen
würden. Sie erwarteten das um so zuversichtlicher, als die Gemeinde der
Stadt die Hauptleute von Balga und Heiligenbeil dringlich gebeten hatte,
zu ihnen zu kommen und zu raten, wie man den Söldnern auch Frauenburg
entreißen könnte. Doch die Braunsberger waren nicht gewillt, statt der
eben verjagten Plagegeister sich andere aufzubürden, und verwehrten
deshalb den Ordenstruppen den Zutritt. Andererseits lichtete der bündische
Vorort Danzig am 14. September ein bekümmertes Schreiben an die
Braunsberger, worin er riet, dem König treu zu bleiben, die Ausgleichung
mit dem Bischof noch anstehen zu lassen und vorläufig den Ort gut zu
bewachen und Hab und Gut der Getöteten und Gefangenen in Verwahrung zu
halten.
Als dieser Brief am Ziele anlangte, hatte die Braunsberger Bevölkerung
bereits dem Bischof zugejubelt. Am 15. hielt er in der Altstadt seinen
feierlichen Einzug und nahm die Huldigung und den Treueid der Bürger
entgegen. Mehrere Ratsmitglieder, die wegen ihrer polnisch-bündischen
Haltung der Bevölkerung verhaßt waren, wies er aus der Stadt. Dann
verblieb er auf seinem Schlosse, um die verwirrten Gemüter der
Einwohnerschaft, die sich im Taumel ihrer jungen Freiheit der
Zügellosigkeit hingab, zur Besonnenheit zurückzuführen und die neuen
Verhältnisse zu festigen.
Die Böhmen auch aus Frauenburg zu vertreiben, war der Wunsch des Bischofs
wie der Braunsberger Bürgerschaft. Deshalb setzte sich schon am 18. ein
Trupp von ungefähr 600 Mann, Braunsberger, ermländische Ritter und Bauern
aus dem Hinterlande, in Marsch, um die Domburg zu belagern und Bischof
Paul zu überantworten. Aber die starken Mauern trotzten dem Anschlag, und
als am 5. Oktober polnisch-bündische Entsatzabteilungen von Wormditt und
Holland anrückten, fielen diese über die Belagerer her, fingen 140 von
ihnen ab, trieben weitere 140 in die Pfarrkirche, die sie dann aufs
unmenschlichste in Brand steckten, und schlugen die anderen erbarmungslos
tot.
Schalski aber konnte den Verlust Braunsbergs nicht verwinden; hatte er
sich doch in der Hoffnung gewiegt, die Stadt als erblichen Besitz für sich
und seine Familie behaupten zu können. In Verbindung mit dem Hauptmann
Johann Rosal von Wormditt und Holland, mit dem Befehlshaber von Friedland
und mit den Danzigern und Elbingern bereitete er sorgfältig
59 den Handstreich vor, der die Altstadt wieder in
seine Gewalt
bringen sollte. Nachdem er Braunsbergs Umgegend aufs rücksichtsloseste
hatte brandschatzen lassen, zog er in der Nacht zum Sonntag 29. November
mit etwa 600 Mann von Frauenburg zur Passargestadt. Eine rechte
Diebesnacht: durch die schwüle Finsternis heulte der Sturm, peitschte der
Regen, zuckten die Blitze eines verspäteten Gewitters, krachten die
Donner. Fluchend standen sie endlich vor dem Hohen Tor. Nun ließen sie den
mitgefühlten Kahn in den Stadtgraben hinab und ruderten heimlich hinüber.
Als ihrer etwa 150 übergesetzt waren, stiegen sie auf Sturmleitern „um des
Seegers vier" über die Mauer und wollten das Tor aufhauen, die anderen
einzulassen. Aber da wurde es doch die Schildwache bei und auf dem
Rathause gewahr und gab aus den Büchsen Feuer und schrie Zeter und Mordio
und erweckte die schlaftrunkene Bürgerschaft aus süßer Ruh. Und da fielen
sie über die siegesgewissen Eindringlinge her und schlugen viele von
ihnen tot, „und die Maide und Weibesnamen taten das Neste im Spiele." Und
da wurde miterschlagen der grausame Hauptmann von Wormditt und der von
Frauenburg und andere gute Hofleute. Mehr als 50 gerieten in
Gefangenschaft. Herrn John Schalski ward „der Arm entzweigeworfen", aber
er rettete sich mit anderen, indem sie über die Mauer sprangen und im
Dunkel der Nacht entkamen.
Das war für den Söldnerführer ein peinlicher Mißerfolg, und da er mit
Gewalt und List nichts hatte erreichen können, versuchte er es auf dem
diplomatischen Wege. Auf dem Elbinger Ständetage vom Dezember 1461, an dem
sich Bischof Paul gegen die politischen Vorwürfe der polnischen
Beauftragten verteidigen mußte, trat auch Schalski mit Anklagen hervor.
Deshalb waren auch vier Vertreter von Braunsberg, die Ratmannen Jorge
Gerds und Hans Hogewald und aus der Gemeinde Peter Kistenbuch und Hans
Bardöl zur Stelle. Schalski beschuldigte die Braunsberger, daß sie gegen
den König, seine Dienstleute und ihn selbst nicht „als gute Leute"
verfahren seien. Der Bischof hielt ihm vor, daß er durch die Ersteigung
der Stadt ihn mit den Seinen „von Leib und Gut" habe bringen wollen. Die
Braunsberger Abgeordneten legten eine ausführliche Beschwerdeschrift gegen
sein Schreckensregiment vor. Der polnische Statthalter verlangte von ihnen
die Herausgabe der böhmischen Gefangenen mit ihrer Ware und Habe. Die
Stadtvertreter waren dazu bereit, falls Schalski die Frauenburger
Domburg an den Bischof zurückgeben wollte. Wie eine reuevolle Einsicht
klang ihre anschließende Beteuerung, daßie nimmer wider den Herrn
Bischof, noch seine Kirche, noch leine Lande und Städte sein wollten zu
ewigen Zeiten." In den folgenden Verhandlungen versprach der Bischof,
dafür Sorge tragen zu wollen, daß die Gefangenen nicht verhungern, noch an
ihren Gliedmaßen gelähmt werden sollten. Herr John sei den Bürgern viel
schuldig geblieben, habe ihnen auch sonst schweren Schaden zugefügt, so
daß dagegen die Pferde und Harnische der Söldner wenig ausmachten.
Schließlich einigte man sich auf einen Beifrieden bis Fastnacht 1462,
wonach die Gefangenen bis dahin beurlaubt sein sollten. Würde dann
Frauenburg zurückgegeben, so sollten sie mit ihrer Habe quitt und frei
sein.
Aber Schalski räumte trotz dieser Abmachungen die Domfeste nicht, die im
Sommer 1462 auch einer fünfwöchigen Belagerung trotzte. Im Vollgefühl
dieses Erfolges zog er am Abend des 23. August mit polnischen, Danziger
und Elbinger Hilfstruppen wiederum gen Braunsberg. Am nächsten Morgen
„berannten sie den Braunsberg", aber die Verteidiger waren auf dem Posten
und schlugen tapfer die Angriffe ab. So begnügten sich die Feinde, alle
Höfe und Dörfer vor der Stadt auszupochen und niederzubrennen, dann hoben
sie auf die Kunde, daß Ordenstruppen zu Hilfe kommen wollten, am Morgen
des 29. die Belagerung auf. Kampfesfreudig verfolgten die Braunsberger
ihre Nachhut, da holte Schalski zu einem Gegenstoß aus, bei dem 14 der
angesehensten Bürger gefangen und andere getötet wurden.
Bischof Pauls Politik war darauf gerichtet, seinem Bistum die Neutralität
und damit die territoriale Selbständigkeit zu erhalten. Deshalb folgte er
nur ungern dem Drängen seiner Städte, unter Führung Braunsbergs, die jetzt
im Anschluß an den Orden endlich friedliche Zustände erhofften. So
unterzeichnete er am 25. Juli 1463 zu Bartenstein einen Bündnisvertrag
mit dem Orden, der ihn zur Hilfe verpflichtete „nach seinem höchsten
Vermögen." Die dadurch bedingten neuen Lasten übernahm Braunsberg aber
nur unwillig. Zu einer Ordensbesatzung wollte sich die Stadt nach ihren
Erfahrungen mit den böhmischen Söldnern „ohne Verschreibung" nicht
verstehen, und an dem mißglückten Entsatzversuch von Mewe, den der
Hochmeister mit einer großen Flottille unternahm, beteiligte sie sich mit
einigen Barsen nur nach ernster Mahnung durch den Bischof. Da sich aber
die Kriegslage des Ordens mit dem Fall von Mewe (27. 12. 1463) merklich
verschlechterte und die polnischen Söldner erobernd im Ermland
vordrangen, sah sich der Bischof nach Beratung mit seinen Städten zu einem
politischen 61 Frontwechsel gezwungen. Am 4. März
1464 tätigte er mit ihrem Einverständnis einen Beifrieden mit den Vertretern
Polens, der schon am 16. in Elbing zu einem „ewigen Frieden" erweitert wurde.
Dabei wurden die noch unerledigten Ersatzansprüche Schalskis an Braunsberg einem
Schiedsgericht von acht Mitgliedern überwiesen, dessen Obmann bei vergeblicher
Einigung König Kasimir sein sollte.
Die Folge dieses Friedensvertrages mit Polen, der dem Ermlande sein staatliches
Eigenleben zusicherte, den der Hochmeister als schweren Treubruch betrachtete,
war, daß die Ordenssöldner schonungslos Plünderungszüge durch das Bistum
unternahmen. Trotzdem verwehrte der Domkantor Bartholomäus Libenwald, der die
Verteidigung Braunsbergs leitete, am 1. April 1464 Schalski energisch den
Eingang, als dieser mit 60 Reitern vor den Toren erschien und unter
gleißnerischen
Vorspiegelungen Einlaß begehrte. Auch den Elbingern wurde im Juni 1465 der
Durchzug verweigert, als sie mit erbeutetem Vieh aus dem Balgaer Gebiet
heimkehrten. Zur Rache dafür machten bald darauf die Elbinger mit Söldnern aus
Holland und Frauenburg einen Raubzug. Ihre Fußknechte
versteckten sich nachts in Kellern und Gräben vor der Altstadt, während die
Reisigen in der Nähe hielten. Als morgens die Bürger ausjagten, stürzten sich
die Feinde aus ihren Verstecken hervor und nahmen ihnen ihr Vieh und wohl zwei
Schock Pferde. Als nun die Braunsberger ihr Eigentum retten wollten, eilten die
Reisigen hinzu, töteten 9 Bürger und nahmen 5 gefangen.
In diesem entsetzlichen Kleinkrieg atmeten die geplagten Bürger im August
endlich auf, als sie vernahmen, daß auf der Frischen Nehrung
Friedensverhandlungen mit Aussicht auf Erfolg angebahnt seien. Freilich
dauerte es noch ein ganzes Jahr, bis die verhandelnden Parteien eins
wurden. Inzwischen hatte Schalski Anfang 1466 Braunsberg erneut bedroht,
Bischof Legendorf im Februar dem Orden in aller Form den Krieg angesagt.
So sehr verschlechterte sich zuletzt das Verhältnis des Bischofs zu
Hochmeister Ludwig, daß der Rat von Braunsberg auf Geheiß des Bischofs dem
Hochmeister auf seiner Reise zu den Thorner Friedensverhandlungen die Tore
sperrte. „Mit großer Bitte" erreichte Ludwig, daß man die Speisewagen die
Stadt passieren ließ, er selbst mit seinem Volk mußte durch das Wasser der
Passarge reiten, „und das war ihm ein großer Hohn". Dafür verweigerte er
in Thorn dem Bischof die Begrüßung durch Händedruck, bis der König selbst
beider Hände vereinigte.
Der verhängnisvolle 2. Thorner Frieden vom 19. Oktober 1466 entriß dem
Orden Westpreußen und beließ ihm Ostpreußen unter polnischer Oberhoheit.
Das Ermland behauptete seine territoriale Selbständigkeit; die bisherigen
Rechte des Hochmeisters als des Schirmherrn über das Bistum gingen auf
den polnischen König über. Polen hatte dank der deutschen Zwietracht,
Verblendung und Untreue einen folgenschweren Sieg errungen, den es
allein, ohne die gewaltigen Anstrengungen der großen Städte des
Weichselgebietes, nie erzielt hätte. Wenn auch die Päpste den
Friedensvertrag nicht anerkannten, so schuf dieser doch für drei
Jahrhunderte neue staatspolitische Verhältnisse, die trotz aller
Versicherungen der polnischen Krone an die preußischen Stände allmählich
ein planmäßiges Vordringen des Polentums auf Kosten der angestammten
deutschen Kultur mit sich brachten.
IV. Bis zum Krakauer Frieden (1525)
Als Ende Oktober die Kunde durch die Stadt Braunsberg eilte, das
Unglaubliche sei Ereignis geworden, wahrhaftig, der dreizehnjährige Krieg
sei nunmehr begraben, da ging das Gefühl der Erlösung durch die
Bürgerschaft, und in frommer Dankbarkeit läutete man zum Lobe Gottes den
ganzen Nachmittag alle Glocken und läutete sie des nächsten Morgens, als
man wie gewöhnlich am Donnerstag mit dem hl. Sakrament „umging". „Levt und
loved!" diese fromme Mahnung der altstädtischen Rathaus-Schlagglocke an
die Einwohner, das Leben als ein Geschenk Gottes zu werten und zu seinem
Lobe zu gestalten, hatte gerade jetzt ihre innerste Berechtigung. Vorbei
aller Druck brutaler Söldner, jede Gefahr von einem rachsüchtigen Feind,
vorüber die unaufhörlichen Erpressungen und Plünderungen, die
erbarmungslosen Verheerungen und Brandschatzungen, zu Ende die
aufregenden, wechselvollen, verrohenden Kämpfe, die unsäglichen Opfer an
Ehre, Leib und Leben, die dieser schreckliche 13jährige Bürgerkrieg
gekostet hatte. Fürwahr, alle Kräfte galt es zu regen, um die verarmte
Stadt, die ausgepochte Feldmark zu neuem wirtschaftlichen Erblühen und
Wohlstand emporzuarbeiten.
Und doch sollte der Frieden nicht von langer Dauer sein. Bischof Paul war
von Thorn krank und siech heimgekehrt, ob infolge einer Ansteckung oder,
wie ein weitverbreitetes Gerücht 63 wissen wollte,
durch Vergiftung, ist ungewiß. Seine letzten Tage scheint
er auf dem Braunsberger Schloß verlebt zu haben. Als er am 23. Juli 1467 starb,
begrub man ihn vor dem Hochaltar der Pfarrkirche, da damals der Frauenburger Dom
noch nicht von Schalski geräumt war. Bischof Lukas ließ seinem Vorgänger im J.
1494 eine kunstvolle Grabplatte errichten, die heute an der südlichen Längswand
in leider ungünstiger Beleuchtung steht. Der vielleicht aus der berühmten Hütte
Peter Vischers in Nürnberg stammende Bronzeguß zeigt in Flachrelief das Bildnis
des Verstorbenen in vollem Ornat, mit Mitra, Hirtenstab und Evangelienbuch; das
Haupt ruht auf einem Kissen, das Geschlechtswappen zu Füßen. Eine lateinische
Inschrift in gotischem Rankenwerk bildet die Umrahmung, in deren vier Ecken das
Wappen des Bischofs Lukas eingefügt ist. Das Ganze ist in eine Steinplatte
eingelassen.
Nach dem Tode des Bischofs Paul wählte das Domkapitel am 18. August seinen
Domdechanten Nikolaus von Tüngen, einen Wormditter Bürgersohn, zum
Nachfolger. König Kasimir wollte dagegen dem Kulmer Bischof Vinzenz Kielbassa
die ermländische Kathedra zuwenden. Anfang Dezember ergriff dieser vom Bistum
Besitz, und auch die Braunsberger huldigten ihm. Da sich Papst Paul II. aber im
November 1468 für Tüngen entschied, zog sich Kielbassa im Herbst des nächsten
Jahres aus dem Ermland zurück, während der König es militärisch besetzen ließ.
Zu Weihnachten 1483 mußten Rat, Gemeinde und Gewerke der Stadt Braunsberg dem
königlichen Gesandten Nikolaus Tomicki versichern, daß sie dem Könige den früher
geleisteten Treuschwur unverbrüchlich halten und keinen Bischof ohne Wissen und
Willen des Königs, seiner Prälaten und Räte aufnehmen würden.
Trotzdem brachte der größte Teil der Bevölkerung dem Ermländer Tüngen, zumal
hinter ihm die Autorität des Papstes stand, offene Sympathien entgegen. An der
Spitze dieser Partei, der insbesondere die Handwerker angehörten, stand wohl der
Ratsherr Peter Konike. Nachdem man schon seit Ostern 1470 in brieflicher
Verbindung mit Bischof Nikolaus gestanden hatte, schritt man im Herbst zur Tat.
In der Nacht vom 16. zum 17. September besetzten die Verschwörer die Tore und
Mauern der Stadt. Am nächsten Tage verlangten sie vom Bürgermeister Frenzel
Scherff die Einberufung der ganzen Gemeinde und der Gewerke. Während noch der
Rat darüber verhandelte, vertrieben sie die Stadtwache von den Toren des
Rathauses und stellten ihre eigenen Leute als Wächter dorthin. Dann beriefen sie
eine Gemeindeversammlung und entsetzten den Rat seines Amtes. Noch zu Beginn
des folgenden Jahres 1471 verweigerte der neue Rat den königlichen Gesandten den
Eintritt in die Stadt. Dagegen scheint sich im Schloß der vom König bestellte
Hauptmann Thomas von Baysen gehalten zu haben.
Gegenüber dem ansehnlichen polnischen Waffenaufgebot mußte Bischof Nikolaus
weichen. Seine Anhänger aber wurden in die Acht erklärt, eingekerkert oder
verbannt. Braunsberg, dessen Bürgermeister Mate (Mathias) Vochs im August 1468
sogar vom König zum Mitglied des Obersten Gerichtshofes in Preußen ernannt
worden war, verlor zur Strafe seinen Sitz unter den großen Städten. Deshalb
führten auf der Marienburger Tagfahrt Anfang März 1471 der Braunsberger
Bürgermeister und sein Kompan Klage, da sie „von alter Gewohnheit" allzeit mit
den großen Städten zu Rate gegangen, jetzt aber ausgelassen seien, was sie sehr
befremdete. Es wurde ihnen entgegnet, daß man ihnen persönlich nicht schuld
gebe, daß aber die Bürger mit ihren Aufläufen die Schuld treffe. Einstweilen
möchten die Braunsberger davon absehen, der Hansa die Entscheidung anzutragen.
Auch in Graudenz beschwerte sich Bürgermeister Vochs vor den Ständen im Februar
1472 über die Zurücksetzung seiner Stadt, aber diese erwiderten im März zu
Thorn, „daß man sie halten sollte, als sie es verdient hätte", doch überließ man
dem König die Entscheidung.
Inzwischen hatte die päpstliche Kurie angesichts der politischen
Schwierigkeiten im Dezember 1471 Bischof Nikolaus nach Kamin versetzt und das
Ermland dem Gnesener Andreas Oporowski verliehen. König Kasimir lehnte aber auch
diesen Prälaten ab und verbot den Ermländern seine Aufnahme ins Bistum. Bevor
Tüngen amtliche Nachricht von den römischen Entscheidungen erhielt, mußte er
handeln, wenn er nicht auf sein heimatliches Bistum verzichten wollte. Hier aber
hatte sich die Zahl seiner stillen Anhänger vermehrt und ihn zu energischem
Vorgehen ermuntert. Von Livland kehrte er ins Ermland zurück. Als Kaufleute
verkleidet zogen er und sein Domdechant Kirsten (Christian) Taviau mit je 7
Pferden durch das Ordensland gen Braunsberg. Hier waren nur vier Vertraute in
seinen Plan eingeweiht. Trotzdem gelang es dem Bischof, in der Nacht zu
Pfingsten 1472 die Stadt einzunehmen. Das Gros der Bevölkerung, das ihm vorher
freundlich gesinnt gewesen war, leistete ihm auch jetzt Unterstützung, zumal die
Strafmaßnahmen des Königs die polnischen Sympathien schwerlich gefördert haben
können. Sogleich setzte Bischof 65 Nikolaus das
mächtige Danzig von seinem Erfolge in Kenntnis und bat um dessen Hilfe. Schon
eine Woche später war die Einnahme Braunsbergs auch in Krakau bekannt, und König
Kasimir gab sofort seinem Marienburger Hauptmann Johann Koscielecki Befehl zum
Einschreiten. Auch Danzig und die preußischen Stände sollten Kriegsvolk
aufbieten, um den Friedensbrecher Tüngen aus dem Lande zu vertreiben. Dieser
reizte den Zorn des Königs noch dadurch, daß er die beiden königlichen Schreiber
Nikolaus Brunowski und Hans Szander mit mehreren Dienern auf der Rückreise vom
Hochmeister durch die Braunsberger festnehmen ließ, weil die Frauenburger
polnische Besatzung wider die Vereinbarungen bischöfliche Untertanen beraubt
hatte. Man erzählte sich sogar auf polnischer Seite, die Gefangenen seien an
Händen und Füßen angeschmiedet worden. Trotzdem zeigten die preußischen Stände
keine Lust, um des ermländischen Bischofs willen einen neuen Krieg zu beginnen,
zumal die ermländischen Städte ihnen ihre unbedingte Gefolgschaft zu Tüngen
versicherten. Da dieser in wenigen Monaten von seinem Ländchen tatsächlichen
Besitz ergriff und es durch ein Heeresaufgebot zu verteidigen entschlossen war,
vereinbarten die Abgesandten der preußischen Stände mit ihm am 20. September in
Heilsberg einen Vertrag, nach dem der Streit um das Bistum auf dem Rechtswege
durch den Hl. Stuhl entschieden werden sollte. Zugleich zeigten sie sich mit der
Auffassung der ermländischen Stände einverstanden, daß Oporowski als Pole für
das deutsche Ermland nicht tragbar sei, da das den Landesprivilegien
widerspreche. In demselben Sinne richteten die Untertanen der ermländischen
Kirche ein Bittgesuch an den Papst, in dem sie sich für Bischof Nikolaus und
gegen Oporowski oder einen anderen Polen erklärten.
Um den verhaßten Tüngen loszuwerden, ließ König Kasimir aus taktischen
Gründen seinen Kandidaten Kielbassa fallen und entschied sich im November 1472
für den päpstlichen Bewerber Oporowski. Trotzdem hielten die Ermländer an ihrem
Landsmann Nikolaus fest und beklagten sich bei den preußischen Ständen auch
darüber, daß Oporowski zuvor als königlicher Gesandter dem ganzen Rat und der
Gemeinde von Braunsberg gedroht habe, er wolle allen Helfern Tüngens Hals, Leib
und Gut nehmen. Wenn auch der preußische Landadel im Gegensatz zu den Städten
für Oporowski Stellung nahm, so lehnten doch beide Stände wegen des Konfliktes
eine kriegerische Auseinandersetzung ab. Da Kasimir aber durch Kämpfe mit König
Matthias Korvinus von Ungarn in Anspruch genommen war.blieb Oporowski nichts
übrig, als schon im Sommer 1474 das Feld zu räumen, zumal die römische Kurie im
Hinblick auf die für das Ermland geltenden deutschen Konkordate Tüngen in seinem
preußischen Bistum bestätigt hatte. Diesem sicherte ein förmlicher
Bündnisvertrag mit Ungarn seinen Besitz, bis der Anschluß des Hochmeisters an
dieses Bündnis i. J. 1477 den Ausbruch einen Krieges mit Polen in fühlbare Nähe
rückte.
Im November wandte sich der Danziger Rat, der den Frieden aufrechtzuerhalten
wünschte, im Ernstfalle aber um seiner Vormachtstellung willen dem polnischen
König Waffenhilfe zu leisten entschlossen war, an Braunsberg mit der
Aufforderung, Bischof Nikolaus zu neuen Verhandlungen mit den preußischen
Landesräten zu bewegen. Indessen die Braunsberger erwiderten im Geiste
vertrauensvoller Unterordnung unter ihren Bischof, es sei für sie als Untertanen
ungebührlich, erneut ein solches Verlangen an ihren Landesherrn zu stellen. Als
im Juni 1478 der neue Hochmeister Martin Truchseß mehrere westpreußische Burgen
besetzte, verstand sich König Kasimir zu grundsätzlichen Zugeständnissen an die
westpreußischen Stände, um dadurch ihre militärische Unterstützung zu erkaufen.
Am 15. September erließ der königliche Statthalter den Absagebrief an die
Ermländer, mit denen jeder Handelsverkehr verboten wurde, und befahl den
Vormarsch des polnischen Heeres, das unter dem Befehl des Krakauer Burggrafen
Jan Bieli stand. Damit begann der sog. Pfaffenkrieg. Vom Süden des Bistums drang
der Feind siegreich zum Norden vor und rückte nach der Übergabe von Mehlsack
(16. Okt.) gen Braunsberg, das vielleicht Ordenstruppen zur Verstärkung
aufgenommen hatte. Gleichzeitig sollten bewaffnete Kähne der Danziger und
Elbinger durch Sperrmaßnahmen auf dem Haff den Braunsberger Seehandel lahm
legen, vielleicht auch von der Passarge her bei der Belagerung der Altstadt
mitwirken. Aber die ermländische Hauptstadt mehrte sich tapfer. So fest waren
ihre Mauern, so energisch der Widerstand der Verteidiger, daß Bieli sie trotz
vierwöchiger Einschließung nicht niederzwang. Ja, die Besatzung fügte den
Belagerern sogar in Ausfällen empfindliche Verluste bei. Da half den Bedrängten
sichtlich die Hand Gottes und auch der Bistumspatron St. Andreas, dessen
wunderbare Erscheinung manche in der Luft gesehen haben wollten. Trotz der
Zufuhr von Lebensmitteln auf dem Haffwege war die Umgegend der Stadt bald so von
Lebensmitteln ausgeplündert, daß Hunger und Not, auch Kälte den polnischen
Hauptmann am 19. November zum Abzug zwangen. Bevor er wieder südwärts ins Bistum
abrückte, ließ er 67 wohl die eben erst aus ihren
Trümmern erstehende Neustadt und Vorstadt in
Flammen aufgehen.
Während dieser ruhmvollen Verteidigung hatte der Braunsberger Rat Erlaubnis
erhalten, an einem friedlichen Ausgleich diplomatisch mitzuwirken. Auf der
Elbinger Tagfahrt (22.-29. Oktober) war die Stadt mit Bürgermeister Gorge
Schonenzhe und Ratmann Czander von Loden vertreten, die als Wortführer der
Ermländer für ihren Bischof und die Rechte ihres Bistums eintraten, gegenüber
der ablehnenden Haltung der polenfreundlichen Stände jedoch einer Vereinbarung
zustimmen mußten, wonach Tüngen das Land verlassen sollte. Dieser erklärte sich
dazu bereit, wofern das Bistum bei seinen Freiheiten und Privilegien erhalten
würde. Der polnische Heergraf Bieli verweigerte aber dem Bischof das freie
Geleit zum Abzug und fuhr mit seiner Brandschatzung des Ermlandes trotz eines
Waffenstillstandes fort. Auf dem Ständetag zu Elbing und Marienburg (29. 12.
1478 bis 12. 1. 1479) fühlten die vier Braunsberger Ratmannen Zander von Leyden,
Paul Huge, Merten Scholtze und Nikolaus Krüger energische Beschwerde über Bieli
und die polnische Besatzung von Frauenburg, die wiederholt Braunsberger Gesandte
und Briefjungen ausgeplündert und durch Mord, Kinderraub u. a. ihnen schweren
Schaden zugefügt habe. Während der verheerende Kleinkrieg weiterging, der auch
Braunsbergs Seehandel empfindlich traf, bemühten sich die ermländischen Stände,
durch Verhandlungen den Feindseligleiten ein Ende zu machen. Deshalb lehnten die
Braunsberger im April ein Gesuch des Hochmeisters ab, der von ihnen zu einem
Unternehmen gegen die Polen Hilfe erbat; rings von Feinden umdroht, müßten sie
ihre eigene Stadt schützen und hätten keinen Mann übrig.
Da brachte endlich der Waffenstillstand zwischen Polen und Ungarn ( 2. 4.
1479) dem Bischof Nikolaus von Tüngen in seiner höchsten Not Rettung. Es war
darin die Bestimmung aufgenommen, daß er als gleichberechtigter Vertragspartner
unter ungarischem Schutz bei der entscheidenden Aussprache persönlich erscheinen
durfte. In seinem Gefolge, das im Gegensatz zu dem „eitel schwarz" gekleideten
des Hochmeisters die rote Farbe angelegt hatte, weilte als Vertreter der
ermländischen Städte der Braunsberger Bürgermeister Alexander von Loyden.
Wochenlange schwierige Verhandlungen zeitigten in Petrikau das überraschende
Ergebnis, daß Bischof Nikolaus vom Könige in seinem Amte belassen wurde, dafür
aber den Treueid leisten mußte. Am 15. Juli bat er zusammen mit zwei Domherren
und dem Braunsberger Bürgermeister in der Vollsitzung des polnischen Reichstages
den König Kasimir kniefällig um Verzeihung, und dann schwuren die ermländischen
Vertreter zugleich im Namen der Bistumsinsassen dem polnischen Könige und seinen
Nachfolgern als Schirmherren der ermländischen Kirche Treue und die
unverbrüchliche Beobachtung des Thorner ewigen Friedens. Dafür erhob Kasimir den
Bischof in den Rang eines senatorischen Reichsrats, gewährte allen seinen
Anhängern Amnestie und bestätigte die Privilegien des Bistums. Verpflichtungen
wie die, daß in Zukunft nur eine dem König genehme Person zum Bischof gewählt
werden durfte, verstärkten jedoch die Bindung des Ermlandes an das Königreich
Polen.
Nun rückten die polnischen Truppen aus dem Bistum ab, das nach entsetzlichen
Verheerungen noch eine Steuer zur Bezahlung der Söldnerscharen aufbringen mußte.
Eine Vereinigung, die Bischof Nikolaus im März 1485 zu Thorn mit den preußischen
Ständen zum gegenseitigen Schutz ihrer Privilegien schloß, erwies sich als sehr
nützlich, als nach dem Tode Tüngens das Domkapitel am 19. Februar 1489 den
Thorner Patriziersohn Dr. Lukas Watzenrode zum ermländischen Bischof wählte. Da
König Kasimir seinem eigenen Sohne Friedrich diese Würde zugedacht hatte,
drohten wieder kriegerische Verwicklungen. Am 2. April erschienen der polnische
Hofmarschall Raphael von Lesno und der Krakauer Domherr Johann Lubianski als
königliche Gesandte in Braunsberg und erhoben vor den herbeigeholten sechs
Domherren in Gegenwart des altstädtischen Rates förmlichen Protest gegen die
Wahl Watzenrodes, da sie gegen den Petrikauer Vertrag verstoße. Als die
Domherren die Rechtmäßigkeit ihrer Wahl energisch verteidigten, versuchten die
Gesandten, die Braunsberger vom Domkapitel zu trennen, indem sie äußerten, wenn
die Kanoniker dem König den Gehorsam verweigerten, so sollten doch die Städte
ihrem Eide treu bleiben und dem Willen des Königs folgen. Aber auch diese
Lockung scheiterte an der Einmütigkeit der Ermländer. Offene Drohungen, die die
Gesandten und ihre Diener aussprachen, veranlaßten die ermländische
Landesregierung, Städte und Schlösser mit Lebensmitteln zu versorgen, die
Befestigungswerke instand zu setzen und Munition und Waffen zu beschaffen. Daß
es trotz des königlichen Zornes gegen den „Menschen Lukas" nicht zum Kriege kam,
war das Verdienst der preußischen Stände, vor allem Danzigs, das die Seele des
Widerstandes im Kampfe um die Landesrechte war. Wiederholte Gesandtschaften der
Ermländer waren notwendig, um der Sache ihres Bischofs zum Erfolge zu verhelfen;
als Vertreter 69 der Städte nahm daran der
Braunsberger Bürgermeister Loyden teil. Als die Gesandten im Dezember 1490 dem
König selbst ihr Anliegen vortragen wollten, wurden sie von diesem nicht
vorgelassen. Erst Kasimirs Tod (7. Juni 1492) bedeutete eine wesentliche
Entspannung der bedrohlichen Lage, und zu seinem Nachfolger Johann Albrecht
bahnte sich für Bischof Lukas bald ein vertrauensvolles Verhältnis an.
So waren dem Ermland einige Jahrzehnte des Friedens vergönnt, die auch
Braunsbergs Wirtschaft und Wohlstand fördernd zustatten kamen. Der 1477
gestiftete dreitägige Jahrmarkt „uf tag Francisci" (4. Oktober) sollte nach
Beendigung der Ernte und vor Beginn des Winters weitere Käuferkreise anziehen.
In frommem Wetteifer wandte man sich wieder der Bereicherung und Ausschmückung
der Pfarrkirche zu. So errichtete das Schuhmachergewerk mit Bewilligung des
Bischofs i. J. 1484 den Andreasaltar, dessen Hauptbild auf reichem, gemustertem
Goldgrunde die markigen, breiten Gestalten der hl. Petrus, Andreas und Simon
zeigt und in einem späteren Altarwerk noch heute erhalten ist. Aus dem Jahre
1485 stammen vier von kleinen Löwen gestützte Messingleuchter auf dem
Marienaltar. In den Ausgang des 15. Jahrhunderts ist wohl auch der prächtige
Marien-Kronleuchter aus Bronze zu setzen, dessen farbige Doppelstatue der
Gottesmutter von zierlichen ovalen Reifen und schwungvoll ausladenden Lichtarmen
umrahmt wird. Eine Nachbildung des kostbaren Stückes hängt neuerdings in der
Marienkapelle der Marienburg. 1490 erwirkte der Rat einen päpstlichen Ablaß für
die Teilnehmer der Sakramentsprozession am Donnerstag vom Hochaltar in die
„Kapelle der Schiffsleute und Hauptherren St. Nikolai." In dieser Zeit muß auch
der wertvolle Holzschrein entstanden sein, der noch jetzt die Donnerstagkapelle
ziert und in seiner gemütvollen, behäbig bürgerlichen Darstellung des
Marienlebens zu den schönsten Werken der mittelalterlichen Holzschnitzerei in
unserer Heimat gehört. 1494 weihte Bischof Lukas dem Gedächtnis seines
Vorgängers Paul die vorerwähnte Bronzeplatte. 1509 ließ der Rat einen
Jakobusaltar fertigen: im selben Jahre entstand unter dem Glockenturm ein
zweiter Kreuzaltar. Um dieselbe Zeit arbeitete Meister Hans der Orgelmacher,
wohl derselbe Hans von Konitz, der eben im Frauenburger Dom seine Kunst bewiesen
hatte, an einer neuen großen Orgel in der Katharinenkirche. Auch das kleine
Orgelchor am Hochaltar ist, wie das Wappen des Bischofs Lukas beweist, um 1500
erbaut worden.
Wenn auch die reifsten jener gotischen Kunstwerke den Werkstätten erprobter
auswärtiger Meister zu verdanken sein mögen, so werden wir doch den Anteil
eingesessener Kunsthandwerker an unserm gotischen Kircheninventar nicht
unterschätzen dürfen.
Die reichsten Zuwendungen aber erfuhr die Kirche und auch die ganze Stadt von
einem ihrer gelehrtesten und bedeutendsten Söhne, von Thomas Werner.
Dieser war der Sproß einflußreicher und wohlhabender Patrizierfamilien. Sein
gleichnamiger Vater begegnet uns in der Zeit von 1430 - 32 als bischöflicher
Vogt auf dem Braunsberger Schloß und seit 1439 als Bürgermeister der Altstadt.
Seine Mutter Katharine geb. Trunzmann entstammte einem alteingesessenen
Geschlecht, das schon 1355 im Bürgerbuch erscheint; ihr Vater Nikolaus saß
bereits 1408 im Rate. Nach dem Tode ihres Gatten heiratete die Witwe um 1453 den
aus dem Christburgschen stammenden Ritter Benedikt von der Schonenwiese, der
1457 als Ratsmitglied mit wichtigen Gesandtschaften betraut wurde. Der junge,
begabte Thomas Werner bezog zu Ostern 1448 die Universität Leipzig, wurde dort
schon nach zwei Jahren Baccalaureus und im Herbst 1454 Magister der artistischen
(philosophischen) Fakultät. Damit trat er als Professor in den Lehrkörper der
Universität ein. Nach Weihnachten 1457 lieh ihm auf seine Bitten der
Braunsberger Rat aus seiner Libraria (Bücherei) zwei kostbare Handschriften, ein
juristisches Werk des Johann Calderinus aus Bologna und ein
philosophisch-religiöses von Petrarka. Die Bücher wurden mit 20 ungarischen
Gulden bewertet, und die Mutter des Magisters mußte mit ihrer ganzen Habe
Bürgschaft leisten, damit im Verlustfalle zwei andere Bücher „in solcher Form"
wieder der Ratsbibliothek einverleibt werden könnten. Erst 1485 wurden die
entliehenen Bücher zurückgeliefert.
Inzwischen war Thomas Werner zu hohen Würden aufgestiegen. 1461 und 1479
bekleidete er das Amt eines Dekans der Artistenfakultät, 1464 war er Rektor der
Universität, 1471 wurde er Mitglied des größeren Fürstenkollegs in Leipzig, 1476
ermländischer Domherr und Domkustos. Auch dem Domkapitel von Zeitz wurde er
eingereiht. Nachdem er 1482 zum Doktor der Theologie promoviert worden war,
wurde er 1486 in die theologische Fakultät aufgenommen. Neben seiner
Lehrtätigkeit in den artistischen, später in den theologischen Wissenschaften verfaßte er geschätzte theologische und historische Schriften. Als ermländischer
Domkustos weilte er nur vorübergehend zur Wahrnehmung dieser Amtsobliegenheiten
in seiner 71 Heimat, nahm aber an dem Kampf der
Bischöfe Nikolaus und Lukas um die Rechte der ermländischen Kirche tätigsten
Anteil.
Wie stark er innerlich mit seiner Vaterstadt verbunden blieb, bewies er in
mehreren Stiftungen. Aus besonderer Verehrung gegen die Gottesmutter Maria und
zur Förderung ihres Psalters gründete er in der von seinen Vorfahren errichteten
sog. Flügghen-Kapelle die Rosenkranz-Bruderschaft, deren Satzung am 8. Januar
1485 von Bischof Nikolaus bestätigt wurde. 1489 überwies Werner dieser Stiftung
ein Kapital und 30 Morgen Land in der Aue zur Dotation von zwei aus Braunsberg
gebürtigen Priestern, die je 4 Messen wöchentlich in der Kapelle lesen sollten.
Bevor der reiche Professor am 23. Dezember 1498 in Leipzig verstarb, übergab er
am 14. Dezember auf seinem Sterbelager in Gegenwart seiner beiden Schüler
Tidemann Giese aus Danzig und Matthias Höpner aus Braunsberg sein genaues
Testament in aller Form dem Notar. Daraus seien folgende seine Geburtsstadt
betreffende Bestimmungen mitgeteilt:
Als Vollstrecker seines letzten Willens berief er für die Braunsberger Legate
den dortigen Bürgermeister Zander von Loyden und den Ratsherrn Urban Kroll. Aus
seiner reichhaltigen Bibliothek überwies er 60 teils geschriebene, teils
gedruckte Bücher an das Franziskanerkloster seiner Vaterstadt; die 30
wertvollsten, die er mit 160 rheinischen Gulden taxierte, machte er mit ihren
Titeln namhaft, 30 andere sollten für sie die Minderbrüder in Leipzig auswählen.
Der größte Teil dieser kostbaren Handschriften und Wiegendrucke wurde
i. J. 1626
aus Braunsberg von den Schweden entführt und findet sich heute in der
Universitätsbibliothek Uppsala. Weiter sollten die Braunsberger Pfarrkirche für
ihre bauliche Unterhaltung 30 M. erben, die Armen des Georghospitals 30 M., das
Andreas-Hospital 8 M.; in beiden Anstalten sollte dafür ein weiteres Bett
beschafft werden. Der Dreifaltigkeits-Kapelle in der Neustadt sollten 5 M.
zufallen, der Johanniskapelle 6 M.. dem Minoritenkloster 20 M., den beiden
Häusern der Beginenschwestern je 5 M. Mit allen diesen Legaten waren Meß- und
Gebetsverpflichtungen verbunden. Für die Bekleidung bedürftiger Armen in
Braunsberg waren 10 M. ausgesetzt, von denen graues und schwarzes Tuch gekauft
werden sollte. Für 5 M. sollten Schuhe für Arme und Schüler der Stadt beschafft
werden. Selbst für öffentliche Bauten und die Unterhaltung der
Befestigungsmauern vermachte der anhängliche Sohn der Stadt 10 M., dazu seinen
Panzer mit Zubehör. Schließlich errichtete er mit einem Kapital von 600 rheinischen
Gulden eine Studien Stiftung in Leipzig, aus der zwei bedürftige Braunsberger
Studenten nach Wahl ihres Rates 6 Jahre hindurch je 30 Gulden jährlich erhalten
sollten. Das waren beträchtliche Summen eines sehr großen Vermögens, für die man
erst den rechten Maßstab gewinnt, wenn man hört, daß Hochmeister Hans von Tiefen
in seiner Finanznot dem Professor Werner das ganze Dorf Eisenberg für 1000 M.
verpfändete.
Ein hervorragendes Kunstwerk hält das Andenken des frommen Wohltäters in
seiner Marienkapelle noch bis auf unsere Tage fest: der Rosenkranzaltar, der
wahrscheinlich wenige Jahre nach seinem Tode hier Aufstellung fand. Er besteht
aus dem Hauptbilde, an das sich zu beiden Seiten je zwei Flügel wie die Blätter
eines Buches anfügen. In feinen, edlen Formen stellt der Meister vielleicht vom
Niederrhein Szenen aus dem Marienleben und Heiligenfiguren dar. Am schönsten
aber das Mittelstück: Aus goldener Himmelsglorie schwebt in hoheitsvoller
Majestät die Gottesmutter mit dem Jesuskinde im Arm auf der Mondsichel. Zwei
Engel halten eine Krone über ihrem Haupte. Zu Füßen der Rosenkranzkönigin knien,
den Blick flehend zu ihr erhoben, zwei Gestalten mit Rosenkränzen in den Händen:
rechts der Stifter Thomas Werner in weißer Domherrntracht, links seine Mutter in
schwarzem Mantel mit weißem Kopfschleier. Auf dem Spruchbande der Patrizierfrau
lesen wir die Worte: Du moder godes Bidde gott vor mich, und auf dem des
Domherrn: Mater Dei memento mei (Mutter Gottes, gedenke meiner). Vielleicht sind
die Gesichtszüge des gelehrten Professors von porträthafter Ähnlichkeit; wir
hätten dann das älteste Bildnis eines Braunsbergers vor uns.
Über solcher gläubigen Erhebung in das beseligende Reich der himmlischen
Ewigkeit, wie sie die frommen Stiftungen und Bildwerke jener Zeit offenbaren,
sank das Erdenschwere dieser Zeitlichkeit in ein vergängliches Nichts. Das Leben
aber mit seinen Sorgen und Mühen, Leidenschaften und Kämpfen ging darüber
weiter, forderte von jedem seinen Zoll . . .
Weil der Schloßkaplan von Barten den dortigen Lehrer tätlich mißhandelt und
dieser beim zuständigen Diözesanbischof Lukas Klage geführt hatte, entstand i.
J. 1493 ein ärgerlicher Rechtsstreit zwischen dem Bischof und dem Hochmeister,
da dieser behauptete, kraft päpstlicher Privilegien seien alle zum Hausstand
des Ordens gehörigen Personen von der bischöflichen Rechtsprechung befreit. Bei
den verwickelten juristischen Auseinandersetzungen wurde wiederholt Braunsberg
als Verhandlungsort gewählt. So kam eine illustre Gesellschaft, die
73 Komture von Brandenburg, Holland, der Großkomtur, der Ordensmarschall,
zwei samländische Domherren, 6 Ratsherren der drei Städte Königsberg und adlige
Lehensleute des Ordens, am 2. Dezember 1493 zu einer Aussprache mit Bischof
Lukas und mehreren Domherren auf dem Braunsberger Rathaus zusammen, die aber zur
Verschärfung der Gegensätze führte. Nachdem der Streit bis zur römischen Kurie
und den deutschen Fürsten getragen worden war und Bischof Lukas dabei vergeblich
für eine Verpflanzung des Ordens nach Podolien als Schutzwehr gegen die Türken
Stimmung gemacht hatte, kam am 14. November 1496 in Einsiedel eine Begegnung
zwischen dem Hochmeister und seinen Gebietigern mit dem Bischof und Vertretern
des Domkapitels zustande. Am ersten Tage speiste Watzenrode, feierlich vom
Großkomtur eingeholt, an der Tafel des Hochmeisters, am folgenden Tage bewirtete
er diesen in seinem Braunsberger Schlosse. Hatte diese Zusammenkunft bereits
eine Annäherung der fürstlichen Nachbarn erzielt, so ergaben neue Verhandlungen
in Braunsberg im März 1497 zu Heilsberg einen förmlichen Vergleich.
Bald darauf ereignete sich in Braunsberg ein merkwürdiger Zwischenfall, der
nach der eben erfolgten politischen Entspannung kaum verständlich erscheint. Am
Abend des 3. April streuten einige Bürger das Gerücht aus, Bischof Lukas habe
einige hundert Bewaffnete in Marienburg zusammengezogen und wolle sie nachts
heimlich ins Schloß lassen, um dann gegen die Bevölkerung nach Willkür
vorzugehen. Als die Nacht anbrach, hörte man hier und dort in der Stadt Waffen
klirren; aufgeregte Bürger hatten für alle Fälle Harnisch und Hellebarde
vorgeholt. Dadurch wurden wieder andere mobil, die von der Sache noch nichts
erfahren hatten, und so entstand rasch ein großer Tumult, der auch Frauen und
Kinder aus dem eisten Schlummer scheuchte. Mutig ließ man das Hohe Tor öffnen
und lauschte, ob in der Nähe feindliches Waffengeräusch zu vernehmen sei; aber
nichts regte sich, alles war draußen ruhig und still. Da rückte man zur
Schloßbrücke, riß sie zu einem Drittel ab und warf die Stücke in die Passarge,
damit nicht etwa hier der Feind einzöge. Einige Kecke drangen so» gar ins Schloß
und untersuchten die Gewölbe und Keller, ob sich da nicht Soldaten verborgen
hielten. Aber sie konnten nichts Verdächtiges entdecken und berichteten das den
anderen. Da überkam sie alle ein Gefühl peinlicher Scham, und man drückte sich
kleinlaut ins heimische Schlafgemach.
Die Kunde von den Vorfällen der verflossenen Nacht verbreitete sich mit
Windeseile durchs Ermland und erreichte auch rasch den Bischof in Heilsberg.
Dieser aber war über das Verhalten seiner Braunsberger Untertanen empört,
glaubte er doch, sich immer wohlwollend um die Förderung der städtischen
Interessen bemüht zu haben. Der Bürgerschaft kam mittlerweile zum Bewußtsein,
welchen Argwohn und welche Unbotmäßigkeit sie gegenüber dem Bischof bekundet
habe. Daher entsandte sie eine Abordnung zu
ihm und legte ihm wiederholt dar, die Ausschreitung sei ohne Wissen des
Rates durch einige Einwohner hervorgerufen, der Rat und die ganze Gemeinde
bedauerten lebhaft das Vorkommnis, und der Herr Bischof möge nicht die Gerechten
mit den Ungerechten verfolgen. Dieser aber überschüttete sie mit heftigen
Vorwürfen und entließ sie in Ungnaden. Nun griffen einige Prälaten des
Domkapitels vermittelnd ein. Auf ihre Anregung veranstaltete der Rat eine
Untersuchung über den Tumult und ließ drei Rädelsführer festnehmen, während ein
vierter entfloh. Danach reiste eine neue Gesandtschaft nach Heilsberg, der
Dompropst und der Domdechant und zwei Ratsmitglieder. Durch ihre gemeinsamen
Vorstellungen und Bitten ließ sich Watzenrode erweichen. Auf die Einladung des
Rates kam er zum Feste Peter und Paul nach Braunsberg, wo seinem Burggrafen die
drei Delinquenten ausgeliefert wurden. Dieser trat mit dem Stadtschultheißen und
seinen Besitzern zum Gericht zusammen, und dieses verurteilte die Übeltäter zum
Tode, weil sie die Mitbürger zum Aufstande aufgewiegelt, freventlich die
Unverletzlichkeit des Schlosses gebrochen und Untreue gegen den Landesherrn
verübt hätten. Der Henker ergriff sie, um am nächsten Morgen das Urteil an ihnen
zu vollstrecken. Der strenge Spruch weckte nun doch weite Teilnahme, und die
Angehörigen der Schuldigen bestürmten den Bischof mit Bitten um Begnadigung.
Wirksamer aber war die Fürsprache der Frauenburger Domherren, auf deren Rat die
Rädelsführer damals in Haft genommen waren; sie fürchteten, bei Hinrichtung der
Verurteilten selbst schweren kirchlichen Strafen zu verfallen. Daher wurde nicht
ohne viele Schwierigkeiten das Urteil dahin gemildert, daß zwei der Schuldigen
dauernd aus der Stadt verbannt wurden; der Hauptanstifter aber wurde zu
lebenslänglichem Gefängnis verurteilt und im Heilsberger Schloßverlies
eingekerkert, wo er dann starb.
Die Durchreise des neuen Hochmeisters, des Herzogs Friedlich von Sachsen und
seines Bruders Georg, denen der Bischof durch die Stadt bis zur Grenze das
Ehrengeleit gab, schaffte der Bevölkerung am 26. September 1498 ein willkommenes
Schauspiel. Eine böse Zeit durchlebte sie, als eine pestartige Seuche
75 vom Herbst 1505 bis Anfang 1507 in der Stadt wie
auch sonst im Lande zahlreiche Opfer forderte.
Hatte schon die Ablehnung des polnischen Huldigungseides durch Hochmeister
Friedrich wiederholt die Kriegsgefahr in bedrohliche Nähe gerückt, so kam diese
Spannung unter seinem Nachfolger Markgraf Albrecht von Brandenburg zur
Entladung. Im Ermland regierte seit 1512 Dr. Fabian von Loßainen, der nach
langem Sträuben den folgenschweren Petrikauer Vertrag hatte unterschreiben
müssen, wonach fortan bei Erledigung des Bischofsstuhles der polnische König
das Recht hatte, eine Liste von vier ihm genehmen ermländischen Domherren
aufzustellen, an die das Domkapitel bei seiner Wahl gehalten war. Während so
Ermlands Bindungen an Polen verstärkt wurden, suchte sich Hochmeister Albrecht
von ihnen frei zu machen. Schon 1516 plante er eine kriegerische Befreiung von
der polnischen Oberhoheit, wenn auch zunächst die gereizte Spannung auf
Grenzüberfälle und Handelsverbote beschränkt blieb. So beklagte sich
Heiligenbeil im April 1517 beim Hochmeister, daß die Braunsberger alle
umliegenden Krüge mit Bier versorgten, das Getreide schon auf dem Halm
aufkauften „der armen Stadt Heiligenpeyl zu Schaden". Daraufhin verbot der
Hochmeister im Juli 1517 allen Handel der Ermländer, besonders der Braunsberger
und Wormditter, im Ordenslande bei Verlust der Ware. In der Nacht vom 29. zum
30. August wurden 50 Speicher, Scheunen und Häuser vor der Passargestadt und
andere Höfe und Dörfer von einer Bande von etwa 100 Reitern aus dem Ordensgebiet
in Brand gesteckt. Beschwerden beim Hochmeister schufen kaum Abhilfe. Noch Ende
Oktober 1519 ereignete sich hart an der ermländischen Grenze ein räuberischer
Überfall. Der Faktor des englischen Königs Heinrich VIII. Jaen Johanssoen und
der eng» tische Untertan Thomas Merten kamen mit einer wertvollen Ladung
Pelzwerk aus Livland. In Königsberg erstanden sie in der Kanzlei des
Hochmeisters zu ihrer größeren Sicherheit, einen Paßbrief. Trotzdem folgten
ihnen „etzliche" von Königsberg an bis Einsiedel; hart hinter der Landesgrenze
sprengten die Räuber auf sie los und raubten ihnen 11 Zimmer Zobelpelz, wovon 9
Zimmer für 6300 Rigaer Mark für den englischen König selbst, die beiden anderen
für 1600 M. von Merten angekauft worden waren. Außerdem ließ die Bande noch
Kleider, Kleinodien und Geld im Werte von 300 M. mitgehen. Wie weit die aus
Danzig abgesandte Beschwerde des königlichen Handelsherren beim Hochmeister
Erfolg hatte, ist nicht aktenkundig. Der Danziger Rat fühlte sich zu einer
Eingabe an Bischof Fabian veranlaßt, er möge sich beim Hochmeister der Beraubten
annehmen, um Vergeltungsmaßnahmen der Engländer gegen die preußischen Kaufleute
abzuwenden.
Über den Reichtum einzelner Braunsberger Kaufherren vor dem sogenannten
Reiterkrieg gibt uns eine briefliche Notiz des Hochmeisters Aufschluß, nach
der das wohlhabende Handelshaus Kirsten Mitte Dezember 1519 für einen großen
Abschluß 1800 M. an barem Gelde vereinnahmte.
1519 begannen auf Seiten des Ordens wie Polens die Kriegsrüstungen. Bischof
Fabian wußte, daß der Kampf vornehmlich in seinem Lande würde ausgetragen
werden. Daher bemühte er sich bei beiden Parteien zu vermitteln, traf aber auch
Sorge, Haß die Mauern, Gräben und Türme der Bistumsstädte instand gesetzt
wurden.
Da zu Ende des Jahres polnische Truppen sowohl von Süden wie von Westen den
Ordensstaat angriffen, entschloß sich der Hochmeister zu einem Handstreich auf
die ermländische Hauptstadt. Er hatte sich früher dem Bischof gegenüber erboten,
zwei Meilen von Braunsberg entfernt eine Brücke über die Passarge zu schlagen,
um die Stadt nicht beim Durchzug zu schädigen. Natürlich konnte Fabian allein um
der gefährdeten Braunsberger Handelsinteressen willen diesem Wunsche nicht
entsprechen. Jetzt besetzte Albrecht den wichtigen Brückenkopf, um den Polen
zuvorzukommen.
Es war am Neujahrsmorgen 1520. Hoch lag der Schnee, durch den eine
Reiterabteilung von etwa 200 Pferden und ein Infanterietrupp von ungefähr 30
Mann mit etlichen Geschützen auf der Königsberger Straße gen Braunsberg stapfte.
Durchfroren und übernächtigt machten sie um 7 Uhr in Einsiedel halt. Eine
Patrouille wurde vorgeschickt; sie meldete, das Stadttor sei offen und
unbewacht. Sofort gab der Führer, Hochmeister Albrecht selbst, Befehl zum
Weitermarsch. Der Schnee dämpfte den Schall der Anrückenden, die plötzlich vor
der Brücke erschienen. Der Stadtkämmerer Fabian Gert wollte noch die
Mühlenbrücke hochziehen, zu spät, er büßte seinen Versuch mit dem Tode. Nun
hielt Albrecht auf dem Ring (Markt), ließ ihn besetzen, die Heertrommel schlagen
und mit Trompeten blasen, daß es in der ganzen Stadt erschallte. Der Rat und die
Ältesten der Gemeinde waren gerade bei der Prozession in der Kirche, als sie der
Hochmeister vor sich laden ließ. Erst als er ihnen Leib und Gut sicher sagte,
kamen sie heraus. Inzwischen hatte auch der Landvogt Fabian von Maulen, der
Schwager des Bischofs, aber zugleich ein Untertan des Hochmeisters, das Schloß
übergeben. Es hatte genügt, 77 daß Albrecht vor dem
verschlossenen Tore dreimal rief: „Fabke, tu auf!" Da kam dieser hervor, bat um
Gnade und öffnete ihm das Tor. Der Burggraf Peter, ein Priester, weilte
ebenfalls in der Pfarrkirche.
Hier im Schloß forderte der Hochmeister von dem Rat und den Gemeindeältesten
den Treueid; aber viele verwiesen auf den Schwur, den sie dem Bischof und der
ermländischen Kirche geleistet hatten. Da entgegnete Albrecht, er habe im Sinne
des Papstes und im Einvernehmen mit Bischof Fabian die Stadt besetzt, um sie vor
den Polen zu schützen; deshalb sollten sie schwören oder sterben. Nun baten ihn
viele kniefällig, er möge sie sicher wegziehen lassen; aber das lehnte er ab. Da
traten der Landvogt Fabian und der 2. Bürgermeister Philipp Teschner hervor,
erklärten von einer Vereinbarung des Bischofs und des Hochmeisters gehört zu
haben, daß dieser die Stadt „bis zu Austrag der Sachen bewahren" wollte, und
befürworteten die Huldigung; „denn man müßte tun wie arme Leute, die unvertorben
sein wollen." Der Hochmeister versicherte noch, er werden ihnen hernach
schriftlich beweisen, daß der Bischof mit der Besetzung der Stadt einverstanden
sei, es sollte ihnen auch „nicht ein Haar gebrochen, nicht eines Hellers Wert
genommen" werden. „So sie also klug wären und unvertorben sein wollten, so
würden sie sich der Eidesleistung nicht weigern." Durch alle diese Vorstellungen
und Drohungen wurden die Anwesenden endlich mürbe, lieferten die Schlüssel der
Stadt aus und schwuren dem Hochmeister Treue.
So hatte Albrecht ohne jeden Verlust, in kecker Überrumpelung den wichtigen
Handelsplatz, die Hauptstadt des Bistums, erobert, ein verheißungsvoller Anfang
für seine kriegerischen Unternehmungen, ein schwerer Verlust für die polnische
Gegenpartei, aber auch für den Bischof, der seinem Lande um des Friedens willen
am liebsten die Neutralität erhalten hätte. Es fehlte daher in Braunsberg und im
Ermland nicht an Stimmen der Kritik, die von Untreue und sogar Verrat sprachen
und namentlich gegen den Landvogt und den Bürgermeister heftige Anschuldigungen
richteten, sie hätten treulos gehandelt, sogar heimlich ihre Hand im Spiele
gehabt.
Um gegenüber unangenehmen Überraschungen gesichert zu sein, befahl der
Hochmeister der Bürgerschaft, alle Hauswehren (Waffen) auf dem Schloß
abzuliefern, und verbot alle Zusammenkünfte. An den Bischof lichtete er ein
Schreiben, in dem er seine Handlungsweise im Hinblick auf die kriegerische Lage
rechtfertigte. Dann ernannte er seinen Kumpan Friedrich 78von Heideck zum
Kommandanten der eroberten Stadt und fuhr am selben Tage „selbst sechste" nach
Königsberg zurück.
Bischof Fabian wollte am Silvestertage von Elbing nach Braunsberg heimkehren,
hatte aber des tiefen Schnees wegen seine Reise verschoben. Als er nun am
Neujahrstage unterwegs war, erfuhr er von einem flüchtigen Braunsberger den
Überfall, drehte eilends um, setzte den königlichen Hauptmann von Elbing in
Kenntnis und machte sich am nächsten Tage auf nach seinem festen Schloß
Heilsberg. Hier erhob er in einem Antwortschreiben lebhafte Klage über das
Vorgehen des Hochmeisters. Die Stadt Braunsberg sei diesem stets geöffnet
gewesen, auch wenn er nachts gekommen sei; ihre Besetzung sei wider die Abrede
und gegen den Willen des Papstes. Der Hochmeister „sollte sich über diese Lande
erbarmen und sich zu Freundschaft und Frieden mit dem Könige von Polen neigen."
Inzwischen hatte Heideck in Braunsberg die nötigen militärischen Sicherungen
getroffen. Drei große Büchsen ließ er aufs Schloß rücken mit der Schußrichtung
gegen die Stadt, auch die Türme und Tore der Stadt wurden mit Geschützen,
darunter sechs kleinen Feldschlangen aus Balga, bestückt. Durch Sicherungsbauten
und Schutzwehren suchte er die Befestigungen so zu verstärken, daß sie ohne
große Gefahr nicht genommen werden könnten. Die Brücke am Kutteltor wurde
abgebrochen, nur das Mühlen- und Hohe Tor wurden offen gehalten, die anderen
festgemacht. Die Besatzung wurde durch Königsberger Handwerksgesellen, die
wöchentlich 1 M. Sold erhielten, und Bürger vermehrt. Sie wurde zu dreien und
vieren auf Bürgerquartiere verteilt. Im Schloß lag der Befehlshaber Heideck mit
seinem Stab, den Hauptleuten Dietrich von Schlichen, Peter von Dohna,
Klingenbeck und anderen. In Kürze war hier der Hafer verbraucht, alles Bier
ausgetrunken, und das Brotkorn auf den Söllern ging zur Neige. Mit dem
vorgefundenen Malz braute man neues Bier. Vom Gute Klenau mußte das Vieh
herhalten, zwei Ochsen wurden auf einmal geschlachtet.
Der Verlust Braunsbergs war für die Polen sehr empfindlich. Bevor sie mit
Waffengewalt die Rückeroberung betrieben, verfolgte ein Marienburger Hauptmann
einen anderen Plan. Er dang drei Gesellen, die je 10 M. erhalten sollten, wenn
sie die Passargestadt an mehreren Stellen in Brand steckten. Indessen der
verbrecherische Anschlag wurde entdeckt und den Übeltätern Schwefel und Pulver
abgenommen; dann wurden sie dem Scharfrichter überliefert. Heideck ließ nun alle
Keller und Häuser durchsuchen, alle Lebensmittel aufzeichnen
79 und die Einwohner mahnen, aufs Feuer achtzuhaben.
2 - 3 Königsberger Jungen wurden mit Pferden in den Krügen zu beiden Seiten der
Stadt stationiert, im Adlerkrug, (der am 18. 5. 1427 vom Rate begründet wurde,
indem dieser an Peter Reymann den Bauplatz hinter dem Hl. Geiste (Hospital)
verlieh), und im Hohen Krug, (zu dessen Anlage am 17. 8. 1432 Meister Johann
Sonnefeld der (Toten) Gräber einen Raum „gegenüber den Leinenwebern" (Berliner
Straße) erhielt.) Wenn nachts Briefe ankämen, sollten diese Postjungen mit
blasendem Horn geweckt werden, damit sie an die geschlossenen Pforten kämen und
hier die Briefe in einer Rolle in Empfang nähmen und weiterbeförderten.
Von seinem Braunsberger Stützpunkt aus unternahm Heideck Streifzüge in die
Umgegend. Um Vieh, Getreide und anderen Proviant zu erbeuten, ritt er schon in
der Nacht zum 8. Januar mit 70 Pferden ins Elbinger Gebiet aus. Im übrigen
mußten die Gebiete von Balga und Brandenburg, selbst Königsberg Zufuhren an
Lebensmitteln leisten, die in Braunsberg auch zur Verteilung an andere
Ordenstruppen aufgestapelt wurden. Bei Pr. Holland holte sich der Hochmeister am
19. von den Polen eine empfindliche Schlappe.
In diesen Tagen führte der Braunsberger Rat über alle möglichen
Ausschreitungen und Willkür der Landsknechte vor dem durchreisenden Hochmeister
lebhafte Klage und erinnerte ihn an seine früheren Zusicherungen. Die Söldner
verantworteten sich mit Vorwürfen gegen die Ratsherren, die verräterische
Beziehungen mit dem Mehlsacker Burggrafen Pfaff angeknüpft hätten und ihm die
Schlüssel der Stadt überliefern wollten, damit die Polen desto leichter
hineinkämen. Albrecht stellte durch eine Untersuchung fest, daß noch von
altersher Nachschlüssel auf dem Stadthause vorhanden seien. Da ihm erzählt
wurde, daß schon früher einmal die Braunsberger eine Besatzung aus der Stadt
vertrieben hätten (i. J. 1461), machte er kurzen Prozeß, ließ 12 Ratsherren
gefangennehmen und paarweise gefesselt nach Königsberg bringen. Dann ließ er
einen anderen Rat einsetzen, der ihm huldigen und schwören mußte; Schlüssel zu
den Toren wurden ihm aber nicht mehr belassen. Selbst das Läuten der Glocken
verbot Albrecht vorsichtshalber. Und weil er erfuhr, daß von Domherren,
Dorfpfarrern und anderen Priestern Geld und Silberwerk in der Braunsberger
Pfarrkirche vergraben sei, ließ er diese verschließen und nahm die Schlüssel in
Verwahrung. Als sich darüber die in der Kirche amtierenden Priester beklagten,
ließ er sie zum Bischof nach Heilsberg treiben und bestellte zum Pfarrer der
Gemeinde einen gewissen Lorenz, Herzog von Geldern genannt, den der Bischof
wegen Teilnahme an früheren Raubzügen mit lebenslänglichem Kerker bestraft
hatte. Die vergrabenen Schätze aber konnte der Hochmeister ausfindig machen.
Die gefangenen 12 Ratsherren durften sich in Königsberg eine Herberge suchen,
mußten aber eine eidesstattliche Versicherung abgeben, daß sie sich nicht ohne
Wissen des Hochmeisters aus der Stadt entfernen, auch nicht Briefe oder
Kundschaften schreiben würden. Alle Tage mußten sie sich um 12 Uhr auf dem
Schlosse dem Hauskomtur oder dem Hofmarschall vorstellen. Auf vielseitige Bitten
wurden sie Ende März nach Braunsberg entlassen, aber bald nach Ostern wurden der
Bürgermeister Georg Schönwiese, sein Kumpan Teschner und Hans Ludtke abends bei
der Kreuzkapelle auf einen Wagen gebunden und nach Königsberg weggeführt, ohne
daß zunächst jemand erfahren konnte, weshalb und wohin.
Am 23. Januar zog Heideck nach Frauenburg, brannte die Stadt und alle
Wohnhäuser auf dem Dome aus, konnte aber die Kathedrale selbst wegen einer
geringen polnischen Besatzung nicht nehmen. Ende Januar forderte der Hochmeister
die städtischen Privilegien, Register und amtlichen Briefe aus der Stadtkammer
nach Königsberg. Die Privilegien fand man nicht und vermutete, sie konnten
vergraben sein. Von Rechnungsbüchern und sonstigen Archivalien waren aber so
viele vorhanden, daß man wohl einen Monat gebraucht hätte, um alle zu überlesen,
und deshalb war Heideck ungehalten darüber, daß man ihn mit solchen Dingen
behelligte.
