KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN)

Franz Buchholz: Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte (Festschrift vom Stadtjubiläum 1934)


III. Vom ersten zum zweiten Thorner Frieden (1410—88)

Trotz unerquicklicher innerer Spannungen und heftiger Zusammenstöße mit dem bischöflichen Landesherrn hatte die Altstadt Braunsberg einen gesicherten, stetigen Aufstieg genommen. In ihrer baulichen Anlage, ihren Straßenzügen, öffentlichen Bauten und Befestigungswerken hatte sie das wesenhafte Gepräge gewonnen, das ihr durch die Jahrhunderte nicht verloren ging. Als wirtschaftlicher Vorort des Bistums Ermland genoß die Stadt in Preußen und der großen Hansa Ruf und Achtung, und ihre Schiffe trugen ihren Namen bis zu den fernen Küsten der Nordsee, brachten Waren und Verdienst in die selbstbewußte, wohlhabende Bürgerschaft. Und mittelbar hatte auch die Neustadt, obwohl fast ausschließlich eine Handwerker- und Ackerbürger-Gemeinde, an dem Aufschwung ihrer älteren Schwesterstadt Anteil.

Von der gedeihlichen Entwicklung der Stadt legte auch ihr großes Amtssiegel Zeugnis ab, das für besonders wichtige Urkunden Verwendung fand und seit 1351 nachweisbar ist. Das 75 mm messende Rundbild zeigt eine gezinnte Stadtmauer, die von drei auf Hügeln stehenden Türmen überragt wird, unten auf einer blumigen Wiese einen nach links springenden Hirsch; dazu die lateinische Umschrift: Siegel der Bürger (der Stadt) Braunsberg. Wir sehen, der Drachen, die Erinnerung an das preußische Heidentum, ist infolge der fortgeschrittenen 33 Christianisierung der angestammten Bevölkerung in Wegfall gekommen; der Hirsch als Symbol des Christentums beherrscht das fruchtbare Feld, das den Segnungen der christlich-deutschen Kultur ebenso zu verdanken ist wie die inzwischen von wehrhaften Befestigungswerken umschlossene Stadt „zum Brunsberg".

Noch im selben Jahre, in dem Bischof Heinrich Heilsberg der landwirtschaftlichen Entfaltung der Neustadt durch den Verlauf seines Gutes Karwan neue Aussichten bot, erging der Kriegsruf durch die preußischen Lande. Das finstere Gewölk, das sich seit der Verbindung Littauens mit Polen für den Orden am politischen Himmel zusammengeballt hatte, entlud sich in einem furchtbaren Gewitter. Schon i. J. 1409 hielt Hochmeister Ulrich von Jungingen den entscheidenden Waffengang mit Polen für unabwendbar, da erwirkte der Böhmenkönig Wenzel nach den ersten für den Orden günstigen Grenzkämpfen einen neunmonatlichen Waffenstillstand, der im Juli 1410 ab­lief. Am 28. März 1410 vereinbarten die Vertreter der preußischen Hansestädte, darunter von Braunsberg Johann Sassendorf und Helmike Ludeke, auf ihrer Tagfahrt zu Elbing, daß alle Haus- und Grundbesitzer und sonstigen vermögenden Männer in den Städten ihren Harnisch, nämlich Panzer, Brustschutz, Eisenhüte und Blechhandschken, haben sollten. Für die Mobilmachung galt der städtische Ratsbeschluß v. J. 1403, daß zwei Ratsherren mit der gleichmäßigen Verteilung der Dienst­leistungen und Abgaben betraut werden sollten. Der aus dem Rat zu einer Kriegsreise entsandte Hauptmann sollte von jeder der beiden Maygen (Abteilung von etwa 30 Reitern und Fußtruppen) ein Streitroß und den gewöhnlichen Sold, von der Stadt ein Pferd und 1 M. zu seiner Ausrüstung erhalten, Angesichts der besonderen Landesgefahr dürfte das Braunsberger Kriegskontingent sicherlich mindestens das Doppelte der üblichen Starke erreicht haben. Unter einem eigenen Banner rückten sie aus, das 1 1/2 Ellen lang, 1 1/4 Ellen breit, lustig im Winde flatterte; im oberen weißen Felde sah man ein schwarzes, im unteren schwarzen ein weißes Kreuz, der Fahnenschaft war am Tuche schwarz, sonst hellbraun. So führte sie der Hauptmann auf seinem Streitroß zum Hohen Tore hinaus. Spielleute und Pfeifer begleiteten die scheidende Abteilung mit mutiger Marschmusik, Wagen mit Lebensmitteln und Kriegsgerät folgten, und vorwärts ging's der Weichsel zu und von da mit dem Ordensheere zum schicksalsvollen Blachfelde von Tannenberg.

Welchen Anteil die Braunsberger Streitkräfte an der unglücklichen Schlacht des 15. Juli 1410 gehabt haben, wissen wir nicht. Aber zweifellos werden sie, soweit sie in dem schweren Ringen von der Heeresleitung eingesetzt wurden, ihre Pflicht und Schuldigkeit getan haben; vermutlich erlitt auch mancher von ihnen den Heldentod oder geriet in Gefangenschaft. Unter den 51 von den Polen erbeuteten Ordensfahnen waren auch die der Stadt Braunsberg, des Domkapitels und des Bischofs von Ermland. König Wladislaus ließ die Banner bei seiner Rückkehr nach Krakau im November 1411 im Triumph in die Schloßkirche tragen und dort aufhängen.

Die Katastrophe von Tannenberg, in der der Hochmeister mit den obersten Gebietigern und etwa 200 Ordensrittern den Heldentod gefunden hatte, schien das ganze Gefüge des Ordensstaates über den Haufen zu werfen. Verzweiflung, Angst und Ergebung überall. Nur der Komtur von Schwetz Heinrich von Plauen warf sich mit den noch verfügbaren Truppen in die Marienburg, fest entschlossen, das Haupthaus des Ordens bis zum Äußersten zu halten. Der Polenkönig lagerte sich am 23. Juli vor dem Schlosse und nahm hier die Huldigungen der vier preußischen Bischöfe entgegen, die ebenfalls alles verloren gaben. Am 10. August erschienen die Ratssendboten von Thorn, Elbing, Braunsberg (Heinrich Vlugge) und Danzig vor Wladislaus, den sie als ihren neuen Herrn glaubten ansehen zu müssen, und erbaten sich freie Verfügung über die Münze und die Kornausfuhr, uneingeschränkten Besitz der Einfahrt in die Weichsel und bei Balga, ungestörten Handelsverkehr im ganzen polnischen Reiche und freie Pfarrerwahl. Auf ihren wirtschaftlichen Vorteil bedacht, suchten die von der allgemeinen Panik erfaßten Hansastädte von dem neuen Machthaber so viele Vergünstigungen herauszuschlagen, wie nur eben möglich; und der König war nicht karg im Versprechen.

Indessen, wider alles Erwarten trat bald ein Umschwung ein. Anrückende Hilfs-Heere für den Orden und Seuchen im polnischen Lager veranlaßten Wladislaus, gegen Ende September die Belagerung aufzugeben und südwärts abzuziehen. Innerhalb kurzer Wochen war nun wieder das ganze Land in den Händen des Ordens, der in einmütiger Dankbarkeit den Retter der Marienburg am 9. November zum Hochmeister wählte. In dem am 1. Februar 1411 auf einer Weichselinsel bei Thorn abgeschlossenen Frieden behielt zwar der Orden sein preußisches Gebiet; aber die ihm auferlegte Kriegsentschädigung von 100 000 Schock böhmischer Groschen bedeutete eine gewaltige finanzielle Belastung des Staates, der damit materieller Verarmung und innerer Zerrüttung entgegenging. 35

In dieser Not sah sich Hochmeister Heinrich von Plauen zu außerordentlichen Steuerforderungen gezwungen, glaubte er, das Ermland, dessen Bischof wegen des Vorwurfes des Verrates flüchtig geworden war, dem Ordensstaate gleich den anderen preußischen Bistümern eingliedern zu dürfen. Am 22. April hielt er in Braunsberg eine wichtige Ständeversammlung ab, die ihm eine zweite Beihilfe zur Kriegsschuld bewilligte; hier wurde auch das widerspenstige Danzig, das die im Februar beschlossene erste Landessteuer verweigert und in strengen Handelsmaßnahmen des Hochmeisters und der Ermordung seiner beiden Bürgermeister eine harte Ahndung erfahren hatte, nach Zusage einer hohen Geldbuße begnadigt. Als Plauen im Oktober 1412 zur Stütze seiner auch unter den Ordensbrüdern auf wachsenden Widerstand stoßenden Politik einen 48köpfigen ständischen Landesrat berief, gehörte diesem auch ein Vertreter von Braunsberg an. Die verzweifelten Bemühungen des Hochmeisters, des unerträglichen finanziellen und außenpolitischen Druckes Herr zu werden, schlugen schließlich fehl, weil ihnen sowohl der Orden wie die Stände die Gefolgschaft versagten. Der politische Kurswechsel, der nach Plauens Absetzung (Oktober 1413) einsetzte, brachte wohl die Rückkehr des Bischofs Heinrich in das Ermland, verschonte aber das Preußenland nicht vor polnischen Angriffen. Der sog. Hungerkrieg traf im Sommer 1414 das Ermland besonders schwer: bis zum Haff drangen die Polen und ihre heidnischen Verbündeten vor und scheuten nicht vor der Plünderung und Schändung des Frauenburger Domes zurück. Die Passargestadt entging solchem Unheil, vermutlich weil sie den beutegierigen Scharen zu stark befestigt erschien. Vielleicht schützten auch die hier zwischen dem Orden und Polen angeknüpften Friedensverhandlungen den Ort vor Brandschatzung. Bald aber fand neuentflammter Bürgerhader in einer gräßlichen Untat seine folgenschwere Entladung.

Als Heinrich von Plauen das ermländische Bistum besetzt hielt, glaubten die Besitzer der Braunsberger Stadtgüter, an ihrer Spitze Ambrosius, der Sohn des Hermann Gerung von Huntenberg, den Zeitpunkt gekommen, mit ihren alten Rechtsansprüchen gegen die Altstadt wieder hervortreten zu sollen. Unzufrieden mit dem ablehnenden Urteil des Bischofs v. J. 1405, verlangten sie, gleich den freien Bürgern der Stadt von allen bäuerlichen Pflichten entbunden zu weiden; ja wahrscheinlich führten sie bei ihrem neuen Landesherrn, dem Hochmeister selbst, Beschwerde wegen des ihnen angetanen Unrechts. Demgegenüber fühlte sich der Braunsberger Rat, an seiner Spitze die Bürgermeister Heinrich Flucke und Jakob von der Leiße, genötigt, am 29. Dezember 1411 von dem kaiserlichen Notar Bernhard Hundertmarck das Zeugnis dreier Frauenburger Domherren beglaubigen zu lassen, wonach die Hofbesitzer damals vor der Entscheidung des Bischofs in ihrer Anwesenheit versprochen hätten, den Spruch ohne Arg und Falsch widerspruchslos anzunehmen. Vermutlich hielt der Hochmeister trotz dieses Notariatsaktes seine schützende Hand über die klagenden Gutsbesitzer, deren Rechtssache auch die anderen ermländischen Lehnsleute bewegt haben muß. Als aber Heinrich von Plauen seines Amtes entsetzt worden war und Heinrich Heilsberg in sein Bistum zurückkehrte, konnte der Rat wieder seine früheren Forderungen erheben.

