KREISGEMEINSCHAFT BRAUNSBERG (OSTPREUSSEN) e.V.
Geschichtliche Entwicklung der Stadt Wormditt im Überblick I. Gründung und Aufbau der Stadt Wormditt Missionierung und Eroberung des Prußenlandes In der Zeit vor ca. 1250 wohnte zwischen der unteren Weichset und der Memel ein baltischer Volksstamm; es waren die heidnischen Prußen (Pruzzen, Preußen), die sich durch Jagd und Fischfang ernährten und neben einem primitiven Ackerbau etwas Viehzucht betrieben. Ihr religiöser Glaube, eine Naturreligion, war mit ausgeprägter Ahnenverehrung verbunden. Ihr Gebiet zerfiel in zehn Gaue. Der Name des späteren Ermlands, in dem nach der Kolonisierung z.B. die Städte Braunsberg, Wormditt und Guttstadt lagen, leitet sich von dem altpreußischen Gau Warmien her. (Vgl. Handbuch der historischen Stätten, Teil "Ost- und Westpreußen", Hrsg. Erich Weise. 1966, S. XVII-XIX und S. 51) Der Bekehrung zum Christentum setzten die Prußen hartnäckigen Widerstand entgegen. Nach mehreren mißglückten Missionsversuchen um das Jahr 1000 begannen im Jahr 1215 deutsche Zisterziensermönche As dem Königreich Polen, in dem schon seit mehr als 200 Jahren das Christentum verbreitet war, von neuem im heidnischen Land zu missionieren. Doch weil die Prußen für ihre politische Unabhängigkeit fürchteten, griffen sie einige angrenzende polnische Gebiete, vor allem das Fürstentum Masovien mit so starken Kräften an. daß der polnische Herzog Konrad von Masovien sich gezwungen sah, den deutschen Kaiser bzw. den Hochmeister des Deutschen Ordens> Hermann von Salza, um Beistand zu bitten. Er bot das Kulmer Land und einige Randgebiete als Gegengabe an (spätere Schenkungsurkunde 1230). Daraufhin übertrug Friedrich II. von Hohenstaufen dem deutschen Ritterorden, dessen Mitglieder nach strengen Regeln lebten und die Mönchsgelübde der Armut, Ehelosigkeit und des Gehorsams abgelegt hatten, die Aufgabe, die heidnischen Prußen, die christliche Länder angegriffen hatten, zu bekämpfen (1226). Das zu erobernde Gebiet wurde dem Orden als Besitz zugesprochen. Die kirchliche Mission wurde davon zunächst nicht berührt: Papst Gregor IX. übertrug sie dem Predigerorden der Dominikaner. Der Kampf des Ritterordens war keine "Schwertmission": er sollte nur die Voraussetzung dafür schaffen, daß die friedliche Mission fortgesetzt werden konnte. Die Ordensritter unternahmen ihre Kreuzfahrten zum Teil gemeinsam mit polnischen Fürsten. Im Jahr 1248 war der letzte Widerstand im späteren Ermland beseitigt. Ein päpstliches Urteil von 1249 bestätigte die persönliche Freiheit der getauften Prußen, - ein Grundsatz, den der Orden respektierte. Im Laufe der Generationen verschmolzen die Bevölkerung sgruppen der Stammpreußen und der Einwanderer miteinander.
Im eroberten Prußenlande wurden im Einvernehmen mit dem Deutschen Orden vier Bistümer gegründet, unter denen das Ermland das größte war (1243). Jedem Bischof wurde vertraglich ein Drittel seiner Diözese als eigenes Herrschaftsgebiet zugesprochen. Der Bischof von Ermland wählte einen zusammenhängenden Landesteil, der ungefähr zwischen den späteren Städten Braunsberg, Rößel und Allenstein lag. In diesem Landesteil - auch "Hochstift Ermland" genannt - war der Bischof weltlicher Herrscher, also Landesfürst (1254-1772). Bischof Heinrich aus Lübeck (1278-134ß) begann mit der Besiedlung und Kultivierung des nördlichen Ermlands. Eberhard von Neiße (1300-1326) erschloß die Gegend um die Drewenz und veranlaßte die Gründung von Dörfern, Gütern und Städten und damit auch die der Stadt Wormditt. Eine Ortschaft dieses Namens wird in einer Heilsberger Urkunde schon im Jahr 1308 angegeben. Die ersten deutschen Kolonisten fanden am Ufer der Drewenz - wohl auf dem Boden einer alten Fliehburg oder einer Marktstätte eine Ansiedlung der Stammpreußen vor, die den Namen Wurmedyten oder Wormedythin trug. Der Ort war fier die Anlage einer Stadt geeignet, weil sich hier auf einem inselartigen Plateau, das im Norden und Westen von der Drewenz, im Osten von einem Bach umgeben war, leicht Befestigungen schaffen ließen. Der Name der Stadt läßt sich nicht eindeutig erklären. Die Endung "itt", "fitten" heißt soviel wie "Ansiedlung", "Ort". Ob die erste Silbe mit dem altpreußischen "woras" = "alt" zusammenhängt, ist nicht nachzuweisen. Die deutschen Bürger versuchten, dem rätselhaften Namen einen Sinn zu geben, indem sie die Sage von dem Lindwurm erfanden, dessen Bild dann auch in das Stadtwappen aufgenommen wurde (seit 1388 nachgewiesen). Die Sage erzählt: Ein gewaltiger Lindwurm, der Menschen und Vieh verschlang und dessen Körper sich um das ganze Rathaus ringelte, wurde von einem tapferen Ritter erschlagen. Ein Bauer staunte über das mächtige Untier und fragte.: "Watt (d)it dat?" Die Antwort lautete: "Worm (d)it dat." Es waren wohl überwiegend deutsche Ansiedler aus Schlesien, die dem Ruf des schlesischen Bischofs Eberhard von Neiße folgten und sich hier unter Führung des ersten Schulzen, Wilhelm, niederließen. Die mitteldeutsche Mundart, das sogenannte Breslauische, blieb in leichten Änklängen noch bis ins 20. Jahrhundert erhalten (breite, lange Vokale und koppellaute; zweite Lautverschiebung bei den Konsonanten). Aber es zogen auch Kolonisten aus anderen Gebieten, z.B. aus Westfalen hierher. Die Stammpreußen durften zunächst nicht in der neuen Kolonie wohnen; ihre Siedlung, die "Pillau", befand sich auf dem rechten Drewenzufer. Der Name ist von dem altpreußischen Wort "pils" = "Burg" abgeleitet. Bis zuletzt wurde diese vorstädtische Ansiedlung "Auf der Pillau" genannt. Stadterhebung Im Jahr 1312 oder Anfang des Jahres 1313 werde Wormditt zur Stadt erhoben. Bischof Eberhard schenkte ihr eine betnächtliche Anzahl von Freihufen und Zinshufen nach kulmischem Recht zu "ewigem Besitz" (I Hufe entspricht etwas mehr als 60 Morgen), insgesamt 121 Hufen an Wald, Weide und Gärten. Später kamen noch 100 Hufen Waldland hinzu. Die Bürger hatten Anspruch auf freie Weide, Holzung, Jagd, Vogel- und Fischfang, auch auf ein "Beet" Gartenland und waren dadurch selbst bei großen Unglücksfällen vor völliger Verarmung geschützt. Stadtbefestigung Die ersten Ansiedler verstärkten die wahrscheinlich vorhandenen Wehranlagen, so daß ihnen der Einfall der Litauer im Jahr 1311 nichts anhaben konnte. Um eine bessere Verteidigungslinie im Südosten zu erhalten, staute man durch einen hohen Wall das Wasser des Streckgrabens, der von Carben her zur Drewenz floß, zu einem großen Teich auf (Oberteich). Durch hölzerne Rohrleitungen versorgte er die Stadt mit Trinkwasser, solange es noch keine Tiefbrunnen gab. Er speiste durch Schleusen auch den östlichen Stadtgraben (Johannesgraben) sowie einen kleineren Stauteich, den Baderteich oder Kuhteich. Die Badestube am Ufer dieses Teiches wird schon 1359 erwähnt. Um das Jahr 1340 begann man, den früheren Palisadenzaun um den Hügelrand des Stadtgebietes durch eine Ringmauer zu ersetzen, die aus Feld- und Ziegelsteinen gebaut war und durch Mauervorsprünge und Wehrtürme verstärkt wurde. Ein Stadtplan von 1627 zeigt 25 Türme. In zweien von ihnen befanden sich Verliese für die Gefangenen. Die beiden Haupttore, das Ober- und Niedertor im Osten und Südwesten, sowie die Nebentore wurden durch bewaffnete Wächter geschützt. Auch nachts hielten vier Bürger die Wacht. Zu diesem Dienst mit täglichem Wechsel war jeder städtische Bürger verpflichtet. In Seuchenzeiten wiesen die verstärkten Bürgerwachen jeden zurück, der nicht beweisen konnte, daß er aus "gesunder Luft" kam. Durch solche strengen Gesundheitskontrollen wurde Wormditt mehrere Male in Pestzeiten vor dem Eindringen der Seuche bewahrt, z.B. in den Jahren 1709-11. Da aus dieser Zeit ein Verzeichnis der Personen, die an den Toren Einlaß begehrten, erhalten ist, gewinnt man einen Eindruck von dem lebhaften, bunten Treiben in der Stadt. In der Liste werden z.B. genannt: ein Schwarzwälder Uhrenhändler, ein Tiroler Teppichhändler, zwei italienische Bilderhändler, ein Operateur und Zahnarzt, zwei