Wie die früheren Kriege brachte auch der Reiterkrieg die übliche Wegelagerei
und Brandschatzung auf beiden Seiten zu trauriger Blüte. Von Frauenburg aus
verheerten polnische Streifzügler mehrere Dörfer der Braunsberger Umgebung,
darunter Passarge, und äscherten sie ein. Ihr Anschlag auf die Vorstadt vor dem
Hohen Tor wurde dadurch vereitelt, daß Heideck ihn durch einen gefangenen Spion
vorher erfuhr. Der Ergriffene wurde tags darauf gehenkt, ebenso ein anderer
Pole, obwohl der Hochmeister nachträglich dieses schnelle Verfahren mißbilligte,
da er Gegenmaßnahmen befürchtete und von den Gefangenen gern mehr Nachrichten
aus dem feindlichen Lager herausbekommen hätte.
Am 8. Februar unternahm Heideck einen Eroberungszug nach Mehlsack, das sich
sogleich ergab und eine Besatzung von 300 Mann erhielt, die aber schon nach
einer Woche nach Braunsberg zurückbefohlen wurden, weil die Polen, etwa 600
81 Reiter und 400 Fußtruppen, am 13. die Stadt
bedrohten. Sie beschränkten sich aber darauf, in der Vorstadt und der Umgegend
Vieh zu rauben und Käufer niederzubrennen, doch wagte Heideck mit feinen 500
Landsknechten nicht den Kampf mit ihnen, zumal es ihm an Pferden mangelte. Da
ihm auch Blei fehlte, riet ihm der Hochmeister, die Orgeln in den Kirchen, die
Taufkannen und Schüsseln anzugreifen. Seine Lage wurde auch dadurch schwieriger,
daß die Landsknechte stürmisch ihren Sold forderten, seine Mittel aber erschöpft
waren. Erst am 28. Februar verließen die Polen ihre Stellungen vor der Stadt.
Sie nahmen Mehlsack und rückten verheerend in das östliche Ordensgebiet vor. Am
15. März eroberte Albrecht im Sturm Mehlsack zurück; doch gewann die Übermacht
der Polen auch im Bistum immer mehr Boden.
Bischof Fabian und sein Domkapitel, deren Neutralitätspolitik Schiffbruch
erlitt, hatten inzwischen über die Schädigungen ihres Landes durch den Orden bei
der päpstlichen Kurie und dem polnischen König Klage geführt. Neue
Friedensvermittlungen des Bischofs blieben erfolglos. Noch hatte das Kriegsglück
nicht eindeutig entschieden.
Heidecks Schwierigkeiten in Braunsberg wuchsen. Seine Büchsenmeister klagten
über die Verpflegung und verlangten Geld, um sich selbst beköstigen zu können.
Die Landsknechte erzwangen von ihm eine Lohnerhöhung. Der Hochmeister wollte
Teile seiner Besatzung für andere Unternehmungen verwenden, doch drohte der
ermländischen Hauptstadt von Westen her, wo starke polnische Truppen lagen,
unmittelbare Gefahr. Daher zog Heideck zur besseren Bewachung der Mauern
Schalwerksleute aus dem Brandenburgischen und Balgischen heran.
Mit 200 Pferden erschienen die Polen am 14. April vor der Neustadt. Fast
hätten sie diese auf den ersten Streich genommen. Sie drangen schon bis an die
inneren Schranken vor, da schlug diese ein hinzugelaufener Bürger der Altstadt
zu, wobei er durch den Arm geschossen wurde. Die Polen trieben Vieh weg und
lieferten mit den sie daran hindernden Ordensknechten ein Scharmützel; die wegen
ihrer Grausamkeit gefürchteten Tataren verschossen dabei etwa 200 Pfeile, ohne
jedoch viel zu treffen.
Nachdem Ende April Holland von den Polen genommen war, bei dessen
Verteidigung auch Braunsberger Bürger hatten mitkämpfen müssen, sollte Braunsberg an die Reihe kommen. Hier fehlte es an Truppen, Proviant und Geld;
auch die 12 Hakenbüchsen und 4 Büchsenmeister waren unzureichend. Heideck wollte
bei einer Belagerung das Äußerste tun, wunderte sich aber, daß der Hochmeister
diesen Flecken, der jetzt das Herz des Ordens sei, so vernachlässigte. Am 7. Mai
drangen etwa 90 feindliche Reiter von Regitten her gegen die Neustadt vor, deren
Schranken geschlossen waren. Heideck schickte 60 Knechte hinaus, die auf der
Wiese vor den Schranken mit den Polen scharmützelten, ein Fähnlein erbeuteten
und sie zurückdrängten. Diese vereinigten sich mit anderen Reserven und griffen
von drei Seiten her die Neustadt an, die die Ordensknechte räumen mußten. Die
Mühle, in die sich die Flüchtigen zurückgezogen hatten, konnte Heideck mit
Geschütz entsetzen. Auf der Brücke drängte sich die verängstigte Bevölkerung der
Neustadt, der der Feind auf den Fersen war. Das Mühlentor konnte der Kommandant
aber nicht öffnen, weil sonst Freunde und Feinde in der Stadt Einlaß gefunden
hätten. Die Polen erstachen Bürger und Bauern und erwürgten und verwundeten
selbst Frauen, Wöchnerinnen und Kinder in der Wiege. Auch 100 Mann der
Ordenstruppen wurden erstochen, erwürgt oder verbrannt. An drei Stellen der
Neustadt legten die Feinde Feuer an. Nach diesen Heldentaten zogen sie ab. Trotz
eigener Not mußte Heideck den armen Leuten Lebensmittel verabreichen. Aber nur
die Verwundeten konnte er in die Altstadt hineinlassen, für alle Neustädter
hätte der Proviant nicht gereicht. Gleichzeitig mit diesem Angriff vom Lande her
unternahmen die Danziger mit 4 Jachten einen Einfall von der Passarge her,
beraubten die armen Leute und führten sie weg.
Waffenstillstandsverhandlungen ließen im Juni eine Kampfpause eintreten. Auf
einer Reise nach Thorn machte Albrecht am 14. Juni in Braunsberg Station und
ernannte bei dieser Gelegenheit Heideck zum Hauptmann und Verwalter der Stadt;
was er in des Hochmeisters Namen tat, sollte so angesehen werden, als habe es
der Hochmeister in eigener Person getan.
Anfang Juli wurde die Lage für die Altstadt kritischer. In neuer Aktivität
legten sich die Feinde vor die Passarge, um den Wasserweg nach Königsberg zu
sperren. Eine Pulverzufuhr aus der Pregelstadt wurde von den Polen aufgehoben.
Die Landsknechte drohten wegen der ausstehenden Soldforderungen den Dienst
aufzukündigen und wurden beim Hochmeister selbst vorstellig. Es war ihnen außer
ihrem Gehalt zugesagt, bei der Einnahme von Städten, Flecken und Schlössern
sollten die Sturmglocke, das Geschütz und Pulver auf der Wehr ihr eigen sein,
oder der Hochmeister müßte dafür eine Ablösung zahlen. Sie erinnerten nun an die
Eroberung von Braunsberg und Mehlsack, für die ihnen die ausbedungene Belohnung
noch 83 ausstehe. Aber Albrecht konnte beim besten
Willen statt der angeforderten 6000 nur 1000 M. und wenige Bewaffnete zur
Verfügung stellen. Er riet Heideck, den Söldnern die Kirchenkleinodien und alles
Silbergeschirr der Stadt zu verpfänden; selbst die Stadt und das Geschütz wollte
er ihnen schlimmstenfalls zum Pfande überlassen.
Am 7. Juli begann die Belagerung Braunsbergs. Etwa 7000 Mann unter Führung
des Palatins von Sandomir Nikolaus Firlei wurden dazu angesetzt. Zunächst warfen
die Polen Schanzen auf und beschossen daraus vom 10. bis 12. die Stadt.
Besonders den Kirchturm nahmen sie unter Feuer, um die dortigen
Beobachtungsposten zu verscheuchen. Die Spitze des massigen Turmes und das Dach
wurden dabei „verschampiert", auch die größte Glocke beschädigt. Am 12.
eröffneten die Braunsberger ihr Geschützfeuer und brachten die feindlichen
Büchsen zum Verstummen. Am 14. kam es zu einem Ausfallgefecht. Heideck schickte
etwa 150 Knechte zu der Schanze beim oberen Tor, hinter der 16 Fähnlein mit etwa
500 Polen und Böhmen lagen. Den Angriff unterstützte von den Mauern her die
Artillerie. Die Polen verloren zwei Hauptleute, 120 Mann, 14 Fahnen und 5
Hakenbüchsen. Die Polen waren im Kampfe den Deutschen trotz ihrer Überzahl nicht
gewachsen, und hätten diese mehr Knechte zur Verfügung gehabt, so hüten sie
ihnen alle Geschütze, die sie von Holland hinübergeschafft hatten, weggenommen.
Auf Ordensseite war der Tod des Hauptmanns Hans von Helb, der der
stellvertretende Befehlshaber von Braunsberg war, zu beklagen. Die erbeuteten
Fahnen ließ Heideck „Gott und seiner werten Gebärerin zu Lob" in der Pfarrkirche
aufstellen.
Ein anderes bedeutenderes Scharmützel spielte sich am 22. Juli ab. 40 Pferde
und 200 Knechte der Stadtbesatzung fielen in das Lager der Tataren und Polen,
das diese bei der Vogel-Schießstange vor dem Obertore aufgeschlagen hatten, und
vertrieben sie daraus, waren aber zu schwach, um diesen Erfolg auszunutzen;
vielmehr wurden 30 Reisige und mehrere Knechte verwundet und 3 Knechte getötet,
während die Polen nur einen Toten und mehrere Verwundete zählten.
Ein andermal überfielen bei stiller Nachtzeit polnische Reiter das Vieh, das
Heideck requiriert hatte und auf der Weide zwischen der Stadt und der Passarge
mit etlichen Hakenbüchsen bewachen ließ. Sie trieben es weg und wurden wohl
unter Feuer genommen, jedoch die Schützen „beleidigen keinen nicht, allein einem
Kalbe haben sie das Hinterbein durchgeschossen." Auf den Lärm des Gefechtes
stürzten sich über 100 Knechte aus der Stadt auf die Viehräuber und kämpften mit
ihnen; dabei
büßten sie über 40 Knechte, die Polen 11 Mann ein.
Zu den Belagerern gehörte auch der Hauptmann Baltzer von Donen, ein Vetter
des Braunsberger Hauptmanns Peter von Dohna; er war mit 200 Bewaffneten aus
Schlesien auf dem preußischen Kriegsschauplatz erschienen. Durch eine List
wollte er vor Braunsberg einen Hauptstreich führen. Er bat seinen Vetter um eine
Unterredung. Als diese im schönsten Fluß war, versuchte er mit seinen
verborgenen Landsknechten die Stadt zu überrumpeln. Aber die Verteidiger waren
auf der Hut; der Anschlag mißlang, und Herr Baltzer wurde ins Bein gestochen.
Noch wird uns aus diesen Belagerungswochen berichtet, wie 15 kecke
Landsknechte in der Stadt Lecker auf Kirschen bekamen und sich bewaffnet über
die schönen Flüchte am Frauenburger Weg hermachten. Das wurden die Polen gewahr,
fielen mit 50 Mann zu Roß und Fuß über sie her und jagten sie in den Grund;
aber die Braunsberger wehrten sich wacker und erzählten nachher, sie hätten mehr
als die Hälfte erschlagen. Ihnen selbst hatten freilich die frischen Kirschen 6
Schwerverwundete gekostet. Fortan ließ man aber die Landser nicht mehr ohne
Urlaub aus den Toren.
Wochen und Wochen schleppte sich die Belagerung der mit den damaligen
Geschützen kaum einnehmbaren Altstadt hin. Nach den eisten Mißerfolgen war die
Kampfeslust auf der polnischen Seite bald erlahmt. Einer ihrer Hauptleute, der
Schlesier Hans von Rechenberg, klagte, es sei schade um das Pulver, das man hier
verschieße, besser wäre es, könnte man es gegen die Ungläubigen gebrauchen.
Immerhin setzte man das Bombardement fort, richtete an den Befestigungswerken,
Häusern und der Kirche manchen Schaden an und verschanzte sich immer stärker
gegen die städtische Beschießung. Man hoffte die Eingeschlossenen allmählich
doch mürbe zu machen. Zur Verpflegung wurde die nähere und weitere Umgegend
ausgepocht; aber an Sold fehlte es auch den Polen. Wegen der ungenügenden
Löhnung wollten 400 Reiter abrücken und wurden nur mit Mühe von ihrem Hauptmann
festgehalten.
Trotz der energischen Verteidigung sah es bei den Belagerten keineswegs rosig
aus. Die widerspenstige Besatzung und der Geldmangel machten Heideck nach wie
vor viel zu schaffen. Mit Mühe und Not erhielt er von den Bürgern 1500 Gulden
geliehen, doch sie reichten nicht weit, und die Knechte schrien wieder nach
Sold. Die meisten von ihnen hatten sich nur für 85
drei Monate verpflichtet, und ihr Artikelsbrief gestattete ihnen, 14 Tage vor
Ablauf des Monats den Dienst abzusagen oder neu zuzusagen. Jetzt machten sie
trotz der Gegenvorstellungen der Hauptleute Schwierigkeiten, weigerten sich
länger zu bleiben und schickten Abgesandte mit ihren Forderungen zum
Hochmeister, der in Finanznöten steckte. Ja, bei einem Scharmützel gebürdeten
sie sich so ungehorsam, daß die Hauptleute den Kampf abbrechen mußten, obwohl
sie keine Verluste erlitten hatten. Sorge machte dem Kommandanten auch das
Zerspringen von zwei Geschützen binnen kurzer Zeit, es deuchte ihm, „es geht
nicht richtig zu." Zeitweilig war er krank und quälte sich auf seinem
Schmerzenslager mit schlimmen Zweifeln über das Schicksal der ihm anvertrauten
Stadt.
Da in höchster Not geschah das Unerwartete, schier Unglaubliche!
Die Polen rückten zu Michaelis (29. September) nach fast dreimonatlicher
vergeblicher Belagerung ab. Anhaltender Regen und die ungeregelte Verpflegung
hatten viele Erkrankungen verursacht. Außerdem verlautete, ein dänisches
Hilfsheer für den Orden sei im Anmarsch. Heideck konnte sich mit Recht seines
Erfolges rühmen, und selbst ein Dichter feierte im Landsknechtlied die
siegreiche Verteidigung:
Vor Königsperg schuffen die feinde nicht,
Sie karrten wider
hinder sich,
Thetten vor den
Brawnsperg rücken.
Sie logen dar ein
firtel jar,
Es wolt inn nicht
gelücken.
Sie richten uff ein feste schanntz,
Dorin sich Hub der
bettler tantz.
Die Prewschen
meisterknechte
Schlugen die Polen
uff den schwantz,
Gar vil zu tode
blechten.
XIIII schoen fenlein wol gethan
Stunden uff
demselbigen plan,
Die wurden
eyngetragen
Zu Brawnsperg in
des ordens stadt,
Sy getorften vor
schandt nicht klagen.
Uff der heiligen sanndt Magdalenen tag (22. Juli)
Ein feyn
schirmützell do geschah,
Die Polen musten
weichen.
Manch resiger an
der erde lag,
Die drabenn
dergleichen.
Indessen das launische Kriegsglück bescherte dem Hochmeister vor der
Vischofsburg Heilsberg eine arge Enttäuschung. Zwei hartnäckige Versuche, sie
zur Übergabe zu zwingen, schlugen fehl; dagegen fielen Guttstadt und Wormditt im
November in seine Hände. Da aber des sehnlich erwartete deutsche Hilfsheer vor
Danzig aufgerieben wurde, zeigte er sich mehr als früher den
Friedensvermittlungen des Herzogs von Liegnitz zugänglich. Dieser brachte am 15.
Februar 1521 zunächst einen vierwöchigen Waffenstillstand zuwege. Während dieser
Zeit befahl der Hochmeister seinem Braunsberger Burggrafen Peter von Dohna, die
Eisenschlangen, welche auf dem Keuteltor lagen, samt Kugeln und anderm Zubehör,
sowie sechs Serpentiner samt anderen Büchsen, die für Schiffe tauglich waren,
eilends nach Königsberg zu schicken; offenbar wollte er damit seine
Kriegsflottille bestücken. Am 5. April wurde dann zu Thorn ein vierjähriger
Anstand vereinbart, durch den dem Blutvergießen und Plündern ein Ziel gesetzt
wurde. Über die von jeder Partei eroberten Städte und Schlösser sollten später
Schiedsrichter die Entscheidung fällen.
Demgemäß verblieb auch Braunsberg einstweilen dem Orden, und dieser suchte
aus der arg mitgenommenen Stadt möglichst viel Nutzen zu ziehen. Die städtische
Freiheit, die vordem 40 M. Jahreszins eingebracht hatte, war völlig
leistungsunfähig geworden; viele benachbarte Dörfer waren nahezu oder ganz wüst
geworden. Burggraf Dohna hatte deshalb schwierige Verwaltungsaufgaben zu lösen.
Mitte April verbot Albrecht, ohne seine besondere Genehmigung Waren aus der
Stadt auszuführen. Er begründete die Maßnahme damit, daß er erfahren habe, es
sei dort noch Eigentum der feindlichen Danziger an Flachs, Hopfen und anderer
Ware vorhanden, die er hätte beschlagnahmen können. In seiner Finanznot forderte
er nun 3/4 des Flachses, das letzte Viertel könnten die Braunsberger zu ihrem
eigenen Besten gebrauchen. Diese erklärten, Danziger Güter nicht zu besitzen.
Gegen die Flachssteuer sträubten sie sich, indem sie an ihre Kriegsleistungen
erinnerten; sie hätten für die Knechte 3000 M. vorgestreckt. Mehr als 150 Bürger
hätten drei Monate vor Holland gelegen und seien von städtischem Gelde
unterhalten worden, auch hätten sie die Knechte des Hochmeisters mit Essen und
Trinken, Kühen und Pferden versorgt. Der Flachs sei in den Kellern zum Teil naß
geworden und verdorben, so daß er keine große Einnahme erhoffen lasse. Nach
weiteren Verhandlungen erboten sie sich schließlich im Juni notgedrungen, für
den Flachs 3000 M. zu steuern. Obwohl der Hochmeister aus diesem
87 Hauptausfuhrgut noch mehr herausholen wollte, mußte er sich doch mit der
angebotenen Summe zufrieden geben. Den städtischen Schuldbrief überwies Albrecht
dem Berliner Bankier Anton Wins, dem er größere Zahlungen zu leisten hatte.
Daraus erwuchsen der Stadt erhebliche Schwierigkeiten. Als Wins seine Forderung
geltend machte, aber auf Widerstand stieß, kam es zu vielen Weiterungen, die
nicht nur den Hochmeister und seinen Stellvertreter, sondern auch den Magistrat
von Danzig und selbst den Kurfürsten von Brandenburg beschäftigten. Schließlich
half sich der Berliner Bankier i. J. 1524 damit, daß er Braunsberger Güter in
Danzig mit Arrest belegen ließ. Darüber erhob sich in der Passargestadt eine
solche Erregung, daß der Rat im Dezember den Burggrafen Dohna festnehmen ließ.
Der Hochmeister forderte alsbald seine Freilassung, um ihn zu Verhandlungen zum
Kurfürsten Joachim zu schicken, und versprach der Bürgerschaft, für allen
Schaden aufzukommen.
Da der Krieg den Bestand an Schlachtvieh nahezu vernichtet hatte, waren teure
Fleischpreise die natürliche Folge. Daher beschloß im August 1521 der
Braunsberger Rat einen Ziegenmarkt, wie er damals auch in anderen Städten
stattfand, abzuhalten, wofür er die Erlaubnis des Hochmeisters erbat. Dieser
ließ ferner den Braunsbergern im September ein strenges Verbot zugehen, die
Braugerste, die sie in Königsberg und im Samlande gekauft hatten, nach Elbing
und Danzig weiter zu verkaufen. Starke Unzufriedenheit über den bürgerlichen
Wachdienst, den man nicht mehr für nötig hielt, führte Ende 1522 sogar zu feiner
Verweigerung. Trotzdem glaubte die Ordensregierung, auf dieser
Sicherheitsmaßnahme bestehen zu müssen. Im Mai 1523 wurde eine genauere
Bestimmung dahin getroffen, daß des Nachts vier Bürger samt dem Stadtdiener
Wache halten sollten; am Tage sollte ein Bürger unter allen geöffneten Toren
wachen und ein Bürger dem Türmer beigegeben werden; ebensoviele
Wachtmannschaften sollte auch der Burggraf namens des Hochmeisters stellen.
An dem dauernden Besitz des für den Durchgangs- und Handelsverkehr wichtigen
Braunsberg war dem Hochmeister sehr viel gelegen; deshalb sollte auch fein
Prokurator bei der römischen Kurie dafür sorgen, wenn nicht das ganze
ermländische Stift, so doch wenigstens Braunsberg für den Orden zu sichern. Als
am 30. Januar 1523 Bischof Fabian verstarb, trug sich Albrecht mit neuen
Hoffnungen. Er wies seinen römischen Gesandten in einem Schreiben auf den
besonderen Wert Braunsbergs hin. „Denn wir in nächster Fehde wohl empfunden. ob
wir solche Flecken, in Sonderheit Braunsberg nicht gehabt, da es mitten
zwischen unserm Lande gelegen, wie leichtlich die Polen uns wurden Schach
geboten haben." Die Wahl des vom polnischen König benannten ermländischen
Domkustos Mauritius Ferber zum Nachfolger Fabians (14. 4. 1523), die alsbald die
Bestätigung der päpstlichen Kurie fand, vereitelte Albrechts Bemühungen um eine
Eingliederung des Bistums in den Ordensstaat. Alle seine weiteren diplomatischen
Schritte konnten doch den Krakauer Frieden (8. April 1525) nicht verhindern,
nach dem er als Vasall der Krone Polen den Huldigungseid leisten mußte, dafür
aber den Ordensstaat als weltliches Herzogtum erhielt. Die vom Ermland besetzten
Gebiete mußte er räumen, auch die Stadt Braunsberg, obwohl er diese unter allen
Umständen behalten wollte.
Nun lockte die als Brückenkopf bedeutende Handelsstadt auch die
Begehrlichkeit der polnischen Krone, und man fand bald einen Grund, sie dem
Bistum abspenstig zu machen, indem man den verstorbenen Bischof Fabian
verdächtigte, er habe die Stadt verräterisch dem Orden in die Hände gespielt.
Die Mehrheit des polnischen Reichssenates schloß sich diesen Auffassungen an,
und so erschienen am 3. Juni 1525 in Braunsberg königliche Gesandte, um der
Bürgerschaft den Eid der Treue für König Sigismund abzunehmen. Vergeblich hatte
Bischof Mauritius sich an den Rat mit dem dringenden Ersuchen gewandt, als
bischöfliche Untertanen die Huldigung abzulehnen: gegenüber der Forderung des
mächtigen Königs war man zur Nachgiebigkeit gezwungen. Georg von Pröck bezog als
königlicher Hauptmann das bischöfliche Schloß. Trotzdem wurde Mauritius nicht
müde, durch einflußreiche Fürsprecher am Krakauer Hofe den König dazu zu
bewegen, daß er ihm Braunsberg zurückgebe. Sigismund zeigte sich allmählich
entgegenkommender, begegnete aber auf dem entscheidenden Petrikauer Reichstag,
auf dem Bischof Ferber die Rückgabe der Städte Braunsberg und Tolkemit als von
der Gerechtigkeit geboten darlegte (8.1.1526), sogar Einwänden der preußischen
Abgeordneten, die sich offenbar von reformatorischen Erwägungen leiten ließen.
Erst am 18. August 1526 wurde die ermländische Hauptstadt von königlichen
Kommissaren ihrem angestammten bischöflichen Landesherrn wiedergegeben.
89
V. Im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation
Die kühnen Lehren des Wittenberger Augustinermönchs Dr. Martin Luther hatten
wie in allen deutschen Landen auch in Preußen ihre Wellen geschlagen. Aus einem
Lehrstreit hatte sich bald eine romfeindliche Bewegung entwickelt, die in ihrer
völkischen und religiösen Ideenverbindung eine Erneuerung der deutschen Kirche
erstrebte und in weiten Kreisen des Volkes wie der Fürsten begeisterter
Zustimmung, in anderen, konservativen Schichten aber auch entschiedener
Ablehnung begegnete. Hochmeister Albrecht brachte bald der Wittenberger Lehre
offene Sympathien entgegen. Im März 1523 richtete Luther ein eigenes
Sendschreiben „an die Herren deutschen Ordens, daß sie falsche Keuschheit
meiden." Am Weihnachtstage desselben Jahres hielt der samländische Bischof Georg
von Polenz die erste evangelische Predigt im Dome zu Königsberg. Seine
Verordnung, deutsch zu taufen und Luthers Schriften fleißig zu lesen, rief
sogleich ein Gegenmandat des ermländischen Bischofs Ferber an seinen Klerus
hervor, worin er ihn eindringlich beschwor, der alten Kirche Gottes die Treue zu
bewahren (Januar 1524). Eine zur Abwehr verfaßte theologische Abhandlung des
gelehrten Frauenburger Domkustos Tidemann Giese, die dieser auf Veranlassung
seines gleichgesinnten Amtsbruders Nikolaus Koppernikus der Öffentlichkeit
übergab, bewies, daß auch das ermländische Domkapitel bei aller Erkenntnis
kirchlicher Mißbräuche und Mängel der lutherischen Lehre grundsätzlich abhold
war. Dieser Kampf der Geister, in dem bald der machtpolitische Faktor der
Landesfürsten in beiden Lagern den Ausschlag gab, spiegelte sich auch in der
ermländischen Hauptstadt wider. Noch zur Zeit der Ordensbesatzung zeigte der van
ihr abhängige Rat seine Hinneigung zu den neuen Ideen. Der frühere
Stadtkommandant Friedrich von Heideck, der im Ordenslande umherritt, um die
Bevölkerung für die Reformation zu gewinnen, meldete dem lutherischen Bischof
Polenz, die Braunsberger wünschten einen evangelischen Prediger, und Polenz
erklärte sich am 15. März 1524 bereit, ihnen einen Gelehrten zu schicken, der
Pfarrer und Prediger zugleich sei - sie sollten ihn mit einem bequemen Haus
versorgen. Am 19. April sandte er ihnen einen gewissen Christoph (Wedemann?).
Obwohl Bischof Ferber dem Rat eine ernste Warnung zugehen ließ, entzog dieser
dem Pfarrer, den Vikaren und anderen Priestern ihre stiftungsgemäßen Pfründen
und verwandte sie vermutlich zum größten Teil für kommunale Bedürfnisse,
teilweise auch für den Pfarrer des neuen Glaubens. Auch aus ihren Amtswohnungen
wurden die katholischen Priester vertrieben und so der Mildherzigkeit ihrer
Glaubensgenossen überantwortet.
Auch das Franziskanerkloster blieb von den religiösen Wirren jener Zeit nicht
verschont. Am 20. März richtete Polenz an mehrere Ämter, darunter Braunsberg,
den Befehl, die Kleinodien der Klöster zu beschlagnahmen. Der Bestand an Ornaten
und Kirchenschätzen sollte aufgenommen werden, weil es sich an vielen Orten
ereigne, daß die Mönche den Klöstern entliefen, wobei zu befürchten sei, daß
auch Kleinodien entführt würden. Daher sollten diese wertvollen Inventarslücke
im Beisein des Bürgermeisters in Verwahrung genommen und jedem Kloster nur ein
schlichtes Meßgewand und das sonstige Zubehör zur Meßfeier, sowie ein silberner
oder vergoldeter Kelch gelassen werden.
Am Gründonnerstag wurde den Franziskaner das Mandat über die Beschlagnahme
der Klosterschätze zugestellt. Daraufhin bildete sich das Gerücht, der
Hochmeister bereite eine Plünderung der Stadt vor, und es entstand eine
ungewöhnliche Erregung. In der Nacht zu Karfreitag pflegte die St. Marienkirche
für die Gläubigen offen zu stehen, und schon am frühen Morgen wurde eine
Passionspredigt gehalten. Diesmal war aber der Guardian vor nächtlichen
Störungen gewarnt worden, und deshalb hielt er Kloster und Kirche bis morgens 7
Uhr verschlossen, obwohl sich viele Beter vor den Türen einfanden. Andererseits
hatten zwei Betrunkene, ein Fleischer und der Stadtknecht, nachts ihren Harnisch
angelegt und eine drohende Haltung eingenommen. Nun hieß es, ein Königsberger
habe für die Osternacht einen Überfall zum Zwecke der Plünderung angekündigt.
Zur Abwehr entschlossen, zogen die Bürger am Vorabend des Festes ihre Rüstung an
und rotteten sich drohend zusammen. Die Frauen und Jungfrauen aber verbargen ihr
Geschmeide, das sie zu den Feiertagen so gern gezeigt hätten, weil sie der
vermeintlichen Beraubung entgehen wollten. Burggraf Dohna hielt es nach diesen
Vorfällen für geraten, den Mönchen nicht ihre Kleinodien zu nehmen; durch eine
Besichtigung überzeugte er sich, daß sie noch alle vorhanden waren. Bald darauf
befahl Polenz dem Rat der Stadt, das Silberwerk des Klosters in Verwahrung zu
nehmen, da er erfahren hatte, daß ein beträchtlicher Teil der Wertstücke nach
Danzig geschafft worden sei. 91
Daß bei dieser Revolte auch die altgläubige Gesinnung breiter
Bevölkerungsschichten und die Beliebtheit der Mönche mitgewirkt haben muß, ist
aus einer brieflichen Äußerung des Hochmeisters aus Nürnberg (27. 6.)
ersichtlich. Er beklagt sich nämlich, daß „in Braunsberg und Bartenstein das
gemeine Volk dermaßen verstockt ist, dem Worte Gottes zuwider zu handeln, und
müssen daher besonders befürchten, daß die von Braunsberg Ursache suchen wollen,
auf diese Weise wieder zum Bistum zurückzukommen." Deshalb hält er es für
geraten, die zeitigen Prediger, die ihm an dem Mißerfolg schuld zu haben
scheinen, zurückzuziehen und „andere ehrliche verständige" Männer zu berufen.
Inzwischen hatte aber schon sein Stellvertreter Polenz im Mai seinen Offizial
Johannes als Pfarrer nach Braunsberg geschickt. Wegen der Klosterschätze gab er
Dohna den Rat, mit den Mönchen zu verhandeln, daß er ihr Silber zu treuer Hand
in Verwahrung nehmen und einen Hinterlegungsschein daraus ausstellen wolle bis
zur Rückkehr des Hochmeisters. Polenz hofft, die Franziskaner würden darauf
eingehen, da sie sonst zu befürchten hätten, es würde ihnen bei einem Überfall
alles mit Gewalt genommen werden. Ende November erhielt Dohna den Auftrag, zu
dem am 6. Dezember in Königsberg stattfindenden Ständetag, nicht nur alles
vorhandene Geld mitzubringen, sondern auch was er sonst an Barschaft,
Silbergeld, Gold oder Kleinodien bei den Kirchen, Kapellen, Gilden oder
Bruderschaften in seinem Amte aufbringen oder entlehnen könnte. Der Hochmeister
benötigte dringend alle verfügbaren Mittel zu den bevorstehenden
Friedensverhandlungen.
Kurze Zeit bevor die Ordensbesatzung gemäß den Bestimmungen des Krakauer
Friedens aus Braunsberg abrücken mußte, wurde der frühere Braunsberger
Bürgermeister Georg Schonwese festgenommen und zu Königsberg einem Verhör
unterzogen, dem der neue Herzog, der samländische Bischof Polenz und andere
hochgestellte Männer des herzoglichen Hofes beiwohnten. Schonwese, der bereits
zu Beginn d. J. 1520 zweimal als politisch verdächtig gefangengesetzt und nach
Königsberg geschafft worden war, scheint der Führer der katholischen,
konservativen Volkskreise gewesen zu sein. Man warf ihm nun vor, er habe geheime
Zusammenkünfte abgehalten und die Bürger am Ostersonnabend des Vorjahres zur
Erhebung gegen die Ordensherrschaft aufgewiegelt. Er habe auch Reden gegen die
neuen Prediger gefühlt wie: „Sie meinen nicht den Glauben, sondern wollen uns
die Kelche und Monstranzen aus den Kirchen klauben, wir wollen sie totschlagen!"
Schließlich sollte er behilflich gewesen sein, aus dem Franziskanerkloster Geld,
Kleinodien und Silberwerk zu entwenden und nach Danzig zu schaffen. Die
Untersuchung führte nach der Verteidigung des Angeschuldigten zu keinem rechten
Ergebnis. Schonwese mußte freigelassen werden, als der Burgvogt Georg Pröck im
Auftrage des polnischen Königs am 3. Juni Stadt und Schloß Braunsberg von der
herzoglichen Besatzung übernahm.
Mit Albrechts abziehenden Truppen war vermutlich auch der lutherische Pfarrer
Johannes abgereist, nachdem er mit seinen Predigten einen großen Teil der
Gemeinde, an erster Stelle den Rat, für die Reformation gewonnen hatte. Der
königliche Burggraf Pröck suchte aber das katholische Leben in der Stadt
wiederherzustellen. Eine seiner ersten Maßnahmen war wohl, daß er die früheren
Pfarrgeistlichen in ihr Haus zurückführte. Bürgermeister und Ratmannen wandten
sich jedoch (am 24. 6.) an den lutherischen Bischof Polenz mit der Bitte, ihnen
Johannes, den Pfarrer von Arnau, vielleicht ihren eben geschiedenen Prediger,
binnen 8 Tagen zu senden, „der sie Evangelischer unnd Christlicher lere
underweyssenn unnd das getliche wort predigen wolle." Sie wollten ihn samt
seinen „Capellanen und dieneren" zur Genüge versorgen. Aber Pfarrer Johannes,
dem die Stellung unter den veränderten politischen Verhältnissen gefährlich
erscheinen mochte, entschuldigte sich mit „schwachheit und unvermogen seines
Leybs", dafür wollte Polenz den Königsberger Kaplan Paul Pole schicken, der
geneigt und gewillt war, sich als Prediger eine Zeitlang zu den Braunsbergern zu
verfügen. Der samländische Bischof unterließ nicht zu bemerken, „das solcher
Cristlicher Prediger sich ehelicher beweybbt." Vielleicht nahm der Rat an diesem
Umstand Anstoß und verzichtete deshalb auf das Angebot. Jedenfalls ist Pole, der
sich nunmehr als Kaufmann in Königsberg dem Handelsstande widmete und später
eine preußische Chronik verfaßte, als Prediger in Braunsberg nicht nachweisbar.
Dafür berief der Rat durch Peter Kirsten aus dem befreundeten Danzig, wo
ebenfalls die Reformation Eingang gefunden hatte, einen unverheirateten Johannes
Barbitonsoris (Bartscherer). Bürgermeister Gregor Rabe wies diesem das
Priesterhaus zu, obwohl es von früheren Geistlichen mit ihrem eigenen Gelde
erbaut worden war. Da sich die katholischen Priester weigerten, ihre Wohnungen
zu räumen, ließ ihnen Rabe das Türschloß vom Hause abreißen.
Der religiöse Gegensatz nahm allmählich immer schärfere Formen an. Nach der
katholischen Anklageschrift, von der noch 93
später zu sprechen ist, griff der lutherische Pfarrer in seinen Predigten
Bischof, Domherren und andere Geistliche „mit überschwenglicher schmeung" an.
Damit stand wohl in Zusammenhang, daß die altgläubigen Priester öffentlich auf
den Gassen „als Übelteter, Betriger und reyßende Wolffe" angeschrien und ihre
Türen besudelt wurden. Als im September der Aufstand der deutschen Bauern auch
auf das Samland übersprang, ergriff Bartscherer in seinen Predigten für sie
Partei und riet der Bevölkerung, ihre Reihen zu verstärken. Der ermländische
Bischof entsandte freilich dem bedrängten Herzog Albrecht Hilfstruppen, um die
revolutionäre Erhebung im Keime zu ersticken. Insbesondere eiferte der radikale Prädikant gegen das hl. Altarssakrament, in dem nicht Christus, sondern der
Teufel enthalten wäre; wenn zur Wandlung geläutet werde, solle man weit fliehen
und die Ohren zustopfen.
Da solche Reden den „Obersten der Stadt" gefielen, scheute sich Bürgermeister
Rabe nicht, in Gegenwart seines Ratskumpans Leonard von Rossen und vieler
anderer in seinem Hause beim Bierbrauen eine Spottmesse aufzuführen und aus
einem Meßkelch den andern zuzutrinken. Vermutlich unter der Wirkung des Alkohols
traten dann Rossen und Lorenz Schonrade in Priesterkleidung auf den Markt,
äfften eine Messe nach und vergaßen sich in unsagbaren Schamlosigkeiten. Rabe
ließ sich am 2. Adventssonntag weiter dazu hinreißen, bei der Messe in der
Gründonnerstagskapelle, hinter dem Priester stehend, alle seine Zeremonien und
Gebärden höhnisch nachzuahmen. Neue schwere Ausschreitungen ereigneten sich in
der Christnacht, als Schonrade und Hans Fuchs mit ihrem Anhang in Bärenfellen
und „an der Lotterbuben-Kleidung" während der Christmette mit großem Geschrei in
die Pfarrkirche und danach in das Kloster eindrangen, dort einen wilden „Spuk"
aufführten und den Gottesdienst unterbrachen. Ein andermal wurden Heiligenbilder
aus der Kirche gerissen und mitsamt päpstlichen Briefen an dem „Kack" (Pranger)
vor dem Rathaus ausgestellt. Alle diese Ausbrüche zügelloser Leidenschaften
duldete der Magistrat, ohne einzuschreiten; gehörte ja ein Teil der Übeltäter zu
seinen Mitgliedern.
Als nun der Burggraf Pröck einem königlichen Befehl zufolge anordnete, daß
ein katholischer Priester in der Pfarrkirche predige, kam es mit Zulassung des
Rates zu einem Aufruhr. Bürgermeister Rabe stieß den Ruf aus: „Ein Wolf, ein
Wolf!" Dann riß man den Geistlichen vom Predigtstuhl, jagte ihn aus der Kirche,
bedrohte andere Priester und gab dem lutherischen Prediger das Wort. In dem
Tumult, der sich (94) nicht zuletzt gegen den
anwesenden Burggrafen Pröck richtete, wäre beinahe Blut geflossen.
Daß der Rat im Kampfe gegen den alten Glauben die Fühlung übernahm, ist auch
daraus ersichtlich, daß er aus der Pfarr- und der Klosterkirche wertvolle
Meßgeräte beschlagnahmte: aus der Katharinenkirche 8 silberne vergoldete Kelche,
6 silberne Ampullen, 2 Pazifikalien und 3 Humeralien. Diesem Beispiel folgend
eigneten sich auch die Tuchmacher das zu ihrer Bruderschaft gehörige Silbergut
aus der Pfarrkirche an, verkauften es und liehen den Erlös bedürftigen
Zunftgenossen aus. Die Franziskaner vermißten noch später eine Monstranz von 27
Mark Silber, zwei kostbare Kelche und ein silbernes Kreuz.
Im März 1526 erschien König Sigismund in Marienburg, um die auch in anderen
preußischen Städten, am meisten in Danzig, entstandenen Unruhen zu unterdrücken
und möglichst die früheren kirchlichen Verhältnisse wiederherzustellen.
Wiederholte königliche Mandate gegen die „Lutheranische ketzerer)" ließen es
schon vorher dem Bürgermeister Rabe geraten erscheinen, den Prädikanten
Bartscherer nach Danzig zurückzusenden, bis Sigismund nach Polen zurückgekehrt
wäre. Bischof Mauritius hatte nun die Franziskaner beauftragt, die Predigten in
der Pfarrkirche zu übernehmen. Diese wollten die lateinische Verordnung am 22.
Februar dem Magistrat vorlegen, erhielten aber durch den Stadtbüttel den
Bescheid, die Ratsherren seien augenblicklich zu sehr in Anspruch genommen. Am
24. früh forderte der Rat eine deutsche Übersetzung des Mandats, die ihm sofort
übergeben wurde. Als es aber in der Magistratssitzung verlesen wurde, schimpften
einige über die darin angekündigte Exkommunikation und stießen gegen den Bischof
Drohungen aus. Andere äußerten, wenn die Mönche die Erlaubnis erhielten, den
Predigtstuhl zu besteigen, dann sei zu befürchten, daß die bisherigen
lutherischen Erfolge zunichte gemacht würden. Deshalb untersagte man den Mönchen
bis zur bevorstehenden Ordnung der preußischen Angelegenheiten die Predigt in
der Pfarrkirche. Diese fügten sich und baten den Bischof, ihnen das nicht zu
verargen, da sie fortwährend Mißhandlungen ausgesetzt seien.
Im Juni wurde zu Danzig in Anwesenheit des Königs der Prozeß gegen die
dortigen Aufrührer gefühlt. Die Hauptschuldigen wurden teils auf dem
Langenmarkte mit dem Schwelte gerichtet, teils verbannt, teils waren sie
geflohen. Diese strenge Bestrafung jagte den Braunsbergern, die sich an den
Unruhen führend beteiligt hatten, Furcht und Schrecken ein.
95 Ein königliches Edikt, das ihnen ihre
Vergehen und ihren Ungehorsam gegen die früheren Mandate vorhielt, zugleich aber
auch zum Ausdruck brachte, die meisten Bürger seien an den gerügten Vorfällen
unschuldig und keineswegs damit einverstanden, lud 20 namentlich aufgeführte
Häupter der lutherischen Bewegung von Danzig aus nach Elbing vor. Am vierten
Tag, nachdem der König dort eingezogen sein würde, sollte der Prozeß gegen sie
beginnen. Diese Vorladung sollte zuerst in der Ratssitzung verkündigt und dann
an den Kirchen- und Klostertüren allen sichtbar angeschlagen werden. Da
Sigismund jedoch von seiner Elbinger Reise Abstand nehmen mußte, ließ er am
30. Juli von Marienburg aus eine zweite Zitation ausgehen, die nunmehr die
Angeschuldigten vor die königlichen Kommissare, den Leslauer Bischof Matthias
Drzewicki und den Elbinger Hauptmann Ludwig von Mortangen, zum 4. August nach
Elbing vorlud.
Nach einer dritten Vorladung erschienen die Braunsberger am 6. August in
Elbing; auch Bischof Ferber, dem in wenigen Tagen seine Hauptstadt in aller Form
zurückgegeben werden sollte, hatte sich als der zuständige Kirchenhirte und
zukünftige Landesherr den beiden Kommissaren beigesellt. Den Beschuldigten wurde
nun die ausführliche Anklageschrift vorgelesen, worauf sie einzelnes abstritten,
anderes abschwächten. Um aber dem Schicksal der Danziger zu entgehen, warfen sie
sich der Kommission demütig zu Füßen und flehten Bischof Mauritius an, „wo sie
immer übertreten und aus menschlichen Gebrechen als verführt mißhandelt hätten
und derhalben sträflich erfunden würden, daß ihnen solche ihre Missitat als
denjenigen, die geirrt hatten, aus milden Gnaden und Barmherzigkeit verziehen
und um Gottes willen vergeben und die Schärfe des Rechtes wider sie nicht
vorgenommen würde." Durch diese Haltung zu „mylder Guttikait" bestimmt,
begnügten sich die königlichen Richter zunächst, Urban Poytke und Lorenz
Schonrade als vermutliche Anstifter des Aufruhrs gegen Hauptmann Pröck zu
verhaften, den anderen aber ernstlich anzubefehlen, die aus der Pfarrkirche und
dem Kloster entwendeten Kleinodien und Geräte sofort und, soweit sie abhanden
gekommen waren, binnen Jahresfrist zurückzustellen. Die letzte Entscheidung in
der Strafsache sollte in Braunsberg fallen, wo am 16. August Bischof Ferber die
beiden Kommissare empfing.
Am folgenden Tage begann im Franziskanerkloster die Verhandlung. Die
Angeklagten baten kniefällig um Gnade. Obwohl sie sich gegenseitig nicht
verraten wollten, verstärkte sich doch der Verdacht, daß der Bürgermeister Rabe,
der Ratsherr Rossen und von der Gemeinde Peter Kirsten bei dem Aufruhr in der
Kirche führend beteiligt gewesen seien. Ihre wiederholte fußfällige Bitte um
Verzeihung bewog die Kommissare, von der vollen Strenge des Rechtes abzusehen
und „linder" mit ihnen umzugehen.
Am 18. 8. wurden die Vertreter beider Stadtgemeinden und die Angeklagten ins
Schloß befohlen. Der Bistumskanzler Felix Reich verlas ihnen eine Anzahl
Artikel, die „zu Unterhaltung (Niederhaltung) der Mutwilligen, Trost der
Frommen, auch Gedeih und Wohlfahrt dieser Stadt" fortan von jedermann
unverrücklich gehalten werden sollten.
Der alte Gebrauch und Wandel des Glaubens und der Zeremonien wurde
wiederhergestellt; alle Lutheraner mußten innerhalb 14 Tagen auswandern, wollten
sie nicht mit ihrem Halse und ihren Gütern verfallen sein. Ohne Erlaubnis des
Bischofs oder seines Ofizials durfte niemand weder heimlich noch öffentlich
predigen bei Verlust des Leibes und Gutes. Die Geistlichen sollen die
priesterlichen Tageszeiten und die Messe nach alter christlicher Gewohnheit
halten; neue Gebete und Gesänge sind nur nach Zulassung durch die bischöfliche
Behörde erlaubt. Wer „seine reißenden Hände" nach geistlichen Gütern, wie
Kleinodien, Gewändern, Geräten der Kirchen und Klöster ausstreckt, soll als
Kirchenräuber mit dem Tode bestraft werden. Wer kirchlich verbotene Bücher,
Gesänge, Gemälde, Schmähschriften und dergleichen in die Stadt einführt oder
verbreitet, wird mit Verbannung und Verlust der Güter geahndet.
Während diese Bestimmungen die religiöse Neuerung ausrotten sollten, griffen
die folgenden tief in die städtische Verfassung ein:
Fortan sollte der bischöfliche Amtmann, er sei Vogt, Hauptmann oder Burggraf,
als Vertreter des bischöflichen Landesherrn den Vorrang vor dem Bürgermeister
und Rat der Stadt haben. Da die übermäßige Freiheit der Stadt zu ihrer großen
Betrübnis und Gefahr vom Rate wiederholt mißbraucht worden und der jetzige
Magistrat unrechtmäßig er wählt ist, soll dieser seine Ämter niederlegen. Der
Bischof soll diesmal das Recht haben, anstelle des abgetretenen Rates einen
neuen zu bestimmen. In Zukunft darf niemand ohne Wissen und Willen des Bischofs
in den Rat gewählt werden; auch soll der Bischof berechtigt sein, nötigenfalls
Bürgermeister und Ratmannen abzusetzen. Ihm und seinem Amtsverwalter allein soll
auch die Halsgerichtsbarkeit zustehen; ahne seine 97
Genehmigung darf der Rat niemand freies Geleit noch Heereshaufen freien Durchzug
gewähren. Neugewählte Ratmänner und Schöppen müssen dem Bischof den Treueid
leisten, ebenso die Altermänner der Gewerke. Der Rat soll nur aus 14 Personen
bestehen; wer in ihn gewaltsam einzudringen versucht, soll es mit dem Halse
büßen. Versammlungen der ganzen Bürgerschaft sollen nur mit ausdrücklicher
Genehmigung des Bischofs oder seine Amtsmannes gestattet sein bei Verlust aller
städtischen Privilegien. Wenn aber besonders wichtige Angelegenheiten zu beraten
sind, soll der Magistrat aus jeglichem Stadtquartier 6 „fromme und aufrichtige"
Bürger und von jedem der 4 Hauptgewerke zwei Älterleute mit vollem Stimmrecht
hinzuziehen, die aber nur über die vorgelegte Tagesordnung beraten dürfen.
Beschlüsse des Rates, der Schöppen und der 32 sollen von der ganzen Gemeinde
fest und unverbrüchlich gehalten und vollstreckt werden. Streitigkeiten der
Bürger untereinander sollen in erster Instanz vom Rate oder dem Stadtgericht, in
zweiter vom Bischof entschieden weiden. Geheime oder hetzerische Reden gegen
geistliche Personen und die Obrigkeit sind untersagt. Aufrührerische
Zusammenkünfte in Häusern, Kirchen, Gärten, in oder außerhalb der Stadt, sei es
auch nur von 3 oder 4 Personen, sind sogleich dem Bischof anzuzeigen. Die
Älterleute aller Gewerke sollen auf die zuwandernden Gesellen fleißig achtgeben,
daß diese sich nach den geltenden Satzungen „fromlich, treulich und gehorsamlich"
erweisen. Der Besuch der Schießgärten, namentlich des bürgerlichen, sowie die
Abhaltung der Gilden und sonstigen Zusammenkünfte ist ohne Erlaubnis des Bischof
oder seines Amtmannes nicht erlaubt. Alle Bierschenken, Krüger, Gastwirte und
die Bürger insgemein werden angehalten, ihren Gästen diese Bestimmungen bekanntzugeben; und wenn ein Gast lutherische Reden führen oder Lehren
ausbreiten wollte, soll er vom Burggrafen und dem Rat gemäß seiner Übertretung
hart gestraft werden. Schließlich sollten diese Artikel „zum ewigen Gedächtnis"
ins Stadtbuch eingeschrieben und alljährlich der Gemeinde vorgelesen werden. Dem
Bischof blieb aber das Recht ihrer Aufhebung oder Abänderung vorbehalten.
Diese neue Satzung sollte nun von der Bürgerschaft beschworen werden. Als die
anwesenden Vertreter sich zu einer Besprechung zurückzogen, machte der frühere
Bürgermeister Johann Lutke darauf aufmerksam, daß mehrere Bestimmungen,
besonders die über die Gerichtsbarkeit, gegen die Privilegien der Stadt
verstießen. Als sie diese Bedenken erhoben, wurde ihnen von den Kommissaren
entgegnet, sie hätten durch ihr 98 aufrührerisches
Verhalten nicht nur ihre Privilegien, sondern auch Leib und Gut verwirkt; die
oberste Gerichtsbarkeit stehe aber überall dem Landesherrn zu. Als die
bürgerlichen Abgeordneten trotzdem bei ihren Einwendungen beharrten, drohten die
königlichen Richter mit ihrer sofortigen Abreise. Schließlich einigte man sich
dahin, daß der Artikel über die Halsgerichtsbarkeit der Entscheidung des Königs
anheimgestellt werden sollte.
Dann beschwor die Bürgerschaft beider Städte einmütig die Satzung und
leistete den Treueid. Der Bischof ernannte drei Bürgermeister der Altstadt:
Simon Wynpfennig. Georg Schonwese und Laurentius Hasse; zu Ratsherren Lutke,
Leonard Scholcz, Simon Steffen, Lorenz Zigler, Jost Weichman, den Goldschmied
Peter Simon. Jorge Schonberg, Peter Braszke, Peter Austin, Simon Marquart,
Joachim Flint, Valentin Gert, Hans Zincke. Als Scholz (Richter) sollte Simon
tätig sein. In der Neustadt bestimmte der Bischof Jakob Trampe und Eltmann
Scholtz als Bürgermeister und gab ihnen folgende Ratsleute bei: Hans Scholtz
(zugleich Stadtschultheiß). Simon Bartsch, Nicklas Bibersteyn, Valentin Tidecke,
Benedikt German, Jorge Grau und Christoff Tuchmacher.
Danach hielt der Bischof von Leslau als Kommissar eine Ansprache, worin er
ausführte, wie wohlwollend die Königliche Majestät die aufrührerische Stadt
behandelt habe, und daß sie sie sich dafür gleich den anderen rebellischen
Städten in einer besonderen Steuer dankbar erweisen sollte. Nach anfänglichem
Sträuben bewilligten die Braunsberger als Buße für drei Jahre die geforderte
Abgabe. Darauf verpflichteten sich die Hauptschuldigen Rabe, Rossen und Kirsten
eidlich mit Handschlag vor dem Burggrafen Pröck, keine Umtriebe zu schmieden,
sondern dem Bischof zu gehorsamen bei Verlust ihres Lebens und ihrer Güter. Auf
die Bitten der Bürgerschaft ließ der Elbinger Hauptmann Mortangen die
verhafteten Rädelsführer Schonrade und Poytke frei, letzteren, nachdem er eine
dreiwöchige Gefängnisstrafe verbüßt hatte.
Da nur 170 Bürger aus beiden Städten geschworen hatten, erhob sich bei der
Kommission der Verdacht, daß viele sich mit Lift dem Eide entzogen hätten. Diese
sollten nun vorgeladen werden. Zu dem bezeichneten Termin erschienen aber nur 5
Bürger, von denen zuvor zwei abwesend und drei verhindert gewesen waren. Die
Unverheirateten hielten aber den Schwur noch nicht für nötig. Die geringe
Bürgerzahl liefert uns einen eindringlichen Beweis für die verheerenden
99 Auswirkungen der letzten Kriegsjahre. Die
sonstigen Einwohner der Städte wurden damals ebenso wie die Frauen zum Treueid
nicht herangezogen.
Nachdem die königlichen Kommissare am 18. August ihre Sonderaufgabe gelöst
hatten, entließen sie die Bürgerschaft aus dem im Vorjahre dem Polenkönig
geleisteten Huldigungseid und übergaben die Stadt dem Bischof Mauritius und
seinen Nachfolgern, dem jetzt ein neuer Treuschwur zu leisten war. Ein
bischöfliches Edikt vom 22. August, das an die Kirchentüren geheftet wurde,
gebot die Auslieferung aller lutherischen Schriften. König Sigismund bestätigte
die Satzungen seiner Kommissare und behielt sich und seinen Räten wegen der
Blutgerichtsbarkeit die Entscheidung vor.
Scharfe Eingriffe in die bürgerliche Selbstverwaltung und Freiheit waren es, die
die religiöse Umwälzung der bischöflich-ermländischen Hauptstadt kosten sollte.
Obwohl sie dem Wortlaut und Sinne der ursprünglichen Stadtverfassung, der
Gründungshandfeste, widersprachen, lagen sie doch im Zuge der Zeit, die die
landesherrliche Macht der Territorialfürsten auf Kosten der Untertanen
steigerte. Hier boten die vorgefallenen Ausschreitungen die einfachste Handhabe
zur Beschränkung der bürgerlichen Rechte. Trotzdem blieben die sog.
Constitutionen Sigismunds mehr theoretisch als tatsächlich in Kraft. Die
Beruhigung der Verhältnisse führte bald dazu, daß die beengenden Bestimmungen
unbeachtet gelassen werden konnten, wie die Bischöfe auch in der Regel in die
freie Kür der Stadt nicht eingriffen und bei ihrem Amtsantritt die alten
städtischen Privilegien bestätigten.
Daß trotz der beschworenen Artikel und wiederholter bischöflicher Erlasse in der
hart an der Grenze des lutherischen Preußen, an der wichtigsten Verkehrsstraße
dorthin gelegenen Hansastadt die Ideen der Reformation nicht völlig ausstarben,
wird bald zu zeigen sein.
Wie schwer die Stadt auch materiell unter dem Reiterkrieg gelitten hatte, ist
daraus erkennbar, daß der bei der Belagerung d. J. 1520 beschädigte Kirchturm
erst i. J. 1536 wiederhergestellt wurde. Und auch jetzt sah man sich genötigt,
mit Zustimmung des Bischofs für 283 M. Silberwerk der Kirche zu verkaufen. Der
Wormditter Maurermeister Niclis arbeitete vom 27. März bis nach Michaelis am
Turm. Die Eindeckung des Turmes mit Kupfer erfolgte erst i. J. 1544, und Bischof
Johann Dantiskus bestellte dazu bei Anton Fugger in Augsburg 20 Zentner Kupfer,
die über Danzig geliefert und mit jährlich 100 M. allmählich bezahlt werden
sollten.
Wie zwei Bände Hansarezesse im Ratsarchiv beweisen, pflegte Braunsberg noch in
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit dieser bedeutenden
Handelsorganisation trotz ihres offensichtlichen Niederganges rege Beziehungen.
1553 reisten bevollmächtigte Ratsvertreter in hanseatischen Angelegenheiten nach
Danzig, 1554 nach Marienburg, 1557 nach Lübeck. 1555 erbat sich Merten Marquart
für seinen Sohn, der mit Waren nach England fahren sollte, ein
Beglaubigungsschreiben, daß er ein Braunsberger sei. Ein schwedischer Krieg, der
Vorstoß der Moskowiter gegen Livland, die Beeinträchtigung des deutschen Handels
in England, das mehr und mehr zu eigener Aktivität überging, in den
Niederlanden, wo der Freiheitskampf gegen Spanien entbrannt war, — solche Sorgen
bildeten Verhandlungspunkte der immer seltener werdenden Hansatage, bei denen
das reiche Danzig meist die kleineren preußischen Schwesterstädte zu vertreten
pflegte. 1598 wurde zu Lübeck noch einmal der Hansabund erneuert und auch
Braunsberg als Mitglied ausdrücklich benannt. Trotzdem war sein Schicksal
bereits besiegelt, und der dreißigjährige Krieg tat ein übriges. Die
Braunsberger Hansaakten schließen mit dem Jahre 1604 ab, obwohl noch 1681 der
altstädtische Rat sein Seerecht und seine hanseatische Würde betonte, da
Braunsberger Schiffe zu ausländischen Küsten, namentlich nach Schweden, Dänemark
und Holland, kreuzten.
Über die Handwerkerinnungen jener Zeit gibt uns eine Notiz aus dem Jahre 1561
interessanten Aufschluß. Damals wurde in der Stadtfreiheit ein neuer Galgen für
die Verbrecher der Altstadt errichtet, wie für die Neustadt auf dem kahlen Berge
in der Nähe der Rochuskapelle (auf dem heutigen Bahnhof) die Richtstätte lag.
Nach altem Brauch mußte beim Behauen des Holzes der präsidierende Bürgermeister
den ersten Hieb tun, dann folgten die übrigen Herren des Rates nach ihrem
Dienstalter. Zur Aufrichtung des Galgens mußten aus jeder Innung zwei Vertreter
anwesend sein. Damals standen in der ersten Reihe die Schuster, Schneider,
Bäcker, Tuchmacher, Böttcher, Schmiede, Krämer, Fleischer, Kürschner, Radmacher,
Reifschläger und Leinweber. Die Tischler, Barbiere, Korkenmacher, Sattler,
Hütner (Hutmacher), Töpfer und Maurer bildeten damals kein Gewerk. Andere
Handwerkszweige, die nur mit einzelnen Meistern in der Altstadt vertreten waren,
schlugen sich zu verwandten Innungen.
Nachdem Jahrzehnte des Überganges manche Unklarheit und Zweideutigkeit mit
sich gebracht hatten, sollte das Konzil von Trient (1545 - 63) die endgültige
religiöse Scheidung der 101 Geister herbeiführen.
Bischof Stanislaus Hosius (1551 bis 1579), der an den Arbeiten der
Kirchenversammlung, zuletzt als päpstlicher Legat und Kardinal hervorragenden
Anteil nahm, ging mit Eifer daran, die Beschlüsse des Konzils in seiner Diözese
zu verwirklichen. In Braunsberg hatte sich inzwischen um den Burggrafen Johann
von Preuck ein Kreis einflußreicher lutherischer Glaubensgenossen geschart.
Dieser, der i. J. 1552 seinem Vater Georg im Amte gefolgt war, wurde durch seine
Heirat mit einer Tochter des Marienburger Woywoden Achatius von Zehmen, eines
Führers der westpreußischen Protestanten, für deren religiöse Anschauungen
gewonnen. Durch persönliche Unterredungen suchte der Bischof die Eheleute zu
beeinflussen, stieß aber besonders bei der Frau auf entschiedenen Widerstand. Da
er einen andersgläubigen hohen Beamten nach dem Grundsätze wessen Land, dessen
Religion, den eben der Augsburger Religionsfrieden für Deutschland festgesetzt
hatte, in seinem Ländchen nicht dulden wollte, stellte er im Herbst 1556 dem
Schloßhauptmann Amtsentsetzung und Ausweisung in Aussicht, wenn er nicht binnen
Jahresfrist zum Katholizismus zurückgekehrt wäre. Gestützt auf den
weitreichenden Einfluß, den sein Schwiegervater in Preußen und selbst am
polnischen Hofe ausübte, glaubte Preuck den Drohungen seines bischöflichen
Landesherrn trotzen zu können. Allein dessen Wille erwies sich als der stärkere,
und so mußte nach erneuten vergeblichen Bekehrungsversuchen der Burggraf Ende
1557 sein Amt niederlegen. Doch durfte er auf seinem Gute Regitten bleiben, wo
seine Mühle der Amtsmühle erhebliche Konkurrenz machte. Hier in der Nähe der
Stadt wußte er in den obersten Schichten der Bevölkerung für seine
protestantischen Ideen Anhänger zu werben. Der Frauenburger Domkustos Eustachius
von Knobelsdorff, der in seiner Scholarenzeit zu den Füßen der Reformatoren in
Wittenberg gesessen hatte, hielt in der Fasten- und Osterzeit 1558 im Auftrage
des Bischofs eine Reihe von Religionsvorträgen in der Pfarrkirche, um die
Andersgläubigen umzustimmen: doch blieben seine Darlegungen ohne besonderen
Erfolg.
Stanislaus Hosius, Kardinal, Bischof von Ermland
Stanislaus Hosius, Kardinal, 1504 (Krakau) bis 1579 (Capranica bei Rom)
Sohn eines aus Pforzheim zugewanderten Bürgers, studiert in Krakau, Bologna und Padua, am polnischen Hof in Krakau
tätig, Domherr in Frauenburg und Krakau, erhielt die Priesterweihe erst 1543, kurze Zeit Bischof von Kulm und seit 1551
von Ermland, weilte jedoch häufig außerhalb seiner Diözese, 561 Kardinal und päpstlicher Legat beim Konzil von Trient,
dessen Reformbeschlüsse er in seinem Bistum durchführte. Hosius rief 1565 die Jesuiten nach Braunsberg, die ein
Gymnasium gründeten, dazu ein Priesterseminar und später ein päpstliches Missionsseminar für die nördlichen und
östlichen Länder. Damit wurde Braunsberg zum geistigen Zentrum des Ermlands und darüber hinaus.
Während der siebenjährigen Abwesenheit des Bischofs Hosius in Rom, Wien und
Trient hatte die religiöse Opposition in seiner Hauptstadt merkliche
Fortschritte gemacht. Der damaligen Sitte entsprechend kommunizierte am ersten
Osterfeieitag der gesamte Magistrat. Nun fehlten Ostern 1561 der Bürgermeister
Marquard und der Ratsherr Johann Bartsch am Tische des Herrn, weil sie nur unter
beiden Gestalten kommunizieren wollten und die katholische Form des Abendmahles
verwarfen. Da aufklärende Predigten und gütliche Vorstellungen an der
entschlossenen Haltung der Lutheraner scheiterten, sah sich das Domkapitel zur
Ausweisung einiger Bürger veranlaßt, erreichte dadurch aber keine Beruhigung,
sondern eine wachsende Erregung der Gemüter. Ostern 1563 entzogen sich fünf
Ratsmitglieder durch Reisen der gemeinsamen Kommunion, während vier andere, die
sich vorher der protestantischen Auffassung angeschlossen hatten, in die
katholische Gemeinschaft zurücktraten.
Nach seiner Rückkehr ins Ermland hielt Kardinal Hosius es für eine seiner
dringlichsten Hirtenpflichten, in seiner Hauptstadt die kirchliche Einheit
wiederherzustellen. Für den 24. März 1564 lud er die Magistrate der Alt- und
Neustadt ins Braunsberger Schloß und legte ihnen eingehend dar, wie vor der
Autorität der Kirche die persönliche Schriftauslegung sich bescheiden müsse. Der
Rat der Neustadt erklärte sich sogleich mit diesen Grundsätzen einverstanden und
versprach, dem Glauben der Väter treu zu bleiben; die Mitglieder des
altstädtischen Rates aber erwirkten die Erlaubnis, sich einzeln mit dem Kardinal
über die strittigen Fragen auseinandersetzen zu dürfen. Drei Tage später, am
Montag in der Karwoche, erschien der Bürgermeister Marauard mit 4 Ratsherren und
bat für sich und seine Genossen um den Gebrauch des Kelches; im übrigen wollten
sie an den Lehren und Gebräuchen der katholischen Kirche festhalten und ihrem
bischöflichen Landesherrn die Treue wahren. Hosius begründete seine Ablehnung
dieser Forderung und stellte ihnen beim Beharren auf ihrem Standpunkt die
Exkommunikation in Aussicht. Weitere Einzelbesprechungen, zu denen Hosius auch
die Frauen des Bürgermeisters und eines widerstrebenden Ratmannes heranzog, und
die Androhung strenger Strafen zeitigten schließlich das Ergebnis, daß innerhalb
der Osteroktave alle Magistratsmitglieder nach dem katholischen Ritus
kommunizierten. Nur zwei Bürger, die sich davon ausschlossen, wurden mit dem
Kirchenbann belegt und des Bistums verwiesen. Wenn gegen den Kardinal auch wegen
seines Verfahrens von andersgläubiger Seite, so von Danzig und Herzog Albrecht,
Vorwürfe „wegen unerhörter Strenge" erhoben wurden, so hatte er doch nur von
einem Rechte Gebrauch gemacht, das in den deutschen Territorialstaaten gang und
gäbe geworden war.
Um in Zukunft solchen Störungen der kirchlichen Einheit vorzubeugen und eine
Pflanzstätte katholischer Bildung und Erziehung zu schaffen, berief der Kardinal
nach Braunsberg den Jesuitenorden. Hier stand seit mehreren Jahren
103 das Franziskanerkloster mit 50 Zellen,
Refektorium, Kirche und Garten fast leer, ein Priester und ein 80jähriger
Laienbruder bildeten die Hüter der Baulichkeiten, an denen die Stürme der
Reformationszeit nicht spurlos vorübergegangen waren. Mit Zustimmung des
Domkapitels übereignete der Bischof der Gesellschaft Jesu das Kloster, und am 8.
