Hans PreuschoffJournalist im Dritten
Reich
Erste Etappe: Ermländische
Zeitung 1933-1939 Doch der Journalismus ließ
mich auch nach der wissenschaftlichen Prüfung nicht los. Am 1. Mai 1933
(genauer gesagt, am 2., denn den 1. hatten die Nationalsozialisten schon als
ihren Feiertag beschlagnahmt) trat ich in die Redaktion der Ermländischen
Zeitung in Braunsberg ein. Haupteigentümer der Ermländischen Zeitungs-
und Verlagsdruckerei (Ermländische Verlagsgesellschaft mbH) war damals noch
der Bischöfliche Stuhl von Ermland mit zwei Dritteln der Anteile, so daß
auch mit Carl Skowronski der Verlagsdirektor ein Geistlicher war. Böse
Zungen, an denen es im Ermland nie gefehlt hat - wir sprachen von Speilzähnen
-, wollten wissen, er sei deshalb zu dem Posten gekommen, weil er wegen seiner
schwachen Stimme nicht Pfarrer werden konnte. Er führte einen heiligmäßigen
Lebenswandel, aber sein Verhältnis zum Journalismus war gewiß nur sehr
begrenzt. Daß die in finanzielle Schwierigkeiten geratene katholische
Heilsberger Tageszeitung Warmia nicht dem Bischöflichen Stuhle, sondern den
Deutschnationalen in die Hände fiel, war Skowronskis zögernder Taktik zu
verdanken. Sie sollte immer noch billiger werden ‑ und dann war's
passiert. Daß wir noch dem Bischöflichen Stuhle zugehörten, ließ uns
einmal Bischof Maximilian Kaller sehr deutlich spüren. Er hatte 1934 die
Fastenpredigten in der Braunsberger Pfarrkirche übernommen, und er rief am
Tage nach der ersten höchst empört Prälat Skowronski an, daß „seine“
Zeitung keinen Bericht darüber gebracht habe. Worauf Skowronski, was sehr
selten geschah, auf der Redaktion erschien, um uns von der bischöflichen Entrüstung
Kenntnis zu geben. Wir haben die weiteren Bischofspredigten gebührend gewürdigt. Der Weimarer Staat sah es
als seine Pflicht an, die ausfand- und grenzlanddeutsche Presse und dann auch
die demokratischen Zeitungen im Reich mit erheblichen finanziellen Mitteln zu
unterstützen. Darauf hat Helga Wermuth hingewiesen. Wörtlich bemerkt sie:
„Um ihre staatspolitische Intuition auf dem Sektor der Verlagspolitik
wirklich zu vertreten, sicherten sich die Weimarer Regierungen der Mitarbeit
eines Mannes, der ihnen als Kaufmann und Patriot ein zuverlässiger Garant für
die Erfüllung dieser nationalen und politischen Aufgaben zu sein schien: Dr.
h. c. Max Winkler“ (Anm.: H. WERMUTH, Dr. h. c.
Winkler ‑ Ein Gehilfe staatlicher Pressepolitik in der Weimarer
Republik. München 1975, S. 7.) Während über diesen später ausführlich
zu reden sein wird, interessiert hier, daß zu den von der Regierung unterstützten
Unternehmen auch die Ermländische Zeitung gehörte. (Ebd.
S. 49 f.) Die Verfasserin (4) nennt da
einen Betrag von 60 000 Mark, der der Ermländischen Zeitung über die
zu den genannten Zwecken von Max Winkler gegründete Konkordia Literarische
Anstalt GmbH zugeflossen sei. Mit den öffentlichen Geldern trat als ihr Treuhänder
Hermann Katzenberger vom Auswärtigen Amt gegen Ende der Weimarer Zeit in den
Aufsichtsrat der neugegründeten Ermländischen Zeitungs- und Verlagsdruckerei
(Ermländische Verlagsgesellschaft mbH) ein, deren Haupteigentümer aber, wie
schon gesagt, der Bischöfliche Stuhl von Ermland blieb. Mit Katzenberger ist eine
interessante Figur aus der Weimarer Zeit genannt. Geboren 1891 in Mannheim,
studierte er in Heidelberg, Berlin und Greifswald und promovierte zum Dr. jur.
und Dr. phil. Seit 1920 Reichsgeneralsekretär der Zentrumspartei, wurde er
1922 neben Carl Spiecker hauptberuflicher Vorstand des Verlages der führenden
Berliner Zentrumszeitung Germania. Darüber berichtet sehr aufschlußreich Jürgen
A. Bach (Vgl. J. A. BACH, Franz von Papen in der
Weimarer Republik. Aktivitäten in Politik und Presse 1918‑1932. Düsseldorf
1977, S. 221 ff.). Katzenberger gehörte zum Wirth-Flügel der
Zentrumspartei, und so nimmt es nicht wunder, daß in der Aufsichtsratssitzung
der Germania am 15. Mai 1926, in der Franz von Papen über die Stimmenmehrheit
verfügte, nachdem er bereits nach Erwerb eines großen Teils der Aktien der
Germania am 18. Mai 1925 zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt worden
war, Katzenbergers Entlassung beschlossen wurde. Es wurde ihm „nicht zuletzt
die sehr kritisierte Haltung des Blattes“ (Ebd. S.
273) angelastet, z. B. die
Passivität der Zeitung in der Frage der Fürstenabfindung. Katzenberger dürfte
1927 als Oberregierungsrat ins Außenministerium eingeschleust worden sein (Vgl.
W. KOSCH,Biographisches Staatshandbuch. Bonn 1963, S. 648.).
Reichskanzler war damals der Zentrumsvorsitzende Wilhelm Marx, Außenminister
Gustav Stresemann. 1928 wurde Katzenberger zum Vortragenden Rat im Auswärtigen
Amt befördert. 1933 ist er von den Nationalsozialisten entlassen worden. Doch
erinnere ich mich sehr deutlich, daß er noch in diesem Jahr zu einer
Aufsichtsratssitzung der Ermländischen Zeitungs‑ und Verlagsdruckerei
in Braunsberg erschien, wobei er respektvoll als Geheimrat bezeichnet wurde.
Nachdem er während der NS-Zeit in der Wirtschaft tätig gewesen war, wurde er
1945 Verlagsleiter der Berliner Neuen Zeit. 1947 wechselte er als
Ministerialdirigent und Pressechef der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen
nach Düsseldorf über. 1949 wurde er Direktor des Sekretariats des Deutschen
Bundesrates in Bonn, 1951 deutscher Gesandter in Irland. Es erscheint angebracht,
hier ein Wort über die Situation der Ermländischen Zeitung nach der
Machtübernahme Hitlers und vor allem nach dem Ermächtigungsgesetz vom 23. März
1933, durch das die Alleinherrschaft der NSDAP besiegelt wurde, zu sagen. Die (5)
Ermländische Zeitung war als altes Zentrumsorgan bei den neuen Herren
natürlich herzlich unbeliebt, und sie suchten ihr zu schaden, wo sie nur
konnten. Vor allem wurden diejenigen, die vom Staate und nunmehr also der
Partei abhängig waren, bedrängt, statt ihrer das in Königsberg erscheinende
Parteiorgan Preußische Zeitung zu halten, doch die meisten Abonnenten,
vor allem auf dem Lande, blieben ihrer alten Zeitung treu. Zwar entschloß man
sich eines Tages, der Preußischen Zeitung für die Kreise Braunsberg
und Heiligenbeil eine Beilage Der Kämpfer mitzugeben; aber diese war von
schlechtbezahlten und branchenfremden Leuten so schwach redigiert, daß sie
der Ermländischen Zeitung kaum Abbruch tun konnten (Vgl.
hierzu die Feststellung von Dr. Georg Mielcarczyk in: UNSERE ERMLÄNDISCHE
HEIMAT 24 (1978) Nr. 4, S. IX: „Die parteiamtliche Preußische Zeitung fügte
nach 1933 ihrer Ausgabe für die Kreise Braunsberg-Heiligenbeil eine Beilage
mit dem martialischen Titel Der Kämpfer bei, die wohl den Ortszeitungen das
Wasser abgraben sollte, aber ihr Ziel nicht erreichte."). Auch
konnte die Kombination der Kreise Braunsberg und Heiligenbeil wegen ihrer völligen
Verschiedenartigkeit, nicht zuletzt in konfessioneller Hinsicht, keineswegs
als glücklich bezeichnet werden, ein Zeichen dafür, wie wenig die Partei in
der Lage war, die Verhältnisse im Lande richtig zu erkennen. Mit Ausnahme des
ersten Kreisleiters Weinreich, der bald tödlich verunglückte, hat kein Angehöriger
des Kreises Braunsberg, der die Mehrzahl der Leser der Ermländischen
Zeitung stellte, eine Spitzenfunktion der Partei in dem Gebiete
eingenommen. Wozu es in Braunsberg
nicht gekommen ist: Ausschreitungen, wie sie anderwärts in der ersten Zeit
der NS-Herrschaft gegen katholische und Zentrumszeitungen erfolgt sind, sind
der Ermländischen Zeitung nicht widerfahren. Karl Aloys Altmeyer berichtet
von dem Überfall einer organisierten Bande auf die Fuldaer Zeitung am 10.
Dezember 1933. Dabei wurden die Redaktionsräume verwüstet, Maschinen zerstört,
die Setzerei zu einem „vollständigen Trümmerfeld" gemacht (K.
A. ALTMEYER, Katholische Presse unter NS‑Diktatur. Die katholischen
Zeitungen und Zeitschriften Deutschlands in den Jahren 1933 bis 1945. Berlin
1962, S. 38 f.). Altmeyer meint, daß der
Vorfall in Fulda typisch für viele hundert Zeitungen gewesen sei. Die Ermländische
Zeitung war nicht darunter, wohl weil ihr Haupteigentümer der Bischöfliche
Stuhl von Ermland war (die Fuldaer Zeitung gehörte einer Aktiendruckerei) und
die Partei, wie wir sogleich lesen werden, sich zumindest in jener Zeit nicht
mit der Kirche anlegen wollte. Dem Vernehmen nach sind
mancherorts Tageszeitungen Schwierigkeiten gemacht worden, wenn sie kirchliche
Nachrichten und Gottesdienstordnungen aufnahmen. Solche hatte die Ermländische
Zeitung nicht, wenigstens zu meiner Zeit. Wenn uns das Generalvikariat in
Frauenburg wie bisher über Veränderungen im ermländischen Klerus
unterrichtete unter der Überschrift „Kirchliche (6) Nachrichten
(amtlich)", so änderten wir diese in „Aus der Diözese Ermland",
weil damit das verfängliche Wort „amtlich" vermieden wurde. Auch die
Gottesdienstordnungen erschienen regelmäßig in der Zeitung. Einmal erregte
ich den Unwillen des großmächtigen Erzpriesters von Braunsberg, Aloys
Schulz, den seine Amtsbrüder respektvoll „Moses" nannten. Das Prunkstück
der Pfarrkirche zu St. Katharina war der spätgotische Bronzekronleuchter im
hinteren Kirchenschiff. Franz Buchholz schreibt über ihn: „Er gilt als der
kunstvollste des ganzen ehemaligen Ordenslandes und ist dadurch zu solcher Berühmtheit
gelangt, daß nach seinem Muster der Kronleuchter in der erneuerten Kirche des
Marienburger Schlosses hergestellt wurde" (F. BUCHHOLZ, Führer
durch die St. Katharinenkirche zu Braunsberg. Braunsberg
1940. S. 28. <Der Führer ist im Nova-Zeitungsverlag
erschienen.>). Erzpriester Schulz
ließ den Kronleuchter mit elektrischen Kerzen versehen. Als ich mein Bedauern
darüber in einer Zeitungsnotiz ausdrückte, machte der Herr Erzpriester
seinem Ärger darüber in einer Kirchenvorstandssitzung Luft, zumal er noch
stolz darauf war, daß er den Provinzialkonservator überlistet hatte, indem
er ihn vor vollendete Tatsachen stellte. Der herrliche Kronleuchter ist natürlich
ein Opfer der Zerstörung der Kirche geworden. Ich hatte in Breslau die glänzende
künstlerische Restauration des Doms durch den Architekten Meyer‑Speer
(nicht zu verwechseln mit dem Baumeister des „Führers" Albert Speer)
erlebt. Meine schüchternen Versuche, Meyer-Speer zu veranlassen, Pläne für
eine Restauration des Frauenburger Doms und der Braunsberger Pfarrkirche,
deren neugotische Renovierung um die Jahrhundertwende ich für verfehlt hielt,
vorzulegen, fanden keine Resonanz. Mit Sicherheit hätte Meyer-Speer dem
Inneren des Domes wärmere Farben gegeben und den wunderbaren gotischen
Schnitzaltar, der nun leider in einem Seitenschiff in einem beklagenswerten
Zustande vergammelt, an den ihm gebührenden Platz gestellt. Nachdem bereits 1933 die
SPD- und die KPD-Presse liquidiert worden waren, erließ im April 1935 der
Reichsleiter für die NSDAP-Presse und Präsident der Reichspressekammer, Max
Amann, Anordnungen, die die bürgerliche Presse betrafen (Vgl.