Medizinhändler aus Danzig, ein Blumen- und Perückenmacher, sechs polnische Holzflößer, drei böhmische Kaufleute, ein russischer Kaufmann mit 47 Knechten und ebenso vielen Wagen auf dem Weg nach Breslau, ein Königsberger Fleischhauer und ein Oletzkoer Jude mit 315 Ochsen auf dem Weg nach Berlin, auch Seiltänzer und anderes "fahrendes Volk". Das bischöfliche Schloß lm äußersten Westen der Stadt bauten die ersten bischöflichen Landesherren im Schutz einer burgähnlichen Befestigung ein bescheidenes Residenzschloß mit den erforderlichen Wirtschaftsgebäuden. Aber nur Bischof Hermann von Prag (1138-49) residierte hier in seinen letzten acht Lebensjahren. Die späteren Landesherren hielten sich mit ihrem Gefolge nur vorübergehend in der Stadt auf. Als ihr Vertreter wohnte dort der Schloßhauptmann oder Burggraf, der verschiedene Aufgaben wahrzunehmen hatte: Er war für die Landesverteidigung verantwortlich, besaß ein gewisses eingeschränktes Aufsichtsrecht über die Stadtverwaltung, war oberster Gerichtsherr, nahm die Zins- und Naturalabgaben entgegen und war zuständig für die Verwaltung des zum Schloß gehörenden landwirtschaftlichen Besitzes (Land, Mühlen, Fischteiche). Erst von 1806 an wurde der Schloßbau abgetragen. Als letzter Teil wurde in den neunziger Jahren der Nordflügel abgebrochen, nachdem dort in den voraufgegangenen 20 Jahren mehrere Klassen der Katholischen Knabenschule ein Ausweichquartier gefunden hatten. Der 1899 fertiggestellte Neubau der Knabenschule (später Mädchenschule) wurde zum Teil auf dem alten Fundament des Schlosses errichtet. Mittelpunkt der Stadt war der geräumige, rechteckige Marktplatz, auf den die rechtwinklig sich kreuzenden Straßen zuliefen. Ihn umrahmten die stattlichsten Häuser, die von Anfang an als Laubenhäuser gebaut waren, das heißt, die oberen Stockwerke ragten um eineinhalb bis zwei Meter über die Erdgeschosse hinaus und wurden durch breite Pfeiler gestützt. In den malerischen Laubengängen spielte sich an den warmen Nachmittagen und Abenden ein gemütvolles familiäres Treiben ab. Das Rathaus Auf dem Marktplatz stand das große gotische Rathaus mit seinem schön gegliederten, vornehmen Staffelgiebel und dem hohen Dach. Der Bau wurde 1376 vollendet und diente in seinem oberen Geschoß der Stadtverwaltung, dem Schöffengericht sowie den Gemeindeversammlungen, im Erdgeschoß und den Kellergewölben verschiedenen anderen Zwecken. Das Rathaus war zugleich das Kaufhaus; hier stellten die Bäcker, Fleischer, Schuster, Tuchhändler und andere ihre Bänke auf; hier stand auch die Stadtwaage. Einige Gewerbetreibende allerdings, so die Krämer und Höker, schlugen ihre Stände nur an den Markttagen in der Nähe des Rathauses auf, er setzten diese Stände aber bald durch leichtgebaute kleine Häuschen, die sich an die Mauern des Rathauses anlehnten. Diese anspruchslosen "Hakenbuden" schienen wie Schwalbennester an den wuchtigen Bau angeklebt zu sein. Die meisten dieser Häuschen sind übrigens bis in -die Gegenwart erhalten geblieben. - Im Rathaus befanden sich noch das städtische Arsenal, der Ratsschatz (der 1637 nur aus etwas Zinngeschirr und sechs silbernen Löffeln bestand!), eine Badestube und einige Lagerräume. Im Turm hängt noch heute die älteste Glocke des Ermlands, die 1384 gegossen wurde. Ein kleiner Dachreiter trug seit 1506 die Feuerglocke. Das Storchennest auf dem Westgiebel scheint schon im 18. Jahrhundert die bekannte Kuriosität des Rathauses gewesen zu sein und hat sogar die Stürme des Zweiten Weltkrieges überstanden. Die Pfarrkirche St. Johannis Daß es in Wormditt schon früh eine kleine Pfarrgemeinde gab, ist urkundlich belegt. Im Jahr 1312 amtierte dort ein Geistlicher namens Heinrich: ihm stand anscheinend weine schmucklose Missionskapelle zur Verfügung (1341 erwähnt). Da die städtische Bevölkerung rasch zunahm, entstand bald der Wunsch, eine größere Stadtkirche zu errichten. Man begann damit in der Zeit, in der Bischof Hermann von Prag in Wormditt residierte (1341-49), und vermutlich berief er aus seiner böhmischen Heimat einen besonders fähigen Baumeister. Jedenfalls wurde die Pfarrkirche nicht im Stil der meisten anderen preußischen Stadtkirchen gebaut, sondern erhielt ihr eigenes Gepräge. Im Gegensatz zu den sonst bevorzugten gotischen Hallenkirchen errichtete man diesen gewaltigen, wahrhaft monumentalen Backsteinbau als dreischiffige gotische Basilika mit erhöhtem Mittelschiff, einem geraden Chorabschluß an der Ostseite und einem mächtigen, wehrhaften Turm an der Westfassade. Schöne Sterngewölbe überspannten die drei Längsschiffe. Die Pfeiler und Gewölberippen wurden mit bunten Ornamenten ausgemalt; farbige Wandfresken zeigten als eine "stumme Predigt" eindrucksvolle Bilder aus der biblischen Geschichte, z.B. das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen und die Austreibung der Wechsler aus dem Tempel. Vom böhmischen Einfluß zeugt das eigenartige Dreifaltigkeitsbild über dem Hauptportal. Die St.Johanniskirche wurde erst 1379, also nach einer langsamen, aber intensiven Bauarbeit fertiggestellt, fast gleichzeitig mit dem Rathaus. Im 15. Jahrhundert, als die Gemeinde weiter wuchs, erhielt die Kirche an ihren beiden Längsseiten den Anbau von neun Kapellen, so daß nun eine fünfschiffige Basilika entstand. Einzelne wohlhabende Bürger, aber auch Innungen und "Bruderschaften" stifteten die Mittel für diese Anbauten. In den Kapellen hatten die verschiedenen "Gewerke" wie die Bäcker. Tuchmacher. Schuhmacher ihre Sitze mit dem z.T. kunstvoll geschnitzten Gestühl. Die Ratsherren und Schöffen fanden im Mittelschiff ihren Platz. Bei der Neugestaltung der nördlichen Außenwand verwandte man einen Schmuck, der sonst selten zu finden ist; die Fläche erhielt einen reich ausgestalteten Bänderfries aus Formziegeln, der teils Blätterranken und Trauben, teils stilisierte Männerund Frauenfiguren darstellte. Die Hospitäler In die Zeit des Bischofs Hermann von Prag fällt auch der Bau zweier Hospitäler außerhalb der Stadtmauern. Das Heilig-Geist-Hospital, jenseits des Obertores gelegen, diente der Aufnahme und Pflege kranker und alter Personen, vorwiegend aus dem Bürgerstand. Das St. Georgshospital, jenseits des Niedertores gelegen, war zunächst als Heim für Aussätzige gedacht, nahm nach Erlöschen des Aussatzes arme Kranke und Greise auf. Der damalige Burggraf schenkte im Jahr 1384 Neiden Hospitälern, die durch Stiftungen unterhalten wurden, je drei Hufen Wald (Hospitalheide und Heilig-Geist-Heide, genannt Melcherwald) und sprach ihnen einen bestimmten Zinsbetrag zu. Das Heilig-Geist-Hospital wurde nach wiederholter Zerstörung durch Kriegstruppen 1520 innerhalb der schützenden Stadtmauer nahe dem Obertor neu aufgebaut. 1880 wurden beide Hospitäler, das städtische der sogenannten Reichen und das vorstädtische der Armen, in einem stattlichen Neubau an der Stelle des verfallenen St. Georgshospitals miteinander vereinigt. Das Kloster der Katharinerinnen Ein klösterlicher Konvent wird urkundlich zum erstenmal 1402 erwähnt. in einem alten Gebäude nahe der südlichen Stadtmauer wohnten Ordensschwestern, die nach der Regel des Hl. Franziskus lebten und ihren dürftigen Lebensunterhalt mit Handarbeit erwarben, z.B. durch Anfertigung von Wachskerzen, und die zusätzlich noch durch Almosen und städtische Zuwendungen unterstützt wurden. Das Haus enthielt 16 Zellen für 16 Nonnen. Als nach etwa 180 Jahren die Braunsberger Bürgertochter Regina Protmann in ihrer Stadt die Kongregation der hl. Katharina aufbaute, wurde der bisherige Wormditter Konvent in diesem Sinne umgewandelt und auch vergrößert. 