Januar 1565 hielten die elf ersten Patres, von denen drei aus Rom, die übrigen
aus dem Rheinlande gekommen waren, in Begleitung zweier Domherren von Heilsberg
her ihren Einzug an ihrer neuen Wirkungsstätte. Sie gingen sogleich daran, eine
aus fünf Klassen bestehende höhere Lehranstalt ins Leben zu rufen. Ihre
Bemühungen um Schüler begegneten anfangs eisiger Ablehnung. Übelwollende hatten
das Gerücht ausgestreut, wer seine Söhne den Jesuiten übergebe, müsse
gewärtigen, sie nie mehr zurückzuerhalten; denn die Schüler würden sechs Jahre
ins Kloster gesperrt und dann nur entlassen, wenn sie nichts gelernt hätten oder
zur Aufnahme in den Orden unbrauchbar seien. Erst am 19. Februar fanden sich die
ersten sechs bisher ungeschulten Zöglinge. Die unleugbaren Unterrichtserfolge
der pädagogisch durchgebildeten Lehrer und das Vertrauen, das sie sich rasch
erwarben, führten ihnen schon im Sommer 160 und nach einem weiteren Jahre 260
Schüler zu, die sich nicht nur aus dem Ermland, sondern auch aus Preußen, Polen
und Litauen rekrutierten und zum Teil den höchsten Gesellschaftsschichten
entstammten. Auch aus der protestantischen Nachbarschaft wurden Knaben
angemeldet, so daß sich Herzog Albrecht im September 1565 veranlaßt fühlte, in
einem Erlaß an den Hauptmann von Balga seine Untertanen vor der Braunsberger
Lehranstalt ernstlich zu warnen. So hatte die überraschende Schülerzahl die
Daseinsberechtigung der neuen Schule erwiesen, die auf christlich-katholischer
Glaubensgrundlage der Pflege der klassischen Wissenschaften dienen wollte. Ein
dem Kolleg angegliedertes Konvikt beherbergte einen Teil der auswärtigen
Schüler, von denen die polnischen und litauischen nach der ermländischen
Hauptstadt geschickt wurden, um gleichzeitig die deutsche Sprache zu erlernen.
Nationale Spannungen, auch mit der Bürgerschaft, waren dabei von Anfang an
unausbleiblich. Für arme Zöglinge erwuchs um 1585 aus milden Stiftungen eine
Bursa pauperum, die 1602 in einem eigenen, unmittelbar am sogenannten Steinhaus
gelegenen Gebäude untergebracht wurde. Ein dem Jesuitenkolleg angeschlossenes
Noviziat war von vornherein für die Heranziehung des Ordensnachwuchses bestimmt.
Nachdem im August 1565 die Heilsberger Diözesansynode der Durchführung der
Tridentiner Konzilsbeschlüsse ihre Zustimmung erteilt hatte, schritt Kardinal
Hosius zur Begründung eines Priesterseminars, dessen Leitung er ebenfalls den
Jesuiten übertrug. Gegenüber der Pfarrkirche an der Stelle der heutigen
Berufsschule wurde ein Haus für das Seminar gemietet, und am 25. November 1567
wurde die bedeutsame Bildungsstätte für den zukünftigen ermländischen Klerus mit
10 Alumnen feierlich eröffnet.
Mit diesen Lehranstalten hatte Kardinal Hosius die Metropole seines Bistums
zu dessen wichtigster Schulstadt zugleich und zum Brennpunkt der katholischen
Glaubenserneuerung gemacht. Die glückliche Entwicklung dieser Bildungsstätten
veranlaßte Papst Gregor Xlll. zu einer neuen Stiftung.
Der schwedische König Johann III. (1569—92) ließ nämlich nach seiner
Verheiratung mit Katharina, der Schwester Sigismund II. August von Polen, seinen
Sohn Sigismund in der katholischen Religion erziehen, um ihm die polnische Krone
zu sichern. Der religiöse Einfluß der Königin auf ihren Gatten nährte nun
gewisse Hoffnungen auf die Wiedergewinnung der schwedischen Länder für die
römische Kirche. Der gelehrte Generalsekretär des Jesuitenordens Antonio
Possevino kam auf Grund persönlicher Eindrücke und Beobachtungen in Schweden zu
der Üerzeugung, daß in einem ausländischen Missionsseminar Priester für die
nordischen Länder herangebildet werden müßten. Braunsberg, wo er Ende Mai 1578
anlangte, schien ihm nicht nur wegen der hier blühenden Jesuitenanstalten,
sondern auch wegen seiner günstigen Verkehrslage für die Errichtung dieser neuen
Bildungsstätte besonders geeignet. Seinen Vorschlägen folgte Gregor XIII., indem
er am 10. Dezember 1578 zu Braunsberg und Olmütz zwei Seminare begründete, in
denen je 50 Missionszöglinge aus päpstlichen Mitteln unterhalten wurden. Schon
nach zwei Jahren war diese Zahl in Braunsberg erreicht. Die wirksamsten
Missionare mußten naturgemäß Söhne des eigenen Landes sein, und so waren denn
zunächst die meisten der Alumnen des Braunsberger päpstlichen Seminars
Ausländer.
Königin Katharina bewies der Anstalt ihre innere Verbundenheit dadurch, daß
sie ihr testamentarisch 10000 Taler jährlicher Renten aus ihren polnischen
Gütern zur Erziehung von 5 jungen Schweden hinterließ; aber ihr Tod (1582) und
die Entthronung ihres Sohnes Sigismund (1600), der sich fortan mit der
polnischen Krone begnügen mußte, verminderten mehr und mehr die Aussichten auf
eine Rekatholisierung der schwedischen Länder. Als schließlich König Karl, der
Vater 105 Gustav Adolfs, i. J. 1613 den Besuch
„aller papistischen oder jesuitischen Kollegien" bei Todesstrafe verbot und
gleichzeitig Dänemark das Studium an Jesuitenschulen mit Unfähigkeit zur
Bekleidung öffentlicher Ämter ahndete, war dem Zuzug schwedischer und dänischer
Alumnen in Braunsberg ein Ende gesetzt. Immerhin finden wir bis 1624 unter den
521 päpstlichen Seminaristen 127 Schweden und Finnen und 34 Dänen. Wie weit der
Aktionsradius der internationalen Missionsanstalt damals leichte, ist aus
folgenden weiteren Angaben ersichtlich: Wählend der ersten 45 Jahre stellte das
ehemalige Deutschordensland 71, das übrige Deutschland 81 Zöglinge, Schottland
34, Norwegen 20, Livland 44, Kurland 7, Litauen 5, Polen 7, Rußland 5, Ungarn
17, Siebenbürgen 13, Italien 4, die Tataren im Chersones 4. Auch einzelne Iren,
Engländer, Niederländer, Esten, Böhmen, Mähren, Kärtner und Griechen studierten
damals am Passargestrand. Der Basilianerorden der griechisch-unierten Kirche war
mit 19 Novizen vertreten und blieb der päpstlichen Stiftung bis zu ihrem Ende
(1798) treu.
Nachdem der Anstalt zunächst die beiden dem Klosterhof benachbarten Häuser
der Nordseite der Kollegienstraße Unterkunft geboten hatten, erstanden die
Jesuiten i. J. 1614 für 5000 M. das schon seit dem 15. Jahrhundert so genannte
„Steinhaus". Freilich bedurfte es dazu des Eingreifens des Bischofs
Rudnicki;
denn der Rat sah mit Unwillen, wie das Kloster in wenigen Jahrzehnten seinen
Hausbesitz beträchtlich vermehrte. Da aber in der von Wehrmauern eingeengten
Stadt die Wohnhäuser und Bauplätze sehr beschränkt waren, setzten sie dem Ankauf
des Steinhauses durch den Orden starken Widerstand entgegen, um nicht neuen
Wohnraum für die Bürger und ihr Gewerbe und bisherige kommunale Zinseinkünfte
und sonstige Leistungen zu verlieren. Nachdem sie dem Druck des Bischofs
nachgegeben hatten, bauten die Jesuiten das zuletzt der Familie Preuck gehörige
Steinhaus für die Zwecke des päpstlichen Seminars um. Die heutige Gestalt des
monumentalen Barockbaues, der italienische Kunstformen mit nordischer Würde und
Sachlichkeit reizvoll verbindet, entstammt einem durchgreifenden Umbau unter dem
Pontifikat des Papstes Innozenz XII. in den Jahren 1692—1694. Heute erinnern
noch Papstbildwerke über dem Portal, eine Gedenktafel vor der Wandelbahn und
päpstliche Schlüssel an dem Giebel wie das Jesuszeichen und die Petersschlüssel
als Zeiger einer Sonnenuhr an der Rückfront an die Stifter und die ehemalige
Bestimmung dieses imposanten Baudenkmals.
Wenn auch die gutbesuchten Lehranstalten der Bürgerschaft mancherlei
Verdienstmöglichkeiten brachten, so fühlte doch andererseits das Verhalten der
gärenden, oft landfremden jungen Leute wiederholt zu schweren Zusammenstößen. So
duellierte sich
i. J. 1577 ein Scholar mit einem Bernsteindreher; und da der
Schuldige der Gerichtsbarkeit der Schule unterstand, bat der Rat die Jesuiten um
seine Bestrafung. Wiederholt kam es zwischen trunkenen Studenten zu nächtlichen
Schlägereien, wobei jene sogar von ihren Säbeln und Gewehren Gebrauch machten.
Wenn sie deshalb in die Wachtbude gesperrt und in Ketten gespannt wurden, war
das eine Selbsthilfe des Rates, die freilich nicht den Sonderrechten der Schule
entsprach. Bischof Tylicki gab, um solchen Exzessen vorzubeugen, i. J. 1602 den
Befehl, daß die Studenten ihre Waffen, die sie bei der Unsicherheit der Wege auf
ihrer Anreise wohl brauchen konnten, den Wirten abgeben müßten und nicht früher
in das Kolleg aufgenommen werden dürften, bis sie eine schriftliche
Bescheinigung über die Waffenabgabe von ihren Wirten beigebracht hätten.
Trotzdem wurde i. J. 1607 der Bürgersohn Georg Follert bei einer nächtlichen
Schlägerei von einem Studenten durch einen Säbelhieb in den Kopf getötet. Der
Bevölkerung bemächtigte sich begreiflicherweise eine große Erregung und
Erbitterung. Der Täter wurde festgenommen und dem bischöflichen Gericht
überliefert. 1609 wurde ein schwedischer Student wegen wiederholten Diebstahls
vom Stadtgericht zum Strange verurteilt, aber auf Fürbitte der anderen Studenten
mit dem Schwerte gerichtet. 1622 wurde für die Studenten, die nachts auf der
Gasse betroffen wurden, in der Stadtpfeiferei eine besondere Kammer zur
Schutzhaft eingerichtet.
Wie der Schulbetrieb der Jesuiten den Anzug eines bischöflich privilegierten
Buchhändlers und Buchbinders erforderlich machte, - als solcher ist Johann
Bretter i. J. 1571 im Taufbuch zum erstenmal erwähnt, - so ließ die
weitgreifende Propagandatätigkeit des päpstlichen Seminars die Begründung einer
Druckerei besonders erwünscht erscheinen. Johann Sachse, vielleicht derselbe,
der bis 1589 in Lübeck tätig war, brachte in demselben Jahre in seiner
neueröffneten Braunsberger Druckerei seine ersten Veröffentlichungen heraus, den
lateinischen Katechismus des Jesuiten Canisius und mehrere lateinische Traktate
von Possevino. Im nächsten Jahre erschienen bei dem geschäftstüchtigen Verleger
neben einem lateinischen Briefsteller vier deutsche Streitschriften gegen das
Luthertum und merkwürdigerweise auch Luthers Kleiner Katechismus und eine
Verteidigung des Abendmahles unter beiden Gestalten. Die
107 leistungsfähige Offizin, die ihre Publikationen mit Rot- und
Schwarzdruck, Noten und Randleisten ausstatten konnte, war schon i. J. 1593, als
sie ein ermländisches Brevier herausgab, im Besitz der Erben des Gründers. Erst
1598 setzte Georg Schönfels die Drucktätigkeit fort; durch bischöfliches
Privileg wurde ihm i. J. 1608 auch der Aufkauf von Lumpen im Ermland gestattet,
um Druck- und Schreibpapiere herzustellen. Aus der Druckerei, die nach
wiederholtem Besitzwechsel i. J. 1697 von den Jesuiten käuflich erworben wurde,
lassen sich bis zu ihrer Auflösung i. J.1773 rund 500 Werke meist religiösen und
theologischen Inhalts, aber auch Schulbücher, historische und
Gelegenheitsschriften nachweisen, von denen etwa 60 % in der lateinischen
Gelehrtensprache, etwa 35 % deutsch und 5 % polnisch verfaßt waren. Die
literarische Ausstrahlung dieser mit dem Jesuitenkolleg in engster Verbindung
stehenden Buchdruckerei wird nicht unterschätzt werden dürfen; sie reichte
räumlich weit über das Ermland nach Preußen, Polen, Litauen und den baltischen
Ländern hinaus.
Am stärksten wirkte sich naturgemäß der Einfluß des Jesuitenordens an dem
Orte seiner Tätigkeit selbst aus. Die Patres waren nicht nur Lehrer der
studierenden Jugend, Dozenten der Alumnen des ermländischen und des päpstlichen
Seminars und religiöse Schriftsteller, sondern auch eifrige Seelsorger, die als
gelegentliche Prediger, Exerzitienmeister und Beichtväter in den Pfarrgemeinden
der Bistumsstädte großen Zuspruch fanden. Eine offensichtliche Festigung und
Vertiefung des katholischen Lebens in der Bevölkerung war der Erfolg ihrer
Arbeit, und es fehlte auch nicht an zahlreichen Konversionen bisheriger offener
oder geheimer Protestanten.
Von nachhaltiger Bedeutung wurde das Auftreten der Jesuiten auch für die
Braunsberger Nonnen. In der „alden Tymenitcze-Gasse" (nach dem Gefängnisturm,
dem heutigen Klosterturm, benannt) wird bereits i. J. 1438 ein Beginenkanvent
erwähnt, in dem gottgeweihte Jungfrauen dem Gebet, der Krankenpflege und
Handarbeit lebten. Aus dem Legat des Leipziger Professors Werner v. J.1498
ersehen wir, daß zu jener Zeit zwei Beginenhäuser in der Nonnengasse vorhanden
waren. Die bischöfliche Visitation d. J. 1565 stellte fest, daß beide Gebäude
alt und verfallen seien, das eine ohne Dach und verlassen, das andere ihm
gegenüber von 2 Schwestern bewohnt.
Während diese alten Nonnenniederlassungen ihrer Auflösung entgegengingen,
sprossen unter dem Einfluß der Seelsorgsarbeit der Jesuiten, vermutlich auch
unter dem Eindruckeiner Pest die Keime einer neuen, lebensfähigen
Schwesternkongregation empor. Regina Protmann, die 19jährige Tochter eines
wohlhabenden und angesehenen Braunsberger Kaufmanns, verließ in dem Seuchenjahre
1571 ihr Elternhaus und zog sich mit zwei gleichgesinnten Freundinnen in ein
baufälliges Häuschen der 2. Kirchenstraße (heute Siechenhaus) zurück, auf das
sie Erbansprüche hatte. Sie wollte ihr Leben ganz Gott widmen und ihren
Mitmenschen im Geiste der christlichen Nächstenliebe dienen. Bischof Martin Kromer erwies sich als ihr tatkräftiger Förderer, indem er „den gottverlobten
Jungfrauen unter dem Titel und Namen der hl. Jungfrau und Martyrin Katharina"
(der Braunsberger Kirchenpatronin) das Grundstück des alten Beginenkonventes mit
einem neuerbauten Hause überwies, sodaß nun das Klosteranwesen von der 2.
Kirchenstraße bis in die Nonnengasse reichte. Auch sonst erleichterte er durch
hochherzige Schenkungen die Wirtschaftsführung der Schwestern. Auf seine
Veranlassung schrieb Regina unter dem Beirat ihres Beichtvaters des P. Engelbert
und des Jesuitenprovinzials P. Paul Boxa ihre in 12 Jahren erprobte Klosterregel
auf, und diese fand am 18. März 1583 auf dem Schloß zu Heilsberg die
bischöfliche Genehmigung. Kromer gliederte dann die alten Beginenkonvente von
Wormditt, Heilsberg und Rößel der Braunsberger Kongregation an, und so war eine
Nonnenorganisation im Ermland geschaffen, die in stiller, selbstloser Hingabe
zunächst der Krankenpflege und Handarbeit, seit der Jahrhundertwende auch dem
weiblichen Unterricht oblag und von dem Mutterhause Braunsberg aus im 19.
Jahrhundert eine ungeahnte Ausbreitung und Blüte erreichen sollte.
In diese Periode katholischen Werdens und gestärkten Selbstbewußtseins fiel
i. J. 1577 drohende Kriegsgefahr. Als Stephan Bathory von Siebenbürgen und
Kaiser Maximilian II. um die polnische Krone stritten, hielten die Stände
Preußens mit Einschluß des Ermlandes zu dem deutschen Thronbewerber, änderten
aber im Sommer 1576 ihre Haltung, als sich die Waage des Schicksals unverkennbar
auf Bathorys Seite neigte. Nur das mächtige Danzig verharrte in seiner
Parteinahme für den Kaiser, wobei neben nationalen und religiösen Gründen
besonders wirtschaftspolitische den Ausschlag gaben. König Stephan verhängte
über die widerspenstige Stadt nach vergeblichen Verhandlungen und Warnungen die
Acht und eröffnete im Herbst gegen sie die Feindseligkeiten, worauf die Danziger
mit Überfällen auf die dortigen Klöster antworteten. Nach dem Tode Maximilians
(12. 10. 1576) zeigten die Danziger 109
Friedensbereitschaft, weigerten sich aber, die harten Bedingungen Bathorys
anzunehmen. Dieser führte am 7. März 1577 einen schweren Schlag gegen die Stadt,
indem er allen Handelsverkehr mit ihr verbot und den Stapel für alle polnischen
Waren von Danzig nach Thorn und Elbing verlegte. Auch das Ermland war an dieses
königliche Gebot gebunden, während sich das herzogliche Preußen darüber
hinwegsetzte. Elbing zog aus der bedrängten Lage seiner Schwesterstadt reichen
Nutzen und erregte dadurch die Wut der Danziger Bevölkerung. Als König Stephan
Anfang September die erfolgte Belagerung der Seestadt abbrach, fühlte diese auf
Drängen der Massen sogleich einen Rachefeldzug gegen das Ermland und Elbing
durch.
Am 10. September lief eine mit 2500 Mann besetzte Flotte unter dem Befehl des
erst kürzlich in Danzigs Dienste getretenen Grafen Ferdinand von Haldeck von
Weichselmünde aus. Sie bestand aus 15 Schiffen, von denen 5 Dreimaster, 4
Galeeren, einige lange und einige kleine Kähne waren. Ein Teil der Fahrzeuge
gehörte dem verbündeten König von Dänemark und stand unter dem Kommando des
Admirals Erhard Munk. Ungehindert fuhr das Geschwader aus der Ostsee ins Frische
Haff, angeblich nur des schlechten Wetters wegen; nach dem Einkauf von
Lebensmitteln würde es wieder auslaufen, und den herzoglichen Untertanen würde
nicht „ein Huhn gescheucht werden". Im Haff kaperte die Flotte eine größere Zahl
von Elbing kommender belgischer und englischer Handelsschiffe und wuchs auf 40
Fahrzeuge an.
Am Mittag des 13. September warf sie an der Mündung der Passarge Anker. Schon
vorher waren Neupassarger Schiffer nach Braunsberg mit der Schreckensbotschaft
geeilt, der Feind nehme mit starken Kräften Kurs auf die ermländische Küste.
Sofort trat der Rat zusammen, um zu überlegen, welche Maßregeln zu ergreifen
seien. Da erschien um ein Uhr in ihrem Kreise, von zwei Soldaten begleitet, ein
Hauptmann, verlangte Mundvorrat und entbot den Schloßhauptmann und zwei
Bürgermeister zum Danziger Admiral, im Weigerungsfälle drohte er ihnen
Plünderung an. Da der Schloßhauptmann Michael von Preuck es ablehnte, der
Aufforderung zu folgen, entsandte der Magistrat die Bürgermeister Johann Bartsch
und Lukas Wegner sowie den Ratsherrn Peter Schulz. Wie grenzenlos ihr Entsetzen,
als sie von dem allgewaltigen Admiral den erbarmungslosen Spruch vernahmen: Wenn
sie ihm nicht am Abend 20 000 Taler zahlten und die Jesuiten, „die Feinde
Evangeliums", vertrieben, so würde er alles vernichten, Menschen ermorden, die
Dörfer, Speicher und Vorstädte einäschern und die Stadt selbst zerstören! Wegner
und Schulz mußten als Geiseln zurückbleiben, während Bartsch nach Braunsberg
zurückgeschickt wurde, um die grausamen Befehle zur Durchführung zu bringen. Ein
mitgesandter Trompeter sollte durch Kriegssignale die Bevölkerung in Angst
versetzen.
Alles zitterte und bebte in der Stadt, als man von den erpresserischen
Forderungen und Drohungen des Admirals hörte. Die auswärtigen Schüler und
Studenten der Jesuiten flüchteten schleunigst in ihre Heimat. Die Bewohner der
Neustadt und der benachbarten Dörfer brachten jammernd ihre wertvollen Sachen in
die Altstadt und beschworen den Rat, die verlangte Summe zu zahlen; sie würden
selbst dazu beisteuern. Auch die altstädtischen Bürger drängten zur
Nachgiebigkeit. Da die Stadt aus sträflicher Sorglosigkeit keine Besatzung
hatte, schien Widerstand gegen den übermächtigen Feind aussichtslos. Wenn aber
der rote Hahn in den Vorstädten und der Neustadt auf die Strohdächer gesetzt
würde, würde das Flammenmeer leicht um sich greifen und auch die Altstadt
erfassen. In solcher Not bat der Magistrat den bischöflichen Koadjutor Kromer um
Rat und schleunige Hilfe. Bevor dessen Antwort aber eingegangen war, hatte er
den Admiral dadurch zu besänftigen vermocht, daß er gemeinsam mit dem
Schloßhauptmann der Flottenbesatzung einige Tonnen Bier, Ochsen, Mehl und Brot
im Werte von mehr als 110 M. zugesandt hatte. Weiter hatte man dem Admiral 2000
Taler geboten und ihn um Schonung ersucht; man sei wohl zu schwach, ihm zu
widerstehen, aber Gott würde ihn einst strafen, wenn er Gewalt an Menschen
verübte. Hardeck wies das Geldangebot als zu niedrig ab, ermäßigte aber seine
vorige Forderung auf 10 000 Taler, die bis Sonnenuntergang zu zahlen seien.
Wieder wurde der Rat zu sorgenvoller Verhandlung zusammengerufen. Einige
Mitglieder wiesen auf die Treue zum Koadjutor und König hin, die es verbiete,
mit dem Feinde Frieden zu schließen. Die Mehrheit aber riet zur Nachgiebigkeit,
durch die man nicht die gebotene Treue verletzen, sondern nur das große Unglück
von der Stadt abwenden wolle. Dieser Auffassung zufolge eröffnete der Magistrat
den Jesuiten den Befehl des Admirals; sie beschlossen, um keinen zu gefährden,
sich unverzüglich zu entfernen, zumal ihre meisten Schüler abgereist waren. Sie
verweilten in den benachbarten Städten, bis sich die feindliche Flotte
zurückgezogen hatte.
Der Aufbruch der Jesuiten verursachte eine wahre Panik; man schloß daraus auf
erhöhte Gefahr. Scharenweise erschienen 111 die
Leute vor dem Schloßhauptmann und dem Rat und flehten, sie und ihre Kinder um
einer Geldsumme nicht dem Vererben preiszugeben. Das lag natürlich der Obrigkeit
fern, aber sie vermochte doch nach langem Unterhandeln mit dem Admiral die
Geldforderung auf 5000 Taler herabzudrücken; diese versprach man zum 17.
September nach Elbing zu schicken, wohin die Flotte zu segeln gedachte. Die
Altstadt steuerte dazu mit ihren Dörfern 3000, die Neustadt samt den
bischöflichen Gütern und dem Adel 2000 Taler bei. Nach deren Einzahlung stellten
Hardeck und Munk einen Schein aus, daß Braunsberg und sein Weichbild von
weiteren Leistungen verschont bleiben sollten.
Inzwischen war vom Koadjutor ein Antwortschreiben eingelaufen; der Rat solle
der Gewalt nachgeben, jedoch unbeschadet der dem König gelobten Treue. Kromer
hatte aber auch seinem Landvogt Christoph Troschke Befehl gegeben, der Stadt
Braunsberg sofort zu Hilfe zu ziehen. Mit den Kriegspflichtigen der Kammerämter
Heilsberg, Guttstadt und Wormditt rückte dieser nach drei Tagen in Braunsberg
ein und wurde von da sogleich nach Frauenburg beordert. Hier hatte die
feindliche Flotte vom Frauenburger Domkapitel ebenfalls ein hohes Lösegeld
erpreßt und war dann am 16. September unter günstigem Wind nach Elbing gesegelt,
um der wohlverteidigten Stadt und ihrer Umgegend durch Plünderung und
Brandschatzung, sowie durch das Versenken von vier großen Schiffen im Elbinger
Tief möglichst viel Schaden zuzufügen. Der Landvogt Troschke ließ sich mit
seinem Heeresaufgebot von der in Frauenburg herrschenden Panik so stark
beeinflussen, daß sie schmählich die Flucht ergriffen und den Dom ungeschützt
ließen. Die Danziger Flotte beschränkte sich im übrigen auf den Raub der auf dem
Haff kreuzenden Handelsschiffe, wandte sich dann nach Königsberg und kehrte am
28. September mit etwa 60 gekaperten Schiffen siegesstolz nach Danzig heim.
König Stephan aber zürnte der Stadt Braunsberg, daß sie trotz ihrer
Entfernung von der Küste den Feinden sich so nachgiebig gezeigt habe. Er trug
sich daher mit der Absicht, ihr zur Strafe eine polnische Besatzung zu geben,
und es bedurfte der persönlichen Fürsprache des Koadjutors Kromer, um den König
in Marienburg (am 10. Oktober) zu besänftigen; doch sollten die Braunsberger
während des Kriegszustandes nicht die geringste Zufuhr nach Danzig abgehen
lassen.
Nach langen, schwierigen Verhandlungen kam am 12. Dezember der
Friedensvertrag zwischen König Stephan und der Stadt Danzig zustande. Der Wunsch
Kromers, die Rückzahlung des im Ermland erpreßten Geldes unter die
Friedensbedingungen
aufzunehmen, wurde nicht berücksichtigt, weil die Danziger gerade auf der
Niederschlagung der von ihnen verübten Schädigungen nachdrücklich bestanden.
Stephan Bathory, der seinem Neffen Andreas Bathory i. J. 1584 die Würde eines
Kardinals und Koadjutors von Ermland zu verschaffen wußte, starb am 12. Dezember
1586. Da die bevorstehende Königswahl neue Thronwillen wahrscheinlich machte,
befahl Bischof Kromer, durch die Ereignisse d. J. 1577 gewitzigt, für den 4.
Februar 1587 eine allgemeine ermländische Heerschau in Stadt und Land, in der
die gemeine Bürgerschaft mit ihren Hauswehren und Rüstungen, die Adligen, Freien
und Schulzen mit ihren Pferden, Harnischen, Büchsen und was sonst zur ernsten
Wehr gehörig, und die Bauern, so den zehnten Mann mit einem langen Rohr zu Fuß
ausrichten, gemustert werden sollten; denn „des Weisen Mannes spruch nach daß
Lanndt inn guttem wohlstande sey, welches zur Zeit des friedens die Vorsorge
wieder die Kriegsleuffte gebrauchet und Vorradt schaffet." Doch diesmal sollte
sich das Kriegsgewölk glücklich verziehen.
Ein Schadenfeuer zerstörte am 8. September 1598 einen großen Teil der
Neustadt; auch das Rathaus sank dabei in Asche und mit ihm die hier aufbewahrten
Urkunden und Akten. Dagegen blieb die Dreifaltigkeitskapelle von dem Feuer
verschont. Sie war ursprünglich i. J. 1437 erbaut und mit 12 Morgen Land
ausgestattet worden, im 13jährigen Kriege aber (1455) niedergebrannt. Um 1581
erst wurde die kleine Kapelle wieder aufgebaut und im Jahre 1584 von Bischof
Kromer eingeweiht. Ihre jetzige erweiterte Form mit dem Ostgiebel stammt aus d.
J. 1681.
An dieser Stelle sei für die Familienforscher die Mitteilung eingeschaltet,
daß in Auswirkung der Tridentiner Konzilsbeschlüsse in der Braunsberger
Pfarrgemeinde i. J. 1565 die Trauungsbücher, i. J. 1566 die Taufregister
beginnen. Die Sterbefälle wurden erst seit 1708 verzeichnet.
Im Jahre 1601 wurde dem Bischof ein Verzeichnis der wehrpflichtigen
Bürgerschaft der Altstadt eingereicht. Sie zählte 265 Mann und war in 5
Ordnungen eingeteilt, die wieder in Kohorten von 10 - 12 Mann zerfielen. Jede
Ordnung hatte drei Führer, einen Ratsherrn und zwei Bürger. Die vier ersten
Ordnungen waren zur Verteidigung der Mauern und Türme bestimmt, die fünfte wurde
auf dem Markte aufgestellt, um beim Angriffe eingesetzt zu werden. Diese
Bürgerwehr konnte aber im Notfälle durch Tagelöhner, Gesellen und
113 Jungmannen ergänzt werden. Außerdem warb man
bei drohenden Gefahren Söldner an, so i. J.1613 60 Musketiere, von denen die
Befehlshaber monatlich 30, die Veteranen 10 und die übrigen Mannschaften 5
Gulden Sold empfingen. Spieße, Hellebarden, Luntenrohre, Pulverflaschen,
Geschütze und eiserne Kugeln wurden in Königsberg, Lübeck, Braunschweig und
Schweden angekauft.
Mit Beginn des 17. Jahrhunderts wurzelte sich in Polen immer mehr das Unwesen
der Konföderationen ein, bewaffneter Verbindungen unzufriedener Adliger gegen
die königliche Regierung. Sie bestritten den Unterhalt für sich und ihre
Soldateska durch willkürliche Erpressungen. Mit „freiwilligen" Zahlungen suchten
sich die bedrohten Gebiete von den Durchzügen oder Winterquartieren solcher
Kriegsvölker loszukaufen. So mußte Braunsberg seit 1606 immer wieder unter
diesen Lasten der zunehmenden Anarchie und Friedlosigkeit bluten. Trotzdem
bewies die reiche Stadt, die noch im August 1614 über 1000 Tonnen Bier in den
altstädtischen Kellern liegen hatte, ihre großzügige Gastlichkeit, als im Juni
1623 König Sigismund III. mit seiner Gattin, dem Prinzen Wladislaus und einer
jungen Prinzessin auf einer Durchreise hier Nachtquartier bezog. Dem Königspaar
und dem Prinzen verehrte der Rat vergoldete Silbergefäße, gefüllt mit
ungarischen Gulden, der Prinzessin ein kostbares Kleinod, Gaben, deren Wert sich
neben der Verpflegung auf 3050 M. belief. Der bischöfliche Statthalter Michael
Dzialynski aber erhielt für seine der Stadt geleisteten Dienste ein Geschenk von
sechs ineinander gesetzten vergoldeten Hofbechern im Werte von 278 M. und zwei
schöne junge Hengste.
VI. Im Jahrhundert der Schwedenkriege (1826—1721)
Schon seit Jahren hing ein neues Kriegsgewitter in der Luft. Während der
unselige dreißigjährige Religionskrieg Deutschland zu zerfleischen begann,
erfüllte auch Osteuropa Waffenlärm. Der ebenso ehrgeizige wie tapfere König
Gustav Adolf wollte die Ostsee in ein schwedisches Meer verwandeln, entriß den
Russen i. J.1617 das baltische Küstengebiet Ingermanland, seinem polnischen
Vetter i. J. 1621 Livland. Sollte er in seinem Eroberungsdrang vor den Grenzen
des Ermlandes Halt machen, auf dessen Bischofsthron seit 1621 der polnische
Königssohn Johann Albert saß? Die Einsichtigen witterten Unheil. Schon
1622 beschäftigte sich der Heilsberger Landtag mit Verteidigungsmaßnahmen, und
die Altstadt Braunsberg, die bei diesen Versammlungen mit einem Bürgermeister,
einem Ratsherrn und dem Stadtnotar vertreten zu sein pflegte, machte sich an die
Ausbesserung ihrer Befestigungswerke. Die Wormditter Tagfahrt v. J. 1624
beschloß, fremdes Kriegsvolk anzuwerben. Die Braunsberger kauften Pulver,
rückten ihre Geschütze aus der Rüstkammer auf die Mauern und Türme und warfen
Schanzen auf. Wer es konnte, sollte eine Muskete anschaffen, die Bewaffneten
sollten von den Wachtmeistern ausgebildet werden.
In diese sorgenvollen Vorbereitungen platzte die Schreckenskunde hinein, in
Danzig sei die Pest ausgebrochen. Neue Vorsichtsmaßnahmen sind notwendig. Der
Rat nimmt mit dem Erzpriester Rücksprache wegen des Versehens der Kranken, und
einer der Vikare wird mit dieser opfervollen Aufgabe betraut. Man stellt einen
Pestbarbier ein, der sich in Grätz bereits bewährt hat; er soll die Kranken am
Halse schmieren, zur Ader lassen u. a. Da entdeckt man auf dem Köslin den ersten
Pestfall. Irgend ein Wanderbursche hat vielleicht das Gift aus einer verseuchten
Stadt mitgeschleppt; nun liegt er da tot, mit Beulen bedeckt und blauschwarz
angelaufen. „Die Pest ist da! Der Schreckensruf verbreitet sich alsbald wie ein
Lauffeuer durch die Stadt; angstvoll stehen die Bürger auf den Straßen zusammen,
Erinnerungen von der letzten Pestzeit werden aufgefrischt und die schlimmen
Botschaften aus der Nachbarstadt eifrig besprochen. Der Rat tritt zu einer
außerordentlichen Sitzung zusammen und beschließt angesichts des Ernstes der
Lage, alle Mittel zur Unterdrückung der Seuche anzuwenden. Ein Ausschuß von
Mitgliedern des Rats und der Bürgerschaft soll als collegium sanitatis (Gesundheitsausschuß)
gewählt werden und täglich im Rathause eine Sitzung halten; die ganze Stadt wird
in Bezirke eingeteilt und ein decurio (Hauptmann) mit der speziellen Aufsicht
und Anzeige aller Verdächtigen in seinem Revier beauftragt. Das Haus, in dem der
Fremde gestorben ist. wird vernagelt und mit einem weißen Kreuze bezeichnet,
allen Insassen aber bei Strafe das Verlassen desselben untersagt.
Indes das Verhängnis läßt sich nicht mehr aufhalten, ein zweiter und ein
dritter Fall wird gemeldet, und bald steht die ganze Stadt unter dem Szepter des Allbezwingers. Die Bader haben alle Hände voll zu tun mit Aderlassen und mit
115 Schropfköpfesetzen, überall qualmen dicke
Rauchwolken von Kaddik, Wermut, trockenen Eichenblättern, Hühnermist, alten
Schuhen und erfüllen Stuben und Straßen mit einem „pestilenzischen" Gestank. Der
Erzpriester wird gebeten, das Läuten einstellen zu lassen, um die Schrecken
nicht noch zu vermehren; in den von Kaddigqualm erfüllten Kirchen drängen sich
angstvoll betende Menschen und bestürmen den erzürnten Gott mit Tränen und
Gelübden." (G. Matern, die Pest im Ermland.)
Als der Pestbarbier gestorben war, wurde ein neuer aus Hamburg angestellt,
der zum Zeichen eine weiße Binde um den Hut erhielt. Ein Bürger, bei dem die
Pest ausgebrochen, wollte sein Haus nicht schließen lassen, sondern setzte sich
mit geladener Muskete und brennender Lunte zur Wehr. Der Rat beschloß, dem
Ungehorsamen das Bürger- und Gewerberecht zu entziehen.
Nachdem so die Pest, mit Unterbrechungen auftretend, in den Jahren 1624 und
25 wie oft zuvor zahlreiche Opfer gekostet hatte, nahte das gefürchtete neue
Unheil: der Schwedenkrieg. Noch hatte der Guttstädter Landtag i. J. 1625 die
Anwerbung von 300 fremden Söldnern beschlossen, den Dienstpflichtigen das
Gewissen geschärft und den Polenkönig um Schutz angerufen, da richtete sich im
Sommer 1626 der erste Ansturm der Schweden gegen das Bistum.
Am 19. Juni berief der Rat die ehrbare Gemeine aufs Rathaus, weil ein „groß
Geschrei von Gustav von Schweden ausgebracht." Man beschloß eine Wache auf dem
Glockenturm aufzustellen, die Waffen und Geschütze zu untersuchen, sich für 2—3
Monate zu verproviantieren; jeder Quartierherr sollte die Wehren, Mauern und
Brücken mit dem Zimmermann besichtigen. Am 25. hielt der Rat einen „Durchgang
der Bürgerschaft mit ihrem Gewehr" auf dem Rathaus; manche hatten eine „Röhre"
mit Feuerschloß, andere nur Spieße. Nun sollten alle binnen Monatsfrist Musketen
anschaffen.
Am 5. Juli warfen 80 wohlausgerüstete schwedische Kriegsschiffe mit einer
Besatzung von etwa 15 000 Mann auf der Pillauer Reede die Anker. Nachdem König
Gustav Adolf diesen schwach verteidigten Hafen seines Schwagers, des
brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm, kampflos gewonnen und 3 Regimenter
dort zurückgelassen hatte, schlug er am 9. Juli den Kurs südwärts ein gegen „die
Pfaffenknechte im Bischthum Ermeland."
Am 6. Juli drang nach Braunsberg „böse Zeitung aus der Pillau, daß die
schwedische Armada" dort gelandet. Wieder wurde die Gemeinde zur Beratung auf das
Stadthaus geladen. Man dachte, die Elbinger um Hilfe anzugehen. Matthis Thiel
aus der Neustadt wurde für einen Monat gegen 100 Gulden Gehalt als Kapitän
(Hauptmann) angenommen und vereidigt. 63 städtische Handwerksgesellen, unter
ihnen ein „Drommenschläger", wurden für 8 Gulden als Soldaten eingestellt. Sie
mußten schwören, „den beiden Städten Braunsberg getreu und hold zu sein, an und
vor dem Feind, zu Zug und Wacht, wohin sie gestellt und erfordert werden, mit
der Setzung Leibs und Lebens zu Tag und zu Nacht fleißig und getreulich zu
dienen, auch dem Kapitän Thielen in allem Gehorsam zu leisten, als mir Gott
hilft und sein heiliges Wort." Schließlich wurde als Büchsenmeister Andres Sahm
mit einem Monatslohn von 50 Gulden verpflichtet.
Die Altstadt Braunsberg mochte damals nach den letzten Pestopfern etwa 3500
Einwohner zählen. Rechnete man die wehrpflichtigen Bürger aus der Stadt und
ihrer Gemarkung und die geworbenen Söldner zusammen, so dürften wenig mehr als
500 Verteidiger vorhanden gewesen sein. Allerdings trafen noch im letzten
Augenblick schwache polnische Hilfstruppen ein, Dragoner unter Kapitän Zeridongo
und drei Fähnlein „guten Volkes" unter den Hauptleuten Butler, Siatansky und
Fordy. Mauern und Türme boten freilich gegen die fortgeschrittene Artillerie
nicht mehr dieselbe Sicherheit wie vor 100 Jahren. Die Aussichten eines
Widerstandes gegen das kampferprobte Schwedenheer waren also keineswegs günstig;
trotzdem waren Rat und Gemeinde entschlossen, um ihrer Ehre und Treue willen die
Stadt zu verteidigen.
Nachdem die schwedische Flotte an der Passargemündung unweit des Braunsberger
Bollwerks angelegt hatte, rückte Gustav Adolf am folgenden Tage, den 10. Juli,
mit etwa 4000 Mann Infanterie und vier Reiterschwadronen gegen die Stadt vor,
wohl überrascht, daß die Einwohnerschaft nicht freiwillig die Tore öffnete. Sein
Hofmarschall Dietrich von Falckenberg und der schottische Kapitän Lamm führten
den Vortrupp. Unterwegs stießen diese auf Zeridongos Dragoner und die
dienstpflichtige städtische Reiterei. Es entspann sich ein leichtes Scharmützel,
das bald mit der Flucht der Verteidiger endete. Vor dem Weichbilde der Stadt
waren neue Schanzen aufgeworfen, die von den Söldnern und den polnischen
Hilfstruppen Verteidigt werden sollten. Aber angesichts der schwedischen
Übermacht und der Flucht der eigenen Reiterei räumten auch sie ihre Stellung.
Um den Feind in ihrer Verfolgung aufzuhalten, steckten sie die Ziegelscheune
hinter dem alten Kirchhof 117 in Brand. Aber bald
gingen auch der ganze Köslin, die vor den Toren liegenden Scheunen, Speicher,
Holzhöfe, Krambuden, das Packhaus, der Hohe Krug und das 1573 von Bürgermeister
Johann Bartsch für arme Bürgerwitwen am Rodelshöfer Weg begründete Hospital in
Flammen auf. Nach schwedischer Darstellung soll Kapitän Butler den Rat zu dieser
Einäscherung gegeben haben, vermutlich um dadurch die dort vorhandenen reichen
Vorräte der Benutzung durch die Schweden zu entziehen. Der König ließ deshalb
dem Flüchtigen und seiner Mannschaft zu Roß nachjagen und sie teils niederhauen,
teils gefangennehmen; auch Butler gehörte zu den Gefangenen.
Und so flackert hier, jetzt dort, bald allerorts die vernichtende Brandfackel
empor; gierig verschlingt das Flammenmeer die von der sommerlichen Hitze
ausgedörrten Holz- und Fachwerkbauten, und dicke Rauchschwaden lagern sich über
der gequälten Stadt. Wie jammern die bedauernswerten Besitzer, deren wertvolle
Habe in Asche sinkt; und niemand kann und darf dem verheerenden Elemente Einhalt
gebieten. Voller Verzweiflung und Schrecken drängen flüchtige Bürger zu den
rückwärtigen Toren hinaus, schließen sich den Hilfstruppen und Söldnern an, die
nach kurzer Wehr weiteren Widerstand für sinnlos halten, dem siegreichen Könige
nicht in die Hände fallen wollen. Vielleicht geschah es bei diesem letzten
schwachen Widerstand vor den Mauern, daß Bürgermeister Simon Wichmann
durch einen feindlichen Schwertstreich in Lebensgefahr geriet. Schon fluten die
Feuerwogen hinüber zu den Toren und Häusern der Stadt, da bleibt dem Rat nichts
übrig, als den Hofmarschall Falckenberg um „Quartier zu bitten" und ihm die
Schlüssel von Braunsberg zu übergeben. Dieser, der spätere Verteidiger von
Magdeburg, der i. J. 1631 bei der Erstürmung der Stadt den Soldatentod sterben
soll, rückt als erster in der verängstigten Stadt ein, und bald hält der
„großmächtigste, durchleuchtigste, hochgeborene Fürst und Herr", König Gustav
Adolf als Eroberer seinen feierlichen Einzug. Leider berichten die Ratsakten
auffallend wenig über diesen denkwürdigen Tag, der für die Stadt über 9 Jahre
schwerster Heimsuchungen anbrechen ließ. Zerstreute Nachrichten ergeben etwa
folgendes Bild:
Vor versammelter Mannschaft schlug der König seinen Hofmarschall und den
Kapitän Lamm zur Belohnung für ihren raschen Erfolg zu Rittern. Die ganze
Bürgerschaft, Mann und Weib, wurde in die Pfarrkirche befohlen, wo Gustav Adolf
ihnen wohl eröffnete, daß „ihm nicht mit ihrem Menschenblut, sondern mit
Frieden, dem er nachjage, gedient wäre," wo sie vielleicht dem neuen Herrn den
Huldigungseid schwören mußten und zur Auslieferung sämtlicher Waffen
aufgefordert wurden. Während dieser Zeit plünderten die Soldaten die Häuser der
flüchtigen Bürger; dabei fiel ihnen alles dem Artushof gehörige Silber, das der
Vogt aus Sicherheitsgründen an sich genommen hatte, in die Hände. Auch die
Kirchen erfuhren bald eine schwere Beraubung. Altäre, Bilder und
gottesdienstliche Geräte wurden teils zerstört, teils fortgeschafft, teils
entweiht; sogar die hl. Hostien wurden in der Pfarrkirche auf dem Boden
verstreut, und der König soll nach einer Notiz diesem sakrilegischen Treiben
höhnisch zugeschaut haben. Besonders gegen das Jesuitenkolleg lichtete sich die
Wut der fremden Eroberer; galt es doch jener verfemten Lehrstätte, jenen verhaßten Patres, die ihrer schwedischen Heimat den Glauben hatten entreißen
wollen. Freilich auch der gelehrte Johann Messenius, ein Lehrer des Königs,
hatte hier in zehnjährigem Studium das wissenschaftliche Rüstzeug erarbeitet,
das ihn zum Prinzenerzieher und zum Vater der schwedischen Geschichte und
Dramatik befähigte. In klarer Voraussicht des kommenden Unheils hatten die
Ordensmitglieder und Schüler die Flucht ergriffen, nur die Patres Nikolaus
Kirstein aus Lübeck und Leonhard Kinard aus Schottland mit drei Laienbrüdern
waren zum Schütze des Hauses zurückgeblieben. Diese wurden sofort
gefangengesetzt und mußten länger als zwei Jahre im „Turm mit dem weißen Kreuz"
zu Elbing schmachten. Das Kolleg und die Kirche lieferten den Eroberern reichste
Beute. Die kostbare Bibliothek mit vielen Handschriften und Wiegendrucken, die
kunstvolle Orgel und anders wertvolles Inventar wurden auf königlichen Befehl
zur Verfrachtung nach Schweden bestimmt. Den Ortspfarrer der Stadt Lorenz
Friese und seinen Vikar beorderte der König ins Schloß zu sich und verwies sie
sofort aus der Stadt; der papistische Gottesdienst sollte nun hier ein für
allemal abgetan sein. Die Bevölkerung aber beider Stadtgemeinden sollte eine
„Brandschatzung" von 200000 schwedischen Talern binnen 4 Wochen aufbringen; auf
flehentliches Bitten ermäßigte der König die ungeheuerliche Summe auf 50 000
Taler. Außerdem verblieb eine beträchtliche schwedische Besatzung in
bürgerlichen Quartieren. Der schwedische Hofdichter Johann Narsius aber feierte
in einem im nächsten Jahre zu Stockholm erschienenen Heldenepos in lateinischen
Distichen auch die schonungsvolle Eroberung der festen Stadt Braunsberg.
Die Einnahme der ermländischen Hauptstadt durch die Schweden fand i. J. 1628
eine weitere literarische Behandlung. Eine lateinische Lobschrift des Elias von Nukrois auf Gustav
119 Adolf rühmte, wie der König im polnischen Preußen fast gleich, zeitig Braunsberg, Elbing und Marienburg dem Feind entrissen habe. Die Verwegenheit
Braunsbergs, Widerstand zu versuchen, habe den König nur zum Lachen gereizt,
aber nicht im Kampfe ermüdet. Daraufhin veröffentlichte ein gewisser Ahamot
Crusius im selben Jahre eine dem Kulmer Bischof Jakob Zadzik und den Danzigern
gewidmete Gegenschrift, worin er in feinem Latein ausführte: „Über den Fall
Braunsbergs wundern wir uns nicht. Es ist nämlich schon lange eine Stadt
gelehrter Ratsherren und mehr ein Wohnsitz der in Linnen gekleideten Minerva als
der mit Lanze und Helm, fast ungewohnt kriegerischen Geistes und kriegerischer
Einrichtungen, außer wenn bei den frohen Fastnachts-Kampfspielen jene langen
Pfähle und stumpfen Ruderstangen als Lanzen auf dem gefrorenen Markt über den
Ruhm der Fischer entscheiden."
Als Gustav Adolf am nächsten Mittage seinen Siegeszug über Frauenburg nach
Elbing fortsetzte, während andere Trup Üpenabteilungen ins mittlere Ermland
abrückten, hinterließ er eine dem Elend geweihte Stadt, die nach dem furchtbaren
Erleben des letzten Tages sofort daran ging, die verlangte Geldsumme
zusammenzubringen, um noch Schlimmerem zu entgehen. Die in einer dieser Nächte
wohl aus militärischen Gründen von den Schweden in Brand gesteckte
Johanniskirche (vor dem Hohen Tor) schien Warnung genug. Am 13. Juli konnte der
Rat 10630 polnische Gulden abliefern, aber wie die Restschuld begleichen? Für
den nächsten Tag berief der Rat die Gemeindevertreter ins Steinhaus, offenbar
weil militärische Befehlshaber das Rathaus beschlagnahmt hatten. Man beschloß,
das private Silber- und Zinnwerk anzugreifen, ebenso alles Silber des Gewerkes,
wie die Willkommen-Humpen, und auch das Silber des Rates, wie die Vogellette
(vom Pfingstschießen) nicht zu schonen. Den Neustädtern wurde am 17. eröffnet,
sie sollten wenigstens ein Drittel der Restsumme beisteuern, obwohl sie das als
unmöglich ablehnten; aber das „Landvolk" sollte ihnen mit Silber, Kupfer,
Messing und Zinn Hilfe leisten. Am 18. wurden die Bürger des 1. und 2.
Stadtviertels, am 20. des 3. und 4. Quartiers auf dem Artushof versammelt und
ihnen klargelegt, daß man auch Kindergelder gegen die Bürgschaft des Rates
angreifen müsse, daß sich aber kein Leistungsfähiger „auf die faule Seite legen"
dürfe, es würde ihm nötigenfalls der Eid über sein Vermögen zugeschoben werden.
Inzwischen reiften drei Ratsmitglieder nach Elbing und Danzig, und es gelang
ihnen, bei Bekannten 21 000 Gulden aufzubringen. Durch Verhaftung von Ratsherren
suchte der schwedische
Gouverneur Oberst Andreas Erichson die Gelder flüssiger zu machen, und
schließlich wurde unter größten Opfern der Betrag zusammengebracht.
Schon im Juli ergriff der lutherische Prediger Magister Johann Rüdiger von der
Pfarrkirche und ihren Einkünften Besitz, dem der Rat im September 1629 wohl bei
seinem Fortgang auf seinen Wunsch bescheinigte, daß er bisher mit seiner Person
zufrieden gewesen sei. Als Diakon war Magister Andreas Zachert tätig, dem vom
König die Einnahmen aus den Kirchenbenefizien zugewiesen wurden.
Bevor Gustav Adolf Anfang November nach Schweden zurücksegelte, wollte ihn der
Braunsberger Gouverneur in Pillau wegen schwebender Fragen sprechen. Auf seinen
Rat schlossen sich ihm am 5. November die drei Bürgermeister Hans und Andreas
Hintz und Simon Wichmann an. Sie wurden „in gnädiger Audienz" empfangen und
brachten als Hauptwünsche der Bürgerschaft vor: 1. habe der König versprochen,
wenn die Gelder richtig abgeliefert seien, wolle er ihre Privilegien bestätigen;
2. bäten sie um das Recht zur Ausübung ihrer Religion. Aber Gustav Adolf
verschanzte sich hinter seinem Reichskanzler Axel Oxenstierna in Elbing, dem er
in den preußischen Dingen Vollmacht gegeben habe. Nun wurden dieselben
Abgeordneten zum königlichen Statthalter entsandt, aber wie groß war hier ihre
Überraschung, als ihnen auseinandergesetzt wurde, daß der schwedische Taler
nicht mit 42, sondern mit 48 Groschen zu rechnen sei, daß also nicht 70000
Gulden der Forderung genügten, sondern 10000 zuzuzahlen seien. Von der Erfüllung
der Wünsche war natürlich keine Rede, ja Hans Hintz und Wichmann scheinen vom
Kanzler festgehalten worden zu sein. Der Gemeindevertretung wurde dieser
unerwartete Bescheid mitgeteilt, aber keiner „wußte Rat zu Gelde; also ist
überall difficultas (Schwierigkeit) und größter Mangel." Der Rat hielt es bei
dieser Befragung für notwendig, zu „vermahnen und verwarnen, daß jeder sein Mund
in guter Acht haben soll; denn alle Bürger wären der Garnison verdächtig,
gleichsam man den Schweden gedrohet hätte." Durch Anleihen in Königsberg und
Beitreibungen mußte der Rat die Restsumme beischaffen.
Schon aus diesem Beispiel ist die Verarmung und Not der Bürgerschaft erkennbar.
Nun mußte die Stadt aber im Winter 1626/27 drei Kompagnien finnischer Reiter
unter ihrem Oberstleutnant Zacharias Pauli und 5 Kompagnien finnischer
Infantilsten unter dem Obersten von Nessa beherbergen und verpflegen. Was diese
Quaitierlasten für den einzelnen Hausstand 121 bedeuteten, welche materiellen Opfer, Demütigungen und Zusammenstöße sie mit
sich brachten, sei später an ein paar Beispielen aus d. J 1629 beleuchtet.
Nachdem der Schwedenkönig den preußischen Kriegsschauplatz verlassen hatte,
gingen die Polen zum Angriff vor. Mitte Dezember begegnen wir einer ihrer
Abteilungen im „fichtenen Wäldchen zwischen Braunsberg und Frauenburg", um einen
aus 14 Fahrzeugen bestehenden Transport von Heringen, Salz und anderen
Lebensmitteln abzufangen; doch wußte man dem bekannt gewordenen Anschlage durch
Umleitung zu entgehen. Am 6. Januar 1627 erfolgte auf Befehl der polnischen
Heeresleitung ein gleichzeitiger Ansturm auf mehrere von den Schweden besetzte
preußische Städte; auch Braunsberg wurde von den Polen berannt, doch endete das
Unternehmen verlustreich und erfolglos.
Etwa in den März dürfte die Freveltat schwedischer Soldaten zu setzen sein, von
der zwei Briefe des bei Braunsberg lagernden polnischen Husaren-Obersten
Kozakowski vom April die erste Kunde geben. Damals hing in der Nähe der heutigen
Kreuzkirche am Wege nach Neu-Passarge an einem alten Eichenstamm ein auf Holz
gemaltes Bild des gekreuzigten Heilandes; Gott Vater hält die beiden Arme des
Kreuzesstammes, darüber schwebt der Hl. Geist in Taubengestalt. An diesem
Heiligtum kamen dauernd schwedische Soldaten vorüber, wenn sie von ihren
Schiffen von der Passargemündung zur Stadt wollten. Nun ließen sich drei rohe
Kameraden dazu hinreißen, an diesem Zeichen „papistischen Aberglaubens" ihren
Frevelmut auszulassen. Sie legten an und durchbohrten mit Flintenkugeln die
beiden Kreuzesarme und das Gewand, mit dem Gott Vater bekleidet ist. Aber den
Schußöffnungen entquoll eine rötliche Flüssigkeit, die von vorübergehenden
Katholiken als Blut angesehen wurde, wodurch der Allmächtige in wunderbarer
Weise das Verbrechen der Gotteslästerung offenbaren wollte. Die ruchlose Tat und
die blutige Erscheinung konnten in der gequälten Braunsberger Bevölkerung nur im
geheimen erörtert werden, aber die Kunde davon drang später auch zu den
polnischen Truppen, die unter dem Prinzen Wladislaus bei Regitten lagen. Im
Auftrage des Prinzen holte der aus Demut stammende Kapitän Lambert Ehlert in
einer stürmischen Nacht das geschändete Bild vom Eichenstamme und brachte es ins
polnische Lager. Wladislaus schickte es auf Rat seiner Offiziere über Mehlsack,
wo ihm von der Einwohnerschaft und der polnischen Besatzung ein feierlicher
Empfang bereitet wurde, zu seinen königlichen Eltern nach Warschau, und hier
wurde es am 13.
Oktober 1628 in Prozession durch die Straßen der Hauptstadt getragen. Religiöse
und nationale Gründe waren es, die dem von dem schwedischen Feinde entweihten
Kreuzbilde in Polen hohe Verehrung zuteil werden ließen. König Sigismund III.
stellte es in einem Zimmer seines Schlosses auf, und hier verblieb es auch unter
seinen Söhnen und Nachfolgern Wladislaus IV. und Johann Kasimir, bis es der
Bischof von Kiew Thomas Ujeyski i. J. 1672 an feinen Ursprungsort zurückbrachte.
Hier war schon i. J. 1651 von den Jesuiten an der Stätte des Frevels eine
hölzerne Kapelle errichtet worden, die
i. J. 1669 - 70 einem vergrößerten Neubau
Platz machte, bis am 2. September 1731 die jetzige massive Kuppelkirche mit dem
denkwürdigen Kreuzbilde im Hochaltar durch bischöfliche Konsekration ihrer
Bestimmung übergeben wurde.
Im Mai 1627 kehrte König Gustav Adolf mit frischen Regimentern nach Preußen
zurück, und damit setzte sogleich beiderseits eine kräftige Offensive ein.
Während der König vor Dirschau lagerte, suchten stärkere Truppen unter dem
Kommando des Starosten von Halle Potocki zur Neustadt vorzudringen und die
Altstadt durch Überrumpelung zu nehmen. Bei dem in der Stadt herrschenden
Unwillen über die schwedische Gewaltherrschaft gelang es ihnen, einige Bürger zu
einem geheimen Anschlag zu gewinnen. Von der Wohnung des Schmiedes Andreas
Meißner im Kütteltor arbeitete man ein Loch durch die Stadtmauer, um nachts
polnische Soldaten einzulassen. Diese sollten innerhalb der Stadt die Torwachen
überfallen und töten, indessen von draußen die Polen eindrangen. Schon waren in
der Nacht vom 10. zum 11. Juni etwa 15 Polen im Keller des Schmiedes, der auch
Bier ausschenkte, beisammen, als der Major der Garnison die Runde ging. Als der
eine brennende Lunte sah und die unbekannten, lärmenden Stimmen derer hörte, „so
sich ein Herz zu machen bezechet hatten und jauchzeten", traf er in das Haus und
rief: „Wer da?" Die Antwort: „Gut Freund!" genügte ihm nicht, und er fragte, was
für ein guter Freund gemeint sei. Da fingen sie in ihrer Trunkenheit an zu
schimpfen, zeigten ihre brennenden Lunten und nahmen eine drohende Haltung ein.
Der Major schrie nun nach der Wache und ließ in den Keller schießen, so daß
einige getroffen niedersanken, die übrigen aber zurückwichen. Nun wurde die
ganze Garnison alarmiert und der Anschlag vereitelt.
Schon am nächsten Tage mußte der Rat eine genaue Untersuchung über den
„verräterischen Anlauf" vornehmen; quartierweise wurde die Bürgerschaft
vernommen und festgestellt, daß schon seit acht Tagen einige Neustädter in dem
Meißnerschen 123 Hause ein- und ausgegangen seien. Die drei Hauptschuldigen, die von dem
Vorhaben gemußt und die Werkzeuge verschafft hatten, wurden auf Befehl des
Stadtgubernators mit einem grausamen Tode bestraft: Meißner sollte lebendig
gespießt weiden, Hans Prange sollte enthauptet und geviertelt werden, der Kopf
auf einen Pfahl gesteckt und die Körperviertel aufs Rad geflochten werden;
Christoph Zimmermann sollte auch geköpft und gepfählt und sein ganzer Körper
gerädert werden. Andere Verdächtige wurden verhaftet.
Auf die Kunde von der Bedrohung des wichtigen Braunsberg durch die Polen brach
der Schwedenkönig am 17. Juni die Belagerung von Dirschau ab und rückte mit
einem Viertel seines Heeres und 10 groben Geschützen gen Braunsberg, wo er am
21. die Polen in der Neustadt und ihrem nahegelegenen Lager antraf. Die Polen
forderten den König zum Scharmützel heraus; dieser aber erwiderte, wie ihm zwar
nicht mit Scharmützel und Kampf, sondern mit was mehrem für diesmal gedient sei,
aber er wolle ihnen folgenden Tages begegnen. Trotzdem folgte er dem
zurückgesandten Voten auf den Fersen nach. Sobald die Polen seines Heeres
ansichtig wurden, räumten sie Vorstadt und Lager und ließen bei 50 Last Hafer,
über 100 Fuder Heu und 2 Geschütze zurück. Nachdem der König aus Pillau und
anderen Orten über Wasser noch beträchtliche Verstärkungen erhalten hatte, so
daß sein Heer auf 6 000 Mann anwuchs, wandte er sich am 23. Juni nach Mehlsack,
das er einnahm, plündern und niederbrennen ließ. Das von einer starken
polnischen Besatzung verteidigte Wormditt wagte er nicht zu bestürmen und kehrte
deshalb mit seinen Streitkräften am 26. nach Braunsberg zurück. Am 29. bestieg
er mit kleinem Gefolge eine Jacht und fuhr nach Pillau hinüber, um dort das neue
Befestigungswerk zu besichtigen und weitere Befehle zu erteilen. Während seiner
Hinreise kam durch Unvorsichtigkeit seiner Soldaten, die sich „mit der Beute
über Gebühr fröhlich erzeigeten", in der Neustadt ein Schadenfeuer aus, das 7
wohlgebaute Scheunen und darin über 100 Pferde von 6 Kompagnien des
Oberstleutnants Kallenbach, Rittmeisters Benheim und anderer samt „vielem
reisigen Zeug an Rüstungen, Pistolen, Satteln u. dgl." verzehrte. Als die
Schwadronen Anfang Juli im großen Werder Quartier bezogen, sollten sie sich hier
von dem Feuerschaden erholen und neu ausstaffieren.
Für den 12. November hatte Reichskanzler Oxenstierna Vertreter der besetzten
Städte, so auch von Braunsberg, nach Elbing geladen. Außer der Bespeisung von
300 Mann verlangte er ein halbes Jahr hindurch Geldzahlung von 24 000
Gulden, die er dann auf 16 000 ermäßigte. Bei dieser Gelegenheit baten die
Braunsberger um einen katholischen Priester. Aber der Kanzler schlug die Bitte
kurzweg ab. Auf das weitere dringende Ersuchen, daß die Kirchen „nicht also
spoliieret" (beraubt) werden möchten, erwiderte er: „hin ist hin," wollte aber
an den Braunsberger Gubernator schreiben, daß fortan ohne königliche Erlaubnis
nichts weiter weggenommen werden sollte. Wie sehr die vielfältige Not die
Bürgerschaft dem Kummer und der Verzweiflung anheimfallen ließ, ist daraus
ersichtlich, daß sich im März 1628 der Bürgermeister Hintz in einem Anfall von
Schwermut „mit einem kleinen Messerlein die Gurgel abschnitt und ums Leben
brachte".
Gegenseitige Plünderungszüge, so der Polen Ende Januar 1628 vor Braunsberg,
denen die Obersten Nessa und Pauli mit 1500 Mann nachsetzten, und der Schweden
Ende März in die Heilsberger Gegend bildeten die Kampfhandlungen der feindlichen
Parteien. Als dann Gustav Adolf im Mai in Preußen erschien, beorderte er den
größten Teil der Garnisonbesatzungen für seine westpreußischen Unternehmungen,
die doch zu keinem entscheidenden Erfolg führten.
Auf Befehl des Reichskanzlers mußte die Braunsberger Bürgerschaft im Sommer zwei
Häuser in Pillau bauen von 34 Schuh Länge und 16 Schuh Breite. Ein königlicher
Ingenieur schlug der Gemeindevertretung vor, die Häuser vor der Stadt, „so der
Defension (Verteidigung) und forteza (Festung) hinderlich sein," abzubrechen und
für Pillau zu verwenden. Die Gemeinde war aber nur für den Abbruch des
Ratsmalzhauses, hatte übrigens bei den Bauten Aufwendungen von 1145 Gulden. Im
August mußte sie zur Verstärkung der Befestigungen unter Leitung eines
schwedischen Ingenieurs und Hilfe der Soldaten einen Schutzwall um die Kupfer-
und große Mühle aufführen, was weitere Kosten von 528 Gulden verursachte.
Nässe und Mißwuchs erzeugten Viehsterben und Seuchen, die auch unter den
schwedischen Truppen sehr viele Opfer forderten.
Am 3. November reiften Simon Wichmann und Michael Protmann erneut zum König nach
Pillau, um wegen der Bestätigung ihrer Privilegien und der Bespeisung der
Garnison vorstellig zu werden; aber zu der ersten Bitte äußerte Gustav Adolf im
Tone der Selbstverständlichkeit: „Wie änderst?" zeigte aber für die religiösen
Wünsche der katholischen Bürgerschaft nicht das geringste Entgegenkommen. Wenn
er aber wegen der Quartierlasten möglichste Schonung versprach, so
125 zeigte sich recht bald, wie wenig der Kanzler Oxenstierna dieser Zusicherung
nachkam. Er verlangte eine neue Kontribution von 15 000 Talern, die binnen 5
Monaten zu zahlen sei. Die Gemeinde, die am 1. Dezember sorgenvoll zusammentrat,
beschloß, monatlich 1000 Gulden zu bieten und eine Verkaufssteuer auf Heringe,
Salz, Roggen usw. aufzulegen, im übrigen aber um eine Ermäßigung der Summe zu
bitten. Oxenstierna, der die Soldforderungen seiner Offiziere und Mannschaften
nicht mehr befriedigen konnte, setzte zwar die Kontribution auf 10000 Taler
herab, erklärte aber, „sie mögen genommen werden, woher sie kommen," und lieh
sich auch durch wiederholte Vorstellungen der weit über ihre Leistungsfähigkeit
erschöpften Stadt nicht zur Nachgiebigkeit bewegen. Hier lagen in diesem Winter
5 Kompagnien deutsche Reiter unter Oberstleutnant Nessa, die im Dezember mit
„allerleifarben Tücher" neu eingekleidet wurden. Im April 1629 forderte Oberst
Ehrenreuter von Wormditt 2000 Taler der rückständigen Kontribution: „wo die
Gelde nicht in parat (bereit) sein werden, wollte man etwas anderst der Stadt
beweisen." Wie es hier aber aussah, zeigt in erschütternder Sprache das
Protokoll der Gemeindesitzung vom 24. April: Beim Bollwark ist hochnötig zu
scheppen (baggern), aber kein Geld dazu. Weder Saathafer noch Geld dazu ist
vorhanden. Die Bauern können nicht mehr scharwerken wegen Mangel der Pferde; man
weiß nicht Pferde aufzutreiben, wenn eilige Post gefordert wird. Die ruinierten
Wehren zu bessern, fehlt es an Dielen. Im Mai sollte man trotzdem 20 000 Pfähle
7 Schuh lang und 1 Schuh breit nach Pillau liefern, wollte aber mit dem
Gouverneur reden, ob dazu die Schloßbauern herangezogen werden könnten.
