KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN)

Franz Buchholz: Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte (Festschrift vom Stadtjubiläum 1934)

II. Braunsbergs Entwicklung bis zur Schlacht von Tannenberg (1410)

Im beglückenden Bewußtsein, unter Überwindung ungewöhnlicher Schwierigkeiten eine sicher fundierte, aufblühende lübische Tochterstadt begründet zu haben, zog sich der bejahrte Johann Fleming aus der kommunalen Verantwortung zurück, um als ländlicher Lehnsmann seines bischöflichen Bruders in Gr. Klenau, Kilien bei Frauenburg und Schalmey, besonders aber in Wusen seine kolonisatorische Wirksamkeit fortzusetzen. 1294 wird er urkundlich zum letztenmal erwähnt. Sein Andenken ist vor wenigen Jahren in dem Namen einer neuen Siedlungsstraße frisch belebt worden.

Seitdem der Frieden in Preußen eine Klärung der territorialen Verhältnisse ermöglichte und dem ermländischen Domkapitel ein Teil des ihm zustehenden Landesdrittels zugewiesen werden konnte, ergab es sich von selbst, daß Braunsberg nicht gleichzeitig Sitz der bischöflichen und kapitularischen Herrschaft sein konnte.

Mit kundigem Blick erkoren die Domherren, die zunächst die Kapelle des bischöflichen Schlosses für ihren Gottesdienst benutzten, wohl bald nach Heinrichs I. Ankunft das malerisch zugleich und sicher gelegene, unmittelbar die Wasserverbindung offenhaltende Frauenburg zur Residenz, wo vermutlich schon vorher Johann Flemings Bruder Gerhard mit niedersächsischen Anzöglingen den Grund zu einem städtischen Gemeinwesen gelegt hatte. Bereits i. J. 1288 reckte sich hier eine kleine, in Holz erbaute Kathedrale auf kahler Düne zum Himmel.

Von seinem Braunsberger Schloß, das sicherlich schon ebenso wie die ältesten Ordensburgen massiv erbaut wurde und auf dem Platze der heutigen Schloßschule stand, leitete Bischof Heinrich die wirtschaftliche und kulturelle Erschließung seines Landes. In der Hafenstadt Braunsberg war der Sammelplatz und Ausgangspunkt jener Kolonisten, die von Lübeck her ins nördliche Ermland strömten, deren niederdeutsche Mundart als „käslauische" noch heute in ihren Nachkommen lebendig ist.

Als Bischof Heinrich sein Leben dem Abend sich zuneigen fühlte, wollte er noch einen Herzenswunsch verwirklichen, ein Franziskanerkloster stiften. Die Missionspredigt unter den zwar bekehrten, aber noch wenig im Christentum verwurzelten Preußen, unter den benachbarten Heidenvölkern erschien ihm als eine wichtige Aufgabe dieser Mönche. Nun hatte er freilich in der Handfeste die Zusicherung gegeben, ohne Zustimmung der Gemeinde keinen Orden nach Braunsberg zu berufen, i. J. 1296 tat er es trotzdem, vermutlich nach Verständigung mit einem Teile der Bürgerschaft. Er schenkte den Minderbrüdern (vielleicht aus Hof in Franken?) einen Platz zum Klosterbau innerhalb der Stadt. Schon im nächsten Jahre wurde der neue Konvent, wohl auf Heinrichs persönliche Befürwortung, gelegentlich des Erfurter Kapitels in den Verband der sächsischen Ordensprovinz aufgenommen.

Heinrichs Maßnahme wurde von einer einflußreichen, selbstbewußten Partei als Wortbruch und Unrecht betrachtet, und eine offenkundige Erregung in diesen Kreisen, die beim Orden mit Erfolg Beschwerde geführt zu haben scheinen, mag die Ursache gewesen sein, weshalb der Bischof in seinen letzten Lebensjahren meist außer Landes in Mitteldeutschland weilte. Vielleicht bedeutete sein Versprechen, der Stadt den 17 Hufen großen Sumpf gegen Rossen zu dem üblichen Zins zu verleihen, einen Vermittlungsversuch in dem schweren Streite. Erst sein Nachfolger Eberhard von Neiße, der als früherer Pfarrer von Braunsberg mit den örtlichen Verhältnissen aufs beste vertraut war, wirkte zur Beilegung des Konfliktes entscheidend mit. So überwies im April 1301 die Bürgerschaft den Franziskanern außerhalb der Stadt an der Nordseite neben der Passarge einen über 8000 Quadratmeter umfassenden Platz, zu dem sie ein Tor (Mönchentor) mit einer befahrbaren Brücke über den Graben zwischen den Häusern des Hermann Hunthoubic und des Heinrich Rurmunt erbauen wollte. Die Ordensniederlassung, die i. J. 1318 bereits von einem preußischen Guardian geleitet wurde, deren Missionsarbeit in Semgallen (Landschaft südwestlich der mittleren Düna) i. J. 1310  13 besonders gerühmt wurde, wechselte 1330 nochmals ihren Platz, und zwar deshalb, weil das Kloster im Kriegsfalle gegen Angriffe ungeschützt lag und zum schweren Schaden der Stadt dem Feinde als Stützpunkt dienen konnte. Damals bildeten aber die Littauer eine dauernde Beunruhigung des Landes. Die Bürger erboten sich nun, den Brüdern innerhalb der Stadt auf dem jetzigen Gymnasialplatz geeignetes Gelände zur Verfügung zu stellen. So wurde mit päpstlicher Genehmigung die Niederlassung vor dem Mönchentor abgebrochen und der Grundstein zu dem Neubau gelegt, an dem nach den Gewohnheiten jener Zeit jahrzehntelang gearbeitet wurde. Noch in den achtziger Jahren wurde an der turmlosen, geräumigen St. Marienkirche gebaut, deren Gewölbe erst um 1445 eingezogen wurden. Zu den Wohltätern des Klosters gehörten auch die Hochmeister, die um die Wende des 14. Jahrhunderts dem Konvent wie auch den anderen preußischen Klöstern alljährlich eine Stiftung von 2 M. (etwa 60 heutige Mark) zuwendeten.

Die von Bischof Heinrich in Aussicht gestellten Sumpf-Hufen erhielt die Stadt von seinem Nachfolger Eberhard zugewiesen, wenn auch erst nach einem Rechtsstreit mit den Gutsherren von Rossen i. J. 1328 dieses Gelände der Bürgerschaft vom neuen Bischof Jordan förmlich verbrieft wurde. Gleichzeitig umschrieb dieser genau die Grenzen der sog. Hertzow (Harzau), der städtischen Sumpfwiesen, nach Sankau, Rosenwalde und Kl. Klenau hin. Der ausgedehnte kommunale Grundbesitz erforderte natürlich in mühsamer dauernder Beackerung, Trockenlegung von Sümpfen, Rodung von Wäldern angespannte Arbeitsleistung, die den Neigungen der meisten Bürger kaum entsprechen mochte. Daher nimmt es uns nicht wunder, wenn die Feldmark, und zwar zunächst die entlegenere, zu Dörfern ausgetan wurde, deren Bewohner der Stadt zu bestimmten Leistungen verpflichtet waren. So wird das Dorf Willenberg (Wildenberg), später das größte der Stadtdörfer, schon 1314 erwähnt, das angrenzende Hermannsdorf (im jetzigen Stadtwald) 1346 (?) und Stangendorf 1364. Auch die Höfe Huntenberg (1346), Auhof (1374), Rodelshöfen (1374) und Katzenhöfen (1405) erlangten als Stadtdörfer ähnlich den bischöflichen Lehnsgütern wirtschaftliche Selbständigkeit. So blieb für die Ackerbürger der Stadt nur ein verhältnismäßig beschrankter Teil der Gemarkung, vor allem der fruchtbare Niederungsboden zu beiden Seiten der Passarge, übrig, Grundbesitz, der zusammen mit dem der Braunsberger Gutsbesitzer und Bauern den mannigfaltigen Ansprüchen der Bürgerschaft vorerst genügen mochte. Denn es fehlte nicht an geeignetem Acker für Weizen und Roggen. Gerste und Hafer. Gemüse und Obst. Flachs und Hopfen, aber auch nicht an den erforderlichen Weiden und Wiesen, an ergiebigen Torfbrüchen und gut bestandenem Wald; und das nahe Haff und die Passarge lieferten den Fischbedarf für die vielen Abstinenztage.