O. J. HALF, Presse in der Zwangsjacke 1933-1945. Düsseldorf 1965,
5.153‑168). Max Amann war Feldwebel in der Kompanie gewesen, in
der im Ersten Weltkrieg Hitler als Gefreiter gedient hatte. Als sich beide
1921 in München wiedertrafen, schloß sich Amann als Nr. 2 der neugegründeten
NSDAP an. Hitler machte ihn zu deren Geschäftsführer und zum Direktor des
Zentralverlages der NSDAP, Franz Eher Nachf. GmbH, der den Völkischen
Beobachter (VB) und andere Parteischriften herausgab. Amann wird als rüder,
ungebildeter Bursche geschildert, der aber über einen durchtriebenen Geschäftsverstand
verfügte. Sein Ziel war es, zunächst die NS‑Presse, dann möglichst
die gesamte deutsche Presse in seine Hand zu bekommen. Sein engster (7)
Mitarbeiter als „Stabsleiter" war der Rechtsanwalt Rolf Rienhardt, ein
hochbefähigter Mann von einer ungeheuren Arbeitskraft, der bereits als
Referendar zur NSDAP gefunden hatte. Ein relativ günstiges Urteil über ihn fällt
Günther Gillessen. Allerdings macht er ihn für das „Bauernlegen"
vieler bürgerlicher Zeitungen verantwortlich, das er mit Hilfe Winklers
durchführte und dem ja auch die Ermländische Zeitung zum Opfer gefallen ist (G.
GILLESSEN, Auf verlorenem Posten. Die Frankfurter Zeitung im Dritten Reich,
Berlin 1986. Was Gillessen Rienhardt hoch anrechnet: „Ihre als vorbildlich
empfundene journalistische Qualität" habe ihn zum Protektor der Frankfurter
Zeitung gemacht (S. 279). Doch hat R. trotz größtem Bemühen die von
Hitler verfügte Schließung der Zeitung am 31. August 1943 nicht verhindern können.
Die seit dem ersten Kriegsjahr erschienene, journalistisch vorzüglich
gemachte Wochenzeitung Das Reich war Rienhardts Werk.). Die
Dienststelle, der Rienhardt vorstand, nannte sich „Verwaltungsamt". Von
diesem ist dann in meiner Berliner Zeit viel die Rede gewesen. Als Amann
seiner nicht mehr bedurfte, versetzte er seinem Stabsleiter den Fußtritt und
kündigte am 23. November 1943 dessen UK-Stellung (Unabkömmlichkeitsstellung)
auf. Rienhardt trat daraufhin als Panzergrenadier in die Leibstandarte Adolf
Hitler ein (Daß er den Krieg überstanden hat, geht
aus der in Anm. 1 angeführten Arbeit von Helga Wermuth hervor, ebenso aus dem
von mir gleichfalls schon genannten Buche von O. I. Haie. Nach dem Kriege war
Rienhardt bei der FAZ tätig (Mitt. v. Frau Gesine Müller, geb. Frotscher, v.
9. 3. 1987). Hier sei noch weitere einschlägige Literatur genannt: Presse in
Fesseln, Eine Schilderung des NS-Pressetrusts. Berlin 1947. Hale setzt sich
mit der Arbeit, als deren Verfasser er Dr. Fritz Schmidt bezeichnet, kritisch
auseinander, kann ihr aber einen beträchtlichen Wert als Informationsquelle
nicht absprechen. Weiter sind zu nennen: P. de MENDELSSOHN, Zeitungsstadt
Berlin. Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse. Berlin
1982 und W. HAGEMANN, Publizistik im Dritten Reich. Ein Beitrag zur Methodik
der Massenführung. Hamburg 1948. Das Buch von Hale ist für die Kenntnis der
NS-Pressepolitik besonders ergiebig.). Die in unserem Zusammenhang
wichtigsten Paragraphen der bereits angedeuteten „Anordnung" des Präsidenten
der Reichspressekammer, Amann, vom 24. April 1935 „Zur Wahrung der Unabhängigkeit
des Zeitungverlagswesens"(Zitiert nach ALTMEYER,
S. 54 f.) eine zynische Formulierung, denn in Wahrheit wurde dadurch
die Presse vom NS-Staat abhängig gemacht - lauteten: „Art. I. Dem
Reichsverband der Deutschen Zeitungsverleger zugehörende Mitglieder der
Reichspressekammer (Durch die Erste Verordnung zur
Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1. 11. 1933 (ebd. S. 32)
„war die gesamte katholische Tagespresse unter die nationalsozialistische
Reichspressekammer . . . gezwungen" (ebd. S. 27). Die Zugehörigkeit zum
Reichsverband der Deutschen Zeitungsverleger war auch für die katholischen
Zeitungsverleger zur Pflicht gemacht worden.) sind verpflichtet: . . .
6. diejenigen bekanntzugeben, die Mittel zur Verfügung stellen . . . Art. II. Zeitungsverleger können
nicht sein: a) öffentlich‑rechtliche Körperschaften,... c) juristische
Personen und Personengesamtheiten, (8) deren
Zweck, Betätigung oder Zusammensetzung dartut, daß sie unter Beachtung
beruflicher, ständischer oder konfessioneller Gesichtspunkte gebildet sind. .
." Die Katze aus dem Sack ließ
man in den geheimen „Erläuterungen", die zu der Anordnung gegeben
wurden (Ebd.. S. 57 f.). Darin heißt es:
„. . . I,6 bezweckt die Beseitigung der Unterstützung bestimmter
Tageszeitungen durch Vertreter von Sonderinteressen (Beispiel: Geistliche
weisen früheren Zentrumszeitungen laufend Beträge . . . ein . . .). II, a)
bezweckt den Ausschluß der Kirchen und ihrer Einrichtungen . . .als
Zeitungsverleger . . . II, c) bezweckt den Ausschluß der Berufs-,Standes- und
aller konfessionellen Organisationen (Orden, Gesellenvereine, karitative
Vereine, Bistümer, Diözesen usw.) als Verleger." Im folgenden kommt
wieder der ganze Zynismus zum Vorschein: „Hier sei bemerkt, daß bei der
Formulierung von a) und c) besondere Rücksicht darauf genommen ist, daß die
Kirche selbst gar nicht genannt ist, . . . so daß die Anordnung keine
einseitig gegen die Kirche gerichtete Tendenz zeigt." Bemerkenswert ist,
daß hier nur die Rede von der Kirche ist, nicht von den Kirchen.
Offensichtlich wurde von der Anordnung nur die katholische Kirche betroffen.
Deutlich tritt in den geheimen Erläuterungen die schon oben erwähnte Zurückhaltung
der Partei gegenüber der Kirche als solcher zutage, wobei es sich natürlich
nur um eine durch die damaligen Umstände gebotene Taktik handelte und
keineswegs um eine grundsätzliche Einstellung der Partei zur Kirche. Es ergibt sich die Frage,
wie man auf der kirchlichen Seite auf die Anordnung Amanns vom 24. April 1935
reagiert hat. Nun existieren ausgerechnet im Bischöflichen Zentralarchiv in
Regensburg zwei ausführliche Memoranden des Bischofs Maximilian Kaller von
Ermland, von denen das eine in diesem Zusammenhang besonders beachtet werden
muß. (Veröffentlicht ebd.. S. 66-80. Die hier ausführlich
behandelte Überlegung Bischof Kallers ist das Dokument Nr. 69. Altmeyer läßt
diesem unter Nr. 70 einen Entwurf des Bischofs zu den geforderten
„Richtlinien" des Reichsverbandes der Deutschen Zeitungsverleger für
die Ermländische Zeitungs- und Verlagsdruckerei folgen. Leider ist das
Schreiben des Reichsverbandes im Text des bischöflichen Entwurfs nur „unter
dem 12. Juli d. J. . . ." datiert, es fehlt also die Jahresangabe. Doch
ist mit Sicherheit anzunehmen, daß es vor der Anordnung Amanns vom 24. 4.
1935 ergangen ist, denn es ist nicht denkbar, daß sich nach dieser der
Reichsverband noch an die durch die Anordnung betroffenen alten Eigentümer
der Zeitungen gewandt hat. Ob der Entwurf zu einem Brief Bischof Kallers an
den Reichsverband geführt hat, ist im Augenblick nicht zu sagen. Kaller
wendet sich in dem Entwurf gegen einen Zusatz, der zu den bereits von Verlag
und Schriftleitung der Ermländischen Zeitung und des Allensteiner
Volksblatts eingereichten Richtlinien vom Reichsverband verlangt wird. Die
Richtlinien sollen durch den Zusatz ergänzt werden, daß der Gesamtinhalt der
Zeitungen „aus nationalsozialistischem Geiste heraus in einer Form zu
gestalten ist, die innerste Verbundenheit und unbedingte Einsatzbereitschaft
zu der nationalsozialistischen Weltanschauung und der diese Weltanschauung
tragenden Partei erkennen läßt". Der Bischof glaubt, angesichts der
wachsenden Angriffe seitens der Partei gegen die Kirche und das Christentum,
auf die er ausführlich eingeht, ein solches Versprechen nicht geben zu können.
Wörtlich schließt er: „Wir sind und bleiben ehrlich entschlossen, den auf
dem Boden des positiven Christentums (beide Wörter gesperrt!) stehenden
Nationalsozialismus bei seiner Arbeit zur Rettung unseres teuren Volkes aus
Not und Bedrängnis zu stärken und zu fördern. Wir können uns aber nicht rückhaltlos
einer Weltanschauung verschreiben, die immer deutlicher ihre antichristlichen
Tendenzen enthüllt. Ich habe mich deshalb entschlossen, die Auflösung des
Zeitungsverlagsunternehmens durchzuführen und den Betrieb rein kirchlichen
Zwecken dienstbar zu machen." Welcher Entschluß nicht durchgeführt
werden konnte.) Es ist undatiert, doch dürfte es nicht (9)
lange nach dem Erlaß niedergeschrieben sein. Es fällt auf, daß der Bischof
zunächst von Zeitungen spricht. Damit sind natürlich die Ermländische
Zeitung in Braunsberg und das Allensteiner Volksblatt gemeint, die
beide von der Ermländischen Zeitungs‑ und Verlagsdruckerei
herausgegeben wurden. Danach ist aber immer nur von der Zeitung die Rede. Das
kann nur die „Ermländische Zeitung“ sein, denn das Allensteiner
Volksblatt hat laut Beschluß des Verwaltungsrats der Druckerei in einer
Sitzung in Frauenburg, also dem Sitz des Bischofs, vom 15. Juni 1935 sein
Erscheinen „aus wirtschaftlichen Gründen" eingestellt. Es ist
anzunehmen, daß Bischof Kaller an der Sitzung teilgenommen hat. Mag er das
Memorandum, was wahrscheinlich ist, noch vor der Sitzung verfaßt haben, so
ist ihm zu dem Zeitpunkt bereits klar gewesen, daß die Tage des Allensteiner
Volksblatts gezählt waren. Aus der Überlegung des
Bischofs geht hervor, daß er sich zum Zeitpunkt der Niederschrift noch
Illusionen hinsichtlich des Spielraums und der Entscheidungsfreiheit machte,
die ihm Amanns Anordnung ließ. Er kannte ja nur diese sehr vorsichtig
formulierte, nicht aber die sehr viel deutlicher werdenden geheimen Erläuterungen.