Im August sah sich der Rat wegen der „grassierenden Pestgefahr" veranlaßt,
durch die Bürgerschaft Tagwachen in den Toren einzustellen, weil die Soldaten
die fremden Durchreisenden nicht kannten. Aus diesem Monat haben wir eine Reihe
Beschwerden über die schottischen Quartiergäste, die sich besonders
anspruchsvoll und undiszipliniert benahmen. Sie verlangen „Tafelbier, viel
Betten, auf jedes Bett zwei Laken, brechen Kammern mit Gewalt auf, wollen an
Sonntagen Zugemös (Gemüse) und Bier haben, jagen die Leut aus ihren Betten und
nehmen vor sich heraus, was ihnen dienet. Dem Voigtlender hat ein Soldat 2 Topf
mit Tafelbier vorn Kopf geworfen, Bette aus dem Haus anderwärts genommen,
gestern aufn Abend ihm die Tür mit einer Axt wollen aufbrechen. Den Kleinschnitt
ist einer mit bloßem Messer zu Halse gelaufen, dem Peter Rohden die Kammer mit
einer Musketen aufgeschlagen.
Fordern und brennen den Tag durch Licht beim Tabak und sollen ihnen der Fisch
fett aus der Putter gekocht werden; Gregor Zimmermann klaget, daß sie ihn
geschlagen haben und ihm den Arm zerschmettert; desgleichen bei Mattes Kirsten
haben sie sich lassen Bier auftragen, als nun die Tochter die Zahlung fordert,
haben sie mit Schlage ausgezahlet, und was des mutwilligen, unbändigen
Gesindlnis übermütiges, mutwilliges Beginnen mehr übergelaufen."
Die mit großen Hoffnungen begrüßten Friedensverhandlungen ermutigten den Rat am
7. September in einer Supplikation an den König um Abstellung solcher
Beschwerden zu bitten. Die einquartierten deutschen Reiter und schottischen
Soldaten begehrten nicht allein Holz, Salz, Essig, sondern auch allerlei Gewürz;
jeder wolle ein aufstehendes Bett besonders haben, sie traktierten ihre Wirte
nicht allein mit bösen Worten, sondern auch mit Schlägen. Mit ihrem Servis sind
die schottischen Kapitän nicht befriedigt, halten daneben große Banketts bis in
und durch die ganze Nacht; dazu muß ihnen der Hauswirt auch frei Holz, Salz,
Essig, Gewürz und andere überflüssige Zubehörung schaffen und nicht allein des
Nacht unterschiedliche Tafellicht, sondern auch den Tag durch beim Tabakpfeifen
frei Licht auftragen; und wollen darüber in der Woche zweimal ihre Bette mit
reiner Leinwand überzogen haben. Nicht ungleicher hausieren die gemeinen Knechte
schottischer Nation, welche nicht allein die Gekochgarten bei der Stadt
gewaltsam ausreißen, sondern auch bei den naheliegenden Dörfern mit Kisten- und
Kastenanschauen und anderem Mutwillen großen Schaden tun." Deshalb wünschte man,
da die Stadt dem Vernehmen nach unter schwedischem Gubernament bleiben sollte,
Quartiergäste schwedischer Nation, bat aber, wegen völliger Erschöpfung von
weiterer Kontribution verschont zu werden, und endlich um ein „frei öffentlich
erercitium catholicae religionis" (Ausübung der katholischen Religion) und
Zulassung eines katholischen Priesters.
Als am 26. September zu Altmark ein sechsjähriger Waffenstillstand das
unentschiedene Ringen ablöste, verblieben Braunsberg und Tolkemit mit ihrem
Gebiet bei Schweden. Den religiösen Wünschen der Passargestadt wurde wenigstens
insofern Rechnung getragen, als den Katholiken die kleine neustädtische Kirche
freigegeben wurde.
Die trotz aller Vorsichtsmaßnahmen um sich greifende Pest, die dauernde
Quartierlast und neue Kontributionen waren Grund genug zu dem ergreifenden Gebet
des Stadtschreibers 127 in den Ratsakten zu Beginn d.
J. 1630: salve nos, domine, perinus: Rette uns,
o Herr, denn wir gehen zugrunde!
Der alte Brauch, zu Petri Stuhlfeier (22. Februar) vor der Bürgerschaft
feierlich die Ratswahl und den Wechsel der Ämter vorzunehmen, war in den
letzten Leidensjahren außer Übung gekommen; jetzt nach Abschluß des
Waffenstillstandes wurde er der Notzeit entsprechend schlicht wieder aufgenommen
und der in Krieg und Frieden vortrefflich bewährte Simon Wichman zum
präsidierenden Bürgermeister erkoren. Einer angesehenen Braunsberger Familie i.
J. 1581 entsprossen und auf den Schulen seiner Vaterstadt klassisch gebildet,
gehörte er seit 1623 dem Rate an, wurde bald einer der drei Bürgermeister und
bewies nicht nur bei der Eroberung der Stadt seinen persönlichen Heldenmut,
sondern leistete auch seinen Mitbürgern durch seine kluge und gerechte Führung,
vor allem auch durch seine charaktervollen Verhandlungen mit den schwedischen
Machthabern wertvolle Dienste. Schon im März finden wir ihn wieder bei Kanzler Oxenstierna in Elbing, um die Freigabe der leerstehenden Jesuitenkirche für die
Katholiken zu erwirken; vergeblich, der Kanzler schützte den Altmarker Vertrag
und den königlichen Willen vor. Der katholische Priester, über dessen Berufung
sich der König das Patronatsrecht vorbehalten, müsse der Krone Schwedens
vereidigt werden und dürfe nicht einer von Heilsberg sein, sondern aus
Frankreich (!) oder Deutschland, dürfe auch nicht dem Heilsberger Bischof
unterworfen und vor allem kein Jesuit sein. Als nun Wichmann den alter Pfarrer
Friese vorschlug, der ein frommer, stiller Mann sei, meinte der Kanzler, der sei
auch ein Jesuit. Darauf wurde ihm klargemacht, daß die Stadt ihre besonderen
Pfarrer und Priester gehabt habe, worauf er sich schließlich mit der Berufung
einverstanden erklärte; mißtrauisch fügte er noch hinzu, der katholische Pfarrer
dürfe wohl Briefe schreiben, aber „keine Praktiken machen wie dem Schmiede
helfen, Mauern durchhauen."
Bild: Bürgermeister Simon Wichmann.
*1581 + 1638
Original im Amtszimmer des Bürgermeisters im Braunsberger Rathaus.
Photo: Robert Schubert, Braunsberg
So war endlich nach vier Jahren für die Braunsberger die gegründete Aussicht da,
öffentlichen katholischen Gottesdienst und eine geregelte Seelsorge, wenn auch
in bescheidensten Grenzen, wieder zu erhalten. Unter den rückwandernden
Flüchtlingen stellten sich jetzt auch 9 Nonnen ein, die den Schweden aber als
staatsgefährlich erschienen und den Reichskanzler im August zu einer Anfrage
beim Magistrat veranlaßten. Erst am 26. Juli wurden die Schlüssel der
neustädtischen Kirche dem altstädtischen Rat überliefert; die letzten
Hindernisse zur Abhaltung des katholischen Gottesdienstes scheinen jedoch erst
bei einem Besuch des Reichskanzlers Oxenstierna gefallen zu sein. Am 2. Dezember wollte
der Rat ihm ein Präsent offerieren, „damit man wieder einen gnädigen Herrn haben
möchte", und beschloß, ihm einen vergoldeten Pokal im Werte von 140 Gulden und
dazu 300 Taler zu verehren. Bürgermeister Wichmann sollte allerdings zuvor den
Sekretarius fragen, „ob solches dem Herrn Reichskanzler auch annehmlich sein
möchte." Immerhin konnte am 10. Dezember „auf des Rats Vokation der
achtbarwürdige und hochgelahrte Herr Laurentius Frisius gewesener Pfarrherr
feiner verlassenen Schäflein väterliche Sorge und Cur wiederumb in diesen
gefährlichen Zeiten auf sich nehmen." Als Kaplan wurde ihm der frühere Pfarrei
Jakob Paternoster beigesellt, der in den letzten Jahren „viel Gutes bei der
Bürgerschaft getan", im geheimen den Katholiken die Sakramente und geistlichen
Trost gespendet hatte. Ihren Unterhalt bestritten sie aus opferwilligen Spenden
der Bürgerschaft, da die lutherischen Prediger die Einkünfte der Pfarrgüter und
kirchlichen Stiftungen bezogen. Sie durften übrigens nicht einmal in der
Altstadt in dem Hause des Georg Schmidt wohnen bleiben, sondern wurden auf
fremde Veranlassung in die Neustadt verwiesen.
Der schwedische Kanzler stieß in seinem Bestreben, die Selbstverwaltung und das
angestammte Bekenntnis der Bürgerschaft zu unterhöhlen, auf zähen Widerstand des
Rates. Die Spannungen wuchsen. Als die Mühle am 1. April 1631 abbrannte, schoben
die Schweden die Schuld daran der katholischen Bürgerschaft zu. Am 16. ernannte
Oxenstierna den Arzt Dr. Peter Burmeister zum Braunsberger Burggrafen, der im
Juli mit drei anderen Evangelischen, die eben das Bürgerrecht erworben hatten,
in den Rat aufgenommen werden mußte. Er bestimmte, daß die bisherigen Kirchen-
und Spitalväter abgesetzt und durch evangelische ersetzt würden und alle
unmündigen Kinder evangelische Vormünder erhielten. Licentiat Andreas Hoyer aus
Danzig, der nach dem Abzuge des Hauptpredigers Rüdiger (September 1629) nach
Braunsberg gekommen war, beantragte am 30. Juli, daß das Kolleg für ihn instand
gesetzt werde, da er als erster Inspektor eine neue höhere Schule eröffnen
sollte. Der Rat mußte dazu einen „gemeinen Hausschoß" von 10 Groschen auf alle
Kirchspielskinder ausschreiben.
Im August verlas der Reichskanzler den ins Steinhaus berufenen katholischen
Ratsmitgliedern eine Reihe von Verwarnungen und Verordnungen, wie die, daß
niemand die Ausbreitung des Evangeliums hindern und durch Wort oder Tat die
Katholiken vom Evangelium abhalten dürfe, daß die katholische Schule in der
129 Neustadt aufzulösen sei, daß kein Bürger seine Kinder nach einer auswärtigen
Schule — gemeint war das eben begründete Jesuitenkolleg Rößel — schicken dürfe
bei Verlust der Güter, daß auch die katholischen Bürger in der lutherischen
Pfarrkirche taufen und trauen lassen sollten. Wenigstens dieser letzte
Gewissenszwang wurde von dem Kanzler nach einigem Zögern zurückgenommen.
Am 11. Dezember 1632 erst langte von Elbing her die Nachricht an, daß Gustav
Adolf „in dem blutigen Treffen vor Lützen in Leibes- und Lebensgefahr geraten
und zeitlichen Todes gefallen sei. Damit nicht etwa durch Unbedachtsamkeit der
Soldateska Ursach zu Unwillen und bösem Argwohn gegeben werde, ist der
Bürgerschaft angesagt, daß sie sich hinfort aller äußerlichen Musik,
Saitenspiels und Fröhlichkeit enthalten sollen, sich auch in der Zeit, bis etwas
Gewisses einkommt, mit Worten, Sitten und Gebärden also erzeigen und stellen,
damit die Soldateska und andere nicht bösen Argwohn nehmen, als täte man sich
des Unglücks und Unfalls erfreuen." Am 15. wurde dann dem Rat im Schloß die
amtliche Todesnachricht bekannt gegeben. Daraufhin wurden Kanzeln und Altar in
beiden Kirchen mit schwarzem Trauertuch bekleidet und alle musikalische
Fröhlichkeit untersagt. Nunmehr sollte die Bürgerschaft gemäß ihrem Eid bei der
Einnahme der Stadt der jungen Königin Christine treu und hold sein.
Am 21. März 1633 erschien Feldmarschall Hermann Wrangel in der Stadt. Er befahl,
daß zur größeren Sicherheit des nunmehr außenpolitisch gefährdeten Stützpunktes
neue Wallungswerke errichtet würden. Die Altstadt führte mit einem Kostenaufwand
von 3289 Gulden ein Hornwerk (2 halbe, hörnerähnliche Vorwerke) vor dem Hohen
Tor und mit einem Aufwand von 1460 Gulden eine Revalin (inselartiges Fort) auf
dem Reiserdamm auf. Die Neustädter mußten den Wallbau vor dem Mühlentor
erstellen. Diese starken, durch Sturmpfähle mit Eisenspitzen und Gräben
geschützten Verteidigungsbauten sieht man auf dem ausgezeichneten Stadtplan von
1635, den der Amtsschreiber Paul Stertzell in sorgfältiger Aufnahme zeichnete
und durch Conrad Götke in Kupfer gravieren ließ. Die Platte schenkte Stertzell
am 13. September dem Rate, der sie als „ewiges Gedächtnis" gern entgegennahm und
sich mit einem Honorar von 100 Gulden erkenntlich zeigte. (Abbildung 2.)
Inzwischen hatte das Unglück, das nach Gustav Adolfs Tod über die Schweden
hereingebrochen war, besonders der Verlust der Schlacht von Nördlingen (5. 9.
1634) sie geneigt gemacht,
den Waffenstillstand mit Polen nach Ablauf des Altmarker Vertrages für weitere
26 Jahre zu verlängern. So wurde denn unter Vermittlung der englischen,
französischen und brandenburgischen Gesandten am 12. September 1635 in
Stuhmsdorf ein Vergleich geschlossen, wonach Schweden die in Preußen besetzten
Orte, darunter auch Braunsberg, ihrem Landesherrn zurückgab. Am 16. langte die
Freudenkunde in der ermländischen Hauptstadt ein. Gott hatte endlich „die
vielfältigen schweren Seufzer und bitteren Tränen in Gnaden erhört und sein
hochbedrängtes Volk von der schweren Dienstbarkeit und Drangsal der fremden
Herrschaft erlöst." Auch die Schweden waren des langen Krieges überdrüssig,
freuten sich des Friedens. In den Kirchen fanden Dankgottesdienste für die
beiden Bekenntnisse statt. Nachmittags wurde die ganze Garnison bewaffnet, teils
rund um die Stadt auf die Mauern, teils an die Schanzen, teils auf den Markt
geführt und mit brennenden Lunten aufgestellt. Dann krachte aus allen groben
Stücken rings um die Stadt der Donner der Geschütze, und die Musketiere auf dem
Markt und den Mauern antworteten mit den Salven ihrer Gewehre. Noch einmal
wiederholte sich diese militärische Freudenkundgebung, das weithin schallende
Signal, daß die Kriegsnot nunmehr ihr Ende gefunden habe.
Nun verabschiedeten sich die fremden Zuzöglinge, die von den schwedischen
Machthabern verlassene Bürgergrundstücke erhalten hatten, darunter die
evangelischen Herren des Rates, denen auf ihre Bitten Zeugnisse ihres
Wohlverhaltens ausgestellt wurden.
Am Mittwoch, 3. Oktober erfolgte die feierliche Übergabe der Stadt. Kommandant
der Schweden war damals Oberst Andres Koßkull aus Livland, der ein Regiment
Fußvolk befehligte. In und vor der Stadt lagen drei Fahnen Deutscher unter Major
Kiest und den Kapitänen Schnur und Dürast, ferner drei Fahnen Schweden unter
einem unbekannten Major und den Kapitänen Jost Brockenhusen und Nils Steffenson
und das unvollständige Regiment des Andres Wasen. Mittags um 1 Uhr kam der
Oberst der polnischen Leibgarde Reinholt von Rosen in einem Wagen in die Stadt,
ihm folgte der Dompropst und Offizial Albert Rudnicki als Vertreter des
ermländischen Bischofs Nikolaus Sziszkowski. Sie gingen zwischen 3 und 4 Uhr
aufs Schloß und mit ihnen die Bürgermeister und Nettesten des Rats. Koßkull trat
zu ihrer Begrüßung auf den Platz, richtete einige Worte an sie und übergab die
Schlüssel der Stadt und des Schlosses im Namen der Krone Schweden an Oberst
Rosen als Vertreter Polens. Dieser 131 reichte sie an den bischöflichen Kommissar Rudnicki weiter, und dieser
lieferte sie Bürgermeister Wichmann aus. Dann ward die schwedische Trommel
gerührt, die Kriegsknechte sammelten sich auf dem altstädtischen Markte, und
zwischen 5 und 6 zogen sie in guter Ordnung mit fliegenden Fähnlein, Sack und
Pack, ohne allen zugefügten und empfangenen Schaden, mit vielem Krachen und
Schießen, Umsehen und Seufzen durchs Hohe Tor hinaus zum Haff, wo Schiffe ihrer
warteten.
Bevor die Schweden abrückten, hatten sie zwei entlaufene Fußknechte erwischt;
den einen, einen Deutschen und Katholiken, ließen sie laufen, den andern, einen
Engländer und Kalvinisten, henkten sie auf dem Markt gegenüber der
Stadtschreiberei. Am Abend ließ Oberst von Rosen die Leiche abnehmen, im Feld
begraben und den Galgen durch den Büttel umhauen.
Am nächsten Vormittag hielt Pater Andreas Klüngel in der Jesuitenkirche ein
feierliches Amt. Danach versammelte sich der ehrsame Rat im großen Remter des
Schlosses, die Bürgerschaft unten im Hof, um dem ermländischen Bischof den
Huldigungseid zu leisten. Zuvor rühmte Rudnicki in lateinischer Rede höchlich
die in schwerster Zeit bewiesene Treue der Bürgerschaft gegen ihre
Landesherrschaft und Religion und versprach ihnen Bestätigung und Mehrung ihrer
Privilegien. Nachmittags wurde die St. Katharinenkirche durch den bischöflichen
Kommissar neugeweiht und nach einer Litanei das Te Deum mit Trompetenbegleitung
gesungen, während polnische Truppen Kanonenschüsse lösten. Pater Klünger und
Simon Berent übernahmen das arg geplünderte und verwüstete Besitztum ihres
Ordens, und allmählich bevölkerten sich wieder die verlassenen Anstalten mit
Lehrern und Schülern.
Von der ganzen Bürgerschaft aber waren nur noch 68 Mann übriggeblieben, von
denen 23, darunter auch Bürgermeister Wichmann und der Stadtnotar Martin
Schröter, der Zunft der Kaufleute und Mälzenbräuer angehörten, je 9 waren
Schuster und Bäcker, je 5 Tuchmacher und Schneider, 4 Schmiede, 3 Kürschner, je
2 Böttcher, Höker und Riemer, je 1 Töpfer, Leinweber, Kannengießer und Tischler.
„Daß aber dieser Zeit eine solche Rarität und Wenigkeit der Bürgerschaft
befunden, ist nicht zu verwundern; denn der vornehmste und reichste Teil
derselben, die vorm Kriege ihrem Vermögen reputierlich und ansehnlich genug war,
teils anno 1627 durch viele Mühe und Widerwillen, teils anno 1629 durch
grassierende Pest aufgeraffet hinweggestorben, teils auch der Stadt verzogen und
in fremden Orten ihr Domicilium angeleget."
9 Jahre, 2 Monate und 23 Tage hatte die schwedische Fremdherrschaft gedauert. An
Kontributionen rechnete der Stadtsekretär einen Gesamtbetrag von 166 548
polnischen Gulden, an Bauten und sonstigen öffentlichen Leistungen 9178 Gulden
zusammen. Wenn wir hören, daß i. J. 1636 das Gut Rosenort und die Wecklitzmühle,
einen Verkaufspreis von 9000 Gulden erbrachten, gewinnen wir einen ungefähren
Maßstab für die Beurteilung dieser Verlustziffern. Diese gewaltigen Summen waren
größtenteils von der Bürgerschaft aufgebracht, zum Teil auch geliehen. „Was
sonsten an unterschiedlichen Reisen, Unkosten, Honorarien (Ehrengeschenke),
Stationen (Post) und Extraordinarien (außergewöhnliche Leistungen) aufgegangen;
item wie jämmerlich die Stadtwalde mit Staketen (Latten), Kortegarden, Holz und
durch schwedischen Schiffsmajor verhauen, ist hierin nicht comprehendieret
(eingerechnet). Denn was die Bürgerschaft an Privatkonten, Alimentation
(Verpflegung). Bettkleider, Laken, Tisch- und Handtücher, Servis, Licht, Esser
(Essig), Pfeffer, Salz, Holz und andere Beschwerd getroffen, wird mancher und
sein Nachkömmling besser gedenken als verschmerzen und erwinden."
Am 5. Oktober trat der aus 10 einheimischen Mitgliedern bestehende Rat zu
seiner ersten freien Sitzung zusammen und beglückwünschte einander. Nun waren
sie wieder Herr im Haus und durften des zum Zeichen mit den zurückerlangten
Stadtschlüsseln die Tore schließen, wenn es gegen Abend beginnt zu schimmern und
die Schließglocke geläutet ist und die Bürger die Wache bezogen haben.Im
Dezember verlautete, Bischof Sziszkowski und König Wladislaus IV. wollten in
Kürze die Stadt besuchen. Man wollte die hohen Gäste bei ihrem ersten Einzüge
„mit Manier" einholen: Das schien aber schwierig, da nicht alle Bürger bewaffnet
waren. Man beschloß eine Musterung und die Anschaffung neuer Trommeln und
rotweißer Fahnen. 3 Kompagnien zu Fuß und möglichst viele Reiter sollten
ausstaffiert werden. Am 5. Januar 1636 erschien der polnische Kommissar
Alexander Butler, der in Braunsberg bei den Jesuiten studiert hatte und beim
Schwedeneinfall dem Feind mit einer Muskete entgegengetreten war, um im Namen
des Königs dessen großes Mitleiden mit der Stadt wegen der ausgestandenen
Drangsal und Verfolgung und Freude über die Erlösung auszusprechen, zugleich
aber auch die Anerkennung, daß „die Bürgerschaft im ersten Angriff des Feindes
also getreu und parat (bereit) und nach Vermögen dem feindlichen Anfall
Widerstand getan, daß sie dadurch bei männiglich Lob und Ehr erlanget, in
Ansehung, 133 daß sie mehr getan als andere Städt mit mehr und stärker befestiget mit
Stücken. Kriegsmunition und Volk versehen. gleichwohl nicht ein einzigen Schuß
dem Feind entgegengeschickt; hätte also Ihro Kgl. Majestät ein groß Gefallen an
erzeigter Fidelität (Treue) und Standhaftigkeit sowohl im ersten Anlauf als die
Jahr hero bezeuget."
Dieser dankbaren Anerkennung wollte der Polenkönig persönlichen Ausdruck
geben. Zu seinem Empfange traf am 13. Februar Bischof Sziszkowski in Braunsberg
ein. Diesen holte eine berittene Kompagnie junger Bürger vom Kreuz im
Neustädter Feld ein. Hier überreichten ihm die Bürgermeister, die im Wagen
mitgefahren waren, die Stadtschlüssel in rotem Taft, die er ihnen mit
freundlichen Worten wiedergab. Dann bewegte sich der Zug zur Stadt, wo
Trompetensignale und Kanonenböller ihn begrüßten. 3 Kompagnien mit Ober- und
Untergewehr bildeten von der Vorstadt bis zum Schloß „eine Gasse." Sie führten
drei verschiedene Fahnen: eine von weißem Taft mit dem zeitigen Ratssiegel
bemalt: ein grüner Lorbeerbaum, zu beiden Seiten ein Engel, welche zwei
Halbmonde, das Wappen des Bischofs, über dem Baume halten, unten ein Drache mit
einem Hirsch; die klassische Unterschrift lautete: Sub hoc sidere truncata
viresco (Unter diesem Zeichen werde ich auch verstümmelt wieder ergrünen.) Die
zweite Fahne war rot und weiß mit der Stadt großem Wappen, nämlich drei Türme,
darunter im grünen Feld ein laufender Hirsch, oben von einer Seite ein schweres
Ungewitter von Hagel, auf der anderen Seite Sonnenschein; darunter das
lateinische Sprichwort: post nubila Phoebus (Auf Regen folgt Sonnenschein). Die
dritte Fahne war ebenfalls rot und weiß, darin das Gerichtssiegel, ein Kreuz mit
dem ermländischen Lamm. So hatte der Rat die mittelalterlichen Wappenbilder der
Stadt in barocker Gestaltungsfreude mit dem Gedächtnis an das schwere Erleben
der Schwedenzeit und zuversichtlicher Hoffnung auf eine bessere Zukunft sinnig
verbunden. Der erste Besuch des Bischofs galt der Pfarrkirche, wo das Te Deum
gesungen wurde, dann begab er sich ins Schloß.
Am 15. abends langte auch der König an, der im Kriege als Prinz selbst vor
der Stadt gelegen hatte. Durch Vermittlung seines bischöflichen Unterkanzlers
Peter Gembicki, der ebenfalls im hiesigen Kolleg studiert hatte, empfing
Wladislaus den Rat. Der präsidierende Bürgermeister Lukas Schulz begrüßte ihn,
gratulierte ihn zur „herrlichen Viktorie wider der Krone Feinde" und legte ihm
die überstandene Kriegsnot dar. Im Namen des Königs antwortete dann Gembicki in
lateinischer
Rede, die der tapferen, vorbildlichen Pflichttreue der Braunsberger Bürgerschaft
hohe Anerkennung zollte. Dann ließ der König die Herren zum Handkuß zu, wobei er
Tränen des Mitleids und der Rührung vergoß.
Der Rat aber beschloß, das Eisen zu schmieden, so lange es warm war. Man trug
dem Unterkanzler allerlei Wünsche vor: Da der Stadt im Kriege ihre groben
Geschütze geraubt seien, bitten sie um Ersatz; der Hafen von Frauenburg möge
nicht ausgebaut werden, da er der Stadt zu nahe und zu verderblichem Untergang
sei; der Rat möchte Patrizierrechte genießen, mit rotem Wachs siegeln und das
Stadtsiegel etwas verbessern; die Ratsherren möchten ihre Hausmarke unterm
offenen Helm führen; der König möge von seinem Wappen zum ewigen Zeichen etwas
dazutun, weil alles Unglück für die Stadt vom Hause Wasa durch Gustav und die
Erlösung aus demselben Hause von Wladislaus gekommen sei; da dies
Königsgeschlecht eine Garbe führe, möchte die Stadt dieses Zeichen zur freudigen
Erinnerung übernehmen. Damit aber diese Bitten geneigteres Gehör fänden,
beschloß man, dem Unterkanzler ein kostbares vergoldetes Silbergeschirr zu
verehren. Da er dem König nach Königsberg gefolgt war, suchte ihn dort eine
Deputation auf, an deren Spitze wieder Bürgermeister Wichmann stand, dessen
Initiative wohl die meisten dieser aus einem gesteigerten Lebensgefühl
entsprungenen Ehrungswünsche entstammten. In gnädiger Audienz wiederholte der
Vizekanzler, wie Braunsberg allen Städten die Palme der Treue und
Standhaftigkeit entrissen habe und den verdienten Lohn ernten solle. Das
kostbare Geschenk setzte ihn in Verlegenheit, „da er es um die Stadt nicht
verdienet", doch ließ er sich endlich bewegen es anzunehmen. Freundlich sagte er
den Bitten Erfüllung zu und bat der Einfachheit halber, ihm einen Entwurf für
das Patriziats-Diplom, „wie sie es immer konnten," zu verfassen und nach
Königsberg zuzusenden.
Seinen Versprechungen folgte bald die Tat. Am 11. März überwies der König den
Braunsbergern durch Bischof Sziszkowski als Ersatz 6 Geschütze mit Kraut und
Lot. „daß der Ort wohl bewahrt bleibe", und am 23. Mai konnte Wichmann seinen
erfreuten Ratskollegen das königliche „herrliche und schöne Diploma lateinisch
auf Pergament fein deutlich geschrieben" vorzeigen, das ihm vom Vizekanzler
Gembicki zugegangen war, „darein die Stadt herrlich gelobet wird." Wunschgemäß
wurde ihr altes Wappen verbessert: die beiden ursprünglichen Wappentiere
Lindwurm und Hirsch umstanden jetzt einen grünen Lorbeerbaum im weißen Feld. Neu
hinzukamen zwei Engel, 135 die in einer Hand grüne Lorbeerzweige hielten, oben drei volle Ähren und
darunter zwei Halbmonde, die die Engel mit der andern Hand trugen. Unter dem
Ganzen die Unterschrift: Sub hoc sidere truncata viresco. Weiter erhielt der Rat
das Patriziat und damit das Recht, mit rotem Wachs zu siegeln. Die Familien des
zeitigen Rates wurden zu Geschlechtern d. h. in den Patrizierstand erhoben und
mit Wappen aus gezeichnet, in denen sie über dem weiß-roten Schilde mit dem
Haus- oder Familienzeichen einen offenen Helm mit drei Ähren führen sollten.
Die ausgezeichneten Patrizier waren die drei Bürgermeister Wichmann, Matthias
Kirsten, Lukas Schulz und die Ratsherren Peter Augsten, Peter Schuknecht,
Michael Protmann, Christoph Schmidt, Georg Protmann, Peter Siewert und Andreas
Ludwig. Bürgermeister Wichmann, der wegen seiner ausgezeichneten Tüchtigkeit,
Treue und eifrigen Arbeit für die Vaterstadt noch besonders gerühmt wurde,
durfte in seinen Wappenschild zu seiner Hausmarke noch die Halbmonde des
Bischofs Sziszkowski aufnehmen und außer den Wasa-Ähren über dem Helm einen das
Schwert schwingenden Arm zum Gedächtnis seines bewiesenen Heldenmutes
i. J.
1626. Dieses Wappen weist auch das schöne Brustbild im heutigen Amtszimmer des
Bürgermeister auf, das uns Simon Wichmann den „ersten Patrizier Braunsbergs dem
Range und den Verdiensten nach," im vornehmen Schnürrock und weißen
Spitzenkragen zeigt, das Haupt mit den ernsten, klugen, entschlossenen Zügen und
dem leichten Schnurrbart von langem, dunklem Haar umwallt. Ein anderes weniger
gutes, 1644 gemaltes und 1766 erneuertes Bild, das ihn in Lebensgröße darstellt,
schmückt den alten Stadtverordneten-Sitzungssaal.
Anscheinend gab es nun, wie üblich, Neid und Zank bei anderen Familien, die mit
demselben Rechte hätten in das Patriziat erhoben werden müssen, da ihre Häupter
auch während der Kriegsjahre zum Rat gehört, die Elendjahre aber nicht mehr
überlebt hatten. Deshalb dehnte das auf dem Warschauer Reichstag am 22. Februar
1637 feierlich wiederholte königliche Diplom die Standeserhöhung auch auf die
Rats» familien Andreas Foltert, Johann und Andreas Hintz, Matthäus Wichmann,
Michael Kirsten den Älteren und den Jüngeren und Bartholomäus Follert aus. Die
polnische Krone hatte durch diese Auszeichnungen, die keine Aufwendungen
kosteten, aneifernd und werbend gewirkt. Auch der Bischof stellte durch
weitgehendste Bestätigung aller bisherigen Privilegien und Rechtstitel der
Altstadt die Bürgerschaft zufrieden. Nachdem der bischöfliche Sekretär Albert
Bialobreszky seiner Zusage entsprechend den Entwurf der Urkunde an Bürgermeister Wichmann geschickt
hatte und der Rat sich „sehr wohl content" (zufrieden) gezeigt hatte,
unterfertigte Sziszkowski die Pergamentausfertigung am 26. Dezember 1636.
Im Januar 1635 erstand der Rat von Frau Anna Euphrosina von Dohna auf
Schlobitten, der Witwe des Georg von Preuck, das Gut Rosenort und die
Wecklitzmühle für 5 000 Gulden bar und die Verpfändung von 6 Köslinschen Hufen
im Werte von 4000 G. Wenn die Stadt auch nicht Bargeld besaß, so war sie doch
nach Friedensschluß kreditfähig, und deshalb lieh ihr der Mehlsacker Burggraf
Johann von Schwaben am 17. Dezember 1635 6000 Gulden gegen den Jahreszins von
420 Gulden, mit denen Auhof belastet wurde. Die „kleine Mühle hinterm Köslin"
wollte der Rat im Mai zu einer Papiermühle einrichten, für die er sich einen
Papiermachergesellen verschrieb. So wußte der Rat umsichtig Stadtbesitz und
Erwerbsmöglichleiten zu mehren.
Bürgermeister Wichmann überlebte nicht lange seine verdienten Ehrungen. Die
letzten Lebenstage waren ihm noch mit „mancherlei nachteiligen Afterreden"
vergällt, die wohl kleinlicher Mißgunst entstammten und durch einen
Erbschaftsstreit mit Frau Eisenbletter vergrößert wurden. Im Gefühle seiner
Unschuld bat er seine Ratskollegen um einen Verhandlungstermin, jedoch die
Eisenblettersche zog es vor, nach Danzig zu verreisen. Wichmann aber fiel am
Terminstage, den 26. April 1638 plötzlich in eine schwere Krankheit, an der er
am 9. Mai verschied. Der zur Zeit präsidierende Bürgermeister Lukas Schultz
setzte das Ratskollegium von dem schweren Verlust in Kenntnis und wünschte, daß
nach altem Brauch vom Tage des Abschiedes bis zum Begräbnis die vier
Hauptgewerke täglich eine ganze Stunde mit allen Glocken läuteten und bei der
Beisetzung in der Kirchengruft die vier jüngsten Ratsherren die Leiche zur
Kirche trügen; aber die in Frage kommenden Herren weigerten sich, wohl weil sie
sich für die „veraltete Sitte" zu fein blinkten, und beschränkten sich, neben
dem Sarge zu gehen, den die Welkleute tragen mußten.
Hatte es auch in den früheren Jahrhunderten in Braunsberg nicht an vereinzelten
Fällen gefehlt, wo in der Regel Frauen der Wahrsagerei und Zauberei bezichtigt
wurden, so mehrten sich diese Hexenprozesse doch im 17. Jahrhundert ganz
erheblich. Eine wahre Psychose erfaßte Deutschland in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts, und die Verrohung und Verwilderung des dreißigjährigen Krieges
trug zur Verschlimmerung des beklagenswerten Hexenwahns das ihrige bei.
137 Obwohl der Jesuit Friedlich von Spee auf Grund seiner traurigen Erfahrungen
i. J. 1631 energisch diesem Aberglauben zu Leibe rückte, dauerten die letzten
Hexenprozesse noch bis ins 18. Jahrhundert hinein. In Braunsberg erreichte die
Hexenvervolgung in der Mitte des 17. Jahrhunderts, teilweise wohl auch als
Auswirkung der Schwedenzeit, ihren Höhepunkt. Soweit das lückenhafte
Aktenmaterial Feststellungen ermöglicht, wurde in der Altstadt 1605 die erste
und 1670 die letzte Hexe, in der Neustadt wahrscheinlich 1610 die erste und 1686
die letzte verbrannt. In der Altstadt lassen sich bis 1772 über 70 Anklagen
wegen verschiedenartiger Zauberei nachweisen; von den Angeschuldigten wurden 11
Frauen und 1 Mann zum Feuertod verurteilt, 17 Frauen und 3 Männer aus der Stadt
verbannt und die übrigen mit Geld oder Turmstrafe belegt oder auch unbestraft
entlassen. 22 dieser Klagefälle und 8 Verbrennungen gehören aber in die Zeit von
1637 - 52. Ebenso fallen in dieselbe Zeitspanne in der Neustadt von über 50
Hexenprozessen 35 und von 32 Hinrichtungen 23.
Da befaßte sich vielleicht eine Frau nach altem Brauch mit Quacksalberei,
Besprechen von Krankheiten und anderen abergläubischen Kuren; hatte sie Pech,
erregte sie leicht den Unwillen der enttäuschten Patienten, konnte sie in ihrem
geheimnisvollen Getue den Verdacht erwecken, mit dem Teufel im Bunde zu stehen.
Oder ein häßliches Weib oder eine Bettlerin war vielleicht in ein Haus oder
einen Stall gekommen, wo zufällig gleich darauf eine Person oder Vieh erkrankte,
Grund genug zu der Annahme, jene Frau habe durch bösen Blick oder Verwünschung
die Krankheit hervorgerufen. Ein andermal machte sich ein hysterisches oder gar
fallsüchtiges Weib durch unvernünftiges Gerede und sonderbare Gebärden
verdächtig. An gutgläubigen und böswilligen Angebern fehlte es nicht. So muhte
das Stadtgericht den Straffall untersuchen. Natürlich leugnete die Beschuldigte
die unsinnigen Anklagen, worauf die Zeugen ihre Aussagen beschwören mußten. Nun
wurden der Unglücklichen die Marterwerkzeuge gezeigt oder auch leicht angelegt,
um sie zum Geständnis zu bewegen. Wirkte dieses Mittel noch nicht, so schritt
man zu den Daumenschrauben, dann zu den spanischen Stiefeln. Meist fühlten schon
diese Foltern zu den unmöglichsten Bekenntnissen. Blieb aber die Gequälte bei
der Behauptung ihrer Unschuld, so ging das Gericht zu den höheren Graden der
Tortur über. Die Angeklagte wurde auf die Folterbank gelegt, die Füße angebunden
und der Körper mittels einer Kurbel an den zurückgebogenen Armen jammervoll
auseinandergezogen. Zuweilen tropfte man noch brennenden Schwefel auf bloße Stellen des Körpers. Wenn das gepeinigte Weib wenig
oder gar nicht weinte und schrie, wenn es die Augen nach oben lichtete oder rot
wurde, galt das als besonders verdächtig. Hatte die Folterung trotz allem noch
nicht den gewünschten Erfolg, so konnte sie an den nächsten Tagen noch ein
zweites und drittesmal wiederholt werden.
Bis 1637 griff man auch zu dem Gottesurteil der Wasserprobe. Die Beschuldigte
mußte den Arm in siedendes Wasser tauchen, dann wurde dieser in einen Sack
gesteckt und, um sicher zu sein, daß inzwischen kein Heilmittel angewandt werden
könne, der Sack versiegelt. Zeigte sich der Arm nach einigen Tagen unverletzt,
dann erblickte man darin ein Zeichen der Unschuld. In jenem Jahre wurde das
sogenannte Hexenbad eingefühlt, durch das man eher hinter die Wahrheit zu kommen
glaubte. Die Angeklagte wurde nackt, Hände und Füße kreuzweise gebunden, dreimal
aufs Wasser gelegt oder anderthalb Ellen hinuntergelassen. Das Nichtuntergehen
wurde als Beweis der Schuld angesehen. Schon 1643 wurde dieses Verfahren von der
bischöflichen Behörde verboten. Später bitten manche Weiber selbst, um ihre
Unschuld darzutun, die Richter mögen sie schwemmen. Wenn ihnen ohnehin die
Todesstrafe bevorstand, wären sie auf diese Weise wenigstens den Folterqualen
entgangen.
Was die Richter nun hören wollten und daher die verdächtigten Frauen in der Pein
der Tortur aussagten, das war in der Regel die Hingabe an den Teufel, der hier
meist den Namen Kasper führte. Als junger, stattlicher Mann pflegte er schwarz
gekleidet zu sein, einen schwarzen Hut mit einer loten Feder, einen Degen und
lange Schnabelschuhe zu tragen. Mit dem Satan vergnügten sich nun die Hexen
gewöhnlich zu Walpurgis und Johannis auf dem Kaddig-, Blocks-, Schwalken- oder
Hünenberg, dem Tanzplatz oder der Venuswiese. Meist fuhren sie dorthin in einem
von schwarzen Böcken oder einem Rappen bespannten Wagen ohne Fuhrmann, manche
ritten auch auf einem Bock, Pferd oder Hund. An Ort und Stelle angelangt, setzte
man sich zunächst zum gemeinsamen Mahl, wobei allerlei Fleisch, Fische. Grütze,
Käse und Butter verzehrt und Bier getrunken wurde. Rasch war man damit fertig,
dann begann der Tanz. Vermummte oder die Teufel selbst machten mit Pfeifen,
Fiedeln, Trommeln, Pauken, Harfen oder Zithern Musik. Nach dem Tanze entfernte
sich jeder Teufel mit seiner Buhle. Einem brausenden Winde gleich verschwand
alles um Mitternacht oder beim Hahnenschrei. Die „Kleinen", die der Umgang mit
dem Bösen zur Welt brachte, hatten 139 entweder menschliche oder affen- oder mäuseartige Gestalt. Nicht jeder konnte
sie sehen und ihre quiekende Sprache verstehen. Sie verlangten Gelegenheit,
Unheil anzurichten. Durch Anhauchen oder ein teuflisches Gift konnten diese
Kobolde, Alfen in die Körper von Menschen und Tieren hineinpraktiziert werden
und dort allerlei Krankheiten, gichtische Leiden, Hexenschuß, Seuchen und den
Tod hervorrufen.
Solche Ausgeburten einer verirrten Phantasie und wahnfinniger Folterqualen
wurden damals überall als Wirklichkeiten geglaubt. Oft genug widerriefen
natürlich die unglücklichen Frauen ihr Geständnis, wenn die Pein aufhörte. Dann
hielten das die Richter für Wankelmut und nahmen die Tortur wieder auf, bis die
bedauernswerten Opfer sich eine Aussage fest einprägten und bei ihr bis zum Tode
verharrten; dadurch konnten sie sich wenigstens ihre Martern verkürzen. War das
Geständnis erpreßt, so fragten die Richter noch auf der Folter nach den
Teilnehmerinnen am Hexentanz. Die Angeklagten nannten nun zuweilen ganz
beiläufig, oft auch aus Haß und Feindschaft die eine oder andere ihrer
Bekannten. Wollten sie später diese Angaben widerrufen, so drohte man von neuem
mit der Folter. Die Aussage einer für überführt gehaltenen Hexe, die auf diese
Worte starb, erhob ohne weiteres Zeugnis alles zur vollen Gewißheit. So zog oft
ein Hexenprozeß eine Reihe weiterer nach sich.
Als Strafe für schwere Zauberei kam nach dem lübischen Recht der Tod mit Feuer
und Schwert zur Anwendung. Doch wurde den Verurteilten der Empfang der
Sterbesakramente nicht verwehrt. Auf dem Wege zur Richtstätte wurden besonders
gefährliche Hexen noch mit glühenden Zangen gezwackt; dann mußten sie den
Scheiterhaufen besteigen, um den schrecklichen Irrwahn ihrer Zeit mit einem
qualvollen Tode zu büßen. I. J. 1671 ging der altstädtische Rat zu einer etwas
milderen Todesstrafe über, indem er auch in Berufung auf die Auffassung des
bischöflichen Landesherrn beschloß, die Hexen zuerst zu enthaupten und dann zu
verbrennen.
Diese Prozesse dauerten in Braunsberg gewöhnlich 8—14 Tage; der längste währte
zwei Monate, der kürzeste einen Tag. Die Gerichtskosten wurden durch einen
besonderen Bürgerschoß (1637 von jedem Hause 10 Groschen) aufgebracht. War die
Angeklagte aus einem Stadtdorfe, so mußte dieses dafür aufkommen. Der
Scharfrichter bezog übrigens nach einer Taxe v. J. 1661 fürs Verbrennen 7
Gulden, fürs Hängen 6, fürs Vierteilen 8, fürs Kopfabhauen 15 Gulden. Ein
Brandmal brachte ihm 20 Groschen, die Tortur 1 Gulden ein.
Wenden wir uns von diesen düstern Bildern einer internationalen Massenpsychose
zurück zu den politischen Entwicklungen des 17. Jahrhunderts.
Als Königin Christine von Schweden wegen ihres Übertritts zum Katholizismus
i. J. 1654 zu Gunsten ihres Vetters, des Pfalzgrafen Karl Gustav von Zweibrücken,
auf ihren Thron verzichtete, erhob der polnische König Johann Kasimir Erbansprüche auf die schwedische Krone. Karl Gustav antwortete mit einem
Einfall in Polen. Der 2. schwedisch-polnische Krieg kam i. J. 1655 zum Ausbruch.
Nachdem „allerhand böse Avisen wegen besorglichen Einfall der Schweden
spargieret" (Nachrichten verbreitet) worden waren, richtete der bischöfliche
Schloßhauptmann an den Rat die Aufforderung, die Mauern und Schanzen
auszubessern, eine Musterung abzuhalten und für den Notfall vorzubereiten, was
sonst zur Verteidigung erforderlich sei. Am 5. April beschlossen Rat und
Gemeinde nach langer Beratung, obwohl „ihre arme Stadt ohne genügsamen Schutz
und Entsatz ihrer hohen Obrigkeit sich gegen einen mächtigen Feind zu
defendieren (verteidigen) gar schlecht bestandt befindet, jedennoch ihren
vorigen Fußstapfen inhaerirend (folgend) das ihrige als redliche und treue
Bürger, so lange menschliche Müglichkeit vorhanden, zu tun." Demzufolge wollte
man die Musterung vornehmen, die großen Löcher in den Mauern „vermachen", die
Schanze vor dem Hohen Tor, als der Stadt schädlich, schleifen, die kleine
notwendige am Mönchentor aber bis zum Wasser erhalten und instandsetzen, weil
man von der Flußseite den feindlichen Einfall fürchtete. Ein polnisches
Schreiben des ermländischen Bischofs Wenzeslaus Leszczynski von seinem
Kuraufenthalt Baden bei Wien an den Braunsberger Schloßhauptmann, das der
Bürgermeister ins Deutsche übertragen ließ, und eine Steuerforderung des
Heilsberger Scheffers (bischöflicher Finanzbeamter) ließen die Kriegsgefahr
dringlicher erscheinen. Am 19. Mai verlangte die Gemeindevertretung kräftige
Förderung des Schanzenbaus durch Scharwerk unter Aufsicht zweier Bürger,
Anschaffung von Musketen für die Stadt, Musterung der bürgerlichen Waffen und
Munition, Annahme „eines verständigen und zu dieser Stadt sich schickenden
Kommandanten, etzlicher in der Artillerie und Büchsenmacherzunft erfahrener
Männer." Zur Bistumskontribution wollte man nichts beisteuern, „sintemalen man
mit sich selbst genügsam zu tun habe, und nicht die Stadt das Land zu entsetzen,
sondern vielmehr die Landschaft dieser Stadt, an welcher Konservierung
(Erhaltung) des Landes Wohlfahrt hanget, zu Hilfe zu kommen schuldig ist."
141 Interessant ist die Schlußbemerkung des Sitzungsprotokolls, daß man beim
Pater Rektor Beschwerde geführt habe, weil die polnischen Studenten in
kriegerischer Begeisterung nachts geschossen und anderen Lärm gemacht hatten.
Der Rektor wollte die jungen Leute verwarnen; würde das nichts verschlagen, so
sollte die Bürgerschaft ihr Bestes tun und keinen verschonen.
Am 25. Juli berührte Bischof Leszczynski auf einer Reise nach Frauenburg die
Stadt, vom Rat und der Bürgerschaft feierlich empfangen und eingeholt. Er ließ
einen Leutnant und 60) Mann zurück, die von der Bürgerschaft zunächst im
Unterkrug (Adlerkrug) untergebracht wurden. Bald stellte sich heraus, daß der
Fürstbischof diese Truppen zum Schutz der Stadt geworben habe, um anderer und
vielleicht polnischer Besatzung damit zuvorzukommen. So konnten sich die
einzelnen Bürger der Quartierlast doch nicht entziehen. Im übrigen redete man in
den Gemeindesitzungen viel und ließ den Worten wenig die Tat folgen, so daß der
Ratsschreiber unmutig den Akten die Bemerkung einfügte: „Weil aber insgemein
nichts Richtiges beschlossen, und wo ja noch irgend etwas endlich beliebet wird,
das Geringste doch nicht ad effectum (zur Durchführung) kommt, sondern wie man
von einander gehet, gemeiniglich auch alles vergessen bleibet, ist unnötig, viel
anhero zu verschreiben und die Acta, wie bishero geschehen, ferner mit
vergeblichen Kalenderien zu erfüllen."
Wenn auch Bischof und Domkapitel zur Landesverteidigung im August Herrn Heinrich
Ludwig von der Demut als Major bestellten mit dem Auftrage, 150 Dragoner und 200
Mann zu Fuß zu werben, so konnte selbst diese ermländische Streitmacht den
Schutz des Bistums unmöglich sicherstellen. Gegenüber den starken Heeren der
benachbarten Mächte blieb das militärisch unorganisierte Ermland völlig wehrlos.
Dieses Bewußtsein beeinträchtigte letzlich die Entschlußkraft der Braunsberger,
und die Erfahrungen des ersten Schwedenkrieges ließen sie den kommenden Dingen
mit trüber Ergebung entgegensehen.
In dem Krieg zwischen Polen und Schweden war die Haltung des brandenburgischen
Kurfürsten Friedrich Wilhelm, der als Herzog von Preußen der polnischen Krone
lehnspflichtig war, von höchster Bedeutung. Schon i. J. 1652 hatte der Kurfürst
den ermländischen Bischof auf die drohende Kriegsgefahr hingewiesen und gemahnt,
die Plätze im Bistum, besonders Braunsberg gut zu befestigen; er werde es an
nachbarlicher Hilfe nicht fehlen lassen. Als nun die Feindseligkeiten
tatsächlich zum Ausbruch kamen, näherte er sich den Schweden und verlangte von ihnen als Preis für die Neutralität oder
Waffengemeinschaft außer der Souveränität Preußens auch den Besitz des Bistums
Ermland. Die Schweden boten im Juli 1655 die Souveränität, aber das Ermland ohne
Braunsberg, weil die Schweden diesen wichtigen Platz für sich behalten wollten.
Der Kurfürst entgegnete darauf in klarer Würdigung der Bedeutung der
Passargestadt: „Ermland ohne Braunsberg halten wir für einen Leib ohne Seele."
Und er gab seinen Gesandten den Auftrag, das ganze Bistum mit Stadt und Hafen Braunsberg von den schwedischen Unterhändlern zu verlangen. Trotzdem sicherte
der Geheimvertrag von Rogasen (9. 8. 1655) dem Kurfürsten nur das Ermland ohne
Braunsberg als schwedisches Lehen zu, für Braunsberg sollte er anderweitig
entschädigt werden.
Das siegreiche Vorrücken der Schweden in Polen und ihr Einzug in Warschau (8.
September) spornten den Kurfürsten an, die ihm im Rogaser Vertrage versprochenen
Vergünstigungen sich mit Waffengewalt zu sichern. Die ermländischen Söldner und
die Landesmiliz kehlten eben von einer unnützen Hilfsaktion nach Masovien
zurück, wo sie durch die Schweden vom Gros des polnischen Heeres abgeschnitten
wurden, als Ende September brandenburgische Truppen im Bistum einrückten.
Graf von Waldes eröffnete mit etlichen Kompagnien und 12 Geschützen in
Braunsberg den Durchzug der Brandenburger. Die Bürgermeister ließen auf Wunsch
des Obersten von Kreutz dem Militär durch die Stadtbauern 30 Tonnen Bier und
Brote von 1/2 Last bis nach Pillau nachschicken. Darüber große Entlüftung in der
Gemeinde, daß der Rat nicht gefragt sei; aber schon wenige Tage danach
passierten die Völker des Obersten von Kalkstein die Stadt und wurden wieder mit
einigen Tonnen Bier und Brot bewirtet.
Bischof Leszczynski, der nichts von den Rogaser Geheimabmachungen ahnte,
begrüßte am 28. September in einem Schreiben den Kurfürsten als Erretter in der
Not, bat aber schon wenige Tage später dringend, das Bistum von dauernden
Quartierlasten zu befreien. Friedrich Wilhelm drückte von Pr. Holland aus am 9.
Oktober sein höfliches Bedauern über die Belästigung aus und versprach, der
größere Teil des Regiments Waldes solle abziehen, nur zwei Kompagnien sollten zu
seiner Begleitung nach Königsberg verbleiben. Am nächsten Tage passierte „Ihre
Churfürstliche Durchlaucht zu Brandenburg in der Frühe ganz stille mit einer
Kompagnie Reiter" die Stadt Braunsberg. Bald danach kehrten diese Reiter zurück
143 und bezogen in den Stadtdörfern Huntenberg und Stangendorf Quartier, wo sie
zunächst bis zur Rückkehr des Kurfürsten warten sollten, dann aber weiter
verblieben. Diesen begrüßte auf seinem Rückweg die bewaffnete Bürgerschaft mit
fliegenden Fahnen, sowie die „allhier liegende armselige Soldateska." Eine
weitere Kompagnie des Rittmeisters von Brand quartierte sich in Wittenberg ein.
Am 18. Oktober sollten noch Dragoner in der Altstadt untergebracht werden, und
das empfand man um so drückender, als selbst während des 1. Schwedenkrieges die
Altstadt wegen des Mangels und der Ungelegenheit der Stallungen nie mit Pferden
belegt worden war.
Bei seinem Vorrücken in Westpreußen war der Kurfürst als Erretter vor der
schwedischen Übermacht selbst vom polnischen Adel freudig begrüßt worden. Nach
schwierigen Verhandlungen kam am 24. November zu Rinsk (bei Thorn) ein
öffentliches Verteidigungsbündnis zum Abschluß, worin der Kurfürst Westpreußen
und dem Ermland militärischen Schutz gegen die Schweden zusagte, was allerdings
mit dem Geheimvertrag von Rogasen schlecht zu vereinbaren war. Unter den
Vertragsbedingungen war auch die, daß der Kurfürst 100 Reiter und 1NN
Infanteristen nach Braunsberg legen und den Ort mehr befestigen dürfte, nach dem
Kriege aber die Stadt ohne Einwendungen zurückgeben müßte. Der Klerus und die
Klöster und Schulen von Braunsberg sollten geschützt sein. Die Übung der
katholischen Religion sollte durchaus frei, keine andere als die der
Katholischen öffentlich sein. Der kurfürstliche Kommandant von Braunsberg sollte
Katholik sein, wenn ein solcher sich fände. Das dortige Bischofsschloß sollte
von jeder militärischen Einquartierung frei sein, der Bischof und seine Beamten
im friedlichen Besitz des Schlosses bleiben.
Während noch diese Verhandlungen schwebten, waren von Livland her schwedische
Truppen nach Preußen und dem Ermland in Marsch gesetzt worden. Um aber einer
schwedischen Besatzung zuvorzukommen, legte Kurfürst Friedlich Wilhelm in die
wichtigeren Bistumsstädte eigene Truppen. Braunsbergs bemächtige sich in seinem
Auftrage Obristleutnant Kurier mit Lift, indem er am 3. Dezember vorgab, mit 3
Garde-Kompagnien durchmarschieren zu wollen, dann aber eingelassen erklärte,
gemäß den Vereinbarungen der Fürsten zum Schutze der Stadt verbleiben zu müssen.
Nachdem der Kurfürst durch Besetzung der Städte Braunsberg, Wormditt, Guttstadt
und Allenstein sich das Ermland gesichert hatte, nahm er sogleich wieder mit
Schweden Verhandlungen auf; dabei beanspruchte er das Bistum für sich und wollte das übrige
königliche Preußen den Schweden überlassen. Diese aber legten selbst auf den
Erwerb des Ermlandes, namentlich von Braunsberg besonderen Wert und waren
entschlossen, sich diese Gebiete zu erobern. In Braunsberg begann der Kommandant
Kurier für alle Fälle die Befestigung auszubauen. Da die Schweden vor zwei
Jahrzehnten die Wälder verwüstet hatten, konnte er von da nicht das
erforderliche Holz zu Palisaden schaffen; er bat deshalb den Kurfürsten, ihm
dazu aus dem benachbarten Pusch Damerau Holz zu bewilligen. Auch eine
Verstärkung der Garnison hielt er für notwendig. Im übrigen unterstützten ihn
bei seinen Verteidigungsmaßnahmen gegen die Schweden ebenso der ermländische
Landvogt Stanislawski wie die nach Braunsberg geflüchteten Frauenburger
Domherren.
Der brandenburgische Kriegsrat entschied sich dafür, den Schweden zwischen
Braunsberg und Wormditt an der Passalge ein Treffen anzubieten. Das
kurfürstliche Heer zählte etwa 28000 Mann und verfügte über eine vortreffliche
Artillerie. Tatsächlich kam es nur zu kleinen, bedeutungslosen Scharmützeln.
Schließlich zog sich das Gros der Brandenburger auf die Festung Königsberg
zurück und machte von hier einen Kavallerieangriff auf die Schweden, der aber
völlig mißglückte. Daß der Kampf nur lässig geführt wurde, lag daran, daß die
Unterhandlungen weitergingen und am 17. Januar 1656 mit dem neuen Vertrage von
Königsberg abgeschlossen wurden. Danach löste der Schwedenkönig das Bistum aus
seiner Verbindung mit Polen, verwandelte es in ein weltliches Lehen und übertrug
es dem Kurfürsten unter Vorbehalt der schwedischen Oberhoheit. Nur Frauenburg
und das zugehörige Territorium behielt sich Karl Gustav vor, die Stadt
Braunsberg dagegen überließ er dem Kurfürsten unter der Bedingung, daß ihre
Befestigungen niedergelegt und nie wiederhergestellt, die Besatzung abgeführt
und nicht ersetzt würde. Nach diesem Vertrage konnte der Kurfürst auch das
Reformationsrecht ausüben, und demzufolge bestimmte er vier reformierte Prediger
für die vier besetzten Städte.
Diese Ereignisse lassen sich auch in den Braunsberger Ratsakten verfolgen. Wir
hören am 7. Januar von Gefangenen, offenbar Schweden, die die Bürgerschaft
verpflegen sollte. Die Gemeindevertreter weigerten sich zunächst und wollten das
denen überlassen, „so die Beute bekommen, welches den Herrn Kommandanten sehr
alteriert (erregt) hat." Am 10. Januar lagen in der Altstadt allein 3 Kompagnien
Reiter, 147 3 Kompagnien zu Fuß und 1 Kompagnie Dragoner, in der Neustadt und den
Vorstädten Oberst Wallenrod Mit seinem Regiment und 1200 Pferden, „welche Last
der armen Stadt in der Länge zu ertragen unmöglich, indem die halbe Stadt und
prinzipalsten (besten) Häuser von den Offizieren eingenommen seind, die übrigen
mit Einquartierung ganz überschwemmet, daß es auszustehen nicht vermögen."
Bürgermeister Andreas Ludwig wurde deshalb trotz der Unsicherheit der Straßen
zum Kurfürsten nach Königsberg geschickt und erreichte „in gnädiger Audienz" den
Abzug dieser Truppen. Aber am 1. Februar folgte ihnen das Regiment von
Eulenburg, dessen Kommandeur bei dem alten, kranken früheren Hauptmann Johann
Stössel Quartier bezog.
Nachdem der Kurfürst die Herrschaft im Ermland angetreten hatte, bildete er aus
dem Grafen Fabian von Dohna-Lauck und den Räten Reinhold Derschau und Andreas
Adersbach eine kommissarische Regierung. Sie traf am 7. Februar in Braunsberg
ein, ergriff vom Schloß Besitz, ermahnte den bischöflichen Landvogt Hauptmann
Albrecht Stanislawski und die anderen Bedienten zur Treue gegen den neuen
Landesherrn und forderte Rechenschaft von der bisherigen Verwaltung. Vom
Bürgermeister Ludwig und Georg Follert wurden die Kommissare im Namen des Rats
begrüßt. Sogleich nahmen sie eine genaue Verhandlung über die Verhältnisse der
Stadt auf, die wegen der voraussichtlichen fiskalischen Einkünfte für die neue
Regierung von großer Bedeutung war. Dieser Statistik seien folgende in unsere
Rechtschreibung übertragenen Mitteilungen entnommen:
„Braunsberg liegt an der Passarge, darin die Schmacken ausm Haff bis in die
Stadt hinaufkommen können, mit Mauern al antique (altertümlich) wohl versehen.
Hat zu ihrer Fundation ex privilegio (Gründung nach dem Privileg) nur Ungewisse
Anzahl Hufen, noch absonderlich an Dorfschaften und Hüben als
Rudolfshöfen 7 1/2 Huben. darauf 3 Paulen
Kattenhöfen
8 Huben. darauf 8 Paulen
Hundenberg
21 Huben. darauf 6 Paulen
Stangendorf
32 Huben. darauf 8 Paulen
Wollenberg (Willenberg)
42 Huben. darauf 11 Paulen
Vorwerk Rosenort 7
Huben.
Auhoff
8 Huben.
Gesamt
125 1/2 Huben. darauf 30 Paulen
Die Alte Stadt giebet jährlich laut des Oekonomi Rechnung wegen ihrer Äcker 85
Floren (zu 20 Groschen), wegen der
Kupfermühle 10 Fl., wegen der Badestube und etzlicher Margen 5 Fl. 14 Gr., aus
der Waage vom Stein 6 Gr. ist anno 1653 gefallen 45 Fl. 12 Gr., vor
unterschiedliche Häuser und Ställe Grundzins 25 Fl. 10 Gr. 12 Pf.
Die Neue Stadt wegen ihrer Äcker, Fleischbänke und Wiesen 281 Fl.. 3 Gr., 6 Pf.,
noch wegen etzlicher Morgen, Häuser und Handwerker 50 Fl.
In der Altenstadt ist die große Pfarrkirche nebst der Jesuiterkirchen so schön
ausgeputzet, dabei dann auch der Jesuiter Kollegium samt den Schulen, so alle
gute Gebäude; anitzo sind darinnen nur 35 Jesuiten, da vordem wohl in die 50
sich aufgehalten. So werden dabei noch 24 Alummi erhalten, zu dero Sustentation
(Unterhalt) jährlich an Rom per Wechsel 6000 Fl. polnisch übergemacht werden
sollen. In der Stadt ist noch ein Nonnenkloster, darinnen 12 Nonnen gehalten
werden; sollen aber geringe Einkommen haben und meistenteils mit Nähen, Sticken
und dergleichen Arbeit sich unterhalten müssen.
In der Neustadt ist eine absonderliche Kirche, darin aber selten gepredigt wird.
Im Rat in der Altstadt sind drei Bürgermeister und 16 Ratsherren, im Gericht nur
1 Richter und 2 Beisitzer, welche 3 letzte gleichsamt in prima instancia (1.
Instanz) Recht sprechen und von ihnen alsdann die Sachen weiter an den Rat per
appellationem devolvieren (Berufung einlegen) lassen sollen.
In der Ringmauer ist das Schloß, ein altes und starkes gemauertes Gebäude, mit
schlechten Losamentern (Räumen) versehen, so an einem und andern Ort notwendig
repariert werden müssen.
Die hochpeinliche Sachen werden meistenteils an das Stadtgericht verwiesen, die
Urteile hernach von dem Schloßhauptmann samt den Akten übersehen und
justifizieret (bestätigt).
Außer der Stadt liegen zwei Mühlen, die große und die kleine, deren Einnahmen
auf rund 6554 Fl. berechnet sind, eine Kupfermühle des Besitzers mit 49 Fl. und
eine Lohmühle mit 70 Fl. Einkünften."
Am 14. Februar nahmen die Braunsberger Ratsvertreter Ludwig und Follert an dem
Heilsberger Landtag teil, wo sich die ermländischen Stände mit feierlichem
Handschlag und schriftlicher Erklärung dem Kurfürsten unterwarfen: die Räte
hatten ihnen zuvor erklärt, daß sie bei ihrer Religion und ihren Rechten, und
Freiheiten verbleiben dürften.
Am 15. Februar traf ein Stückhauptmann im Auftrage des Kurfürsten und des
Generalfeldzeugmeisters von Sparr in Braunsberg ein, um alle Geschütze und
Munition abzuholen 147
und nach Königsberg zu schaffen. Die überraschten Bürger glaubten zunächst an
ein Mißverständnis und schickten eiligst eine Deputation zum Kurfürsten. Dieser
verwies auf die Vereinbarungen mit Schweden, nach denen auch die Stadtmauern und
Wälle geschleift werden sollten. Doch wollte er die Niederlegung der Mauern
abwenden. Ihren ansehnlichen Geschützpark aber mußten die Braunsberger am 20.
Februar abliefern: 1 Sechspfünder mit 188 Kugeln, 2 Vierpfünder mit 361 Kugeln,
3 Dreipfünder mit 646 Kugeln, 9 kleinere Bronzestücke von 1 3/4 bis 1
Pfundkaliber und 2 eiserne Einpfünder. Im ganzen waren es 1? Geschütze und 3979
Kugeln, ein wertvoller Besitz, der „mit viel tausend Floren nicht konnte
gezeuget werden". Am stolzesten waren die Bürger auf den „Bauerntanz, das
schönste Stück, dergleichen Arbeit heutzutage nicht leicht wird gemachet
werden." Nun fühlte der kurfürstliche Stückhauptmann die willkommene Beute ab,
und „manche sahen den schönen Stücken mit weinenden Augen nach."
Zu den Hauptsorgen des Rates und der Gemeinde gehörten für die folgenden acht
Jahre der brandenburgischen Besatzung Quartierlasten, Steuersorgen und
Soldatenbeschwerden. Das Regiment Eulenburg, das bis zum Juni in der Stadt lag,
kostete außer der fast fünfmonatlichen Speisung 8112 Taler 17 Groschen an Geld,
20 Last 48 Scheffel Hafer, 24 960 Pf. Heu und 83 Schock Stroh, die angegliederte
märkische Artillerie 853 7. Fl. 38 Gr. an Geld, 25 Last 18 Scheffel Hafer, 3000
Pf. Heu und 100 Schock Bund Stroh. Davon fiel auf das ländliche Kammeramt 1/3
und auf beide Städte 2/3, und zwar von letzteren 3/4 auf die Altstadt und 1/4
auf die Neustadt. Der Ratsschreiber macht seinem gepreßten Herzen Luft, wenn er
beim Abzug dieser Truppen vermerkt: „Gott sei Dank, daß die schinderischen
Offiziere und das ungezähmte, gottlose Lumpenvolk weggeht." Dafür rückten aber
Dragoner des Obersten Ritterfurth ein.