1587 schenkte der Bischof den Wormditter Katharinenschwestern ein größeres Grundstück und einigen Landbesitz, außerdem regelmäßige Lieferungen von Roggen, Weizen, Holz, Heu und anderem. Es war die Vergütung für die Unterrichtstätigkeit bei der weiblichen Jugend, denn sie unterrichteten die Mädchen in "guten Sitten", in Religion, Lesen, Schreiben und Handarbeiten. Anfänge schulischer Bildung Die ersten Spuren einer Schule lassen sich in einer Urkunde des Jahres 1343 feststellen, in der von der Aufnahme eines Bürgersohnes in die bischöfliche Hofschule im Worrnditter Schloß die Rede ist; doch diese Schule siedelte bald nach Heilsberg über. Dennoch muß im 14. Jahrhundert eine städtische Pfarrschule bestanden haben. (Namentliche Nennung von 40 Wormditter Studenten an deutschen und ausländischen Universitäten bis zum Jahre 1525.) In solchen Schulen lehrte man in engem Zusammenhang mit der Kirche hauptsächlich Religion. Latein und Musik. Die lateinische Sprache war nicht nur für das kirchliche Leben, sondern bis in die frühe Neuzeit hinein für jede schriftliche Äußerung von Bedeutung. Ein Stundenplan von 1581 besagt, daß der Unterricht täglich um 6 Uhr begann, nach einer längeren Mittagspause um 1 -Uhr fortgesetzt wurde und daß kleinere Schüler am Sonntagnachmittag in der Kirche Gebete und Stücke der Glaubenslehre in deutscher Sprache laut hersagen mußten, damit auch die anderen Jungen und Mädchen aus der Stadt, die keine Schule besuchten, etwas lernen konnten. Eine allgemeine Schulpflicht gab es ja noch nicht. II. Die Stadt Wormditt unter wechselnden politischen Verhältnissen 1. Das Bistum Ermland unter der Schutzherrschaft des Deutschen Ritterordens (1308-1466) Existenzgründung und wirtschaftliche Entwicklung Abgesehen von einem kriegerischen Einfall der Litauer 1311 ins Ermland, waren der Stadt zu Anfang ihrer Geschichte rund 100 Friedensjahre beschieden, in denen sich jeder eine sichere Existenz schaffen konnte und die Bürger sich mit bewundernswerter Tatkraft an die drei größten Bauvorhaben heranwagten: an die Errichtung der Mauer, des Rathauses und der Pfarrkirche. Auch sonst entfaltete sich eine erstaunliche Bautätigkeit. Das wirtschaftliche Leben entwickelte sich gut, ein lebhafter Tuchhandel brachte Gewinn. Die Worrnditter Großkaufleute bezogen durch den Schäffer des Ritterordens, d.h. den für den Eigenhandel des !Ordens zuständigen Amtsträger, ihre fremden Tuche aus Flandern, Holland, England und Westfalen und dehnten ihren Absatz in andere ostpreußische Städte aus. Für kurze Zeit, als Bischof Hermann von Prag in Wormditt wohnte, erlebte die Stadt sogar den bescheidenen Glanz einer fürstbischöflichen Residenz. Städtische Verwaltung und Justiz Das kulmische Recht, das der Stadt gewährt worden war, ließ der Selbstverwaltung der Bürger einen weiten Spielraum. Die kommunale Regierung bestand (laut einer Urkunde von 1388) aus dem Kollegium der sechs (später 12) Ratsmänner sowie zwei Bürgermeistern, die sich alle zwei Jahre beim Vorsitz der Ratsversammlung abwechselten. Als sonstige Aufgabe des zweiten Bürgermeisters wird einmal die Inspektion der Stadtfelder genannt. Bei besonders wichtigen Angelegenheiten berief der Rat noch den Gemeindeausschuß der "Zwölfmänner" oder "Guten Männer" ein. Hinzu kam das angesehene, einflußreiche Amt des Stadtschreibers. (Amtliche Korrespondenz wurde vorwiegend in Lateinischer Sprache verfaßt.) Alle Ratsmitglieder, auch der präsidierende Bürgermeister übten ihre Tätigkeit ehrenamtlich aus; sie erhielten lediglich gewisse "Sparfein", d.h. Holz aus dem Stadtwald oder Standgelder, Torgelder und Gerichtssporteln, und gingen im übrigen ihren sonstigen Berufen nach; sie waren z. B. Handwerksmeister, Kaufleute oder Ackerbürger. Bürgermeister und Ratsmänner wurden auf Lebenszeit gewählt. Ähnliches gilt für die Beauftragten des Gerichts, d.h. den Stadtrichter und die drei (später sechs) Schöffen; sie waren für das Amt, in das sie durch Wahl eingesetzt wurden, nicht juristisch vorgebildet und urteilten nach "Vernunft, Billigkeit und Gewohnheit" gemäß dem kulmischen Landrecht. Ihr Ehrenamt brachte ihnen nur einige Sporteln ein. Advokaten gab es nicht: Das Kriminalgericht um "Hals und Kragen" unterstand zunächst dem Landgericht unter Vorsitz des bischöflichen Landvogts und wurde erst in späteren Jahrhunderten dem Schöffengericht übertragen. Das Wormditter "Hochgericht", d.h. die Richtstätte, befand sich in einiger Entfernung von der Stadt an der Straße nach Wagten. Wenn das Kriminalgericht ein Todesurteil gesprochen hatte, was bei schweren Verbrechen wie Mord, Brandstiftung und wiederholtem schwerem Diebstahl der Fall war, wurde die Strafe auf dem "Galgenberg" durch den Scharfrichter vollzogen. Die Hinrichtungen geschahen damals meistens öffentlich und sollten zugleich als Sühne und Abschreckung dienen. Aus Neugier pflegten die Menschen von nah und fern zusammenzuströmen und auf den Zeitpunkt zu warten, zu dem der verurteilte Schwerverbrecher den Tod erleiden sollte. Die ehrsamste Strafe war die Enthauptung mit dem Schwert. Mörder und Brandstifter wurden "gerädert", oder sie wurden auf einem Scheiterhaufen verbrannt; schwerer Diebstahl wurde meist mit dem Tode am Galgen gesühnt. In der Nähe dieser unheimlichen Stätte stand die Jerusalemskapelle, die 1606 zum erstenmal urkundlich genannt wird. Die jetzige Kapelle stammt aus dem Jahr 1829. Sie enthielt wertvolle Bildhauerarbeiten, z.B. Kreuzigungsgruppen. Solche Jerusalemskapellen entstanden im Ermland aus dem Bemühen heraus, das Leiden Jesu Christi aus dem Heiligen Land in die eigene Heimat zu übertragen, um deutlich zu machen: Christus hat auch in unseren Städten um unserer Sünden willen gelitten. (Vgl. Dr. Gerhard Reifferscheid. Die Johannisbasilika in Wormditt. 1979. Erläuterung Nr. 5)
Als der Deutsche Ritterorden, der Schirmherr des Bistums, im Jahr 1410 bei Tannenberg den Angriffen der vereinigten Großmächte Polen und Litauen erlag, wurde auch das Ermland in die Katastrophe hineingerissen. Nach einer kurzen Zeit der Ruhe begann ein verheerender Bürgerkrieg. Preußische Städte. unter ihnen auch Wormditt. schlossen sich - vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen - mit dem Landadel zu einem Bund zusammen, der gegen den Ritterorden gerichtet war. Verhängnisvoll für die Zukunft wurde es, daß der Führer des Städtebundes den polnischen König um Beistand bat und ihm als Lohn die Oberherrschaft über Preußen anbot. Daraufhin erklärte der König dem Orden den Krieg; gleichzeitig verkündigte er die Vereinigung Preußens mit- dem polnischen Reich. In dem folgenden dreizehnjährigen Kampf hatte die Stadt mehrmals unter der Besetzung durch verbündete, z.T. böhmisch-hussitische Söldnertruppen zu leiden. Einer dreitägigen Belagerung durch das Ordensheer (1459) konnte sie zwar standhalten, wurde dann aber durch die zuchtlosen Besatzungstruppen der eigenen Verbündeten aufs schwerste geschädigt. Der Ort und das Schloß wurden ausgeplündert, viele Bürger erschlagen. Im z. Thorner Frieden mußte der Deutsche Ritterorden auf den westlichen Teil des Ordensstaates (das spätere Westpreußen) und das Hochstift Ermland verzichten und behielt das übrige Ostpreußen als polnisches Lehen. Damit schied der ermländische Kleinstaat aus dem Verband des Ordensstaates aus und trat unter den Schutz des polnischen Königs, blieb aber ein selbständiger Staat, wogegen Westpreußen dem polnischen Staat bis 1772 als "Königliches Preußen" einverleibt wurde. In den Kämpfen war ungefähr die Hälfte der Ermländer umgekommen. 