Es ist charakteristisch für die zupackende Art des Bischofs, wie er in seinem
Memorandum das Problem angeht. Er schreibt: „Da unter Zurückdrängen
des katholischen grundsätzlichen Standpunktes, ja auch der spezifisch
katholischen Berichterstattung die nationalsozialistischen Forderungen restlos
vertreten werden müssen . . ., scheinen sich drei Möglichkeiten zu ergeben. 1. Zeitungsverlag und
Druckerei werden verpachtet. 2. Der Zeitungsverlag wird
verkauft, die Druckerei bleibt in eigenen Händen. 3. Der Zeitungsverlag geht
mit den Zeitungen ein, die Druckerei bleibt in den Händen des Bischöflichen
Stuhles. ad 1. Dieser Weg scheint
moralisch nicht einwandfrei zu sein, da er die Verantwortung auf andere ablädt.
Trotz der Verpachtung bleibt der Bischöfliche Stuhl wenigstens in etwa
verantwortlich (so scheint es wenigstens) für die Handlungen des Pächters. ad 2. Wird der
Zeitungsverlag verkauft, während die Druckerei in den Händen des Bischöflichen
Stuhles bleibt und den Druck der Zeitung ausführt, sind wir für den Inhalt
mitverantwortlich. Diese Lösung erscheint daher moralisch verwerflich. (10) ad 3. Der einzig gangbare
Weg scheint der zu sein, daß der Bischöfliche Stuhl die Zeitung eingehen läßt,
die Druckerei aber behält. Dies wäre die radikalste, aber moralisch
einwandfreieste Lösung mit der einleuchtenden Begründung, daß ein bewußt
katholischer Verlag unter keinen Umständen Forderungen und Ansichten
vertreten darf, die dem katholischen Standpunkt diametral entgegenstehen. Bei
dieser Lösung ist absolut nicht in Betracht gezogen, daß für den Inhaber
großer Schaden entsteht (es handelt sich um ein Objekt von 1/2 Million RM,
das außerordentlich entwertet wird)." Bemerkenswert ist, daß
Bischof Kaller der Lösung, daß der Bischöfliche Stuhl die Zeitung eingehen
läßt und die Druckerei behält, einige Erwägungen folgen läßt, die zwar,
wie er ausdrücklich betont, „die als moralisch gefundene Lösung nicht umstürzen
oder auch nur beeinflussen können", die aber „dennoch hierher
gesetzt" sein mögen: „a) Eine erhebliche
Anzahl des beschäftigten Personals wird brotlos. b) Da in unserem Kreise eine
Zeitung notwendig ist, wird die NSDAP mit aller Gewalt nach unserem Erscheinen
verlangen und vor einer Enteignung nicht zurückschrecken. c) Durch die
Aufgabe der Zeitung geben wir jegliche Möglichkeit auf, unsere Meinung zu
vertreten, auch jede Möglichkeit, über katholische Dinge zu berichten. Es
bleibt uns nur das Sonntagsblatt übrig, das nur spärlich Nachrichten bringen
kann und darf. Daß wir uns auch für die Zukunft den Weg zu einer Neugründung
oder Wiederherstellung der jetzigen Zeitungen versperren oder wenigstens
erschweren, ist als durchaus bestimmt anzusehen. d) Durch die Stillegung der
Zeitung erfüllen wir den heißesten Wunsch der NSDAP, die auf diese Weise
freies Feld für die Ausbreitung einer neuen oder einer bestehenden Zeitung
bekäme. e) Falls uns die Druckerei durch Enteignung verlorengeht, entstehen
große Schwierigkeiten für den Druck unseres Sonntagsblattes...“ Bischof Kaller hatte, wie
schon angedeutet, die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Über das weitere
Schicksal der Ermländischen Zeitung entschied nicht er, sondern der
Reichsleiter Amann und die von ihm eingesetzten Männer, vor allem Winkler. Es
drängt sich hier zunächst die Frage auf, warum nicht die damaligen
Machthaber die Gelegenheit wahrnahmen, sich der ungeliebten Ermländischen
Zeitung zu entledigen. Es ist überhaupt die Frage, warum die
Nationalsozialisten nach dem Verbot der sozialdemokratischen und der
kommunistischen Presse nicht auf gleiche Weise mit der bürgerlichen, der
„konfessionellen" vor allem, verfuhren. Damit wäre doch die
Alleinherrschaft der Parteipresse erreicht gewesen. Aber die
Nationalsozialisten waren klug genug einzusehen, daß viele Leser, wenn man
ihnen ihr vertrautes Blatt nahm, keineswegs eine Parteizeitung halten würden,
sondern überhaupt auf eine Zeitung verzichteten und sich mit den
Rundfunknachrichten begnügten.(11) Ob der erwähnte Kämpfer
vor oder nach der Amannschen Verordnung herauskam: Sein Fiasko bestätigt das
eben Gesagte. Ohnehin litt die Partei an einem chronischen Mangel an fähigen
Journalisten, wie wir noch an einem exemplarischen Fall sehen werden (Vgl.
unten S. 66.). Nicht zuletzt stellte die bürgerliche Presse einen
erheblichen Wirtschaftsfaktor dar. Bei ihrem Eingehen wäre nicht nur ein großer
Steuerzahler ausgefallen, die Zahl der Arbeitslosen wäre stark angewachsen,
und das konnte nicht im Sinne eines Regimes sein, das doch die Beseitigung der
Arbeitslosigkeit als seine erste Aufgabe auf die Fahne geschrieben hatte. So
„begnügte" man sich einmal mit rigorosen Eingriffen in die Besitzverhältnisse
und, was noch sehr wichtig ist: Den Verordnungen Amanns war am 4. Oktober 1933
das vom Reichspropagandaminister Goebbels erlassene Schriftleitergesetz
vorausgegangen. Beide, Amanns Verordnungspaket und Goebbels'
Schriftleitergesetz, brachten zusammen die deutsche Presse unter die Knute der
NS-Diktatur. Eine Zensur der Tagespresse erwies sich als unmöglich, und so
kam Goebbels auf die infame Idee, sich an die Redakteure zu halten, die fortan
Schriftleiter genannt wurden. Sie bekamen täglich vom
Reichspropagandaministerium über die Gaupropagandaämter die Tagesparolen und
Richtlinien zugestellt, nach denen sie verfahren mußten. Vor allem aber: Den
Beruf des Schriftleiters durfte nur der ausüben, der in die
Schriftleiterliste aufgenommen war und einen entsprechenden Ausweis erhielt.
Carl Stephan, der Chefredakteur des Allensteiner Volksblattes, das wie
die Ermländische Zeitung dem Bischöflichen Stuhl von Ermland zugehörte,
wurde erst gar nicht in die Liste aufgenommen, weil er den Nationalsozialismus
mit schweren Waffen bekämpft hatte und Vorsitzender der Ostpreußischen
Zentrumspartei gewesen war (Vgl. H. KUNIGK, Das Allensteiner
Volksblatt in der Weimarer Republik. In: ZGAE 41(1981) S. 130 f.).
Stephan erhielt also, um einen heute gebrauchten Ausdruck zu verwenden,
Berufsverbot. Schriftleiter, die in die Liste aufgenommen waren, konnten
jederzeit auf ihr gestrichen werden, wenn sie den Machthabern nicht paßten,
was gleichfalls ein Berufsverbot bedeutete. Das Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 legte nicht nur
den Schriftleitern Daumenschrauben an, es beseitigte auch die beanspruchte
Alleinherrschaft Amanns über die Presse und wurde daher von ihm und Rienhardt
bitter, aber vergeblich bekämpft. Immerhin wurden den 45 Leitern der
Reichspropagandaämter, die Goebbels unterstanden und seine Linie in den
Provinzen des Reiches zu vertreten hatten, 45 Vertrauensmänner der von Amann
und Rienhardt geführten Reichspressekammer gegenübergestellt, deren Leitung
den Verlagsdirektoren der großen gauamtlichen Zeitungen als
Gaupresseamtsleitern übertragen wurde. Dabei kam es vielerorts zu großem
Gegen- und Durcheinander, doch dies (12)
"entsprach durchaus dem üblichen Bild des Gegeneinanderregierens der unzähligen
Amtsstellen in der Bürokratendiktatur des Dritten Reiches und fiel nicht
besonders unangenehm auf! (Presse in Fesseln (Anm.
10), S. 37.) Wie man's macht, daß das Neben‑ und Gegeneinander
nicht auffiel, habe ich dann selbst in Litzmannstadt zu spüren bekommen, als
es mir gelungen war, man verzeihe mir die kühne Formulierung, eine
Zeitungsente sozusagen aus dem trüben zu fischen (Vgl.
unten S. 49.). Alle Überlegungen Bischof
Kallers über das Schicksal der Ermländischen Zeitung wurden nichtig
gemacht mit der Übernahme des Blattes durch die Phönix-Verlag GmbH in
Berlin. Die Phönix, wie sie kurz genannt wurde, war vor allem zu dem Zweck
gegründet worden, die bisherige katholische, dem Zentrum dienende Tagespresse
aufzufangen (Presse in Fesseln, S. 79‑82. -
HALE, S. 186-189.). Doch übernahm sie noch weitere Tageszeitungen von
kleiner und mittlerer Größe, nach dem Polenfeldzug auch die Lodzer Freie
Presse. Die Verlagsspitze bildeten die Herren Feitsch (kaufmännische Leitung)
und Dujardin (Personalreferent). Die Phönix und der von ihr nach Braunsberg
entsandte Verlagsdirektor Hermann Orth bildeten zusammen die
Nova‑Zeitungsverlag GmbH, die zunächst nur für die Herausgabe der Ermländischen
Zeitung zuständig war. Sie wurde im Lohndruck bei der, kurz gesagt, Ermländischen
Druckerei erstellt, die vorerst noch den alten Inhabern, vor allem also dem
Bischöflichen Stuhle von Ermland, verblieb. Doch als die Druckerei die
Enzyklika „Mit brennender Sorge" vom 14. März 1937 gedruckt hatte,
wurde sie von der Gestapo geschlossen und vom Staate eingezogen. Somit war die
Ermländische Zeitung zunächst ohne Druckerei. Sie konnte aber nach
einer in der Druckerei des Braunsberger Kreisblattes gedruckten Notausgabe
einige Wochen in der Druckerei des Königsberger Tageblattes herausgebracht
werden. Zu diesem Zwecke wurde ich nach Königsberg entsandt. Dann aber wurde
auch die Ermländische Zeitungs- und Verlagsdruckerei in Braunsberg vom Nova-Zeitungsverlag
übernommen, und zwar mußte sie dieser vom Staate käuflich erwerben! (Vgl.
WERMUTH, S. 50, Anm. 1. Danach
dürfte der Nova-Zeitungsverlag bzw, der
Phönix-Verlag 63 500 Mark gezahlt haben. Die Formulierung von Wermuth
er scheint allerdings reichlich diffus.) Der Bischöfliche Stuhl von
Ermland, der für den Zeitungskopf noch 20 000 Mark erhalten haben soll, bekam
für die Druckerei keinen Pfennig. Die Befürchtung Bischof Kallers, daß sich
im Falle einer Enteignung der Ermländischen Druckerei große Schwierigkeiten
für den Druck des Ermländischen Kirchenblattes ergeben könnten, hat sich
als gegenstandslos erwiesen. Es ist bis zu seinem Eingehen 1941 in derselben
Druckerei gedruckt worden. Der Druck und der Verlag des neuen ermländischen
Diözesangesangbuches „Lobet den Herrn" (1940) wurden der Firma Herder (13)
& Co. in Freiburg i. Br. und der Herderschen Buchhandlung in Braunsberg überlassen.