Für die Militärseelsorge traf am Ostersonnabend der kurfürstliche Prediger
Christian Stobbäus ein. Wir wir einem Briefe vom 18. April entnehmen, wollte er
am dritten Feiertag auf dem Rathaus Gottesdienst halten, erhielt aber vom
Bürgermeister abschlägige Antwort mit der Begründung, der Stadtpfarrer Johann
Conradi widerspreche dem Ansinnen aufs höchste; Oberst Wallenrod habe vordem in
der Neustadt auf der Straße unter freiem Himmel Predigten halten lassen. Auch
der Junkerhof oder sonst ein Haus in der Stadt sei ihm verweigert worden.
Im Juli ging Oberst Ritterfurth auf Befehl des Statthalters Dohna daran, die
Befestigungen Braunsbergs trotz der
schwedisch-brandenburgischen Abmachungen zu verstärken. Aus den Kammerämtern
Braunsberg und Mehlsack sollten 300 Mann Schanzarbeiten leisten und folgende
Lieferungen ausgeführt werden: 200 Spaten u. Schippen, 200 Karren. 3000
Palisaden, 40 Wagen täglich, 100 Beile, 400 Bäume, 50 Schock Dielen, 300 Stück
Rückenplanken zur Ausfutterung des Grabens, 300 Stück Eichenpfähle von 20 Schuh
Länge, 100000 Ziegel, 50 Last Kalk. 50 Zentner Eisen, 10 Zentner Stahl, 1000
Schock Nägel. Infolge des Einspruchs des schwedischen Kanzlers wurden jedoch
vorläufig die Arbeiten eingeschränkt, nur die Palisaden gesetzt, Tore und Gräben
gebessert. Der Oberst, der sehr mißtrauisch war, ließ die Bürgerschaft alle
Gewehre auf dem Rathaus abliefern, weil es hieß, die ermländische Bevölkerung
sehne sich nach Befreiung durch die Polen und bereite sich auf den Einfall des
litauischen Unterfeldherrn Gasiewski vor. Durch katholische Frauen wollte er
ausgekundschaftet haben, daß die Jesuiten viele Gewehre verborgen hielten;
deshalb befahl er den Ordensmitgliedern, binnen 24 Stunden die Stadt zu räumen,
und ließ eine „barbarische Umwühlung der Jesuitenkirche" vornehmen. Da die
Durchsuchung den Verdacht als unbegründet erwies, nahm er vermutlich den
Ausweisungsbefehl zurück. Trotzdem schien es ihm geraten, die Waffen vom
Rathause auf das Schloß zu schaffen. Es waren 214 Musketen, 27 Doppelhaken, 6
Feuerröhren, 1 Paar Pistolen, 140 Degen und Säbel. 51 Spieße und 23 Piken.
Während eine städtische Abordnung in Königsberg weilte, um bei der
kurfürstlichen Regierung Beschwerde über den Obersten zu führen, äußerte dieser
einen neuen Verdacht: es sei ein unterirdisches Gewölbe von dem Markt bis zum
Hohen Tor; er werden die ganze Stadt umgraben lassen, wenn man nicht im guten
offenbaren wolle. „Es wird noch Arbeit genug kosten, ihm solchen Schwarm ausm
Kopfe zu bringen," klagt der Ratsschreiber.
Schon im Mai hatte der Kurfürst Braunsberg als Sitz der ermländischen Regierung
und den Grafen Dohna als seinen Statthalter bestimmt. Erst im August bezog
dieser mit seinen Räten das Braunsberger Schloß. Am 12. September ernannte der
Kurfürst den Rat Heinrich Truchseß von Waldburg noch zum Hauptmann von
Braunsberg, nachdem Stanislawski nach Seeburg versetzt worden war. Als Dohna am
28. den Bürgermeistern der Altstadt den neuen Schloßhauptmann als Vorgesetzten
vorstellte, beriefen sie sich auf ihre Privilegien, allein Dohna gab ihnen
schlecht Gehör und zu erkennen, daß er „uns armen Papisten nicht wohl
affektionieret" sei. 149
Inzwischen hatte König Karl Gustav den brandenburgischen Kurfürsten zur
Waffenhilfe gezwungen und das vereinigte Heer in der dreitägigen Schlacht bei
Warschau (28. bis 30. Juli) die Polen trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit
geschlagen. Da in dem wechselvollen Ringen die Schweden höhere Anerbietungen
machten und die Stärkeren zu sein schienen, schloß der Kurfürst am 20. November
zu Labiau mit Karl Gustav ein neues Bündnis ab, durch das er das Herzogtum
Preußen und das Fürstbistum Ermland als souveränen Besitz erhielt. Die
außenpolitische und militärische Besserung der Lage Polens ließen es jedoch
Friedrich Wilhelm im Herbst 165? geraten erscheinen, sich aus der Verbindung mit
Schweden zu lösen. Unter Mitwirkung des Bischofs Leszczynski schloß er am 19.
September zu Wehlau einen Sonderfrieden mit Polen, nach dem ihm die volle
Souveränität über das Herzogtum Preußen zugesichert wurde; dagegen mußte er u.
a. das Ermland räumen, obwohl er namentlich auf den weiteren Besitz der
Passargestadt das größte Gewicht legte. Damit fand die brandenburgische
Regierung in Braunsberg ihr Ende. Da aber der Krieg zwischen Schweden und Polen
noch fortdauerte und die Schweden leicht eine feindliche Haltung gegen den
Kurfürsten einnehmen konnten, erklärt es sich, daß dieser sich in Wehlau
ausbedang, in Braunsberg eine Besatzung von 800 Mann belassen zu dürfen. Diese
ließ er nunmehr auf den polnischen König wie den ermländischen Bischof mitvereidigen. Die Kosten trug das Bistum und am meisten die Stadt, die unter
den drückenden Lasten aufs schwerste litt. Klagen über die Soldaten fanden keine
Abhilfe. „Dem Kurfürsten und dem Bischöfe zugleich könne nach der Lehre Christi
die Stadt nicht dienen, einer weise sie in ihrer Not an den andern", seufzt der
Ratschreiber i. J. 1658.
Die Braunsberger Besatzungsfrage erschwerte die Friedensverhandlungen, die im
Januar 1658 von Frankreich begonnen wurden. Der französische Gesandte schlug als
Unterhandlungsorte Braunsberg für die polnischen und Frauenburg für die
schwedischen Bevollmächtigten vor. Der polnische König erklärte sich
einverstanden, verlangte aber später, daß aus diesen Städten die Besatzung
entfernt werde. Da der Kurfürst darauf nicht einging, scheiterte die
Vermittlung.
Seit Januar 1659 war Oberst Johann von Hiller Kommandant der Braunsberger
Garnison. Ihm unterstand die kurfürstliche Hafflotte, die das Haff und seine
Südküste vor den im Werder liegenden Schweden schützen sollte. Im Februar wurden
brandenburgisch-preußische Truppen in Braunsberg
und den benachbarten Dörfern zusammengezogen, weil das Gerücht ging, ein starkes
Schwedenheer rücke heran. Als am 2. März neue Kunde von dem feindlichen Anmarsch
kam, obwohl meilenweit kein Schwede zu sehen oder hören war, packte die Soldaten
nach der spöttischen Schilderung des Stadtnotars die Hasenfurcht, und sie
machten sich eiligst mit Sack und Pack auf und entliefen nach Königsberg, „daß
mancher ohne Hosen zu Pferde gekommen, und wenn dort die Tore nicht wären
zugemacht, mochten sie wohl gar in Litauen gelaufen sein, ehe sie sich umgesehen
hätten, und endlich bei der Karwischen Marthe ein Herz wiedergefasset haben."
Welchen Wert Kurfürst Friedrich Wilhelm auf den Besitz des strategisch wichtigen
Braunsberg legte, ist auch aus seinen Bemühungen beim päpstlichen Nuntius Vidoni
in Warschau ersichtlich. Er betonte allerdings, er wolle es zur Handelsstadt
machen, und versprach, die katholische Religion und die Seminarien unangetastet
zu lassen, auch ein anderes Gebiet mit größeren Einkünften als Entschädigung
abzutreten. Beim Aussterben seines Hauses solle die Stadt an das Bistum
zurückfallen. Als der Nuntius auswich, versuchte ihn der kurfürstliche Gesandte
von Hoverbeck durch die Aussicht auf eine Rückkehr des Kurfürsten zur
katholischen Kirche zu gewinnen. Da alle diplomatischen Bemühungen erfolglos
blieben, verstärkte der Kurfürst die Befestigungen von Braunsberg, um es desto
sicherer zu behaupten.
Nachdem Bischof Leszczynski im März 1659 die Diözese verlassen hatte, um das
Erzbistum Gnesen zu übernehmen, hielt am 6. Januar 1660 sein Nachfolger Johann
Stephan Wydzga in Heilsberg seinen Einzug. Die Braunsberger übermittelten ihm
durch die Ratsmitglieder Georg Foltert und Michael Kirstein Willkommensgrüße und
Glückwünsche. Auf seinen Rat reisten als Stadtvertreter Jakob Korz und Georg
Wichmann am 12. Februar mit einer Bittschrift zum Polenkönig, der sich gerade
in Danzig aufhielt. Aber schon am nächsten Tage lief in Braunsberg die Nachricht
ein, die Herren seien unterwegs in die Hände der Schweden gefallen und würden in
Elbing festgehalten. Erst nachdem für sie 516 Taler Lösegeld gezahlt worden
waren, durften sie ihre Reise fortsetzen, die außer Versprechungen keinen Erfolg
zeitigte.
Da brachte der unerwartete Tod des Schwedenkönigs Karl Gustav (23. 2. 1660) die
Friedensfrage energisch in Fluß. Noch bevor die Verhandlungen beendet waren,
hatten Ungeduld und Erbitterung einen Braunsberger Bürger zu gewaltsamer
Selbsthilfe verleitet. Um die brandenburgische Garnison zum Abzug
151 zu veranlassen, hatte er wohl Ende März das militärische Getreidemagazin
erbrochen und den Hafer weggenommen. Der Kurfürst, dem der Vorfall zu Ohren
gekommen war, verlangte in einem Schreiben an den Magistrat der Stadt
Wiedergutmachung. Bald darauf wurde am 3. Mai zu Oliva der Frieden geschlossen,
der für Brandenburg-Preußen die Bestimmungen des Wehlauer Vertrages bestätigte.
Nun hofften die Braunsberger, von den erdrückenden Lasten der Einquartierung
befreit zu werden, aber ihre Freude war verfrüht. Da nämlich die Polen nicht den
Vereinbarungen gemäß dem Kurfürsten Elbing einräumten, hielt dieser Braunsberg
und Frauenburg als Pfänder weiterhin besetzt.
Anfang September stellte sich wieder als unheimlicher Gast „die giftige Seuche
der Pestilenz" auf dem Damm und Köslin ein. Der Herbstjahrmarkt wurde abgesagt.
Da die Pestkranken trotz ihrer Mittellosigkeit die Häuser nicht verlassen
durften, wurden für sie vier Provisoren zum Einsammeln von Almosen bestimmt.
Zwei Totengräber wurden für die verstorbenen Einwohner und Soldaten angestellt.
Im Winter ließ die Seuche nach, um im nächsten Jahre wieder heftiger
aufzutreten. Oberst von Hitler wünschte, daß alle Kranken in Krankenhäusern auf
dem Köslin isoliert würden: Rat und Gemeine machten demgegenüber geltend, daß
Mann und Frau sich geschworen hätten, sich bis zum Tode nicht zu verlassen. So
unterblieb die Verwirklichung des verständigen Vorschlages. Vom Juni 1661 bis
zum März 1662 sollen in der Alt- und Neustadt über 1000 Personen an der Pest
gestorben sein, darunter die beiden Bürgermeister und zwei Ratmänner der
Neustadt, so daß diese, wie der Notar vermerkt, wegen Unordnung fast zu Grund
gegangen wäre. Ja, auch auf Tiere verbreitete sich der Seuchenerreger. Der
Scharfrichter mußte damals beauftragt werden, die toten Hunde und Katzen von der
Straße zu schaffen.
Im März 1662 setzte Oberst Hiller den Kurfürsten von dem Gerücht in Kenntnis,
die Polen wollten ihm Braunsberg mit Gewalt entreißen. Daraufhin gab Friedrich
Wilhelm dem preußischen Oberpräsidenten von Schwerin den Befehl, Munition und
Proviant nach Braunsberg zu schicken. Hiller aber hielt es für notwendig, die
Schanzwerke vor der Stadt zu verstärken. Dach hatten die Polen weder die Mittel
noch Lust, um der ermländischen Hauptstadt willen neue Kämpfe zu entfachen. Hier
stieg die Not immer höher. Hiller griff wiederholt zu Gewaltmaßnahmen, um die
rückständigen Kontributionszahlungen zu erpressen, pfändete Vieh aus Auhof, legt
dem Bürgermeister ein Exekutionskommando ins Haus u. a.
Hatte Bischof Wydzga sich wiederholt vergeblich beim Kurfürsten für die Rückgabe
der gequälten Passargestadt eingesetzt, so bot ihm endlich i. J. 1663 eine
besondere diplomatische Mission günstigere Aussichten. Friedrich Wilhelm war
nämlich im November 1662 nach Königsberg gekommen, um durch die Erbhuldigung der
preußischen Stände in den tatsächlichen Besitz der preußischen Souveränität zu
gelangen. Der ermländische Bischof wurde nun vom Polenkönig zu einem der beiden
Kommissare ernannt, die den vertragsmäßigen Eid der Stände entgegenzunehmen
hatten, daß diese im Falle des Aussterbens der männlichen Linie des
brandenburgischen Herrscherhauses die Oberlehnsherrschaft Polens anerkennen
würden. Nun verlangte Wydzga, daß vor der Erbhuldigung Braunsberg geräumt würde.
Der brandenburgische Gesandte in Warschau von Hoverbeck, der die Schwäche des
polnischen Reiches kannte, riet dem Kurfürsten, die ermländische Hauptstadt
besetzt zu halten: der Geheimrat von Jena empfahl aber von Heilsberg aus, wo er
mit dem Bischof verhandelte, die Räumung mit folgender Begründung: „Meinem
wenigen Begriff nach kann ich leinen Vergleich machen zwischen Braunsberg und
Ew. Kurf. Durchlaucht befestigter Souveränität und beruhigtem Zustand des
Herzogtum Preußen, und würde es ein für mich schlimmes und schwaches Fundament
sein, wenn Ew. Kurf. Durchlaucht Staat auf Braunsberg beruhen sollte."
Diese Beweisgründe wirkten. Der Kurfürst erklärte sich einverstanden, vor der
ständischen Huldigung seine Truppen aus Braunsberg zurückzuziehen. Am 18.
Oktober sollte der festliche Akt in Königsberg vor sich gehen. Voller Freude
sahen die Braunsberger ihre unerwünschten Gäste die Vorbereitungen zum Abmarsch
betreiben. Da zeigten sie sich nobel und spendierten den gemeinen Soldaten noch
6 Tonnen Bier, dem Obersten 10 Stof Wein, 15 Hühner, 6 Gänse und 1 Kalb. Dann
stellte der Oberst dem Rate die Schlüssel der Stadt zurück und verließ am 17.
Oktober mit Munition, Proviant und „allem Hack und Pack" die Stadt, zumeist
durch das Mühlentor, zwei Kompagnien durch das Hohe Tor, nach Ansicht des
Stadtnotars, um den Platz wieder von beiden Seiten zu besetzen, falls die
Erbhuldigung nicht zustande käme. Ein Teil der Waffenvorräte wurde auf Schiffen
verladen. Als die Königsberger Feier programmäßig verlaufen war, kamen die
beiden westwärts abmarschierten Kompagnien zurück, um ebenfalls nach Königsberg
zu ziehen. Der Rat gestattete ihnen jetzt vorsichtshalber den Durchzug nur unter
der Bedingung, daß nicht mehr als 6 Rotten nach einander durchgeführt würden.
153
Auf 451 733 Gulden berechnete der Ratsschreiber die Lasten, die der Altstadt
durch die 8jähr. Einquartierungen und Kontributionen der
brandenburgisch-preußischen Besatzung erwachsen waren. Die Neustädter bezifferten
ihren Verlust auf 101 565 Gulden. Ein schwerer wirtschaftlicher Aderlaß, der die
Stadt um Jahrzehnte in ihrer Entwicklung zurückwarf. Schon 1660 heißt es,
mancher Ratsherr hinterlasse nicht genug, um begraben werden zu können. 1663
stand ein Drittel der Häuser wüst und leer. Eine drückende Verschuldung mußte
allmählich abgedeckt werden. Wie dankbar sich die Stadt ihrem bischöflichen
Landesherrn für seine erfolgreichen Bemühungen um ihre Freiheit fühlte, ist
daraus erkennbar, daß sie ihm durch ihre Bürgermeister Korz und Majakowski den
silbernen, innen vergoldeten Hofbecher im Werte von 200 Floren und 12 silberne
Löffel verehrte. Die Abgeordneten verbanden mit diesem Geschenk die Bitte, der
Bischof wolle bei der polnischen Krone seinen Einfluß dahin geltend machen, daß
die erschöpfte Gemeinde von einer Besatzung fernerhin verschont und von
öffentlichen Lasten auf einige Jahre befreit bleibe. Der Bischof versprach sein
Bestes zu tun, zeigte sich auch dadurch dem Rat der hartgeprüften Stadtgemeinde
freundlich gesinnt, daß er zum Schutze ihrer Justizhoheit i. J. 1664 den
Einwohnern „das Laufen auf das Schloß" in Zivilsachen verbot; sie möchten ihre
kommunale Obrigkeit ehren und sich nicht zu Bauern machen, bei Strafe von 3 Mark
oder 8 Tagen Turmhaft; der Schloßhauptmann solle aber solche Rechtssachen
gar nicht annehmen.
Unruhen in Polen bescherten dem Ermland schon im November 1665 neue
Einquartierung. Braunsberg wurde ebenfalls mit 2 Kompagnien belegt, die zum
Glück schon im Februar abrückten. Interessant ist folgender Tarif, den der
bischöfliche Ökonom Domherr Nycz für die monatliche Verpflegung eines Dragoners
festsetzte:
1 Scheffel Roggen
1 Gulden
1/4 Scheffel Erbsen
10 Groschen
40 Pf. Rindfleisch
2 Gulden
20 Groschen
1/2 Seite Speck
3 Gulden
3 Stof Salz
18 Groschen
2 Stof (4 Pf.) Butter
1 Gulden
10 Groschen
15 Käse (Zwerge)
15 Groschen
1/2 Tonne Bier
4 Gulden
Summe: 13 Gulden 13 Groschen
Dazu ein Eimer Sauerkraut und anderes Gemüse. Für das Pferd wurde als
Monatsration bestimmt:
4 Scheffel Hafer
2 Gulden
1 Fuder Heu
3 Gulden
15 Bund Stroh
15 Groschen
Insgesamt: 5 Gulden 15 Groschen
Die im Dezember 1666 einziehenden 118 polnischen Dragoner verursachten der
Altstadt bis zum Mai einen Kostenaufwand von 10000 Gulden. 1674 mahnt der
bischöfliche Statthalter den Rat, auf die durchmarschierenden brandenburgischen
Soldaten achtzugeben und nicht alle auf einmal durchzulassen: denn sie hätten
schon längst ein Auge auf die Stadt geworfen. Als der Große Kurfürst in seinem
Krieg mit den Schweden im Januar 1679 von Marienwerder aus den Braunsbergern
schrieb, er sei zu ihrem militärischen Schutze gegen die Armee des Marschalls
Horn bereit, antwortete der Rat, er verbiete den Durchmarsch der Truppen und
wünsche nicht den Schutz. So zogen die Brandenburger über das Eis der Passarge
an der Stadt vorbei; nur der Kurfürst selbst passierte mit seinem Gefolge die
Stadt.
I. J. 1679 erhoben sich wirtschaftliche Streitigkeiten zwischen der Altstadt
und der Neustadt. Diese hing unter ihrem Rathause eine eigene Waage auf und
wollte auch selbst am Flachshandel und der Schiffahrt Anteil haben. Der
altstädtische Rat wehrte sich entschieden dagegen, nur die Altstadt gehöre zu
den hanseatischen Seestädten. Auf seine Beschwerde griff der Bischof zugunsten
der Altstadt ein. Flachshandel und Waage sollten ihr vorbehalten bleiben. Doch
wurde den neustädtischen Kaufleuten durch bischöflichen Erlaß vom 29. Januar
1683 erlaubt, kleinere Schiffe bis zum Laderaum von 10 Last (zu 60 Scheffel) für
Getreide zu führen und zu bauen.
Ins Jahr 1684 führt uns der Kupferstich, der diesem Buche als Titelbild
beigegeben ist. Damals erschien das historisch-geographische Werk von Hartknoch
Alt und Neues Preußen, das auf E. 385 Braunsberg in dem Königlichen (Polnischen)
Preußen nächst den großen Städten Danzig, Thorn und Elbing die zierlichste Stadt
nannte, wiewohl Marienburg mit ihr um den Vorzug streiten könne. Die beigefügte
von C. Pistesch gefertigte, stark verzeichnete Ansicht zeigt uns im
Vordergrunde den Passargehafen, die Lastadie und den Werftplatz. Zwei Jesuiten
und mehrere Studenten weisen auf die Bedeutung der städtischen Bildungsstätten
hin. Die Kutsche auf dem linken Bildrand nimmt ihren Weg zum Mühlentor. Das
Gewirr der hinter der nördlichen Stadtmauer zusammengedrängten Häusel wird
beherrscht von dem Rathaus und den beiden großen Kirchen.
155
Eines der ältesten Bürgerhäuser der Stadt (Langgasse 71) stammt aus demselben
Jahre. Früher las man auf seinem Vordergiebel neben der Jahreszahl 1684 das
fromme Gebet: Benedic domine domum istam et omnes habitantes in ea — Segne,
Herr, dieses Haus und alle seine Bewohner. Erhalten hat sich nach der
Brückenstraße die sinnvolle Inschrift auf einem Längsbalken:
Ein idlich haeusgen hat sein
Kreutzgen,
Ists nicht von draussen, so ists
von drinnen.
Die im Stockholmer Kriegsarchiv aufbewahrte farbige Kopie eines Braunsberger
Stadtplans v. J.1892 (Abbild. 4) gibt uns ein anschauliches Bild der Alt- und
Neustadt mit ihren in den beiden Schwedenkriegen ausgebauten Befestigungswerken.
Nicht nur die Entfernungen sind nach schwedischen Ruten genau vermessen, auch
die Höhen über dem Wasserfall sind in der farbigen Vorlage maßgerecht
eingetragen. Rote Färbung deutet die in Fachwerk gemauerten und mit Ziegeln
bedeckten, die graugelbe Farbe die aus Holz gebauten und mit Stroh gedeckten
einfachen Gebäude und Scheunen an. Unsere Wiedergabe mußte sich leider auf den
Lageplan beschränken. Ob diese wichtige Stadtaufnahme damals durch Spionage ins
Stockholmer Kriegsamt gelangt oder später von König Karl XII. erbeutet wurde,
sei dahingestellt.
Bis zum Ende des Jahrhunderts waren der Stadt mehrere Jahrzehnte friedlicher
Entwicklung vergönnt. Entspannen wir uns nach den vielen trüben Eindrücken, die
die Kriegsgeschichte bietet, an der Hauptstätte edler Geselligkeit und heiteren
Lebensgenusses, im Artushofe. I. J. 1582 war der Rat an die Erneuerung des
baufälligen Klubhauses herangegangen, und der damalige Wohlstand der Kaufherren
und Schiffer erlaubte eine vornehme und geschmackvolle Ausstattung des
Junkerhofes und seiner Innenräume. Vom Dachfirst glüht uns eine vergoldete
Wetterfahne mit dem Schutzpatron St. Georg, vom Giebel St. Georg und die Wappen
des damaligen polnischen Königs und ermländischen Bischofs, der Stadt und des
Ermlandes. Sieben Fenster aus französischem Glase in Bleifassung schauen zur
Langgasse. Im Hauptsaal hängen Kronleuchter mit vergoldeten Löwentopfen;
Paneelwerk bildet die Bänke für den Rat, die Hofbrüder und ihre Älterleute, für
Jungfern und Pfeifer. Farbige Rauten mit den Hauswappen von Mitgliedern und
frommen Sprüchen dämpfen das Tageslicht, zeugen van Kunstsinn und jener
religiösen Grundhaltung, der Bischof Kromer i. J. 1583 bei seiner Reform der
Statuten der vereinigten hl. Leichnams- und Georgsbruderschaft neue kirchliche Aufgaben wies.
Die Harnische über der Jungfernbank dienen zum Schutze der Kämpfer beim
Stechreiten; im Danziger Artushofe sind solche noch heute zu sehen. Das St.
Jörgensschaff birgt das Silberwerk und Geld der Bruderschaft. Ein breiter, hoher
rotgestrichener Kachelofen spendet im Winter wohlige Wärme. Die hölzerne Decke
trägt kunstvolle Gemälde des Königsberger Meisters Hans Blosch, unterhalb läuft
ein Flies der Wappen sämtlicher ermländischen Bischöfe. Im Schießgarten am
Nagelschmiedetor übt die Pielketafel, ein billardähnliches Gesellschaftsspiel,
eine große Anziehungskraft aus. Die im 17. Jahrhundert hier eingerichtete
Wasserkunst wird 1675 für 300 Gulden ausgebessert.
Wenn auch die Schwedenkriege unter dem Silberschatz des Junkerhofes arg
aufräumten, so dürfte das Haus selbst wenig Beschädigungen erfahren haben. War
es doch das gegebene Kasino für die Offiziere, die in den behaglichen Räumen die
Bürger verdrängten und an der möglichsten Schonung der Innenausstattung
persönliches Interesse haben mußten.
Von der Reichhaltigkeit der Getränke gibt uns eine Notiz aus d. J. 1661. also
noch während der brandenburgischen Besetzung, einen Begriff. Dem Weinschenker
wurde damals der Rathauskeller für 100 Floren unter der Bedingung vermietet, daß
er unverfälschte Weine liefere, die Getränke nicht teurer als in Königsberg und
Elbing verkaufe und sich verpflichte, englisches, Lübecker und Rostocker Bier
sowie Braunschweiger und Wismarer Mumme zu halten. Kein Mangel also für durstige
Kehlen! Dazu gab es das gute einheimische Bier, das den vielsagenden Spottnamen
„Stürz den Kerl" führte und um 1668 in 60 Brauhäusern gebraut und in 11 Schenken
verzapft wurde.
Besonders hoch ging es natürlich zur Fastnachtszeit her. Die oben (S. 120)
angeführte Stelle läßt auf ein Braunsberger Fischerspiel schließen, das uns
sonst unbekannt ist. Dagegen erhalten wir öfter Kunde von dem Turnierspiel oder
Stechreiten, das sich einer gewissen Berühmtheit erfreute. Zu Beginn des Jahres
1681 war der Rat wegen eines kurz vorher erschienenen „großen und
erschrecklichen Kometen" mit starker Besorgnis erfüllt. Würde diese Zuchtrute
Gottes nicht neues Unheil künden? War nicht auch der bevorstehende polnische
Reichstag mit Zündstoff geladen? In ernster Verantwortung beschlossen die
Ratsherren, zur diesmaligen Fastnachtszeit alle Feste auf dem Junkerhof und das
öffentliche Stechreiten ausfallen zu lassen. Aber da hatten sie die Rechnung
ohne die Brauer gemacht. Die Gemeindevertreter liefen gegen diese
157 Miesmacherei Sturm: die Gerste sei geschüttet
und das Bier fertig, man möge also den Bürgern die frohen Feste gönnen; würden
üble Nachrichten vom Reichstag einlaufen, so könnten ja die Vergnügungen immer
noch abgeblasen werden. Der Rat konnte sich diesen Gründen nicht verschließen,
aber nun griff der ängstliche Erzpriester Georg Kedde den Fall auf und eiferte
in jeder Weise, auch in seinen Predigten gegen die leichtsinnige
Vergnügungssucht. Man wandte sich daher an den Bistumsadministrator Adam Konarski, und dieser entschied, ohne des Kometen zu gedenken, daß man den Hof
offenhalten und die Festlichkeiten beginnen könne, „weil nichts Übles vom
Reichstage zu hören sei". Das Turnier fiel denn auch so gut aus. daß Bischof
Radziejowski bald darauf nach seiner Ankunft im Ermlande den Wunsch äußerte,
„das höchst berühmte Ritter- oder Turnierspiel des Stechreitens" anzusehen. Am
Sonntag, 5. Oktober desselben Jahres wurde es ihm vorgefühlt, und er fand mit
seinem Gefolge an den Darbietungen lebhaftes Gefallen. Ebenso ließ sich Bischof
Potocki noch i. J. 1722 einen solchen Wettkampf vorführen.
Der Sieger in diesem bürgerlichen
Turnier, Dankherr genannt, genoß ebenso wie der Schützenkönig beim Vogelschießen
zu Pfingsten besondere Vergünstigungen; beide waren für das laufende Jahr vom
Wachdienst, Scharwerk und allen bürgerlichen Leistungen frei und erhielten
einiges Holz aus dem Stadtwalde und einen Wiesenmorgen zur Benutzung. Der
feierlichste Augenblick für den Sieger des Stechreitens war aber der, wenn ihn
die Dankjungfer vor den zahlreichen Zuschauern mit dem Silberkranz oder einer
Silberkette auszeichnete. Diese Dankjungfer wurde vom Rate aus den
Patrizierfamilien ausgesucht, und es war für sie keine geringe Ehre, wenn sie
die Siegerkrönung vollziehen und mit ihm den Tanz im Junkerhof eröffnen durfte.
Nur einmal im Januar 1674 wird uns vermeldet, daß die auserkorene Tochter des
Andres Hintz die ihr angebotene Ehre ausschlug. Die Ratshellen steckten die
Köpfe zusammen, was bei dem unerhörten Fall zu tun sei. Man drohte der
Eigensinnigen an, wenn sie jetzt den Artushof so verachte, sollte sie künftiger
Zeit nicht gewürdigt werden, auf selbigem Hof ihren hochzeitlichen Freudentag zu
halten. Diese Drohung dürfte wohl gewirkt haben.
Das noch erhaltene Brüderbuch des Artushofes beginnt erst nach dem Abzug der
Schweden mit dem Jahre 1636. Jedes neue Mitglied, aber auch die Gäste trugen
ihren Namen und meistens dazu einen Spruch oder Vers ein. Da finden wir neben
deutschen und lateinischen auch vereinzelte englische und
158 holländische, französische und italienische, polnische und russische
Einzeichnungen und Sprüche. Denn auch der ausländische Geschäftsfreund fand hier
gastliche Bewirtung.
Ein paar der zahlreichen gereimten Eintragungen seien hier wiedergegeben:
1637: Das Gemüt ehrlich,
Die Rede züchtig,
Die Tat tüchtig.
Die vier (!) gefallen mich.
1650: Das Vaterland ist so süß,
Viel süßer als viele Küß
Allzeit und immerdar
Und kann sein nicht vergessen
gar.
1686:
Vors Vaterland soll man tapfer suchen zu streiten,
Dazu die Jugend stets ritterlich
tun anleiten,
Die Ringmauer nit allein zu
schützen mit Musketen,
Sondern auch das freie Feld zu
Pferd, wann's ist von Nöten.
Hiervon giebt Braunsberg Lehr,
wenn sie zu Fastnachtzeiten
Mit Wehr und Harnisch im Turnier
tun tapfer reiten.
Sitz auf, reit voll und scheu nit
deinen Mann zu Pferd,
Es kommt Dir Ehr davon, all
fällst auch auf die Erd.
Wann man hier ritterlich
gestritten, Sich vor Sünd und Schand tut hüten,
Mag man wohl um die Krone bitten.
1648: Für einen jungen Held
Jungfrauen kosten viel Geld,
Sie machen viel Pein und Schmerzen
Im Beutel und im Herzen.
1680: Ein Mann, den seine Frau des Tags nur einmal kränkt,
Der also jeden Tag nicht mehr wie
einmal denkt,
Daß der recht glücklich sei. der
keine Frau genommen,
Der hat die beste Frau, so auf
der Welt, bekommen.
1708: Laßt uns fein lustig sein,
Solang wir mag sein,
Nach den alten grauen Jahren
Kommt der Tod gefahren.
159 Aber bald danach klagte jemand aus der Not
der Pestzeit:
Der Tod, der hat gewürgt die Brüder und gemordet,
Da wird ein treuer Bruder
hinwiederum beordnet,
Daß man die Toten soll zu Grabe
fleißig tragen
Und sich der treuen Lieb
brüderlich laß behagen.
Als kirchliche Begräbnisgilde lebt die St. Georgenbruderschaft, im Volksmunde
Hofbrüder genannt, mit ihrer altertümlichen Tracht noch heute fort.
Der baufällige Artushof wurde nach 1760 abgebrochen. Der Rest des
Silberschatzes im Gewichte von fast 10 Pfund wurde zunächst der Pfarrkirche in
Verwahrung gegeben, dann nach dem unglücklichen Kriege dem Staate abgeliefert.
Nur ein paar schlichte Silberschilde gingen in den Besitz der 1825 gestifteten
Schützengilde über, die mit der Pflege der wehrhaften Schießkunst eine Übung
der Artusbrüder übernommen hatte. Das eine Schild von 1716 erinnerte daran, daß
ein Braunsberger Schiff des Ludwig Balck mit einfachem Braunsberger Paß während
des nordischen Krieges glücklich nach Schweden durchgekommen war, obwohl die
Kaper von drei Nationen es angehalten hatten.
Als unmittelbare Zeugen jener Zeitperiode sprechen noch heute manche barocken
Kunstdenkmäler zu uns: neben dem schon oben (S. 106) behandelten Steinhaus ein
großer Teil der Innenausstattung der St. Katharinenkirche. Ergriffen von dem
neuen Stilgefühl, beseitigte man mittelalterliche Altarwerke der Gotik und
ersetzte sie durch zeitgemäße, in denen antikisierende Säulen und Kapitelle,
dramatisch bewegte Heiligenfiguren und reiche Schmuckformen, wie hängende
Fruchtkörbe und Zapfen, Ranken- und Blattwerk, Ohrmuscheln und Engelköpfe mit
ihrer gleißenden Vergoldung von religiöser Inbrunst, klassischem Bildungsgut und
farbenfreudiger Prachtentfaltung Kunde geben. So der Brigittenaltar von 1639,
der dreigeschossige Peterund Paulsaltar des Magistrats von 1640, die von
Bürgermeister Laurentius Maas 1659 gestiftete kunstvolle Kanzel. Auch im Gestühl
setzten sich damals gesteigerte Ansprüche durch: die Ratsherrensitze der
Neustadt mit Hausmarken stammen von 1644, die der Altstadt an der rechten
Pfeilerreihe wohl aus derselben Zeit. Das Gestühl der reichen Kaufmannsfamilie
Hanmann unterhalb des großen Orgelchors trägt die Jahreszahl 1678, die
Priesterbänke vor dem Hochaltar entstanden 1683. Noch seien die beiden
prächtigen, übermannshohen Zinnleuchter an den Stufen des Hauptaltares v. J.
1684 erwähnt, die das Gedächtnis an Bürgermeister Georg Foltert und dessen
Ehefrau Barbara verwitwete Protmann aufrechterhalten sollten und von ihrem
Schwiegersohn Eustachius Schmit und dessen Sohn Anton gestiftet wurden.
Um die Wende des 17. Jahrhunderts verfinsterte sich wieder der politische
Horizont. Nach dem Tode des Polenkönigs Johann Sobieski (1696) begünstigten
Thronwirren die Bildung von Konföderationen, deren Banden auch die Stadt
Braunsberg umschwärmten, aber nicht eingelassen wurden. Im Frühjahr 1697
berührte Zar Peter der Große nach längerem Aufenthalt in Königsberg die ermländische Hauptstadt und widmete hier dem Kolleg der Jesuiten besonderes
Interesse. Nachdem er ihre Kirche, Kongregationen, Sakristei, Schulen und
Alumnat aufmerksam besichtigt hatte, erquickte er sich in ihrem Speisesaal an
drei Glas Braunbier, das im Kloster selbst gebraut wurde und wegen seiner Güte
den vielsagenden Namen St. Katharinenöl führte. Dann setzte er befriedigt seine
Reise fort. Nach der Wahl des sächsischen Kurfürsten Augusts des Starken zum
König von Polen rückten im Dezember 1697 sächsische Truppen in die Stadt, die in
den nächsten Jahrzehnten fast andauernd unter Quartierlasten zu leiden hatte.
Denn i. J. 1700 brach der Nordische Krieg zwischen Schweden einerseits
und Rußland und Polen andererseits aus. Der junge Schwedenkönig Karl XII.
überraschte alle Welt mit seinen Siegen über die Verbündeten. Schon im Sommer
1701 erschienen aus Livland flüchtige sächsisch-polnische Truppen im Fürstbistum
Ermland mit ihren erpresserischen Forderungen. Im Sommer 1703 verlangte der
schwedische General Steinbock, der Thorn belagerte, von der ermländischen
Landesherrschaft eine allgemeine Kontribution von 125 000 preußischen Gulden,
und nachdem der König Thorn im Oktober erobert und Marienburg und Elbing
widerstandslos genommen hatte, bezog er selbst mit einem Teil seines Heeres im
Bistum Winterquartiere. In Braunsberg hatten sich eben brandenburgische Truppen
festgesetzt, als die Schweden sich der Stadt näherten. In Erinnerung des
früheren Schwedeneinfalles anno 1626 hielten es die meisten Jesuiten für
geraten, nach Heiligelinde oder Königsberg zu fliehen. Am 27. Dezember
erschienen die Schweden von Frauenburg her vor dem Hohen Tore und drangen in die
Stadt ein. Die Brandenburger wagten keinen Widerstand und rückten eiligst durch
das Münchentor ab. König Karl nahm im Steinhaus Wohnung. Am nächsten Tage
besuchte er die Jesuitenkirche, lobte ihre Schönheit und verglich sie mit der
Kathedrale von Uppsala. Im übrigen fiel er durch seine Schweigsamkeit auf.
161 Die Herren seines Gefolges, Prediger, Gelehrte
und Ärzte, wurden im Kolleg einquartiert, „sehr gebildete Männer, in ihren
Disputationen milde und versöhnlich." Am 29. reiste der König nach Heilsberg
weiter, wo er in dem von Bischof Zaluski verlassenen Schloß bis zum
nächsten Juni Residenz aufschlug.
Der Unterhalt der schwedischen Besatzung kostete Stadt und Land gewaltige
Summen. So mußte z. B. das Jesuitenkolleg 10 657 Gulden als einmalige
Kontribution und außerdem noch monatlich 500 Gulden zahlen. In den nächsten
Jahren erhoben abwechselnd die Schweden und Polen Kriegssteuern und sogen die
Bevölkerung bis aufs Blut aus. Um die unerschwinglichen Brandschatzungen
aufzubringen, verpfändete der Rat der Altstadt unter seinem Präsidenten Johann
Littau am 18. März 1705 an den reichen Kaufherrn Thomas Hanmann das Bollwerk
Rosenort (6 Hufen Land mit Inventar und ungefähr 8 Hufen Wald) für 11500 Gulden
auf sechs Jahre, mußte aber weil das Gut die 6 Prozent Zinsen (690 G.) nicht
einbrachte, noch jährlich 2 Last Gerste zugeben. 1707 zahlte Hanmann 2500 G.
nach und erhielt das Gut als Eigentum. Vom Stadtdorf Rudelshöfen verkaufte der
Rat im Juli 1705 ein Erbe von 3 Hufen an Albert Harasch. Zeigte die
Stadtverwaltung also den Willen, unter den größten Opfern den harten Forderungen
nachzukommen, so fehlte es doch nicht an Drohungen und Beleidigungen durch die
fremden Machthaber, die selbst vor Geldverlegenheiten nicht aus und ein wußten.
So ließ der schwedische Kommissar Skraggenschild am 10. Juli den ehrenhaften
Präsidenten Littau zu sich fordern, „goß über ihn viel Injurienwörter aus" und
deutete wütend an, falls die befohlenen Kontributionen nicht mittags eingingen,
wollte er ihm die Wohnung mit Exekution belegen, ihn selbst aber auf die
Wachtstube in Haft nehmen. Littau hatte genug von seinem dornenvollen Amte und
wollte es niederlegen, aber seine Ratsgenossen nahmen den Verzicht nicht an und
versprachen ihm, ihn besser in seiner Ehre und Autorität zu schützen. Im
folgenden Jahre rückten Polen ein mit neuen Forderungen. Da sie dabei die Säbel
zogen, beschloß man, Gewalt mit Gewalt zurückzuweisen und die Bürger
zusammenzurufen; da gaben sie Fersengeld. Während von 1705 - 08 Garnisongelder
für die Schweden nach Elbing geschickt werden mußten, verlangten auch die
polnischen Truppen Zahlungen.
Zu allem Unglück gesellte sich noch Kälte, Hunger und Pest. Der „heftige und
unablässige, unerhörte Frost, als kein Mensch gedenken kann", lichtete zu Beginn
d. J.1709 auch in Braunsberg, schweiften Schaden an. Die Saaten u. Bäume,
darunter über 100 Eichen, erfroren, Vögel fielen tot aus der Luft, Tiere erlagen
in Ställen und im Freien der ungeheuren Kälte. Auch viele Menschen wurden Opfer
des strengen Winters. In der Stadt froren alle Röhren bis auf den Hauptbrunnen
ein. Beim Eisgang zeigte das Eis eine Dicke von über 2 3/4 Ellen. Infolge der
ungewöhnlichen Kälte hatten sich Bären im Stadtwald eingefunden, und noch im
Juni sollten die Bauern eine Jagd veranstalten, an der Liebhaber von Bürgern
teilnehmen konnten. Mißwuchs, Teuerung und Hunger waren weitere Folgen des
strengen Winters.
In diesem Jahre, in dem die Schlacht von Pultawa über Schwedens Stellung als
Großmacht entschied, erreichten die fortwährenden Einquartierungen und
Kontributionen bald schwedischer, bald sächsisch-polnischer Truppen ihren
Gipfelpunkt. Auch die bischöfliche Regierung sah sich zu Steuererhebungen für
die feindlichen Parteien genötigt. Die Bürger brachten Schimpfreden statt Geld
aufs Rathaus, die Gemeindevertreter weigerten sich wiederholt, den Ladungen des
Rats Folge zu leisten. Und doch ließ sich der Rat in seinen Beschlüssen nur von
der Sorge um das Gemeinwohl bestimmen. Deshalb sah er sich auch gezwungen,
weiteren kommunalen Grundbesitz zu verpfänden und schließlich zu veräußern. So
streckte Hanmann im November gegen die Verpfändung von zwei Rodelshöfer
Bauerngrundstücken 5000 G. vor und erwarb diese im April 1710 für 10 000 G. Im
selben Monat versetzte der Rat an den reichen Mitbürger für 4 000 G. zwei
Bauernhöfe in Katzenhöfen, die dieser im nächsten Jahre für einen Nachschuß von
4 600 G. käuflich erstand. Im April 1710 verkaufte die Stadt auch den sog.
Schneckengrund bei Huntenberg (Julienhöhe) für 1600 G. an den Regens des
päpstlichen Alumnats P. Johann Schwang, der dort einen Erholungsplatz für seine
Studenten schaffen wollte. Ebenso wurden drei Bauern in Huntenberg für 3600 G.
an die Erben des Harasch verpfändet, aber später wieder eingelöst. In schwerster
Notzeit hatte sich also die Stadt ihres Landbesitzes Rosenort, Rodelshöfen und
Katzenhöfen (ungefähr 20 1/2 Hufen Ackerland und 8 Hufen Wald) entäußern müssen,
und Thomas Hanmann, der schon vorher wohlhabend war, im Kriege bedeutende
Gewinne gemacht zu haben scheint, hatte für 32 000 Gulden Güter erworben, die
über 100 Jahre in feiner Familie verblieben.
Inzwischen war Mitte September 1709 die Schreckenskunde in die Stadt
gedrungen, die Pest sei bereits in Danzig, Elbing und Königsberg ausgebrochen.
Der Rektor des Kollegs wird 163 um Schließung der
Schule gebeten, in der Kirche soll vor und während der Andacht mit Kaddig
geräuchert werden. Anfang Oktober wird die Seuche durch einen, der zu Schiff von
Königsberg gekommen ist, eingeschleppt. Im November sterben ganze Häuser aus. Am
schlimmsten wütet die Pest 1710; in der Neustadt fordert sie verhältnismäßig
mehr Opfer als in der Altstadt. An dem Orte, wo die neustädtischen Leichen
begraben werden, wird aus Almosen, die der neustädtische Benefiziat Johann
Trojan sammelt, bevor er selbst ein Opfer der Pest wird, die massive
Rochuskapelle erbaut. Die Beerdigungen sollen abends um 9 und morgens um 3 Uhr
stattfinden. Im Juli wird dem neustädtischen Bader die Praxis in der Altstadt
untersagt, „weil er viele umgebracht durch unbesonnene Medikamente und
unproportionierte Dosen, gleichviel ob alt oder jung." Als wenn gegen diesen Tod
ein Kraut gewachsen wäre! Erst Anfang 1711 erlischt das grausige Sterben.
Zweifellos kann die Angabe, ungefähr 8000 Menschen der Braunsberger
Pfarrgemeinde seien der Seuche erlegen, schon deshalb nicht zutreffen, weil
diese einschließlich der ländlichen Kirchspielsorte vor der Pest kaum mehr als
6—7000 Seelen gezählt haben dürfte. Das Totenbuch führt ungefähr 1050
Verstorbene auf, davon rund 800 für d. J. 1710, vermerkt allerdings, daß viele
Namen nicht verzeichnet sind. Aber mochten auch nur 1500 Pestopfer zu beklagen
sein, es war eine schreckliche Katastrophe, die ganze Familien wegraffte.
Die folgenden Jahre brachten wieder häufige Truppendurchmärsche und
Kontributionen; auch Moskowiter gehörten nun zu den ungebetenen Gästen. Am 8.
Februar 1713 reifte die Zarin mit dem Kronprinzen und 900 Mann Begleitung durch
die Stadt, am 19. März in kleinem Gefolge der Zar, dem bis Frauenburg über 70
Pferde Vorspann entgegengeschickt werden mußten. Er stieg ein Viertelstündchen
im Schloß ab, und weil es morgens war, nahm er ein Gläschen Branntwein und ein
Stückchen Weißbrot zu sich. 1716 hielt er sich mit 36 Begleitern zwei Tage in
Braunsberg auf und wohnte beim Stadtnotar Dobki; sein Aufenthalt verursachte nur
36 Gulden Unkosten. Zwischen durchmarschierenden brandenburgischen Truppen und
Studenten vermutlich der polnischen Nationalität kam es wiederholt zu
gefährlichen Zusammenstößen. Schon 1696 wagten Studierende, einer solchen
Abteilung drei der neugeworbenen Soldaten „abzuschlagen." Ähnliche Fälle
wiederholten sich 1713 und 1715, wobei auch Handwerksgesellen Anteil nahmen.
1712 hatten nach einer Beschwerde des Brigadiers aus Elbing Braunsberger
Studenten und Bürger einige seiner Mannschaften „sehr blutig traktieret." Für
die Stadt hätten derlei Übergriffe die übelsten Folgen haben können, und deshalb
schritt der Rat mit Strenge ein.
Im Februar 1714 veranlaßte ein großes Viehsterben die Bürgerschaft zu einer
Prozession aus der Pfarrkirche in die Jesuitenkirche, wobei 6 Patrizier
dreipfündige Opferkerzen trugen.
Erst 1718 verebbte in Braunsberg die Brandung des Nordischen Krieges, als
Karl XII. vor Friedrichhall fiel und nun die Bahn für die Friedensschlüsse
Schwedens mit seinen Feinden frei wurde. Die Gesamtsumme der in den Jahren
1696—1718 erpreßten Gelder berechnete die Altstadt auf über 410 745 Gulden. Dazu
kamen noch die durch Einquartierungen und Exekutionen verursachten Kosten an
Lebensmitteln, Futter, Fuhren u. a., von Plünderungen der einzelnen Einwohner
ganz zu schweigen. Kein Wunder, wenn die Bürgerschaft verarmt war und der Stadt
selbst nach der Veräußerung eines Teiles ihres ländlichen Grundbesitzes noch
eine Schuldenlast von rund 86148 Gulden verblieb. Zwei Jahrzehnte voller Not und
Leid, die nun neuen Friedenshoffnungen Raum gaben.
VII. Bis zur ersten Teilung Polens (1772)
Auf dem oberen Flur des Rathauses hängt ein großes Bild v. I. 1722, das uns
die 16 Mitglieder des damaligen Rates in ihren modischen Perücken und Bäffchen
um den gekreuzigten Erlöser vereinigt zeigt; darunter das inniger
Gottverbundenheit entsprungene lateinische Gebet zu Christus, die Beschlüsse des
Magistrats möchten immer mit seinen Wünschen in Einklang stehen.
Kaum waren die eisten Tauben des Friedens über den fallenden Wassern der
Kriegsnot sichtbar, als eine regere öffentliche Bautätigkeit in der Stadt
einsetzte. Wie die Jahreszahl 1718 an der Stirnseite des Stifts beweist, begann
bereits damals Fürstbischof Theodor Potocki auf dem Schloßgelände südlich der
Stadt einen klosterähnlichen Bau, der für 12 arme Konvertiten bestimmt war und
am 15. September 1722 seine Verfassungsurkunde erhielt. Das rechteckige, einen
traulichen Hof umschließende Gebäude trägt noch heute über seinem Eingange das
Wappen des Stifters.
I. J. 1721 wurde die alte baufällige Muttergotteskapelle am Turm der
Pfarrkirche abgebrochen und eine neue 165
aufgeführt. Die auf Pilastern ruhenden Tonnengewölbe im Innern geben dem Bau
ebenso sein spätbarockes Sondergepräge wie der durch Nischen unterbrochene und
durch Master gegliederte Giebel von außen. Der 1723 von den Jesuiten begonnene
Kuppelbau der Kreuzkirche bot dem Baugewerbe und Kunsthandwerk für Jahre reiche
Aufträge. Auch in der Neustadt gab es Arbeit. 1725 mußte hier das alte Rathaus
gestützt werden, und zwei Jahre später entschloß man sich zum Neubau. Aber wie
unsolide oder sparsam daran gearbeitet war, geht daraus hervor, daß 1733 der
neue Giebel einstürzte. In der Altstadt wurde das Rathaus einem durchgreifenden
Umbau unterzogen. Der Kaufherr Anton Hanmann, der Sohn des 1729 verstorbenen
Thomas, nahm i. J. 1739 als Kämmerer der Stadt den Bau in Angriff. Damals wurde
der Rest des städtischen Silberschatzes, 18 Silberlöffel „mit gewundenem
Stiel", 5 silberne Recherchen sowie Bleigläser unten mit Knopfchen aus dem
Tresor von dem Kassierer Karl Kising in Verwahrung genommen. An den Giebeln
wirkte sich die Kunst des Bürgers Gottfried Camehl aus, der auch die beiden Tore
mit den Stadtwappen schmückte und dazu im Hohen Tore ein Kreuzbild malte. Ob ihm
auch die heute noch vorhandenen Giebelfiguren zuzuschreiben sind, ist ungewiß.
Er forderte für seine Renovationsarbeiten an beiden Giebeln 100 Gulden, ging
dann aber „aus Liebe zum Gemeinwohl" auf den Selbstkostenpreis von 60 Gulden
herunter, die ihm am 15. November 1741 aus der Stadtkasse ausgezahlt wurden. Als
der Umbau am 14. November 1741 vollendet war, bot der dem lebhaften Reiseverkehr
der Langgasse zugewandte Südgiebel in seiner feinen Rhythmik und seinem
plastischen Schmuck jenen bewundernswerten Eindruck bürgerlichen Kunstsinnes und selbstbewußter Würde, der auch heute noch den Beschauer fesselt. Die drei oberen
allegorischen Figuren stellen neben dem hl. Joseph mit dem göttlichen Kinde
Glaube und Hoffnung, die vier untern vermutlich die natürlichen Tugenden
Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Starkmut dar. Dazwischen läuft das
Spruchband, das die hohe Bestimmung des Rathauses in einem nicht originalen
Distichon mit sinnigen, barock verstellten Worten verkündet:
Haec Domus odit, amat, punit, defendit, honorat
Desidiam, studium, crimina, jura,
probos.
Zu deutsch:
Dies Haus hasset und liebt, bestraft, verteidigt und ehret Trägheit, Fleiß, böse
Tat. Rechte und Rechtschaffenheit.
Südgiebel und Ostseite des Rathauses.
Daß es in diesem hohen Hause begreiflicherweise nicht an Spannungen und
Reibungen gemangelt hat, sei an einigen Beispielen aus jener Zeit dargetan.
Schon während der andauernden Kontributions- und Einquartierungslasten des
Nordischen Krieges hatte die Gemeinde i. J. 1714 bei Bischof Potocki förmliche
Klage eingereicht, daß der Rat die 32 verfassungsmäßigen Gemeindevertreter nie
zu öffentlichen Verhandlungen zuziehe, außer wenn Geld benötigt werde, daß er
mit dem Stadteigentum nach Belieben schalte und den Bürgern nicht Rechnung legen
wolle. Der Bischof ließ durch eine Kommission die Streitsache untersuchen und
verfügte danach, daß der Rat verpflichtet sei, seine Rechnungsbücher
Gemeindevertretern vorzulegen; trotzdem bedurfte es dazu auch für die Folge
gelegentlicher Mahnungen der Gemeinde. Innerhalb des Magistratskollegiums muß
sich der Präsident, offenbar beeinflußt von den Auffassungen jenes
absolutistischen Zeitalters, allmählich immer mehr Rechte angemaßt haben,
worüber nicht nur in der Bürgerschaft, sondern auch im Rate selbst Mißstimmung
entstand. Eine Beschwerde bei Bischof Szembek führte zur Einsetzung eines
Untersuchungsausschusses, der am 15. Mai 1732 einen Vergleich zustande brachte,
dem folgende Bestimmungen entnommen seien: Schwierige Angelegenheiten soll der
Herr Präsident dem Magistrat vorlegen. Die mit den einzelnen städtischen
Dezernaten betrauten Ratsmitglieder sollen nicht vom Präsidenten allein
abhängen, sondern Beschwerden gegen sie sind beim Ratskollegium vorzubringen.
Bei namhaften Beträgen bedarf der Präsident der Einwilligung des Rates. Über
Stadtstall und -Pferde verfügen Präsident und Kämmerer gemeinsam wie vordem. Die
Ratsbeschlüsse hat der Präsident genau zur Ausführung zu bringen und darf sie
nicht selbständig abändern. Die Aufsicht über die Stadtkasse soll ein
bemittelter Ratsherr führen, um Schaden zu verhüten. Die laufenden
Kassengeschäfte sollen Männern von gutem Ruf und Vermögen anvertraut, das Geld
an einem sicheren Ort im Rathaus aufbewahrt werden. Zu der jährlichen
Rechnungslegung darf die Gemeinde zwei Vertreter entsenden. Der Stadtwald soll
zur äußersten Notdurft vorbehalten bleiben; nur den Bürgern darf notdürftiges
Bau- und Lageholz, falls vorhanden, abgegeben werden, Fremden garnicht, außer
wenn es der Stadt zu merklichem Nutzen geschähe, und dann mit Wissen der zwei
Ältesten aus der Gemeinde. Kläger u. Beklagte sollen vor dem Stadtgericht
stehen, wenn nicht Altersschwäche oder Krankheit sie daran hindert. Mit diesem
letzten Punkt war ebenfalls in einer oft leidenschaftlich umstrittenen
Ehrensache Klarheit geschaffen. 167
Während der Rathausbau seiner Vollendung entgegenging, beschäftigte ein
anderes großes Bauvorhaben die öffentliche Meinung. Die Jesuiten wollten ein
massives Wohnhaus errichten und baten i. J. 1740 den Rat um Hergabe eines
„wüsten" Platzes zwischen ihrem Grundstück und der Reifschlägerbahn von der
Klosterdruckerei bis zur Katergasse. Während der Magistrat sich zustimmend
verhielt, war die Gemeindevertretung dagegen. Auch eine im nächsten Jahre aus
dem Schloß zusammentretende bischöfliche Kommission kam nicht zum Ziele, weil
die Gemeinde bei ihrem Widerstand beharrte. Erst der Vermittlung des neuen
Bischofs Adam Stanislaus Grabowski war es zu verdanken, wenn am 26. Januar 1743
Rat und Gemeinde den gewünschten Bauplatz unter bestimmten Bedingungen den
Jesuiten unentgeltlich zur Verfügung stellten. Der Rektor P Michael Nahser und
die Stadtvertreter Präsident Johann Hintz, Ratsherr Karl Kising und der
Stadtsekretär Franz Oestreich unterzeichneten das Abkommen. Nun wurde am 9.
Mai feierlich der Grundstein gelegt; aber da es an Mitteln fehlte, geriet der
Bau bald ins Stocken. Nach wiederholten Unterbrechungen konnte erst 1756 der
dritte Stock in Ordnung gebracht und mit vier Wohnungen versehen werden: die
Vollendung des heutigen Gymnasial-Altbaus fiel aber erst ins Jahr 1771.
Das Bild des Soldatenkönigs Friedlich Wilhelm von Preußen wird vor uns
lebendig, wenn wir hören, daß i. J. 1724 König August II. von Polen Befehl gibt,
alle brandenburgischen Werber gesanglich einzuziehen und am Leben zu strafen.
Werde bei solcher Gelegenheit ein Werber erschlagen, so würde deshalb keine
Rechenschaft verlangt werden. Damals wurde auch aus dem Fürstbistum eine Reihe
junger Leute zum Militärdienst gepreßt, namentlich wohl lange Kerls, für die der
König die bekannte Vorliebe hatte. So wurde im August 1723 der Braunsberger
Bürger Johann Sahl auf dem Rückwege von Elbing vom Fähnrich Petersdorff des
Bredowschen Regiments festgehalten, gefesselt und zu einem zweijährigen
Militärdienst verpflichtet. Im März 1724 suchten preußische Soldaten in Regitten
einen Deserteur. Im Oktober verfolgte der Krugbesitzer Georg Fiedler aus
Einsiedel zwei fahnenflüchtige preußische Soldaten über die ermländische Grenze
bis in die Braunsberger Vorstadt, nahm sie dort fest und ließ sie gebunden auf
preußischen Boden zurückführen. Als er am nächsten Tage wieder in die Stadt kam,
wollten ihn die über die Grenzverletzung erbitterten Braunsberger verprügeln.
Nur unter dem Schutz der städtischen Polizei gelangte er heil nach Hause. Da er
aber dabei Schimpf- und Drohreden gegen die Braunsberger ausstieß, zog ein Trupp
von älteren Jesuitenschülern und anderen jungen Leuten nach Einsiedel und
mißhandelte Fiedler. Die Sache hatte ein gerichtliches Nachspiel. Die Studenten
wurden bestraft, dem Krüger eine Entschädigung zugebilligt. Ein andermal
überfielen im Herbst 1739 Studenten auf der Landstraße im Weichbilde der Stadt
ein durchziehendes preußisches Werbekommando und nahmen ihm einen Rekruten ab.
Auf die Beschwerde des Königsberger Generalfeldmarschalls von Roeder versprach
der Rat, beim Rektor des Gymnasiums nachdrücklich für die Bestrafung der
Schuldigen eintreten zu wollen, und bat in ähnlichen Fällen um Meldung der
Truppenabteilungen beim präsidierenden Bürgermeister, damit dieser einige
Stadtbediente zum sicheren Geleit gegen jeden Unfug „des unvernünftigen Pöbels"
mitgeben könne.
Nach dem Tode Augusts des Starken (+ 1733) brach in Polen ein Thronfolgekrieg
aus. Der Sohn des Verstorbenen, August III. von Sachsen, und der Pole Stanislaus Leszczynski maßen ihre Kräfte. Rußland und Österreich traten für den Sachsen
ein, während sich Leszczynski auf französische Hilfe stützte. Das Ermland wollte
neutral bleiben, wurde aber in das feindliche Ringen hineingezogen. Der Rat von
Braunsberg entschied sich für August III. und nahm deshalb am 14. April 1734
eine von Elbing anrückende russische Besatzung auf. Ein aus Westpreußen, Polen
und Deutschen zusammengesetztes Heer von Konföderierten, das ebenfalls gern die
ermländische Hauptstadt für seinen Thronkandidaten gesichert hätte, kam zu spät
und versuchte die Russen zu vertreiben. Am Sonnabend vor Palmsonntag beschoß es
mit vier kleinen Geschützen von 4 bis 8 Uhr nachmittags die Stadt. Die Besatzung
erwiderte mit größerer Wirkung das Feuer. Auf das Gerücht, russische
Verstärkungen eilten von Elbing heran, brachen die Verbündeten die erfolglose
Belagerung ab und zogen ins mittlere Ermland ab. Erst im Spätsommer 1736, als
sich die Herrschaft Augusts III. in Polen endgültig durchgesetzt hatte,
verließen die Moskowiter die Stadt und das Bistum, die von den Einquartierungen
und Kontributionen schwer mitgenommen waren.
Braunsbergs Parteinahme für den sächsischen Kurfürsten wirkte sich später in dem
barocken Rangstreite günstig aus, den Bischof Grabowski i. J. 1747 ins Rollen
brachte. Er hatte nämlich erfahren, daß die größeren preußischen Städte dem
altstädtischen Magistrat die Bezeichnung edel nicht beilegten, und daß dieser
bei Briefen an jene nicht mit rotem 169 Wachs
siegelte; der Bischof selbst aber bediente sich wie seine Vorgänger im
schriftlichen Verkehr mit dem Rate der Altstadt der adligen Titulatur und des
roten Wachses. Auf Grabowskis Anfrage sandten die Braunsberger das Diplom
Wladislaus' IV. nach Heilsberg, und der Stadtsekretär Franz Oestreich gab dazu
die Erklärung, daß der Rat bei Schreiben an die großen Städte nach wie vor rotes
Wachs gebrauche, nur nicht Elbing gegenüber, das i. J 1740 die ungehörige
Anrede ehrenfest angewandt habe. Bischof Grabowski erwiderte nach Einsicht in
das königliche Privilegium in dem ihm eigenen sarkastischen Ton, er verstehe
nicht, was ein Braunsberger Patriciatus zu bedeuten habe, in Danzig heiße man
sie Tagediebe. Wladislaus habe zwar einige Familien als Ratsgeschlechter erklärt
und ihnen auch Wappen gegeben, was sonst bürgerlichen Leuten nicht eigen wäre;
er habe sie aber nicht geadelt, noch weniger der Stadt das Adelsprädikat
beigelegt. Wolle die Stadt aber einige Kosten aufwenden, dann wolle der Bischof
vom jetzigen König eine Erklärung erwirken, daß mit jenem Diplom der Adel
verstanden sei. Da der Rat mit diesem Vorschlage einverstanden war, erhielt er
ein von August III. am 18. Juli 1748 in Warschau ausgefertigtes neues Privileg.
Hierin erklärte der König in dankbarer Anerkennung der Verdienste der Stadt um
den Staat und seine Person, daß dem ganzen Magistrat, seinen einzelnen
Mitgliedern und den von Wladislaus ernannten Patriziern sowie ihren Nachkommen
das Prädikat Edler stets zugekommen sei und auch für die Zukunft gebühre.
Zugleich verlieh er vier anderen Familien, den drei Bürgermeistern Karl Kising,
Heinrich Schorn mit seinem Bruder Michael und Klemens Hanmann nebst seinem
Bruder Mathias und beider Neffen Anton und dem Stadtnotar Franz Oestreich für
sich und ihre Nachkommen eine gleiche Standeserhöhung und Wappen. Außerdem
änderte er das Stadtwappen dahin ab, daß statt der Halbmonde ein goldener Ring
über dem Baume schweben, die Ähren mit einem scharlachroten Band umwunden sein
und die beiden ursprünglichen Wappentiere samt der Unterschrift wegfallen
sollten. Diese völlig von dem mittelalterlichen Original abweichende Form des
Stadtwappens blieb bis 1927 in Kraft; seitdem ist auf Beschluß der städtischen
Körperschaften das alte deutsche Wappenbild wieder zu Ehren gekommen.
Erst i. J. 1750 gelangte das königliche Adelsdiplom in die Hände des beglückten
Rates, und er beschloß eine würdige Freudenfeier. Am 12. Januar 1751 um 9 Uhr
morgens versammelten sich Magistrat und Bürgerschaft unter Pauken und Trompeten
auf dem Rathause. 12 Kanonenböller krachten vom Markte, und es erhob sich der
präsidierende Bürgermeister Schorn zu einer wohlgesetzten Begrüßungsansprache.
Dann verlas der Ratssekretär Oestreich das auf einem rotsamtnen Kissen ruhende
königliche Diplom, und als er zum Schlusse kam, donnerten wieder die
Salutschüsse. Nun ließ er eine längere Rede folgen, die einen Überblick über die
Vergangenheit der Stadt gab und die Tugenden und Verdienste der regierenden
Herrscher von Ermland und Polen nicht genug zu rühmen wußte. Nur die
charakterischen Schlußsätze seien aus diesem Beispiel barocker Rhetorik
wiedergegeben:
„Erneuertes Braunsberg! werfte nun deine Blick auff deine Alterthümer zurück,
und siehe: Anselm dein erster Stiffter hat zu deinem Daseyn den Grund geleget,
Heinrich der erste die Gestalt, Adam (Grabowski) aber die Zierde gegeben: die
eisten beyden haben angefangen, der letztere aber vollendet, was deinen Ruhm
erheben kann. Bestrebe dich demnach Sein Gedächtnuß mit einer verbindlichsten
Ehrfurcht auf deine Nachkommenschaft auf so viele Jahrzeiten fortzupflantzen,
als wir bereits von denen Zeiten unseres Stamm-Vaters Adam entfernt sind. Ihr
Edlen aber, die Ihr den Ausdruck der Kgl. Großmuth an Euch traget, verehret die
Huld des Allerdurchlauchtigsten und Großmächtigsten Königs Augusti des dritten
mit unvergeßlichem Danck-Opffer, zündet dem Durchlauchten Kgl. Hause in Eurem
Heizen ein unauslöschliches Rauch-Werck der Treue an, ermüdet nicht, den König
Aller Könige inbrünstig anzuflehen, daß er den Saamen dieses Durchlauchten Kgl.
Geschlechts mit zeitlicher Glückseligkeit bis an der Welt Ende segne. Befleisset
Euch Euren erneuerten Charakter durch die Edle Unschuld Eurer sittlichen
Handlungen stets kenntlich zu machen, denn daran wird die Nachwelt erkennen, daß
Ihr das Werck der Hände Eures Theuren und Weisen Adams seid."