Indessen Braunsberg konnte nach seiner Lage und Bestimmung nicht ein anspruchsloses Ackerstädtchen sein wie spätere Gründungen des ermländischen Hinterlandes. Haff und See lockten die Söhne und Enkel der Lübecker Kolonisten zu Schiffahrt und Handel, die alte Landstraße, von der um 1330 eine Strecke zwischen Braunsberg und Einsiedel zur Sühne für einen Totschlag von dem wohlhabenden Missetäter gepflastert werden mußte, und neue Wege in das immer mehr erschlossene Bistum dienten dem gesteigerten Verkehr. So erwuchs die Passargestadt zum Haupthandelsplatz des Ermlandes, seinem bedeutenden Einfuhr- und Ausfuhrhafen.

Dazu erblühte das Gewerbe. Schon bei der Gründung der Stadt werden die Bäcker, Fleischer, Schuhmacher, Kürschner und Krämer als wichtigste Gewerbe namhaft gemacht. 1364 werden 9 Ämter oder Zünfte erwähnt: Bäcker, Krämer, Wollweber, Kürschner, Fleischer, Schmiede, Schuster, Höker, Schneider. Daneben gab es außer den sonstigen heutigen Handwerksberufen eine bunte Reihe anderer Meister, die in spezialisiertem Betrieb den verschiedenartigsten Anforderungen des bürgerlichen Lebens Rechnung trugen: Messerschmiede, Schwertfeger, Kannengießer, Goldschmiede, Faßbinder, Kistenmacher, Treppenmacher, Wachsgießer, Teerbrenner, Leinweber, Gürtler (die Gürtel machten), Reefschläger (Seiler), Bader u. a.

Die städtische Verwaltung und Gerichtsbarkeit lag anfangs in den Händen jener begüterten Familien, die als Kaufleute, Schiffsreeder und Gutsbesitzer eine soziale Oberschicht, ein Patriziat, bildeten. 1311 werden vier Ratsherren erwähnt: Hermann genannt der Schreiber, Konrad der Reiche, Widko und Johann der Weiße. 1318 begegnen wir in dem Schultheißen Tydelo Bresike nächst dem Lokator dem ersten uns bekannten Stadtrichter; vermutlich war er zugleich der Obmann der Ratsherren. Von diesem Kollegium werden 1328 folgende sechs Mitglieder namhaft gemacht: Rudolf von Elbing, Goswin, Konrad der Reiche, Tydelo der Sohn des Brosike, Arnold der Lange und Johann der Sohn des Hartmann. In Kunik dem Reichen tritt uns 1342 das erste ausdrücklich als Bürgermeister bezeichnete Stadtoberhaupt entgegen. 15

Damals durchlebte Braunsberg schwere innere Kämpfe. Sie standen wohl noch mit dem Streit um den ermländischen Bischofsstuhl in Zusammenhang, bei dem maßgebende Bürgerkreise in Verbindung mit dem Pfarrer Nikolaus für den Ordenskandidaten Martin von Czindal Partei ergriffen hatten. Dem von der päpstlichen Kurie in Avignon bestimmten Hermann von Prag wurde heftiger Widerstand entgegengesetzt. Erst nachdem außenpolitische Verwicklungen den Orden zur Nachgiebigkeit genötigt hatten, konnte Bischof Hermann zwei Jahre nach seiner Weihe im Sommer 1340 in seinem Braunsberger Schloß seinen Einzug halten.

Verschiedene Erwägungen waren es wohl, die den neuen Landesherrn recht bald dazu veranlaßten, seine Residenz von der Passargestadt zu verlegen. Sachlich erforderte die immer weiter zum Süden des Territoriums vorstoßende Kolonisation und die allgemeine Landesverwaltung eine zentraler gelegene Regierungshauptstadt, als sie das an der Peripherie befindliche Braunsberg sein konnte. Dazu kam der Siedlerstrom jetzt vorwiegend auf dem Landwege aus Schlesien, Böhmen und Mitteldeutschland, für den ebenso wie für die Verbindung des Bischofs mit seiner Heimat der neue Residenzort Wormditt näher lag. Schließlich mochte es Bischof Hermann unbehaglich sein, in einer Stadt zu wohnen, die ihn zunächst abgelehnt hatte und in ihrem Selbstbewußtsein schwierig genug war.

Wie dieser Fortzug der bischöflichen Hofhaltung waren auch einige andere Maßnahmen Hermanns für Braunsberg von einschneidender Bedeutung. Zur Vermehrung der fiskalischen Einnahmen errichtete er an der Passarge nahe dem Schloß eine Mühle, ein Unternehmen, das zunächst freilich als Konkurrenz für die ältere Mühle am Rotwasser gelten konnte. Da das auf dem rechten Flußufer gelegene bischöfliche Tafelgut Karwan nach der Verlegung der Residenz nicht mehr benötigt wurde, begründete Hermann hier die Neustadt. Die erfreuliche Entwicklung der Altstadt ermutigte dazu, obwohl dieser eine Rivalin auf dem anderen Passargeufer schwerlich willkommen sein mochte. Freilich blieben Handel und Schifffahrt der älteren Schwester vorbehalten, nur Handwerker und Ackerbürger sollten die Neustadt bewohnen. Ihre Gemarkung grenzte an die Felder von Regitten und Sonnenstuhl und an den Beberbach, der von den darin bauenden Bibern seinen Namen erhalten haben muß. Als Wald und Weideland erhielt die Neustadt über 10 Hufen des großen Sumpfes bei Pettelkau, das sog. Neustädter Moor. Magister Elerus, die Söhne eines Bernhanes und der vorerwähnte altstädtische Ratsherr Arnold Lange sind die Lokatoren der Stadt.

Sie erhielt ebenfalls das lübische Recht. Allerdings sollten die Strafsachen um Hand und Hals durch den Braunsberger Burggrafen oder einen vom Bischof bestimmten Mitbürger abgeurteilt werden Die Gerichtsgefälle standen zu einem Drittel dem bischöflichen Landesherrn. zum anderen der Stadt und zum letzten Drittel den Gründern zu, denen aber die Gemeinde ihren Anteil später abkaufte. Von jedem halben Hofe sollte zum Martinsfeste ein Bierdung, von jedem ganzen 1/2 Mark als Zins gezahlt werden, dazu als sog. Waltgeld für das Feld an der Mühle Bebernik 1 M. Dem Pfarrer der Altstadt sollte der Rat jährlich 1 M. als Meßgetreide abführen. Von allem Zins, der vom Rathaus, den Brot- und Fleischbänken, den Ständen der Schuhmacher, Fleischer, Kürschner, Höker, Tuchscherer und ähnlicher Gewerbe einkämen, sollten ein Drittel der Landesherrschaft, die anderen der Stadt zufallen. In den städtischen Gewässern und der Passarge, sowie im bischöflichen Anteil des Haffes durften die Bürger zu ihres Tisches Notdurft mit allen Gezeugen außer dem Aalsack das Fischereirecht ausüben. Zur Wahl der Ratsherren und Geschworenen war die Genehmigung des Bischofs oder seines Braunsberger Burggrafen erforderlich. Dem Domkapitel wurde eine lastenfreie Hofstätte der Mühle gegenüber als Absteigequartier vorbehalten. So ungefähr müssen die Bestimmungen dieser Neustädter Handfeste gelautet haben, deren ursprünglicher Wortlaut nicht mehr vorliegt. Verglichen mit den viel weitgehenderen Privilegien der Altstadt, zeigt sie im ganzen das im Ermland übliche Maß der städtischen Rechte.