Wie sehr in diesem wechselseitigen Spiel der Kräfte die Erbitterung und der Haß gestiegen sein muß, kam in den letzten Monaten der Regierung des Bischofs Heinrich (+ 4. 6. 1415) mit erschreckender Deutlichkeit zum Ausdruck. Eines Nachts wurde Ambrosius von Huntenberg in seinem Hause ermordet. Am nächsten Morgen fand man seine Leiche, mit Steinen an Hals und Füßen beschwert, in der Passalge, wohin sie nach den vorhandenen Spuren zu Wagen gebracht worden war. Erst sprach man's leise, dann hörte man's laut: die Ratsherren von Braunsberg müssen die Missetäter sein! Die städtischen Hofbesitzer und mit ihnen viele ländliche Edelleute wandten sich an Hochmeister Michael Küchmeister mit der Bitte, den Mord zu ahnden. Dieser verwies den Kriminalfall an den zuständigen Bischof Heinrich, der als oberster Gerichtsherr in seinem Bistum mit Recht verlangen konnte, daß die Sache im Ermland abgeurteilt werde. Andererseits forderten die Bürger von Braunsberg, daß die Angelegenheit vor ihrem Stadtgericht verhandelt werden müsse. Demgegenüber erklärten die Kläger mit aller Entschiedenheit, sie weigerten sich nach Braunsberg zu gehen, wo die Verdächtigen selbst auf der Schöppenbank säßen. Der Hochmeister ließ diesen triftigen Grund gelten und berief die Prälaten, Ritter und Knechte und Städte des Landes zu einer Tagfahrt auf das Elbinger Schloß, um den üblen Rechtsfall zum Austrag zu bringen. Indessen alle seine Bemühungen erwiesen sich als erfolglos. Die Landesbischöfe, die mit Ausnahme des sterbenskranken ermländischen zugegen waren, protestierten dagegen, daß dieser Prozeß der Gerichtshoheit des Heilsberger Bischofs entzogen würde, die anwesenden Vertreter der Städte fühlten sich juristisch mit den Braunsbergern solidarisch, und nur der Landadel hätte gern die angeschuldigten „Pfeffersäcke" abgeurteilt. So endete die Versammlung statt mit einem einmütigen Urteil mit gesteigerter Erbitterung. 37

Kurz darauf starb Heinrich Heilsberg. Die Todesnachricht nährte die Aufregung, und so bedrohlich wurde die Stimmung, daß der Hochmeister in Sorge geriet, es könnte ein großes Morden im Lande entstehen. Da der ermländische Bischofsstuhl verwaist war, hielt er sich als Schirmherr des Bistums zum Eingreifen für berechtigt. Nach sorgfältiger Beratung berief er nach Wormditt eine Landbank, zu der außer den gewöhnlichen 12 ermländischen Landschöppen noch 12 andere vom Landadel und den Städen hinzugezogen wurden. Diese 24 Schöppen hielten drei Sitzungen, aber jedesmal, wenn die Braunsberger Rede und Antwort stehen sollten, legten sie Berufung an den Hochmeister ein, daß sie aus ihrem verbrieften lübischen Recht vor ein kulmisches Landding gefordert seien, und erzwangen dadurch Vertagung. Nun suchten beide Parteien den Meister in Mewe auf, und dieser erreichte in Gegenwart seiner Gebietigel eine urkundlich festgelegte Einigung dahin, daß die Braunsberger das zum Kriminalverfahren erforderliche Lichzeichen (ein Zeichen vom Leichnam oder sonstiges Beweisstück des Mordfalles) den vier Bänken des Wormditter Landdinges ausliefern wollten. Zu diesem Termin waren nicht weniger als 400 Braunsberger geladen, aber die Beschuldigten weigerten sich, ohne Urteil das Lichzeichen herauszugeben. Nun wurde ihnen gedroht, der Hochmeister würde sie ächten, und man würde sie fangen und köpfen und ihnen mancherlei antun. Da machten sich die angeklagten Ratsherren aufs Schlimmste gefaßt. Neun von ihnen flüchteten plötzlich aus ihrer Stadt, nicht im Eingeständnis ihrer Schuld, behaupteten sie, sondern weil sie dem Rechte ihres bischöflichen Landesherren und ihrer Stadt nichts vergeben wollten. Zwei andere Ratsleute, auf denen kein Verdacht ruhte, blieben zurück.

Nach Beratung mit seinen Gebietigern und den Prälaten belegte der Hochmeister die Flüchtigen mit der Acht. Diese aber suchten sofort Hilfe bei dem neugewählten Bischof Johann Abezier, der im Auftrage des Ordens auf dem Konzil zu Konstanz weilte, um für einen friedlichen Ausgleich mit Polen zu wirken. Wie wir aus einem Schreiben des Ordensprokurators Peter von Wormditt aus Konstanz (29. 9. 1415) erfahren, waren hier vier der entwichenen Braunsberger eingetroffen und hatten mit dem erwählten Bischof und fünf anwesenden ermländischen Domherren in ihrer Rechtssache verhandelt. Sie scheinen die Absicht gehabt zu haben, die Angelegenheit vor das Konzil zu bringen, doch hielt sie Abezier davon zurück. Ihm und den anderen Ordensgesandten erschien es bedenklich, wenn dieser Fall als Klage gegen den Orden der Kirchenversammlung unterbreitet wurde, zumal schon genug andere Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Daher riet der Ordensprokurator dem Hochmeister, das Beste sei, die Entscheidung dem künftigen Bischof zu überlassen und die Leute in ihrem Stadtrecht zu schützen. Nach dem Rechtsgrundsatz: Der Kläger folge dem Beklagten in sein Gericht, könnten die Braunsberger verlangen, nach ihrem Stadtrecht sich zu verantworten. Wendeten die vom Lande ein, daß die Schuldigen dann selbst auf der Schöppenbank säßen, so sorge man dafür, daß die Beschuldigten vom Richteramt ausgeschlossen und nur unverdächtige Männer damit betraut würden. Wären aber alle Braunsberger verdächtig, so lasse man die Schöppen aus Elbing, wo dasselbe lübische Recht gelte, kommen und von ihnen Recht sprechen. Der Bischofselekt Abezier, dem für den Fall seiner Bestätigung gute Beziehungen mit dem Orden von besonderem Wert sein mußten, vermochte die vier Ratsherren zur Abreise von Konstanz zu bewegen, ohne daß sie ihre Beschwerde über den Hochmeister bei der Konzilsleitung vorgebracht hatten. Sie begaben sich in die befreundeten Seestädte, um dort die Entwicklung der Angelegenheit abzuwarten. Inzwischen fanden sich im Oktober vier weitere Braunsberger Flüchtlinge in Konstanz ein, und zwar die entschlossensten, unter ihnen Flucke. Sie verhandelten mit Abezier, der die Klage zu unterdrücken wußte. Zwei reiften bald wieder ab, die beiden anderen aber blieben, da ihre Widersacher gedroht hatten, ebenfalls zum Konzil zu kommen und dort ihr Recht zu suchen. Der Ordensprokurator legte dem Hochmeister nahe, im Interesse des Friedens und der Eintracht des Landes die Acht zurückzunehmen und die Sache gütlich zu schlichten. Ebenso bat der erwählte Bischof, die Geächteten wieder in den Besitz ihrer Häuser und Güter einzusetzen und ihnen Geleitsbriefe für sichere Rückkehr auszustellen. Auch der Erzbischof von Riga vertrat als der zuständige Metropolit die Auffassung, daß der erbitterte Rechtsstreit im Lande bleiben müsse und nicht vor dem Konzil verhandelt werden dürfe, er wolle bei seiner Heimreise die Braunsberger mitbringen, und der Hochmeister möge für sie den Geleitsbrief nach Frankfurt a. O. senden.

Da weitere Urkunden fehlen, läßt sich dieser verwickelte Kriminalfall, der ungeahnte Weiterungen annahm, den Rat der Altstadt Braunsberg weithin bloßstellte und von den schweren Mängeln jener uneinheitlichen Rechtsverfassung ein eindringliches Zeugnis ablegt, nicht weiter verfolgen. Die Braunsberger selbst waren offensichtlich darauf bedacht, die Erinnerung an diese peinliche Angelegenheit, die überdies mit 39 den Prozeßverfahren und Reisen ihre Finanzen stark belastet haben muß, aus den Akten zu tilgen. Es hat jedoch den Anschein, als wenn erst Bischof Johann Abezier nach seinem Einzug im Ermland im Spätfrühling 1418 nach persönlicher Verständigung mit dem Hochmeister den verhängnisvollen Rechtsstreit gütlich beigelegt hat. Wenn wir seit 1420 die meisten früheren Ratsherren wieder in den Ratslisten begegnen, dürfen wir daraus schließen, daß der Bischof durch ein neues Gerichtsverfahren die Unschuld der Verdächtigten erweisen ließ; vielleicht daß einzelne von ihnen zu den Anstiftern des Mordes gehörten und ihre verdiente Strafe erhielten. Andere Ratsherren, die nach jenen stürmischen Jahren wieder in ihre städtischen Ehrenämter zurückkehrten, zeichneten sich durch ihre frommen Stiftungen aus, so Heinrich Flucke, der am Turm der Pfarrkirche die jetzige Muttergotteskapelle stiftete, Klaus Refelt, der am 23. Mai 1427 „Gott dem Allmächtigen und der Jungfrau Maria und allen lieben Heiligen zu Dienste und zu Lobe und auch um unserer Eltern und unserer Seelen willen ein ewiges Almosen" von 9 Mark Zins für den Priester am Kreuzaltar errichtete.

Der unselige Streit zwischen der Stadt und ihren Hofbesitzern, der die Ursache aller dieser Kämpfe gewesen war, wurde durch einen Schiedsspruch des Bischofs Johann Abezier am 5. November 1420 dahin entschieden, daß die Besitzer der Höfe von ihren Hufen zum Scharwerk und anderen Verpflichtungen in gleicher Weise herangezogen weiden sollten wie die Bürger, die in der Stadtfreiheit Hufen hatten, und wie die anderen Höfe, die in der Stadtfreiheit lagen. Weitere Differenzen sollten „um guten Alters und Freundschaft willen quitt" sein; über die Vorflut in der neuen Harzau und das Gatter zum Damm wurden besondere Bestimmungen getroffen. So hatte Johann III. ein Urteil gefällt, das den Forderungen der städtischen Gutsbesitzer entgegenkam, andererseits auch den Wünschen des Rates Rechnung trug. Wenn aber noch in den nächsten Jahren ein Braunsberger Bürger vor dem sitzenden Rat die Erklärung abgeben mußte, daß er niemand von dem ehrbaren Rat schelten oder verleumden oder schädigen wolle bei Strafe seines freien Halses, so scheint uns darin die nachhaltige Erregung herauszuklingen, die auch die Bürgerschaft selbst lange in Atem hielt.