Nun fielen abermals 12 Kanonenschüsse, worauf der Professor der Philosophie
P. Petrus Schultz zur Feier des Tages „eine zierliche und wohl geratene
lateinische Rede mit aller einem echten Orator (Redner) anständigen
Annehmlichkeit" vortrug. Jetzt trat im Namen der Jesuitenanstalten der
Theologiestudent Anton Hahn auf, um in einem lateinischen Gedicht von rund 250
Hexametern das Ruhmesfest zu besingen. Danach ordnete sich die ganze Versammlung
zum Zuge nach der Pfarrkirche, und hier wurde bei einer schönen Musik für das
Wohl des Königs und des Fürstbischofs ein feierliches Hochamt gehalten.
Anschließend verfügten sich die Festteilnehmer in derselben Ordnung unter
Trompeten- und Pauken-, Zinken- und Posaunenschall wieder aufs Rathaus, wo an
drei Tafeln 171 gespeist wurde: eine von 40 Gedecken stand in der Ratsstube, die zweite für 60
Bürger in der Gemeinde-Stube, die dritte war für 45 Älterleute der Zünfte und
Gewerke bestimmt. Die Ratstafel war u. a. mit drei Zuckerpyramiden von sinniger
Konditorarbeit besetzt, deren mittelste den polnischen weißen Adler mit dem
kursächsischen Wappen, die rechte das Wappen des Fürstbischofs, die linke die
Fortuna mit verschiedenen Sinnbildern vorstellte. Während der Mahlzeit wurde
eine Cantate gesungen und dann verschiedene Gesundheiten ausgebracht: erstlich
des Königs, zweitens des Kgl. Hauses, wobei jedesmal 12 Völler gelöst wurden;
drittens des Fürstbischofs mit 9 Salutschüssen, des Domkapitels, von denen
einige Vertreter als Ehrengäste erschienen waren, mit 6 Schüssen und dann jedes
anwesenden hohen Herrn, denen je 3 Ehrenböller galten.
Als die Tafel aufgehoben war, wurde der Ball eröffnet und das Fest „unter
allseitigem Vergnügen und erwünschter Eintracht der Gemüter in der spätesten
Nacht geendigt und beschlossen."
Den Gefühlen des Dankes gegen den bischöflichen Landesherrn sollte auch das
Ölgemälde Ausdruck verleihen, das der Magistrat von Grabowski fertigen und im
Rathause aufhängen ließ. Noch heute grüßt uns im früheren Stadtverordnetensaal
die lebensgroße Gestalt des selbstbewußten Kirchenfürsten, der vor einem Tisch
stehend mit der Linken in einem Buche blättert, während die Rechte nach dem
Ordensstern auf seiner Brust deutet. Die Züge des von einer Allonge-Perücke
umrahmten Gesichtes zeigen jene stark betonte geistige Überlegenheit und
spöttische Art, die fein schonungsloses Urteil gefürchtet machten.
Davon konnten auch die Ratsherren der Neustadt ein Liedlein singen. Als diesen
bei der Magistratsmahl ein Versehen unterlaufen war, schrieb er ihnen i. J.
1752, sie hätten, da bei ihnen das Küchenlatein ziemlich wohlfeil sei, die
Stelle ihres Privilegs wohl verstehen können. Weil man aber von Leuten nicht
mehr verlangen könne, als sie verständen, so möchten sie sich die lateinischen
Worte verdeutschen, auf eine Tafel malen lassen und zu ewigem Andenken in der
Ratsstube aufhängen. Im nächsten Jahre verwies er ihnen, daß sie Häuser ohne
Land und Land ohne Häuser verkaufen ließen, überhaupt alles verkehrt anstellten
und dadurch unnütze Prozesse verursachten. Das käme aber daher, daß der
jeweilige präsidierende Bürgermeister alles nach seinem einfältigen Kopfe
erledige, ohne sich bei verständigen Leuten, falls dergleichen in der Neustadt
wären, oder bei seinen Kollegen Rat zu holen; solche Winkel-Kontrakte verbiete
er. 1755 hatten die Stadtväter in einer Testamentssache
nach der altüblichen Gewohnheit entschieden, weil das geltende lübische Recht
sich in diesem Fall nicht klar genug ausdrückte. Der Fürstbischof stieß ihr
Urteil in der Berufung um und flocht dabei die beleidigende Bemerkung von
neustädtischem Hornvieh ein. das nicht wisse, was Rechtens; ihr Richter und die
zwei elenden Beisitzer verständen so viel vom lübischen und anderen Rechten wie
die Kuh vom neuen Tore. Diesmal antwortete der Rat mit Ernst und Würde: Sie
seien nicht Rechtsgelehrte, sondern lichteten nach der Vernunft, mit der Gott
alle Menschen begabt hätte, nach Billigkeit und Gewohnheit. Das Testament sei
durchaus rechtmäßig gewesen. Sie bäten ihn. den Rat als eine von Höchstdemselben
verordnete Obrigkeit anzusehen, damit nicht Respekt und Gehorsam der Bürger
gegen sie
verloren gingen.
Über dem Rat der Neustadt gießt auch der eigene Stadtschreiber seinen Spott
aus, wenn er die schon 1676 im Bruder-jchaftsbuch des Artushofes aufgezeichneten
volkstümlichen Verse i. J. 1748 wiederholt:
Wo der Bürgermeister schenkt den Wein
Und die Fleischhauer im Rate sein,
Wo der
Ratsherr backt das Brot,
Da muß die Armut leiden Not.
Und er klagt anschließend über das Wirtschaftsleben der Stadt: Handel und Wandel
lägen darnieder: die Bauern führen mit ihrem Getreide und Flachs über die neue
Brücke bei Zagern nach Elbing; die Handwerker hätten wenig Arbeit und trieben
mehr Ackerbau; das Brauen gerate ins Stocken, weil auf dem Land Bier der Adligen
in den Krügen verschenkt würde: Schulden der Bürger und Stadt.
Aber der eingehende Bericht über den Bau und Stapellauf einer schmucken
Handelsjacht der Neustadt v. J. 1760 bringt freundlichere Töne in das Bild der
Wirtschaftslage. Im Winter 1759/60 ließ der rührige Großkaufmann und
Ratsverwandte Joachim Bredschneider mit bischöflicher Genehmigung auf
Schloßgrund unterhalb des Überfalls ein Handelsschiff von 40 Fuß Länge und 10
Fuß Breite bauen. Der Schiffszimmermann Jakob Helski leitete die Arbeit. Am
Charsamstag wurde es mit Pferden in den Fluß gezogen und nach der Ladebrücke
geschafft. Hier hatte Bredschneider bereits Garn für englische Schiffe und
einige Last Getreide nach Danzig laden lassen, als der altstädtische
Bürgermeister Oestreich das Fahrzeug mit Beschlag belegte, da es größer als 10
Last sei. Es bedurfte des Eingreifens des Bischofs Grabowski,
173 um schließlich die Altstädter zur Aufgabe ihres Widerstandes zu bewegen.
Diese neue Jacht, der weiße Schwan benannt, war in der Bauart das beste aller
Braunsberger Fahrzeuge. Der Bildhauer Johann Frey und der Maler Karl Moser aus
der Altstadt setzten ihre ganze Kunst in den Schmuck des Schiffes. Auf dem
Spiegel (Heck) war die göttliche Vorsehung zwischen Blumenwerk geschnitzt und
dazu die vergoldete Aufschrift:
Gottes Aug bestrahlt die Welt,
Gottes Vorsicht alles lencket,
Drumb beneide
Missgunst nicht,
Wass uns GOTT aus Gnaden schencket.
Das Steuer zielte ein geschnitzter Mohrenkopf, die Seiten zwei grüngestrichene
Delphine. Auf dem Schirm (Bug) war Neptun mit seinem Dreizack unter Blumenwerk
dargestellt. In der Kajüte waren Bettstätten. Bänke, Tische, Leisten zu Gläsern
u. a. so eingerichtet, daß nichts fallen konnte. Die Flaggen auf beiden Masten
waren blau und rot und trugen in der Mitte einen weißen Schwan. (Blau-rot-weiß
müssen als Farben der Neustadt gegolten haben, da seit 1750 auch die beiden
Stadtdiener blaue Röcke mit weißen Knöpfen und roten Aufschlägen und Kragen
trugen.)
Am 20. Mai konnte die Jacht endlich ihre erste Ausfahre antreten. Zunächst
traktierte der Rheder über 30 Gäste, darunter Verwandte und Freunde mit ihren
Frauen und die Handwerker, die am Bau des Schiffes beteiligt waren, mit einem
Frühstück. Dann bestieg man die im Schmucke von Flaggen und Wimpeln prangende
neue Jacht, vor der sich ein dichtes Gewimmel schaulustiger Menschen eingefunden
hatte. Nun wurde der Anker gelichtet, und unter Pauken und Trompetenschall u.
dem Knall einiger Musketen setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Voller
Bewunderung musterten die Gäste seine glänzende Ausstattung und moderne
Einrichtung und beglückwünschten den stolzen Besitzer. In Pfahlbude vollzog
Kaplan Johann Mocki die kirchliche Weihe des Schiffes. Dann bewirtete
Bredschneider die Gesellschaft mit einem würdigen Festessen, zu dem der
altstädtische Musikus Elias Wallroth aufspielte, und bei dem auf Bischof,
Domkapitel, den Landvogt und den hochedlen Rat der Altstadt Trinksprüche
ausgebracht wurden. An Getränken wurde mit Wein, englischem Bier (Ale). Kaffee
und Tee aufgewartet. Ein Tanz beschloß das herrliche Vergnügen, bei dem man sich
bis an den hellen Morgen erlustigte. Dann fuhr man
teils in Chaisen und Kariolen (Magen verschiedener Art), teils auf dem Losboot
des altstädtischen Bürgermeisters Karl Kising nach Hause. Am 23. segelte die
Jacht unter Führung des Schiffers Andreas Schier aus Passargendorf wohl
befrachtet nach Danzig und kehrte am 4. Juni mit Jahrmarktsware heim.
Das neue Schiff hatte viele Frachten, doch scheint sein prunkvoller Bau die
finanzielle Leistungsfähigkeit des Rheders zu stark in Anspruch genommen zu
haben: er geriet in Zahlungsschwierigkeiten und Konkurs und hatte das „Gefäß"
verkaufen müssen, wenn nicht sein Schwiegervater, der neustädtische
Bürgermeister Joseph Schwan, und fein Bruder Martin aus der Altstadt die
Gläubiger befriedigt hätten.
Zu jener Zeit kämpfte Friedrich der Große im siebenjährigen Kriege um den
Bestand des preußischen Staates. Seitdem i. J. 1758 russische Truppen Ostpreußen
erobert hatten, bekam auch das Fürstbistum Ermland mit moskowitischen
Einquartierungen die Kriegsnot zu verspüren. Am 29. Oktober 1759 verhandelte der
russische Generalleutnant und Gouverneur von Preußen von Korff persönlich mit
dem altstädtischen Bürgermeister Klemens Hanmann wegen Anlage eines Magazins für
Hafer und Heu. Im November 1760 bezogen 3 russische Regimenter im Ermland
Winterquartiere, in Braunsberg und Umgegend das des Generalleutnants Wolchonski,
das bis zum Mai 1761 verblieb. Erst als im nächsten Jahre Zar Peter III. mit
Preußen Frieden schloß, hörten die Durchmärsche der russischen Truppen auf. Im
März 1763 wird ein Transport österreichischer Gefangener in der Stadt
untergebracht. Daß auch in diesen martialischen Zeiten der Liebesgott Amor seine
zarten Faden zwischen den fremden Soldaten und den Töchtern der Stadt spann, ist
aus der Heirat der Ratsherrntochter Katharina Lunitz mit dem russischen
Hauptmann Peter von Rossy ersichtlich. Als die Hauptmannsflau im Februar 1763
ihrem Gatten ins ferne St. Petersburg folgte, begleitete sie und ihr Baby mit
Braunsberger Pässen nicht nur die Amme Charlotte Monslerin, sondern auch ihr
Bruder Anton Lunitz, der mit Einwilligung seiner Eltern sein Glück am Newastrand
versuchen wollte.
Ob die mit einem langen Krieg gewöhnlich verbundenen schweren Störungen des
Handels auch nach dem Hubertusburger Frieden an dem Zusammenbruch der
Braunsberger Firma Michael Schorn mitschuld waren, ist aktenmäßig nicht
ersichtlich. Tatsache ist, daß am 10. Juli 1765 der Ratsverwandte Schorn „wider
alles Vermuten" vor dem Bürgermeister fein Fallissement anzeigte. Schorn, der
aus einer schon um die Mitte des 175 17. Jahrhunderts aus Kaiserswert angezogenen Weinhändlerfamilie stammte,
deren Mitglieder es bald in der Altstadt zu Reichtum. Ansehen und den höchsten
bürgerlichen Ehrenstellungen brachten, betrieb wohl damals das größte
Handelshaus von Braunsberg. Aus Familientradition unterhielt er nicht nur einen
umfangreichen Weinhandel, der über Rhein und Mosel bis ins Land des Burgunder-
und Champagnerweines reichte, er führte auf eigenem Schiff auch große Ladungen
Salz, Kalke, Zucker, Kaffee. Fensterglas ein, exportierte insbesondere
ermländische Garne, Flachs, Leinwand und Getreide und genoß das unbedingte
Vertrauen seiner ermländischen Kunden wie seiner Geschäftsfreunde in Königsberg,
Elbing, Danzig, Stettin und darüber hinaus bis nach Reims. In dem 1728 erbauten
Traubenspeicher, nach seinem Familienwappen benannt, lagerten die wertvollen
Kaufgüter, ehe sie ins Ermland oder nach auswärtigen Plätzen verfrachtet wurden.
Der reiche Kaufherr gehörte zu den Patriziern, die von August III. geadelt
wurden; er war damals erst 31 Jahre alt. Dreimal war er verheiratet, zunächst
mit Magdalena Dromler aus der Mehlsacker Bürgermeisterfamilie, dann mit Maria
Elisabeth von Mathy, der Tochter eines Danziger Finanzrats und Witwe des
Braunsberger Kaufmanns Thomas Hanmann, und seit 1752 mit Magdalena von
Hertzberg aus Kirschdorf. Alle drei Frauen brachten ihm beträchtliches Vermögen
in die Ehe. Seit 1759 gehörte er dem Rate an. Auch das in seinen Anfängen
steckende Postwesen hatte er sich übernommen. Das große Haus, das er führte,
Möbel, Silberwerk, Bediente und Lakaien, seine Jagdpassion, erweckten den
Eindruck unermeßlichen Reichtums, und doch brach plötzlich alles wie ein
Kartenhaus zusammen. Nachdem die Forderungen Königsberger Firmen den Konkurs
herbeigeführt und Schorn seine Ehrenämter niedergelegt hatte, meldeten
zahlreiche andere Gläubiger ihre Ansprüche an, und es zeigte sich, daß auch eine
Menge ermländischer Bauern und Kaufleute bis nach Wartenburg, Bischofstein und
Rößel teils geliehenes Geld, teils Guthaben für Garn, Flachs u. a.
zurückverlangten. Am 4. März 1766 beliefen sich die angemeldeten
Gläubigerforderungen auf 326275 Gulden, denen Werte von 168 406 G.
gegenüberstanden. Die mit der Konkurssache betraute Ratskommission plante einen
Akkord von 44 Prozent; da aber infolge verspäteter Anmeldungen die
Gesamtschulden auf 363000 G. (etwa 1 Million RM) anstiegen, konnte nur eine
Quote von 35 Prozent bewilligt werden. Auch diese Rückzahlung war Schorn nur
dadurch möglich, daß Erzpriester Graf Ludwig von Ladron, Domherr von Olmütz und
Abt von St. Denis zu
Reims, ein wohl infolge der Beziehungen des polnischen Thronkandidaten
Stanislaus Leszczynski zu Lothringen nach dem Ermland verschlagener Franzose,
mit feinem Vermögen für ihn eintrat Nachdem Schorn so alle feine Gläubiger
prozentual abgefunden und sich dadurch rehabilitiert hatte, empfahl Fürstbischof
Ignaz Krasicki dem altstädtischen Rat im Januar 1768 ihn auch wieder in das
Magistratskollegium aufzunehmen, welchem Wunsche die Ratsherren Rechnung trugen.
— Übrigens zog der Schornsche Konkurs auch den seines Sohnes Anton und der
Tuchhandlung Andreas Schwengel in Braunsberg nach sich.
Als nach der Wahl des russischen Thronkandidaten Stanislaus Poniatowski zum
Polenkönig (1764) sich Konföderationen bildeten, um die Gleichberechtigung der
polnischen Dissidenten mit den Katholiken zu bekämpfen, verfolgten die
Nachbarstaaten Rußland und Preußen die Entwicklung der innerpolnischen
Verhältnisse mit erhöhter Aufmerksamkeit. Bereits unter dem 15. Oktober 1769
drohte die preußische Regierung zu Königsberg, das Fürstbistum Ermland
militärisch besetzen zu lassen, weil sich auch hier die Verbündeten regten. Die
künftigen Ereignisse warfen bereits ihre Schatten. Im August 1770 zeigte die
Königsberger Kriegs- und Domänenkammer dem Bischof Krasicki ihre Maßnahmen gegen
die von Polen drohende Pest an und verlangte deren Veröffentlichung und strikte
Befolgung auch in seinem Ländchen. Ein Jahr später forderte Friedrich II. vom
Bistum eine Beisteuer zur Verpflegung der preußischen Truppen, die ihm nicht
verweigert wurde. Im Februar 1772, als die Verhandlungen zwischen dem Bruder des
Königs, dem Prinzen Heinrich, und der Zarin Katharina die erste Teilung Polens
erfolgreich angebahnt hatten, ersuchte der preußische Kammerpräsident von
Domhardt den Bischof und das Domkapitel von Ermland um einen genauen Kataster
ihres Territoriums, vorgeblich damit bei etwaigen Durchmärschen preußischer
Truppen jede Überbürdung der einzelnen Orte vermieden würde. Trotz der
Weigerung der ermländischen Regierung antwortete die Königsberger Regierung am
24. April mit der Anzeige, daß infolge der Manöver bei Marienwerder eine
militärische Durchquerung des Ermlandes unvermeidlich sei; daher möge für die
Beschaffung der benötigten Fourage Sorge getragen werden.
Nun benachrichtigte die bischöfliche Landesverwaltung die Altstadt Braunsberg,
daß das Infanterieregiment von Stutterheim am 25. Mai dort einrücken und am 27.
weiterziehen würde. Der Rat beschloß, den Regimentschef im Hause des
177 Bürgermeisters Anton Hanmann. den Obristen beim Bürgermeister Klemens Hanmann
einzuquartieren. 1000 Mann sollten vom Ratsherrn Gottfried Roessel möglichst
gerecht untergebracht werden, 500 wurden der Neustadt zugewiesen. 116 Pferde
mußten zum Vorspann bis Mühlhausen gestellt werden. Auch auf dem Rückmarsch
berührte das Regiment die Stadt; der Generalleutnant von Stutterheim nächtigte
diesmal beim Ratsherrn Schorn. Am 15. Juni folgten 5 Kompagnien des Regiments
von Sydow, die hier ihr Standquartier beziehen sollten. Sofort ließ
Obristwachtmeister von Braun dem präsidierenden Bürgermeister die Stadtschlüssel
abfordern, und als dieser entgegnete, er dürfe sie ohne Vorwissen des
Fürstbischofs niemandem ausliefern, ließ jener erklären, es sei zur Sicherung
der Garnison notwendig, und er müßte im Falle der Weigerung auf Kosten der
Stadtkasse andere Schlüssel für die Tore anfertigen lassen. Daraufhin fügte sich
der Magistrat, wie er auch den anderen Forderungen nachkam; so stellte er 2
Reitpferde zur Verfolgung etwaiger Deserteure, räumte ein Ordonnanzhaus ein,
richtete das Nachhalls auf dem Markt als Hauptwache ein, setzte eine sehr mäßige
Fleisch-, Bäcker- und Hökertaxe fest u. a. Am 13. August zeigte Braun an, daß
demnächst 300 Rekruten in der Stadt eintreffen und hier ausgebildet werden
würden. Alle Bemühungen, die Verlegung des Rekrutendepots an einen anderen Ort
wie Pillau zu erwirken, scheiterten. Um Desertionen zu verhindern, mußten die
Bürger an den Toren Wachen beziehen.
Nachdem am 5. August 1772 die Einigung Preußens, Rußlands und Oestreichs über
die erste Teilung Polens zustande gekommen war, konnte der tatsächlichen
Besetzung der Stadt Braunsberg durch preußisches Militär auch die förmliche
politische Besitzergreifung durch Vertreter der preußischen Regierung folgen.
Eine neue Zeit machte dem geistlichen Kleinstaat Ermland nach über 500jährigem
Sonderleben ein ruhmloses Ende. Schon in den Schwedenkriegen hatte sich zum
schweren Schaden des Territoriums herausgestellt, wie im machtpolitischen Ringen
der benachbarten Staaten Wehrlosigkeit und Ohnmacht das friedliche Fürstbistum
zum Spielball der feindlichen Heere gemacht hatten. Der stammesfremde, innerlich
zerrüttete polnische Staat war weder fähig noch willens, seine Pflicht als
Beschützer des Ermlandes feindlichen Angriffen gegenüber energisch auszuüben. Er
hatte sich in der Hauptsache darauf beschränkt, polnischen Magnaten den
ermländischen Bischofsstuhl und einträgliche Domherrnpfründen zuzuwenden, und
diese fremden Prälaten hatten als Organe der Landesherrschaft wieder ihre
Landsleute
für den adligen Gutsbesitz, geistliche Ämter und Beamtenstellen herangezogen.
Der ermländische Bürger und Bauer war bis auf südliche Teile des Bistums deutsch
geblieben, und auch in Braunsberg hatte sich der deutsche Charakter der Stadt
und Bürgerschaft trotz der dreihundertjährigen polnischen Oberhoheit und
zweihundertjährigen polnischen Bischofszeit unerschüttert behauptet. Nur die
Jesuitenanstalten, die einen starken Prozentsatz polnischer Schüler und Lehrer
aufwiesen, bildeten eine gewisse Ausnahme. Das Deutschtum der übrigen
Stadtbevölkerung wurde auch nicht durch die staatsbürgerliche Loyalität
beeinträchtigt, mit der sie ihren rechtmäßigen Herrschern begegnete. In Sprache
und Schrift, Recht und Sitte blieb sie dem deutschen Volkstum treu verbunden und
fand deshalb auch unschwer den inneren Zugang zu der emporstrebenden deutschen
Großmacht Preußen, zu der das Ermland raumpolitisch naturgemäß gehörte, wenn
auch konfessionelle Gegensätze, stärkere Steuerforderungen und der Verlust
kleinstaatlicher Sonderrechte anfangs Vielfach schmerzliche Gefühle auslösten.
Die ermländische und Braunsberger Sondergeschichte mündete nunmehr in der
Geschichte des preußischen Königreichs.
VIII. Bis zum Frieden von Tilsit (1807)
Es war am Sonntag, dem 13. September 1772, als frühmorgens bei dem
altstädtischen Bürgermeister Oestreich der Preußische Kriegsrat Boltz und der
Justizrat Hahn von der Königsberger Kriegs- und Domänenkammer vorgefahren kamen
und unter Abgabe des königlichen Okkupationspatents mitteilten, sie seien als
Kommissare geschickt, um im Namen Sr. Majestät des Königs von Preußen von der
Stadt Besitz zu ergreifen, weshalb der Magistrat sogleich auf dem Rathaus
versammelt weiden möchte. Dies geschah um 8 Uhr, und nun gaben die Kommissare
dem Ratskollegium in aller Form die Okkupation bekannt, überreichten das Patent
zur allgemeinen Bekanntgabe, verboten, von der bisherigen Landesregierung
weitere Befehle entgegenzunehmen, und versiegelten die städtischen Kassen und
Archive. Die Ratsherren äußerten Bedenken, weil sie durch den Treueid ihrer
Landesherrschaft verpflichtet seien, und deshalb müßten sie sich mit ihr ins
Benehmen setzen. Das wurde ihnen schließlich gestattet, und so entsandten sie
nach Heilsberg den Bürgermeister Anton Hanmann und Ratsherrn Schorn, nach
179 Frauenburg die Bürgermeister Johann Kämpff und Oestreich. Dieselbe preußische
Bekanntmachung erfolgte auch im fürstbischöflichen Schloß und vor dem
herzitierten Rektor des Jesuitenkollegs Szaba. Währenddessen wurden von einem
Dutzend preußischer Soldaten die bischöflichen Wappen von den Toren und dem
Rathaus abgenommen und der preußische schwarze Adler angeheftet. Schon mittags
wiederholten die Kommissare in der Residenz des Domkapitels ihren hohen Auftrag,
und ähnlich geschah es in den meisten anderen Bistumsstädten.
Fürstbischof Krasicki zeigte sich über die Treue seiner Braunsberger sehr
erfreut und behielt die Deputierten zur Tafel, konnte aber der Entwicklung der
Dinge keinen Einhalt gebieten. Zum 27. September wurden Vertreter des Ermlandes
nach Marienburg befohlen, wo sie mit den Abgesandten des ebenfalls mit Preußen
vereinigten Westpreußen auf dem Schloß dem neuen Landesherrn den Huldigungseid
schwören sollten. Von der Altstadt Braunsberg wurden dazu die Bürgermeister
Kämpff und Hanmann und der Stadtsekretär Martin Poschmann abgeordnet, die am
23. ihre Reise antraten. Nach vollzogener Huldigung erhielten die Deputierten
eine mit dem Siegel versehene gedruckte Wiederholung ihres Eides, die sie nach
Hause nahmen.
Um die notwendigen statistischen Unterlagen für die Verwaltung u. Steuererhebung
in dem besetzten Gebiete zu erlangen, bereiste eine preußische
Klassifikations-Kommission von Ende September bis Anfang November das Ermland.
Aus den wertvollen protokollarischen Aufnahmen seien folgende Angaben über die
damaligen Braunsberger Verhältnisse mitgeteilt:
Der Rat der Altstadt setzte sich aus 13 Männern zusammen: dem präsidierenden
Bürgermeister Kämpff, 57 Jahre alt, 27 im Rat, dessen Jahreseinkünfte
einschließlich Sporteln 287 Gulden betrugen. Zweiter Bürgermeister war der
60jährige Oestreich, der 35 Jahre im Dienst war und als rechtsgelehrt
angesprochen wurde, wenn er sich auch nicht einer juristischen Prüfung
unterzogen hatte; seine Einnahmen betrugen 69 G. Der 3. Bürgermeister Hanmann
49jährig, 23 Jahre im Rat, galt ebenfalls als rechtskundig. Das älteste
Ratsmitglied war der 80jährige Andreas Weinreich, der seit 48 Jahren zum
Magistrat gehörte; Kämmerer war der 70jährige Georg Lunitz, der 36 Dienstjahre
im Rat zählte und 101 Gulden bezog. Der 56jährige Joseph Braun war Stadtrichter,
aber ohne besondere Vorbildung, Schorn hatte das Steuerwesen und die
Ziegelscheune zu betreuen, sein 44jähriger Bruder Joseph war Beisitzer beim
Stadtgericht und Inspektor der Stadtwache, der 75jährige Anton Spohn Pfahlherr; der
42jährige Heinrich Melchior war mit 21 Dienstjahren, von denen die ersten 14
allerdings seine hauptamtliche Tätigkeit als Stadtsekretär ausmachten, Provisor
der Braupfannen. Mühle und des Mälzhauses. der 34jährige Joseph Bertram mit 8
Ratsjahren war Wettrichter, Rössel Inspektor der Stadtfelder und Beisitzer beim
Wettamt. Der Stadtnotar Poschmann. 33 Jahre alt, 5 Jahre im Amt, war
rechtskundig und bezog als berufsmäßiger Beamter ein Jahresgehalt von 330
Gulden.
Der Magistrat hatte das freie Wahl- und Selbstergänzungsrecht und brauchte
nicht einmal, was der preußischen Kommission auffallend erschien, dem
Landesfürsten von den Wahlen eine Anzeige zu erstatten. Die jährliche Kür fand
zu dieser Zeit am Montag vor dem Sonntag Laetare statt, wobei der Vorsitz im
Bürgermeisteramt und in den einzelnen Dezernaten wechselte. Schon das vollendete
20. Lebensjahr genügte zur Bekleidung des Stadtschreiberamtes; nicht viel älter
brauchte man zu sein, um zum Ratsherrn gewählt werden zu können; die
Zugehörigkeit zu den wohlhabenden u. angesehenen Geschlechtern war, wenn nicht
ausschlaggebend, so doch sehr förderlich. Das erscheint auch insofern
verständlich, als die Ratsherren ihre zeitraubende Tätigkeit ehrenamtlich
ausübten; denn die geringen Geldeinnahmen, zu denen jeder noch zwei Achtel Holz
aus dem Stadtwald bezog, boten nur ein schwaches Entgelt für die anspannende und
verantwortliche Mühewaltung. Der Stadtnotar bildete als einziger berufsmäßiger
Beamter eine Ausnahme.
Der Magistrat der Neustadt bestand damals aus folgenden 8 Mitgliedern: dem
dirigierenden Bürgermeister Andreas Geritz, 55 J. alt, 23 im Rat, dessen
Einnahmen aus Sporteln sich auf etwa 100 Gulden beliefen. 2. Bürgermeister war
der 48jähr. Thaddäus Firley, 24 Jahre im Dienst, Kämmerer Simon Neubauer,
Wettrichter der Senior des Kollegiums, der 63jährige Peter Klawki. Stadtrichter
der von seiner Jacht uns schon bekannte 50jährige Bredschneider, dem als
richterliche Beisitzer Johann Palmowski und Joseph Czodrowski zur Seite standen.
Der 46jährige Stadtnotar Johann Schlattel war schon 26 Jahre im Dienst und
bezog ein Gehalt von rund 300 Gulden, freie Wohnung und hatte 4 Morgen Acker.
Auch in der Neustadt ergänzte sich der Rat selbst, muhte aber die getätigte Wahl
durch zwei aus seiner Mitte dem Schloßhauptmann anzeigen.
Die Altstadt zählte i. J. 1772 207 Feuerstellen, in den Vorstädten 156. Als
öffentliche Gebäude wurden aufgeführt das 181 Rathaus, Nachhalls, Packhaus, Badestube (in der Wasserstraße), worin jetzt
das Lazarett, Schießgarten, Wohnung für den Totengräber, 5 Wohnungen für die
Stadtbedienten, Stadtstall; auf der Vorstadt wurde unter den öffentlichen
Gebäuden der schwarze Adler, ein Wachhaus, Holzhof und Scheune und Malzhaus (in
der Malzstraße) benannt. Die Einwohnerschaft umfaßte 2871 Seelen. Davon waren
nur 190 Vollbürger, 42 Handwerker in den Vorstädten hatten das Bürgerrecht nicht
erworben. Auf dem Köslin wohnten Mietsleute und Tagelöhner. 6 Geistliche wirkten
an der Pfarrkirche. Das Jesuitenkolleg zählte einschließlich der Novizen 32
Ordensmitglieder, 200 Gymnasiasten und 14 Küchen- und Stallbediente; im
päpstlichen Alumnat waren 20 Zöglinge und 13 Bedienstete, im ermländischen
Priesterseminar 19 Kandidaten und 3 Küchenbediente. Das Katharinenkloster
umfaßte 21 Nonnen und 6 Mägde in Küche und Stall. Insgesamt wohnten in der
Altstadt und ihren Vorstädten 643 Männer, 643 Weiber, 403 Knaben unter 12, 50
über 12 Jahre, 375 Töchter unter, 147 über 12 Jahre, 11 Gesellen, Jungen und
Knechte unter 12, 94 über 12 Jahre, 9 Dienstmädchen unter 12, 157 Mägde über 12
Jahre, 336 Geistliche und Gymnasiasten.
An Grundbesitz verfügte die Altstadt einschließlich der Viehweide und der zu den
Häusern gehörigen sog. Radikalgründe und der Kirchenländereien über 124 Hufen
ohne Wald. Außer den drei Dörfern Huntenberg, Willenberg und Stangendort besaß
die Stadt das Vorwerk Auhof von 8 Hufen, das unlängst urbar gemachte Vorwerk
Kälberhaus, die Wecklitz-Mühle mit 2 Rädern, eine Ziegelscheune und das
Wirtshaus Pfahlbude. An Fabrikanten werden nur 9 Tuchmacher in der Stadt
aufgeführt, die die Jahrmärkte besuchen und einige Waren auch nach Danzig
exportieren. Die Braugerechtigkeit steht 76 Bürgern zu, von denen sie aber nur
37 ausüben. 7 Bürger brennen Branntwein. Außer diesen Bürgern und den
Handwerkern treiben einige Handel, „der wie auch überhaupt alle Nahrungsarten
seit geraumer Zeit in großen Verfall geraten ist." Als öffentliches Feuergerät
werden u. a. 2 Spritzen mit Messingröhren und Schläuchen, 2 Wassersäcke, 26
Feuereimer, 2 Feuerlaternen, 3 große Feuerleitern erwähnt; im übrigen sollte
jedes Bürgerhaus 1, die größeren 2 Feuereimer besitzen.
Die Einkünfte der Stadtkämmerei wurden nach dem Durchschnitt der letzten 6 Jahre
auf 9241 Gulden errechnet, von denen einige Posten hier herausgehoben seien. Die
bedeutendste Einnahme kam von Auhof, das mit Scharwerk von den Stadtdörfern
bewirtschaftet wurde, nämlich rund 2193 G. Willenberg zinste jährlich 596 G. bar, dazu 86 Scheffel Hafer, 110 Hühner, 22 Gänse,
Stangendorf 475 G., 64 Sch. Hafer. 80 Hühner, 16 Gänse, Huntenberg 443 E., 63
Sch. Hafer, 60 Hühner. 12 Gänse, Kälberhaus zahlte 400 G. Pacht. Aus der Brauakzise kamen durchschnittlich 1519 G. ein. dazu aus der Benutzung der
Stadtbraupfannen 36 G., des Mälzhauses 68 G. Das Pfahlamt erbrachte
einschließlich der Miete von der Pfahlbude 976 G. Die Gewerke zahlten jährlich
512 G. und zwar die Bäcker 108, Schuhmacher 106 G., Schmiede 60, Fleischhauer
49, Schneider 37, Töpfer 26, Tischler und Maurer 24, Leinweber 20, Böttcher 19,
Tuchmacher 16, Kürschner 12 und Radmacher 8 G. Kaufleute und Bürger, die zu
den genannten Gewerken nicht gehörten, zahlten unter dem Titel Nahrungsanlage
von ihrem Gewerbe jährlich 409 G. Außerdem wurde von den Kaufleuten für ein- und
ausgehende Waren noch eine besondere Steuer erhoben, die 409 G. eintrug.
An Grundzins kamen aus Stadt und Vorstädten 272 G. ein. Die Jahrmarktsbuden
ergaben 230, die Stadtmühle 139, der Schwarze Adler 170, der Stadtroßgarten 68,
die Ziegelscheune 57, der Schießgarten 40, die Stadtwaage 30, das Packhaus 20
Gulden. Von diesen Einkünften mußten 4 500 G. Schutzgelder an die Krone Polen
abgeführt werden. Von der anderen Hälfte wurden an die städtischen Beamten und
Angestellten Entschädigungen und Gehälter bezahlt und die öffentlichen Bauten
besorgt. Dem bischöflichen Landesherrn waren außer den Akzisen 58 G.
Anerkennungszins sowie ein Drittel der Gerichtsstrafen zu entrichten.
Der Bestand an Pferden und Vieh bezifferte sich in der Altstadt und den
Vorstädten auf 396 Pferde, 45 Fohlen, 112 Ochsen. 233 Kühe. 40 Stück Jungvieh,
130 Schafe, 215 Schweine und 8 Ziegen. Zur Aussaat brauchte man 1 Last (60
Scheffel) 49 Scheffel Weizen, 27 Last 23 Sch. Roggen, 17 L. 3 Sch. Gerste, 5 L.
36 Sch. Erbsen, 22 L. 19 Sch. Hafer. An Erträgen brachten Weizen und Roggen in
einem Mitteljahr das dritte, Gerste, Erbsen und Hafer das vierte Korn. Die
Gesamternte leichte also bei weitem nicht zur Ernährung der Einwohnerschaft aus:
dabei rechnete man für den Kopf jährlich 3/4 Sch. Weizen. 6 Sch. Roggen. 6 Sch.
Gerste zu Grütze und 5 Sch. zu Bier, 1 Sch. Erbsen und etwas Hafer zu Grütze.
Wir sehen aus diesen Zahlen, welche Bedeutung damals Erbsen und Grützen für die
Volksnahrung hatten, als noch die Kartoffel fehlte.
Die Neustadt zählte 200 Feuerstellen und 195 Bürger. Die Gesamtbevölkerung
betrug 1378 Personen, wovon 314 183 Männer, 382 Frauen, 244 Söhne, 280 Töchter, 105 Dienstmägde, 37 Knechte und
Jungen und 16 Gesellen waren. 46 Hufen Hausäcker waren in Morgen an die
Eigentümer vermessen, 10 Hufen 18 Morgen sog. Freiacker gehörten den Bürgern als
Eigentum. Der sog. Peterhagen mit 34 Morgen Säeland wurde alle 6 Jahre der
Bürgerschaft durch das Los verpachtet. Am unfruchtbaren Moor stand eine
Ziegelscheune. Außer 51 Mälzenbräuern und 3 Branntweinbrennern werden auch in
der Neustadt 9 Tuchmacher als Hauptvertreter des Gewerbes erwähnt.
Die Kämmereieinnahmen waren erheblich geringer als in der Altstadt und
erreichten mit Mieten, Pachten, Marktgeldern, Ziegeleiabsatz,
Bürgerrechtsgeldern im letzten Jahre 1240 Gulden; davon mußte die Stadt dem
Bischof jährlich 137 G. Grundzins abführen, dazu ein Drittel der Gerichtsstrafen
und die Akzisen. An Weizen hatte die Neustadt über ihre eigenen Erträge einen
Anlauf von 555 Sch. Weizen, 6266 Sch. Roggen, 6229 Sch. Gerste, 2446 Sch. Hafer
und 1577 Sch. Erbsen nötig. 316 Pferde, 23 Fohlen, 62 Ochsen, 169 Kühe, 29 Stück
Jungvieh, 41 Schafe und 201 Schweine waren das lebende Inventar der
neustädtischen Ställe.
Der Etat beider Städte belief sich also i. J. 1772 auf rund 10 500 Gulden, nach
preußischem Gelde 3 500 Taler; eine sehr geringe Summe, wenn man bedenkt, daß
davon nicht nur die ganz unerheblichen Verwaltungskosten, sondern auch die
Zahlungen an die ermländische Landesherrschaft und die polnische Krone zu
bestreiten waren. Eine der ersten Maßnahmen, die die neue preußische Regierung
vollzog, war, daß sie die beiden Städte, die oft in kleinlicher Rivalität
einander befehdet hatten, zu einem städtischen Gemeinwesen vereinigte.
Gemeinsamer Juftizbürgermeister wurde der bisherige Großkaufmann Franz Oestreich,
ein geborener Guttstädter, der in Königsberg die Rechte studiert hatte. Als
Polizeibürgermeister wurde ihm der preußische Steuerrat Johann Jakob Velhagen
saus der Bielefelder Buchhändlerfamilie) zur Seite gestellt. Aus den Ratsherren
beider Städte wurde ein gemeinsamer Stadtrat gebildet, der seine Sitzungen im
altstädtischen Rathaus abhielt. Poschmann wurde Stadtsekretär, Czodrowski
Stadtkämmerer. Im neustadtischen Rathaus wurde eine Dienstwohnung für den
Polizeibürgermeister eingerichtet.
Die größeren Finanzansprüche des preußischen Staates erwiesen sich in dem
Steueranschlag, den Oberpräsident Domhardt für 1773 aufstellte. Danach sollten
die 4860 Einwohner
von Braunsberg an Akzise und Tranksteuer 12150 Taler, an Servis oder
Quartiergeldern 3240, an Kopf- und Hornschoß der Stadtdörfer 168, an
Mühlengefällen 648, Salzertrag 972, Warenzöllen 1000, insgesamt 18178 Taler
aufbringen. Als direkte Staatssteuer kam die Kontribution in Höhe von 1758 Taler
hinzu. Für die Besoldung der Staatsbeamten und andere Kommunalbedürfnisse wurde
ein Betrag von 3 655 Taler in Aussicht genommen. So stieg der Jahresetat von 3
500 auf 23 000 Taler.
Hatte schon kurz vor der preußischen Okkupation preußisches Militär in
Braunsberg Garnison bezogen, so wurde die Stadt i. J. 1773 Standort des
Füsilier-Regiments von Luck, das nach seinen späteren Kommandeuren umbenannt
wurde (1780 von der Goltz, 1784 Graf von Schwerin, 1785 von Raumer, 1786 von
Favrat, 1794 Graf zu Anhalt). Nachdem das Regiment infolge der 3. Teilung Polens
verlegt worden war, zog i. J. 1799 das Infanterie-Regiment von Diericke unter
seinem dichterisch tätigen, Prügelstrafen und Spießrutenlaufen verabscheuenden
Kommandeur ein, das bis zum Kriege 1806 in der Passargestadt verblieb. Die
religiösen Bedürfnisse der überwiegend evangelischen Offiziere und Mannschaften
machten die Berufung eines Feldpredigers notwendig. Der Königsberger Gouverneur
von Stutterheim sandte den Kandidaten der Theologie Jester nach Braunsberg, der
außer der Militärgemeinde auch die anziehenden protestantischen Beamten und
Geschäftsleute betreute. Als Raum für ihren Gottesdienst benutzten sie den
großen Vorsaal des altstädtischen Rathauses. Der Garnisonküster Kloß errichtete
für die evangelischen Soldatenkinder eine Elementarschule. Die Toten wurden
meist in Grunau begraben, bis der Polizeibürgermeister Velhagen den schon lange
unbenutzten Friedhof des ehemaligen St. Georg-Hospitals der jungen evangelische Gemeinde
am 1. Juni 1782 als Begräbnisplatz überwies. Im selben Jahre gelang es ihm auch,
in der Person des Soldauers Krickente der Gemeinde einen staatlich besoldeten
Katecheten und Rektor zu gewinnen, der die erste evangelische Schule eröffnete und mit
Beihilfe des Staates in der Vorstadt gegenüber dem Et. Andreashospital ein
eigenes Schulhaus erbaute. (Nachdem in den Stürmen des Reiterkrieges sowohl das
Hl. Geist- wie das St. Georgs-Hospital in Flammen aufgegangen waren, waren beide
Stiftungen vereinigt und ein massiver Neubau auf der Stelle des früheren Hl.
Geist-Hospitals aufgeführt worden, das St. Andreashospital, das 1804 als
baufällig und verkehrsstsrend niedergelegt wurde. Nach Vereinigung
verschiedener 185 Hospitäler und Fonds i. J. 1849 konnte i. J 1850 der Neubau in der
Seeligerstraße bezogen werden.)
Als Bürgermeister Velhagen i. J. 1784 starb, stellte die evg. Gemeinde den
Antrag, das bis dahin von ihm bewohnte neustädtische Rathaus zu einer Kirche
ausbauen zu dürfen. Friedrich der Trotze erteilte dazu die Genehmigung und ließ
zum Umbau 1200 Taler überweisen. Der königliche Amtmann Hardt, der als
Nachfolger des bischöflichen Burggrafen vom Schloß aus das Domänenamt
verwaltete, leitete den Bau, und am 1. Januar 1786 bezogen in feierlichem
Gottesdienst die vereinigte Zivil- und Militärgemeinde die neue Kirche. Der
Feldprediger Dittmar übernahm die Vormittagspredigt, der Katechet und Rektor die
Nachmittagsandacht. Die ersten Kirchenvorfteher, der Großbürger und nachmalige
Stadtkämmerer Johann Herzog und der Klempnermeister Matthias Wolfgang Herzog,
wurden 1787 von Bürgermeister und Rat vereidigt.
Trotz der Vereinigung der beiden Städte wurden alle Tore militärisch besetzt
gehalten. Regimentskommandeur Graf Schwerin machte im November 1784 den
Vorschlag, die Wachen am Mühlentor der Altstadt und der Einfahrt in die Neustadt
vom Vorstädtischen Markt aus einzuziehen, um den freien Verkehr der beiden
Stadtteile namentlich während der langen Winterabende nicht zu behindern. I. J.
1786 wird der Plan in der Weise verwirklicht, daß die Torwachthäuser am
Mühlen- und Kesseltor, sowie an der neustädtischen Einfahrt abgebrochen werden.
Dafür wird auf der Königsberger Straße ein neuer Torweg mit Wachthaus (Nr. 12)
errichtet, in der Wache am Mehlsacker Tor (Hindenburgstr. 66) ein Offizierzimmer
angebaut, eine Unteroffizierwache vor dem Kesseltor auf der Vorstadt und eine
Hauptmacht auf dem altstädtischen Markt aufgeführt. Zu den Neubauten werden
außer den niedergelegten Wachtgebäuden auch die oberen Teile der äußeren
Ringmauer nördlich des Obertors bis zum Pfaffenturm zur Verfügung gestellt.
Die gesteigerten Verkehrsbedürfnisse und Baufälligkeit machten allmählich auch
den Stadttoren und dem alten Mauerwerk den Garaus. So wurde die 22 Fuß über dem
Stadt» graben liegende massive Brücke vor dem Obertor i. J. 1791/92 abgebrochen
und die Öffnung verfüllt, der sog. Kohlenturm, der dort lag, wo die Zugbrücke
begann, i. J. 1793 niedergelegt, der Turm des Hohen Tores i. J. 1803 bis zum 1.
Stockwerk abgetragen und in den sechziger Jahren völlig beseitigt. Das alte
Nagelschmiedetor in der Wasserstraße fiel 1791 der Spitzhacke zum Opfer, ein
neuerbautes Tor kam bereits 1819 zum
Abbruch. Der blaue Turm im Süden der Pfarrkirche wurde in der Zeit zwischen
1806 - 19 niedergelegt. Die Ostpreußische Kriegs- und Domänenkammer wünschte schon
i. J. 1805 den Abbruch des Mühlentors, das als Getreidemagazin benutzt wurde;
erst 1827 kam dieser Plan zur Durchführung. Am längsten hielt sich das
Kesseltor, das erst 1843 niedergelegt wurde. So schwanden jahrhundertealte
Baudenkmäler, die mit der Kultur- und Kriegsgeschichte der Stadt aufs engste
verwachsen waren.
Wie der Einzug einer dauernden Garnison und die Bildung einer evangelischen
Gemeinde das Gepräge der städtischen Bevölkerung wesentlich umgestalteten, so
geschah es auch durch die Aufhebung des Jesuitenordens. Als Papst Klemens XIV.
unter dem Druck mehrerer katholischer Staaten i. J. 1773 zu dieser Maßnahme
schritt, verbot Friedrich der Große die Bekanntgabe des Aufhebungsbreves und
sagte den Jesuiten, die er namentlich als tüchtige und billige Lehrkräfte
schätzte, seinen Schutz und die Belastung in ihrer bisherigen Verfassung zu. I.
J. 1772 setzte sich die Braunsberger Niederlassung aus 18 Patres, 7 Novizen und
7 Brüdern zusammen, von denen der Rektor Zaba aus Polen, 2 Patres aus Litauen
und 1 Bruder aus Bayern, alle übrigen aus dem Ermland stammten. Im Verzeichnis
d. I. 1773 werden nur noch 19 Mitglieder aufgeführt, und zwar 12 Patres, als
Rektor der Danziger Joseph Schorn, 3 Novizen und 5 Brüder; die fremden Patres
gehören dem Kolleg nicht mehr an. Unter dem königlichen Schutz setzten die
Braunsberger ihre bewährte pädagogische Wirksamkeit fort, bis ihnen am 22. Juni
1780 der ermländische Generalvikar Karl von Zehmen in ihrem Refektorium das
päpstliche Breve amtlich bekanntgab und eröffnete, daß sie fortan Namen und
Tracht ihres Ordens abzulegen hätten, aber als Weltpriester ihre bisherige
Arbeit fortsetzen könnten. Da dem König an dem Bestände der blühenden
Jesuitenschulen viel gelegen war, vereinigte er die 8 im Ermland und Westpreußen
aufgehobenen Kollegien zu einem Kgl. Schuleninstitut, an dem die Ex-Jesuiten als
literarische Patres weiter unterrichten sollten. Als Protektor war bei dem
schwierigen Umbau dieses kath. höheren Schulwesens der Koadjutor des Kulmer
Bischofs Graf Karl von Hohenzollern tätig. Die Braunsberger Anstalt wurde zu
einem akademischen Gymnasium erhoben, an dem zugleich der ermländische Klerus
seine philosophische und theologische Ausbildung erfahren sollte. Das Kapital
und Grundvermögen des aufgelösten Kollegs wurde vom Staate eingezogen und aus
den Erträgen der Betrag von 1109 Talern für die 187 Verpflegung und Besoldung des Rektors, der 5 Professoren und 2 „abgelebten"
Patres zur Verfügung gestellt; zweifellos äußerst gelinge Mittel, mit denen ein
so umfassender Lehrbetrieb nur notdürftig aufrecht erhalten werden konnte. Die
Jesuitendruckerei hatte schon i. J. 1773 mit einem Verzeichnis der hier
erschienenen und noch käuflichen Bücher ihre letzte Veröffentlichung
herausgebracht. Seit 1784 begann man das Lager der Druckschriften zu räumen.
Erst 1795 wurden die beiden über 20 Jahre brachliegenden Druckpressen und das
zugehörige Material, allein 66 Kisten Lettern, für 400 Taler an den
Hofbuchdrucker Kanter in Marienwerder verkauft, obwohl sich der Magistrat um die
Erhaltung der Druckerei am Orte bemüht hatte. Das baufällige Druckereigebäude
war schon 1792 niedergelegt worden. Die beiden unbenutzten 70 Fuß tiefen und 4
Stockwerke hohen Schulgebäude in der Kollegienstraße waren zunächst an Offiziere
der Garnison als Wohnungen vermietet und wurden später an Bürger verkauft, das
Eckhaus von der Firma Kuckein als Speicher verwendet. Die Wappentafel an der
Straßenfront erinnert noch heute daran, daß diese Gebäude durch die großzügige
Unterstützung des Domherrn Mathias Montanus i. J.1646 vollendet wurden. 1805/06
wurde das alte Kolleg wegen Baufälligkeit abgebrochen; für die
Unterrichts-zwecke genügte der Neubau, der auch den Lehrern Obdach bot.
Seitdem i. J. 1797 Papst Pius VI. der Napoleonischen Gewaltpolitik zum Opfer
gefallen war, hörten die bisherigen Zahlungen der römischen Kurie für das
Braunsberger Missionsseminar, das seit 1783 nur preußische Staatsangehörige
aufnehmen durfte, auf. Daher mußte der Regens Exjesuit Maximus Lowicki im
September 1798 seine letzten Alumnen entlassen. Da aber das 1651 erbaute
Diözesan-Priesterseminar am Kirchenplatz dem Einsturz nahe war, überließ Pius
VII. auf Bitten des ermländischen Bischofs Karl von Hohenzollern im Oktober 1800
das leerstehende Steinhaus mit dem zugehörigen Landbesitz als Heim für die
Theologiestudenten der Diözese; bis 1932 hat es diesem Zwecke gedient. Nach
Abbruch des Seminargebäudes an der Pfarrkirche wurde die Baustelle i. J. 1827
zur Errichtung der kath. Knabenschule geschenkt.
Nachdem auf Erneuerungsarbeiten an der Jesuitenkirche in den Jahren 1805/06 1200
Taler verwandt worden waren, gab die Ostpreußische Kriegs- und Domänenkammer i.
J. 1809 den Befehl, den ehrwürdigen mittelalterlichen Monumentalbau abzubrechen
und vorher die Utensilien meistbietend zu verlaufen. Diese mit den heutigen
Auffassungen über Denkmalspflege unvereinbare Maßnahme wurde damit begründet,
daß der Einsturz der Kirche zu befürchten sei. Es war nämlich der auf dem Kollegplatz 1757
angelegte große Brunnen zugeworfen und da. durch bewirkt worden, daß die unteren
Gewölbe des Gotteshauses sich mit Wasser füllten und die Bodenfliesen gehoben
wurden. Statt das Grundübel etwa durch Röhrenleitungen zum Stadtgraben zu
beseitigen, riß man in unverständlicher Barbarei das bedeutende Bauwerk nieder,
dessen Schutt noch im Herbst 1813 nicht weggeräumt war. Aus dem Verlauf der
Baumaterialien und des wertvollen Inventars wurden ganze 8392 Taler vereinnahmt.
Die Orgel, einige Altäre, Kelche und Paramente wurden für andere ermländische
Kirchen ersteigert, viele Stücke an Silberwerk, Kupfer- und Messinggerät,
Bilder, Ornate, Grabsteine u. a. gingen in die Hände von Altwarenhändlern und
Laien über. Reste des gotischen Chorgestühls sind noch in der Sammlung für
christliche Kunst des Akademie-Museums erhalten.
So setzte mit der Aufhebung des Jesuitenordens ein unaufhaltsamer Niedergang der
Braunsberger Lehranstalten ein. Dem Verfall der Gebäude entsprach der Rückgang
des Schulbetriebes. Ein kleines, schlecht besoldetes Kollegium, zumeist noch
frühere Jesuiten, unterrichtete auf 5 Klassen in Theologie, Philosophie und den
gymnasialen Fächern angehende Priester bis herab zu Knaben von 7—8 Jahren.
Trotzdem war die Schülerzahl i. J. 1808 auf 55 gesunken.
Erfreulicher ist dagegen das Bild der damaligen wirtschaftlichen Entwicklung der
Stadt. Vor allem war es der Garn-Handel, durch den das Handelshaus Oestreich
weitreichende Geschäftsbeziehungen gewann. Die Frau des Ratssekretärs Oestreich
Magdalene geb. von Kärpen hatte mit geringem Kapital das Unternehmen begonnen,
das bald ihr Mann in die Hand nahm. I. J. 1747 verband er sich mit dem
Bürgermeister Heinrich Schorn zu einem Kompagnie-Geschäft, machte sich 1752
selbständig und nahm i. J. 1782 seinen Sohn Johann als Gesellschafter in die
Firma auf. Dieser, am 6. September 1750 geboren, hatte schon mit 16 Jahren das
Jesuitenkolleg absolviert und dann die Universität Königsberg bezogen, wo er
außer juristischen Vorlesungen auch philosophische bei Kant hörte. Der berühmte
Professor hatte einmal der Familie des Bürgermeisters Schorn in Braunsberg einen
Besuch gemacht, und wahrscheinlich auf Schorns Empfehlung durfte der junge
Obstreich in Kants Hause verkehren. 1770 kehrte er heim, um sich im elterlichen
Geschäft einzuleben, das ihm der Vater, inzwischen Bürgermeister geworden,
allmählich immer mehr überließ. Um neue Handelsbeziehungen anzuknüpfen, reiste
Johann i. J.1772 189 nach Hamburg, Holland und England, und seine Bemühungen führten zu
überraschenden Erfolgen. In allen Handelsstädten des nördlichen Europa erfreute
sich die Firma Oestreich, die Johann nach dem Tode des Vaters (+ 1785) allein
vertrat, bald eines guten Rufes und sicheren Kredits. In direktem Schiffsverkehr
setzten Braunsberger Schiffe ähnlich wie zur Hansazeit an deutschen und
ausländischen Küstenplätzen erstaunliche Mengen Garne ab. Selbst in den
Wintermonaten beschäftigte Johann Oestreich, der schon am 13. 6. 1783 zum kgl.
Kommerzienrat ernannt worden war, aber diese Ehrung aus Bescheidenheit jahrelang
zu verheimlichen wußte, auf seinen Speichern täglich etwa 250 Menschen mit dem
Sortieren, Binden und Verpacken des Garns. Von 1774—1803 brachte sein
Handelshaus rund 3 1/2 Millionen Bunde Garn zum Versand, das Bund zu 60 Tall,
diese zu 10 Gebinden gerechnet. Am blühendsten war dieser Absatz im Jahrzehnt
der Koalitionskriege von 1792—1803 mit fast 1 1/2 Millionen Bunden. 1801 erwarb
daher Oestreich den Platz am sog. Lehmberg zum Bau des mächtigen Löwenspeichers,
den noch heute sein Familienwappen ziert. I. J. 1785 begründete er eine
Damastfabrik und errichtete in der Langgasse (Nr. 55) das stattliche, 1796 noch
bedeutend erweiterte Wohn- und Geschäftshaus, das mit seinem mächtigen
Mansardendach und dem feinen Rokokoornament seine Nachbarn in den Schatten
stellt und mit dem Löwenwappen und einer 1932 angebrachten Gedächtnistafel an
einen der angesehensten und verdientesten Bürger Braunsbergs erinnert.
Der starke Schutz des preußischen Staates schenkte der Stadt Braunsberg über
drei Jahrzehnte friedlicher Entwicklung. In die kriegerischen Verwicklungen
jener Zeit wurde nur die Garnison hineinbezogen. So rückte das Regiment Luck im
sog. Kartoffelkrieg d. J. 1778 bis über die böhmische Grenze. Auch der junge
Leutnant Hans von Yorck war dabei, der mit seinem Vater, einem Hauptmann, als
14jähriger Junker i. J. 1773 bei den Braunsberger Füsilieren eingetreten war.
Nach ruhmlosem Feldzuge hatte das Regiment im schlesischen Habelschwerdt
Quartier bezogen. Am Krönungstage (18. Januar) 1779 gab die dortige Bürgerschaft
einen Ball und lud auch die Offiziere dazu ein. Man war in frohester Feier, als
plötzlich österreichische Kroaten in die Stadt eindrangen, die Fahnenwache
umstellten und die Fahnen erbeuteten, die Tore und den Ballsaal besetzten und
den größten Teil der Offiziere und Mannschaften kriegsgefangen abführten. Yorck
gehörte zu den wenigen, die entkamen. Erst im Teschener Frieden wurden die
Gefangenen ausgetauscht.
Kommerzienrat
Johann Oestreich (1750 - 1833).
(Ölgemälde im
Amtszimmer des Bürgermeisters auf dem Braunsberger Rathaus.)
Die Enttäuschungen dieses kampflosen Feldzuges, gegenseitige Vorwürfe und
Spöttereien wirkten auf das Regiment höchst demoralisierend. So begann es der
Braunsberger Bürgerschaft nach seiner Rückkehr überaus lästig zu werden. Übermut gegen die Zivilbevölkerung, Zechgelage und nächtlicher Lärm, Duelle und
Ärgernisse aller Art waren an der Tagesordnung. Die städtische Behörde fand
nicht den Mut zu Beschwerden. Die Ortsgeistlichkeit versuchte es mit
Strafpredigten, ohne anderen Erfolg als ärgeren Spott. Erst als 1780 General Luck den erbetenen Abschied erhielt und sein Nachfolger Obrist von der Goltz die
Zügel straffer anzog, lehrte Disziplin in die Truppe zurück.
Damals wurde Yorck aus dem Heere ausgestoßen und zu einjähriger Festungshaft
verurteilt. Veranlassung dazu bot der Stabskapitän von Naurath, der im Feldzuge
seine Hände nicht sauber gehalten hatte. Da er trotz Neckereien und ernster
Vorstellungen seiner Kameraden sich nicht zum Abschied entschließen konnte,
teilte man ihm mit, daß die Ehre des Offizierskorps auf dem Spiele stehe.
Dennoch erschien er, um die nächste Wachtparade zu kommandieren. Yorck sollte
sie als wachthabender Leutnant führen. Als nun Hauptmann Naurath antrat und das
Kommando begann, kehrte Yorck den Degen zur Erde, und jeder verstand das. Sofort
wurde er abgelöst und in Arrest geführt. Er erwartete, daß jeder Leutnant nach
ihm der Verabredung gemäß dasselbe tun werde; aber schon der nächste ließ ihn im
Stich. Diese offene Insubordination mußte er schwer büßen; denn nach seiner
Entlassung aus der Haft lehnte der alte Fritz seine Wiederaufnahme ins Heer ab,
obwohl General Luck in einem empfehlenden Zeugnis bescheinigte, daß Yorck nie
etwas Unehrenhaftes begangen und sich im Dienst wie außerdienstlich bis auf den
gesühnten Fall stets zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten betragen habe. Der
verabschiedete Offizier begab sich daher in holländische Dienste, nachdem ihm
seine Braunsberger Freunde ihre Hilfsbereitschaft bewiesen hatten. Er hatte
ihnen seine beiden schönen Pistolen zum Verkauf angeboten, um sich für die weite
Reise und den neuen Dienst die erforderlichen Mittel zu verschaffen. Seine
Kameraden spielten die Waffen untereinander aus; aber der Gewinner, ein
Stabsoffizier, übersandte sie mit dem Erlös von 150 Talern als Geschenk an
Yorck, dem damit seine trübe Erinnerung an die Braunsberger Garnisonzeit in etwa
verklärt wurde. Erst nach dem Tode Friedrichs des Großen wurde Yorck i. J. 1787
gleich Blücher wieder in die preußische Armee eingestellt, beides charaktervolle
Männer, die dem Vaterlands in schwerster Notzeit unvergängliche Dienste leisten
sollten. 191
Nachdem die 2. und 3. Teilung Polens den kampflosen Einsatz der ost- und
westpreußischen Regimenter notwendig gemacht hatte, rief Napoleons
herausfordernde Willkür die Armee des unentschlossenen, friedliebenden Königs
Friedrich Wilhelm III. auf das Feld der Ehre. Schon im Herbst 1805 war während
des österreichisch-russischen Krieges gegen Napoleon das Braunsberger Regiment
Diericke zunächst ostwärts gegen die Russen, bald darauf nach Schlesien gegen
die Franzosen in Marsch gesetzt worden, kehrte aber im März 1806 heim, ohne daß
das preußische Heer zum Losschlagen gekommen wäre. Aber im Sommer wurde es
ernst. Am 28. August rückte das Braunsberger Regiment nach Danzig ab.
Weitverbreitet war die Überzeugung, die ruhmgekrönte Armee des alten Fritz
werde mit dem französischen Emporkömmling schnell fertig werden. Aber die
unvermutete Niederlage von Jena und Auerstädt warf das ganze Gefüge des
preußischen Staates über den Haufen. Der hemmungslose Siegeslauf der Franzosen
kam erst in Ostpreußen zum Stehen. Am 21. Januar mußte der preußische General
Rouqette bei Braunsberg über die Passarge zurückweichen; die französische
Division Dupont folgte ihr. Am 22. mittags rückte ein Offizier mit etwa 36
reitenden Schützen vor das Rathaus, befahl den Polizei-Bürgermeister von
Bronsart und den Rat auf das Rathaus und forderte 10 000 Taler, widrigenfalls
die Stadt angesteckt und dem festgenommenen Bürgermeister 100 Prügel verabfolgt
würden. Sofort wurde von Haus zu Haus gesammelt, um die Erpresser zu
befriedigen. Als das aber dem Offizier zu lange dauerte, vergriff er sich an den
vorhandenen Kindergeldern der Waisenkasse, obwohl ihm bedeutet wurde, daß diese
laut kaiserlicher Verordnung zu schonen seien. Er entgegnete, die Stadt sei zum
Ersatz verpflichtet, begnügte sich aber mit 5 000 Talern, von denen die
Bürger-Sammlung 3162 Taler erbrachte, der Rest aus der Waisenkasse gegeben
werden mußte. Dem Tuchhändler Gehrmann wurde sein ganzes Lager geraubt. Am Abend
rückte General Cambacères mit einer starken Infanterie und Kavallerie ein.
Dieser verlangte am nächsten Tage von dem alten Bürgermeister einen sicheren
Noten. Da Bronsart mit Recht befürchtete, daß dieser als Spion mißbraucht
werden könnte, nahm er Rücksprache mit den Ratspersonen und schickte dann den
Schneidermeister Korschewski, der die Versicherung abgab, sich nicht als Spion
verwenden zu lassen. Auf Grund dieses Vorfalles wurden i. J. 1809 mehrere
Ratsangestellte entlassen, obwohl sie ihre Unschuld beteuerten; der
Bürgermeister war inzwischen verstorben.
Nach der blutigen Winterschlacht bei Pr. Eylau (7. und 8. Februar 1807) zog
Napoleon sein Heer hinter die Passarge in Ruhestellung zurück. 600 Mann
Garde-Kavallerie unter Führung des kaiserlichen Adjutanten General Durosnel
trafen zwei Tage nach der Schlacht des Morgens in Braunsberg ein. Sie waren von
der Kälte sehr mitgenommen und litten fast ausnahmslos an erfrorenen Füßen. Sie
lagerten bei Feuern auf der Straße und erwärmten ihre erstarrten Glieder,
benahmen sich im übrigen sehr diszipliniert und zogen nachmittags weiter. Andere
französische Heeresabteilungen folgten ihnen. Den Flügel gegen das Haff zu
bildete das Korps des Marschalls Bernadotte. Die verbündeten Preußen und Russen
rückten unter General L'Estocq gegen die untere Passarge nach zur Verfolgung der
Feinde. Die Kampfhandlungen vor dem Hauptgefechtstag (26. Februar) sind nicht
ganz klar.
Nach Abzug der Franzosen drang am 24. Februar Oberst Maltzahn mit einem
Bataillon Prittwitz-Husaren und zwei Füsilier-Bataillonen bis Braunsberg vor.
Westlich der Stadt entwickelte sich ein hitziges Gefecht, das für die Franzosen
mit dem Verlust von 31 Toten und 9 Gefangenen und dem Rückzug auf Zagern endete.
Die Preußen hatten 7 Tote, 28 Verwundete und 3 Gefangene, sowie 30 Pferde
verloren.
Am folgenden Tage zog General von Plötz mit seinem aus Preußen und Russen
gemischten Korps von etwa 14 000 Mann in Braunsberg ein und schob Husaren und
Füsiliere nach Zagern, Willenberg und Stangendorf vor. Vorgetriebene
Patrouillen stellten in der Gegend von Mühlhausen und Laut starke feindliche
Verbände fest. Trotzdem glaubte die Korpsleitung, daß die Franzosen über die
Weichsel zurückfluteten und die hier gegenüberstehenden Truppen nur den Rückzug
zu decken hätten. In diesem Gefühl der Sorglosigkeit unterließ man jede
Sicherungsmaßnahme zum Schütze der Stadt.