2. Das Fürstbistum unter polnischer Oberhoheit (1466-1772) Die Bürgerschaft blieb deutsch Ein Vertrag mit dem polnischen König legte fest, daß die altermländischen Rechte und Freiheiten gewahrt bleiben sollten. Dennoch eignete sich die polnische Krone nach und nach manche Hoheitsrechte an, z.B. durften von 151 -an nur polnische Bischöfe als ermländische Landesherren gewählt werden. Die ermländische Bevölkerung blieb aber rein deutsch. In Wormditt konnte nach wie vor nur derjenige das Bürgerrecht erkälten, der u.a. "von guter deutscher Nation und Zunge" war. Ebenso gab es auch nur deutsche Bürgermeister, denn die bischöflichen Landesherren respektierten zu allen Zeiten das kulmische Recht der kommunalen Selbstverwaltung. Die Burggrafen dagegen, Verwalter des bischöflichen Kammeramtes und Vertrauensmänner des Landesherren, waren vielfach Polen. Dez letzte Wormditter Burggraf Joachim von Boznanski (1770-72) soll nicht einmal deutsche Sprachkenntnisse gehabt haben. Das Ende des Ordensstaates Zweimai versuchten deutsche Hochmeister, die polnische Lehnsabhängigkeit abzuschütteln, und beide Male wurde Wormditt in die kriegerischen Auseinandersetzungen hineingezogen; es wurde von wechselnden Parteien als Stützpunkt benutzt, mehrmals belagert, besetzt, ausgeplündert. Im Jahr 1520 war die Stadt einem schweren Bombardement durch die Belagerungstruppe des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg ausgesetzt. bis der polnische Kommandant kapitulierte. Die Erhebungen des Ordens führten insgesamt jedoch zu keinem Erfolg. Nach dem Friedensschluß mit Polen (Krakau 1525) verwandelte Albrecht von Brandenburg den Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum. Er selbst war zum protestantischen Glauben übergetreten und führte nun in seinem gesamten Herrschaftsgebiet die Reformation ein. Damit wurden dem ermländischen Bischof zwei Drittel seines geistlichen Bistums entzogen, d.h. seine Diözese wurde bis Anfang des 17. Jahrhunderts auf das Hochstift Ermland reduziert. In dem nun folgenden Jahrhundert des Friedens nahm das wirtschaftliche Leben einen neuen Aufschwung, und die Wormditter Bürger erreichten wieder einen gewissen Wohlstand. Daß die Lehren der Reformation hier nicht Eingang fanden, kann zum großen Teil auf die missionarische Tätigkeit der Braunsberger Jesuiten zurückgeführt werden, die Bischof Hosius zu seiner Unterstützung ins Ermland geholt hatte. Der Dreißigjährige Krieg Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) brachte dann wieder Unheil über das Land. Thronstreitigkeiten mit dem polnischen König veranlaßten Gustav Adolf von Schweden 1626 dazu. mit 200 Schiffen im Ostseehafen Pillau zu landen und gegen das Ermland vorzurücken. Sein rascher Siegeszug führte ihn auch vor Wormditt. Nach einigen kürzeren Belagerungen und Besetzungen der Stadt durch Schweden oder Polen kam es 1627 hier zu der schwersten Belagerung, die die Bevölkerung bisher erlebt hatte. König Gustav Adolf zog von Norden mit einer kriegserfahrenen Streitmacht von 6000 Mann und den z. T. neuartigen Geschützen heran. Ihm standen in der Stadt unter polnischem Kommando ca. 1000 deutsche und schottische Söldner, 300 Kosaken und 200 Wormditter Bürger gegenüber. Der Ansturm dauerte acht Tage, das Bombardement mit Stein- und Eisenkugeln richtete große Schäden an. Nachdem die Schweden einen Mauerturm gesprengt hatten. erstürmten sie die Stadt. und der König konnte als Sieger einreiten. Der bisherigen Besatzung gestattete er. frei abzuziehen: der eigenen Truppe überließ er die Stadt zur Plünderung. Der Zweite Schwedenkrieg (1655 - 1660) Mehrere Jahre später brach der Zweite Schwedenkrieg aus. Da dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg als dem Herzog von Preußen eine Teilnahme am Krieg auf polnischer Seite geboten erschien, zog er mit seiner Streitmacht den Schweden entgegen. Außer anderen Bistumsstädten besetzte er auch Wormditt. Später legte er eine Garnison in die Stadt, und so hatten die Bürger, wie sie in einem Beschwerdebrief an den kurfürstlichen Kommissar klagten. durch hohe Kontributionen und eine jahrelange Einquartierung eine "große und unerträgliche Überlast und Bedrängnis" zu ertragen, so daß sie es nicht länger aushalten konnten, sondern "Haus und Hof verlassen müßten, falls ihnen nicht geholfen würde". Nach dem Frieden von Oliva (1660) war Altpreußen (ohne Westpreußen) von der polnischen Lehnshohheit befreit, doch das Bistum Ermland blieb weiterhin unter polnischer Oberhoheit. Im Siebenjährigen Krieg (1756-63) setzten sich wieder feindliche Heere im Ermland fest: russische Reiterregimenter schlugen 1760 in Wormditt ihr Quartier auf. Erst nach dem Friedensschluß des Zaren Paul III. mit Friedrich dem Großen (1762) verließen die Russen den Kriegsschauplatz. Neue Landesordnung Um die ermländische Wirtschaft neu zu beleben und Reformen durchzuführen, berief Fürstbischof Grabowski im Jahr 1766 eine Versammlung bewährter Männer nach Wormditt ein. Das Ergebnis dieser Beratung war eine neue ermländische "Landesordnung"; unter anderem wurde die Gründung einer Feuerkasse, einer ländlichen Depositenkasse und einer Briefpost beschlossen. Diese Post ging zweimal wöchentlich von Braunsberg ab. traf nach fünf Stunden in Mehlsack ein und erreichte durch den Postillon in drei Stunden Wormditt. Hier gabelte sich der Postverkehr; eine Linie ging nach Heilsberg, Seeburg, Bischofstein und Rößel. die andere Linie über Guttstadt nach Allenstein. 3.Das Fürstbistum Ermland als Teil des preußischen Staates (1772-1918) Säkularisation des Fürstbistums Als sich Rußland. Österreich und Preußen am 5. August 1772 über die erste Teilung Polens geeinigt hatten. ließ Friedrich der Große bereits am 13. September durch seine Kommissare und Soldaten von dem Fürstbistum Besitz ergreifen. Der geistliche Kleinstaat wurde säkularisiert und fand damit nach 500jährigem Bestehen sein Ende, schied aus dem polnischen Staatsverband aus. Die ersten Erfahrungen, die Wormditt mit dem neuen Staat machte. riefen in der Bevölkerung große Verwunderung hervor; so viel Bürokratie waren sie nicht gewohnt: In der Stadt erschien ein Landrat mit einigen Erhebungsbeamten. die vom Kammeramt Wormditt peinlich genaue Listen über die Einwohner und deren Besitz an Haus, Hof, Acker, Vieh und allen möglichen Dingen erstellten, um genaue Unterlagen für eine reue Steuerordnung zu erhalten. Für den Chronisten ist diese Statistik, genannt "Landeserfassung", heute eine wichtige Fundgrube von Daten, die einiges über das damalige Leben in der Stadt aussagen.
Bürger und Einsassen Im Jahr 1772 wurden in Wormditt 1978 Einwohner gezählt, aber nur 227 eigentliche "Bürger" im engeren Sinn des Wortes; denn zu ihnen gehörten nicht die Frauen, Kinder, Gesellen, Knechte und Mägde, ebensowenig die 111 Tagelöhner, die als "Einsassen" geführt wurden. Die 71 "Bürger" in der Vorstadt wurden gesondert aufgeführt, denn der Status eines "Vorstadtbürgers" war juristisch und wirtschaftlich von einer anderen Qualität als der eines "Bürgers" innerhalb der Stadtmauern. Wer sich in der Vorstadt niederließ, konnte zwar, sofern er Handwerksmeister war, durch eine Geldzahlung das Bürgerrecht erwerben; damit kam er aber noch lange nicht in den Genuß aller Rechte eines "Stadtbürgers" (Besitz eines Radikalgrundstücks, kostenfreier Bezug von Brennholz aus dem Stadtwald, uneingeschränkte Nutzung der Stadtweide). - Die Pflichten des "Bürgers" bestanden unter anderem im Ablegen eines besonderen Treueides, im Bereitstellen der vorgeschriebenen Ausrüstung für den Kriegsfall, in der Entrichtung des "Zinses", der persönlich abgeliefert werden mußte, in der Leistung von Spanndiensten für städtische Äcker und Einrichtungen und im Wachtdienst. (Anmerkung: "Radikal" ist hier in der Bedeutung von "fest verbunden". "verwurzelt" (lat. radfix = Wurzel) zu verstehen. In der Bevölkerung wurden die Radikalgrundstücke Hausmorgen (Hausmorjes) genannt. Seit Gründung der Stadt gehörte zu jedem Haus innerhalb der Stadtmauern je nach Hausgröße ein etwa zwei bzw. vier Morgen großes zinsfreies Grundstück. das nach dem Willen des Stadtgründers für alle Zeiten mit dem Haus verbunden bleiben sollte. Es ;ab diese Grundstücke in Wormditt. etwa 200 an der Zahl. bis zuletzt. sie lagen im Westen der Stadt bis zur Wagtener Grenze hin. Die Besitzer solcher Grundstücke nannte man "Radikalisten".) Die Wohngebäude wurden in der Statistik je nach Standort, Größe und baulicher Ausführung in verschiedene Kategorien eingeteilt: In der Stadt, d.h. innerhalb der Stadtmauern, gab es 59 ganze und 123 halbe Häuser, neun kleine Buden und 13 Hakenbuden am Rathaus; in den Vorstädten wurden 95 und in der Pillau 11 Häuser gezählt, insgesamt 310 Feuerstellen. Die Zahl der Kinder unter zwölf Jahren betrug zu dem Zeitpunkt 616.