Gegenüber jenen ehrenrührigen Angriffen bedeutete es eine besondere Auszeichnung für den Braunsberger Rat, wenn im September 1424 der neue Hochmeister Paul von Rußdorf, anscheinend aus Gegnerschaft gegen den hansischen Vorort Danzig, „seinen getreuen und lieben" Peter Benefelt aus Braunsberg, zu dessen „Treue, Redlichkeit und Eifer er das größte Vertrauen" hatte, bevollmächtigte, von Heinrich Vl., dem Könige von England und Frankreich und Herrn von Spanien, über 19 274 Nobeln englische Münze einzufordern als Ersatz für den Schaden, den die Engländer zur See den preußischen und livländischen Untertanen des Ordens während der Regierung Heinrichs IV. zugefügt hatten, und die nach den Schuldbriefen bereits 1411 und 1412 hätten gezahlt weiden müssen. Außerdem sollte er mehrere andere gegenseitige Verbindlichkeiten preußischer und englischer Kaufleute regulieren. Die Ausführung im einzelnen wurde Benefelts freiem Ermessen überlassen, und alle seine Maßnahmen sollten vom Hochmeister und Orden unverbrüchlich gehalten weiden. Tatsächlich begegnen wir dem Braunsberger Kaufherrn im Sommer 1425 in London, wo er bei seiner ehrenvollen, aber auch schwieligen Mission mit einem Mitglied der dortigen Hansa in Auseinandersetzungen und Wortwechsel geriet.

Die wirtschaftliche Not des Ordenslandes nach der Katastrophe von Tannenberg wirkte sich naturgemäß auch auf den Seehandel der preußischen Hansa aus. Wie schwer Braunsberg, zumal nach den kostspieligen Prozeßjahren, davon mitbetroffen wurde, ist aus einem Brief des Rates vom Jahre 1425 ersichtlich, in dem er den hansischen Ratssendboten zu Marienburg erklärt, „sie vermöchten fortan nicht mehr die Tagfahrten in und außer dem Lande zu beschicken, wie sie das schon vormals oft geklagt hätten; sie bäten gar freundlich, daß ihnen die Sendboten das nicht für einen Unwillen aufnähmen; denn sie seien arm und müßten jetzt auf Geheiß ihres Herrn die Stadt (offenbar die Befestigungen) bessern." Die anwesenden Vertreter beauftragten die Herren vom Elbing, dem Braunsberger Rat zu antworten, daß man ihm die Unkosten der Tagfahrt nie erlassen habe und auch nicht erlassen wolle. Auf dem nächsten Städtetag zu Elbing (5.6.1425) lag ein Schreiben der Braunsberger vor, worin sie sich weigerten, die Beschlüsse der Marienburger Tagfahrt und den Brief der Elbinger anzunehmen; denn sie seien zu arm und könnten die Kosten nicht aufbringen, wollten auch in Zukunft die Rezesse (Veschlußprotokolle) der Schwesterstädte nicht mehr annehmen. Darüber wollten die erschienenen Sendboten in ihrem Rate sprechen und bis zur nächsten Zusammenkunft überlegen, was da nützlich zu tun sei. Offenbar stieß diese ablehnende Haltung der Stadt Braunsberg, die vom handelspolitischen Gesichtspunkt aus schwer verständlich erscheint, auf entschiedenen Widerspruch der anderen 41 preußischen Hansaplätze. Daher nahmen seit April 1426 wieder Braunsberger Ratsherren an den Städtetagen teil, baten aber, von den Zehrkosten zu auswärtigen Tagfahrten befreit zu werden, und entschuldigten öfter ihr Fernbleiben. Doch half ihnen ihr Sträuben wenig; zu der Gesandtschaft nach Dänemark i. J. 1427 mußten sie ebenso beisteuern, wie sie zu einer diplomatischen Verhandlung des Hochmeisters mit Herzog Witowd von Littauen i. J. 1428 ein Pferd für den Vertreter der Städte stellen muhten. Als i. J. 1443 der Pfundzoll wieder eingefühlt wurde, von dem die großen Städte 1/3 zur Bestreitung hanseatischer Botschaften erhalten sollten, meldeten auch Braunsberg und Kneiphof ihre Ansprüche an. Die anderen Städte wollten ihnen ihren Anteil nur unter der Voraussetzung zukommen lassen, daß sie sich verpflichteten, in Zukunft gemeinsam an den Gesandtschaftskosten „binnen und baußen Landes" zu tragen, auch wenn das Pfundgeld wieder abgeschafft würde. Das versprach Braunsberg und erhielt für 1445 und 1446 je 50 M., obwohl Danzig dagegen war.

Im Handelsinteresse sah sich die Stadt zu besonderen Aufwendungen genötigt, als i. J. 1445 infolge gewaltiger Orkane bei Pillau ein neues Tief entstanden war. Gleichzeitig begann das bisherige Tief zu versanden. Für die Schiffahrt der Städte an der Haffküste war ein freier Zugang zur See eine Lebensfrage. Deshalb wurde das neue Tief befestigt und eine Steuer der Anwohner erhoben, bis die Arbeiten vollendet waren. Noch 1450 war der Bau nicht abgeschlossen, und als der Hochmeister den Bischof, das Domkapitel und die beiden Städte Braunsberg zu weiteren Zahlungen aufforderte, fand er wenig Gehör. Die Neustädter erklärten, sie hätten nichts vom Haff, und der Bischof stimmte ihnen bei. Die Altstädter weigerten sich weiter zu zahlen, ehe die Elbinger ihre Steuer entrichtet hätten. Und Bischof und Domkapitel glaubten ebenfalls, bisher schon weit mehr aufgebracht zu haben, als ihrem schmalen Anteil „vielleicht nicht eine Meile an dem Haff" entspräche, „und ungleicher Anschlag machet unwillige Leute."

Aus jener Zeit seien zwei Erbschaftsregulierungen mitgeteilt zum Beweise für den Vermögensstand in Braunsberger Bürgerfamilien. Am 9. Februar 1431 erschien vor dem Rat Laurentius Tralaw, der nach dem Tode seiner Frau seinen drei Kindern 80 Mark guten Geldes als Muttelteil hypothekarisch übereignete. Seine Tochter Katharina sollte dazu 1 Nett, 4 Kissen, 1 Hauptpfühl (Kissen), 2 Paar Laken. 3 Handtücher. 1 Decke, 2 Tischhandtücher. 3 zinnene Kannen, 1 Messingkessel und 3 Gropen (metallene Kessel) erhalten, die beiden Söhne jeder ein Pfühl, 1 Paar Laken und 1 Kissen und, wenn möglich, 1 Bett. Außerdem sollte er die Kinder sechs Jahr lang verköstigen und kleiden, und wenn er die Tochter ausgegeben hätte, sollte er ihren Vermögensanteil in zwei Jahren auszahlen. In eine reiche Kaufmannsfamilie versetzt uns die Erbschichtung vom 6. Oktober 1431, die nach dem Tode des Jakob Kroll von seiner Witwe Barbara und den Vormündern ihrer Kinder Barbara und Jakob vor den Ratsbeauftragten vorgenommen wurde. Als Vaterteil wurden den Kindern bestimmt: 2 M. Zins auf der Reifelscheune zu Danzig nahe der St. Barbara-Kapelle, eine vergoldete Krone, ein vergoldeter Gürtel, vergoldete Pfeifenschnüre, ein vergoldeter Vorspann (Brustspange), 2 vergoldete Bretzem (Broschen) und vergoldete Knöpfe, Silberwerk von über 7 1/2 lotiger Mark Gewicht. Der Jüngste, Jakob, soll einen Fingerring von 2 Nobeln Wert erhalten; weiter ist ihm seine Mutter für einen Rock, den ihm der Vater gegeben hat, 4 M. schuldig. Die Tochter Barbara soll 2 Fingerlinge von 2 Golden Gewicht bekommen. Außerdem sollen ihnen gemeinsam zufallen: 4 englische Kannen von 14 Pfund. 5 schlichte Kannen von 22 Pf., 6 Becken und 3 Kessel von 29 Pf.. 8 Gropen und 1 Leuchter von 50 Pf., 9 zinnerne Fässer, davon 1 zerbrochen, 10 Musschüsseln, davon 2 zerbrochen, 4 Salzfäßchen und 5 Bratschapen (Bratpfannen) von 57 Pf., 6 Kissen mit Schnüren, 4 einfache Kissen, 7 drillichte Handtücher, 2 drillichte Tafellaken von 4 Ellen Länge, 1 gute Badekappe (Bademantel), 1 Paar vierschrötige Leinenlaken, 6 einfache Handtücher, 5 einfache Tafellaken, 4 Paar Bettlaken, 1 gutes Federbett mit 1 neuen Ziche (Überzug), 1 gutes Hauptpfühl mit 1 neuen Ziche, 4 neue Stuhlkissen, 1 Frauenkasten und 1 Schiffskiste. Diese Sachen mit dem Harnisch soll die Mutter in Verwahrung behalten. Weiter bleibt sie den Kindern 62 1/2 M. schuldig. Mit ihren Kindern teilt sie folgenden Grundbesitz: ihr Haus, eine Scheune mit Garten, 3/4 Speicher, 1 leere Hofstätte und ein halbes Haus in Danzig. Verschuldet ist der Besitz mit 112 M. guten Geldes.

Die unsichere außenpolitische Lage des Ordensstaates, die immer wieder abwechselnd zu kostspieligen Rüstungen gegen Polen und zu Waffenstillständen führte, die i. J. 1433 auch Verteidigungsmaßnahmen gegen die böhmischen Hussiten not­wendig machte, wobei 1 Braunsberger Fähnlein zu dem Heere des obersten Marschalls an der Weichsel stieß, sollte nach dem Willen der Stände durch den „ewigen" Frieden zu Brest i. J. 1435 ein Ende finden. Er bedeutete einen Sieg des preußisch-territorialen Ständegedankens über die Staatsidee des Ordens. 43 Das Selbstgefühl der Stände wurde dadurch um so gefährlicher gesteigert, als unerhörte Spaltungen zwischen dem Hochmeister und dem Deutschmeister, aber auch unter den ober-, mittel- und niederdeutschen Ordensbrüdern in Preußen die Autorität der Ordensaristokratie aufs stärkste erschütterten. So war es kaum verwunderlich, daß die Stände, denen es an materiellen Wünschen und Beschwerden gegen die Landesherrschaft nie gemangelt hatte, am 21. Februar 1440 zu Elbing einen förmlichen Bund gründeten zum gegenseitigen Schutz ihrer Rechte gegen jegliche Gewalt. Auf der entscheidenden Elbinger Tagung waren die Braunsberger mit ihren Ratsherren Thomas Werner und Zander von Loyden vertreten. Am 14. März wurde der Bundesvertrag zu Marienwerder von 53 Adelsvertretern und 19 Städten, darunter auch Braunsberg, besiegelt. Am 5. Mai ließen auch die Ritter, Knechte und Städte des Bistums Ermland zum Zeichen ihres Anschlusses ihre Siegel an den Bundesbrief hängen. Wenn dieser auch in der Form maßvoll gehalten war, so richtete er sich doch unverkennbar im Endziel gegen die Landesherrschaft, im Ordenslande gegen den Hochmeister, im Ermland gegen den Bischof.