Allein es sollte anders kommen, als man dachte. Kaum hatte Bernadotte von dem
Braunsberger Scharmützel und der Besetzung der Stadt durch die Verbündeten Kunde
erhalten, als er sogleich Befehl gab, den wichtigen Brückenkopf unter allen
Umständen zurückzugewinnen. Er ließ daher den General Dupont, der bei Mühlhausen
stand, mit seiner Division und drei leichten Kavallerieregimentern unter General
La Houssaye sowie einer Dragonerbrigade gegen die Stadt vorrücken. Die Franzosen
marschierten in drei Kolonnen ostwärts über Zagern, den Stadtwald und
Stangendorf.
Als mittags Husaren die erste Nachricht von dem feindlichen Angriff brachten,
saß der Korpsstab im Östreichischen 193 Hause an der Tafel und lieh sich im Mahle nicht stören, da man die Meldung
für unglaublich hielt. Als aber nahe Kanonenschüsse die Tischmusik machten,
brach man eiligst auf und ließ Alarm schlagen. Vom Turm des Rathauses
beobachteten Stabsoffiziere die Entwicklung des Gefechts. Die Bagage der Vorhut
zog sich bereits zurück.
Bei Zagern hatte der Vortrupp des rechten Flügels Labruyere die preußischen
Vorposten bis in den Katzengrund zurückgetrieben; hier eröffneten diese mit
heraneilenden Verstärkungen in guter Deckung ein lebhaftes Schützenfeuer, das
beiden Parteien etwa je 40 Mann kostete. Gegen die nachrückende französische Übermacht konnten sie sich nicht behaupten. General Plötz hatte indessen
eiligst die verfügbaren Truppen dem Feinde entgegengeworfen. Dragoner und
Kürassiere preschten vor, um die bedrängten Vortruppen aufzunehmen. Das
russische Regiment Kaluga, das Grenadierregiment Braun und die reitende Batterie
Graumann zogen durch das Schloß nach dem Rodelshöfer Grund und dem Zagerer Weg,
nahmen die vom Katzengrund zurückgehenden Abteilungen auf und hielten in
tapferer Wehr den Vormarsch des rechten feindlichen Flügels auf. Das schwache
Regiment Plötz und zwei andere Infanteriebataillone hatten am Wege nach dem
Stadtwald Aufstellung genommen, als gegen 4 Uhr hier und von Stangendorf her die
gegnerische Hauptmacht unter Dupont selbst auftauchte. Plötz erkannte, daß er es
mit einem überlegenen Feind zu tun habe, und gab den Befehl zum Rückzug, der
bald in wilde Flucht ausartete.
Die Kavallerie und reitende Artillerie folgte der Bagage bis zum Einsiedelkrug.
Labruyere setzte den zurückweichenden Verbündeten mit solchem Ungestüm nach, daß
das „Rette sich, wer kann!" eine Panik auslöste. Ein großer Teil der Flüchtigen
wählte den Weg durch das Schloßtor, wo bald eine heillose Verstopfung eintrat.
Vorzeitig versperrten sie die Pforte und riegelten dadurch die letzten
Abteilungen ab, von denen viele versuchten, sich über das Mühlenwehr und durch
die Passarge zu retten; dabei ertranken aber nicht wenige. Während noch der
Rest des Soldauer Füsilierbataillons unter dem Hauptmann Sommerhausen am Hecktor
nach Rodelshöfen den Rückzug deckte, waren die Feinde durch das Schloßtor und
die Pforten an der Kirche und dem Klosterturm in die Stadt gedrungen, wo sich
nun ein Straßenkampf abspielte, bei dem die verängstigten Einwohner Türen und
Fenster schlossen, um sich gegen die Kugeln zu schützen. Auch durch das
Wassertor folgten die Feinde den fliehenden Preußen auf den Fersen und besetzten
die
Poststraße bis zum Kesseltor, so daß nur die Langgasse, deren Ausgang am
Mühlentor von dem Bataillon Ruets gesichert wurde, den Flüchtigen offen blieb.
Aber es gelang den Franzosen, am Rathause eine Kanone aufzufahren, deren Feuer
die Reihen der Weichenden lichtete. Auch soll der Feind von einer südöstlichen
Erhebung die Mühlenbrücke beschossen haben und kam über die Kesselbrücke oder
das Mühlenwehr dem Bataillon Ruets in den Rucken. Das Gefecht dauerte kaum eine
Stunde, kostete den Verbündeten aber nicht weniger als 800 Tote, Verwundete und
Gefangene, sowie 6 Kanonen. Noch nach zwei Tagen lagen auf der Langgasse, dem
altstädtischen Markt und dem Kirchenplatz eine Menge Gefallener.
Der Feind verfolgte die Verbündeten bis gegen Heiligenbeil und genoß dann im
Plündern und Rauben die Flüchte seines Sieges.
Das glänzende Bravourstück eines schwarzen Husaren aber gab dem verlustreichen
Gefechtstage einen rühmlichen Ausklang. Am Morgen war Unteroffizier Giese mit 20
Prittwitz-Husaren in Richtung Elbing als Patrouille abgesandt worden. Auf dem
Rückwege erfuhr er die Besetzung Braunsbergs durch die Franzosen. Da er die mit
Eis gehende Passarge nicht durchschwimmen konnte, mußte er die Brücken benutzen,
um wieder zu seiner Truppe zu gelangen. Er ritt mutig in die Stadt und kam, von
der beginnenden Dunkelheit und Schneegestöber begünstigt, unbeachtet bis zur
Kesselbrücke. Hier erkannt und beschossen, bahnte er sich mit seinen Reitern,
den Säbel in der Faust, den Weg. Nur vier Husaren, die mit ihren Pferden im
Feuer stürzten, mußten zurückgelassen werden, mit den übrigen erreichte er
glücklich die Straße nach Heiligenbeil. Noch aber befand er sich im Rücken der
französischen Vorposten. Eine Feldwache wurde überfallen und zusammengehauen.
Weiter jagend, stießen die Husaren auf eine feindliche Kavallerieabteilung, die
eben zwei erbeutete preußische Geschütze nebst Pulverwagen fortschaffen wollten.
Sie wurde zersprengt, ihre Beute abgenommen, und glücklich traf Giese mit seinen
16 Husaren und den zurückeroberten Kanonen am späten Abend beim Korps Plötz in
Heiligenbeil an. Er erhielt für seine Heldentat das goldene Ehrenzeichen, wurde
1808 zum Junker, ernannt, im Befreiungskrieg mit dem Eisernen Kreuz und pour le merite ausgezeichnet, später geadelt und war zuletzt Kommandant der 6.
Kavallerie-Brigade (+ 1855 zu Brandenburg a. H.).
Wie diese Ruhmestat in Wort und Schrift viel verherrlicht wurde, so hielt ein
Farbendruck eine andere Szene des Braunsberger Gefechtes fest: Ein Franzose bot
einem schwarzen Husaren
195 Pardon an, aber dieser zog seinen Säbel und rief ihm heldenmütig zu:
„Wofür trüg ich diesen?"
Obwohl eine kaiserliche Bekanntmachung der Braunsberger Bevölkerung verkündete,
das; sie nichts von französischen Truppen zu fürchten brauche, sondern
schonungsvoll behandelt werden würde, wenn sie sich selbst ruhig verhalte und
den militärischen Befehlen nicht widersetze, so machte sie doch eine
schreckensvolle Woche durch. Lebensmittel aller Art, Branntwein, Bier und Wein
waren den Siegern willkommene Beute, und im trunkenen Zustand ließen sie sich zu
den gröbsten Ausschreitungen hinreißen. So drang eine Gruppe in das Haus des
alten Oberstabschirurgus Seeliger an der nördlichen Markisette ein, wohin sich
die Gutsbesitzerfamilie von Hanmann aus Rodelshöfen geflüchtet hatte. Seeliger
gab ihnen an Lebensmitteln, was er konnte; aber immer frecher wurden ihre
Forderungen und Plünderungen, und als er sie an die Zusicherungen des Kaisers
erinnerte, verlachten sie ihn und mißhandelten ihn mit Schlägen und Stößen. Eine
qualvolle Stunde verging, ehe die trunkene Bande das Haus verließ; das obere
Stockwerk, wo 17 Flüchtlinge auf Stroh lagen und nicht wagten, sich zu zeigen,
verschonten sie jedoch infolge der flehentlichen Bitten des ehemaligen
Stabsarztes. Noch am selben Abend wurde der Kavalleriegeneral Lahoussaye hier
einquartiert, und damit war die Gefahr weiterer Plünderungen eingedämmt.
Freilich ließ sich sein Adjutant Labarbe sofort 30 Dukaten und Seeligers bestes
Pferd „verehren".
Sogleich nach der Eroberung der Stadt raubten die Feinde aus den verschiedenen
Stadtkassen an Bargeld, Pfandbriefen, Obligationen u. dgl. 21230 Taler. Als nun
noch eine Kontribution von 25 000 T. gefordert wurde, erklärte die
Stadtvertretung ihr Unvermögen. Nun wurde die Summe ermäßigt. Eine
Zwangsbeitreibung bei den Bürgern ergab 2103 T. Namentlich mit Kleidungsstücken.
Wasche und Schuhzeug versorgte sich die Einquartierung aus den bürgerlichen
Beständen. Selbst auf der Straße waren die Einwohner vor dem Stiefelausziehen
nicht sicher: sie konnten sehen, wie sie barfuß weiterkamen. Zwei Soldaten
gingen gewöhnlich ganz absichtslos auf ihr Opfer zu; dann faßte es der eine um
den Leib, während der andere im Nu die Füße aufhob und die Stiefel abzog. Ähnlich erging es dem Kreisphysikus Dr. Elsner. Er wurde in der Nacht nach der
Einnahme zu dem General Bellegarde gerufen, der sich unwohl fühlte. Danach wurde
er von einem Sergeanten angegangen, noch einen Kranken in der Nähe zu besuchen.
Als der Kreisarzt dem Unteroffizier in sein Quartier gefolgt war, erklärte ihm dieser, der Patient seien seine Stiefel, und er
ersuche ihn, mit ihm zu tauschen. Gegenvorstellungen fluchteten nichts, und der
Arzt, der früher gern die Höflichkeit der Franzosen gerühmt hatte, mußte jetzt
die Stiefel abziehen und die völlig zerrissenen des Soldaten nehmen. Aber da er
sie doch nicht gebrauchen mochte, bot ihm eine junge Dame in demselben Hause
ihre Pantoffeln an, auf denen er wie auf Stelzen seiner Wohnung zustrebte.
Andere, denen ihre Anzüge geraubt waren, sah man in bloßen Unterhosen und Hemden
oder Schlafröcken auf Pantoffeln mit Leinen umwickelt. Tuche, Leinwand, Leder,
Schlitten, Wagen und Pferde wurden für Militärzwecke beschlagnahmt. Aber auch
Wertsachen und Kostbarkeiten verschwanden in den Taschen und Tornistern der
Soldateska. In der Pfarrkirche wurden am Gefechtstage 7 silberne Kelche und
anderes Silberwerk im Werte von 365 Talern gestohlen. Andere Nachweisungen
führen geraubte Brillanten, Gold- u. Silbersachen, Uhren, Porzellan, Gemälde,
Bücher, Musikinstrumente u. a. auf. Erst nach acht Tagen wurde das Plündern bei
Todesstrafe verboten, aber das Requirieren von Lebensmitteln und Futter für die
Pferde ging weiter. Bald trat daher allgemeine Not ein: die umliegenden Dörfer
und selbst der Markt von Elbing mußten Braunsberg ernähren helfen.
Der spätere Kommerzienrat Kunckein hatte einem Glücksumstande seinen späteren
Reichtum zu verdanken. Seine Frau lag am Gefechtstage als Wöchnerin darnieder,
als Plünderer in den unteren Laden eindrangen. Ein rücksichtsvoller Sergeant
verjagte die Bande, ließ den Laden schließen und bewachte bis zum nächsten
Morgen mit dem Gewehre die Tür. Ein hoher Offizier schrieb auf seine Bitte einen
Sicherheitsschein. So wurden die reichen Vorräte im Laden und Keller verschont,
die Kuckein bald mit großem Gewinn verkaufen konnte. Er wollte den Sergeanten
mit Geld belohnen, aber dieser erbat sich nur ein reines Hemde, das nicht gleich
vorhanden war. Man wollte es besorgen und bat ihn wiederzukommen, aber am
nächsten Morgen mußte er abrücken und ließ sich nicht mehr sehen.
Der Ortskommandant General Narrow war ein edler Mann, der jedem Bedürftigen gern
seine Hilfe angedeihen ließ. Oft teilte er seine Verpflegung mit den hungernden
Almen. Aber der Unterhalt der etwa 5000 Mann mit ihren hohen Stäben machte ihm
genug Kopfschmerzen. Der Divisionsgeneral Dupont. einer der Helfer Napoleons
beim Staatsstreich des 18. Brumaire 1799, der den ehrgeizigen Korsen als ersten
Konsul zum wahren Machthaber Frankreichs machte, war im 197 Hause des Kommerzienrats Oestreich einquartiert, der kurz zuvor nach
Königsberg geflüchtet war, von wo er sich später nach Tilsit und Memel begab. Er
war sicher dem Feinde verhaßt, hatte er doch im Herbst in England und Preußen
Sammlungen für die Familien der im Felde stehenden Krieger und der Gefallenen,
sowie für die Invaliden veranstaltet und selbst sofort 5000 T. gespendet, sodaß
ihm der König, durch den Staatsminister Freiherr von Stein davon in Kenntnis
gesetzt, in einem huldvollen Schreiben von Küstrin aus (24. 10. 1806) für seine
opferfreudige Vaterlandsliebe seinen Dank aussprach. Sein Sohn Friedrich und
seine Schwester hüteten das Haus, das von dem Divisionär und seinen Adjutanten,
den Ordonnanzen und einer Wache von über 20 Mann belegt war und in dem täglich
20 hohe Offiziere speisten. Die vorsorglich beschafften Vorräte an Lebensmitteln
und Getränken reichten nur kurze Zeit, so daß jeden dritten Tag ein
vierspänniger Wagen nach Elbing gesandt werden mußte, um dort zu hohen Preisen
die gewünschten Einkäufe für die drei Köche zu machen. Der Aufenthalt des
Generals Dupont kostete Oestreich über 23 000 Taler, deren Erstattung er nie von
der Stadt verlangt hat. Dupont ereilte übrigens im Juli 1808 in den spanischen
Kämpfen sein Schicksal; mit 20000 Mann mußte er in Baylen kapitulieren.
Schon in der Nacht zum 28. Februar brannten die Franzosen vorsichtshalber beide
Flußbrücken ab, um vor gegnerischen Überraschungen geschützt zu sein. In die
Türme und Stadtmauern wurden Schießscharten geschlagen und so die
mittelalterlichen Werte in Verteidigungszustand gebracht. Da aber von
preußischer Seite kein Angriff erfolgte, wurde die Mühlenbrücke notdürftig
wiederhergestellt und auch die Neustadt besetzt. Mehrere hundert Arbeiter mußten
an der Königsberger Straße und vor dem Mehlsacker Tor Bastionen für etwa 10
Kanonen errichten, dazwischen an der heutigen Seeligerstraße ein Werk für 4
Kanonen. Wälle und Palisaden verbanden diese Bastionen, die mit Verhauen von
Obststämmen gesichert waren; spanische Reiter sperrten die Wege. Diese neuen
Schanzwerke galten nur der Vor- und Neustadt, weil hier preußische Vorstöße zu
erwarten waren. Eine Anzahl von Gebäuden mußte diesen Befestigungsanlagen
weichen. Im ganzen verlor die Stadt während dieses Jahres 46 Häuser.
Während der französischen Besatzung wurden in Braunsberg die in Lübeck in
Gefangenschaft geratenen General Blücher gegen den französischen General Victor
und Jägeroberst von Yorck ausgewechselt.
Erst als im Juni in neuen Schlachten die Entscheidung gesucht wurde, rückten
die Feinde aus der völlig erschöpften Stadt all Leider nicht für lange; denn
nach dem Friedensschluß von Tilsit (7. Juli) hielt ein französisches Korps
weiter die Passargelinie besetzt, um einen Teil der rückständigen
Kontributionen einzutreiben. In Braunsberg waren es 800 Mann, die bis zum 9.
Dezember verblieben. Das schon vorher eingerichtete Kriegslazarett in der
ehemaligen Burse neben dem Steinhaus war zeitweise mit 60—80 Kranken belegt.
Aber auch in der Einwohnerschaft selbst wirkte sich die Not und der Hunger
dieses schrecklichen Jahres in seuchenartigem Sterben aus. Hatte die kath.
Pfarrgemeinde i. J. 1806 266 Tote zu verzeichnen, so waren es 1807 nahezu 1000,
1808 rund 370. Einige Zivilisten waren auch dem Straßenkampf am 26. Februar zum
Opfer gefallen.
Sämtliche Kriegsschäden vom Tage des feindlichen Einmarsches bis zu ihrem
endgültigen Abzug betrugen für die Stadt 783965 Taler und für die drei
Stadtdörfer 76 661 T. Die Kriegsschuld der Stadt belief sich nach der
Regulierung i. J. 1821 noch auf 44 379 T. Viele wohlhabende Familien waren
gänzlich verarmt, und noch ein halbes Jahrhundert später hatte die Bürgerschaft
die Leiden des unglücklichen Kriegsjahres nicht völlig überwunden.
IX. Bis zum Weltkrieg
Unglück und Not zwingen zur Selbstbesinnung, wecken oft schlummernde Kräfte zu
ungeahnter Aktivität. Auch im preußischen Staate erwuchs aus den Ruinen des
Zusammenbruchs neues verheißungsvolles Leben, entfalteten sich in den regeren
Bevölkerungsschichten erstaunliche Energien.
Am 30. Juni 1808 taten sich Königsberger Patrioten zu einem
sittlich-wissenschaftlichen Verein, dem sog. Tugendbund, zusammen, der die
Förderung des Schulwesens, der Kunst und Wissenschaft, der körperlichen Kraft
und Gewandtheit, der Sittlichkeit und religiösen Gesinnung bezweckte, im
Endziele aber einer nationalen Erneuerung und einer Befreiung aus den Ketten des
Tilsiter Schmachfriedens zustrebte. Noch im selben Jahre traten mehrere
Braunsberger Honoratioren dem Tugendbunde bei, und am 8. April 1809 gründeten
199 36 Herren unter dem Vorsitz des Majors von Rochelle in der Passargestadt
einen Zweigverein, der bald auf 63 Mitglieder anwuchs. Offiziere, Akademiker,
Ratsherren, Kaufleute waren es hauptsächlich, die unter dem Wahlspruch „Gott,
König und Vaterland!" in 6 Sektionen ihre gemeinnützige Wirksamkeit aufnahmen
und zu monatlicher Generalversammlung und Geselligkeit zusammenkamen.
Scheiterte auch die geplante Errichtung einer Militärschule für angehende
Fähnriche, so begann man doch im Juli mit gymnastischen und militärischen
Hebungen, an denen sich bald 60 Jungen beteiligten. So turnte man in Braunsberg
schon ein Jahr, bevor der Turnvater Jahn auf der Hasenheide damit anfing. Am 1.
Mai wurde eine Industrieschule für Mädchen eröffnet, die schon nach Monatsfrist
106 Schülerinnen zählte und diese durch Damen in vielen weiblichen Handarbeiten
unterrichten ließ. Aus ihr entwickelte sich Anfang 1811 eine Töchterschule mit
wissenschaftlichem Unterricht, die Vorgängerin der 1846 entstehenden kath. und
evg. höheren Mädchenschule und der seit Ostern 1922 städtischen Elisabethschule.
In einer Zeichenschule bemühte sich besonders der Kassierer des Oestreichschen
Handelshauses Höpffner, junge Handwerker und Soldaten auszubilden. Die
Einrichtung einer Kunstschule und Sonntagsschule für Handwerker wurde erwogen,
wenn auch nicht verwirklicht.
In diesen regen pädagogischen Unternehmungen des Tugendbundes wirkten sich die
neuen Ideen und Methoden Pestalozzis und Zellers aus, deren begeisterter Apostel
der 1771 in Breslau gebürtige Kornelius Burgund war, ein früherer
Prämonstratensermönch, der aus dem Orden ausgetreten und 1801 zu pädagogischen
Studien nach Berlin gegangen war und nach kurzer Tätigkeit als Seminardirektor
in Lowicz seit 1808 dem Lehrkörper des Gymnasiums angehörte. Er war es auch, der
am 1. Juni 1809 das „Braunsberger Wochenblatt", die erste Ortszeitung, ins Leben
rief und leitete, das er zum „ermländischen Provinzialblatt" auszubauen hoffte.
Dadurch wurde der Buchdrucker Feyerabend veranlaßt, sich in Braunsberg
niederzulassen und eine eigene Presse zu eröffnen. Freilich stellte das Organ
schon im nächsten Jahre sein Erscheinen ein, weil die Zeit für ein solches
Unternehmen noch nicht reif war und der Herausgeber nicht den inneren Kontakt
mit dem gewünschten Leserkreis finden konnte.
Wie weit sich die fortschrittliche, gemeinnützige Arbeit des Tugendhundes
erstreckte, mag noch daraus ersehen werden, daß man die Anlage von Baumschulen
zu Verschönerungen betrieb,
dem Kartoffelbau besondere Aufmerksamkeit zuwandte, ein Bürger-Rettungs-Institut
für Handwerkerkredit, eine Badeanstalt, öffentliche Aborte u. a. plante. Der
königliche Auflösungsbefehl vom 31. Dezember 18N9, der durch das Mißtrauen der
französischen Gewalthaber erzwungen worden war, machte dem Tugendbund und den
meisten seiner Bestrebungen ein Ende.
Noch kurz vorher, am 16. Dezember 1809 ernteten die Braunsberger Mitglieder die
verdiente Anerkennung. Nach dreijährigem Aufenthalt in Ostpreußen kehrten König
Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise nach Berlin zurück und berührten an
diesem Tage morgens um 9 Uhr unter dem Geläute aller Glocken Braunsberg. Die
Garnison war in Parade auf dem altstädtischen Markt aufmarschiert; daher wurden
die hohen Gäste in das Seeligersche Haus geladen. Hier ließen sie sich die
Abordnungen des Bistums und der städtischen Körperschaften vorstellen und wurden
durch Handarbeiten der Industrieschule erfreut. Königin Luise erhielt auf weißen
Kissen einige Ridiculs (Arbeitstäschchen), 2 Kindermützen, 1 Paar seidene
Kinderschuhe, ein Paar wollene Schuhe und 3 Tock Garn; sie erkundigte sich nach
den Verfertigerinnen der Gegenstände, lobte sie und versprach, sie als dauerndes
Andenken gern gebrauchen zu wollen. Durch den Geheimrat von Auerswald ließ sie
später der Schule 10 Louisdor (150 RM) überweisen. Dem König wurde von einer
Schülerin eine seidene Börse mit eingesticktem Eichenlaub und der Inschrift:
„Die Töchter Braunsbergs dem Vater des Vaterlandes" überreicht. Mit dem Ausdruck
des Dankes sprach der König seine Anerkennung über die Begründung solcher
gemeinnützigen Anstalten aus.
Durch einschneidende neue Gesetze hatte auch die königliche Regierung ihren
Reformwillen bewiesen. Die Städteordnung vom 10. November 1808 berief die Bürger
zu freier, verantwortungsbewußter Arbeit zum Wohle der Gemeinden. Am 23. März
1809 morgens 9 Uhr versammelten sich die bisherigen von der Regierung ernannten
Magistratspersonen und die nunmehr durch das Vertrauen der Mitbürger gewählten
Stadtverordneten im großen Saale des Rathauses. Nachdem der kgl. Kommissar Hagen
auf die Bedeutung der Selbstverwaltung hingewiesen hatte, bewegte sich der Zug
unter Glockengeläute zur Pfarrkirche, wo nach dem Hochamt die Vereidigung des
neuen Magistrates vorgenommen wurde. Der frühere Landrat von Willich wurde
Bürgermeister, als Ratsherren standen ihm zur Seite die Bürger Schlattel,
Bertram, Fischer, Schulz, Regenbrecht, Wasserzier, Vontheim, Langhanki, Grodd,
Romahn, Kaninski und Chales. Nach einem Gebet für 201 das Königshaus und dem Tedeum lehrten die städtischen Körperschaften zum
Rathaus zurück. Hier übertrug der Kommissar dem Magistrat die Polizeiverwaltung.
Dann sprach im Namen der 38 Stadtverordneten ihr erster Vorsteher Kommerzienrat
Oestreich, der die Städteordnung als das Heilmittel gegen den Verfall der Städte
und den Keim künftigen Wohlstandes pries. „Eine richtige Anwendung derselben ist
hierbei jedoch unerläßliche Bedingung: denn wir wollen es uns nicht verhehlen,
daß hier neben dem Keime zu so vielem Guten, zugleich für Selbstsucht und
ungezügelte Leidenschaft ein Zunder zum Parteikampf bereit liegt... Lassen Sie
uns alle Persönlichkeiten (alles Persönliche) als ein tödliches Gift vermeiden.
Dagegen leite uns bei allen Verhandlungen ein reiner Gemeingeist. Wir haben das
Wohl einer braven Bürgerschaft zu besorgen, die es durch ihre Rechtlichkeit,
Ordnungs- und Friedensliebe wohl wert ist, daß wir uns ihrem Dienst mit
ausdauerndem Eifer widmen und so das in uns gesetzte Vertrauen rechtfertigen."
Nach einem Hinweis auf die schweren Kriegsopfer der Stadt und einer Bitte an den
Kommissar um Erleichterung ihres harten Schicksals schloß Oestreich seine
gehaltvolle Rede, die er auf allgemeinen Wunsch dem Druck übergab, nicht aus
Eitelkeit, wie er in seiner Widmung an den befreundeten Königsberger Präsidenten
Friedrich Nikolovius ausführte, „denn wenn ich auch meine Fehler habe, so
gehört, wie Sie wissen, die Begierde mich vor dem Publikum geltend zu machen,
doch nicht zu den meinigen", sondern um den Erlös dem neuerrichteten
Krankenhause zuzuwenden.
Dieses behandelte schon im ersten Jahre seines Bestehens 181 Patienten und
gehörte zu den gemeinnützigen Einrichtungen, mit denen die neuerwachte
bürgerliche Initiative dem Elend steuern wollte. Noch sei die Melioration der
altstädtischen Wiesen aus den eisten Arbeiten der neuen Stadtverwaltung erwähnt.
Bewunderswert, wie der preußische Staat trotz seiner schweren Finanznot das an
geistigen Kräften zu ersetzen wußte, was er an materiellen verloren hatte. In
rechter Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung des Bildungswesens für den
Wiederaufbau von Volk und Vaterland ließ die preußische Regierung auch dem
darniederliegenden ermländischen Schulwesen ihre hilfsbereite Sorge angedeihen.
Die alte Schulstadt Braunsberg war als Hauptstadt des Ermlandes der gegebene
Platz für die neuen Lehranstalten. Zunächst wurde in dem früheren bischöflichen
Schlosse ein staatliches Normal-Institut begründet, in dem Lehrer für die ermländischen Volksschulen im Geiste Pestalozzis herangebildet werden sollten. Als Kgl. Kommissar
führte Oestreich die Oberaufsicht über diese Anstalt, deren Leitung Burgund
übertragen wurde. Am 2. Juli 1811 erfolgte der festliche Eröffnungsakt, bei dem
u. a. der Königsberger Oberschulrat Zeller über das Wesen der Normalinstitute
sprach. Mit 25 Zöglingen begann die Schule ihre verdienstvolle Arbeit. Seit 1814
kgl. Erziehungsanstalt, seit 1825 Schullehrerseminar benannt, nahm sie eine
gedeihliche Entwicklung. 1824 wurde ihr eine Übungsschule, 1850—78 eine
Taubstummenschule angegliedert. Nachdem das alte unzureichende Schloß den
wachsenden Bedürfnissen zum Opfer gefallen war, wurde an derselben Stelle mit
Einbeziehung einiger denkmalswerter Bauteile ein Neubau aufgeführt, dessen
Haupthaus i. J. 1874, die Seitenflügel i. J. 1876 bezogen werden konnten. Die
staatliche Neugestaltung der Lehrerbildung setzte dem kath. Seminar, dessen
pädagogische Ausstrahlungen weit über die Grenzen Ostpreußens reichten, am 13.
März 1926 ein Ziel. Seither bietet das Gebäude der staatlichen Aufbauschule (Schloßschule)
Unterkunft.
Noch im selben Jahre 1811 sah Oestreich seine wiederholten Eingaben an die
Staatsbehörden wegen Reorganisation des Braunsberger Gymnasiums von Erfolg
gekrönt. Die königliche Kabinettsordre vom 11. Dezember 1810 gab ihm die
verheißungsvolle Antwort: „Ich werde auf die Erfüllung des Wunsches um so lieber
Bedacht nehmen, da es Meiner Neigung gemäß ist, solche gemeinnützige Zwecke zu
befördern und Meinen guten ermländischen Untertanen Beweise Meines Wohlwollens
zu geben." Die materiellen Vorbedingungen wurden dadurch erfüllt, daß sechs
ermländische Domherrnstellen mit Genehmigung des hl. Stuhles aufgehoben und
deren Einkünfte dem nunmehr staatlichen Gymnasium überwiesen wurden. Zum ersten
Direktor der reorganisierten Anstalt wurde der geistliche Professor Heinrich Schmülling aus Münster berufen, mit dem Amte eines Kurators für die
Vermögens-Verwaltung Kommerzienrat Oestreich betraut. Sonntag, 29. Dezember
1811 fand die feierliche Eröffnung der Schule statt. Der kgl. Kommissar Delbrück hielt eine richtunggebende Ansprache über das Thema: „Im Geiste des
echten Protestantismus liegt nichts, was der Achtung des echten Katholizismus
widerstrebt." Dann zeichnete der neue Direktor in lateinischer Rede den durch
Wissenschaft und Herzensbildung zu erziehenden Jüngling. Ein Preislied auf den
König beschloß diesen Teil der Feier. Nun begab sich unter Glockengeläute ein
langer Festzug zur Pfarrkirche: voran eine militärische Begleitung, dann die
Pfarrschule, das
203 Normalinstitut, die Schüler des Gymnasiums mit ihren Fahnen und die Lehrer in ihrer
Amtstracht, Frack mit schwarzseidenen Kniehosen, schwarzseidenen Strümpfen,
Schnallenschuhen, seidenem Mäntelchen und dreieckigem Faltenhut. Nun folgte der
kgl. Kommissar Delbrück inmitten des Kurators und Direktors und dann die anderen
Ehrengäste, zum Abschluß wieder Militär. In der Kirche hielt Weihbischof von
Hatten ein von voller Instrumental- und Vokalmusik begleitetes Hochamt mit
folgendem Tedeum. Die zur Feierlichkeit geladenen 81 Gäste nahmen an dem Diner
im Deutschen Hause teil, zu dem der alte Oestreich den Wein stiftete.
Johann-Heinrich Schmülling
(1774 - 1851)
Lehrer am Paulinum
(Gymnasium) in Münster, Direktor des königlich preußischen Gymnasiums in
Braunsberg/ Ermland, Professor der Philosophie am Lyceum „Hosianum“ in
Braunsberg und Professor für neutestamentliche Exegese an der Akademie in
Münster, Regens des Priesterseminars in Münster, Ehrendoktor der Theologie und
der Philosophie durch die Universität in Münster.
Schmülling reformierte das Braunsberger Gymnasium.
Im Januar 1812 wurde der Unterricht mit 94 Schülern in 5 Klassen aufgenommen.
Außer dem Direktor wirkten zunächst 5 ordentliche Lehrkräfte, von denen nur
einer ein Ermländer war. Die Anstalt, von einem ausgezeichneten Pädagogen
geleitet, erfreute sich bald verdienter Schätzung und weitreichenden Zuzugs, so
daß schon i. J. 1824 315 Schüler gezählt wurden. Auch der Neudecker
Landschaftsdirektor Louis von Benekendorf-Hindenburg vertraute seinen Sohn
Robert, den Vater unseres Reichspräsidenten Generalfeldmarschalls von
Hindenburg, i. J. 1829 dem Braunsberger Gymnasium an, bis Robert i. J. 1832 als
Fahnenjunker in das Posener Infanterie-Regiment Nr. 18 eintrat. Oestreich
betreute in hingebender ehrenamtlicher Tätigkeit bis 1827 nicht nur die äußeren
Verwaltungsgeschäfte, sondern auch seit 1817 eine Hilfskasse für bedürftige
Gymnasiasten, für die er eifrig warb, und die Kapitalien der testamentarisch
gestifteten Seeligerschen Erziehungsanstalt, die 1829 für 8 Gymnasiasten beider
Konfessionen eröffnet wurde. Der berühmte Mathematiker Karl Theodor Weierstraß
wirkte von 1848—55 als Lehrer an der Anstalt, bis die gelehrte Welt auf seine
geniale Funktionenforschung aufmerksam wurde und er einem ehrenvollen Rufe nach
Berlin folgte. 1822 wurde ein Direktor- und Lehrerwohnhaus auf der Nordostecke
des Schulhofes errichtet, 1861/62 die Gymnasialkirche, 1868 die Aula und 1871
die Turnhalle erbaut. Die schon vor dem Weltkriege beantragte Angliederung einer
Realabteilung wurde i. J. 1922 für die Mittelstufe bewilligt. Die steigende
Schülerfrequenz, die zu Ostern 1928 unter Studiendirektor Dr. Jüttner die
Höchstzahl von 447 erreichte, erwirkte i. J. 1930 die Erhebung der Schule zur
großen Doppelanstalt und i. J. 1932 den Neubau eines modernen
Erweiterungsflügels, der Ostern 1934 bezogen werden konnte.
Karl Theodor Weierstraß (1815 - 1897), deutscher Mathematiker, in
Braunsberg von 1848 - 1855
Weierstraß schuf für Funktionstheorie und elliptische
Funktionen neue Grundlagen, löste das Umkehrproblem für die Abelsche Integrale,
lieferte Beiträge zur Variationsrechnung, gab ein Beispiel einer stetigen, nicht
differenzierbaren Funktion. Hier ein Bild, wie W. etwa ausgesehen haben mag. als
er in Brunsberg war.
Wilhelm Killing
(1847 - 1923), deutscher Mathematiker
Nach dem Studium in
Münster (1865/66) und in Berlin (1867/68) promovierte er 1872
bei Karl Theodor Weierstraß mit einer Dissertation mit dem Titel
Der Flächenbüschel zweiter Ordnung über die Anwendung der
Elementarteiler
einer
Matrix
auf Oberflächen. Von 1868 bis 1892 unterrichtete Killing an
Schulen in Berlin, Brilon und Braunsberg; 1892 wurde er
Professor an der
Westfälischen Wilhelms-Universität
in
Münster.
Mit 39 Jahren trat Killing dem
Dritten Orden
der
Franziskaner
bei. Killing publizierte über nicht-Euklidische Geometrie in
n Dimensionen (1883), diee Erweiterung des Begriffs Raum,
mit der Klassifikation der einfachen Lie-Algebren (1886) und
über
Lie-Gruppen.
In seiner Forschung über
Nicht-Euklidische Geometrie
erfand Killing gegen
1870
unabhängig von
Sophus Lie
die
Lie-Algebra.
Er führte die
Cartan-Subalgebra,
die Cartan-Matrix und die Idee des
Wurzelsystems ein. Auf Killing
geht auch die Bezeichnung charakteristische Gleichung
einer Matrix zurück.
Napoleons russischer Feldzug brachte dem Ermland i. J. 1812 schwere Lasten.
Obwohl das Jahr 1811 eine Mißernte
geliefert hatte, mußten für das durch Ostpreußen marschierende Riesenheer
gewaltige Proviantmengen beigeschafft werden. Am 11. April hielt der
Verpflegungsdirektor des Braunsberger Kreises von Willich eine Beratung mit den
Gemeindevertretern, um zunächst durch freiwillige Beiträge die Magazine zu
füllen. Da das Ergebnis naturgemäß ein ganz ungenügendes war, wurden
Zwangslieferungen befohlen, für die auch in Braunsberg ein Magazin für Mehl,
Hafer, Heu und Stroh eingerichtet wurde. 5 Feldbäckereien für je 500 Brote
wurden erbaut. Seit Anfang Mai fluteten nun in fast unaufhörlicher Folge Teil
des ersten Korps des Marschalls Davoust durch die Stadt. Ein buntes Gemisch der
verschiedensten Völker, unter ihnen auch Deutsche. Nicht wie Verbündete, sondern
als rücksichtslose Eroberer traten ihre Führer und vielfach auch die
Mannschaften auf. Die Tagesration für den Unteroffizier und Gemeinen betrug 900
Gr. Brot, 300 Gr. Rindfleisch, 60 Gr. Reis oder 120 Gr. Hülsenfrüchte, 1/60 Klgr.
Salz, 1 Liter Bier, 1/16 Liter Branntwein; für Offiziere das Mehrfache, z. B. Divisionsgeneräle das Achtfache. Für die Pferde wurden 2 Rationen bestimmt,
eine größere (2 3/4 Metzen Hafer, 13 Pfund Heu, 8 Pfd. Stroh) für die schwere
Reiterei, wie Kürassiere, Dragoner, Karabineurs, Artillerie, die kleinere (4 Pf.
Heu weniger) für leichte Kavallerie, wie Husaren, Jäger, Bagage u. a. Da aber
die vollen Portionen oft nicht beigeschafft werden konnten, wurden die
Quartiergeber herangezogen; und wenn die Truppen über diese Sonderleistungen
auch Quittungen ausstellen sollten, so unterblieb es doch meist. Oft genug
ließen die fremden Gäste in ihrem Logis allerlei mitgehen. In Auhof lagerten an
einem Tage 88 Mann und 160 Pferde, die Felder wurden abgeweidet, 6 Pferde und 10
Zentner Heu mitgenommen. Noch Anfang August bezogen 4000 Mann des Victorschen
Korps für drei Tage in der Stadt Quartiere. Napoleon selbst passierte am 12 Juni
nachmittags gegen 3 Uhr unter dem Geläute aller Glocken die Stadt, hielt am
Rathaus, blieb aber im Wagen und setzte nach einigen Minuten seine Fahrt nach
Königsberg fort — seinem Schicksal entgegen.
Nach der furchtbaren Katastrophe der grande armée in Moskaus Flammenmeer und
Rußlands Schneewüste erreichten Ende November die ersten der flüchtigen
Franzosen das Weichbild der Stadt. Hören wir den Bericht des Augenzeugen
Direktor Schmülling: „Aber was sahen wir für eine Kolonne anrücken? Erst einige
Generäle im Wagen, und dann 14 Tage hindurch das wandernde Elend selbst. Fast
gar keine Waffen, die Arme untereinandergeschlagen und mühsam sich fortschleppend
205 oder halb erfroren auf Schlitten kamen sie herangezogen, keine Bedeckung
als die am Biwakfeuer durchlöcherten und zerfetzten Kittel. . . Wir erwarteten
mit Angst das Korps von Macdonald; denn die Lage von Braunsberg eignet sich zu
gut für eine militärische Disposition. Am 6. Januar rückte nun das Korps hier
ein. In hastiger Flucht kam alles heran und hindurch gezogen. Da sich einige
Tage vorher ein Trupp polnischer Kavallerie unter unserm (Gymnasiums)-Korridor
gelagert hatte, die aber bald wieder abgezogen waren, so wollte ich mit
Erlaubnis des Landrats von Willich den Schulplatz verschließen lassen, damit
leine ungebetenen Gaste herkämen; aber ich konnte nicht durch das Gedränge von
Kanonen, Infanteristen und Kavalleristen. Ich ging wieder zu Hause; da drängte
es aber so stark am Tore, daß ich mußte öffnen lassen, — 100 Pferde wurden
herausgebracht, ungefähr 10 Mann quartierten sich in den unteren Stuben ein. Ein
großes Feuer wurde gerade vor der Gymnasiumtüre angelegt. Doch als ich die Küche
einräumte und bei den Pferden Lichte versprach, so ward es für diese Nacht
erlöscht; aber die folgenden Nächte mußte es lodern. Wenn wir nur Bier und
Branntwein hergaben, so waren sie zufrieden, aber da man am letzten Tage auch
für Geld nichts bekommen konnte, so drohte man dem Monsieur directeur die Türe
einzuschlagen und einen Besuch abzustatten. Ich suchte für die folgende Nacht
etwas Vorrat herbeizuschaffen; und da war ich gleich wieder un brave homme (ein
guter Mensch); doch mußte ich sehr oft den Reim Russien et Prussien (Russe und
Preuße) hören. Des Nachts war Braunsberg fürchterlich anzusehen. Hoch strahlten
am ganzen Horizont und rund um uns her die Wachefeuer. Nahe im Walde zeigten
sich die Wachtfeuer der Kosaken. Jeden Augenblick war die Stadt in Gefahr, in
einen Aschehaufen verwandelt zu sehen; Säcke zum Einpacken des wohl verwahrten
Gymnasiumsschatzes lagen stets bereit. Wie froh ward ich, als den 8. um 11 Uhr
in der Nacht der Marschall de logis mir sagte, daß sie abziehen würden. Bald
darauf ward die Brandglocke gelautet, doch bald hörten wir, daß das Feuer nur
einen Zaun ergriffen habe und wieder gelöscht sei. Unter Qualm und Flammen zogen
sie in finsterer Nacht ab und zündeten nahe vor dem Tore Heu und Stroh an, was
sie nicht mitnehmen konnten. Die beiden Brücken zwischen der Altstadt und
Vorstadt wurden in Brand gesteckt. Bald darauf rückten die Kosaken über die
gefrorene Passarge und kamen durch das Obertor in die Altstadt, nachher am Tage
durch das Schloßtor. Die Kinder riefen ihnen Hurrah! entgegen, und die ganze
Stadt genoß wieder eine Ruhe,
die wir lange entbehrt hatten . . ." Die kühne Freiheitstat Yorcks entfachte
jene vaterländische Bewegung, der sich auch der zaghafte König nicht
verschließen konnte. Am 3. Februar erließ dieser von Breslau aus einen Aufruf
zur Bildung freiwilliger Jägerkorps. Am 7. Februar beschlossen die
ostpreußischen Stände in Königsberg die Bewaffnung einer Landwehr und eines
Landsturms. Am 17. März forderte der zündende Aufruf des Königs „An mein Volk"
zum letzten Entscheidungskampf auf.
Schon am 14. März entließ das Gymnasium seine älteren Schüler, die sich
begeistert zu den Waffen drängten. Oberlehrer Dr. Gerlach gab den patriotischen
Gefühlen der Abschiedsstunde beredten Ausdruck. „Von allen Leiten des
preußischen Staats wetteifern die Einwohner durch Anstrengungen jeder Art ihren
Sinn an den Tag zu legen; in allen erwacht die Begeisterung für König und
Vaterland, der kein Opfer zu schwer ist. Was in diesem Geiste begonnen wird, muß
gut enden. Dafür bürgt die gleiche Gesinnung aller, dafür die großen Anstalten,
die getroffen werden, dafür der Mut und die Ausdauer des russischen Heeres, das
siegreich schon in Deutschland steht, dafür die Entkräftung und das geschwächte
Zutrauen des französischen Volles; dafür bürgt vor allem der stets wache Geist
im Lauf der Dinge, der jeden steigen läßt, bis sein Maß voll ist."
Für die Landwehr hatte die Stadt nach der beschlossenen Verhältniszahl (1/45)
116 Mann zu stellen. Da keine freiwilligen Meldungen erfolgten, entschied das
Los. 90 Infanteristen aus der Stadt und 9 aus den städtischen Dörfern wurden im
April aus kommunalen Mitteln mit grauen Mänteln, Kamisolen (Waffenröcken),
Patronentaschen u. a. nach eingeschickten Mustern ausgerüstet; aus
wohlhabenderen Familien wurden 5 Kavalleristen aus der Stadt und 1 vom Lande
bestimmt, die sich selbst mit ihrem Pferd equipieren sollten. Es war übrigens
den Ausgelosten gestattet, Ersatzmänner zu stellen; so übernahm einer die
Stellvertretung gegen eine monatliche Vergütung von 2 Talern für sich und 1
Taler für seinen Vater. Wir finden die Braunsberger Landwehrleute im Lager vor
Danzig, von ihrer Vaterstadt mit Leinwand, Scharpie, Hemden, Socken» schließlich
sogar mit Lebensmitteln versorgt, bis die von General Rapp zäh verteidigte
Seestadt zu Neujahr 1814 kapitulieren mußte.
Landschaftsrat von Schau-Korbsdorf hatte als Präsident der 4. Spezialkommission
die Organisierung der Landwehr wie des Landsturms des Braunsberger Kreises unter
sich. Für den 207 Landsturm waren in Braunsberg 638 Mann unter 50 Jahren dienstpflichtig, die
in einer Eskadron, einer Schützenkompagnie und 4 Infanteriekompagnien in
militärischen Übungen, Märschen, Wachtdienst und Patrouillen notdürftig
ausgebildet wurden. Selbst 16jährige Gymnasiasten reihten sich mit Begeisterung
in diese mehr durch guten Willen als durch soldatische Leistungen ausgezeichnete
Phalanx ein, deren Arbeitsrock der rote Kragen zur Uniform stempelte, die mit
Stolz die Landsturmmütze und den Schießprügel oder die Pike trugen. Gelegentlich
nahm der Oberkommandant von Schau eine Besichtigung ab, und bei der Durchreise
der Zarin Elisabeth am 16. Januar 1814 durften sie tüchtig Hurra schreien und
den hohen Gast einholen und geleiten.
Die Opfer der Befreiungskriege brachten dem preußischen Vaterlande ein halbes
Jahrhundert friedlicher Entwicklung, und das war um so notwendiger, als die
schwere Kriegszeit sich trotz des Endsieges noch jahrzehntelang lähmend auf die
Volkswirtschaft auswirkte. Die Verschuldung des Staates, der Gemeinden und
Privatleute war sehr bedeutend, es fehlte an Kapital und Kredit, daher mangelte
es an Aufträgen und lohnendem Verdienst, Handel und Wandel stockten, Konkurse
vertrieben namentlich viele Rittergutsbesitzer von ihrer ererbten Scholle. So
kamen auch die Güter Rodelshöfen und Rosenort der früher so wohlhabenden Familie
von Hanmann i. J. 1816 unter Sequester. Infolge der Gesetze über die
Bauernbefreiung wurde in den 2Ner Jahren die Erbuntertänigkeit der Bauern in den
Stadtdörfern Huntenberg, Stangendorf und Willenberg aufgehoben; dabei
verpflichteten sich die Hofbesitzer zur Zahlung einer Ablösungsrente an die
Kämmereikasse und erlangten dadurch volles Eigentumsrecht und bildeten fortan
selbständige Gemeinden.
Als Garnison beherbergte Braunsberg seit 1809 ein Füsilierbataillon wechselnder
Regimenter, das weiter in Bürgerquartieren untergebracht war und im
Exerzierschuppen auf der Teichstraße ausgebildet wurde. „Zum Zwecke geselliger
Unterhaltung im Kreise gebildeter Teilnehmer" wurde aus Offizierskreisen und
den Honoratioren der Stadt i. J. 1817 eine Ressource gegründet, die zunächst in
Mietsräumen, seit 1839 in dem von Baurat Bertram auf dem alten Hospitalplatz
errichteten Kasino ihre Zusammenkünfte hatte. Auf breiter bürgerlicher Grundlage
griff die 1825 gestiftete Schützengilde eine alte wehrhafte Übung auf, wobei
das Scheibenschießen mit der Büchse an die Stelle des früheren Vogelschießens
mit der Armbrust trat.
Den unermüdlichen Bemühungen des edlen ermländischen Bischofs Joseph von
Hohenzollern, dem Kommerzienrat Oestreich und Direktor Schmülling aufs eifrigste
sekundierten, war es zu verdanken, daß durch königliche Kabinettsordre vom 19.
Mai 1818 in Braunsberg eine staatliche Hochschule für den Klerus der Diözese
Ermland gestiftet wurde. Lange war von den maßgebenden Regierungsstellen der
Plan erwogen worden, die kath. Theologiestudenten Ostpreußens der Universität
Breslau anzugliedern oder auch an der Königsbeiger Albertina einige Lehrstühle
für katholische Theologie zu errichten. Indem schließlich die seelsorglichen und
pädagogischen Auffassungen und Wünsche des Ermlandes Berücksichtigung fanden,
wurde in der Passargestadt in neuer Form an eine jahrhundertealte Tradition
angeknüpft, erhielt das reiche Bildungswesen des Ortes seine Krönung. Das
Organisationsstatut des zum ehrenden Gedächtnis des ersten Gründers benannten
Kgl. Lyzeum Hosianum schuf i. J. 1821 eine theologische und eine philosophische
Fakultät, die planmäßig aus je vier Professuren bestehen sollten. Die Verfassung
entsprach der der Volluniversitäten. Der Oberpräsident von Ostpreußen fühlte die
Oberaufsicht. 11 Jahre lang betreute Kommerzienrat als Kurator auch diese
Lehranstalt und nahm an ihrem Aufblühen wie vorher an ihrer Gründung tätigsten
Anteil. I. J. 1817 wurde das an die ehemalige Bursa anstoßende Haus, i. J. 1863
der Kuckeinsche Speicher zu Lehrzwecken und Professorenwohnungen vom Staate
zurückgekauft. Die Hochschule vertauschte i. J. 1912 ihren bisherigen Namen mit
dem einer Akademie. Die 1820 begründete Bibliothek wird seit 1919 hauptamtlich
verwaltet und enthält rund 100 000 Werke. Unter den wissenschaftlichen
Sammlungen verdienen das 1880 von Prof. Wilhelm Weißbrodt errichtete
Archäologische Museum (am Hitlerplatz) und der von Prof. Franz Niedenzu 1893
angelegte Botanische Garten besondere Erwähnung. Die in ihren wissenschaftlichen
Auswirkungen weit über die Grenzen des Ermlandes hinausreichende kath.
Hochschule wird seit 1925 auch von Theologiestudenten der Diözese Danzig, seit
1932 von solchen der Administratur Schneidemühl aufgesucht.
Während der französischen Okkupation hatte die evangelische Gemeinde ihre Kirche, das
ehemalige neustädtische Rathaus, zum Heeresmagazin einräumen müssen. Daher waren
durchgreifende Erneuerungsarbeiten notwendig, als das Gotteshaus wieder seiner
Bestimmung zugeführt werden sollte. Während der 16 Wochen der Renovierung wurde
die katholische Trinitatiskirche der evangelischen Gemeinde überlassen. Die zunehmende Seelenzahl
209 ließ allmählich die bisherige Kirche als zu eng erscheinen; denn bei der
staatlichen Erhebung der Gemeinde zur eigenen Pfarrei i. J. 1818 umfaßte sie
bereits rund 1500 Seelen ohne die Militärgemeinde. Durch das Wohlwollen des
Königs Friedrich Wilhelm III. wurde ihr im Mai 1828 die bedeutende Summe von
53196 Talern zum Bau der Kirchen-, Pfarr- und Schulgebäude aus Staatsfonds
bewilligt. Eine mächtige Feuersbrunst hatte im Januar 1824 an der Königsbeiger
Straße sehr geeignete Bauplätze freigelegt, und so konnten hier i. J.1829/30 das
Pfarrhaus und die dreiklassige Schule errichtet werden. Der Grundstein zu der
neuen Kirche wurde am 30. Mai 1830 in feierlicher Weise gelegt. Ein langer
Festzug bewegte sich von der bisherigen Kirche zu der Baustelle: voran sämtliche
evangelische Schülerinnen und Schüler, dann die Stadtkapelle und die Meister und
Gesellen der verschiedenen Handwerke, die bei dem Kirchenbau beschäftigt wurden,
mit ihren blumengeschmückten Werkzeugen und Abzeichen, sodann der
Kirchenvorstand, dessen Vorsteher, Kaufmann Barth, auf einem blauseidenen
Kissen die Urkunde für den Grundstein trug. Nun folgten der Vertreter der
Königsberger Regierung Konsistorialrat Dr. Kähler, der Ortspfarrer Bock nebst 8
Amtsbrüdern, die Militär- und Zivilbeamten des Kreises und der Stadt, das
Baukomitee, dann die Gäste und Gemeindemitglieder. Den Abschluß bildete eine
Abteilung des Garnison-Bataillons in Paradeuniform. Zwischen dem neuen Pfarr-
und Schulhaus sah man das begonnene Kirchengemäuer, umrahmt von jungen Tannen;
ein mit Grün und Blumen umwundenes Gerüst deutete die Formen der beiden
künftigen Türme an. Vor dem Portal stand eine Rednerbühne, von der aus
Konsistorialrat Kähler über den Sinn der Feierstunde sprach. Erst im November
1837 konnte die nach Schinkels Plänen erbaute stattliche Kirche ihrer Bestimmung
übergeben werden.
Nordseite des
Altstädtischen Marktes (Steinhaus, Mönchentor, Post und barocke Patrizierhäuser)
um 1835.
(Stich vermutlich
von E. Höpffner auf dem Kopf eines Briefbogens im Ermländischen Museum.)
Im Verhältnis zu der katholischen Pfarrgemeinde fehlte es nicht an Spannungen.
So erregte der Prozeß gegen den Erzpriester Andreas Schröter und seine Kapläne
wegen Proselytenmacherei und Einmengung in Mischehen in den 20er Jahren weithin
Aufsehen. Das Königliche Oberlandesgericht fällte im Mai 1826 das Urteil, daß
Schröter „wegen dringenden Verdachtes, die evangelische Religionsgesellschaft durch
entehrende Äußerungen beleidigt, auch in öffentlichen Reden die Erregung von
Haß und Erbitterung unter der evangelische und katholische Religionspartei versucht zu haben,
von seinem Posten als Erzpriester und Pfarrer auf eine andere Stelle zu
versetzen und mit achtwöchentlichem Gefängnis zu bestrafen sei", während seine
drei Kapläne zu je 5 Talern
Untersuchungskosten verurteilt wurden. Die eingelegte Berufung führte im Mai
1827 zu der Erkenntnis zweiter Instanz, wonach sämtliche Angeklagten
freigesprochen wurden und zum Ausdruck gebracht wurde, „daß zur Einleitung der
betr. Untersuchung eigentlich kein Grund vorhanden gewesen sei."
Am 21. Oktober 1833 segnete Kommerzienrat Oestreich, „der Kaufmann von
Braunsberg", nach vollendetem 83. Lebensjahre das Zeitliche. Auf dem
Johannisfriedhof fand er seine letzte Ruhestätte. Über seinem Grabe erhebt sich
eine mannshohe, oben abgestumpfe Pyramide aus Sandstein, deren lateinische
Inschrift besagt, daß der hier Beerdigte, durch Geist, Tüchtigkeit und
öffentliche Verdienste hervorragend, eine Zierde Braunsbergs, des Ermlandes und
Preußens gewesen sei und sich ein Andenken gesichert habe dauernder als dieser
Stein. Am Abend des 31. Oktober wurde auf dem Rathause eine Trauerfeier
gehalten, bei der Gymnasialdirektor Gerlach zwischen ernsten Gesängen die
Gedächtnisrede auf den Toten hielt. Die kgl. Regierung aber widmete seinem
Andenken im Amtsblatte einen ehrenden Nekrolog, worin Oestreichs Leben und
Wirken als ehrendes Beispiel zur Nacheiferung gerühmt wurde. „Er war ein Mann,
auf den nicht bloß seine Vaterstadt stolz sein durfte, sondern den auch die
Provinz zu ihren Zierden rechnete."
Das allmähliche Wachstum der Stadt Braunsberg mögen folgenden Zahlen dartun:
Jahr Einwohner
1782- 4370
1843- 8355
1849- 8954
1852- 9608
1861-10164
1875-10796
1802 - 5111
1810 - 4520
1816 - 5046
1822 - 6069
1828 - 7260
1837- 7746
1880-11542
1890-10851
1900-12497
1910-13599
1916-12305
1920-14332
1933- 15353
Dabei blieb die Bevölkerung nicht von schweren Epidemien verschont. So forderte
die Geißel der Cholera in der Zeit vom 19. September bis 15. November 1831
allein in der kath. Gemeinde 306 Opfer, i. J. 1866 264 und 1873 innerhalb 5
Wochen über 300. Von der Cholera des Herbstes 1848 lesen wir in einem Briefe, daß innerhalb 4 Wochen 270 Personen in der Stadt verstorben, daß der besonders
gesuchte Arzt Dr. Jacobson eine Zeitlang 100 Besuche täglich zu machen hatte,
von der des September 1852, daß in diesem Monat jeder 15 Einwohner verstarb.
Jacobson wurde für seine menschenfreundliche 211 und erfolgreiche ärztliche Tätigkeit in den Cholerajahren von 1831—52
zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Auch der technische Lehrer Höpffner vom
Gymnasium machte sich während dieser schweren Feiten durch seine
gefahrverachtende, opferwillige Hilfe, mit der er namentlich den Armen und
Waisen beisprang, besonders verdient und wurde vom Könige mit dem Allgemeinen
Ehrenzeichen dekoriert. Auch sonst fehlte es nicht an Helden todesverachtender
Nächstenliebe; so zeichnete die Stadt den Kaplan Anton Marquardt für seine
furchtlose, allgemein anerkannte Caritas im Cholerajahre 1848 mit dem
Ehrenbürgerrechte aus und erwirkte i. J. 1852 von der bischöflichen Behörde
seine Versetzung von einer Landpfarre auf die Braunsberger Erzpriesterei.
Den wachsenden Erfordernissen der fortschreitenden Zeit trug seit Anfang 1840
das von Otto Model herausgegebene Braunsberger Wochenblatt Rechnung, das am 1.
April 1841 von C. A. Heyne in das Braunsberger Kreisblatt umgewandelt wurde,
seit 1859 zweimal, seit 1869 dreimal wöchentlich, seit 1907 täglich erschien,
auch unter den städtischen Akademikern manchen geschätzten Mitarbeiter fand und
eine Fülle lokal- und kulturgeschichtlich interessanter Nachrichten birgt. Seit
Juli 1933 als Braunsberger Zeitung vom Amtlichen Kreisblatt getrennt, hat die
älteste Ortszeitung unter dem Druck der Wirtschaftlichen Verhältnisse Ende 1932
ihr Erscheinen eingestellt.
Das nach Einweihung der neuen evangelischen Kirche freigewordene ehemalige
neustädtische Rathaus wurde bald einem anderen Zwecke zugeführt: es wurde
Stadttheater. Die stolze klassische Weiheaufschrift an der Straßenfront: Apolloni et Musis! (Apollo und den Musen) deutete auf die neue Bestimmung des
Hauses hin, das fortan mehr oder minder guten Wandertruppen vorübergehenden
Aufenthalt gewährte, bis es i. J. 1901 dem Neubau der Konditorei Tolksdorf
(heute Bank der Ostpreußischen Landschaft) Platz machte.
Der Ausbruch der Pariser Februarrevolution d. J. 1848 riß auch Deutschland in
den Strudel der Freiheitsbewegung hinein, und selbst in der stillen
Passargestadt schlugen die neuen Ideen ihre Kreise. In den leidenschaftlichen
Breslauer Märztagen hatte Friedlich Wilhelm IV. u. a. Volksbewaffnung und
parlamentarische Wahlen zugestanden. Am 22. März wurde auch in Braunsberg eine
Bürgergarde aus 800 Mann gebildet, deren Kern die Schützengilde war. Sie erhielt
auf Antrag vom Kommandierenden General Grafen zu Dohna 400 Perkussionsgewehre
aus dem Zeughause der städtischen Garnison zugewiesen und versah den Wacht- und
Patrouillendienst zur Aufrechterhaltung der Ruhe, zumal seitdem am 26. April das Füsilier-Bataillon des 3.
Infanterie-Regiments verlegt worden war. Bauinspektor Bertram war der Kommandeur
der Bürgerwehr, die durch die Turmglocken alarmiert weiden sollte und eine
eigene Standarte führte.
Am 1. Mai sollte die Wahl der Wahlmänner erfolgen. Unter dem agitatorischen
Einfluß radikaler Führer schaffte sich die Unzufriedenheit der Arbeiter und
Knechte über ihre bedrängte Lage, die geringen Löhne und die teuren Mieten und
Lebensmittelpreise, die Konkurrenz auswärtiger Arbeiter u. a. gewaltsam Luft. Am
Sonntag, dem 30. April rotteten sich Arbeitergruppen von etwa 200 Mann auf dem
Vorstädtischen Markt zusammen, nahmen trotz der gütlichen Mahnungen des
Kommandeurs der Bürgergarde eine drohende Haltung ein und begannen die als
Klubhaus der Reichen verhaßte Ressource (Museumsgebäude) zu stürmen und zu
demolieren. Indessen wurde die Bürgerwehr von der Wache herbeigeholt, viele
freiwillige Bewaffnete schlossen sich ihr an, und nach einem kurzen und
energischen Bajonettangriff „lagen die Tumultanten furchtbar zerstoßen und
zerschlagen zu Boden, 19 Rädelsführer wurden auf die Wache geschleppt, die
übrigen zerstoben." Die Untersuchung ergab eine vorbereitete Aktion und fühlte
zur Festnahme weiterer 11 Delinquenten. Einer der Hauptschuldigen erhängte sich
nach zwei Tagen im Gefängnis, die anderen wurden mit harten Zuchthausstrafen
(6—1 1/2 Jahre) belegt.
Schon nach wenigen Wochen wurde von Rastenburg das 1. Jäger-Bataillon nach
Braunsberg verlegt, das hier bis zum 1. April 1884 lag und in diesen, durch drei
siegreiche Kriege ausgezeichneten Jahrzehnten in besonders engem, harmonischem
Verhältnis mit der Bürgerschaft verwuchs. Davon zeugen noch heute die gotische
Pyramide auf dem Hitlerplatz zum ehrenden Gedächtnis der 1870/71 gefallenen
Jäger und zwei Denksteine im Stadtwald.
Aus den ersten parlamentarischen Wahlen des Mai 1848 gingen am 8. für die
Berliner preußische verfassunggebende Nationalversammlung u. a. der Braunsberger
Professor am Lyzeum Dr. Anton Eichhorn, der spätere Hosius-Biograph und erste
Präsident des Ermländischen Historischen Vereins, als sein Stellvertreter
Oberlehrer Joseph Lingnau vom Gymnasium hervor, am 10. für die Frankfurter
deutsche Nationalversammlung der Lyzeumsdozent Karl Cornelius. Der namhafteste
der späteren ermländischen Abgeordneten war der Braunsberger Kirchenhistoriker
und spätere Dompropst Dr. Franz Dittrich (+ 1915), der 1893 in den preußischen
Landtag gewählt, in 213 Schul- und Kultusfragen bald eine einflußreiche Stellung gewann.
Ein gewisses Gefühl des Selbstbewußtseins und der Eigenverantwortung entband
als Auswirkung der Revolution auch im Ermland neue geistige Kräfte. So trat 1851
in Braunsberg der Adalbertus-Verein ins Leben, der planmäßig den Notständen der
kath. Diaspora in Ostpreußen steuern wollte. Im Spätsommer 1856 begann von hier
aus der Ermländische Hauskalender seine jährliche Wanderung durch die Heimat,
und im Oktober desselben Jahres konstituierte sich aus Braunsberger und
Frauenburger Gelehrtenkreisen der Historische Verein für Ermland, der wegen
seiner gründlichen Forscherarbeit und seiner Veröffentlichungen schnell die
verdiente Anerkennung fand. Ein Ermländischer Kunstverein, der i. J. 1869
ebenfalls in Braunsberg hoffnungsvoll auf den Plan trat, brachte es nur zu
kurzer Wirksamkeit. Die Verbundenheit zwischen ermländischem Blut und Boden fand
durch diese Unternehmungen, die in Braunsberg ihren geistigen Mittelpunkt
hatten, eine liebevolle Pflege.
Inzwischen hatte die Stadt den Anschluß an das neue Verkehrsnetz der Eisenbahnen
gewonnen. Am 19. Oktober 1852 konnte die älteste Bahnlinie Ostpreußens
Marienburg-Braunsberg und mit ihr die Telegraphenleitung in Betrieb genommen
weiden. Braunsberg war bis zum 1. August 1853 Endstation der Ostbahn. Wichtige
Baubüros, eine Maschinenwerkstätte, eine große Zahl Streckenarbeiter brachten
damals der Stadt wenn auch eine Teuerung der Lebensmittel, so doch rege
Aktivität und steigende Verdienstmöglichkeiten. Deshalb fürchteten Schwarzseher,
Braunsberg würde nach der Vollendung der Strecke nach Königsberg zum „Dorf"
herabsinken, d. h. sein Handel von dem der benachbarten Großstadt aufgesogen
werden. Die Eröffnung der Strecke nach der alten Krönungsstadt Königsberg sollte
aber mit besonderem Glanz vor sich gehen. Der König selbst hatte sein Erscheinen
zugesagt.
Friedlich Wilhelm IV. hatte bereits mehrfach die Stadt passiert, so am 9.
September 1840, als er mit seiner Gemahlin Elisabeth zur Huldigung nach
Königsberg reiste. Das Spalier der Bürger freundlich grüßend, hielt er vor dem
Hause des Kaufmanns Kuckein (Langgasse 32), nahm eine Erfrischung zu sich und
empfing von einem Atlaskissen mehrere Proben ermländischer Seide. Damals wurden
im Ermland energische Versuche gemacht, Maulbeerbäume anzupflanzen und
Seidenzucht zu betreiben. Besonders der Lehrer Tolksdorf in Heinrikau war der
Meister dieser Kunst, der daher dem durchreisenden König die beste Seidenprobe vorlegen konnte. Von Braunsberger Bürgern
befaßten sich der Seminardirektor Dr. Anton Arendt und der Spediteur Ehlert
damit, die ebenfalls vor den Majestäten mit Mustern ihrer Zucht aufwarteten.
Kalte Winter erwiesen freilich nach wenigen Jahren alle Bemühungen, diese
Industrie nach Ostpreußen zu verpflanzen, als vergeblich.
Ein Festkomitee unter Vorsitz des Landrats von Schwarzhoff traf die
Vorbereitungen für den Königsbesuch am 1. August 1853. Kreisbauinspektor Bertram
hatte mit ungewöhnlichem Kunstsinn einen Güterschuppen am Bahnhof in königliche
Gemächer umgewandelt. In dem Schmuck der Fahnen und Ehrenpforten auf dem Bahnhof
erregte folgende sinnvolle Transparentaufschrift besondere Aufmerksamkeit:
Fern
zu des Ostens Gestaden entsendet auf eisernen Schienen
König Dein schaffendes
Wort kühn das beflügelte Rad.