Orth ist nachher von Berlin gerügt worden, daß er die Ermländische
Zeitung in Königsberg nicht bei der Allgemeinen Zeitung hat
drucken lassen, weil diese dem der Phönix verwandten Vera-Verlag zugehörte.
Sofort nach Bekanntwerden der Amannschen Anordnungen kündigte, wie es von ihm
eigentlich nicht anders zu erwarten war, uns der Verlagsdirektor Skowronski,
wie es so schön heißt, vorsorglich. Trotz seiner eindringlichen Warnung habe
ich am 11. Juni 1935 in Breslau das uns schon bekannte Fräulein Rudolph
geheiratet, also in gekündigter Stellung. Wir hatten befürchtet, daß
man uns aus Berlin als Verlagsdirektor der gleichgeschalteten Ermländischen
Zeitung einen mehr oder weniger stark engagierten Parteimann schicken
werde, und waren sehr erfreut, als sich uns mit Hermann Orth ein alter
Zentrumsredakteur auf dem Posten vorstellte. Orth wurde 1885 in Osnabrück
geboren, doch war er dem Typ nach eher ein Rheinländer, wenn auch von der
stilleren Sorte. Dazu paßt, daß er, wie den sogleich angezeigten
Erinnerungen von Carl Stephan zu entnehmen ist, von Düsseldorf aus gern seine
Eltern im nahe gelegenen Rath besuchte. Stephan, der einstige Chefredakteur
des Allensteiner Volksblattes, gehörte zeitweilig mit Orth der
Redaktion des Düsseldorfer Tageblattes an. Als Stephan 1911 in die
Redaktion der Zeitung eintrat, amtierte dort Hermann Orth als Lokalredakteur.
Stephan bemerkt über ihn: „Wir haben uns immer gut vertragen. Orth war ein
stiller, gescheiter Mensch, der nur schwer aus der Fassung zu bringen
war". (Die Erinnerungen Carl Stephans hat mir
freundlicherweise Herr Helmut Kunigk (Dortmund)
zugänglich gemacht. Vgl. ZGAE 41(1981), S. 70, Anm. 40.) Den gleichen
Eindruck haben wir von Orth in Braunsberg gewonnen. Chefredakteur des Düsseldorfer
Tageblattes war damals August Hommerich. Als dieser Chefredakteur der Berliner
Germania, des führenden Zentrumsorgans, geworden war, folgte ihm Orth als
Innenredakteur in die Reichshauptstadt. Nach der Ablösung Hommerichs 1922
wurde Orth Chefredakteur der Germania, die zwar arm an Abonnenten war, aber
wegen der Schlüsselstellung der Zentrumspartei politisch eine bedeutende
Rolle spielte“. (Vgl. BACH, S. 193 ff.)
Orth stand wie der Verlagsdirektor Katzenberger, dessen Schicksal er teilen
sollte, auf dem linken Zentrumsflügel, den der frühere Reichskanzler Wirth führte. Da drängte sich, wie schon
erwähnt, in die Germania durch den Erwerb zahlreicher Aktien (zuletzt der
Aktienmehrheit) Franz von Papen ein, ein westfälischer Krautjunker, dem eine
reiche Heirat eine emsige politische Tätigkeit ermöglichte, die ihm j a 1932
für einige Zeit sogar zum Posten des Reichskanzlers verholfen hat. Pagen
stand im Zentrum auf dem äußersten rechten Flügel und (14)
wollte auch die Germania auf Rechtskurs bringen. Dabei war ihm Orth im Wege.
Er suchte ihn von seinem Platz zu verdrängen. Das schien ihm gelungen zu
sein, als Orth 1927 mit dem Berliner Korrespondenten der Kölnischen
Volkszeitung Buhla den Platz tauschte. War dies aber wirklich Papens Werk?
Josef Hofmann, damals Redakteur an der Kölnischen Volkszeitung, meint:
"Orth hatte nämlich, als Papen die Aktienmehrheit erwarb, als
Chefredakteur der Germania unter einem Pseudonym im Berliner Tageblatt
heftige Artikel gegen Papen geschrieben. Da zu befürchten war, daß dies
herauskommen könne, kamen Orth und Buhla überein, ihre Stellen zu
tauschen". (J. HOFMANN, Journalist in Republik,
Diktatur und Besatzungszeit. Erinnerungen 1916‑1947. Bearb. u. eingel.
v. R. MORSEY, (VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSION FÜR ZEITGESCHICHTE. Reihe
A: Quellen, Bd. 23.) Mainz 1977, S. 48.) Tatsächlich ist im Berliner
Tageblatt laut Bach (Vgl. BACH, S. 276 ff.) am
24. Oktober 1927 ein Artikel unter der Überschrift „Der Kampf um die
Germania" erschienen, der mit deutlicher Anspielung auf Papen es als
einen von weiten Kreisen der Zentrumspartei für unhaltbar empfundenen Zustand
bezeichnete, „daß Männer, die nur formell zur Zentrumspartei, tatsächlich
zur Deutschnationalen Volkspartei gehören, auf das Berliner führende
Zentrumsorgan einen ausschlaggebenden politischen Einfluß ausüben können".
Hier könnte es sich um einen der von Hofmann gemeinten Artikel Orths handeln.
Dazu verdient noch eine Bemerkung Bachs zu einem Artikel in der Frankfurter
Zeitung vom 20. Oktober 1927 mit der Überschrift „Herr v. Papen und die
Germania" beachtet zu werden: „Die Redaktion der Germania hatte andere
Redaktionen mit präzisen Nachrichten versorgt und sie zur Veröffentlichung
ermuntert". (Ebd. S. 277, Anm. 3.) Nach
alledem scheint mir Hofmanns Darstellung des Rollentausches zwischen Orth und
Buhla zuzutreffen. Papen war danach nicht direkt an dem Rücktritt Orths vom
Posten des Chefredakteurs beteiligt gewesen, aber er hatte erreicht, was er
wollte. Doch war es eher ein Scheinsieg: Die Zeitung behielt auch unter Buhlas
Leitung im wesentlichen ihren Kurs bei. Ich bedaure heute natürlich, Orth in
Braunsberg nicht näher über die Vorgänge befragt zu haben, aber sie lagen
mir damals zu fern. Erst mit Emil Ritter setzte sich zunächst 1932, dann 1933
ein Mann Papens in den Sessel des Chefredakteurs der Germania. Leider habe ich
auch Ritter nicht befragt, als ich ihm nach dem Kriege in Fulda im
Theresienheim begegnet bin. Als zunächst Stellungsloser und dann Anwärter
auf eine Studienreferendarstelle hatte ich damals andere Sorgen. Orth war ein kleiner,
rundlicher Herr mit einem klugen Gesicht und guten, aber durchdringenden
Augen. Wichtiger als sein gewinnendes Äußeres war die Einstellung, die wir
von Orth zu erwarten hatten. Wenn ich sage „wir", so deute ich damit
schon an, daß die (15) beiden Kollegen Dr.
Faller und Hermann, die Mitglieder der Zentrumspartei gewesen waren, auch nach
der Gleichschaltung im Amte blieben. Wir fragten uns natürlich alsbald, wem
wir zu verdanken hatten, daß Orth unser neuer Verlagsdirektor wurde, und
ermittelten, daß es der damalige Staatssekretär im
Reichspropagandaministerium (von den Journalisten „Promi“ genannt),
Walther Funk, der nachmalige Reichswirtschaftsminister, und der uns schon
bekannte Max Winkler waren, die eng zusammengearbeitet haben. (Vgl.
HALE, S. 134.) Unsere Vermutung wurde von Orth bestätigt: Ich habe von
ihm selbst erfahren, daß er, als die örtlichen Parteistellen ihm weiterhin
Schwierigkeiten machten, einmal zu Funk, ein andermal zu Winkler nach Berlin
gefahren ist, um bei ihnen Rückendeckung zu suchen, die ihm gewährt wurde.
Von der Begegnung mit Winkler zeigte er sich offensichtlich besonders
beeindruckt. Hatte sich Max Winkler vor
1933 den damaligen Regierungen zur Verfügung gestellt, so erwies er die
gleichen Dienste dem neuen Regime. De Mendelssohn (Vgl.
de MENDELSSOHN (Anm. 10), S. 390.) bemerkt: Wie der Umsturz von 1918
ihn nicht aus der Fassung gebracht habe, so auch nicht der von 1933. Dieser
„trug ihm den Titel eines Beauftragten für die ,Gleichschaltung` der Presse
ein. Winkler drängte sich nicht vor. Er war nicht einmal Parteimitglied, er
wurde es erst 1937. Die Machthaber kamen zu ihm. Und Winkler stand zu
Diensten. Am Tag der „Machtergreifung“, dem 30. Januar 1933, besaßen die
Nationalsozialistische Partei und ihr Parteiverlag Franz Eher in München
knapp 2,5 Prozent aller deutschen Zeitungen. Zehn Jahre später besaßen sie
82,5 Prozent. Dieser in der Weltgeschichte des Zeitungswesens einzigartige
Vorgang war weitgehend das Werk Max Winklers. " Seine Arbeit „besorgte
er ohne äußeren Aufwand" in seiner bescheidenen Berliner Privatwohnung
im Haus Brückenallee 3. Hier saß er still und ruhig wie die Spinne im Netz
als die „Graue Eminenz des deutschen Pressewesens", sofern man überhaupt
von seiner Existenz etwas wußte. Max Winkler wurde 1875 als
Sohn eines Lehrers in Karrasch im westpreußischen Kreis Rosenberg geboren.