(Anmerkung:
Die Bezeichnung "ganzes Haus" bzw. "halbes Haus" geht zurück auf die ersten Siedler. die sich in Wormditt niederließen.
Nicht jeder brachte soviel Geld mit. um sich eine ganze Hofstelle kaufen zu können: so teilte der Schulze auf Wunsch eine
Hofstelle in zwei halbe.)
In den Listen der "Landesaufnahme" werden die 36 Meister des Tuchmachergewerbes hervorgehoben; als Gewerbe werden im besonderen noch die Wollfabrikation und der Garn- und Federhandel angegeben. Den Tuchmachern stand eine eigene Walkmühle zur Verfügung. Zur Stadt gehörten außer den :Mahl- und Schneidemühlen auch eine Gerberoder Lobmühle (Wassermühlen). Im 19. Jahrhundert kam eine Tabaksmühle hinzu.
Die neue Verwaltungsstruktur Durch die politische Veränderung ergab sich auch eine Umgestaltung der obrigkeitlichen Verhältnisse in Wormditt, Der ermländische Bischof war jetzt in seiner Amtsführung nur auf seine rein geistlichen und kirchlichen Machtbefugnisse beschränkt; die weltliche Gewalt ging auf die preußischen Könige über, die eine völlige Neuordnung der städtischen Verwaltung und Rechtspflege vornahmen. Wormditt. wurde dem Kreis Braunsberg und dieser dem Ostpreußischen Kammerdepartement in Königsberg zugeteilt. Zunächst wurden von der Regierung Fremde mit dem Amt des Polizei- und Justizbürgermeisters beauftragt, das dieser nun hauptberuflich ausübte. Ihm zur Seite stand ein ebenfalls von der Regierung ernannter Rat, der aus dem Stadtkämmerer, Stadtschreiber und zwei Bürgern bestand. Der letzte Burggraf des Kammeramtes Wormditt, von Bosnanski, wurde zu Michaelis 1773 durch den Amtmann Andreas Hintz aus dem Oberland ersetzt. Zum Kammeramt Wormditt gehörten außer der Stadt Wormditt 12 Güter und 14 Landgemeinden. Sitz des Amtes war die königliche Domäne Kleinhof, das spätere Gelände der evangelischen Kirchengemeinde. Selbstverwaltung der Städte Im November 1808 erließ die preußische Regierung die segensreiche Städteordnung, die noch bis 1933 Grundlage unserer städtischen Verfassung war. Die Leitung der städtischen Angelegenheiten kam nun in die Hände der Stadtverordneten und des Magistrats. Der hauptberuflich tätige und besoldete Bürgermeister wurde von den Stadtverordneten gewählt, maßte aber noch von der Regierung bestätigt werden. Der erste Bürgermeister der neuen Zeit war Ludwig Schorn (18Ö9-13), vermutlich ein Braunsberger. Zu Beginn des Jahres 1809 wählte die Bürgerschaft 14 Stadtverordnete. Die Justiz wurde von der Verwaltung getrennt und einem rechtsgelehrten königlichen Kreis- bzw. Amtsrichter übertragen. Der Napoleonische Krieg Die allmählich fortschreitende Entwicklung unter der neuen Regierung wurde dann durch den Krieg Napoleons gegen Preußen (1806/07). in dem die französische Armee nach Ostpreußen vordrang, unterbrochen. Wormditt lag monatelang im Kampfgebiet, maßte eine französische Besatzung ertragen. hohe Kontributionen leisten, und die Einwohner wurden, wie eine alte Chronik berichtet, mehrmals "sämtlichen lebenden und toten Inventars und aller ihrer Habe beraubt". Durch Hunger und Krankheit starben damals allein in einem Jahr (1807) von den 2400 Einwohnern 643 Personen, mehr als ein Viertel der Bürgerschaft. - Doch nach dem Tilsiter Frieden begab man sich in unverdrossener Arbeit an den wirtschaftlichen Wiederaufbau. Die friedliche Zeit dauerte allerdings nur vier Jahre. Bei Napoleons Feldzug gegen Bußland (1812) durchzogen wieder Truppen die Provinz Ostpreußen. Es war ein buntes Völker-, Sprachen- und Uniformengemisch. Zu diesem Teil des französischen Heeres gehörte auch ein preußisches Hilfskorps von 20 000 Mann, das auf drei getrennten Straßen marschierte, von denen die mittlere über Wormditt führte. Wie schon so oft mußten gewaltige Proviantmengen für Mensch und Tier aufgebracht werden. Die überlieferten Zahlen sprechen für sich: Das in Wormditt eingerichtete Magazin war Monate hindurch mit täglich 700 großen Broten zu beliefern; zeitweise mußte eine Einquartierung von 4337 Mann und 169 Pferden möglich gemacht werden. In einem Monat waren es 7800 Mann - gegenüber einer Einwohnerzahl von damals rund 1800 Personen. In einem anderen Monat mutete man der Stadt sogar den Durchzug von 29 500 Mann und 14 200 Pferden zu. Der Bevölkerung fehlte es am Nötigsten, und es blieb ihr vielfach nichts anderes übrig, als das eigene Brot durch Kräuter und Baumrinde zu strecken. - Als nach der Katastrophe vor Moskau die aufgelöste französische Armee zurückflutete und einige Truppenteile auch durch Wormditt kamen, setzten die Zwangsablieferungen von neuem ein: Man verlangte Weizen, Hafer, Roggen, Erbsen, Heu, Stroh, 10 Rinder, 5134 Pfund Rindfleisch, 8260 Brote, Bier, Branntwein, 133 Pferde und - für das Königsberger Provinziallazarett - 1972 Ellen feine und grobe Leinwand. Kraftvolle Stadtentwicklung Die Kriege der Jahre 1812/13, 1864, 1866 und 1870/71 wurden fern von Wormditt ausgetragen, so daß sich nun eine fast friedliche Periode von rund 100 Jahren ergab, in der die Entwicklung der Stadt kräftige Fortschritte machte. Handel und Wandel belebten sich. Die Bevölkerung wuchs in diesem Jahrhundert auf mehr als das Doppelte an. Wenn auch im allgemeinen alte Bürgertugenden wie Fleiß, Sparsamkeit und Genügsamkeit das Leben in gewissem Maße prägten. verstand man es doch auch sehr gut, Feste zu feiern. So veranstaltete man z.B. am Jahrestag der 50jährigen Zugehörigkeit des Ermlandes zu Preußen ein großes Volksfest mit Gottesdienst, Festumzug, Tanz auf der Wiese. Illumination und einem prächtigen Bürgerball. Ein besonderer Anlaß zum Feiern fand sich öfter, so bei dem Besuch des Bischofs Josef von Hohenzollern oder des Königs Friedrich Wilhelm IV., der zweimal nach Wormditt kam und zu dessen Empfang die Stadt mit Girlanden. Triumphbögen, Tannenbäumchen, Blumen und wehenden Fahnen geschmückt wurde. Besonders feierlich begingen die Wormditter "aus Pflichtgefühl und Verehrungseifer" den 18. Oktober 1861, an dem in Königsberg die Krönung König Wilhelms I. stattfand. Die Wormditter bemühten sich, gute Preußen zu sein. Nach 1772 waren zunehmend Bürger protestantischen Glaubens und auch Juden nach Wormditt gezogen. Das evangelische Gotteshaus (1830 fertiggestellt) und die Synagoge (1849) wiesen darauf hin, daß Wormditts Stadtgemeinde nun nicht mehr mit der katholischen Pfarrgemeinde identisch war; eine 500jährige Tradition ging zu Ende. Aber die Wormditter. zeigten sich der neuen Entwicklung gegenüber aufgeschlossen: Als am 3.August 1829 der Grundstein zur evangelischen Kirche gelegt wurde, unterstützten die Glocken der katholischen Pfarrkirche die Feier mit festlichem Geläut. Seit der Mitte des 19.Jahrhunderts fanden dann nach und nach weitere seit dem Mittelalter bestehende bürgerliche Traditionen ihr Ende: Mit der einschneidenden Agrarreform (Separation 1846) gaben Wormditts Bauern die mittelalterliche Dreifelderwirtschaft auf; 1868 wurde der Bürgerwachtdienst von vier besoldeten Nachtwächtern abgelöst; das Ende der bürgerlichen Pflichtfeuerwehr war bereits abzusehen, als 1888 die Freiwillige Feuerwehr auf den Plan trat. Auch das Stadtbild änderte sich zusehends. Die mittelalterliche Ringmauer mit den engen Stadttoren hatte ihre ursprüngliche Bedeutung verloren, wurde zum Hindernis für den Verkehr. Die beiden Stadttore wurden um die Mitte des 19. Jahrhunderts abgebrochen; zur gleichen Zeit durchbrach man im Süden und im Norden an zwei weiteren Stellen die Mauer, um Wormditt an die Guttstädter bzw. Braunsberger Chaussee anzubinden. Mit der zweiten Drewenzüberquerung rückten die Pillau und die nördliche Vorstadt näher an das Stadtzentrum heran: im Süden aber wurde mit der neuen Chaussee ein neues Wohngebiet erschlossen: die Neustadt. Den neuen Straßen maßen Wormditts Stadtväter und Geschäftsleute mit Recht eine_ größere Bedeutung als die einer rein innerstädtischen Verbesserung zu: Wormditts wirtschaftliche Entwicklung war abhängig von einer guten Verkehrsverbindung zu dem Verwaltungs- und Handelszentrum Königsberg. Darum kämpften sie auch um den weiteren Ausbau dieser neuen Chaussee in Richtung Norden weit über die eigene Stadtgrenze hinaus; der Fabrikbesitzer Grunenberg tat sich als Vorkämpfer für diese Sache hervor, und den Stadtverordneten war sie der ansehnliche Betrag von 5000 Talern wert, von denen 3000 Taler als zweckgebundener Zuschuß für den Ausbau des Teilabschnitts Mehlsack Zinten galten. Wormditter Geschäftsleute stifteten von sich aus zusätzlich noch den Betrag von 1253 Talern. Seit dem Anschluß Wormditts an das Telegraphennetz (1868) und später an das Bahnnetz (1884) rückte das moderne Zeitalter der Technik und des Verkehrs immer näher. Bis zur Jahrhundertwende entwickelte sich die Stadt zu einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt. Seit 1901 erstrahlte in Wormditt das elektrische Licht (20 Jahre früher als in anderen ermländischen Gemeinden). 