Bischof Franz Kuhschmalz von Rößel war während einer schweren Pferdeseuche, die ihm bis zum 20. Juli 1430 83 Pferde gekostet hatte, mit seinem ganzen Hofe vorübergehend nach dem Braunsberger Schloß übergesiedelt, da „der große Gestank" der verendeten Tiere ihn von Heilsberg verscheucht hatte. Er nannte sich übrigens oft nach seiner größten und bekanntesten Stadt Bischof „zum Brunsberge", wie es auch seine Vorgänger vielfach getan hatten. Das Verhältnis zur Passargestadt verschlechterte sich zusehends, als nach dem Abschluß der ständischen Einung Braunsberg die Führung der Bistumsopposition übernahm. Auf dem Städtetag zu Marienwerder vom 24. August 1440 äußerten die Sendboten der anderen Städte auf eine Anfrage der Braunsberger ihre Ansicht dahin, daß diese befugt seien, die Mannschaft und die Städte des Stiftes gemeinsam einzuberufen und mit ihnen über ihre Anliegen zu beraten; nach Ermessen sollten sie das Nötige ihrem bischöflichen Herrn vortragen und dessen Bescheid dem nächsten allgemeinen Landtag mitteilen. Zugleich versprachen die Städte, den Braunsbergern in ihren rechtfertigen Sachen hilfreich beizustehen.

Eine solche Auffassung offenbarte unverhüllt die Machtansprüche der Stände, bedeutete zweifellos trotz der einschränkenden Betonung des Rechtsstandpunktes eine grundsätzliche Bedrohung der Hoheitsrechte des Bischofs; dieser aber war nicht gewillt, sich seine überkommenen Machtbefugnisse kampflos entwinden zu lassen. Der oppositionelle Geist des Ständetums erwies sich gesinnungsverwandt mit den Bauernunruhen, die damals im Ermland zum Ausbruch gekommen waren. Domkapitulärische Bauern des Kammeramtes Mehlsack verweigerten ihrer Herrschaft Scharwerk und alle Leistungen, die nicht in ihren Dorfhandfesten verzeichnet waren; und nach der glaubhaften Versicherung des Chronisten Plastwich wurden sie von den Braunsbergern in ihrer Haltung beraten und bestärkt. Das Domkapitel, das z. V. das sog. Wartgeld im Interesse der preußischen Landesverteidigung erhob und bei dem Rückgang der Einnahmen infolge Geldentwertung sich unter dem wachsenden Einfluß römisch-kanonischer Rechtsanschauungen zur Forderung gelegentlicher Frondienste berechtigt glaubte, wandte sich beschwerdefühlend an den Bischof, und als dessen Vermittlungsversuche scheiterten, an den Hochmeister. Dieser wagte den Streitfall nicht selbständig abzuurteilen, sondern verwies ihn an den ständischen Elbinger Richttag vom 15. Juni 1441, wo 16 Schiedsrichter erkannten, daß das übliche Scharwerk weiter zu leisten sei, das ungewöhnliche aber fortfallen solle. Ermutigt jedoch von oppositionellen Zusprüchen aus ständischen Kreisen lehnten die Führer der Rebellion nachträglich das Urteil ab und suchten durch Versammlungen ihre aufsässige Gesinnung weiter zu verbreiten. Erneute Verhandlungen führten zu keinem Ergebnis, ja Benedikt von Gayl erklärte als Sprecher der Unzufriedenen, sie würden im Falle der Gewalt nicht allein stehen. Da entschloß sich Bischof Franziskus zur Strenge; er lud sie zum 22. Dezember 1441 nach Braunsberg und drohte ihnen an, falls sie sich nicht dem Elbinger Spruch fügen wollten, müßte er sie „nach Rechte mit dem geistlichen oder weltlichen Schwert dazu halten." Als sie nach einer Bedenkfrist nach Heilsberg vorgeladen, bei ihrer trotzigen Haltung verharrten, ließ der Bischof 46 Rädelsführer, Schulzen und Bauern, festnehmen und ins Gefängnis werfen. Gegenüber diesem energischen Vorgehen und den Vorbereitungen des Ordens zu bewaffneter Hilfe, legte sich der Braunsberger Rat mit dem Adel und den Städten des Bistums ins Mittel; die Bauern baten um Gnade und fügten sich endlich dem Urteilsspruche, den der Bischof in Gegenwart ständischer Vertreter, darunter der Braunsberger Ratmannen Hans Slepstange und Hans Truntzmann, am 5. Februar 1442 in Heilsberg fällte, und der das Elbinger Erkenntnis aufrecht erhielt und um weitere Bestimmungen verschärfte. 45

So war dieser erste Versuch oppositioneller Selbsthilfe niedergeschlagen, aber er war ein bedenkliches Symptom des Zeitgeistes und schon ein Vorspiel schlimmerer Machtkämpfe.

Das Versteifen auf dem geschriebenen Recht der Handfeste, das die tatsächliche Entwicklung der Rechtsverhältnisse zwischen Landesherrschaft und Untertanen in den verflossenen anderthalb Jahrhunderten, zumal in den letzten Jahrzehnten des Niederganges übersah, war offenbar der Grund der Solidarität zwischen den aufsässigen Bauern und den sympathisierenden Braunsbergern. Ungefähr gleichzeitig geriet die Stadt aus derselben Ursache in einen heftigen Streit mit Bischof Franz. Auf dem Elbinger Ständetag vom 8. Juni 1444 klagten die Braunsberger Ratsboten Klaus Weise und Johann Beszele, daß sie wegen ihres Stadtprivilegs von ihrem Landesherrn bedrängt würden und vor das Konzil vorgeladen werden sollten. Die Vertreter der anderen Städte erwiderten, falls die Braunsberger sich wegen der Ladung mit dem Herrn Bischof nicht in Freundschaft vertragen könnten und etwa Überfall und Gewalt erleiden sollten, so würden sie ihnen nach Ausweis des Bundesbriefes Beistand leisten. Trotzdem suchten Braunsberger Sendboten die Ritterschaft des Kulmerlandes und die Räte von Kulm und Thorn auf und baten sie um Hilfe, daß sie nicht „in ihrem Privileg überwältigt" würden. Diese lichteten alsbald ein Schreiben an den Hochmeister, er möge bei dem Bischöfe vermitteln, daß die Sache nicht aus dem Lande komme. Vom Hochmeister befragt, erklärte Bischof Franziskus, die Braunsberger täten ihm Unrecht, wenn sie ihm vorwürfen, er halte niemand sein Privileg wie ein Tyrann. Er halte sich an die Urteile, die laut versiegelten Briefen vor langen Jahren in Streitfällen zwischen seinen Vorgängern und ihnen gesprochen worden seien, über die sie sich hinwegsetzten. Da sie sich auf keine schiedsrichterliche Entscheidung einlassen, sondern in ihrer Sache selbst Richter sein wollten, habe er die Vorladung betreiben müssen. An ihm solle es nicht liegen, daß die Sache im Lande bleibe.

Wir kennen nicht den unmittelbaren Anlaß dieses Privilegienstreites, auch nicht die Einzelheiten des weiteren Verlaufes. Vermutlich erreichte Hochmeister Konrad von Erlichshausen, der die grundsätzliche Ablehnung der zersetzenden Ständepolitik durch den ermländischen Bischof wohl zu schätzen wußte, zunächst eine Vertagung des verbitternden Prozesses: Bischof Franz erkannte jedoch immer klarer, daß der preußische Bund, ein Staat im Staate, „wider alles göttliche und natürliche Recht, gegen päpstliche und kaiserliche Ordnungen und Gesetze" sei. Dieser Auffassung glaubte er aus seiner oberhirtlichen Verantwortung heraus auf der Elbinger Ständeversammlung im April 1446 offenen Ausdruck geben zu sollen, erregte dadurch aber den heftigsten Unwillen der Bundesmitglieder, die sich in ihrer Ehre schwer gekränkt fühlten.

I. J. 1448 führten die Braunsberger erneut beim Hochmeister Beschwerde, daß der Bischof ihre städtischen Rechte und Freiheiten immer mehr zu beschränken suche und sie bereits sehr darin beeinträchtigt habe. Der Bischof stellte dagegen diese Vorwürfe in Abrede und behauptete, die Braunsberger täten den Gerechtsamen seiner Kirche täglich mehr Abbruch, während er noch keines ihrer Rechte auch nur um einen Buchstaben verkürzt habe. In diesem hartnäckigen Streit wollte Bischof Franz die Braunsberger nach Rom vorladen lassen, nahm aber auf Wunsch des Hochmeisters davon Abstand, und erklärte sich zum Entgegenkommen bereit. Aber da die Braunsberger die Bundesstädte Kulm, Thorn und Elbing in den Streit hineinzogen, scheiterte die Annäherung. Weiter schlug Bischof Franz Schiedsrichter, darunter den Hochmeister, vor; allein die Braunsberger lehnten diese ab, ebenso jeden anderen Weg des Ausgleichs, obwohl man ihnen sogar das nötige Geld zur Verfolgung des Rechtsganges anbot. So prallten alle Versöhnungsversuche des Bischofs, alle Ermahnungen des Hochmeisters an dem unbeugsamen Rechtsstandpunkt der Braunsberger ab. Bevor die Stände im April 1450 dem neuen Hochmeister Ludwig von Erlichshausen huldigten, trugen sie alle möglichen Beschwerden vor. Von Braunsberg waren Czander von Loyden, Johann Bayseman und Johann Slepstange anwesend. Sie baten den Hochmeister, er möge sie in ihren Privilegien, Freiheiten und Rechten gegen ihren Herrn Bischof beschützen. Ludwig antwortete, Bischof Franz sei mit einem Schiedskollegium aus dem Hochmeister und von diesem bestimmten Vertretern der Prälaten, Ordensgebietiger, des Landadels und der Städte einverstanden und wolle sich deren Entscheid fügen, ohne zu appellieren, sei auch bereit, das schriftlich zu geben. Damit waren aber die Braunsberger nicht zufrieden, weil sie fürchteten, daß diese Schiedsmänner zu Gunsten des bischöflichen Landesherrn erkennen würden, und daher machte sich der Bannerführer des Kulmer Landes Johann von Czegenberge zu ihrem Dolmetsch, indem er in bitteren Worten ausführte, der Hochmeister solle den guten Leuten helfen, daß sie endlich zur Ruhe kämen. Sie hätten ihre Privilegia, darinnen die Stadtgrenzen und ihr Hufenzins aufgezeichnet seien. In diesen Rechten habe sie der Hochmeister als Beschirmer dieser Lande zu 47 schützen. Der Bischof wolle den Fall ins geistliche Gericht ziehen, die Stände verlangten aber, daß er im Lande bleibe. Und Czegenberg schloß mit der Versicherung für die Braunsberger: „Wir wollen sie nicht lassen mit Gelde, mit Leibe und mit Gute, sollte es vielen den Hals kosten". Und auf seine Frage, ob die anwesenden Vertreter von dem Landadel und den Städten mit seinen Worten einverstanden seien, antworteten sie „mit gemeiner Stimme": „Jo, jo, jo!"