Die neuen bedeutsamen Maßnahmen des bischöflichen Landesherrn scheinen starke verborgene Spannungen innerhalb der altstädtischen Bürgerschaft ausgelöst zu haben. Gegenüber dem aristokratischen Patriziat, das die Geschicke der Gemeinde eigenmächtig und auch eigensüchtig bestimmt hatte, drängten neue Geschlechter und die Handwerkerzünfte zur Herrschaft. Sie erhoben Vorwürfe, die alten Ratsherren und ihr Anhang hätten sich widerrechtlich Landgüter angeeignet und teilweise verkauft, die der ganzen Gemeinde gehörten, - vielleicht in der Annahme, das als Entgelt für die kommunalen Dienste tun zu dürfen, - die Wahlen des Rates seien zum Teil ohne Zustimmung der Bürgerschaft, also wohl durch Kooptation, erfolgt, infolgedessen die Ratsbeschlüsse wider den Willen der Bürgerschaft.

Im August 1345 entschied Bischof Hermann als oberster 17 Gerichtsherr den erbitterten Kampf. In der Angelegenheit der Landentfremdung verurteilte er die Schuldigen zur Rückgabe an die Stadt und zu einer durch ein Schiedsgericht zu bestimmenden Geldstrafe. Die alten und neuen Ratsherren, die mit einmütiger Zustimmung der Bürgerschaft in ihr Amt gekommen seien, sollten darin verbleiben. Für diejenigen aber, denen diese Vorbedingung mangelte, sollten am Feste Petri Stuhlfeier (22. Februar) Ersatzmänner gewählt werden. Bis dahin sollte der Rat keine wichtigeren Geschäfte erledigen ohne Einverständnis der Ältesten der Gemeinde, d. h. eines Bürgerausschusses, der sich vermutlich besonders aus den Zunftvorstehern zusammensetzte. Fürderhin sollte niemand in den Rat zugelassen werden, bevor er dem bischöflichen Landesherrn den Eid der Treue und des Gehorsams geleistet hätte. Kraft seiner geistlichen und weltlichen Gewalt drohte der Bischof schwere Strafen für jene Rebellen an, die sich diesen Entscheidungen widersetzen wollten. Wir sehen, wie der Urteilsspruch den Beschwerden der demokratischen Bürgerschaft Rechnung trug und in die unumschränkte Herrschaft des sog. Junkertums Bresche schlug. Zugleich suchte sich bei diesem Parteien-Hader die bischöfliche Landeshoheit durch den Treuschwur der Ratsherren gegen gefährliche Umtriebe der Zukunft zu sichern.

Erst im nächsten Jahre scheint der Unfrieden aus der Stadt gewichen zu sein. Am 24. März 1346 wurde ein neuer Rat gewählt, der einschließlich des Schultheißen Herbord Witlo 12 Mitglieder umfaßte. Es ist bezeichnend, daß unter den Namen keiner der früheren Ratsherren erscheint, dagegen mindestens drei Handwerksvertreter, ein Kürschner, ein Schmied und ein Schwertfeger. Die neuen Geschlechter und Zünfte haben gesiegt. Im Zusammenhang mit dem Landstreit verzichten der Hofbesitzer Gerung von Huntenberg mit seiner Gefolgschaft und die Bauern von Willenberg auf die von der Harzau beanspruchten Morgen zu Gunsten der Stadt.

Wenn wir hören, daß noch im Oktober desselben Jahres die Ausschachtungs- und Fundamentierungsarbeiten zum Chor einer neuen Pfarrkirche in Angriff genommen wurden, so gewinnen wir den Eindruck, als ob der eben gewählte Rat eine regere Aktivität entfaltet hat. In dem 1344 begonnenen Bürgerbuch, in dem die Männer verzeichnet sind, die ihr Bürgerrecht in der Altstadt erwarben, finden wir für 1347 drei Maurermeister aufgeführt, Godiko von Hamm, Hermann Penkune und Heyne (Heinrich) Penkune; vermutlich sind sie auf die Kunde von großen Bauvorhaben angezogen. Leider lassen uns die Quellen über Einzelheiten im Stich. Im Bau der St. Katharinenkirche, die schon vorher in bescheidenen Formen auf demselben Platze, abseits vom Getriebe des Marktes und dem Lärm der Straßen, gestanden haben muß, scheint nach Vollendung des Ostchors eine längere Unterbrechung eingetreten zu sein; denn erst i. J. 1367 schlössen die Kirchenväter mit Heinrich Penkun einen Vertrag über die Maurerarbeit, nach dem er für das Tausend Ziegel 10 Scot Lohn und dazu jährlich 7 Ellen Tuch erhalten sollte. 1381 muß das mächtige Kirchenhaus, zunächst noch ungewölbt, vollendet gewesen sein, da nunmehr der Zimmermeister Johann die Holzarbeiten für den Musikchor, die Decke und einen mit Blei gedeckten Dachreiter für 200 Mark übernahm, während Meister Bernt mit der Fertigstellung und dem Anstrich des Ostgiebels sowie der Eindeckung des Daches beauftragt wurde. So hatte die lebhafte Stadt ein ihrer Bedeutung entsprechendes würdiges Gotteshaus erhalten, in dem das Handwerk in Altären und Bildwerken, in liturgischen Geräten und Gewändern, in Orgel (1407 zuerst erwähnt) und Uhr (1425 in Auftrag gegeben) Proben seiner reifen Kunst ablegen konnte. Um 1426 wächst der wuchtige, schön gegliederte Turm gen Himmel, ungefähr gleichzeitig von zwei neuen Kapellen flankiert, und um 1442 spannt sich das reiche, klare Sternengewölbe über die drei Schiffe der weiträumigen, weihevollen Hallenkirche.

An der Nordseite des Kirchenplatzes (gegenüber der heutigen Berufsschule) lag die Pfarrschule, die ebenso der würdigen Ausgestaltung des Gottesdienstes wie den praktischen Bedürfnissen des Lebens diente. Wenn wir ihr urkundlich auch erst i. J. 1382 mit dem Schulmeister Heinrich Witte begegnen, so ist doch kein Zweifel, daß sie so alt ist wie die Pfarr- und Stadtgemeinde. Ihr Besuch war freilich an die Entrichtung eines Schulgeldes geknüpft und daher mehr den Kindern der vermögenderen Bürger vorbehalten . Die Berufung des Schulmeisters wie auch des Glöckners stand dem Rate zu, doch wurde i. J. 1402 dem Pfarrer ausdrücklich bestätigt, daß er ein Einspruchsrecht habe, und daß ihm diese Beamten in allen Dingen, „die von alter Gewohnheit zur Kirche gehörten", zum Gehorsam verpflichtet seien. Als der neue Hochmeister Ulrich von Jungingen i. J. 1408 von seiner Reise nach Memel über Braunsberg heimkehrte, begrüßten ihn nach der damaligen Sitte die hiesigen Schüler „zum Einsiedel" und erhielten vermutlich für ihren Gesang und ihre Deklamation 1/2 Firdung (etwa 3—4 heutige Mark) als Belohnung.

Der christlichen Gesinnung werktätiger Caritas entsprangen zwei Stiftungen, deren Gründung uns leider nicht bekannt ist, 19 die aber vermutlich in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts zurückreicht: das nach dem römischen Vorbilde benannte Hl. Geist-Hospital und das St. Georgs-Hospital. Das erstere lag, wie auch sonst üblich, vor den Toren der Stadt am Wasser, und zwar zwischen der Mühlen- und Kesselbrücke auf dem Platze des jetzigen Museums. Seit 1368 lassen sich eine Reihe von Stiftungen für das Armen, Kranken und Pilgern offenstehende Haus, zu dem eine St. Andreaskapelle gehörte, nachweisen. Der anschließende Friedhof wurde von den beiden Landstraßen begrenzt. Dem Rat übertrug der Bischof i. J. 1394 die Leitung und Verwaltung des Hospitals. Weiter nördlich auf dem Damme (dem heutigen evgl. Friedhof), fern der Gemeinschaft der Stadt, war für die bedauernswerten Aussätzigen unter dem Schütze des hl. Georg ein Spital mit Kapelle errichtet, das nachweislich seit 1373 fromme Zuwendungen erfuhr. Auch die Hochmeister pflegten Braunsberg nicht zu passieren, ohne St. Jorgen eine milde Spende zuzuwenden. Als im 15. Jahrhundert die entsetzliche Krankheit erlosch, wurde das Georgshospital den ganz Armen, im Bedarfsfalle auch Seuchenkranken eingeräumt.