1911 wurde das große Werk der Wasserleitung (Wasserturm mit Pumpstation in der Oberheide) und Kanalisation in Betrieb genommen. Auch mit dem Bau der Vollkanalisation stand Wormditt damals im Kreise der Kleinstädte einzig da. Besonders schwierig an diesem Bau war die Verlegung der Abwasserrohre unter der Drewenz her vor der Schleuse der Kov-Mühle. Die zweite große Schwierigkeit war die Weiterführung in der ansteigenden Elbinger Straße. Hier lagen die Rohre bis 20 Meter unter dem Straßenniveau. Zahlreiche Gebäude gestalteten das Stadtbild immer stärker um. Neben vielen Privathäusern wurden in dieser Zeit errichtet: das St.Elisabeth-Krankenhaus (1875/1899), der Anbau des Katharinerinnenklosters (1860/61), die Heilstätte St. Andreasberg (1901/1928), die Katholische Mädchenschule (1889), die Katholische Knabenschule (1899), die Kaplanei (1897/98), das Amtsgericht (1905) und die Oberförsterei (1907). - Das amtliche städtische Mitteilungsorgan war das seit 1880 bestehende Lokalblatt, die "Wormditter Zeitung". Der Erste Weltkrieg Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914-18) wurde zum Schutz der Wormditter Bevölkerung dort eine Kompanie deutscher Infanterie stationiert. Am 31. August 1914 entwickelte sich im Nordosten der Stadt in der Nähe von Krossen ein heftiges Gefecht zwischen einem russischen Reiterregiment und der kleinen deutschen Truppe mit ihren Hilfskräften. Im Zusammenhang damit wurde die Stadt auch durch Artillerie angegriffen. Die Njemenarmee hatte unmittelbar vor Wormditt den westlichsten Punkt ihres Vormarsches erreicht. Doch die deutschen Kompanien konnten sich gegen die russische Übermacht halten, bis der Feind sich - wohl wegen der Nachricht von der Niederlage der Narewarmee bei Tannenberg - überraschend zurückzog. Wegen des Versorgungsmangels in den folgenden vier Kriegsjahren wurden Lebensmittelkarten und Bezugscheine für bestimmte Waren ausgegeben. Die Schüler sammelten Ähren, Brennesseln, . Altpapier, Eicheln, Kastanien, Pflaumensteine, Frauenhaar und anderes. Der politisch-militärische Zusammenbruch trat dann Ende 1918 ein; der Kaiser dankte ab, die Republik wurde ausgerufen. 3. Wormditt in der Zeit der Weimarer Republik (1918-1930) Die "Revolution" verläuft ruhig Die Unruhen, die in der politischen Übergangszeit auch - in Wormditt ausbrachen, hielten sich in Grenzen. Ein Arbeiterrat, d.h. ein Ausschuß von 20 Bürgern aus verschiedenen Berufsständen, und eine Einwohnerwehr von 247 Männern sorgten nach Kräften für Ordnung. Bürgermeister Frans war zwar gewähltes Mitglied des Arbeiterrates, aber als Leiter der Stadtverwaltung wurde er praktisch ausgeschaltet. Da zog der Siebzigjährige es vor, in Pension zu gehen. Schon am 21. Mai 1919 erlag er bei einem Spaziergang im Melcherwald einem Schlaganfall. Bürgermeister Frans hatte sich in seiner 35jährigen Amtszeit große Verdienste um die Stadt erworben. Zu der modernen Entwicklung Wormditts in der Zeit um die Jahrhundertwende hat er entscheidende Impulse gegeben. Gerhard Weichert (aus Gerhard Weichert, Erinnerungen eines alten Wormditters. in Ermländischer Hauskalender 1953. S.189) Bürgermeister Frans und das "Kneefchespeel" Der Haupttummelplatz der Vorstadtkinder von Wormditt war die Straße, die ihnen ganz gehörte. Hier spielten sie Klippchen und Schlagball. Mit besonderer Leidenschaft aber gaben sie sich dem "Kneefchespeel" (Knopfspiel) hin. Man buddelte ein Loch in die Erde und zog einen Kreis herum. Die Spieler setzten je einen Knopf in das Loch und hauten der Reihe nach mit einem besonders wuchtigen Knopf, einem "Hauerz", hinein. Wenn dann einer oder mehrere der gesetzten Knöpfe aus dem Loch und über den Kreis sprangen, so steckte sich der Gewinner diese Knöpfe in die "Fupp". Um diese Zeit hatte sich der Bürgermeister Frans ein Fahrrad gekauft. Es kostete an die 300 Mark. Er war sehr stolz auf das teure Rad und fuhr viel herum, häufig mit AllheilRufen begrüßt. Der Bügermeister war ein Feind des "Kneefchespeels", wegen der vielen Löcher und weil die Jungen den Weg versperrten und die Erwachsenen auf die Straße gehen mußten. Außerdem ärgerten den Herrn Bügermeister die vielen Hühner auf der Straße. Er fuhr also fast täglich in die Vorstadt, um die Hühner und die Jungen zu "schichern". Wenn er am Herbergskrug um die Ecke bog, rief schnell einer der Kneefchespeeler: "Da Börgemeesta kömmt offem Flizzepeh", und alle waren wie weggeblasen. Eines Tages mußte der Herr Bürgermeister wohl besonders zornig gewesen sein. Er gab sozusagen seinem Stahlroß die Sporen, und als er am evangelischen Kirchhofzaun, wo besonders viele Löcher waren, entlangfuhr, kippte das Rad um, und der Herr Bürgermeister "wusch hin". Er schimpfte furchtbar. Am nächsten Tag schickte er den Polizeisergeanten Behrendt in die Vorstadt. Der stellte sich zuerst am Kirchhofzaun hin, wo es geschehen war, klingelte lange mit der Handschelle und rief: "Bekanntmauul! Das sogenannte Knopfspiel gefährdet die Sicherheit auf der Straße und wird hiermit strengstens untersagt. Zuwiderhandlungen werden bestraft. Der Bügermeister Frans. " Dann ging der Polizeisergeant Behrendt weiter, und als er am Kaufmann Lachermund, wo auch viele "Knopflöcher" -waren. von neuem haltmachte, ging es an dem evangelischen Kirchenzaun schon wieder los. "Öch sai zueerscht dran ", sagte einer, und während die kneef aus der Fupp ins Loch wanderten, vernahm man aus der Ferne bruchstückweise die Stimme des Herrn Polizeisergeanten " ... strengstens untersagt. Zuwiderhandlungen ... bestraft." Der Bürgermeister Frans holte sich bei seinem Kampf gegen das Kneefchespeel die schwerste Niederlage seiner Amtszeit. Nach diesem Mißerfolg fuhr er nur noch selten mit seinem "Flizzepeeh" durch die Vorstadt. Otto Fedtke wird Bürgermeister Otto Fedtke war schon von 1908 bis 1912 Stadtsekretär in Wormditt gewesen, hatte dann aber von der Verwaltung seinen Abschied genommen, um in Wagten eine inzwischen gekaufte Ziegelei zu führen. Als nun aber Wormditts neugewählter Bürgermeister Kutschkow bereits im August 1919 sein Amt freiwillig niederlegte, holte man Fedtke als Kenner der Wormditter Verhältnisse 'ins Rathaus zurück und bat ihn, die Stadtregierung zu übernehmen. Fedtke ging sofort mit Energie an die Arbeit und ließ sich nicht von den vielen Schwierigkeiten entmutigen. Die Wirtschaft war völlig zum Stillstand gekommen; es herrschten große Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Mangel an Lebensmitteln und Waren. Die hohe Zahl der Sterbefälle (205) im Jahr 1919 läßt wie in den Kriegsjahren auf Unterernährung schließen. Die große Not wurde noch durch den Zuzug von fast 900 Flüchtlingen aus den an Polen abzutretenden Gebieten verschärft. Arbeitslosigkeit Bürgermeister Fedtke sah in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit seine vordringlichste Aufgabe. Es gab zu Beginn der zwanziger Jahre noch keine Arbeitsämter und somit auch keine staatliche Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge; alles das lag in den Händen der Stadtverwaltung. Als erste Arbeitsbeschaffungsmaßnahme wurden zusätzliche und umfangreiche Holzeinschläge in den städtischen Forsten angeordnet. Dazu wurden für eine längere Zeit zahlreiche Arbeiter eingestellt. Die vermehrte Holzanlieferung belebte gleichzeitig den Betrieb der ortsansässigen Sägewerke, die ebenfalls wieder eine größere Zahl von Arbeitern einstellen konnten. Die Bauern, die mit ihren Gespannen das Langholz zu den Sägewerken fuhren, konnten sich ein paar Mark dazuverdienen. Viele Arbeitsplätze konnten durch Ankurbelung der privaten Bauwirtschaft wieder aktiviert werden. Die Stadt half dabei mit Bürgschaften und Darlehen. So nahmen auch wieder die Wormditter Ziegeleien die Produktion auf und stellten Arbeiter ein. (Stadtinspektor Josef Weide, Ermlandbriefe. Sommer 1961) 1920 setzte von neuem eine rege Bautätigkeit ein. Damit die Bauvorhaben nicht durch zu lange Bearbeitungszeiten auf dem Kreisbauamt in Verzögerung gerieten. übertrug der Kreis der Stadt Wormditt die Zuständigkeit in ihren eigenen Bausachen. 