Während sich die gegenseitige Erbitterung steigerte, erschien auf  Veranlassung des Bischofs Franziskus auf dem Elbinger Ständetag vom Dezember 1450 der päpstliche Legat Ludwig de Selves, um den ständischen Bund, sofern er gegen den Christenglauben verstoße, unter Anwendung der schwersten kirchlichen und weltlichen Strafen aufzuheben. Der Hochmeister sah sich zu einer vermittelnden Haltung gezwungen, um bei dem geschlossenen Widerstand der Bundesführung einen sofortigen Bruch zu verhindern. Auch der römische König und die Kurfürsten mahnten in wiederholten Schreiben zur Aufhebung des ungesetzlichen Bundes. Die Mehrzahl der Mitglieder aber scharte sich um so trotziger um ihre Einung, die ja bei ihrer Gründung die Duldung des Ordens gefunden hatte, richtete um so leidenschaftlicher ihren Haß gegen den ermländischen Bischof, dem man die Hauptschuld an dieser Entwicklung zumaß, der sich zu der Äußerung hinreißen ließ, was er getan habe, habe er auf die von Braunsberg getan. Dabei trieb der Machtkampf um die landesherrliche Autorität oder die ständische Autonomie seiner gewaltsamen Entscheidung entgegen. Auf dem Marienwerderer Ständetag vom August 1452 beschlossen die Stände eine Gesandtschaft an Kaiser Friedrich III., um vor ihm den Bund zu rechtfertigen. Braunsberg mußte dazu 200 M. auslegen, Königsberg 400, Elbing 600, Danzig 1000 M. Wählend am Wiener Hofe der Prozeß schwebte, entbrannten in Preußen die Parteileidenschaften immer wilder, spannen die Bundesführer Fäden nach Polen, ob man dort für alle Fälle auf Hilfe rechnen dürfe. Zur Deckung der hohen Prozeßkosten scheuten die Bundesmitglieder nicht vor materiellen Opfern zurück. Eine Steuerliste vom März 1453 für Bundeszwecke führt in der Altstadt rund 500 Zensiten auf, dazu 29 aus den drei Stadtdörfern und 9 von den Stadtgütern. Eine Bundesversammlung in Braunsberg im August sollte dazu dienen, Schwankende zu festigen, erzielte die Zusage fühlender ermländischer Ritter, „daß der Kirche Land wolle lebend und tot bei dem Bunde bleiben." Braunsberg selbst gehörte zu den entschiedensten Anhängern des Bundes, mußte aber schon am 13. Dezember den in Thorn versammelten Genossen bekennen, daß wegen der bisherigen Aufwendungen für die gemeinsame Sache die Stadt „zu unüberwindlichem und merklichem Schaden" gekommen sei, und daß diese Ausgaben „nach ihrem höchsten Vermögen über ihre Macht" gingen und ihr in Zukunft „sehr zu schwer" werden würden. Die mit dem Ratskumpan Johann Kale übersandten 100 M. Beisteuer hätten sie „mit großer Müh und schwerer Sorgfältigkeit aufgenommen, da sie an Geld sehr schwach seien." Im übrigen erklären sich die Ratmannen in unverbrüchlicher Treue mit den allgemeinen Beschlüssen einverstanden.

Inzwischen hatte am 1. Dezember das kaiserliche Gericht den Bund als ungesetzlich verurteilt, und Bischof Franziskus, der als Ordensgesandter am Kaiserhofe weilte, sah sich am Ziel seines politischen Strebens. Die Kunde von dem Verbot der Einung entfesselte aber in Preußen den Aufstand. Am 4. Februar 1454 sagten Ritterschaft und Städte des Bundes dem Hochmeister „um vieler Gewalt und Unrechts willen" die Huldigung auf, und der Absage folgte in wenigen Tagen die Erstürmung der Ordensburgen durch die Bündischen. Dieser Geist der Empörung erfaßte auch das Ermland. Als erste machten die Braunsberger ihrer lange verhaltenen Wut Luft, stürmten das bischöfliche Schloß, raubten es aus, brachen die hohe Mauer mit ihren Türmen nach der Stadt zu, die ihre Vorfahren zur Strafe hatten aufführen müssen, plünderten die bischöflichen Mühlen (die heutige Große und Kleine Amtsmühle) und setzten sich in ihren Besitz. Ja, sie streckten ihre Hand auch nach den Gütern der Frauenburger Domherren aus; da erklärten diese, um das Äußerste zu vermeiden, ihren Beitritt zum Bunde. Schon hatte der Rat der Gemeinde einige Faß Bier gespendet und die Trunkenen angestachelt, einen Angriff auf Frauenburg zu machen, als die Kunde von dem Anschluß des Kapitels diesem Unternehmen Einhalt gebot. Dafür wurde jetzt die entfesselte Volksmut auf ein anderes Ziel gelenkt. Nach den Worten des Chronisten Plaßwich zog der Pöbel gleich sinnlosen wilden Tieren durch das entgegengesetzte Tor gen Balga, nahm das Schloß, raubte es aus und ließ einige Gebäude in Flammen aufgehen. Am 14. Februar kündeten Land und Städte des Ermlandes ihrem Bischof in aller Form Eid und Huldigung auf und begründeten ihre Tat hauptsächlich mit der Parteinahme des Bischofs für den Orden.

Inzwischen hatten die angesehensten Bundesmitglieder, unter ihnen auch der Braunsberger Ratsherr Kale, in verhängnisvoller Untreue und blinder Eigensucht mit König 49 Kasimir in Krakau verhandelt und ihm die Oberherrschaft über das preußische Land angetragen. Deutsche Zwietracht und Würdelosigkeit boten dem polnischen Nachbarreich die günstigste Gelegenheit, seinen Ausdehnungsdrang zur Ostsee zu befriedigen. Schon am 22. Februar erklärte König Kasimir als Bundesgenosse der Stände dem Orden den Krieg und vollzog nach mancherlei Zugeständnissen an deren Sonderinteressen am 6. März die Einverleibung der preußischen Lande in sein Reich.

Ende Mai erschien der Polenkönig in Preußen, um die Huldigung der Stände entgegenzunehmen. Am 8. Juni gelobten auch die ermländischen Stände und, dem bündischen Zwange nachgebend, das Frauenburger Domkapitel, sich nie von der Krone Polens zu trennen. Nur Bischof Franz, der in Marienburg seine Zuflucht gefunden hatte, stand auch in dieser kritischen Zeit in unverbrüchlicher Treue zum Orden. Wie sehr eigennützige Motive die Stände in ihrer Haltung bestimmten, ist auch aus Braunsbergs Forderungen ersichtlich, die es damals dem Polenkönig unterbreitete. Zunächst verlangte es eine bedeutende Erweiterung seines Grundbesitzes auf dem rechten Passargeufer bis zur Mündung der Bahnau, weiter bis Wermten, Birkenau, Waltersdorf, Rehfeld, Hohenwalde, Schönlinde und Vogelfang. Alle Dörfer, Höfe, Wälder, Mühlen, Wiesen und sonstigen Nutzungen innerhalb dieser Grenzen sollten fortan mit den kleinen und großen Gerichten zu den bis­herigen Rechten dem städtischen Territorium einverleibt werden. Weiter forderten die Ratsherren die Fischereigerechtigkeit, die bisher dem Dorfe (Alt-) Passarge zugestanden hatte, und ebenso freie Fischerei in den Balgischen Gewässern mit allerlei Gezeuge. Endlich wünschten sie das Besitzrecht der bischöflichen Korn- und Walkmühlen bei der Stadt, die sie sich tatsächlich bereits angeeignet hatten. Als Gegenleistung versprachen sie Sr. Königlichen Gnaden einen Hof zu Einsiedel zu halten und dort bei seinen Reisen einen Tag und eine Nacht „Station" zu geben, auch ihm „der Gaben halber" dienstpflichtig zu sein, obwohl sie vorher „nie pflichtig gewesen seien zu dienen."

Der Braunsberger Rat war also im Fordern nicht blöde, dabei kam es ihm auf ein paar Unrichtigkeiten nicht an, wie daß die Bahnau von der Passarge eine halbe (statt einer ganzen) Meile entfernt sei, daß die Bürgerschaft früher nie dienstpflichtig gewesen sei. Er hielt außerdem das Schicksal des Ordens für besiegelt, so daß auch er seinen Anteil an der Beute sich sichern zu sollen glaubte. Für die großen Geldopfer, die ihm schon der bisherige Kampf im Bunde gekostet hatte, glaubte er die erstrebte Belohnung verdient zu haben. Aber König Kasimir hütete sich, die übertriebenen Forderungen der Städte zu bewilligen. Abgesehen davon, daß er sich seines Sieges noch längst nicht sicher fühlte, hatte er auch Bedenken, das Machtbewußtsein der großen Städte ins Gefährliche zu steigern. Deshalb war es für den Braunsberger Rat eine herbe Enttäuschung, als die königlichen Räte über seinen Wunschzettel mit freundlichen Worten hinwegglitten.

Da der Orden zur Verteidigung seiner Hoheitsrechte und Ehre entschlossen war, sahen sich die Bündner zur Anwerbung von Söldnern genötigt, und diese kosteten schwerere Steuern, als jemals der Orden verlangt hatte. Bis diese beigetrieben waren, mußten die Städte Kapital vorschießen. Auf der Graudenzer Bundestagung vom 13. Juli 1454 wurde dazu die Altstadt Braunsberg mit 2000, die Neustadt mit 200 M. taxiert, Wormditt, Heilsberg und Rößel sollten je 600, Guttstadt, Seeburg und Allenstein je 200, Mehlsack und Frauenburg je 100 und Bischofstein 50 M. aufbringen. Weitere interessante Vergleichszahlen bieten die Taxen von Danzig. das mit 10000, Königsberg und Kneiphof, die mit insgesamt 7000, und Altstadt und Neustadt Elbing, die diesmal nur mit 2 200 M. wie Braunsberg veranschlagt waren.

Inzwischen hatten bündische Truppen Marienburg belagert, und auch Braunsberg hatte dazu die Besoldung von 70 Reisigen und 80 Trabanten fast ein halbes Jahr hindurch übernommen. Der Sieg des Ordens bei Konitz (18. 9. 1454) über das polnische Heer veranlaßte aber die Belagerer zu wilder Flucht. Sogleich trat wieder ein Umschwung zugunsten des Ordens ein, aber die dauernde Geldnot, die den Hochmeister bald darauf sogar zur Verpfändung seiner Residenz und aller anderen Burgen und Städte an die böhmischen Soldtruppen veranlaßte, ließ den Krieg in eine Reihe kleiner Einzelunternehmungen zerfließen.

So stießen Ordenstruppen des Elbinger Komturs Heinrich Reuß von Plauen bei ihrem Überfall auf Frauenburg um den 11. Dezember bis Braunsberg vor, „peinigten, marterten und brandschatzten" die „armen Bürger" außerhalb der schützenden Stadtmauern und nahmen ihnen ihr Vieh, woraus der Gemeinde ein Schaden von 8000 M. erwuchs. Ihren Gesamtschaden aus dem ersten Kriegsjahre berechneten die Braunsberger mit rund 37 000 M. Dabei waren sicherlich auch die Löhnungen für die böhmischen Söldner einbegriffen, die die Verteidigung der Stadt gegen den Orden durchführen sollten 51 und sich rasch zu einer schrecklichen Plage für die Bevölkerung entwickelten.