Nach Eintritt in den Postdienst wurde er 1913 Postsekretär in Graudenz. Während
der Revolution im November 1918 wurde er Bürgermeister dieser Stadt. Seitdem
ließ er sich gern als „Herr Bürgermeister" anreden. Nachdem Graudenz
1920 auf Grund des Versailler Vertrages den Polen übergeben worden war, ging
er nach Berlin. Zeitweilig gehörte er als Mitglied der Deutschen
Demokratischen Partei (DDP) dem Preußischen Landtag an. Dann übernahm er die
bereits erwähnten Aufgaben im Dienste der Regierung. Weil er dabei die Freie
Stadt Danzig besonders bedachte, verlieh ihm die Technische Hochschule Danzig
die Würde eines Dr. h. c. Wenn er sich dann dem (16)
NS‑Regime zur Verfügung stellte, tat er dies keinesfalls aus
Begeisterung für dieses, sondern, um es simpel zu sagen, „aus Spaß an der
Freud", weil er hier eine Möglichkeit sah, seine enormen Fähigkeiten
voll zu entfalten. So ist z. B. die Gleichschaltung der Pressekonzerne' Mosse,
Ullstein, Scherl wesentlich sein „Verdienst" gewesen. Aber auch die Gründung
der Phönix ist auf Winklers Initiative zurückzuführen. (Presse
in Fesseln, S. 72‑89) Er hat die Machtfülle, die ihm zugewachsen
war, genutzt, um, wie das Beispiel Orth zeigt, möglichst vielen Journalisten
aus der „Systemzeit“ überwintern zu helfen. So ist er im August 1949 von
der Spruchkammer in Lüneburg „auf Grund einer Flut von `Persilscheinen´“
(HALE, S. 135.) als
Entlasteter in Gruppe V eingestuft worden. Und als er im Alter von 86 Jahren
im Oktober 1961 in Düsseldorf gestorben war, sprach die Frankfurter
Allgemeine Zeitung am 16. Oktober 1961 in einem längeren Nachruf von Winkler
als einem Herrn von gewinnender Herzlichkeit, „der bei aller Bescheidenheit
des Auftretens die große Macht genau kannte, die er ausübte". Er habe,
bemerkt die Zeitung, „der alten Frankfurter Zeitung, soviel dies möglich
war, gegen die Obergriffe der Partei beigestanden, die Veröffentlichung von
Theodor Heuss' ,Friedrich Naumann' ermöglicht ...und dem späteren Flüchtlingsminister
Lukaschek durch mutiges Eintreten im Prozeß vor dem Volksgerichtshof in
letzter Stunde das Leben gerettet". Der andere Protektor Orths
war, wie gesagt, der damalige Staatssekretär im "Promi", Funk (GILLESSEN
zählt Funk „zu den vernünftigeren Leuten auf der nationalsozialistischen
Seite“ (S. 162). Wie an Rienhardt und Winkler fand auch an ihm die Frankfurter
Zeitung einen Rückhalt. Er gehörte zu den maßgebenden Stellen, von
denen „die Frankfurter Zeitung in der jetzigen Form [1936] für
notwendig und nützlich erachtet wurde" (S. 267). - Funk wurde 1938 als
Nachfolger von Schacht Reichswirtschaftsminister. Das Nürnberger Tribunal
verurteilte ihn 1947 zu lebenslänglichem Gefängnis. 1957 entlassen, ist Funk
1960 gestorben.). Orth und Funk kannten sich aus der Zeit, als dieser
Redakteur der Berliner Börsenzeitung und Orth Chefredakteur der Germania
(1922-1930) war. Ein „Trunkenbold", wie man es Funk nachsagt, war Orth
ganz gewiß nicht. Aber auch er verachtete nicht einen guten Tropfen, und so
werden sie bei passenden Gelegenheiten, etwa bei der Jungfernfahrt des
Ozeandampfers „Albert Ballin", schon einmal einen Schoppen oder auch
zwei zusammen getrunken haben. Und da die Erfahrung lehrt, daß sich
Trinkfreunde nie im Stiche lassen, soll Funk gesagt haben, Orth hebe zwar mal
einen mit dem Hirtsiefer (einem führenden Zentrumspolitiker, d. Verf.), sei
aber sonst ein anständiger Kerl, man schicke ihn also nach Braunsberg, dessen
spezifisches geistiges Klima dem gebürtigen Königsberger Funk gewiß bekannt
war. Orth war natürlich den Braunsberger Parteistellen gar nicht willkommen;
sie hatten sich alsbald über seine politische Vergangenheit (17)
informiert. Jedenfalls dürften sie sich die Gleichschaltung der schwarzen Ermländischen
Zeitung ganz anders vorgestellt haben. Zunächst versuchten sie, die
Eintragung des neuen Verlages, dessen Teilhaber und Direktor Orth war, beim
Braunsberger Amtsgericht zu verhindern. Doch auf einen Wink aus Berlin,
wahrscheinlich von Funk, mußten sie diese zulassen. Eines Nachmittags - die
Geschäftsstelle war schon geschlossen - bat mich Orth hinunter in sein Büro.
Ich solle, sagte er mir, einen Brief schreiben, den er aus guten Gründen
seinen Damen nicht diktieren wolle. Worum ging es? Vom Phönix-Verlag in
Berlin hatte er ein Schreiben erhalten; in diesem wurde in dürren Worten
verlangt, den Prokuristen des Nova-Verlags Dipl.Kfm. Aloys Schröter sofort
zu entlassen, und zwar, wenn ich mich recht erinnere, auf Veranlassung der örtlichen
Parteistellen. Ob direkt als Grund ausdrücklich parteischädigendes Verhalten
angegeben wurde, vermag ich auch nicht mehr zu sagen. Aber darum ging es. Es
waren Schröters kirchliche Aktivitäten, die der Partei mißfielen und ihr
auch ins Gehege kamen, weil sich Schröter sehr energisch für das Katholische
Vereinshaus eingesetzt hatte, das inzwischen wohl schon zum Gesellschaftshaus
umbenannt worden war, dessen Eigentümer aber immer noch der der katholischen
Pfarrgemeinde verbundene Katholische Volksverein war (mit dem Volksverein für
das katholische Deutschland hatte dieser nichts zu tun). Das Gesellschaftshaus
war aber der Konkurrent des Evangelischen Gemeindehauses, das dessen cleverer
Ökonom sehr zum Verdruß der Kirchengemeinde zum Parteilokal umfunktioniert
hatte, wo die örtlichen Parteifunktionäre ihren ständigen Durst auf Kosten
des Wirtes stillten. So dürfte der Anschlag gegen Schröter an der Theke des
Gemeindehauses ausgeheckt worden sein. Orth kam keineswegs dem
Befehl aus Berlin sofort nach, sondern behandelte den Fall nach Bismarcks
Vorbild dilatorisch, d. h. aufschiebend. Er diktierte mir an die Berliner
Adresse einen sehr diplomatischen Brief, der einen weiteren Schriftwechsel zur
Folge hatte. Am Ende verzichtete man auf die Entlassung Schröters, doch mußte
er seine Tätigkeit für die Kirche aufgeben, so die Mitgliedschaft im
Vorstand der Kuratiegemeinde Neustadt und vor allem natürlich im Vorstand des
Katholischen Volksvereins. Damit hatte man erreicht, was man wollte. Das
Gesellschaftshaus wurde alsbald an den Kinobesitzer Broschinski verkauft. Um
ihn weiter unter Druck zu halten, mußte Schröter der NSDAP beitreten. Dies
hat mir sein Bruder Hugo noch kurz vor seinem Tode bestätigt. Man kann angesichts seiner
eigenen prekären Lage Orths Verhalten im Fall Schröter nur als mutig
bezeichnen. Er war schon der anständige Kerl, als den ihn Walther Funk
bezeichnet hatte! Es ist bei den damaligen Verhältnissen durchaus glaubwürdig,
wenn gesagt wurde, Orth sei von Berlin veranlaßt worden, selbst einen Antrag
auf Aufnahme in die NSDAP zu stellen, doch sei dieser wegen seiner (18)
„anrüchigen" Vergangenheit abgelehnt worden. Erliege ich einer
Halluzination, wenn ich behaupte, mir sei, als ich schon aus der Ermländischen
Zeitung ausgeschieden war und in Braunsberg auf Urlaub weilte, Orth in
Offiziersuniform begegnet? Ich könnte sogar die Stelle in der Marktstraße,
damals Hindenburgstraße, benennen, wo ich ihn getroffen habe. Doch scheint
Orth den grauen Rock bald wieder ausgezogen zu haben, möglicherweise weil ihn
die Partei als wehrunwürdig bezeichnete, wie man es ausdrückte. Solches hat
man auch in anderen Fällen getan, so mit den Hohenzollernprinzen. Schließlich
scheint sich aber die Partei mit dem Verlagsdirektor Orth abgefunden zu haben,
weil auch sie seine Integrität anerkennen mußte. Ich habe mit Orth manch
gutes Gespräch geführt. Eine Verbindung stellte schon die gemeinsame Liebe
zu Berlin her. Einen Ausspruch von ihm habe ich mir genau gemerkt. Er, an
dessen demokratischer und republikanischer Gesinnung kein Zweifel bestand -
die Gegnerschaft zu Papen war der beste Beweis dafür -, sagte mir einmal,
schuld an dem Untergang Weimars seien auch die Leute gewesen, die mit ihrem
Gerede von der echten, ewigen Revolution den Sozialdemokraten keine Ruhe
gelassen hatten. Er meinte damit u. a. die Kreise um die Weltbühne, deren
Herausgeber Carl von Ossietzky und wichtigster Mitarbeiter Kurt Tucholsky
waren. Sie hatten die SPD so sehr verunsichert, daß diese bekanntlich 1930
die letzte Reichsregierung mit einer parlamentarischen Mehrheit unter ihrem
eigenen Parteigenossen Hermann Müller als Kanzler wegen einer Bagatelle
platzen ließ und damit eigentlich schon das Ende der Weimarer Republik
verschuldete. Dazu ist sehr beachtenswert, was August Scholtis in seiner
Autobiographie „Ein Herr aus Bolatitz" schreibt: „Lebhaft erinnerte
ich mich einer Reichstagssitzung, als es den Sozialdemokraten gelang, Carl von
Ossietzky aus dem Gefängnis zu befreien und der sozialdemokratische Sprecher,
ich glaube, es war Kurt Schumacher, melancholisch bemerkte: ,Nun kann er uns
wieder beschimpfen´“.(A. SCHOLTIS, Ein Herr aus
Bolatitz, Lebenserinnerungen. München 1959, S. 315.) Ich selbst
erinnere mich der Stelle aus einem Gedicht Tucholskys: „Wir dachten unter
kaiserlichem Zwange an eine Republik, und nun ist's die!" Die Republik
ist ja dann abgeschafft worden, aber nicht im Sinne der genannten
linksradikalen Intellektuellen. In der Emigration soll manchen von ihnen, ich
meine, Tucholsky gehörte dazu, aufgegangen sein, was sie mit ihrer ständigen
ätzenden Kritik an der Weimarer Republik angerichtet hatten. Carl von
Ossietzky war nicht emigriert; er ist 1938 an den Folgen der KZ-Haft
gestorben. Nachdem ich die Geschichte
der Ermländischen Zeitung in der Zeit meines Wirkens bei ihr von 1933
bis 1939 im Rahmen der damals erfolgten grundlegenden Veränderungen in der
deutschen Presselandschaft (19) dargelegt habe,
komme ich jetzt auf meine persönlichen Eindrücke und Erfahrungen während
meiner Tätigkeit als Schriftleiter an der Zeitung zu sprechen. Als ich bei
ihr antrat, hieß der Chefredakteur Dr. Max Faller. Er hatte den aus Hessen
stammenden Vollblutjournalisten Heinrich Kempf abgelöst, der es mit den
Bauern nicht konnte, die im Ermland das Sagen hatten. Faller war alles andere
als eine Kämpfernatur. Schon in Braunsberg tätig, promovierte er in Königsberg
bei Professor Müller-Blattau mit einem Thema aus der Musikgeschichte, was in
der klassenbewußten Stadt sein Ansehen merklich hob. Obwohl er Mitglied der
Zentrumspartei war und vor 1933 sich für diese gegen die deutschnationale
Heilsberger Warmia und dann auch gegen die Nationalsozialisten
eingesetzt hatte, wurde er von den letzten anders als sein Allensteiner
Kollege Carl Stephan in die Schriftleiterliste aufgenommen. Doch hatte er natürlich
nach 1933 einen schweren Stand. Ich erinnere mich, daß er einmal von der
Partei eine Rüge einstecken mußte, weil er gewagt hatte, Hitler nur als Führer
der NSDAP zu bezeichnen und nicht als den Führer. Großen Ärger bereitete
Faller der Akademieprofessor Karl Eschweiler. Dieser hatte die Idee, daß sich
katholische Religion und nationalsozialistische Weltanschauung sehr wohl
vereinbaren ließen, und gab Faller einen Artikel in dem Sinne. Da Faller
anderer Meinung war und den Artikel nicht aufnehmen wollte, drohte Eschweiler
mit der Partei und machte diese womöglich noch gegen ihn mobil, so daß der
Artikel dann doch in unserem Blatt erschien, nicht nur zu Fallers großem
Verdruß. Schlimm war es schon, wenn wir Meldungen wie die von der
Amtsenthebung des Braunsberger Landrats Stankewitz kommentarlos bringen mußten,
wobei noch unberechtigte Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Ich habe von