1920 wurde das Stadtbauamt eingerichtet. Die Inflationskrise Doch die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung wurde schon in ihren Anfängen gestoppt: alle Berechnungen und Pläne waren plötzlich hinfällig durch die fieberhaft zunehmende Geldentwertung. Das Porto eines Briefes unter 20 g kostete z.B. am 1.8.23 1000 M, am 18.8. 20000 M, am 10.10. 5000000 Mark, der Stundenlohn eines Waldarbeiters betrug Mitte September 3328000 Mark: zur selben Zeit kostete ein Liter Milch 8000000 Mark. Es kam so weit, daß Löhne und Gehälter täglich ausgezahlt werden mußten. sonst bekamen die Leute nichts mehr dafür. Da standen sich schon diejenigen besser, die wieder auf den alten Tauschhandel zurückgreifen konnten wie z.B. Sattlermeister Bruno Meiske. der im Herbst 23 den letzten Spazierwagen (genannt Feldwagen), den er fertiggestellt hatte, gegen 8 Ztr. Roggen eintauschte. Die Bauherren, die ihre Baupläne noch vor dem Währungsschnitt hatten verwirklichen können, waren gut dran. Ihr Bargeld war gut angelegt, und die hohen Hypotkeken, die sie auf ihr Haus aufgenommen hatten, lösten sich plötzlich in nichts auf, denn bei der Währungsreform Ende November 1923 wurde aus einer Billion Papiermark eine Rentenmark (später Reichsmark). Großen Schaden aber erlitten durch die Inflation die breiten Schichten des bürgerlichen Mittelstandes, soweit sie Besitzer von Bankguthaben und Versicherungsverträgen waren oder eine Kriegsanleihe gezeichnet hatten. Manch ein Wormditter, der sich in seinem arbeitsreichen Leben eine Altersversorgung in Form einer Kapitalrente geschaffen hatte, verarmte plötzlich und wurde Bittsteller bei der städtischen Wohlfahrtspflege. Die Inflationskrise trug dazu bei, daß die Armut in Wormditt allgemein zunahm. Im Stadthaushalt des Jahres 1928 führt der Sozialplan 387 Bedürftige auf, (132 Kleinrentner, 130 Sozialrentner, 91 Arme, 34 Minderjährige), für die die Stadt insgesamt fast 100000 RM ausgab. Dagegen hatte es 1913 nur 60 Arme gegeben, für deren Unterstützung etwa 3660 Mark benötigt wurden. Notstandsarbeiten Nach der Währungsreform wurden Straßen- und Wohnungsbauprojekte wieder in Angriff genommen. Bis 1927 wurden Schloß-, Mauer-, Elbinger und Bahnhofstraße neu gepflastert. Der neben der Bahnhofstraße verlaufende Graben wurde drainiert und zugeschüttet. Die Straße in der Neustadt (Tannenbergstraße) wurde verbreitert und gepflastert. Die weiterführende Guttstädter Chaussee erhielt im Jahr 1929 eine neue Aufschüttung. (EZ 1927, Nr. 98, 117) Auch der Neubau der Mühlenbrücke am Steindamm (Mühlendamm) kam zum Zuge. Nachdem der Kreis eine Kostenbeteiligung von 40% zugesagt hatte, stimmte die Stadtverordnetenversammlung 1927 dem Brückenbau zu .(EZ 1927, Nr. 56, 244) Erst 1932 begann der Ausbau der Reichsstraße 126 zwischen Wormditt und Sportehnen. Diese Verzögerung war bedingt durch den Streit der drei Kreise Braunsberg, Heilsberg und Mohrungen, die gemeinsam für den Bau des Straßenstückes an der Passarge zuständig waren. Sie stritten darüber, wie die Kosten der Passarge-Brücke (eine Viertelmillion RM) aufzuteilen seien. (EZ 1932, Nr. 243) Diese Arbeiten wurden von der Provinz und vom Kreis bezuschußt und als Notstandsarbeiten durchgeführt, d.h. zu diesen Arbeiten wurden Arbeitslose herangezogen. Der Wohnungsbau In den zwanziger Jahren, als der Wohnungsbau wieder in Gang kam, wurden zunächst Baulücken in alten Bebauungsgebieten der Stadt für Neubauten genutzt. Angesichts des großen Wohnungsmangels war allerdings eine sofortige Erarbeitung eines neuen Flächennutzungs- und Bebauungsplanes erforderlich. Baumeister Albrecht legte die Pläne 1924 dem Stadtrat zur Genehmigung auf den Tisch. Einer weiteren Stadtentwicklung stand nichts mehr im Wege. An der Bahnhofstraße, etwa 80 Meter hinter der Molkerei, wurden 28 Wohnungen in sieben soliden, mit Klinkern verkleideten Vierfamilienhäusern erstellt. Sie bildeten ein Karree mit einem eingeschlossenen Platz und wurden unter der Adresse "Siedlung" geführt, später in "Horst-Wessel-Platz" umbenannt. Die Fa. Leo Klawki baute in den Jahren 1926/27 auf der südlichen Seite der Bahnhofstraße/Ecke Anger zwei dreigeschossige Häuser mit Geschäftsräumen in den Erdgeschossen und 10 komfortablen Wohnungen in den oberen Stockwerken. Am Anger errichteten 1927 Malermeister Schneider und Spediteur Maßnick zweistöckige Mietshäuser, und Bäckermeister Basener baute an der Stelle seines alten Hauses ein neues Haus mit zwei Wohnungen. Das sind nur einige Beispiele von den vielen privaten Initiativen im Wohnungsbau; die Mietangebote richteten sich hauptsächlich an die bessergestellte Bürgerschicht. Größer jedoch war die Wohnungsnot in der breiten Schicht der ärmeren Leute. Diese suchten kleinere und einfachere Wohnungen, für die sie auch die Miete aufbringen konnten. Da waren es vor allem die öffentlichen und kirchlichen Einrichtungen, die mit der Erstellung von einfachen Wohnungen der sozialen Verpflichtung gerecht zu werden versuchten. Auf der nördlichen Angerseite, an der späteren Arndtstraße, kaufte die katholische Kirchengemeinde ein früher an die Stadt veräußertes Grundstück zurück und errichtete darauf eine Reihe von vier zweigeschossigen Häusern mit ausgebautem Dachgeschoß. Die insgesamt zwanzig Ein- bis Dreizimmerwohnungen wurden je nach der Bedürftigkeit der Antragsteller vergeben. Diese Reihenhäuser wurden "Erzpriesterhäuser" genannt. Die Flachbausiedlung am MelcherwaldEin größeres Projekt von Schlichtwohnungen verwirklichte die 1919 gegründete "Ostpreußische Heimstätte GmbH" aus Königsberg, die in Wormditt eine Zweigstelle eingerichtet hatte. Die Gesellschaft kaufte ein Grundstück von ca. 52 Morgen zwischen der Pillau. dem Melcherwald und der Drewenz. um hier eine Flachbausiedlung mit 68 teils zwei, teils eingeschossigen Häusern zu erstellen. Insgesamt sollten hier in dieser schönen Umgebung 120 Familien einen neuen Wohnplatz erhalten. Bei diesen Wohnungen handelte es sich um schlichte Ein- und Zweizimmerwohnungen. Sie hatten elektrisches Licht und Wasserleitung; der Kanalanschluß fehlte noch. Zu jeden Haus gehörte ein kleiner Anbau, in dem Ställe untergebracht waren, so daß die Familien sich ein paar Kaninchen oder auch ein Schweinchen halten konnten. Sie hatten auch die Möglichkeit, auf ihren verhältnismäßig großen Grundstücken Kartoffeln, Gemüse und Obst anzubauen. Bis 1930 waren 24 Zweifamilienhäuser und 12 Landarbeitereigenheime mit zusammen 60 Wohnungen fertiggestellt; das war die Hälfte der geplanten Wohnungen. Sicherlich verhinderte die schwierige Lage auf dem Kapitalmarkt die Fertigstellung des gesamten Projektes. Dieses wurde allerdings auch nicht mehr in späteren Jahren fortgeführt. Die Siedlung war durch die Drewenz von der Stadt abgetrennt; nur der Umweg über die Pillau führte dorthin. Die Siedler bemühten sich bei der Stadtverwaltung um eine direkte Drewenzüberquerung. Nach längeren Verhandlungen mit der Siedlergenossenschaft beschloß der Stadtrat 1932 den Bau einer Fußgängerbrücke über die Drewenz. Die Stadt übernahm die anfallenden Lohnkosten für die Facharbeiter in Höhe von 500 RM und stellte das gesamte Baumaterial zur Verfügung. Die Weggenossenschaft der Siedler verpflichtete sich, den Weg auf der Siedlungsseite vom Heimstättenweg bis zur Drewenz anzulegen. Man trug den Steilhang von der Siedlung zur Drewenz ab und schüttete das Erdreich vor der Brücke auf, die ohne Treppe angelegt wurde, damit sie auch mit Handwagen befahren werden konnte. Neben den Bewohnern der Flachbausiedlung erhielten nun auch die Anlieger der Mehlsacker Chaussee eine bessere Verbindung zur Stadt und zum Bahnhof. Anfang der dreißiger Jahre kam die gesamte Bautätigkeit in Wormditt zum Stillstand. Im Jahr 1930 wurden noch 13 Gebäude mit 22 Wohnungen, 1931 nur noch fünf Gebäude mit sechs Wohnungen fertiggestellt. 