Am 10. April 1455 erschien der Ordensspittler Heinrich von Plauen wieder vor Braunsberg und verlangte mit den Bürgern zu reden und ihre Meinung zu hören; doch diese lehnten jede Verhandlung von vornherein ab. Da ließ der Komtur seine Reiter absitzen und erlief mit ihnen zu Fuß die Neustadt. Sie erschlugen dabei etwa 30 Mann und nahmen ihrer wohl 20 fest, darunter den Altstädter Ratsherrn Beckmann und den Bürgermeister und Stadtschreiber der Neustadt; andere Bürger der Neustadt flüchteten über die Passarge in die Altstadt. Um dem Feinde nicht die Mühle mit ihren Vorräten in die Hände fallen zu lassen, liefen einige Altstädter über den Fluß und ließen sie in Flammen aufgehen. Da rächte sich der Komtur, indem er die Neustadt nebst der Vorstadt „in die Grund brannte."

Seit der ersten Hälfte des Js. 1455 lag als Führer der böhmischen Söldner John Schalski oder von Walstein auf dem Braunsberger Schloß, zu dessen ersten hiesigen Heldentaten die Teilnahme an einer Racheaktion des Bundes an dem Frauenburger Domkapitel gehörte; in hussitischem Kirchenhaß tobte sich die rohe Soldateska an den Heiligtümern und Kunstschätzen des hehren Domes aus. Da gegenseitige, erbarmungslose Plünderungen und Brandschatzungen jenem unseligen Bürgerkriege das Gepräge gaben, wundern wir uns nicht, wenn die Söldner des zum Bunde haltenden Braunsberg bald zu Streifzügen gegen Ordensstädte ausrückten, bald wieder zur Verteidigung der von Ordensscharen angegriffenen Garnisonstadt bereit sein mußten. Mitte August 1455 machte ein Ordenstrupp unter dem Heiligenbeiler Hauptmann Siegfried Flach von Schwarzenberg einen Vorstoß gegen die Braunsberger, nahm ihnen 60 ausländische Trabanten mit gutem Gerät ab und erschlug ihrer 20. Anfang Mai 1456 richteten dafür die Braunsberger einen Beutezug nach Heiligenbeil, fingen dort das Vieh fort und trieben es weg. Da aber eilte ihnen die Ordensbesatzung der Stadt nach, nahm ihnen den Raub ab, fing 83 böhmische Fußknechte mit gutem Geräte; die aber Preußen waren, die schlug sie alle tot und gab keinen Pardon. Wenige Tage später, am 7. Mai, fielen 5 Reisige der Passargestadt einem Ordenstrupp in die Hände, der auf dem Marsch nach Heiligenbeil war. Am 7. Juli machten die Heiligenbeiler wieder einen Plünderungszug nach Braunsberg, verwüsteten die Felder und erbeuteten Vieh. Um dieses zu retten, machten die Einwohner einen Ausfall, der aber kläglich zurückgeschlagen wurde. 30 von ihnen fielen, 77, darunter 45 Bürger, gerieten in Gefangenschaft; auch 20 gesattelte Reitpferde gingen ihnen verloren. Ebenso mißglückte Ende Juli ihr Versuch, den Ordenstruppen, die nach der Brandschatzung von Tolkemit 50 Wagen mit Beute gen Heiligenbeil entführten, ihren Raub beim Übergang über die Passarge abzujagen. In einem Hinterhalt überfiel sie der Heiligenbeiler Söldnerführer Vollel Roder mit 500 Pferden und nahm ihnen 80 Gefangene ab.

Wenn diese Verlustziffern auch meist den Berichten der Sieger entstammen und daher wahrscheinlich oft übertrieben sein mögen, so beweisen sie doch, daß die Braunsberger Besatzung entsprechend der Bedeutung der Passalgestadt für den Bund nicht unbeträchtlich gewesen sein kann, und daß auch die wehrhafte Bürgerschaft in den erbärmlichen Kleinkrieg hineingezogen wurde. Als der Kommandant Schalski mit seinen Söldnern in der Stadt eingerückt war, da hatte er in Gegenwart des Rates, der ganzen Gemeinde und der Gewerke auf dem Rathause bei Treu und Ehren gelobt, die Stadt zu beschirmen und einen jeden bei seinen Gerechtigkeiten zu belassen. Alles, was er und seine Leute kaufen, leihen und borgen würden, das wollten sie zur Genüge bezahlen, zumal er glaubte, nicht lange am Orte zu verbleiben. Aber die vertrauensselige Bürgerschaft sollte in kürzester Frist merken, welch wilder Soldateska sie sich überantwortet hatte.

Wider alle Versicherungen bemächtigten sich die Böhmen mit bewaffneter Hand des Rathauses und beherrschten von hier die Stadt, „wie es sich die guten Braunsberger selbst in ihren bösesten Träumen nicht hatten beifallen lassen. Sie, die den Bischöfen, ihren Landesherren, gegenüber von so reizbarer Empfindlichkeit gewesen waren, wo es, wenn auch nur in ihren aufgeregten Köpfen, ihr lübisches Stadtrecht galt, mußten nun zu ihrem Entsetzen sehen, in welch sonderbarer Weise Schalski und seine Getreuen dieses ihr gutes lübisches Recht auslegten. Mit einer gewissen Virtuosität setzten sie ehrsame Hausbesitzer, deren Heimwesen ihnen gefiel, auf die Straße, erschlugen sie, vergewaltigten ihre Hausfrauen, hielten regelrechte Schießübungen ab auf friedlich ihres Weges gehende Bürger, spran­gen den Bauern in den Bierbottich oder warfen tote Kälber und Katzen hinein. Einbrüche und Diebstähle bei Tag und bei Nacht waren etwas Gewöhnliches, und wehe demjenigen, der ihnen dabei wehren wollte; er konnte froh sein, wenn er mit dem Leben davonkam. Ein Ansehen der Person kannten sie nicht. Ob sie einen gewöhnlichen Bürgersmann oder einen Ratskompan vor sich hatten, galt ihnen gleich, und wollten 53 einmal die Stadtknechte, die Polizei also, eingreifen, dann kam es wohl zu regelrechten Straßenkämpfen, wobei natürlich die Böhmen Sieger blieben.

Noch ärger hausten sie im äußern Stadtgebiet. Aus bloßer Freude am Zerstören rissen sie in der Stadtfreiheit den armen Leuten die Häuser ein, hieben die Bäume nieder, schleppten, was ihnen des Mitnehmens wert schien, weg und töteten, was ihnen vor die Klinge kam. Auf Jahre hinaus legten sie hier jede gedeihliche Tätigkeit lahm und beraubten die Braunsberger der reichen Einkünfte, die sie sonst aus ihrem Stadtacker zogen. Und nicht genug damit, wußten die Söldner auch nach außen hin ihre Quartiergeber in Mißkredit zu bringen. Indem sie den verbündeten Elbingern und Danzigern auf dem Haffe auflauerten, sie überfielen, ihrer Waren beraubten, trieben sie diese den Braunsbergern gegenüber zu Vergeltungsmaßnahmen. Es kam so weit, daß die letzteren mit ihren Schiffen nicht ohne Geleit in den Hafen von Danzig einlaufen durften, infolgedessen oft Tage lang am Danziger Haupte liegen blieben und dann von den Feinden festgehalten wurden, woraus ihnen gleichfalls großer Schaden erwuchs. Und das alles mußten die sonst so trotzigen und aufsässigen Bürger der stolzen Hansestadt, wenn auch mit Wut und Grimm im Herzen, geduldig über sich ergehen lassen. All ihr Klagen und Bitten bei Schalst!, seinen Anwälten und edelsten Hofleuten, all ihr Hinweisen und Berufen auf ihr gerühmtes lübisches Recht verschlug nichts, weckte nur Hohn und Spott. Womit sie gesündigt hatten, damit wurden sie bestraft" . . . (Röhrich, Ermland im dreizehnjährigen Städtekriege.)

Auf nicht weniger als 180000 ungarische Gulden und 27 903 preußische Mark berechneten die Braunsberger den Gesamtschaden, den sie durch Schalski und seine Spießgesellen erlitten hatten. Aber mit diesen ungeheuren wirtschaftlichen Verlusten und bürgerlichen Verdemütigungen war für sie das Kriegsleid noch längst nicht erschöpft. Die städtischen Führer hofften freilich auf ein baldiges Ende und mahnten zum unverzagten Durchhalten, da ihrer guten, gerechten Sache, an die sie noch immer glaubten, der endliche Triumph gewiß sei. Die einfachen Bürger jedoch, die Handwerker, Ackerbürger, Tagelöhner, fühlten je länger, um so empfindlicher, in welches Elend sie die hohe Politik der verantwortlichen Ratsherren hineingesteuert hatte, daß die gute alte bischöfliche Zeit ein Paradies war gegen die brutale Herrschaft der fremden Soldateska.

Inzwischen verlangte das konsequente Festhalten am Bunde weitere schwerste Opfer. Der Ratsmann Johann Sleppestange gehörte zu der ständischen Gesandtschaft, die um die Wende 1455/56 vom polnischen König in Thorn die Erlaubnis zu Landessteuern erwirkte, um sich für ihre Kriegsauslagen zu entschädigen. Auf der Elbinger Tagfahrt vom 19. und 20. April 1456 war Braunsberg durch 5 Abgeordnete vertreten: Johann Trunzmann, Bayser (Baysemann?), Sleppestange, Frenzel Scharff und Hans Gerle. Einmütig beschloß man eine Reihe tariflich geregelter Warenkaufs- und Verkaufssteuern sowie eine Vermögensabgabe, um damit den Ordenssöldnern die verpfändete Marienburg und andere Schlösser abzukaufen. Einige Tarifsätze betrafen ausdrücklich den Braunsberger Handel. So wird die Ausfuhr von Flachs, Leinwand, Garn, Hopfen, Mehl, Korn und allerlei sonstigem Getreide, Erzeugnissen des ermländischen Hinterlandes, nach Danzig und anderen Städten besteuert, auffallenderweise auch von Eisen, Blei, Kupfer, Stahl und Zinn, die offenbar als Durchgangsgüter aus weiter Ferne den Braunsberger Hafen berührten. Aus Danzig wurden damals Salzheringe und Öl eingeführt und teilweise wieder exportiert. Der nicht unbedeutende Weinhandel führt als die gangbarsten Sorten Gubener, Rheinwein, romanischen (spanischen) und Malvasier auf.

Als die einkommenden Steuerbeträge noch nicht ausreichten, um die Söldnerforderungen zu befriedigen, sah sich der Elbinger Ständetag vom 14. November zu einer neuen Taxe gezwungen, die Braunsberg mit 2000 ungarischen Gulden belegte. Wenn damals selbst Wormditt mit 2150 Gulden veranschlagt wurde, so ist das ein Beweis für die auch von den Ständen anerkannte Verarmung Braunsbergs. Aber auch diese Summe vermochte die Passargestadt nicht mehr aufzubringen, so daß Danzig für sie eintreten mußte. Nunmehr, als die böhmischen Söldner ihre ausbedungenen Zahlungen erhalten hatten, übergaben sie den bündischen und polnischen Beauftragten die Schlüssel des Schlosses und der Stadt Marienburg. Ludwig von Erlichshausen mußte die ruhmvolle Hochmeisterresidenz verlassen, und König Kasimir hielt am 8. Juni 1457 in diesem Brennpunkt deutscher Macht und Kultur seinen Einzug....