Zu diesen einfacheren Bauten, die mit dem kirchlich-religiösen Leben der Bevölkerung aufs innigste verbunden waren und dem schaffensfrohen und opferfreudigen 14. Jahrhundert des Aufbaues zuzuschreiben sind, gehörte schließlich die St. Johanniskirche, die vor dem Obertor auf dem heutigen Johannisfriedhof lag, 1402 zum erstenmal erwähnt wird und sogar aus ihrem Vermögen i. J. 1414 dem Rat eine Anleihe zur Verfügung stellen konnte.

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts, als man mit dem Chor an den Monumentalbau der St. Katharinenkirche die erste Hand anlegte, mag man auch an den Neubau des Rathauses herangegangen sein. Vielleicht erklärt sich die zwanzigjährige Unterbrechung der Arbeiten an dem Kirchenbau mit der Durchführung anderer städtischer Bauprojekte. Wie bei dem jüngsten Rathausumbau (1920) der Befund alten Mauerwerks in der Erde erwies, muß sich an dieser bedeutsamen Stelle schon vorher ein wichtiges Gebäude erhoben haben, in dem wir zweifellos das ursprüngliche Rathaus der Altstadt zu erblicken haben. Da seine engen Räume und bescheidenen Formen den gesteigerten Ansprüchen der aufblühenden Gemeinde nicht mehr genügten, schritt man zu einem Neubau. Er gliederte sich in zwei Teile: das eigentliche Rathaus mit einem Dachreiter für die Ratsglocke, davor zur Langgasse hin ein Vorbau von geringerer Höhe, die Gerichtslaube. Hier "am lübischen Baum" wurde das öffentliche Gericht gehalten, und ein eindringliches Freskogemälde vom Jüngsten Tag erinnerte den Schultheißen und die Schöppen als Richter Kläger, Beschuldigten und Zeugen an die verantwortungsschwere Bedeutung dieser Stätte. Zu beiden Seiten des Rathauses, dessen Erdgeschoß u. a. als Rüstkammer, dessen oberes Stockwerk für Verwaltungszwecke und zu bürgerlichen Beratungen und Festen diente, gliederten sich bald Hakenbuden an, in denen westlich Höker und östlich städtische Beamte wohnten.

Plan der Altstadt Braunsberg v. J. 1635

Gezeichnet von Amtsschreiber Paul Stertzell, in Kupfer gestochen von Konrad Götke.

Die Doppelplatte im Besitz der Stadt.

Auch der Festungsgürtel der Stadt mag während des 14. Jahrhunderts seinen allmählichen Ausbau gefunden haben. Das bischöfliche Schloß umfaßte zwei durch Mauern geschützte Höfe, von denen der größere durch das Schloßtor mit der Stadt verbunden war. Die Längsachse der Altstadt bildete die Langgasse, durch die vom Mühlentor bis zum Hohen Tor auch der Fernverkehr flutete. Da die Nordflanke durch die Passalge gedeckt war, wurden hier am Ausgange der Haupt- und der Parallelstraße einfache Torbauten und Mauern als genügend erachtet. Das Kütteltor an der jetzigen Kesselbrücke trug seinen Namen von dem auf dem gegenüberliegenden Flußufer errichteten Küttelhof (Schlachthaus), den schon i. J. 1378 das Fleischergewerk übernommen hatte. Das Hohe Tor aber an der gefährdeteren Südfront wurde durch einen vorgelagerten Turm an der Zugbrücke im Stadtgraben verstärkt, und außerdem sichelte eine mit Türmen besetzte Doppelmauer, zwischen der ein zur Hälfte als bürgerlicher Schießgarten benutzter Parcham lief, den wichtigsten Zugang zur Stadt . An der Westseite führten ebenfalls parallele Mauerzüge über das Mönchentor und den anschließenden Schießgarten der Junker zum Nagelschmiedetor, einen von zwei Rundtürmen flankierten Bau, der den Verkehr mit dem Hafen vermittelte. Unbedeutender war das folgende Wassertor.

Von diesen umfangreichen Befestigungswerken, die uns der ausgezeichnete Plan der Altstadt v. J. 1635 im Bilde bewahrt hat, haben sich nur spärliche Überreste bis auf den heutigen Tag erhalten: zerbröckelnde und erneuerte Stücke der Wehrmauer, neben kleinen Türmen der Schloßturm in der jetzigen Aufbauschule, der runde Roßmühlenturm am Ende der heutigen Klosterstraße, der viereckige, durch ein dunkles Rautenmuster belebte Pfaffenturm, nach dem benachbarten Franziskanerkloster so benannt. Wenn Steine reden könnten, würde uns das jahrhundertealte Mauerwerk viel Interessantes von 21 harter Belagerung und kühnem Sturm, aber auch von tapferer Wehr und erzwungener Kapitulation zu erzählen wissen.

Die Neustadt, ein längliches Rechteck bildend, war nicht durch ähnliche Wehranlagen geschützt. Zwei Tore schlossen die breite Marktstraße ab. an der wohl im 15. Jahrhundert in schlichtesten Formen Gotteshaus und Rathaus erstanden. Die Passarge bildete im Südwesten, der Regitter Graben im Nordosten die Wassergrenze; vor den Toren, die noch heute an den vorspringenden Häusern an den Ausgängen der Hindenburgstraße erkennbar sind, waren von dem Graben Kanäle zur Passarge abgeleitet, von denen der nordwestliche jetzt ganz unterirdisch, der südöstliche teilweise verdeckt läuft. Im übrigen schützte nur Pfahlwerk statt Mauern die Bürgerschaft der Neustadt.

Zwischen der alten Landstraße und der Neustadt lag ein Streifen bischöflichen Geländes, wo auf dem sogenannten Schloßdamm Gärtner angesetzt waren.

In die Schrecknisse d. J. 1349, als der „schwarze Tod" auch durch Preußens Gaue schritt, gibt uns eine charakteristische Aufzeichnung im ältesten Braunsberger Bürgerbuch Einblick. Danach schob man auch hier die Schuld an dem unerklärlichen Massensterben den Juden zu, die die Brunnen vergiftet und die Menschen behext hätten. So sollte es ein getaufter Jude Rumbold in Elbing getan haben, wo in 4 Monaten mehr als 9000 Menschen von der Pest weggerafft worden sein sollen, und ähnlich wütete sie auch in den Nachbarstaaten. Obwohl Braunsberger Opfer in dieser Notiz nicht erwähnt sind, ist kaum anzunehmen, daß die Passargestadt von dem unheimlichen Gast verschont geblieben ist. Voller Wut schleppte man die vermeintlichen Schuldigen zum Scheiterhaufen und verbrannte sie.

Der Pflege der Gesundheit dienten im Mittelalter die Badestuben, in denen von heilkundigen Badern warme Bäder verabfolgt und einfache ärztliche Eingriffe vorgenommen wurden. Das älteste Bad. das 1291 erwähnt wird, lag auf der bischöflichen Wiese, die Badershagen (Petershagen) genannt wurde. I. J. 1318 verschrieb Bischof Eberhard seine nahe dem Schloß gelegene bischöfliche Badestube (am Baderberg) dem erprobten und ehrbaren Bader Bartusche und seinen Erben zu dem beträchtlichen Jahreszins von 4 M. gewöhnlicher Münze. Der Bischof und sein Hof sollten gebührenfreie Benutzung des Bades genießen; die Gerichtsbarkeit über die Badestube blieb dem bischöflichen Vogt vorbehalten. I. J. 1387 erwarb der bischöfliche Bader im Einverständnis mit dem Vogt das altstädtische Bürgerrecht für 1/2 M. Aus den Badestuben zogen damals die Besitzer erhebliche Einnahmen. Das öffentliche Baden in Fluß und See war noch nicht in Übung.