1932 ging kaum noch etwas voran. Wohl konnten noch einmal 10 Wohnungen zur Verfügung gestellt werden, aber nicht in einem Neubau, sondern in einem Gebäude, das schon zur Inflationszeit errichtet worden war. Es handelt sich um den "Speicher" in der Nähe des Bahnhofs. Das Gebäude war ursprünglich zur Aufnahme von Getreide bestimmt gewesen, das mit der Bahn hatte verladen werden sollen. Seiner Bestimmung hatte es nicht mehr dienen können, da das Unternehmen gescheitert war. So wurde der "Speicher" als Möbellager benutzt, bis er von einer Siedlungsgesellschaft aufgekauft und zu Zwei- bis Vierzimmerwohnungen ausgebaut wurde, die hauptsächlich Beamten angeboten wurden. Schätzungsweise wurden in Wormditt zwischen 1920 und 1932 etwa 250 Wohnungen erstellt. Damit wurde die Wohnungsnot etwas gemildert, keineswegs beseitigt; es herrschte nach wie vor akuter Mangel an preiswerten Schlicht- und Kleinwohnungen. Öffentliche Neubauten Trotz der wirtschaftlich schwierigen Verhältnisse und der großen Belastung des städtischen Etats durch hohe Sozialausgaben kam es in dieser Zeit auch zu städtischen Baumaßnahmen: Zunächst wurde 1920 durch einen Rathausumbau am Ostgiebel des Gebäudes ein würdiger Eingang geschaffen. Zu beiden Seiten des Portals wurden zwei schlichte Ehrentafeln für die 200 Gefallenen des Ersten Weltkrieges angebracht. Wormditts schulische Entwicklung wurde seitens der Stadt gefördert durch die Neubauten einer Turnhalle (1924), des Progymnasiums (1925), der Berufsschule (1932) und der Evangelischen Volksschule (1933). Als Gebäude anderer Bauträger entstanden 1928 die Reichsbanknebenstelle und 1929 das Evangelische Gemeindehaus. Für das 1928 in Wormditt eröffnete Arbeitsamt brauchte kein Neubau errichtet zu werden; die aus der Papendickschen Konkursmasse an die Stadt gefallene Villa bot genügend Platz für die Einrichtung der nötigen Büroräume. Politische Verhältnisse Im katholischen Wormditt war es wie im ganzen Ermland von altersher Tradition, die Zentrums-Partei zu wählen. Das änderte sich auch nicht nach der "Revolution" vom 9. November 1918. Ohne große Anstrengungen erreichte die Partei bei Reichs- und Landtagswahlen absolute Mehrheiten: auch auf kommunaler Ebene saß sie fest im Sattel. Die Wahlerfolge können jedoch nicht als Früchte einer intensiven Parteiarbeit gewertet werden, denn daran mangelte es in Wormditt sehr, wie es ein Stadtverordneter des Zentrums selbst beklagte: "Zunächst gab es keine Parteilisten, und auch Beiträge wurden nicht erhoben. Parteiversammlungen fanden fast nur direkt vor den Wahlen statt." Eine kontinuierliche Arbeit des Parteivorstandes habe es im Gegensatz zu der Überzeugungsarbeit der SPD nie gegeben. Die Männer des Zentrums erkannten in den Monaten des politischen Umbruchs und auch in den darauf folgenden Jahren nicht die Zeichen der Zeit. Sie vermochten es nicht, den neuen politischen Verhältnissen gegenüber eine positive Haltung einzunehmen und sich als Vorkämpfer für den Aufbau einer stabilen Demokratie zu betätigen. Dazu waren die meisten wohl zu sehr der alten Gesellschaftsordnung verbunden, die ihre politische Stütze im preußischen Drei-KlassenWahlrecht gehabt hatte. Wie sonst sollen wir die Tatsache deuten, daß die Wormditter Zentrumspartei bei der ersten Kommunalwahl nach demokratischem Wahlrecht, wonach sechsmal mehr Wormditter stimmberechtigt waren als bisher, keine Wahlliste des Zentrums aufstellte, sondern den Wählern nach Berufsständen sortierte Listen zur Wahl anbieten ließ. Auf diese Weise wurden die Demokratisierungsversuche an der Basis von vornherein abgeblockt. Da darf es uns nicht wundern, daß sich ein großer Teil der Wormditter Arbeiterschaft den Linksparteien zuwandte. Ergebnisse der Stadtverordnetenwahl vorn z. März 1919: Liste der Landwirte 5 Stadtverordnete Liste der Handwerker 4 Stadtverordnete Liste Handel und Gewerbe: 4 Stadtverordnete Liste der Beamten 3 Stadtverordnete Liste der katholischen Arbeiter 3 Stadtverordnete Liste der Rentiers 1 Stadtverordneter Liste der Sozialdemokraten 4 Stadtverordnete insgesamt 24 Stadtverordnete Bei den folgenden Wahlen war die Zahl der Stadtverordneten auf 18 beschränkt. Wann das Zentrum bei Kommunalwahlen zum erstenmal eine Partei-Wahlliste aufstellte, kann nicht mehr festgestellt werden. Bei der Stadtverordnetenwahl am 17. November 1929 gab es jedenfalls eine Zentrumsliste und außer dieser noch die "Fortschrittliche Arbeiterliste." Auf das Zentrum entfielen 12, auf die SPD 6 Sitze.10 Im Vergleich zur Kommunalwahl im Jahr 1919 konnte die SPD ihren Anteil an den Mandaten in der Stadtverordnetenversammlung verdoppeln. Das läßt auf eine Abwanderung großer Teile der Arbeiterschaft zur SPD schließen und macht auch -die Unzufriedenheit des oben zitierten Zentrumsverordneten mit seiner Partei verständlich. Ob es sich bei der "Fortschrittlichen Arbeiterpartei" um einen Zusammenschluß der SPD mit einer anderen Partei handelt, kann man nur vermuten; die sechs gewonnenen Mandate wurden jedenfalls alle der SPD zugerechnet und gingen an folgende Personen: Fliesenleger Bernhard Wirt (Partei- und Fraktionsvors.). Arbeiter Paul Neumann, Arbeiter J. Packheiser, Telegraphenbauarbeiter Preuß, Arbeiter Joseph Behrend und Arbeiter Franz Grünhagen. Wormditts Stadtverordnetenvorsteher in der Zeit der Weimarer Republik waren in zeitlicher Reihenfolge: Ziegeleibesitzer August Buchholz, Fabrikbesitzer Rudolf Holzky, Studienrat Dr. Hans Schmauch und Zeitungsverleger Franz Majewski. Außer diesen gehörten vom Zentrum u.a. der Stadtverordnetenversammlung an: Kaufmann Josef Klawki, Kaufmann Erhard Splanemann, Kaufmann Albert Beckmann, Schreinermeister Hugo Alex, Töpfermeister Josef Juth. Die Partei der NSDAP spielte in den zwanziger Jahren in Wormditt noch keine Rolle; ein Ortsverband dieser Parteibestand noch nicht. Sehr rührig in diesen Jahren war die KPD unter ihrem Vorsitzenden Wegner. Bei den Reichstagswahlen jag en SPD und KPD sich gegenseitig mit wechselndem Erfolg die Stimmen ab. Reichstagswahl vom 14. September 1930 Wahlberechtigte: 4125 Wahlbeteiligung: 3119 (75,6%)
Stimmenanteile der ersten sechs Parteien: Zentrum 1550 (50,0 %) Kommunisten 460 (4,8 %) Wirtschaftspartei 303 (9,8 %) Sozialdemokraten 272 (8,8 %) Nationalsozialisten 148 (4,8%) Deutschnationale 121 (3,9 %) Die vom Wormditter Studienrat Franz Buchholz verfaßte Chronik, die er bis 1930 fortführte, schließt mit dem Wunsch, den "trüben Nachkriegsblättern" mögen recht bald "lichte Blätter" einer glücklichen Zukunft folgen. Er konnte nicht ahnen, daß über das Schicksal der Stadt ganz anders entschieden würde. Siehe auch das Gedicht Wormditt von Agnes Miegel! Hinweis für einen Freund: Wenn Sie einmal etwas zu drucken haben, dann fragen Sie doch einmal ihn nach einem Angebot: http://freenet-homepage.de/lotus/satzservice.htm . |