Wenn die Bundesführer gehofft hatten, jetzt würde das verheerende Ringen schnell ein Ende nehmen, so wurden sie schwer enttäuscht. Aber auch darin erlebten sie eine harte Ernüchterung, daß die königliche Belohnung für ihre gewaltigen finanziellen Leistungen als Erfüllung ihrer Sonderwünsche ausblieb. Seit Anfang Mai lassen sich im Gefolge des Königs 55 die Braunsberger Gesandten, Bürgermeister Trunzmann und der Ratsherr Benedikt von Schönwiese, nachweisen. Sie wurden nicht müde, ihren bischöflichen Landesherrn anzuklagen, daß er 28 Jahre lang und darüber ihre Gemüter erregt und ihre Rechte angetastet habe und daß ihnen die Verteidigung ihrer Privilegien und der jetzige Kampf um ihre Freiheiten ungeheure Opfer gekostet habe. Daher erneuerten sie, diesmal in lateinischer Sprache, ihre Wünsche, die sie schon vor drei Jahren erhoben hatten, ließen manche fort und fügten andere hinzu. Frei wollten sie sein von allem Zins; sämtliche Gerichtsbußen aber wollten sie zum Nutzen der Stadt verwenden. Weiter beanspruchten sie die große Amtsmühle und die Walkmühle mit ihrem Zubehör, sowie folgende andere bischöfliche Besitzungen in ihrem Weichbilde: die Badestube, die Güter Gr. Klenau, Rosenort und die Höfe eines gewissen Beckmann (Ratsherrn?) zusammen mit dem Dörfchen Kl. Klenau, die ihnen alle von den Bischöfen mehr durch Gewalt als durch Geld entfremdet worden seien. Ferner verlangten sie das Eigentum des von der Bundessache abgefallenen Ritters Segenant von Rossen, nämlich die Güter Rossen, Hammersdorf und seinen Anteil am Dorfe Regitten. Aus dem Balgaer Gebiet begehrten sie die benachbarten Dörfer Grunau, Grunenfeld mit der dortigen kleinen Mühle, den Damerau-Wald, Vogelfang und die beiden Höfe eines Kneto Rodaw, schließlich das Dorf Alt-Passarge, in dem nur Fischer und Gärtner säßen, mit der Fischereigerechtigkeit und der Hälfte der Wiesen, die um den sog. Fuchsberg an die Stadtgemarkung grenzten. Von den Landforderungen d. J. 1454 haben die Bittsteller inzwischen erhebliche Abstriche gemacht. Zum Ausbau und zur Unterhaltung des Bollwerks an der Passargemündung wünschten sie freie Holzung in den nahen Wäldern und Überlassung der Steine und des Strauchwerks am Strand, weil die Anlage nicht ihnen allein, sondern dem ganzen Lande zu nutze komme. Schließlich wiederholten sie ihre Bitte um freie Fischerei im Balgaer Gewässer mit allen Gezeugen zum gemeinsamen Nutzen der Stadt, ebenso um die volle Gerichtsbarkeit in den genannten Gütern und das freie Besitz- und Verfügungsrecht. Als Gegenleistung für die erwartete Schenkung versprachen die Braunsberger erneut dem Könige Quartier in Einsiedel oder sonst das zu leisten, wozu sich ihre Abgesandten verpflichten würden.

Aber alles Klagen und Bitten war umsonst. Der König zeigte sich „sehr hart", Gnaden zu bewilligen; nur dann wollte er sich zu Schenkungen oder Verleihungen verstehen, wenn ihm jemand darauf Geld liehe. Wo aber sollte Braunsberg bei leinen leeren Kassen das herbekommen? Allmählich mußte auch dem Rat die Erkenntnis aufdämmern, daß er sich arg verrannt hatte, als er Trugbildern folgend die Treue zu dem angestammten bischöflichen Herrn gebrochen hatte; aber der Starrsinn der Unentwegten, der Druck der böhmischen Besatzung verwehrten noch einen politischen Frontwechsel.

Bischof Franz war zwei Tage, nachdem König Kasimir von der Marienburg Besitz ergriffen hatte, hochbetagt in Breslau verstorben, bis an sein Ende ein unbeirrter Vorkämpfer der rechtmäßigen Landesherrschaft gegen die zersetzenden Machtgelüste des ständischen Bundes. Nach dem kurzen Episkopat des berühmten Humanisten Kardinals Enea Silvio Piccolomini, der schon im August 1458 als Pius II. den päpstlichen Thron bestieg, wurde Paul von Legendorf mit der Verwaltung des erledigten Bistums betraut. Vom Papste dem Hochmeister und Polenkönig empfohlen, suchte er seinem Lande die Neutralität zu sichern und einen „christlichen Beifrieden" zu erwirken.

Während dieser Jahre dehnte Schalski mit beschlagnahmten Schiffen der Braunsberger Reeder seine Raubzüge auf das Haff aus. Im Juli 1457 segelte er im Verein mit den Elbingern gen Balga, um Vieh zu erbeuten. Bei der Verfolgung durch 8 Schiffe der Balgaer und Heiligenbeiler entwickelte sich ein hitziges Seegefecht, bei dem 39 Ordensleute in Gefangenschaft gerieten und eine ihrer Barsen (kleines Schiff) mit 40 Bewaffneten sank. Ebenso entwickelte sich im April 1458 eine Wasserschlacht, als Elbinger und Braunsberger Barsen zum Schütze des heimischen Kaufmannes das Haff kreuzten. Sie stießen auf eine Flottille des Ordens aus Königsberg, Memel und Fischhausen, auch Dänen und Livländer waren darunter. Es gab auf beiden Seiten Verluste, die Braunsberger beklagten 4 Erschlagene. Schließlich flüchteten die Ordensschiffe, denen eine Barse gekapert wurde. 1460 versuchte eine gemeinsame Flottenaktion der Danziger, Elbinger und Braunsberger mit 24 Fahrzeugen den Entsatz von Wehlau und brandschatzte Dörfer, Güter und Mühlen an der Küste. Bei einem Raubzug nach Heiligenbeil im Oktober wurden die Bündischen verlustreich zurückgeschlagen; dabei fiel auch Schalskis Bruder.

Nachdem Bischof Paul im Juli 1460 in den Besitz von Wormditt gelangt war, forderte er die Hauptleute der übrigen Bistumsstädte wiederholt auf, ihm diese auszuliefern. John Schalski, der Kommandant von Braunsberg, erwiderte, die Stadt sei ihm vom König zu treuer Hand übergeben und 57 befohlen, und er wolle sie ihm auch halten zu treuer Hand. In Wahrheit fühlte er sich in dem festen Platz zu wohl und sicher, als daß er ihn auf gütliche Vorstellungen geräumt hätte. Auch der altstädtische Rat flüchtete sich hinter den Vorwand, die Bürger hätten dem König Treue geschworen; wollte sie dieser der Eide entbinden, so wollten sie als gute Männer den Bischof für ihren Herrn aufnehmen. Indessen die Kleinbürger, die schon längst mit der Ratspolitik und erst recht mit Schalskis Gewaltherrschaft unzufrieden waren, begrüßten mit unverhohlener Freude den neuen Bischof, den sie als ihren angestammten Herrn anerkannten, von dem sie endlich Befreiung von dem unerträglichen Druck der fremden Söldner und die Wiederkehr besserer, friedlicher Zeiten erhofften.

Es war im September 1461. Wieder einmal war ein Teil der böhmischen Besatzung ausgerückt, um auf einem ihrer üblichen Raubzüge Beute zu machen. Schalski selbst war mit dem Bürgermeister Vochs gen Konitz gezogen, um wegen der Übergabe der Stadt an den Bischof mit dem Könige zu verhandeln. Da schritt die Bürgerschaft zur Selbsthilfe. Heimlich setzte man sich mit den Bauern der Umgebung in Verbindung, ließ sie unauffällig mehrere Tage hindurch in die Stadt und verbarg sie bewaffnet in den Häusern. Eine Geschoßforderung der Söldner soll der nächste Anlaß zum Losschlagen gewesen sein. Die Bürger erklärten durch 6 sympathisierende Ratsmänner, sie hätten manch Geschoß gegeben und wüßten nicht warum, sie vermöchten keins mehr zu geben und seien auch nicht willens dazu; im übrigen sollten die Söldner unverzüglich von dannen ziehen, sie wollten sie nicht mehr länger sehen. Erstaunt über diese kühne Sprache, nahmen die Söldner die Abgeordneten fest und warfen sie ins Verlies. Aber des Nachts vom 10. zum 11. Sept. hielten die Verschworenen die Stadttore geschlossen und fielen über die ahnungslos schlafenden Söldner her. In aller Haft gelang es einigen, über die Stadtmauer zu springen und zu entkommen, 10 wurden von der wütenden Bevölkerung kurzerhand erschlagen, 14 preußische Knechte, die den Böhmen gedient und sich als Verräter besonders verhaßt gemacht hatten, wurden wie Hunde ersäuft. Die übrigen etwa 100 Reisigen wurden gefangen genommen und in die Türme geworfen. Diejenigen Ratsherren, die auf der Seite der Böhmen standen, wurden in ihren eigenen Häusern in Gewahrsam gehalten; bei Todesstrafe durften sie nicht diese Haft verlassen. Die reiche Beute an Harnischen, Waffen, Kleidern und Gerät wurde auf dem Rathaus abgeliefert und fein säuberlich aufgezeichnet. Auch an 100 gute Pferde hatten die Feinde im Stich lassen müssen.

Die Vertreibung der Böhmen war ein Ereignis, das von beiden kriegführenden Parteien mit größter Aufmerksamkeit aufgenommen wurde. Schon am nächsten Tage versuchten die Ordensbesatzungen aus Balga, Heiligenbeil und Mehlsack, ob sie von den Braunsbergern eingelassen würden. Sie erwarteten das um so zuversichtlicher, als die Gemeinde der Stadt die Hauptleute von Balga und Heiligenbeil dringlich gebeten hatte, zu ihnen zu kommen und zu raten, wie man den Söldnern auch Frauenburg entreißen könnte. Doch die Braunsberger waren nicht gewillt, statt der eben verjagten Plagegeister sich andere aufzubürden, und verwehrten deshalb den Ordenstruppen den Zutritt. Andererseits lichtete der bündische Vorort Danzig am 14. September ein bekümmertes Schreiben an die Braunsberger, worin er riet, dem König treu zu bleiben, die Ausgleichung mit dem Bischof noch anstehen zu lassen und vorläufig den Ort gut zu bewachen und Hab und Gut der Getöteten und Gefangenen in Verwahrung zu halten.

Als dieser Brief am Ziele anlangte, hatte die Braunsberger Bevölkerung bereits dem Bischof zugejubelt. Am 15. hielt er in der Altstadt seinen feierlichen Einzug und nahm die Huldigung und den Treueid der Bürger entgegen. Mehrere Ratsmitglieder, die wegen ihrer polnisch-bündischen Haltung der Bevölkerung verhaßt waren, wies er aus der Stadt. Dann verblieb er auf seinem Schlosse, um die verwirrten Gemüter der Einwohnerschaft, die sich im Taumel ihrer jungen Freiheit der Zügellosigkeit hingab, zur Besonnenheit zurückzuführen und die neuen Verhältnisse zu festigen.