Stolz auf den älteren Ruhm der Treue, der
Vaterlandsliebe,
Schaut hier ein kräftiges Volk dankend zum Herrscher empor.
Näher bist Du uns gerückt; denn die Räume, die Zeit sind
geschwunden,
Näher sind Fürst sich und Volk! Gott schütze Preußen in Dir!
Nachdem vormittags von auswärts eine Reihe von Gästen, darunter auch Bischof Dr. Geritz von Frauenburg, eingetroffen waren, langte der König in seinem Salonwagen
vor 1 Uhr auf der Station an. Tausendstimmiger Jubel und die Vaterlandshymne der
Militärmusik begrüßte ihn, dann lichteten der zuständige Minister von der Heydt
und Regierungsbaurat Wiebe die Bedeutung des Festtages würdigende Dankesworte an
ihn. Hierauf nahm der König vor dem Empfangsgebäude die Parade des
Jägerbataillons ab, danach den Vorbeimarsch der Schützengilde, die ihm für die
zu Anfang des Jahres geschenkte Fahne ihren Dank aussprach. Nun folgte die
Vorstellung der um den Bahnbau verdienten Beamten und der Festteilnehmer und
schließlich in der Festhalte ein Frühstück, bei dem Landrat von Schwarzhoff den
Toast auf den König ausbrachte, der seinerseits gerührt mit einem dreimaligen
Hoch auf die Provinz, die Festgeber und die Verwirklichung der Hoffnungen, die
sich an die Vollendung des Bahnbaues knüpften, erwiderte. Um 3 Uhr setzte sich
der Extrazug unter stürmischen Huldigungen nach Königsberg in Bewegung.
Seither verlor Braunsberg als Durchgangsort des Verkehrs an Bedeutung, und
mancher vornehme Gast, der zuvor in dem Deutschen Haus (Langgasse 70) und
Schwarzen Adler seine Reise in der Postkutsche unterbrochen hatte, sah nunmehr
vom 2l5 schnaubenden Dampfroß aus die Passargestadt vorüberfliegen. Ein Ausnahmefall
war es, wenn Zar Alexander II. mit seiner Gattin und einem Gefolge von 90
Personen in der Nacht vom 22. bis 23. Mai 1865 in Braunsberg Logis bezog.
Schlaf- und Speisewagen gab es noch nicht, und in der friedlichen Passargestadt
mochte es sich ruhiger schlafen als in der Großstadt Königsberg. Das Kaiserpaar
und die Großfürsten nächtigten auf dem Bahnhof; aus vier Beamtenwohnungen war
ein Quartier mit 20 Zimmern hergerichtet, Mauern durchbrochen, Möbel aus dem
Königsberger Schloß, Teppiche u. a. zur fürstlichen Ausstattung beschafft
worden. Da aber für die hohe Begleitung der Schwarze Adler mit 8 und der neue
Rheinische Hof mit 19 Zimmern nicht ausreichten, wurde eine größere Zahl
möblierter Zimmer benötigt. Kommerzienrat Kuckein beherbergte Herzog von
Mecklenburg, Postmeister Kersten den Oberhofmarschall Grafen Schuwaloff und
Staatssekretär Müller, sein Sohn Rittergutsbesitzer Theodor Kuckein den Fürsten
Dolgorucki usw. Nach Ankunft des aus 12 Wagen bestehenden Extrazuges nahmen die
hohen Herrschaften ein Souper ein. Als sie am nächsten Morgen bis Dünaburg
weiterreisten, sprachen sie sich sehr anerkennend über ihre Unterkunft aus.
Um dem verehrten Herrscherhause bei der Durchreise ihre Huldigung darzubringen,
nahmen wiederholt städtische Körperschaften, Vereine und Schulen auf dem
festlich geschmückten Bahnhof Aufstellung. So am 10. September 1879, als Kaiser
Wilhelm I. und der Kronprinz vormittags auf der Fahrt nach Königsberg die Stadt
passierten. Den Aufenthalt von 6 Minuten benutzte der greise Monarch zur
freundlichen Begrüßung der führenden Persönlichkeiten. Zur Schützengilde, die
seine Lieblingsblumen, Kornblumen, in den Lauf gesteckt hatten, äußerte er: „Sie
haben friedliche Munition aufgesteckt."
Der Anschluß der Passargestadt an den modernen Schienenstrang und die
Verbreitung der Dampfschiffahrt bedeuteten das Absterben der Braunsberger
Handelsschiffahrt. Noch in den vierziger Jahren besaß das Handelshaus Kuckein
mehrere Segelschiffe, andere die Firmen Stampe, Oestreich und Kutschkow und
Drews, von denen zwar nicht die Dreimasterbarken, wohl aber die zweimastigen
Briggschiffe den Braunsberger Hafen anlaufen konnten; sie führten damals außer
ermländischen Getreide- und Flachsfrachten auch Holzladungen von Memel bis nach
England und Irland. Jetzt nahm die Bahn der Schiffahrt, die vom Wasserstand und
Eis der Passarge abhängig war, die Frachten zu den innerdeutschen Plätzen ab,
mehr noch, als das Bahnnetz das Innere der Provinz erfaßte; bald
verdrängte auch die mechanisierte Großschiffahrt die kleinen Flußfahrzeuge. Für
die Flachserzeugung versprachen sich die Behörden freilich durch die Bahn eine
Belebung. Man schätzte i. J .1856 das jährliche Wachstum des Flachses im Ermland
auf fast 1 Million Taler; der größte Teil davon wurde ungereinigt von Aufkäufern
in den Bauernhäusern abgeholt und kam dann zu den Braunsberger Großhändlern, die
durch ihre Speicherarbeiter und Flachsbinder das Rohmaterial zurichten,
sortieren und lagern ließen, um es zu verkaufen und zu verschiffen. Nun glaubte
die Behörde, gestützt durch Gutachten des landwirtschaftlichen Zentralvereins,
der nachlassenden ermländischen Flachserzeugung dadurch einen neuen Auftrieb zu
geben, daß sie den Bauern riet, durch sorgfältiges Schwingen, Reinigen und
Hecheln die Güte des Flachses zu heben und ihn dann auf einem besonderen Markt
direkt an auswärtige Spinnereibesitzer abzusetzen, die mit der Bahn leicht
anreisen könnten. Durch Prämien sollten außerdem die besten Erzeugnisse
ausgezeichnet werden. Obwohl diese Maßnahmen den Braunsberger Großhandel in
seiner Existenz bedrohten, wurde für den 27.-29. Februar 1856 der erste
ermländische Flachsmarkt in Braunsberg anberaumt, den die Bauern mit hohen
Erwartungen begrüßten. Am ersten Tage fuhren gegen 500 Wagen 15000 Bunde Flachs
an. Der Umsatz und Preis brachte aber den Produzenten schwere Enttäuschungen.
Wenn auch die besten 15 Flachssorten mit Geldprämien, später mit Silberbechern
ausgezeichnet wurden, — diesmal erhielt Bes. Andreas Marquardt aus Grunenberg
für seine Spitzenleistung 25 Taler, — so waren doch nur wenige schlesische
Fabrikanten erschienen, der ganze Umsatz belief sich auf 60 000 Taler, die
Preise waren gedrückt. Trotzdem behauptete sich der Braunsberger Flachsmarkt,
der später am 3. Dezember stattfand, bis in die 90er Jahre, verlor aber mit der
mangelnden Rentabilität des Flachsanbaus und seinem Rückgang seit den 70er
Jahren mehr und mehr an Bedeutung.
Die Eröffnung der Ostbahn gab den Anstoß zur Gründung des Polytechnischen
Vereins (1853), der seine Mitglieder mit den neuesten Errungenschaften der
Naturwissenschaften und Technik bekannt machen wollte. Sein erster Vorsitzender
Prof. Dr. Feld und sein vorletzter Prof. Switalski waren die erfolgreichsten
Leiter dieses verdienstvollen populärwissenschaftlichen Vereins, dessen Vorträge
durch Pressereferate auch weiten Kreisen der heimatlichen Bevölkerung zugänglich
gemacht wurden.
Im November 1854 konnte die kleine jüdische Gemeinde ihre Synagoge einweihen.
2l7
Die ruhmreichen Kriege der Jahre 1864, 1866 und 1870/71 weckten auch in
Braunsberg patriotischen Widerhall, um so mehr, als die Bevölkerung an den
Geschicken ihrer mitkämpfenden Jäger wie ihrer eigenen Söhne herzlichen Anteil
nahm. Als am 3. März 1871 die Freudenkunde von der Ratifikation des Friedens die
Stadt durcheilte, da ließ man die Fahnen wehen, hängte Transparente aus und
tauchte abends selbst die kleinsten Gäßchen in den Lichterglanz der
Illumination. Ratsherr Sinogowitz aber ließ als Schützenhauptmann seine Mannen
zum Zapfenstreich antreten; bengalische Flammen flackerten grün und rot durch
das Dunkel der Nacht, und übermütiges Schießen und Knallen störten die gemessene
Ruhe des sonst so stillen Stadt.
Die aufrichtige Freude an dem neuen Kaiserreich erfuhr bald durch den
Kulturkampf bei der kath. Bevölkerung eine schmerzliche Trübung. Gerade in Braunsberg entzündete sich dieser kirchenpolitische Kampf am ersten und am
schärfsten. Mehrere Braunsberger Geistliche, so der Philosophie-Professor Dr.
Michelis, der Gymnasial-Religionslehrer Dr. Wollmann und der Seminardirektor Dr.
Treibel weigerten sich, die vom Vatikanischen Konzil im Juli 1870 definierte
päpstliche Unfehlbarkeit anzuerkennen, und wurden deshalb vom Bischof Dr.
Philippus Krementz exkommuniziert. Da der Staat sich schützend vor seine Beamten
stellte, war der Konflikt gegeben.
Bischof Krementz sah sich genötigt, Dr. Wollmann die Erlaubnis zur Erteilung des
Religionsunterrichtes zu entziehen, meldete dem Kultusminister von Mühler diese
Maßregelung und erbot sich, mit seiner Zustimmung einen anderen Priester auf
seine eigenen Kosten mit der Erteilung des Religionsunterrichts zu betrauen.
(5.4.1871). Der Minister lehnte das Angebot ab, da die Verhängung kirchlicher
Zensuren auf ein Staatsamt ohne Einfluß sei. Zugleich wurde dem Direktor Weisung
gegeben, daß eine Dispensation von den Religionsstunden nicht zulässig sei. Es
stünde den Eltern frei, ihre Kinder auf ein anderes Gymnasium zu schicken. Als
Dr. Wollmann demgemäß den Religionsunterricht fortsetzte, wandten sich viele
Eltern nach vergeblichen Eingaben an die Behörden zuletzt unmittelbar an Kaiser
Wilhelm I., indem sie baten, ihre Kinder nicht ihres Glaubens wegen von dem
Besuche einer stiftungsmäßig kath. Lehranstalt auszuschließen, sondern für die
Erteilung eines kath. Religionsunterrichtes Sorge tragen zu wollen (19. 8.
1871). Auch die in Fulda versammelten preußischen Bischöfe baten in einer
Immediateingabe um Aufhebung
des Gewissenszwanges, der an den Schülern des Braunsberger Gymnasiums geübt
werde. Da diesen Bittgesuchen nicht Rechnung getragen wurde, sank die Zahl der
kath. Schüler im Herbst 1871 von 251 auf 88; die meisten der Abgegangenen
suchten eine andere Anstalt, insbesondere Rößel, auf.
Die Braunsberger Vorgänge erregten in der ganzen kath. Welt Aufsehen. Selbst aus
Italien, England, Irland und dem amerikanischen Pennsylvanien liefen
Sympathiekundgebungen ein. In den katholischen Teilen Deutschlands wurden Sammlungen
für die ausgewanderten Gymnasiasten veranstaltet. Im Dezember 1871 ging eine von
439 Familienvätern Braunsbergs und seiner Umgebung unterschriebene Petition an
das preußische Abgeordnetenhaus ab, worin Abhilfe verlangt wurde. Bevor am 1.
März 1872 dieses Gesuch in der Unterrichtskommission verhandelt wurde, hatte der
neue Kultusminister Dr. Fall am Tage zuvor bestimmt, daß in den öffentlichen
höheren Schulen eine Befreiung vom Religionsunterrichte zulässig sei, sofern ein
genügender Ersatz dafür nachgewiesen sei. Im übrigen lehnte die Mehrheit der
Kommission wie des Plenums trotz eingehender Begründung der Braunsberger
Petition eine Einmischung in diese innerkirchlichen Dinge ab. Auf Grund der
ministeriellen Verfügung übernahm Privatdozent Dr. Krause im Einverständnis mit
dem Bischof alsbald den fakultativen Religionsunterricht am Gymnasium, an dem
sogleich die meisten der kath. Schüler, die nunmehr auch von auswärts
zurückkehrten, teilnahmen. Die Gymnasialkirche überwies der Minister im Februar
1874 den sogenannten Altkatholiken. Erst als zu Ostern 1876 Dr. Wollmann auf
eine Oberlehrerstelle nach Köln versetzt und zum Herbst der Rektor der
Wormditter Selekta Anton Matern mit der freigewordenen Religionslehrerstelle
betraut wurde, fanden die Wirren am Gymnasium ihr Ende. Das bischöfliche
Konvikt, das i. J. 1843 hauptsächlich für solche Schüler gestiftet worden war,
die sich dem theologischen Studium widmen wollten, und dessen Neubau in den
Jahren 1870—72 aufgeführt wurde, durfte laut Verordnung des Königsberger
Piovinzial-Schulkollegiums seit 1873 keine neuen Zöglinge mehr aufnehmen, war
damit auf den Aussterbeetat gesetzt und wurde erst im Oktober 1886 feierlich
wiedereröffnet. Im Weltkriege für Lazarettzwecke verwendet, wurde es 1925 seinem
ursprünglichen Zwecke wieder dienstbar gemacht und seither von Pallotinern aus
dem Mutterhause Limburg a. L. geleitet.
Ähnlich wie am Gymnasium gestaltete sich die kirchenpolitische Entwicklung auch
am kath. Lehrerseminar. Da Direktor Dr. Treibel trotz seiner Suspension den
Religionsunterricht 219 weiter erteilte, eine Anwendung des Falkschen Dispens-Erlasses zunächst
abgelehnt wurde, weil das Seminar keine höhere Schule sei und außerdem aus
pädagogischen Gründen, petitionierten 3475 ermländische Familienväter an das
Abgeordnetenhaus und erwirkten, daß im Februar 1873 die Befreiung vom
Religionsunterricht auch auf das Seminar ausgedehnt wurde. Darauf schied die
überwiegende Mehrheit der Seminaristen aus Treibels Religionsunterricht aus.
Treibel wurde im Oktober 1876 versetzt.
Friedrich Michelis (1815 - 1886),
deutscher Philosoph und altkatholischer Theologe,
Professor der Philosophie in Paderborn und Braunsberg.
Michelis, der 1870 wegen seiner Ablehnung
des Unfehlbarkeitsdogmas exkommuniziert worden war und deshalb seine Professur
in Braunsberg (Ostpreußen) aufgeben mußte, war einer der redegewandtesten
Agitatoren gegen die römischen Herrschaftsansprüche und für die altkatholische
Sache.
Der Vatikan exkommunizierte kurzerhand alle Unfehlbarkeitsgegner, ganz gleich,
ob sie aus grundsätzlichen dogmatischen oder biblischen Gründen das Dogma
ablehnten, oder ob sie Gegner der Ohrenbeichte, des Zölibats, der lateinischen
Gottesdienstsprache, des kirchlichen Gebühren- und Ablaßwesens oder bestimmter
religiöser Praktiken waren und schrieb damit den Bruch endgültig fest.
Am Lyzeum Hosianum verweigerten die Professoren Michelis und Menzel ihre
Unterwerfung unter die Vatikanischen Konzilsbeschlüsse. Da sie gegen den
Einspruch des Bischofs vom Staat in ihrem Amt belassen wurden, kamen ihre
Vorlesungen für die Theologiestudenten nicht mehr zustande. Im September 1873
verfügte die Regierung die Einbehaltung der für das bischöfliche Priesterseminar
ausgesetzten Mittel und verbot den Studierenden des staatlichen Lyzeums die
Zugehörigkeit zum Priesterseminar. Daraufhin mußten die Studenten
Privatwohnungen in der Stadt beziehen. Auch eine gemeinsame Bespeisung im
Seminar und Andachtsübungen daselbst wurden im November untersagt. Nur die
Kleriker des letzten Pastoralen Ausbildungsjahres durften im Seminar verbleiben,
bis es im Dezember 1876 auch für diese auf staatlichen Befehl geschlossen wurde.
Die bischöfliche Behörde sandte fortan ihre Kleriker nach dem bayrischen
Eichstätt, bis nach Abbau der Kulturkampfgesetze im Oktober 1886 das verwaiste
Steinhaus wieder von 24 Alumnen bezogen werden konnte.
Die kirchenpolitischen Kämpfe waren im Dezember 1871 der Anlaß zur Gründung der
Ermländischen Volksblätter, die unter der gewandten Redaktion des ermländischen
Kalendermannes Domvikars Julius Pohl rasch eine führende Bedeutung in der
Provinzpresse gewannen. Seit Ende 1874 konnte die umbenannte Ermländische
Zeitung in einer eigenen Druckerei erscheinen.
Katharinenschwestern unterrichteten wie in den anderen ermländischen Städten
auch in Braunsberg an der katholischen Mädchenschule, für die sie außerdem die
Klassenräume hergaben. Ein Erlaß des Ministers Fall vom Juni 1872 verbot die
Zulassung von Klosterschwestern als Lehrerinnen an öffentlichen Volksschulen.
Infolge der entstehenden erheblichen Mehrkosten sah das Gesetz jedoch eine
gewisse Frist zur Durchführung vor. In Braunsberg wurden erst im Oktober 1877
die Schwestern mit dem Ausdrucke des Dankes für ihre langjährigen, erfolgreichen
Dienste verabschiedet, das von ihnen neuerbaute Schulhaus an die Stadt
vermietet. Auch das 1866 begründete Waisenhaus mußten die Katharinerinnen i. J. 1877 für mehrere Jahre aufgeben.
Bald aber wuchs der Wirkungskreis der Kongregation, die sich auch im
Lazarettdienst der Kriege 1866 und 1870/71 bewährt hatte, ins Ungeahnte. Von
ihrem Braunsberger Mutterhause aus übernahm sie nicht nur neue Kranken- und
Siechenhäuser, Erziehungs- und Waisenanstalten, Haushaltungsschulen,
Kindergärten und Schwesternstationen in der ganzen Diözese, seit 1908 griff ihre
karitative Arbeit auch in die Großstadt Berlin über. Nach vorübergehender
Auslandsbetätigung in Finnland (1877—82), St. Petersburg (1877—80) und England
(1896—1915) ist ihr seit 1897 unter den deutschen Volksgenossen Brasiliens ein
besonders dankbares Feld der Erziehung und Krankenpflege eröffnet worden. 230
Schwestern gehören jenem südbrasilianischen Zweige der Braunsberger Kongregation
an, während es in Deutschland 600 sind. Bei dieser zentralen Bedeutung
Braunsbergs für die ermländische kirchliche Wohlfahrtspflege war es naheliegend,
daß die Stadt bei der Gründung des ermländischen Caritasverbandes i. J. 1906 auch
zu dessen Vorort bestimmt wurde.
Von karitativen Anstalten der kath. Pfarrgemeinde seien anschließend hier
erwähnt das St. Marienkrankenhaus, das einem Legat des Pfarrers Kampfsbach in
Tolksdorf i. J. 1863 seinen Ursprung verdankt, allmählich ausgebaut wurde und
1913/14 durch einen Neubau erweitert wurde, so daß es eine Belegstärke von 120
Betten hat. Neben dem aus alten Stiftungen vereinigten St. Andreashospital
bietet ein 1882 begründetes Siechenhaus jetzt Raum für 80 alte Leute. Das St.
Elisabethstift wurde unter Erzpriester Reichelt 1915/16 für schulentlassene
Fürsorgezöglinge errichtet, 1922 aber in ein Heim für kath. Magdalenen
umgewandelt. Kindergärten in der Altstadt (1898 begründet) und in der Neustadt
(1917), sowie ein vom jetzigen Erzpriester Prälat Schulz errichteter Kinderhort
(1932) im Theresienheim, der früheren „Liedertafel", betreuen zahlreiche Kinder
der Gemeinde. Ein Vereinshaus bietet seit 1872 den katholischen Vereinen
Unterkunft.
Dem Geiste der inneren Mission entsprossen mehrere Wohlfahrtsanstalten der
evangelischen Gemeinde. 1862 wurde ein Hospital für Alte, 1874 ein Waisenhaus,
zum Lutherjubiläum i. J. 1883 das Martinsstift für Sieche und die Lutherkapelle
errichtet. 1899 erbaute Superintendent Schawaller mit einem Kostenaufwand von 70
000 Mark ein neues Kranken- und Siechenhaus und 1906/07 mit Provinzialmitteln
das Magdalenenstift für 70—80 weibliche Fürsorgezöglinge. Ein
221 Säuglingsheim im Neubau des Mädchen-Waisenhauses (1925) ist das letzte große
Liebeswerk der evangelischen Gemeinde unter ihrem jetzigen Superintendenten
Graemer. Das alte Schützenhaus ist i. J. 1894 angekauft und in ein Gemeindehaus
umgewandelt worden.
Im ehemaligen Kreishaus am Bahnhof hat der Kreis i. J. 1908 ein Altenheim, im
früheren Lazarettgebäude die Stadt i. J. 1926 ein Rentnerheim eingerichtet.
Am 24. April 1886 verstarb im Alter von fast 82 Jahren ein origineller Wohltäter
der Stadt, der Seminardirektor a. D. Dr. Anton Arendt. 1804 in Wormditt geboren,
hatte er in Braunsberg das Gymnasium und Lyzeum absolviert, als Kaplan dieser
Stadt sich durch seine hingebende Seelsorge an Cholerakranken i. J. 1831 und
seinen Unterricht an der Mädchenschule ausgezeichnet und war im Herbst 1833 zum
Direktor des Lehrerseminars befördert worden, das er bis zu seiner Pensionierung
i. J. 1868 leitete. Arendt schaffte sich durch eine Reihe trefflicher
Lehrbücher, namentlich sein Lesebuch für die katholischen Volksschulen, einen
anerkannten Ruf. Durch peinliche Sparsamkeit und kluge Verwaltung schuf er sich
ein beträchtliches Vermögen, zu dessen Universalerben er die Stadt Braunsberg,
in der er seit 1820 gelebt hatte, oder falls sie die Erbschaft ablehnen sollte,
seine Vaterstadt Wormditt einsetzte. An liegenden Gründen (Häusern, Scheunen und
Land in beiden Städten, aber auch Ländereien in Joinville in Brasilien)
hinterließ er einen Wert von 14 000 Talern, an Wertpapieren und
Schuldforderungen 20000 Tl. Dieses Erbe sollte der Grundstock einer wohltätigen
Stiftung sein. Von den 1640 Tl. Jahreszinsen sollten 640 Tl. in der ersten
Etatsperiode von 25 Jahren zu besonderen Unterstützungen und gemeinnützigen
Zwecken für Kranke, Arme, Studierende, Waisen, Schwestern u. a. verausgabt, die
restlichen 1000 Tl. auf Zinseszins angelegt werden, so daß das Gesamtkapital
nach einem Vierteljahrhundert auf 61900 Tl. gestiegen sein sollte. Die 2.
Etatsperiode sollte 20 Jahre umfassen; während dieser Zeit sollten jährlich 756
Tl. verausgabt, die Mehrzinsen von 2 000 Tl. aber wieder kapitalisiert werden,
so daß das Gesamtvermögen i. J. 1921 die Höhe von 109000 Tl. erreicht haben
sollte. Nach weiteren Perioden von 20 Jahren sollten zu Beginn der 6. Periode
467 900 Tl. und 18 996 Tl. Zinsen zur Verfügung stehen; dann sollte die Stiftung
ihre volle Höhe erlangt haben und sämtliche Zinsen zur Verteilung kommen, davon
12 946 Tl. für gemeinnützige Zwecke vorwiegend in Braunsberg. Der Weltkrieg und
die Inflation haben Arendts sorgfältige Zinseszinsrechnung
über den Haufen geworfen. Zur Zeit beträgt die Jahresrente für Braunsberg rund
1800 M. Auf dem mit seiner Beihilfe gekauften Katharinenfriedhof in der
Malzstraße birgt eine genau nach seinen Angaben erbaute Grabkapelle seine
Leiche, die einbalsamiert werden mußte.
Bischof Augustinus Bludau (1862 - 1930)
Er hatte ich Braunsberg Theologie studiert, setzte seine
theologischen Studien in Münster fort und kehrte 1891 nach seiner Promotion zum
Dr. theol. in die Heimat zurück. Nach drei Jahren Kaplanszeit in Braunsberg
wurde er 1894 Subregens des Priesterseminars und Präfekt am bischöflichen
Knabenkonvikt, 1895 ao. und 1899 o. Professor für Neues Testament in Münster.
1908/09 wurde er Bischof von Ermland. B. ist bekannt als Exeget und Förderer der
Caritas. Ohne sein Bischofsamt zu vernachlässigen, blieb er seiner
liebgewonnenen wissenschaftlichen Tätigkeit treu. In den Nöten und Sorgen der
Kriegszeit und der Nachkriegsjahre bewährte sich B. als Bischof.
Im April 1884 war das 1. Jägerbataillon unter lebhaftestem Bedauern der
Bürgerschaft nach Allenstein verlegt worden, und die Verstimmung darüber war so
groß, daß die Feier des 600jährigen Stadtjubiläums in Frage gestellt war. Die
frische Initiative des Prof. Dr. Dittrich wußte dann doch die Heimatliebe der
Einwohner so zu entfachen, daß am 2. Juli in schlichtem Rahmen eine würdige
Feier in der Stadt und im Stadtwalde veranstaltet wurde. Zwar erhielt
Braunsberg als Ersatz für die Jäger ein Bezirkskommando, aber Garnison wurde
es erst wieder im Oktober 1893, als zunächst in gemieteten Bürgerhäusern. Mt
Oktober 1898 in den von der Stadt neuerbauten Kasernen das Füsilier-Bataillon
des 3. Ostpreußischen Grenadier-Regiments König Friedrich Wilhelm Nr. 3 seinen
Einzug hielt. Vom Oktober 1912 bis 31. Juli 1914 garnisonierte hier das 3.
Bataillon des 5. Westpreußischen Infanterie-Regiments Nr. 148. Während des
Weltkrieges war das Kasernement mit verschiedenen Ersatzabteilungen und
Rekrutendepots, das Lazarett mit einem Reservelazarett belegt. In der
Nachkriegszeit wurde es zu Wohnungen eingerichtet. Seit dem letzten Winter
bietet ein Block der ostpreußischen Bezirksführerschule des Arbeitsdienstes
Unterkunft.
Seitdem dem Braunsberger Großhandel durch die moderne Verkehrsentwicklung das
Rückgrat gebrochen war, beruhte das Wirtschaftsleben der Stadt hauptsächlich auf
dem gewerblichen Mittelstand. I. J. 1860 zählte man 381 Meister 313 Gesellen und
185 Lehrlinge in 44 Berufsgruppen. 1888 schlossen sich 15 Innungen zu einem
Innungsausschuß zusammen. Von industriellen Unternehmungen entstanden neben der
alten Amtsmühle im 19. Jahrhundert eine Seifenfabrik, die seit 1824 im
Familienbesitz Sonnenstuhl befindliche Lederfabrik, i. J. 1828 eine Spritfabrik
und 1854 die Bergschlößchen-Bierbrauerei, beides Unternehmungen des betriebsamen
Jakob von Roy, 1879 die Wendelsche Ofenfabrik, 1885 die Filiale der
Zigarrenfabrik Loeser und Wolff, 1896 die Feinlederfabrik Beiger. 1884
beschafften Braunsberger Kaufleute einen Dampfer für den Verkehr nach Pillau und
Königsberg. Immerhin wurden i. J. 1905 zu Schiff nach Braunsberg 4 536, von der
Stadt 3 982 Tonnen Fracht befördert. 223
Den Eisenbahnverkehr ins Ermland ermöglichte die 1884 eröffnete Strecke
Braunsberg—Mehlsack, die hier auf die neue Linie Allenstein—Königsberg traf. Die
Haffuferbahn, die von Braunsberg und Elbing aus die malerische Haffküste und
Kahlberg dem Verkehr erschloß, wurde als Unternehmung einer Aktiengesellschaft
erst 1899 in Betrieb genommen. Zu der ältesten Kunststraße der Provinz
Königsberg—Elbing, die die ermländische Hauptstadt schon i. J. 1826 berührte,
kam die Chaussee nach Mehlsack in den Jahren 1845—53 hinzu, während die anderen
von Braunsberg ausgehenden Kunststraßen später, die Zagerer erst i. J. 1932
vollendet wurden.
Staatliche Behörden entschädigten die Stadt für die geschwundene
Handelsbedeutung. Schon 1821 war das Stadtgericht und das kgl. Domänenjustizamt
zu Braunsberg zu einem kgl. Land- und Stadtgericht vereinigt. 1849 wurden die
Kreise Braunsberg und Heiligenbeil zu dem Kreisgericht Braunsberg mit mehreren
Gerichtsdeputationen und Kommissionen zusammengefaßt. Nach der
Justizorganisation d. I. 1879 wurde in Braunsberg ein Land- und Amtsgericht
geschaffen, für das alsbald ein geräumiger Neubau aufgeführt wurde. I. J.
1890-1891 wurde das preußische Landgestüt Braunsberg begründet, dessen Bezirk
zur Zeit die Kreise Braunsberg, Heilsberg, Allenstein, Elbing, Pr. Holland,
Mohrungen, Heiligenbeil, Pr. Eylau, Fischhausen, Königsberg und Wehlau umfaßt.
Der Hengstbeftand beträgt 107 Hengste, davon 69 Warmblüter und 38 Kaltblüter,
die auf 45 Deckstellen verteilt sind.
Schon frühzeitig i. J. 1867 erbaute die Stadt eine Gasanstalt, 1881 wurde das
Schlachthaus eröffnet, das 1900 erweitert wurde. Unter der besonnenen
Amtsführung des Bürgermeisters Heinrich Sydath (1890—1917), dessen Gedächtnis in
einer neuen Straße fortlebt, wurde das städtische Wasserwerk errichtet, das im
Februar 1897 in Betrieb genommen werden konnte. In seine Amtszeit fällt die
durchgreifende, wohlgelungene Erneuerung der St. Katharinenkirche durch
Erzpriester Anton Matern, durch die das ehrwürdige mittelalterliche Gotteshaus
in verjüngter Schönheit erprangte (1891—97). 1910/11 wurde die Kanalisation der
Stadt durchgeführt. Der Abschluß dieses über 500 000 M. kostenden Werkes war der
Anlaß zu einer Ehrung der Stadt. Regierungspräsident Dr. Graf von Keyserlingk
gab in einer Festsitzung der städtischen Körperschaften am 25. Januar 1912 unter
anerkennenden Worten bekannt, daß dem Bürgermeister Sydath das Recht zum Anlegen
einer goldenen Amtskette, dem Stadtverordnetenvorsteher Justizrat Mehlhausen der
Rote Adlerorden 4. Klasse verliehen sei. Als Sydath zum Oktober 1917 in den Ruhestand trat, wurde er zum Ehrenbürger der
Stadt ernannt. Im Alter von 83 Jahren starb er 1931 in Neukölln bei Berlin.
Heinrich Sydath (1848 - 1931)
Bürgermeister der Stadt Braunsberg (1890 - 1917)
Zum Bild:
Heinrich Sydath gehört neben Simon Wichmann (1581 - 1638, Bürgermeister während der Schwedenherrschaft im
30jährigen Krieg) und Kommerzienrat Johann Oestreich (1750 - 1833, Kgl. Kommissar und Begründer des neuen
reformierten Bildungswesens) zu den Männern, die die Geschichte der Stadt Braunsberg entscheidend geprägt haben.
Unter seiner besonnenen Amtsführung wurde u. a. das städtische Wasserwerk erbaut und die St. Katharinenkirche
neugotisch ausgestattet. Höhepunkt in der 27-jährigen Amtszeit Sydaths war die Einweihung des städtischen
Kanalisationssystems. In einer Festsitzung der städtischen Körperschaften am 25. Januar 1912 teilte der
Regierungspräsident Dr. Graf von Keyserlingk dem Braunsberger Bürgermeister Sydath mit, daß der König ihm das Recht
verliehen habe, eine goldene Amtskette zu tragen. Während des Ersten Weltkrieges hat Bürgermeister Sydath durch
besonnenes Handeln größere Not von der Bevölkerung seiner Stadt abgewendet.
Braunsbergs jahrhundertealter Ruf als Schulstadt hat sich bis in die Gegenwart
behauptet. Zu den früheren Lehrstätten kam i. J. 1887 als eine der ersten
landwirtschaftlichen Schulen der Provinz die Braunsberger hinzu, die i. J. 1912
ein eigenes Heim erhielt. Seit 1926 ist ihr eine Hauswirtschaftliche Abteilung
für Mädchen angegliedert. Eine besonders blühende Entwicklung nahm die kath.
höhere Mädchenschule, die i. J. 1909 22 Klassen umfaßte und in vier Zweige
zerfiel: zwei Seminare für höhere Lehrerinnen und Volksschullehrerinnen, eine
dreiklassige Präparandie, eine zehnklassige höhere Mädchenschule und eine
achtstufige dreiklassige Übungsschule. Die verdiente Leiterin Elisabeth
Schröter hatte die Freude, daß diese wichtigste ermländische Bildungsstätte für
die weibliche Jugend i. J. 1909 vom Minister anerkannt wurde und als Lyzeum und
Oberlyzeum i. J. 1917 den Namen Elisabeth-Schule erhielt. Während der kritischen
Inflationsjahre i. J. 1922 mit der evangelischen höheren Mädchenschule vereinigt
und auf den städtischen Haushalt übernommen, wurde die Elisabeth-Schule, deren
Aufgabenkreis mit der Reform der Lehrerinnenbildung eingeschränkt worden war,
als öffentliche höhere Lehranstalt am 1. April 1925 anerkannt. Die das frühere
katholische Lehrerseminar in seinen Klassenräumen ablösende Schloßschule ist
1922 als deutsche Oberschule in Aufbauform begründet und führt in sechs Jahren
zur Reifeprüfung. Die 1906 eingerichtete Berufsschule umfaßt eine gewerbliche,
eine kaufmännische und eine hauswirtschaftliche Abteilung und eine
Haushaltungsschule. Eine Kraftfahrzeug-Mechanikerschule mit halbjährigen Kursen
wurde 1928 vom Mechaniker-Innungsverband Ostpreußens eingerichtet. Als neueste
Bildungsstätte ist die Bezirksschule für den Arbeitsdienst am 18. Januar 1934
feierlich eröffnet worden.
Katholische St. Katharinenpfarrkirche
Evangelische Pfarrkirche
Braunsbergs jahrhundertealter Ruf als Schulstadt hat sich bis in die Gegenwart
behauptet. Zu den früheren Lehrstätten kam i. J. 1887 als eine der ersten
landwirtschaftlichen Schulen der Provinz die Braunsberger hinzu, die i. J. 1912
ein eigenes Heim erhielt. Seit 1926 ist ihr eine Hauswirtschaftliche Abteilung
für Mädchen angegliedert. Eine besonders blühende Entwicklung nahm die kath.
höhere Mädchenschule, die i. J. 1909 22 Klassen umfaßte und in vier Zweige
zerfiel: zwei Seminare für höhere Lehrerinnen und Volksschullehrerinnen, eine
dreiklassige Präparandie, eine zehnklassige höhere Mädchenschule und eine
achtstufige dreiklassige Übungsschule. Die verdiente Leiterin Elisabeth
Schröter hatte die Freude, daß diese wichtigste ermländische Bildungsstätte für
die weibliche Jugend i. J. 1909 vom Minister anerkannt wurde und als Lyzeum und
Oberlyzeum i. J. 1917 den Namen Elisabeth-Schule erhielt. Während der kritischen
Inflationsjahre i. J. 1922 mit der evangelischen höheren Mädchenschule vereinigt
und auf den städtischen Haushalt übernommen, wurde die Elisabeth-Schule, deren
Aufgabenkreis mit der Reform der Lehrerinnenbildung eingeschränkt worden war,
als öffentliche höhere Lehranstalt am 1. April 1925 anerkannt. Die das frühere
katholische Lehrerseminar in seinen Klassenräumen ablösende Schloßschule ist
1922 als deutsche Oberschule in Aufbauform begründet und führt in sechs Jahren
zur Reifeprüfung. Die 1906 eingerichtete Berufsschule umfaßt eine gewerbliche,
eine kaufmännische und eine hauswirtschaftliche Abteilung und eine
Haushaltungsschule. Eine Kraftfahrzeug-Mechanikerschule mit halbjährigen Kursen
wurde 1928 vom Mechaniker-Innungsverband Ostpreußens eingerichtet. Als neueste
Bildungsstätte ist die Bezirksschule für den Arbeitsdienst am 18. Januar 1934
feierlich eröffnet worden.
Abtransport russischer Gefangener nach der Schlacht bei Tannenberg, September
1914 - im Zusammenhang mit
den Kämpfen in Ostpreußen
Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges drangen zwei russische Armeen von Osten und Süden in
Ostpreußen ein. Nach der deutschen Niederlage von Gumbinnen (20.08.1914) flohen große Teile der
ostpreußischen Bevölkerung bis hinter die Weichsel. Der Süden des Kreises Braunsberg wurde von
russischen Truppen besetzt, die Stadt Braunsberg selbst wurde nicht direkt bedroht. Hindenburgs
Erfolge in der Schlacht bei Tannenberg (26. 30.08.1914) mit der Vernichtung der russischen NarewArmee und in der Schlacht an den masurischen Seen (06. - 15.09.1914) mit der schweren Niederlage
der Njimen-Armee bedeuteten das Ende des russischen Vormarsches und den Beginn der
Rückeroberung Ostpreußens. Die Stadt Braunsberg blieb von den Auswirkungen des Krieges nicht verschont. 400 Männer fielen an
der Front, eine große Zahl Flüchtlinge wurde in der Stadt aufgenommen. Der durch die
Kampfhandlungen bedingte Verlust der Ernte führte zur Lebensmittelknappheit. Zur Milderung der Not
übernahm die Stadt Münster eine Kriegspatenschaft über Braunsberg.
Die ruhige, aufstrebende Entwicklung des kulturellen und wirtschaftlichen
Lebens der Stadt erfuhr durch die schon lange drohende katastrophale Entladung
des Weltkrieges einen schweren Rückschlag. Erhebend die Begeisterung, mit der
rund 100 der 347 Gymnasiasten bis zum Alter von 16 Jahren als Freiwillige zu den
Waffen eilten, die Opferwilligkeit, mit der die ganze Einwohnerschaft in der
Ablieferung von Gold, Zeichnung von Kriegsanleihen, der Liebestätigkeit für die
Feldgrauen und Lazarettkranken, in allen möglichen Sammlungen ihre Liebe zum
Vaterland bekundete. Zwar wurde die Stadt nicht unmittelbar von den
Schrecknissen des Russeneinfalls 225 betroffen wie die meisten Gebiete der Provinz, aber den Jammer der Flüchtlinge,
die Sorge um das Schicksal ihrer Söhne, die steigende Not an Lebensmitteln und
den verschiedensten Bedarfsstoffen durchkostete auch sie in der
zuversichtlichen Hoffnung, daß das Durchhalten zum endlichen Siege führen müsse.
Über 3000 Braunsberger Männer und Jünglinge, d. h. fast jeder 4. Einwohner,
zogen nach und nach mit Gott für Kaiser und Reich an die verschiedensten
Fronten, und nicht weniger als 400 von ihnen sind den Heldentod gestorben.
X. Ausklang
Eine spätere Zeit wird das buntbewegte, erschütternde Geschehen der
Nachkriegsjahre eingehend schildern und sicherer beurteilen: die lähmende Kunde
der militärischen Katastrophe unserer Verbündeten und der dadurch notwendigen
eigenen Waffenstillstandsverhandlungen; das folgenschwere Unheil der
Novemberrevolution mit ihren Arbeiter- und Soldatenräten; die auflegenden
Bemühungen des demokratischen Parlamentarismus, über die Revolutionspsychose zu
geordneten Verhältnissen zu gelangen; das unsagbare Verhängnis des Versailler
Friedensdiktats; die demoralisierenden Auswirkungen der unglaublichen Inflation;
die Geißel der Arbeitslosigkeit mit ihren gewaltigen Soziallasten: die
fortschreitende Verschuldung der Gemeinden und die Verarmung breitester
Volksschichten.
Trotzdem hat die Braunsberger Stadtverwaltung unter den schwieligsten
Wirtschaftsverhältnissen während der Amtszeit der Bürgermeister Gandy (1917—29)
und Kayser (seit 1929) große Aufgaben zur Durchführung gebracht. So erhielt die
Stadt im November 1919 von der Kreisüberlandzentrale elektrisches Licht. Die aus
dem städtischen Elektrizitätswerk (Stromquelle jetzt das Überlandwerk
Ostpreußen), Gas- und Wasserwerk 1926 vereinigten Technischen Werke bilden heute
eine Haupteinnahmequelle der Gemeinde und setzten im letzten Rechnungsjahre
695000 Kubikmeter Gas, 251000 Kubikmeter Wasser und 756000 Kilowatt elektrische
Energien um. 1920 wurde mit den durch die drückende Wohnungsnot gebotenen
Randsiedlungen begonnen, die an der Peripherie der Alt- und Neustadt ganze
Straßenzüge neu erstehen ließen. In demselben Jahre wurde ein durchgreifender
Umbau des
Rathauses vorgenommen. Pflasterungen erneuerten fast das ganze Straßennetz der
Stadt. 1926/27 wuchs in der Ackerstraße ein neuzeitliches Schulgebäude für die
katholische Mädchenvolksschule und die evang. Volksschule empor. Das Haus, das
bis dahin der evang. Volksschule gedient hatte, wurde zu einer
Haushaltungsschule umgebaut. Der Errichtung der staatlichen Aufbauschule, mit
der die Stadt erhebliche dauernde finanzielle Leistungen übernahm, und der
Verstadtlichung der Elisabethschule wurde schon vorher gedacht, ebenso des
Umbaus und der Verwendung des Kasernements zu Wohnzwecken und zur Einrichtung
eines Rentnerheims. Den Bemühungen des Erzpriesters Schulz gelang die Übereignung der barocken Kreuzkirche an den Redemptoristenorden
i. J. 1923: ein
stilgemäß ausgeführter Anbau schuf 1923—25 den Patres Kloster und Kapelle. Das
1920 im alten Oestreichschen Geschäftshaus untergebrachte Finanzamt konnte 1932
seinen schlichten Neubau in der Malzstraße, die 1905 begründete
Reichsbanknebenstelle im selben Jahre 1932 ein hochgiebliges Eigenheim in der
Magazinstraße beziehen. Der 1931 erbaute 30 Meter hohe Wasserturm, der einem
namentlich bei Feuersbrünften in den höher gelegenen Stadtteilen dringend
empfundenen Bedürfnis abhelfen sollte, erinnert in seiner monumentalen
Sachlichkeit an ein modernes Hochhaus. Vornehme Schlichtheit und Zweckmäßigkeit
charakterisieren auch das neue Priesterseminar, das am 23. August 1932 durch den
päpstlichen Nuntius Orsenigo seine festliche Weihe erfuhr. Mitten in der
Finanzkrise d. J. 1931 erfolgte auf dem Gymnasialhof der Abbruch des
Direktorwohngebäudes und der Turnhalle, um dem lange erstrebten
Erweiterungsflügel Raum zu bieten. Das am 22. Oktober 1933 feierlich enthüllte
Kriegerdenkmal am alten Stadtgraben hält in seiner eindringlichen Sprache neben
den Gedenktafeln der Pfarrkirchen und Anstalten das Gedächtnis an die im
Weltkriege gefallenen Söhne der Stadt fest. Eine neue, notwendige
Wasserversorgungsanlage wird zum Stadtjubiläum in Betrieb gesetzt. Wie der
Kunstverein, suchte auch eine gute Waldbühne dem Kunstleben der Stadt rege
Impulse zu geben. Die Arbeiten des 1877 begründeten Verschönerungsvereins, der
sich um die Grünanlagen der Stadt dankenswerte Verdienste erworben hat, hat
neuerdings die Stadtverwaltung selbst übernommen und im Zusammenhang mit den
Schrebergärten an der Oberpassarge und im Rodelshöfer Grund Schmuckanlagen und
Wege geschaffen, die um so begrüßenswerter sind, als das Weichbild der Stadt an
schönen Spaziergängen nicht eben reich ist. 227
Anmerkung des Webmasters: Ich benutze hier in tiefer
Trauer, daß dieses schöne Braunsberg untergegangen ist, die Gelegenheit, 71
Jahre nach Drucklegung der Festschrift die folgenden Anmerkungen zu machen: "Die Festschrift erhielt nach Auskunft von Frau
Katharina Buchholz (Stuttgart) von den Nationalsozialisten nicht die
Druckerlaubnis, bevor ihr Vater, Studienrat Franz Buchholz, nicht die
Ausführungen mit dem Hinweis auf den Führer und Reichskanzler formuliert hatte."
Am 30. Januar 1933 ging das Sehnen ungezählter Volksgenossen in Erfüllung.
Der einfache Soldat des Weltkrieges Adolf Hitler wurde von dem ruhmreichen
Generalfeldmalschall von Hindenburg als Reichskanzler zur Führung der
Reichsregierung berufen. In ungeahnter Einheit wußte er das zerklüftete deutsche
Volk zusammenzufassen. Mit erstaunlicher Kraft wurden alte Formen gesprengt und
der Aufbau des dritten Reiches ins Werk gesetzt.
Auf wirtschaftlichem Gebiet wirkte sich die neue Zeit am deutlichsten in der
fast völligen Beseitigung der städtischen Arbeitslosigkeit aus: Hatte in den
letzten Jahren die Zahl der Unterstützungsempfänger in Braunsberg am 1. April
1930 — 632, 1931 - 1145, 1932 - 1111 und 1933 - 1167 betragen, so sank sie am 1.
April 1934 auf 81; am 1. Oktober 1933 waren es sogar nur 14 gewesen. Die
offiziellen Organisationen der NSDAP erfaßten auch die Bevölkerung der Stadt in
schnell wachsendem Maße. Der vom Geiste des Führers getragenen Bezirksschule des
Arbeitsdienstes folgte im Frühjahr die Errichtung eines Brigadestabes der SA.
Den Bevölkerungsstand der Stadt zeigt uns das Ergebnis der Volkszählung vom 10.
Oktober 1933. Danach zählte die Stadt 15 353 Einwohner gegen 14031 i. J. 1925.
An Geburten wurden i. J. 1933 323 (1932: 303), an Sterbefällen 214 (233) und an
Eheschließungen 126 (102) standesamtlich verzeichnet. Noch sei folgende
Schulenfrequenz angefügt: Die Hindenburgschule (kath. Knabenschule) zählt zur
Zeit 786 Schüler, die kath. Adolf-Hitler-Schule (Mädchenschule) 839, die evg.
Adolf-Hitler-Schule (Volksschule) 651, die Berufsschulen 368, die
Haushaltungsschule 16. die Elisabethschule 256, das Gymnasium 322, die Schloßschule 86, die Landwirtschaftsschule 62 Schüler und 20 Schülerinnen, die
Bezirksschule über 200 Schüler, die Akademie 103 Studierende.
Möge dem ernsten Wollen und starken Ringen des Führers der ersehnte Erfolg
beschieden sein zu des Vaterlandes Wohlfahrt, Freiheit und Größe! Möge der
Schutz des Allmächtigen auch fürderhin über der guten, alten Stadt Braunsberg
walten und sie in Gnaden geleiten in eine glückliche Zukunft!
XI. Das Ende
Der Erste Bürgermeister bei Beginn der Ära
des Nationalsozialismus und auch noch zur Zeit des Stadtjubiläums war der
Münsteraner Ludwig Kayser. Nach den beiden juristischen Staatsprüfungen wandte
er sich der kommunalen Laufbahn zu und wurde Stadtassessor in Trier. Als solchen
wählte ihn das Braunsberger Stadtparlament 1929 zum Ersten Bürgermeister der
Passargestadt.
Von seiner Bewerbung und Wahl wird
Folgendes berichtet: Als Kayser schließlich von über 60 Bewerbern übrig blieb,
teilten ihm die Braunsberger Parlamentarier mit, dass er zwar den Anforderungen
voll genüge, daß man ihn aber trotzdem nicht nehmen könne. Auf seine Frage,
warum das denn nicht, erhielt der die Antwort, weil er Rheinländer sei - und
Trier, wo er doch wohne und arbeitete, sei nun einmal Rheinland! Als er dann
erklärte, daß er erst nach seinem Studium in Trier angefangen habe, und daß er
als Münsteraner ein waschechter Westfale sei, war er eingestellt: "Na, ein
Westfale, der paßt anders als ein Rheinländer eben zur ermländischen Art!"
Kayser, selbst Mitglied der
Zentrumspartei, zeigte ein kritisch-distanziertes Verhältnis zum Nationalsozialismus. So ließ er z. B. am 6. März 1933
morgens die Hakenkreuzfahne entfernen, die in der Nacht zuvor eine Gruppe uniformierter SA- und SS-Männer, die
sich gewaltsam Zugang zum Rathaus verschafft hatten, auf dem Rathausturm gehisst hatten.
Und es gelang ihm auch durch geschickte Verteidigung ("Katz- und Mausspiel"), daß seine Maßnahme akzeptiert wurde.
Man brauchte den geschickten Organisator ja wohl auch noch zur 650Jahrfeier.
Jedoch war ein solcher Erster Bürgermeister für die nationalsozialistischen Machthaber im Reich
auf Dauer nicht
tragbar. So wurde er 1935 in den Ruhestand versetzt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Kayser von 1946 bis 1964 als Oberstadtdirektor in Bocholt tätig. Er
hat insbesondere die Patenschaft der Städte Braunsberg und Münster begründet und gefördert.
Darüber hinaus galt sein besonderes Interesse der Geschichte Braunsbergs, des Ermlandes und
Ostpreußens.
Sein früher Ruhestand als
Braunsberger Erster Bürgermeister könnte für
uns Braunsberger heute von Vorteil sein, denn er konnte alle seine privaten
Unterlagen und Erinnerungsstücke bei seinem Umzug in den Westen mitnehmen. Sie
befinden sich heute im Stadtarchiv in Münster und harren der Auswertung.
Anmerkung des Webmasters: Mein Onkel
Gregor Preuschoff konnte sich noch erinnern, wie Ludwig Kayser am sonntäglichen
Hochamt in der St. Katharinenkirche auf einem für ihn als Bürgermeister reservierten
Platz
teilnahm.
Ludwig Kayser hat seine
besonderen Erlebnisse als nichtangepaßter Bürgermeister in der Nazizeit in einem
Brief zusammengefaßt, bitte klicken Sie HIER!
Ludwig Kayser, Erster Bürgermeister von Braunsberg 1929 - 1935
*
1899, + 1984 - jeweils Münster/Westf.
Der Bürgermeister trägt
die dem Bürgermeister Sydath 1913 verliehene Amtskette, die nach 1935
eingeschmolzen und durch eine Bernsteinkette ersetzt wurde.
Die Nachfolger im Amt des Ersten Bürgermeisters, Petrusch (1935 - 1938) und Mayer (1939 - 1941),
waren nur noch Marionetten der nationalsozialistischen Machthaber.
Von der Staatlichen Akademie sind während der "Endphase Braunsbergs" drei
Professoren besonders in Erscheinung getreten: Das waren zunächst einmal die
beiden Professoren Barion und Eschweiler, die ein Gutachten zur Euthanasie im
Sinne der Nationalsozialisten angefertigt hatten, siehe den Beitrag von Dr. Hans
Preuschoff
"Zur Suspension der Braunsberger
Professoren Eschweiler und Barion im Jahre 1934".
Und dann war das
noch der Luxemburger Joseph Adam Lortz. Er wurde besonders bekannt im
Zusammenhang mit seiner Reformationsforschung, die bestimmt ist von einem
historischen Verständnis für Martin Luther und sein Anliegen.
Ein anderer
Professor im Zusammenhang mit Braunsberg war Max Meinerz (1880 - 1965). Doch er
war zwar in Braunsberg geboren und hatte auch hier an der Staatlichen Akademie
sein Studium begonnen, doch bis auf eine kurze Tätigkeit als außerordentlicher
Professor an der Staatlichen Akademie von 1907 bis 1909 spielte sich seine
Lebenswirklichkeit im Westen ab, vor allem in Münster.
Joseph Adam
Lortz, deutscher katholischer Kirchenhistoriker (1887 - 1975)
Professor in
Braunsberg, Münster und Mainz. Lortz war einer der letzten Professoren an der
Staatlichen Akademie in Braunsberg.
Das Ende 1945 kennen wir, die Zerstörung Braunsbergs, die
Flucht vieler über das zugefrorene Haffe, die Vertreibung...
Ruinen der Pfarrkirche St. Katharina
Seit 1945 hat die Stadt Braunsberg einen polnischen Namen.
Die durchaus noch wiederaufbaufähigen Ruinen von Rathaus und Altstadt wurden
abgerissen und das freie Gelände wurde in der kommunistischen Zeit lieblos
teilweise zugebaut. Lediglich die Pfarrkirche St. Katharina wurde dank
der Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland in den 80er Jahren, also noch
zu kommunistischer Zeit, wieder aufgebaut. Die Polen witzelten, dass man so viel
Geld bekommen und die Devisensituation so gut ausgenutzt habe, dass man von dem
Geld nicht nur eine, sondern drei Kirchen bauen konnte.
Eine polnische Stadt mit der wiederaufgebauten
Pfarrkirche St. Katharina...
Und noch etwas Interessantes aus dem Anhang:
Ergänzend sei hier noch zugefügt, daß am 1. September 1880 auf dem Platze des
heutigen evangelischen Gemeindehauses von Bürgermeister Maraun eine
Gewerbeausstellung für das Ermland und den Kreis Heiligenbeil eröffnet wurde,
die gegenüber der wachsendes Großindustrie die Erzeugnisse des Kleingewerbes
vorführen sollte. In 13 Gruppen wurde eine umfassende, ansprechende Schau
geboten, die zahlreiche Zuschauer von nah und fern anlockte. Zur Erinnerung an
diese Ausstellung fand Anfang September 1930 eine Jubiläums-Ausstellung in
beiden Vereinshäusern statt, die ebenfalls tüchtige Leistungen des
Heimatgewerbes aufwies, wenn auch ihre Anziehungskraft nicht mehr so weit
reichte wie vor einem halben Jahrhundert.
Noch sei der großen Überschwemmung gedacht, die das Hochwasser der Passarge am
Karfreitag, 29. und Karsamstag 1888 im Weichbilde der Stadt verursachte. Schon
an der Kreuzkirche sperrten gewaltige Eisbarrikaden dem reißenden Strom den
Abfluß. In breiten Fluten ergoß er sich weithin über die Aue. Die Neustadt
bildete vom Bahnhof bis zur Seeligerstraße einen 3—4 Fuß tiefen See, der von
Kähnen und Flößen befahren wurde. Nur die höher gelegene Altstadt ragte wie eine
Insel aus dem Meere empor, die Mühlenbrücke wurde schwer beschädigt, hielt aber
stand. Im Patschwinkel wurden die Parterrewohnungen durch Ausheben der Fußböden
und Aufweichen der Wände unbrauchbar gemacht. Hunderte frierender und hungernder
Menschen waren auf die Hilfe ihrer Mitmenschen angewiesen. Erst am 2. Feiertag
war das Wasser aus den Straßen verschwunden.
Von einer systematischen Darstellung der städtischen Verfassung, des Rechts- und
Zunftswesens wurde in diesem Buche abgesehen, da hierfür bereits von Lilienthal
grundlegende Arbeiten vorhanden sind (Wermke Nr. 7505—09, 7512) und ihre
Wiedergabe den Rahmen der Schrift gesprengt hätte.
Quellen und Personenverzeichnis (unkorrigiert)
Plan der Alt- und
Neustadt Braunsberg
(Gezeichnet nach
der farbigen Originalkopie aus dem Jahr 1692 im Schwedischen Kriegsarchiv zu
Stockholm.)
Besprechungen
Hans Schmauch: Franz Buchholz, Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte.
Festschrift zum 650jährigen Stadtjubiläum am 23. und 24. Juni 1934. - IV und 239
S. mit 7 Abbildungen und 2 Stadtplänen. Braunsberg, Erml. Zeitungs- und
Verlagsdruckerei 1934.
Das 650jährige Ortsjubiläum hat der Stadt Braunsberg einen gut orientierenden
Gesamtüberblick über ihre Geschichte gebracht. Die Festschrift stammt aus der
Feder von Franz Buchholz, der bereits durch seine "Bilder aus Wormditts
Vergangenheit" seine vorzügliche Befähigung zu einer wissenschaftlich gut
fundierten und dabei doch durchaus volkstümlichen Darstellung bewiesen hat (vgl.
diese Zeitschrift Bd. 73 - 1930 - S. 257 ff.).
Als größte Stadt des Ermlandes hat Braunsberg immer hervorragenden Anteil an den
geschichtlichen Begebenheiten des alten Fürstbistums gehabt, zumal die Lage an
der wichtigsten Übergangsstelle über die untere Passarge der Stadt eine starke
militärische
Bedeutung gab, die fast in allen Kriegen der Vergangenheit deutlich in die Augen
springt. Dazu war Braunsberg bis ins 19. Jahrhundert hinein der
Haupthandelsplatz des Ermlandes; in seiner Frühzelt rechnete es zu den 6 großen
Städten des Preußenlandes und gehörte mehrere Jahrhunderte hindurch der
deutschen Hansa an. Seit der Regierung des Kardinals Hosius ward es dann als
Stadt der Schulen und als Brennpunkt der katholischen Glaubenserneuerung auch
der geistige Mittelpunkt des Ermlandes, Dieser hervorragenden Stellung, die
Braunsberg in politischer und militärischer, in wirtschaftlicher und kultureller
Hinsicht gegenüber den anderen ermländischen Städten eingenommen hat, trägt der
Verfasser in seiner Festschrift voll und ganz Rechnung.
Entsprechend dem Zweck seiner Arbeit, die Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte
zeigen soll, hat Buchholz das Hauptgewicht auf einen geschichtlichen Überblick
gelegt, der die Ergebnisse der mannigfachen Einzeluntersuchungen zur Geschichte
Braunsbergs und überhaupt des Ermlandes zusammenfaßt. Darüber hinaus aber ist
der Verfasser öfter auch zu neuen Auffassungen gekommen, die sich ihm aus der
Gesamtschau der Braunsberger Geschichte ergaben. Das gilt vor allein für die
älteren Zeiten der Passargestadt. Gelegentlich kommen dabei auch für die
gesamtermländische Geschichte neue Resultate heraus. So versucht Buchholz die
Tatsache, daß Bischof Heinrich I. Flemming gegen Ende seines Lebens mehrere
Jahre (1298-1300) außerhalb seines Bistums weilte, aus dem scharfen Gegensatz zu
erklären, der sich wegen der Gründung des Franziskaner-klosters innerhalb der
Stadtmauern zwischen dem Bischof und den Bürgern Braunsbergs herausgebildet
hatte und den erst Flemmings Nachfolger Eberhard von Neisse durch die Verlegung
des Klosters vor die Tore der Stadt beilegte (S. 13 f.). Diese Deutung erscheint
mir viel ansprechender als die Erklärung Röhrichs (Geschichte des Fürstbistums
Ermland S. 58), Flemming habe im Thüringerlande neue Ansiedler für sein Bistum
zu werben gesucht. Ganz abgesehen davon, daß eine Reise im vorgerückten Alter zu
diesem Zwecke nicht gerade sehr wahrscheinlich ist, spürt man in der Folgezeit
im Ermland kaum irgendwelche Erfolge einer solchen Werbefahrt.
Beachtenswert ist auch die neue Deutung, die der Verfasser für das älteste
bekannte Siegel der Stadt gibt, das jetzt wieder im Gebrauch ist. In der das
Mittelfeld beherrschenden Linde sieht er den Schuhbaum der ganzen Gemeinde, in
dem rechts davon dar» gestellten Drachen das Symbol des Teufels und des
Heidentums,
während der Hirsch auf der linken Seite als Feind des Drachens Christus, den Überwinder der Hölle, versinnbildet. Das Ganze deutet B. als "Sieg des
Christentums über das Heidentum", als "Triumph der christlich-deutschen Kultur
über die heidnisch-preußische" (S. 11 f.).
Den Namen Brunsberg (= Braunsberg) bringt der Verfasser gleich Röhrich mit dem
altpreußischen Brusebergue (= preußisches Lager) in Verbindung (S. 2 und 4 f).
Zur weiteren Stütze dieser Ansicht sei darauf hingewiesen, daß die älteste uns
überlieferte Form des Wortes "Preußen" in dem Reisebericht des spanischen Juden
Ibrahim ibn Jakub (etwa aus dem Jahre 965) mit "Brus" wiedergegeben ist (W.
Gaerte, Urgeschichte Ostpreußens - 1929 - S. 357).
Bei einem solchen Gesamtüberblick, wie Buchholz ihn hier für die Geschichte
Braunsbergs bietet, wird man leicht einmal den Wunsch haben, dies und jenes auch
noch berücksichtigt zu sehen. (So hätte, um nur ein Beispiel zu nennen, bei dem
S. 108 genannten Braunsberger Buchdrucker Georg Schönfels auch der von ihm 1616
besorgte Druck der „Privilegia der Stände deß Hertzogthumbs Preußen" Erwähnung
finden können, zumal dieses Buch bis heute als einziger preußischer Druck den
vollständigen Wortlaut der Friedensverträge von 1466 und 1525 enthält.) Dem
Verfasser konnte es aber nicht so sehr auf die Sammlung möglichst vieler
Einzelheiten ankommen, sondern er hatte die große Linie der geschichtlichen
Entwicklung der Passargestadt aufzuzeigen — und diese Aufgabe ist ihm gut
gelungen. Erfreulicher Weise sind ein kurzer Anhang, der auf 4 Seiten das
allerwichtigste aus der umfangreichen Literatur bietet, und ein
Personenverzeichnis beigegeben, das namentlich den Familienforschern erwünscht
sein dürfte. Nimmt man noch die allgemein verständliche, gefällige
Darstellungsweise des Verfassers und die zwar bescheidene, aber ansprechende
äußere Ausstattung des Buches (9 gute Abbildungen bezw. Stadtpläne) hinzu, so
kann man abschließend sagen: »Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte' gehört zu
den besten Ortsgeschichten des Preußenlandes
H. Kleinau: Franz Buchholz, Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte. Festschr. zum
650jährigen Stadtjubiläum am 23. und 24. Juni 1934. Mit 9 Abb. Braunsberg 1934.
II, 239 S. 8'.
Die Hauptstadt des Ermlandes hat zu ihrer 650jährigen Gründungsjubelfeier die
erste zusammenfassende, bis auf die neueste Zeit fortgeführte Stadtgeschichte
erhalten. Aus seiner reichen Sachkenntnis heraus hat der bekannte Erforscher
ermländischer Geschichte seinen Mitbürgern eine schöne Festgabe und ein Denkmal
großer Heimatliebe geschenkt. — In neun einleuchtend gegliederten Abschnitten,
die ein kurzer Ausklang mit einigen Mitteilungen über die Ereignisse und über
die Entwicklung der Stadt in der Nachkriegszeit beschließt, wird uns die
politische Geschichte der alten, von der Mitte des 14. bis zum Anfang des l7.
Jhdts. der Hanse angehörenden Stadt vor Augen geführt. Der Verf. hat das Buch in
der Hauptsache auf sorgfältig herangezogenem Schrifttum aufgebaut, dazu aber
verschiedentlich Neues gegeben und frühere Meinungen sorgfältig gegeneinander
abgewogen. Neben einer altpreußischen Siedlung wurde — nach Zerstörung einer
vorübergehend angelegt gewesenen Befestigung — unter Führung des Lübecker
Ratsherrnsohnes Johann Fleming die Stadt 1250 gegründet. Aber erst nach dem Ende
der langjährigen Aufstände i. J.1273 konnte der endgültige Bau der Stadt durch
neue niedersächsische Einwanderer beginnen und am 1. 4.1284 durch Verleihung
einer Handfeste gekrönt werden. Die dem Verfasser zur Verfügung stehende Zeit
war wohl zu knapp, um gerade die mittelalterliche Geschichte Braunsbergs mehr
unter allgemeinen Gesichtspunkten darzustellen. Gerade bei einer Tochterstadt
Lübecks reizt doch der Versuch, Gemeinsamkeiten in der Entwicklung der
städtischen Verfassung, des in den Stadtbüchern überlieferten an» gewandten
Rechts, im Aufbau der Stadt und in der Zusammensetzung ihrer Bevölkerung ganz
besonders hervorzuheben und früher etwa gewonnene Ergebnisse mit allen neustens
an den Lübecker Verhältnissen erprobten Methoden nachzuprüfen. Im Nahmen des
vorliegenden Buches hätten sich, wenn auch in knapper Form, wohl einige
beachtliche und den Leser anziehende Gesichtspunkte herausarbeiten lassen. — In
den späteren Abschnitten sind vielleicht hier und da in der Liebe zur Sache ein
wenig zu viel Einzelheiten geboten. Einiges davon hätte in Anmerkungen seinen
Platz finden können.
Sehr vorteilhaft vor den meisten übrigen preußischen Stadtgeschichten zeichnet
sich diese durch ein zuverlässiges Namensverzeichnis aus, dem man freilich auch
die Ortsnamen gern eingefügt sähe. Als Anhang wären vielleicht einige
Übersichten (z. B. die Bürgermeister) und auch eine knappe Zeittafel von Nutzen.
Die Beigabe einiger wohlgelungener Abbildungen, darunter zwei
Stadtplanwiedergaben, ist erfreulich.
Möchte es nun in einem allmählichen Aufbau von Einzelabschnitten gelingen, der
Geschichte Braunsbergs eine als endgültig anzusehende Form zu geben.
Königsberg i. Pr.
www.braunsberg-ostpreussen.de
|