I. J. 1353 erhält ein Diener des Artushofes das Braunsberger Bürgerrecht. Wir ersehen aus dieser Notiz, daß schon damals ein Klubhaus vorhanden war, das unter dem Titel des sagenhaften Königs Artus einen geschäftlichen und geselligen Sammelpunkt des städtischen Junkertums bildete. Hier verhandelten die reichen Schiffsreeder und Kaufleute untereinander und mit auswärtigen Geschäftsfreunden, hier suchten sie bei einem guten Trunk, bei Spiel, Musik und Tanz Erholung nach des Tages Lasten. Im Junker-Schießgarten zwischen Mönchen- und Nagelschmiedetor erprobte man sich wehrhaft in der Armbrust, und den Rittern gleich rang man auf der Langgasse gegenüber dem Artushof (heute Nr. 34) im Turnier um Silberkranz und -Kette.

Von den benachbarten Hansastädten Danzig und Elbing mag der Anstoß zur Braunsberger Artusbruderschaft ausgegangen sein, die bald den ritterlichen St. Georg als christlichen Patron erkor. Spätestens um die Mitte des 14. Jahrhunderts ist die Passargestadt in geschäftliche und politische Beziehungen zur Hansa getreten, die damals eine deutsche Großmacht war und durch ihre straffe Organisation und starke Flotte selbst ausländischen Fürsten ihren Willen aufnötigte. Zum erstenmal begegnen wir in den Hanseakten einem Braunsberger Handelsherrn im August 1358. Damals wendet sich „Heyne Langhe van dem Brunsberghe" an die Älterleute der deutschen Kaufmannschaft zu Brügge in Flandern mit der Bitte um Schadensersatz. Seine Kogge (Segelschiff) sei ihm bei dem Unternehmen des Grafen von Flandern gegen Antwerpen von der Stadt Sluys beschlagnahmt und zum Kampf entführt worden, und dadurch sei ihm ein Schaden von 1400 Brüggeschen Schilden entstanden. Es dauerte freilich sechs Jahre, ehe durch Vermittlung des Lübecker Rates diese Forderung, wenn auch nur mit 413 Schildtalern, beglichen wurde. Dem Lübecker Hansetage vom Mai 1364 wurden von der Brügger deutschen Kaufmannschaft außer anderen die Braunsberger Schiffer Johann Holzste, Hanneke Rode und Arnold Schof gemeldet, die gegen ein hansisches Verbot von Flandern weggesegelt und daher straffällig geworden seien.

Laut Beschluß des Kölner Hansetages vom November 1367 sollten die sechs preußischen Schwesterstädte Thorn, Kulm, Danzig, Elbing, Braunsberg und Königsberg 5 Koggen gegen König Waldemar von Dänemark ausrüsten und zur Bestreitung 23 der Kriegskosten ein Pfundgeld von den auslaufenden Schiffen erheben. Als Lohn ihrer Teilnahme an dem siegreichen Kampfe erhielten sie das für ihren Heringshandel außerordentlich wichtige Recht, bei Falsterbo auf Schonen gleich anderen Hansestädten eine eigene Bitte. d. h. Handelsplatz, anzulegen. Hier planten übrigens die Braunsberger Franziskaner i. J. 1399 den Bau einer Kapelle, um die in der Fangzeit (Juli bis Oktober) tätigen preußischen Kaufleute seelsorglich zu betreuen. Ob diese Absicht verwirklicht wurde, ist nicht bekannt.

Auch an der Ostküste Englands lassen sich Braunsberger Kauffahrteischiffe nachweisen. Als i. J. 1386 die preußischen Hansastädte ihre Klagen gegen die Engländer vorbrachten, führte auch Braunsberg Beschwerde, daß dem Tydeke Swarcz eine vollbeladene Kogge im Werte von 425 M. zwischen Ulemborgishovede und dem Schilde (vor der Wash-Bucht) von Engländern gekapert und dem Kord Grote nach seinem Schiffbruch vor Schardenborch (Grafschaft York) durch Raub ein Schaden von 40 Goldmark zugefügt worden sei. Wie hier im Westen Braunsbergs Seeverkehr erstaunlich weit reichte, so ging er auch zur Ostsee bis Reval hinauf; das lehrt uns ein Brief des Braunsberger Rates an den von Reval aus der Zeit um 1400 wegen eines untergegangenen Schiffes. Trotzdem kann die Zahl der seefesten Koggen, wenn wir den engen Passargehafen und den schmalen Flußlauf in Betracht ziehen, nicht als groß angenommen werden: vielleicht blieben die breiteren, schwereren Holte an der Flußmündung liegen, wo schon seit Beginn des 14. Jahrhunderts ein Krug nachweisbar ist, den gegen Ende des Jahrhunderts der Braunsberger Bürger Goswin erwarb. Die Schiffe, die vermutlich auf dem Werftplatz gebaut wurden, gehörten entweder ganz den Reedern oder einer Gruppe von Anteilbesitzern. So hören wir i. J. 1366 von dem Erbe 1/32 Anteils der Kogge des vorgenannten Arnt Schof.

In den weiträumigen Speichern und Schuppen staute sich die Last an Gütern, die aus dem Bistumshinterlande zur Ausfuhr gelangten: Roggen, Hafer, Mehl. Hopfen, Flachs, Leinwand, Garn, Honig, Federn, Wachs, Holzprodukte, Häute u. a. Und dafür kamen aus der Ferne: Salz, Heringe und andere Seefische, Wein, Gewürze, Leinen- u. Seidenstoffe, Haus­und Wirtschaftsgeräte. Waffen. Eisen. Zinn, Blei. Kupfer, Stahl, Glas, Öl, Papier u. a. Weit mehr war das Land auf die Einfuhr fremder Erzeugnisse angewiesen, als daß es seine eigenen auf den damaligen Weltmarkt werfen konnte. Aber24die Braunsberger Reeder und Kaufherren vermittelten jenen starken Warenaustausch, und dabei verblieb ihnen naturgemäß ein ansehnlicher Verdienst. 1401 wurde über die Ausbesserung der Kernhäuser vor der Stadt ein Ratsbeschluß herbeigeführt, 1452 ist die Lastadie (Schiffsladeplatz) erwähnt.