Faller kaum irgendwelche Anleitungen und Anregungen erhalten, so daß ich mich
getrost als journalistischen Autodidakten bezeichnen kann. Lokalredakteur war Anton
Herrmann. Ein wahrhaft feiner, vornehmer Mensch, der leider schwer an den
Folgen einer Tuberkulose litt, so daß er mitunter unendlich müde wirkte. Als
er während des Krieges starb, ließ es sich Verlagsdirektor Orth nicht
nehmen, ihm selbst mit der hervorragenden Feder des alten Journalisten einen
sehr würdigen Nachruf zu schreiben, der Hermanns noblem Charakter und seiner
allgemeinen Beliebtheit in der Stadt und bei den Lesern gerecht wurde. Der
Nachruf offenbarte auch eine Gemütstiefe, die man bei einem Mann von der eher
nüchternen Art Orths nicht ohne weiteres erwartete. Frau Herrmann gehörte
einer Familie an, die - für Braunsberger Verhältnisse! - ein wenig
exzentrisch wirkte. Ihr selbst konnte man sogar, da sie mehrere Jahre in China
gewirkt hatte, einen Anflug von Exotik nicht absprechen, der ihr gut zu
Gesicht stand. Als ich meine Tätigkeit in
Braunsberg aufnahm, wirkte als Wirtschaftsredakteur an der Ermländischen
noch kurze Zeit Dr. Georg (20)
Heider. Doch war er bereits im Absprung
begriffen, denn die westfälische Zeno‑Gruppe hatte ihn zu ihrem
Chefredakteur gewählt. Nach seinem Weggang fiel der Wirtschaftsteil, dem
Heider zu Ansehen über das Verbreitungsgebiet der Zeitung hinaus verholfen
hatte, in seine Bedeutungslosigkeit zurück. Da ich in wirtschaftlichen Dingen
völlig ahnungslos war, konnte ich nicht Heiders Nachfolge antreten. Man
verwies mich auf das Feuilleton, womit ich eigentlich Dr. Faller ins Gehege
kam, denn er war nicht zuletzt seiner kulturpolitischen Neigungen wegen zum
Chefredakteur der „Ermländischen Zeitung" gewählt worden. Was man
eigentlich von mir erwartete, schon auf Grund meiner Dissertation: daß ich
den ermländischen Charakter des Blattes deutlich herausarbeiten würde. Das
bin ich meinen „Brötchengebern" weitgehend schuldig geblieben. Nach
den angespannten zwei Examensjahren fiel ich in mein altes Laster, die Trägheit,
zurück. Und dann kamen mir, nachdem ich lange Zeit Großstadtluft geatmet
hatte, die Verhältnisse im Ermland eher eng und kleinkariert vor, so daß sie
mich nicht reizen konnten, mich näher mit ihnen zu befassen. Wenn ich in
meinen alten Jahren in Wort und vor allem Schrift mit Hingabe dem Ermland
gedient habe, habe ich nur nachgeholt, was ich in jungen versäumt habe. So
paradox es klingen mag: Zum richtigen Ermländer bin ich erst geworden, als
das Ermland für mich verloren war. Mir ist es wie Ernst Wiechert ergangen:
„Erst seit ich in der Ferne bin, erkenne ich dich ganz." Was ich in dem
Zusammenhang nicht unerwähnt lassen möchte: Auch nach 1933 belieferten die
Herren Privatdozent Dr. Schmauch und Msgr. Eugen Brachvogel die Ermländische
Zeitung mit ihren Beiträgen zur ermländischen Geschichte und
Kulturgeschichte. Mit Eugen Brachvogel verband mich in den letzten Jahren
seines Lebens ein freundschaftliches Verhältnis. Er ist es auch gewesen, der
mich in den Vorstand des Historischen Vereins für Ermland einschleuste,
allerdings erst kurz vor dem Krieg, mit dem ich dann aus der Schriftleitung
der Ermländischen Zeitung ausgeschieden bin, was ich zu dem Zeitpunkt
allerdings noch nicht wußte und auch kaum ahnte. Im Frühsommer 1933 öffnete
die SA weit ihre Tore, und jede Menge von Bürgerlichen strömte in sie
hinein, und ich strömte nach einigem Zögern mit. Die Gründe für die Öffnung
der SA werden verschieden angegeben. Für das, was er vorhatte, sagen die
einen, wollte sich der Stabschef Röhm eine möglichst breite Resonanz in den
Bevölkerungskreisen suchen, die bisher der NSDAP mehr oder weniger ablehnend
gegenüberstanden. So sind auch folgende Verfügungen zu verstehen, die ich
mit eigenen Augen gelesen habe: Die SA beteiligt sich nicht an Ausschreitungen
gegen katholische Geistliche. Den SA‑Männern ist Gelegenheit zum Besuch
des Sonntagsgottesdienstes zu geben. Tatsächlich konnte man in der
Pfarrkirche in der 7-Uhr-Messe SA-Männer in Uniform sehen. Wenn anderswo
ganze SA‑Stürme damals geschlossen in die Kirche marschiert (21)
sein sollen - in Braunsberg sah man solches nicht. Nach einer anderen Version
soll Hitler den Zustrom von Bürgerlichen in die SA nicht ungern gesehen
haben, weil er durch ihn ein Aufweichen seiner ihm nach der Machtübernahme
immer lästiger werdenden alten Kampftruppe erhoffte. Vielleicht treffen beide
Versionen zu. Durch den Zugang zahlreicher Bürgerlicher wurde die SA in
Braunsberg und Umgebung so stark aufgebläht, daß die Stadt Sitz einer SA-Brigade
wurde, die für ihren Apparat ein größeres Haus in der Königsberger Straße
mietete. Man ist geneigt zu sagen, daß der eigentlichen Partei in der SA eine
Art Rivale erwuchs. Auf dem Bild, das die Honoratioren auf der Rathaustreppe
beim Braunsberger Stadtjubiläum 1934 zeigt, ist neben Bischof Maximilian
Kaller und Generalvikar Marquardt auch der SA-Brigadeführer Koppe zu sehen.
Die Partei selbst lehnte eine Beteiligung am Stadtjubiläum ab, weil als
Erster Bürgermeister noch der ehemalige Zentrumsmann Ludwig Kayser fungierte. Nach Hitlers Rede vor dem
Ermächtigungsgesetz, auf Grund von Äußerungen mancher Bischöfe, dann auch
nach Abschluß des Reichskonkordats machte sich in katholischen Kreisen eine
gewisse Euphorie breit. Doch will ich, was meinen Eintritt in die SA betrifft,
mich nicht darauf herausreden. Ich war und blieb skeptisch. Ich kann mit gutem
Gewissen sagen, daß ich nicht zur Machtergreifung Hitlers beigetragen habe.
Als braver Ermländer habe ich bis einschließlich der Märzwahlen 1933
Zentrum gewählt. Nachdem ich durch die Zustimmung der Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz
vom 23. März 1933 sozusagen politisch heimatlos geworden war (die zwangsweise
Selbstauflösung der Partei im Juli 1933 war nur eine Formsache), glaubte ich
aus beruflichen Gründen den Anschluß an die neuen politischen Verhältnisse
suchen zu müssen, von denen man damals annehmen durfte, daß sie sich
zumindest auf längere Zeit etabliert hatten, wenn auch nicht auf die angekündigten
tausend Jahre. Ähnlich haben damals Männer gedacht, die nach dem Kriege auf
der beruflichen Stufenleiter ein beachtliches Stück höher geklettert sind
als ich. Jedenfalls glaube ich sagen zu können, daß ich nach meinem Eintritt
in die SA trotz allen sich daraus ergebenden Folgerungen und Schwierigkeiten
meinen überkommenen Grundsätzen treu geblieben bin, wozu, was ich keineswegs
verschweigen will, meine leider schon 1984 verstorbene tiefgläubige Frau
entscheidend beigetragen hat. Nach dem sogenannten Röhmputsch
1934 fiel die SA-Herrlichkeit wie ein Kartenhaus zusammen. Die meisten Bürgerlichen
verkrümelten sich. Ich glaubte, ihnen nicht folgen zu können wegen meiner
prekären beruflichen Stellung. Doch drohte mir immer wieder ein Ausschlußverfahren
wegen mangelnder Dienstauffassung. Wenn ich doch einmal zum Dienst erschien,
mußte ich wegen meines Berufes über die neuesten politischen Vorgänge
berichten. Auf den Braunsberger Kreistreffen in Münster ist nach dem Kriege (22)
ein SA‑Kamerad Alfons Ch. mehrfach auf mich zugekommen:
„Mensch, was haben wir gelacht, wenn du deine Vorträge gehalten hast. Die
Kerle waren so doof, die haben gar nicht gemerkt, wie du sie verkackeiert
hast." Ehrlich gestanden: Ich habe es eigentlich gar nicht so sehr darauf
angelegt, die „Kerle" zu verk . . ., wie es der gute Alfons ausdrückte.
Ich habe allerdings nur die Tatsachen berichtet, ohne die damals
vorgeschriebene eingefärbte Tendenz im Sinne des Regimes. Vielleicht habe ich
mal einen Vorgang eingeschoben, der für dieses nicht gerade rühmlich war.
Auch könnte meine angeborene Gabe der Ironie zum Vorschein gekommen sein,
ohne daß ich es eigentlich merkte. 1936 oder 1937 bin ich auf Grund meiner
Zugehörigkeit zur SA ohne besonderen Antrag in die Partei überführt worden
und habe auf diese Weise mit zwei Bundespräsidenten und einem Bundeskanzler
gleichgezogen sowie mit einem weltberühmten Dirigenten. Dieser ist gleich
zweimal in die Partei eingetreten; da komme ich nicht mit. Nach dem Kriege mußte
ich mich natürlich dem Entnazifizierungsverfahren stellen. Ich hatte nahe
Verwandte, die mit Sicherheit schon vor 1933 Hitler gewählt und damit, anders
als ich, ihm zur Macht verholfen hatten. In die Partei einzutreten, hatten
sie, als den freien Berufen zugehörig, „nicht nötig". Was man auch
immer von der von Hitler entfachten Wirtschaftsbelebung halten mag: Den
Verwandten flogen damit auch so die gebratenen Tauben in den Mund, zumal den
Holzhändlern, die sich nicht mehr gegen die in der Branche starke jüdische
Konkurrenz zu wehren brauchten. Nach dem Kriege waren die Herren natürlich
„nicht betroffen" und amüsierten sich, wie es lieben Verwandten ziemt,
an meinen Entnazifizierungsschmerzen. Ich habe keinen Augenblick
daran gedacht, mich durch das am 20. Juli 1933 geschlossene Reichskonkordat
zwischen dem Hitler-Regime und dem Hl. Stuhl in meinem Entschluß, der SA
beizutreten, salviert zu fühlen, ebensowenig wie ich mich durch gewisse
Kundgebungen von deutschen Bischöfen dazu ermuntert sah. Mir war klar, daß
das Konkordat für Hitler als ein Alibi vor der Weltöffentlichkeit dienen
sollte; es ist nicht zu leugnen, daß es für ihn seinen Zweck in gewissem
Umfange erfüllt hat. So hat es mich kaum erstaunt, als ich später in den
vertraulichen Informationen des "Promi" las, der Führer stehe auf
dem Standpunkt, daß deutsche Staatsbürger sich nicht auf das Reichskonkordat
berufen dürften; es sei ein Abkommen zwischen zwei auswärtigen Mächten, für
das auf deutscher Seite allein die Reichsregierung zuständig sei. Gewundert
hat mich höchstens die Unverfrorenheit, mit der solches verkündet wurde. Spöttisch, aber aufschlußreich
äußert sich Ernst v. Salomon über die Situation der SA „nachher". Er
schreibt über den SA-Obergruppenführer Ludin, den man zum Botschafter in der
Slowakei gemacht hatte und mit dem Salomon nach Kriegsende in einem
amerikanischen Lager zusammengetroffen war: "Ludin war stolz (23)
bis zuletzt, gerade SA‑Führer gewesen zu sein - hatte sich doch
gerade die SA zumindest in den Augen der breiten und passiven Bevölkerung am
eindeutigsten von der eigentlichen Sturmtruppe der Revolution zur harmlosesten
und bravsten Formation der Macht gewandelt, selbst der Luftschutz und die NSV
hatten zum Schluß realere Aufgaben als die SA - ich beobachtete mit Vergnügen
das nervöse Zucken von Ludins Augenlidern, wenn fröhliche
SS‑Unterscharführer ihn mit Stolz darauf verwiesen, daß sie zumindest
in der Bewertung der Amerikaner als simple kleine Chargen seinem hohen Range
gleichgestellt waren" (E. v. SALOMON, Der
Fragebogen (ro-ro-ro Nr. 0419). Reinbek 1961, S. 637 f.) (Ludin ist am
28. Januar 1948 von den Tschechen durch den Strang hingerichtet worden). Tatsächlich
führte auch in Braunsberg die SA seit dem sogenannten Röhmputsch von 1934
ein kümmerliches Dasein neben SS und PO (Politische Organisation). Wenn man dem Teufel den
kleinen Finger gibt, nimmt er die ganze Hand. Diese Erfahrung mußte ich auch
machen, nachdem ich der SA beigetreten war. Er erschien nicht lange nach
meinem Eintritt in die SA in meiner Redaktionsstube in Gestalt eines normalen
Studienrats, ob in SS-Uniform oder nicht, vermag ich nicht zu sagen.