Die Böhmen auch aus Frauenburg zu vertreiben, war der Wunsch des Bischofs wie der Braunsberger Bürgerschaft. Deshalb setzte sich schon am 18. ein Trupp von ungefähr 600 Mann, Braunsberger, ermländische Ritter und Bauern aus dem Hinterlande, in Marsch, um die Domburg zu belagern und Bischof Paul zu überantworten. Aber die starken Mauern trotzten dem Anschlag, und als am 5. Oktober polnisch-bündische Entsatzabteilungen von Wormditt und Holland anrückten, fielen diese über die Belagerer her, fingen 140 von ihnen ab, trieben weitere 140 in die Pfarrkirche, die sie dann aufs unmenschlichste in Brand steckten, und schlugen die anderen erbarmungslos tot.

Schalski aber konnte den Verlust Braunsbergs nicht verwinden; hatte er sich doch in der Hoffnung gewiegt, die Stadt als erblichen Besitz für sich und seine Familie behaupten zu können. In Verbindung mit dem Hauptmann Johann Rosal von Wormditt und Holland, mit dem Befehlshaber von Friedland und mit den Danzigern und Elbingern bereitete er sorgfältig  59 den Handstreich vor, der die Altstadt wieder in seine Gewalt bringen sollte. Nachdem er Braunsbergs Umgegend aufs rücksichtsloseste hatte brandschatzen lassen, zog er in der Nacht zum Sonntag 29. November mit etwa 600 Mann von Frauenburg zur Passargestadt. Eine rechte Diebesnacht: durch die schwüle Finsternis heulte der Sturm, peitschte der Regen, zuckten die Blitze eines verspäteten Gewitters, krachten die Donner. Fluchend standen sie endlich vor dem Hohen Tor. Nun ließen sie den mitgefühlten Kahn in den Stadtgraben hinab und ruderten heimlich hinüber. Als ihrer etwa 150 übergesetzt waren, stiegen sie auf Sturmleitern „um des Seegers vier" über die Mauer und wollten das Tor aufhauen, die anderen einzulassen. Aber da wurde es doch die Schildwache bei und auf dem Rathause gewahr und gab aus den Büchsen Feuer und schrie Zeter und Mordio und erweckte die schlaftrunkene Bürgerschaft aus süßer Ruh. Und da fielen sie über die siegesgewissen Eindringlinge her und schlugen viele von ihnen tot, „und die Maide und Weibesnamen taten das Neste im Spiele." Und da wurde miterschlagen der grausame Hauptmann von Wormditt und der von Frauenburg und andere gute Hofleute. Mehr als 50 gerieten in Gefangenschaft. Herrn John Schalski ward „der Arm entzweigeworfen", aber er rettete sich mit anderen, indem sie über die Mauer sprangen und im Dunkel der Nacht entkamen.

Das war für den Söldnerführer ein peinlicher Mißerfolg, und da er mit Gewalt und List nichts hatte erreichen können, versuchte er es auf dem diplomatischen Wege. Auf dem Elbinger Ständetage vom Dezember 1461, an dem sich Bischof Paul gegen die politischen Vorwürfe der polnischen Beauftragten verteidigen mußte, trat auch Schalski mit Anklagen hervor. Deshalb waren auch vier Vertreter von Braunsberg, die Ratmannen Jorge Gerds und Hans Hogewald und aus der Gemeinde Peter Kistenbuch und Hans Bardöl zur Stelle. Schalski beschuldigte die Braunsberger, daß sie gegen den König, seine Dienstleute und ihn selbst nicht „als gute Leute" verfahren seien. Der Bischof hielt ihm vor, daß er durch die Ersteigung der Stadt ihn mit den Seinen „von Leib und Gut" habe bringen wollen. Die Braunsberger Abgeordneten legten eine ausführliche Beschwerdeschrift gegen sein Schreckensregiment vor. Der polnische Statthalter verlangte von ihnen die Herausgabe der böhmischen Gefangenen mit ihrer Ware und Habe. Die Stadtvertreter waren dazu bereit, falls Schalski die Frauenburger Domburg an den Bischof zurückgeben wollte. Wie eine reuevolle Einsicht klang ihre anschließende Beteuerung, daßie nimmer wider den Herrn Bischof, noch seine Kirche, noch leine Lande und Städte sein wollten zu ewigen Zeiten." In den folgenden Verhandlungen versprach der Bischof, dafür Sorge tragen zu wollen, daß die Gefangenen nicht verhungern, noch an ihren Gliedmaßen gelähmt werden sollten. Herr John sei den Bürgern viel schuldig geblieben, habe ihnen auch sonst schweren Schaden zugefügt, so daß dagegen die Pferde und Harnische der Söldner wenig ausmachten. Schließlich einigte man sich auf einen Beifrieden bis Fastnacht 1462, wonach die Gefangenen bis dahin beurlaubt sein sollten. Würde dann Frauenburg zurückgegeben, so sollten sie mit ihrer Habe quitt und frei sein.

Aber Schalski räumte trotz dieser Abmachungen die Domfeste nicht, die im Sommer 1462 auch einer fünfwöchigen Belagerung trotzte. Im Vollgefühl dieses Erfolges zog er am Abend des 23. August mit polnischen, Danziger und Elbinger Hilfstruppen wiederum gen Braunsberg. Am nächsten Morgen „berannten sie den Braunsberg", aber die Verteidiger waren auf dem Posten und schlugen tapfer die Angriffe ab. So begnügten sich die Feinde, alle Höfe und Dörfer vor der Stadt auszupochen und niederzubrennen, dann hoben sie auf die Kunde, daß Ordenstruppen zu Hilfe kommen wollten, am Morgen des 29. die Belagerung auf. Kampfesfreudig verfolgten die Braunsberger ihre Nachhut, da holte Schalski zu einem Gegenstoß aus, bei dem 14 der angesehensten Bürger gefangen und andere getötet wurden.

Bischof Pauls Politik war darauf gerichtet, seinem Bistum die Neutralität und damit die territoriale Selbständigkeit zu erhalten. Deshalb folgte er nur ungern dem Drängen seiner Städte, unter Führung Braunsbergs, die jetzt im Anschluß an den Orden endlich friedliche Zustände erhofften. So unterzeichnete er am 25. Juli 1463 zu Bartenstein einen Bündnisvertrag mit dem Orden, der ihn zur Hilfe verpflichtete „nach seinem höchsten Vermögen." Die dadurch bedingten neuen Lasten übernahm Braunsberg aber nur unwillig. Zu einer Ordensbesatzung wollte sich die Stadt nach ihren Erfahrungen mit den böhmischen Söldnern „ohne Verschreibung" nicht verstehen, und an dem mißglückten Entsatzversuch von Mewe, den der Hochmeister mit einer großen Flottille unternahm, beteiligte sie sich mit einigen Barsen nur nach ernster Mahnung durch den Bischof. Da sich aber die Kriegslage des Ordens mit dem Fall von Mewe (27. 12. 1463) merklich verschlechterte und die polnischen Söldner erobernd im Ermland vordrangen, sah sich der Bischof nach Beratung mit seinen Städten zu einem politischen 61 Frontwechsel gezwungen. Am 4. März 1464 tätigte er mit ihrem Einverständnis einen Beifrieden mit den Vertretern Polens, der schon am 16. in Elbing zu einem „ewigen Frieden" erweitert wurde. Dabei wurden die noch unerledigten Ersatzansprüche Schalskis an Braunsberg einem Schiedsgericht von acht Mitgliedern überwiesen, dessen Obmann bei vergeblicher Einigung König Kasimir sein sollte.

Die Folge dieses Friedensvertrages mit Polen, der dem Ermlande sein staatliches Eigenleben zusicherte, den der Hochmeister als schweren Treubruch betrachtete, war, daß die Ordenssöldner schonungslos Plünderungszüge durch das Bistum unternahmen. Trotzdem verwehrte der Domkantor Bartholomäus Libenwald, der die Verteidigung Braunsbergs leitete, am 1. April 1464 Schalski energisch den Eingang, als dieser mit 60 Reitern vor den Toren erschien und unter gleißnerischen Vorspiegelungen Einlaß begehrte. Auch den Elbingern wurde im Juni 1465 der Durchzug verweigert, als sie mit erbeutetem Vieh aus dem Balgaer Gebiet heimkehrten. Zur Rache dafür machten bald darauf die Elbinger mit Söldnern aus Holland und Frauenburg einen Raubzug. Ihre Fußknechte versteckten sich nachts in Kellern und Gräben vor der Altstadt, während die Reisigen in der Nähe hielten. Als morgens die Bürger ausjagten, stürzten sich die Feinde aus ihren Verstecken hervor und nahmen ihnen ihr Vieh und wohl zwei Schock Pferde. Als nun die Braunsberger ihr Eigentum retten wollten, eilten die Reisigen hinzu, töteten 9 Bürger und nahmen 5 gefangen.

In diesem entsetzlichen Kleinkrieg atmeten die geplagten Bürger im August endlich auf, als sie vernahmen, daß auf der Frischen Nehrung Friedensverhandlungen mit Aussicht auf Erfolg angebahnt seien. Freilich dauerte es noch ein ganzes Jahr, bis die verhandelnden Parteien eins wurden. Inzwischen hatte Schalski Anfang 1466 Braunsberg erneut bedroht, Bischof Legendorf im Februar dem Orden in aller Form den Krieg angesagt. So sehr verschlechterte sich zuletzt das Verhältnis des Bischofs zu Hochmeister Ludwig, daß der Rat von Braunsberg auf Geheiß des Bischofs dem Hochmeister auf seiner Reise zu den Thorner Friedensverhandlungen die Tore sperrte. „Mit großer Bitte" erreichte Ludwig, daß man die Speisewagen die Stadt passieren ließ, er selbst mit seinem Volk mußte durch das Wasser der Passarge reiten, „und das war ihm ein großer Hohn". Dafür verweigerte er in Thorn dem Bischof die Begrüßung durch Händedruck, bis der König selbst beider Hände vereinigte.

Der verhängnisvolle 2. Thorner Frieden vom 19. Oktober 1466 entriß dem Orden Westpreußen und beließ ihm Ostpreußen unter polnischer Oberhoheit. Das Ermland behauptete seine territoriale Selbständigkeit; die bisherigen Rechte des Hochmeisters als des Schirmherrn über das Bistum gingen auf den polnischen König über. Polen hatte dank der deutschen Zwietracht, Verblendung und Untreue einen folgenschweren Sieg errungen, den es allein, ohne die gewaltigen Anstrengungen der großen Städte des Weichselgebietes, nie erzielt hätte. Wenn auch die Päpste den Friedensvertrag nicht anerkannten, so schuf dieser doch für drei Jahrhunderte neue staatspolitische Verhältnisse, die trotz aller Versicherungen der polnischen Krone an die preußischen Stände allmählich ein planmäßiges Vordringen des Polentums auf Kosten der angestammten deutschen Kultur mit sich brachten.

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Dies ist ein Kapitel der Festschrift "Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte" von Franz Buchholz zum 650jährigen Stadtjubiläum

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