Zur Beratung ihrer gemeinsamen Angelegenheiten versammelten sich die preußischen Hansestädte nach Bedarf gewöhnlich in Marienburg, wo sie nach Verständigung mit dem Hochmeister ihre Maßnahmen trafen. Die einladenden Städte Thorn oder Danzig pflegten Elbing zu beauftragen, die Einladung nach Braunsberg und Königsberg weiterzugeben. Wenn auch die unbedeutendere Passargestadt wegen der „Zehrungskosten" oft auf die Entsendung eigener Ratsvertreter verzichtete, so hatte sie als Hansagenossin doch das Recht dazu. Bei besonders wichtigen Verhandlungen begegnen wir sogar ihren Deputierten auf den allgemeinen Hansetagen. Als i. J. 1395 die Besetzung von Stockholm geboten erschien, mußte Königsberg 10, Braunsberg 5 Mann stellen, von denen 3 Gewappnete und 2 Schützen sein sollten. Die Schützen sollten 1 Schock guter getülleter (Tülle ist die Zwinge zur Befestigung der Pfeilspitze) Pfeile, 3 Armbrüste (1 große, 1 mittelmäßige, 1 kleine) mitbringen und mit Panzer, Brustharnisch, Kappe, Eisenhut, Blechhandschken und Tartsche (einem kleinen länglich­runden Schild) versehen sein. Zum anschließenden Kriege gegen die sog. Vitalienbrüder, die durch ihr Piratenunwesen den Ostseehandel schädigten, genehmigte der Hochmeister auf der Marienburger Tagfahrt vom 6. Dezember 1395 eine städtische Steuer im ganzen Lande; jeder Bürger sollte 2 Slot und von der Mark 4 Pf. von allem seinem Gute zahlen; außerdem wurde von der fremden Einfuhr ein Pfundgeld erhoben. Braunsberg sollte das Geschoß von dem ganzen „Bischofftum und der Thumheren Land" einziehen. Daraufhin sollten im nächsten Frühjahr Danzig 140, Thorn und Elbing je 80, Königsberg u. Braunsberg zusammen 50 Gewappnete stellen; die beiden letzten Städte hatten an Friedeschiffen 1 mäßig Schiff, 1 Schnicke (kleines Fahrzeug) und 1 Schute (meist für Heringsladungen verwendet) auszurüsten. Zu der gleichen Unternehmung gegen Gotland stellte Braunsberg i. J. 1398 15 Mann. Königsberg 35, Elbing und Thorn je 95, Danzig 160 Wappner. Aus einer Abrechnung über das Pfundgeld d. J. 1390, das alle einlaufenden und ausgehenden Seegüter mit einer Steuer von etwa 1/410 des Wertes belastete, ersehen wir. daß Danzig 550 M. einnahm, Thorn 165, Königsberg 50, Elbing 42 1/2 M. und Braunsberg 2 M. 2 scot. Wenn diese Zahlen 25 abschließende Jahresergebnisse darstellten, würde die Passargestadt damals einen Umschlag von etwa 27000 Mark heutiger Währung gehabt haben. Aus allen diesen Ziffern lassen sich vergleichende Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Hanseorte ziehen, die Braunsberg in jedem Falle an die letzte Stelle rücken.

Diese Hansazugehörigkeit stärkte das Selbstbewußtsein der Passargestadt, kostete wohl auch materielle Opfer, brachte aber doch reicheren Gewinn. Die Sicherheit zur See verbürgte allein die Blüte des Handels, und an seinen Früchten hatten weiteste Kreise der Gemeinde Anteil. Daher drängte sich die ganze Bürgerschaft, Männer, Frauen und Kinder, am Hafen zusammen, wenn die allen bekannte Kogge, sonst zu friedlicher Ladung bestimmt, gegen den Feind mit schwellenden Segeln und lustig flatternden Wimpeln die Passarge abwärts fuhr, und des Winkens und Glühens mit den Wappenern und Schützen, mit dem Steuermann und seiner Besatzung, den sog. Schiffskindern, war kein Ende.

Nahmen solche Flottenunternehmungen wiederholt die Bürgerschaft in Anspruch, so fehlte es inzwischen nicht an Kriegsreisen zu Lande. Eine zufällig erhaltene Aufzeichnung v. J. 1364 - inzwischen übt der Rat anscheinend in einer aristokratischen Reaktion wieder das Recht der Selbstergänzung aus - meldet uns, daß wegen der Zerstörung der littauischen Burgen Welun und Neu-Kowno über 20 angesehene, namentlich aufgeführte Braunsberger vermutlich zu Pferde mit dem Orden ins Feld zogen. 10 andere Bürger und die beiden Mühlen lösten sich mit einer Zahlung von 1 1/2 M. aus, wofür der Rat Ersatzmänner warb. Außerdem steuerten die 9 städtischen Gewerke und drei Stadtdörfer bestimmte Geldbeträge zu der Expedition nach Littauen bei. Als die zahlungsfähigste Zunft galten die Bäcker, die 3 M. aufbrachten; am wenigsten trugen die Höker mit 1 1/2 M., die Kürschner und Krämer mit 1 M. bei, während die anderen Gewerke je 2 M. entrichteten. Von den Stadtdörfern gab Wildenberg (Willenberg) 7 M., Hermannsdorf und Stangendorf je 5 M. Vielleicht stellten die Gewerke und Dörfer mit diesen Beträgen weitere Gewappnete, und wenn wir den Durchschnittssatz von 1 1/2 M. für Ausrüstung und Verpflegung des Mannes annehmen, würden sich dabei rund 20 Krieger errechnen, so daß die Altstadt insgesamt über 50 Bewaffnete entsandt haben dürfte. So konnte das Braunsberger Fähnlein gut ausgerüstet zum Ordenheere stoßen und unter den Augen des Hochmeisters und seiner Komture vor dem Feinde beweisen, was der einzelne im friedlichen Schießgarten erlernt hatte. Und dann kehrten die braven Vaterlandsverteidiger nach Monaten heim, vom Rat und der Bürgerschaft in Ehren bewillkommnet, von den Angehörigen mit Jubel begrüßt, und staunend lauschte man ihren Berichten von dem fremden Land und Volk und von mancher Heldentat.

So heischten die fast das ganze 14. Jahrhundert hindurch anhaltenden Kriege des Ordens mit den Littauern wiederholt die aktive Beteiligung Braunsberger Mitstreiter.

Im stolzen Bewußtsein ihrer wachsenden Kraft und Macht geriet die Stadt mit dem kunstliebenden Bischof Heinrich III. Sorbom (1373 -1401) in schwere Kämpfe. Von wesentlicher Bedeutung für den Ablauf dieser Spannungen war der Umstand, daß der Bischof gleich nach seinem Regierungsantritte in friedliebender Nachgiebigkeit dem erbitterten Grenzstreit mit dem Orden ein Ende gemacht und sich diesen günstig gestimmt hatte; er durfte daher in den Konflikten mit seiner Hansestadt der Unterstützung des Hochmeisters versichert sein. Wenn wir auch dem unzuverlässigen Chronisten Simon Grünau nicht Glauben zu schenken brauchen, der berichtet, die Braunsberger hätten damals des Hochmeisters Untertanen werden wollen, seien aber von diesem aus grundsätzlichen Erwägungen abgewiesen worden, so haben wir doch schon im Vorhergehenden gezeigt, daß die Stadtverwaltung bei wiederholten Zusammenstößen mit dem bischöflichen Landesherrn beim Orden Rückhalt gesucht hatte. Dieser Möglichkeit hatte der neue Bischof in kluger Voraussicht vorgebeugt.

Wir kennen nicht im einzelnen die Gründe, die zum ersten Konflikte fühlten. Vermutlich schädigte der völlige Verzicht des Bischofs auf die Wiesen zwischen Haff, Passarge, Rune und Rosser Weg zugunsten des Ordens die Stadt in ihrem Grundbesitz. Es hat auch den Anschein, als ob die Streitsache des Braunsberger Rates mit dem Kleriker Arnold Lange mit hineinspielte. Dieser Sohn der Stadt, wohl aus der reichen, mehrfach erwähnten Patrizierfamilie, läßt sich von 1356 - 64 als Scholar an der Universität Paris nachweisen. Heimgekehrt verfeindete er sich aus unbekannten Ursachen mit einer großen Zahl angesehener Laien der Diözese aus Stadt und Land. Der Priester Johann von Heilsberg scheint ihr Wortführer gewesen zu sein, als er beim Braunsberger Rate Klage erhob. Dieser ächtete den Angeschuldigten und zog seine im Stadtgebiete liegenden Besitzungen ein. Darüber führte Lange aber beim päpstlichen Stuhle in Avignon Beschwerde mit dem Erfolge, daß Gregor XI. im November 1374 die Äbte von Suckau, Oliva und Pelplin beauftragte, den Rat sowohl 27 wie die Kläger mit dem Banne, die Altstadt aber mit dem Interdikt zu belegen, bis die Strafmaßnahmen gegen den Kleriker zurückgenommen und ihm Genugtuung verschafft sei. Wenn dieser Exekutionsauftrag nicht dem zuständigen Bischof zuging, so konnte darin wohl ebenso eine Rücksichtnahme auf ihn erblickt werden, indem ihm der harte Strafvollzug erspart bleiben sollte, andererseits aber ein gewisser Vorwurf, daß in einer seiner Städte dieses den kanonischen Bestimmungen widersprechende Urteil erlassen werden konnte. Ob es zur Durchführung der päpstlichen Sentenz gekommen ist, wissen wir nicht. Wenn wir aber den Kleriker Arnold Lange schon i. J. 1379 als Mitglied des Guttstädter Kollegiatstifts und später als ständigen Vikar an der Frauenburger Kathedrale und Pfarrer von Heilsberg antreffen, so erkennen wir, daß er sich bei Heinrich III. vollen Vertrauens erfreute. Es liegt nahe, daß der Bischof diesen ungeahnte Auswirkungen annehmenden Rechtsfall zum Anlaß nahm, um die Frage der Braunsberger Gerichtsbarkeit aufzurollen. Dabei stieß er aber auf den hartnäckigen Widerstand des Rates und der Gemeinde, die sich auf die städtische Handfeste beriefen.