Jedenfalls stand sie ihm zu, obschon das schwarzhaarige Männlein nicht im
geringsten dem blonden Recken glich, wie ihn Film und Fernsehen heute als den
SS‑Mann vorstellen. Er komme kraft seines Amtes als Kulturbeauftragter
der NSDAP (oder wie er sich titulierte), sagte er, und er forderte mich auf,
im Zuge der Gleichschaltung der Vereine den Vorsitz des Historischen Vereins für
Ermland zu übernehmen. Ach du dreimal sieben, dachte ich bei mir. Ich sollte
meinen verehrten alten Lehrer Franz Buchholz, gegen den es ging, da er als
letzter Vorsitzender der Braunsberger Zentrumspartei den neuen Herren höchst
anrüchig war, von seinem Posten verdrängen? Unmöglich. Aber was tun? Da kam
mir im richtigen Augenblick der rettende Gedanke: „Der Historische Verein
ist ein überregionaler Verein!" „Ein überregionaler Verein?"
echote der Studienrat, sogar, wie mir schien, erleichtert. „Dann fällt er
nicht in meine Zuständigkeit! Heil Hitler!" „Heil Hitler!" Und er
entschwand so schnell, wie er gekommen war. Mein Kollege Herrmann, der nebenan
das Gespräch angehört hatte, schaute grinsend um die Ecke, und ich grinste
mit, obwohl mir nicht ganz danach zumute war, denn ich war, um schon im Bilde
zu bleiben, soeben noch dem Teufel entronnen, auch wenn der gute Herr
Studienrat allenfalls als sein Abgesandter aufgetreten war. Diesmal war es
allerdings nur ein kleiner Teufel. Dann griff auch ein großer nach mir. Am 9. November 1938 wurde
die Braunsberger SA zu einem Sonderdienst auf dem alten Kasernenhof befohlen.
Mit den üblichen Phrasen und Parolen wurde des Hitlerputsches in München
1923 (24) gedacht. Bei der Gelegenheit wurde
ich zum Rottenführer befördert, womit ich wie die Obergefreiten bei der
Wehrmacht aufs Abstellgleis geschoben war. Bei Dienstschluß wurde den
SA‑Männern, vom Scharführer aufwärts, zumeist alten Kämpfern,
befohlen zurückzubleiben. Zu welchem Zwecke, wurde nicht gesagt,
interessierte mich auch nicht, weil ich davon nicht betroffen war. Mit zwei
Freunden gleichen Kalibers ging ich noch im Rheinischen Hof ein Bier
trinken. Zu Hause sah ich vom Fenster meines Wohnzimmers einen Feuerschein.
Ich überlegte, wo's brennen konnte, kümmerte mich aber nicht weiter drum,
weil ich zu müde war. Am Morgen erfuhr ich, daß es die Synagoge war und auch
sehr bald, daß sie von SA-Männern angezündet war. Dazu also hatte man sie
dabehalten. Mein erster Gedanke: ein Gotteshaus! Dann fiel es mir ein, daß
wir im Rheinischen Hof in unmittelbarer Nähe der Brandstelle gesessen
hatten; hätten wir das Feuer bemerkt, als wir ihn verließen, wären wir in
unseren Uniformen ahnungslos darauf zugegangen. Sogleich drängte sich mir die
Frage auf (und sie verläßt mich auch auf die alten Tage nicht): Wie hätte
ich mich verhalten, wenn ich zum Anzünden der Synagoge kommandiert worden wäre?
Hätte ich den Mut aufgebracht, mich zu drücken, mit allen Folgen, die sich
daraus ergeben konnten, nicht zuletzt in beruflicher Hinsicht? Ich hätte
damit rechnen müssen, daß man auf mich besondere Obacht gab, weil ich schon
wegen meiner Tätigkeit in der, gelinde gesagt, ungeliebten Ermländischen
Zeitung als unsicherer Kantonist galt. Gern würde ich sagen, daß ich
mich trotzdem gedrückt hätte. Aber ich kann es nicht. Ich kann nur sagen, daß
ich glücklich bin, nicht zu dem furchtbaren Frevel befohlen worden zu sein.
Seitdem weiß ich genau, was das Sprichwort bedeutet: Wer dem Teufel den
kleinen Finger reicht . . . Ich war dem Teufel noch einmal entronnen. Das mag
sich pathetisch anhören, aber so war es. Die weiteren Vorgänge
damals sind unter der fürwahr beschönigenden Bezeichnung
Reichskristallnacht, die Dolf Sternberger zu Recht beanstandet, in die
Geschichte eingegangen. Gemeint sind die Demolierungen und Plünderungen der jüdischen
Geschäfte. Die Plünderungen wollte man dann nicht gelten lassen. Hermann Göring,
damals als Beauftragter für den Vierjahresplan ein wichtiger Mann, soll
getobt haben, als er von der sinnlosen Vernichtung von Vermögenswerten in
Millionenhöhe erfuhr. So sah dann die Reparatur der Schäden aus: Der SAMann
H. wurde vom Sturmführer vor versammelter Mannschaft aufgefordert, den
Schlips, den er bei Schachmann hatte mitgehen lassen, zurückzubringen. Damit
war in der Tat ein wesentlicher Teil des Schadens wiedererstattet, und die SA
hatte ihr Gesicht gerettet (wenn sie überhaupt eins hatte). Da konnten wir
nur noch feixen. Der Schlips des SA-Mannes H. ist als Satyrspiel zur Tragödie
in die Geschichte der Braunsberger Kristallnacht eingegangen. Natürlich war
H. kein (25) alter Kämpfer; einen solchen hätte
man nicht auf diese Weise bloßgestellt. Hier soll ein Wort zu der
Frage gesagt sein, ob es in Braunsberg und im Ermland einen Antisemitismus
gegeben hat. Ich vermag im Augenblick nicht zu sagen, ob jemand über das
Judenproblem im Ermland geschrieben hat. So kann ich nur aus eigenen
Erfahrungen als alter Ermländer vom Jahrgang 1905 sprechen. In meinem
Braunsberger Elternhaus konnte ich, wenn ich es richtig ausdrücke, eine
gewisse Zurückhaltung gegenüber den Juden spüren. Wirklich abfällige oder
gar gehässige Bemerkungen über die Juden vermeine ich von meinen Eltern
nicht vernommen zu haben. Die Konfektionsgeschäfte waren bis auf eines in jüdischen
Händen. Nichtjüdisch war nur das von Bernhard Wiehert. Dort kauften die
Eltern ein, vorzugsweise, gelegentlich auch bei Jacob Klein und den
Geschwistern Schachmann. Zu der Haltung der im Ermland sehr einflußreichen
Kirche ist auf die inzwischen bereinigte Stelle in der Karfreitagsliturgie
hinzuweisen. Nach dem Ersten Weltkrieg
wurde der Rasensportverein Braunsberg mehr und mehr ein Sammelpunkt von
Antisemiten, wobei zu beachten ist, daß ein großer, wenn nicht der größere
Teil seiner Mitglieder kaum aus Braunsberger und ermländischen Familien
stammte. Einen scharfen antisemitischen Kurs steuerte der Vorsitzende des
Vereins Fritz Puschke, der in der NS‑Zeit Reichsmechanikermeister
geworden ist. Er war mit Sicherheit kein Ermländer. Jeder Fußballfreund weiß,
wie rar nach der damaligen Spielanlage gute Linksaußen waren. Der
Rasensportverein hatte einen, aber er hieß Cohn und war ein Jude, und so
trennte man sich eines Tages von ihm, in „gütlichem Einvernehmen", wie
man zynisch verlauten ließ. In der Neujahrsnacht 1923/24 kam es auf der Straße
zu Rempeleien zwischen Gästen des Kaufmanns Schachmann und Mitgliedern des
Rasensportvereins. Dabei erschoß der jüdische Student Wechselmann aus Königsberg
den Rasensportler Kirstein (der allerdings ein Ermländer war, aber mit der
alten Braunsberger Bürgerfamilie gleichen Namens nichts zu tun hatte). Der Täter
wurde vom Landgericht Braunsberg zu einer verhältnismäßig geringen
Haftstrafe verurteilt, da die Vorgänge in der dunklen Nacht, bei denen der
Alkohol eine erhebliche Rolle spielte, nicht restlos aufgeklärt werden
konnten und das Gericht zugunsten Wechselmanns Notwehr nicht ausschloß.
Immerhin fiel auf, daß der Student das Bedürfnis fühlte, einen Revolver bei
sich zu tragen; solches war in unseren friedlichen Regionen eigentlich ungewöhnlich.
Die Affäre erregte natürlich die Gemüter auch außerhalb von Braunsberg und
seinem engeren Umfeld; doch kann ich mich nicht entsinnen, daß sie in der
breiteren Bevölkerung eine antisemitische Stimmung auslöste. Als militanter Antisemit führte
sich zu meiner Zeit auf dem Braunsberger Gymnasium ausgerechnet ein Mitschüler
auf, der (26) nach dem Abitur den Priesterberuf
wählte, allerdings nicht zu seinem und der Kirche Heil. Sonst hatten die
wenigen jüdischen Mitschüler (in meiner Klasse hatten wir keinen) gewiß
nichts zu leiden, auch wenn z. B. schon einmal das Wort Schacherjud fiel (übrigens
soll schon Karl Marx das Wort Schacher mit den Juden in Verbindung gebracht
haben). Wie ich den Satz wieder lese, ist mir nicht wohl. Warum sollten die jüdischen
Mitschüler überhaupt etwas zu leiden haben? Waren sie nicht Menschen wie
wir? Was mir aus meiner
Jugendzeit in Erinnerung geblieben ist: Als ich einmal an einer Schmiede
vorbeiging, ließ dort ein jüdischer Pferdekaufmann seinen Gaul beschlagen.