Der Streit nahm solche Formen an, daß beide Parteien wie gleiche Gegner, obwohl Landesherr und Untertanen sich gegenüberstanden, die Komture von Elbing und Balga als Schiedsrichter erkoren und diese am 26. Mai 1376 zu Neutief auf der Frischen Nehrung im Beisein des Hochmeisters Winrich von Kniprode, des Bischofs Bartholomäus von Ermland, des Großkomturs, obersten Marschalls und vieler anderer Zeugen folgenden Spruch fällten: Die Braunsberger zahlen „czu besserunge" d. h. als Buße binnen 4 Jahren die hohe Summe von 1000 preußischer Mark an den Bischof. Die Ratleute sollen weiter richten wie bisher, aber nicht das Begnadigungsrecht ohne ihren Landesherren und seinen Vogt ausüben; der soll bei dem Gerichte sitzen, wenn er will. Ob nach der Handfeste dem Rate die peinliche Gerichtsbarkeit über Hals und Hand zustehe, darüber sollte er sich bei den Seestädten mit lübischem Recht, insbesondere zu Wismar, erkundigen. Bei bejahendem Bescheide sollte er weiter lichten wie zuvor; im negativen Falle müßte er dieses Recht erst von dem Bischof erwerben. Für jede Verletzung dieses Schiedsspruches, den beide Teile annahmen, sollte der Schuldige dem anderen Partner eine Buße von 100 M. zahlen.

Vier Jahre später, am 15. Mai 1380, wurde zu Heilsberg in Anwesenheit des Hochmeisters, des Balgaer Komturs und der ermländischen Domherren eine Vereinbarung, vorläufig für 2 Jahre, getroffen des Inhaltes, daß der Rat am Abend, bevor man über Hand und Hals richte, dem auf dem Schlosse wohnenden bischöflichen Vogte Meldung zu erstatten habe; wolle dieser erscheinen, so sitze er dabei; käme er nicht, so solle man gleichwohl richten.

So hatte der Bischof in dem zähen Streite um die Blutgerichtsbarkeit dank der Unterstützung des Ordens einen unverkennbaren Erfolg errungen. Offensichtlich kam ihm dabei der Einfluß des römischen Rechtes zustatten, das damals die landesherrlichen Befugnisse gegenüber denen der Untertanen mehr und mehr zu erweitern suchte. Mußte sich die in ihren früheren Privilegien beschränkte, mit harter Geldbuße bestrafte Altstadt auch der vereinten Macht der Landesfürsten des Ermlandes und des Ordensstaates beugen, so blieb doch ein Stachel zurück, und das gegenseitige Verhältnis des Rates und des Bischofs kann nicht das beste gewesen sein, wenn auch Heinrich III. in einer Urkunde vom 10. Februar 1394 über das Hl. Geist-Hospital dem Rate das Zeugnis ausstellte, daß er sich „durch seine Umsicht, Emsigkeit, Rechtschaffenheit, Treue und Zuverlässigkeit" sein volles landesherrliches Vertrauen erworben habe.

Schon im nächsten Monat stellte er diese Treue auf eine schwere Belastungsprobe. Die Bürger der Neustadt Braunsberg, deren Gemeinwesen nicht recht vorwärts kam, ja unter ärgerlichen Zwistigkeiten, vermutlich auch mit der Altstadt, litt, hatten sich an den Bischof gewandt mit der dringenden Bitte, ihre Gemeinde mit der Schwesterstadt auf dem gegenüberliegenden Passargeufer zu vereinigen. Sie hätten damit Anteil an deren weitgehenden Privilegien erhalten und wären aus ihrer untergeordneten wirtschaftlichen Bedeutung zu einem lebendigen Gliede der angesehenen Hansastadt emporgewachsen. Andererseits wachte die Altstadt eifersüchtig über ihren Vorrechten, die sie mit niemandem zu teilen gedachte. Der Bischof pflog mit seinem Domkapitel und seiner vertrauten Umgebung, in der der ständige Vikar der ermländischen Kirche und bischöfliche Schäffer Arnold Lange uns besonders auffällt, Rat und kam mit ihnen überein, die Handfeste der Neustadt einzuziehen und die Gemeinde mit der Altstadt zu vereinigen. In seinem Erlaß vom 28. März 1394 vollzog er diese Einverleibung, nach der die Neustadt mit ihrer ganzen Gemarkung fortan zur Altstadt geschlagen, die neustädtische Einwohnerschaft alle Rechte der altstädtischen genießen und ein gemeinsamer Rat, der nach Ermessen auch aus neustädtischen Bürgern bestehen sollte, die vereinigte Stadt regieren sollte. Von einer 29  Zustimmung des altstädtischen Rates verlautet bezeichnenderweise nichts.

Mit leidenschaftlicher Erregung nahm die Bürgerschaft der Altstadt diesen eigenmächtigen Eingriff in ihre verbriefte Ver­fassung auf. Sie wird es an Vorstellungen und Protesten bei Bischof Heinrich nicht haben fehlen lassen; dieser fühlte sich jedoch als Landesherr zu seiner Handlungsweise berechtigt, die der Altstadt nichts nahm, sondern nur einem erweiterten Bürgerkreise dieselben Privilegien zugänglich machen wollte. Vermutlich trug noch folgender Umstand zur Verschärfung der Spannung bei. Wegen des Seekrieges mit den Vitalienbrüdern war die Hansestadt Braunsberg auf der Marienburger Tagfahrt vom Dezember 1395 von ihren Schwesterstädten beauftragt worden, die beschlossene bürgerliche Kopf- und Besitzsteuer von den ermländischen Städten einzufordern. Wenn auch der Hochmeister zu diesem Geschoß seine Einwilligung erteilt hatte, so griff doch tatsächlich die Passargestadt, die in ihrer hanseatischen Politik ohnehin eigene Wege ging, mit ihrer Steuereinziehung empfindlich in die landesherrlichen Rechte des Bischofs ein, und es läßt sich leicht vorstellen, daß es bei der Durchführung dieser Abgabe, für die die ermländischen Hinterstädte wenig Verständnis aufbringen konnten, zu erneuten Reibungen kam. Nach dem aus einer Braunsberger Ratsfamilie stammenden Chronisten Johann Plastwich war Bischof Heinrich in Braunsberg erschienen, um Rat und Bürger „wegen einer gewissen erheblichen Ausschreitung" zu bestrafen. Er beschied die Ratsleute aufs Schloß, stellte sie zur Rede und gewährte ihnen auf ihren Wunsch eine Frist zur Überlegung der Antwort. Sie gingen sogleich zum Rathaus, ließen die Ratsglocke Sturm läuten, um die gesamte Bürgerschaft zu versammeln, und stürmten dann in blinder Wut aufs Schloß, um den Bischof zu töten. Mit knapper Not gelang es diesem, durch eine Hintere Pforte zu entweichen.

Gegenüber dieser offenen Rebellion griff Heinrich Sorbom mit strenger Energie durch. Sofort rief er seine dienstpflichtigen Mannen zu den Waffen und erhielt wohl auch von dem Hochmeister Konrad von Jungingen militärischen Zuzug. In besten Beziehungen zum Orden hatte er hilfsbereit dessen Außenpolitik gefördert und noch am 22. Juli 1396 mit dem Hochmeister an dessen persönlichen Verhandlungen mit dem Littauerherzog Witowd teilgenommen. Dafür zeigte sich Konrad von Jungingen erkenntlich, indem er dem Bischof in dem Kampf mit der empörerischen Stadt seine volle Unterstützung angedeihen ließ. Gegenüber dem starken Belagererheer ohne jede Aussicht auf Hilfe, blieb den Altstädtern nichts anderes übrig, als zu kapitulieren und demütig um Verzeihung zu bitten. Ähnlich den Bürgern der von Friedlich Rotbart eroberten Stadt Mailand, kamen sie unbeschuht und barhäuptig, ihre Gürtelstricke um den Hals, aus dem Tore heraus, zogen zum Lager des Bischofs, warfen sich ihm zu Füßen und baten ihn um Verzeihung und Gnade. Dieser willfahrte ihren Bitten, überließ aber das Urteil dem Hochmeister.

Am 4. November 1396 verhängte Konrad von Jungingen in seiner Marienburger Residenz folgende Strafe: Die Glocken, mit denen die Braunsberger zum Sturm gegen ihren Herrn geläutet haben, sollen ihm verfallen sein, und es soll in seinem Ermessen stehen, was er mit ihnen tun will. Die Gemeinde soll die Ringmauer am bischöflichen Schlosse nach der Stadtseite zu aufführen und daran fünf Jahre hindurch je 100 M. vermauern. Alle Anstifter des Aufruhrs, zu denen namentlich der erste Bürgermeister Heinrich von Rossen gehört zu haben scheint, sollen aus der Stadt und dem Bistum verwiesen werden, bis sie der Bischof begnadigt. Der Rat soll der Gemeinde, die Gemeinde dem Rate wegen des begangenen Frevels keinen Vorwurf machen, sondern die Sache auf sich beruhen lassen. Lediglich der bischöfliche Landesherr soll das Recht haben, Angeschuldigte zur Verantwortung zu ziehen und nach Verdienst zu bestrafen, und weder der Rat noch die Gemeinde sollen sich dem widersetzen, bei Verlust ihrer Freiheiten.

Mochten die Altstädter auch durch das eigenmächtige Vorgehen des bischöflichen Landesherrn schwer gereizt worden sein, ihre offene Empörung war deswegen doch nicht gerechtfertigt, und so traf sie der sorgfältig abwägende, nicht zu harte Spruch des Hochmeisters, der die angegriffene fürstliche Autorität des Bischofs wiederherstellte. Dieser mag die Landesverweisung einiger Rädelsführer als gebotene Maßnahme durchgefühlt haben, dann aber durfte nicht Fortsetzung des Konfliktes mußte vielmehr Frieden und Versöhnung sein Ziel sein. In einsichtiger Erkenntnis, daß die Vereinigung der Neustadt mit der Altstadt die Hauptursache des heftigen Streites gewesen war, hob er am 1. September 1398 von seinem Schlosse Seeburg aus diese verfehlte Anordnung auf. Beide Städte sollten in Zukunft völlig selbständige Gemeinden bilden wie früher, und die Neustadt erhielt ihre von Bischof Hermann ausgestellte Handfeste in ihrem wesentlichen Inhalt neu ausgefertigt. Hinzugefügt war die Bestimmung, daß die Bürger für die 14 Morgen an der Oberpassarge (Neustädter Anger), die ihnen 31 Bischof Heinrich als Entschädigung für den neu angelegten Mühlengraben zugewiesen hatte, jährlich 1/2 Stein Wachs für Kerzen an die Frauenburger Kathedrale liefern sollten. Möglich, daß auch die Befugnisse des bischöflichen Burggrafen in der kommunalen Gerichtsbarkeit und Verwaltung nach den Erfahrungen mit der Altstadt erst in der erneuerten Handfeste der Neustadt ihre Festlegung fanden.

Die Bürgerschaft der Altstadt konnte mit dieser Regelung der leidigen Angelegenheit wohl zufrieden sein. Heinrich Sorbams Nachfolger Heinrich IV. Heilsberg unterhielt von Anfang an freundliche Beziehungen zu den Braunsbergern wie zum Hochmeister. Als dieser auf einer Reise von Elbing nach Königsberg i. J. 1402 Braunsberg berührte, nahm ihn der Bischof auf dem hiesigen Schlosse aufs gastlichste auf, und der Heilsberger Hofnarr Peter Pfiffer ergötzte die Gesellschaft mit seinen Spatzen. Dafür zeigte sich Konrad erkenntlich, indem er dem „Toren", der sich auch auf die Ablichtung von Jagdfalken verstand, 1/2 M., dem Stallknecht des Bischofs 1 M. als Zaumgeld schenkte. Heinrichs Wohlwollen zur Altstadt kam bei einer Entscheidung zum Ausdruck, die er am 13. Mai 1405 auf seinem Braunsberger Schlosse traf. Der Rat, fast vollzählig wieder derselbe wie vor der Rebellion, war in einen Streit mit den Besitzern der Stadtgüter Huntenberg, Rudloffhoven (Rodelshöfen), In der Owe (Auhof) und Kattenhoven (Katzenhöfen) geraten, weil diese jedes bäuerliche Scharwerk ablehnten. Sie wollten gleich den Stadtbewohnern behandelt werden und wie diese an Jagd und Fischerei und allen anderen Vergünstigungen der Handfeste teilhaben, glaubten aber zum Scharwelk und sonstigen bäuerlichen Lasten nicht verpflichtet zu sein. Beide Parteien riefen den Bischof als Schiedsrichter an. Dieser beriet sich mit mehreren rechtskundigen Domherren über den Text der Handfeste und entschied zu Gunsten der Stadt. Ausdrücklich sprach er den Hofbesitzern die Rechte des Gründungsprivilegs ab; dieses sollte allein für die Stadt und die in ihr wohnenden Bürger Geltung haben. Welche bösen Weiterungen aus diesem Streitfall trotzdem erwachsen sollten, wird im nächsten Kapitel zu zeigen sein.

Auch die Neustadt erfuhr die Gunst des Bischofs. Am 19. März 1410 verkaufte Heinrich IV. ihrer Bürgerschaft mit Genehmigung des päpstlichen Stuhles und im Einverständnis mit dem Kapitel 46 Hufen seines Tafelgutes Karwan zwischen den Gemarkungen der Neustadt, Regitten, Schillgehnen und Böhmenhöfen zu kulmischem Recht, jede Hufe zu 30 M. Die Mühle Bevernick (Kleine Amtsmühle) und mehrere HufenWiesen und Wald behielt er sich vor. Als Zins hatten die Bürger fortan von jeder Hufe 1 M. zu St. Martini an die Landesherrschaft zu entrichten; vom Scharwerksdienst waren sie dagegen frei. Die Äcker sollten mit den einzelnen Stadthöfen untrennbar verbunden bleiben. Die bischöflichen Gärtner auf dem Damm, wo man zur St. Georgs-Kapelle geht, sollen für ihre Schweine und Rinder zu dem üblichen Weidegeld die städtische Weide benutzen dürfen. Die Gerichtsbarkeit auf dem neuen Stadtfelde bleibt dem Burggrafen vorbehalten. Bezeichnend ist für die mehr und mehr vordringende Rezeption des römischen Rechtes, daß der Bischof gegen die Berufung auf abscheuliche Rechtsbücher. wie den von der Kurie verworfenen Sachsenspiegel, förmliche Verwahrung einlegt.

voriges Kapitel                                 nächstes Kapitel

Dies ist ein Kapitel der Festschrift "Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte" von Franz Buchholz zum 650jährigen Stadtjubiläum

www.braunsberg-ostpreussen.de