Er wurde von einem angetrunkenen Bauern, der mit ihm schlechte Erfahrungen
gemacht haben wollte, auf Plattdeutsch angepöbelt. Ich höre noch das Wort
Lompejud. Der Meister wies den Bauer nicht etwa zurecht, er grinste nur. Der
Sohn des Pferdehändlers saß im Gymnasium eine Klasse vor mir. Er war, ich
sage das absolut akzentfrei, das, was man damals unter einem jüdischen
Intellektuellen verstand. Er hat auch in der Emigration der alten Schule die
Treue gehalten. Als amerikanischer Staatsbürger besuchte er von Prag aus
seinen alten Braunsberger Lehrer Dr. Candidus Barzel in Berlin. Nach 1945
organisierte Kurt Laumann als einer der ersten in New York Hilfe für seine
ehemaligen Freunde und Kollegen. (Er ist im August
1978 gestorben. Vgl. BRAUNSBERG‑OSTPREUSSEN ‑ UNSERE SCHULEN. Heft
29 (Sommer 1979) S. 16.) Besonders angesehene jüdische
Mitbürger waren in Braunsberg der Zahnarzt Dr. Hirschfeld und der
Apothekenbesitzer Martin Wolff. Als Dr. Hirschfeld, ein stiller, vornehmer
Mann, noch vor 1933 gestorben war, folgten seinem Sarg auf dem Wege durch die
Stadt zum Friedhof auch der Professor an der Akademie Dr. Switalski und der
Arzt Dr. August Tietz. Darüber konnte sich eine walkürenhafte Dame nicht
genug erregen. Herr Wolff versäumte es, sich nach der Machtübernahme
rechtzeitig abzusetzen, weil er meinte, die Deutschen seien ein Kulturvolk (so
hat er es zu einem Klassenkameraden seines Sohnes gesagt). Er konnte die
Apotheke zwar noch verkaufen, aber zur Emigration war es zu spät. Er ist dann
nach Berlin gezogen, wo die Juden wenigstens noch stärker unter Wind waren,
stärker jedenfalls als in der Provinz - auch in Braunsberg. In Berlin hat
sich Frau Maria Barzel des Ehepaares Wolff angenommen. Sie kannten sich gut
aus der Zeit, als Dr. Candidus Barzel Studienrat am Braunsberger Gymnasium
war. Ich bin Herrn Wolff, der ein sehr kunstliebender Mann war, in Berlin noch
einmal begegnet, wie er auf dem Gendarmenmarkt den Spielplan von Grundgens'
Staatstheater studierte. Auf meine dumme Frage, ob er nicht einmal hineingehen
wolle, konnte er nur sagen: Sie wissen doch, wir dürfen nicht! Auch das
Ehepaar Wolff hat den Weg in ein Vernichtungslager antreten müssen. (27) 'Mit der
Reichskristallnacht war das Schicksal der letzten Braunsberger Juden
besiegelt. Die bis dahin noch gebliebenen jüdischen Geschäfte wurden
„arisiert", woran sich auch Braunsberger Bürgersöhne beteiligten. Was
mit ihren bisherigen Inhabern geschah? Eines Abends berichtete unsere Mutter,
sie sei in der Hindenburgstraße vorbeigekommen, als das alte Ehepaar Leopold
Aris, ein Philemon-und-Baucis-Paar, das keiner Fliege etwas zuleide getan
hatte, auf ein Fuhrwerk geschafft und in Richtung Bahnhof weggekarrt (das Wort
ist hier am Platze) wurde. Auch hier die Frage: Wohin? Wir waren von dem, was
damals mit den Juden geschah, gewiß bedrückt, aber durfte es dabei sein
Bewenden haben? Was hätten wir sonst noch tun können und müssen? Die Fragen
sind nicht mit einem Achselzucken zu beantworten. Warum blieb der Aufschrei
des ganzen deutschen Volkes aus, den man wegen der Schändung eines Teiles
seiner Mitbürger hätte erwarten müssen und der allein das Unheil hätte
aufhalten können? Jetzt vernehme ich wieder den Einwand: Wie sollten wir das
Unheil aufhalten, wenn wir von ihm in seinem ganzen Ausmaß nichts gewußt
haben? Fragen, Fragen, für die wir keine rechte Antwort finden zu können
glauben. Doch muß schon auf eine Stelle in einem viel diskutierten Buch des
1925 im ostpreußischen Angerburg geborenen Kölner Historikers Andreas
Hillgruber (A. HILLGRUBER, Zweierlei Untergang. Die
Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums.
Berlin 1986.) hingewiesen werden. Im Hinblick auf die Massenmorde an
den Juden schreibt er von der „Hinnahme des zumindest dunkel geahnten
grauenhaften Geschehens durch die Masse der Bevölkerung. (Ebd.
S. 98.) Das trifft gewiß für die meisten meiner Generation zu, auch für
uns Journalisten, die wir, von Berufs wegen zur Neugier verpflichtet, hinter
das „dunkel Geahnte" hätten vorzustoßen versuchen müssen, auch wenn
wir die Ergebnisse nicht publizistisch verwerten durften. Auch wir steckten,
simpel gesagt, den Kopf in den Sand. Ich erinnere mich aus der Zeit, als ich
in Litzmannstadt und Berlin im politischen Teil eingesetzt war, an keine
Sprachregelungen zur Judenfrage. Die Juden galten damals wohl schon als
„nicht existent". Wahrscheinlich hat es aber früher Anweisungen des
Reichspropagandaministeriums gegeben, so zur sogenannten Reichskristallnacht
im November 1938. (Vgl. GILLESSEN, S. 376 ff.)
Doch interessierten mich damals wegen meines Ressorts nur die
kulturpolitischen Parolen. Ansonsten war ich glücklich, daß ich von der SA
nicht zum Anzünden der Synagoge kommandiert worden war. Wenn meiner Generation ihr
Versagen gegenüber den Juden vorgeworfen wird, so kann man nur wünschen, daß
die folgenden Generationen besser bestehen. Hillgruber wirft am Ende seines
Buches zu dem grausigen Geschehen„ die Frage einer möglichen Wiederholung
unter anderem ideologischen Vorzeichen in tatsächlich oder (28)
vermeintlich wiederum extremen Situationen und Konstellationen" auf.
„Hier wird ein zentrales Problem der Gegenwart und Zukunft berührt . . .
Hier geht es um eine fundamentale Herausforderung an jedermann". (HILLGRUBER,
S. 99.) Es mag nicht lange nach
seiner Machtübernahme gewesen sein, als Adolf Hitler höchstpersönlich in
Braunsberg auftrat. Das Wort aus der Theatersprache ist wohl angebracht, denn
er bewies auch hier seine Kunst des Sich-in-Szene-Setzens. Von Elbing kommend
fuhr er mit seinem gewaltigen Mercedes durch die Stadt. Ich darf mich
erinnern: Es war noch vor dem Ersten Weltkrieg, als wir kleinen Volksschüler
in der Langgasse aufgereiht wurden, um den Kaiser Wilhelm zu begrüßen.
Dieser fuhr von seinem Landgut Cadinen am Frischen Haff zu seinem Jagdschloß
Rominten, um dort die obligaten Hirsche zu schießen. Hoch im offenen Auto in
einer prächtigen Jägeruniform thronend brauste der Kaiser an uns vorbei. Auf
unsere Hurrarufe reagierte er nur mit einem starren Lächeln. Daß er uns
zuwinkte, hätte nicht zu ihm gepaßt. Er war der Kaiser und wußte, was er
diesem schuldig war. Ganz anders der mit allen Wassern der Demagogie
gewaschene Volkstribun Adolf Hitler. Er verdankte seine Stellung nicht wie der
Kaiser seinen Ahnen, sondern ausschließlich dem Volke, dessen er sich bemächtigt
hatte und immer von neuem bemächtigen mußte. Wilhelm II. saß hoch im Wagen,
Hitler stand in ihm, wesentlich tiefer, aber auch nicht zu tief. Der Kaiser
ließ den Wagen rasen, Hitler gebot ihm einen langsamen Gang. Natürlich war,
um es salopp zu sagen, alles, dessen man nur habhaft werden konnte,
zusammengetrommelt worden, Parteigliederungen, Organisationen, Schulen usw.
usw. - die Wehrmacht war wohl noch nicht aufgestellt -, um dem Führer den gebührenden
Empfang zu bereiten. Diesmal waren Heilrufe zur Begrüßung des Gastes aus der
Hauptstadt befohlen worden. Vom Hurra über ein Hoch zum Heil - auch ein
Wandel. Hitler grüßte zurück. Die Linke umfaßte das Koppelschloß der
betont schlichten Uniform, mit der Rechten schlenzte er markigen Blickes den
deutschen Gruß auf seine Art abwechselnd nach der rechten und linken Straßenseite
zu seinem Volk oder was er dafür hielt. Das war auf seine todsichere Wirkung
tausendmal geübt. Schon von Berufswegen zur
Teilnahme an dem Spektakel verpflichtet, hatte ich mich auf dem nach Adolf
Hitler umbenannten Vorstädtischen Markt vor Kutschkows Ecke postiert, wo ich
einen guten Blick auf die von der Mühlenbrücke anrollende Kolonne mit dem Führerwagen
an der Spitze hatte. Auch hatte hier die NS-Frauenschaft in ihrer neckischen
Tracht, die möglicherweise von Hitler selbst entworfen war, Stellung bezogen.
Von ihr konnte ich am ehesten eine „Sensation" erwarten. Ich wurde
nicht enttäuscht. Als der Führerwagen sich näherte, hub die NS-Frauenschaft
(29) mächtig an zu schreien und zu
gestikulieren. Dadurch aufmerksam gemacht, hieß Hitler den Schofför, den
Wagen an die Seite zu fahren und anzuhalten. Kreischend fielen die NSDamen
über ihren geliebten Führer her. Hitler amüsierte sich offensichtlich über
den Zauber, den sie um ihn vollführten. Der zynische Menschenverächter trieb
wieder einmal sein Spiel mit der Erbärmlichkeit seiner Mitmenschen. Es will
mir aber immer noch unfaßbar erscheinen, daß der gleiche Mann, der auf dem
Braunsberger Marktplatz mit seinen Anbeterinnen scherzte, dann eiskalt den Tod
und das Elend von vielen Millionen auf sich nahm. Von meinem Standort aus hätte
ich Hitler, schlicht gesagt, umlegen können. Aber erstens hatte ich keinen
Revolver bei mir und zweitens verstehe ich noch heute nicht, mit dem Ding
umzugehen, und drittens und letztens würde ich schamlos lügen, wollte ich
behaupten, ich hätte damals auch nur einen Augenblick daran gedacht, Hitler
„umzulegen". Ein Ermländer tut solches nicht, und wär's sein
Todfeind. Von der Bravheit der Ermländer war man auch überzeugt, als man uns
Hitler geradezu auf dem Präsentierteller darbot. Abgesehen davon, daß die
Straßen während der Durchfahrt für den übrigen Verkehr gesperrt waren,
wurden keine weiteren Sicherungsmaßnahmen sichtbar. Es wäre für einen
wirklichen Mordschützen ein Leichtes gewesen, Hitler zu treffen. Wie ich dies
schreibe, treten mir die Bilder vom Anschlag auf Kennedy vor Augen. Aber ein
Vergleich will sich nicht einstellen. Hitler war nicht Kennedy, Braunsberg
nicht Dallas, was vor allem nicht unbedacht bleiben sollte: In einer Diktatur
leben auch Attentäter gefährlicher als in einer Demokratie. So konnte Hitler
unbeschädigt den Braunsberger Boden auf der Reichsstraße Nummer Eins in
Richtung der Provinzial-, damals sagte man eher Gauhauptstadt Königsberg
verlassen. Am nächsten Morgen brachte
der Völkische Beobachter einen Bericht mit der mehrspaltigen Überschrift:
„Adolf Hitlers Triumphfahrt durch das Ermland." Das also war des Pudels
Kern. Die NSDAP hatte sich mit dem Ermlande zunächst schwer getan. Jetzt
sollte gesagt werden: Seht ihr, nun haben auch die schwarzen Ermländer dem Führer
ihre Gefolgstreue bekundet. Was machte es der großzügigen Propaganda aus,
wenn Hitler das Ermland nur an seiner äußersten nördlichen Spitze in einer
Breite von knapp zwanzig Kilometern durchfahren hatte? Allerdings lagen an der
Strecke die Bischofsstadt Frauenburg und die alte Hauptstadt Braunsberg. Wozu
bemerkt werden darf, daß weder der Domberg noch das alte Braunsberg vom Führerbesuch
Notiz genommen haben werden. Die Bewohner des weiteren
Ermlands werden nicht schlecht gestaunt haben, als sie die Überschrift im VB
vor Augen bekamen, vorausgesetzt, daß sie ihn überhaupt lasen. Aber das
Gauorgan Preußische Zeitung wird ähnlich berichtet haben. Was wir auf
der Ermländischen Zeitung aus der „Triumphfahrt" machten,
vermag (30) ich nicht mehr so recht zu sagen.
Vermutlich brachten wir einen Eigenbericht mit Anlehnung an den des Deutschen
Nachrichtenbüros. Vielleicht kriege ich ihn noch einmal zu Gesicht, irgendwo
sollen Jahrgänge der Ermländischen Zeitung aufgetaucht sein. Möglicherweise
fanden um die Zeit auch die Prozesse gegen die Priester und Ordensleute statt,
die den katholischen Volksteil der Kirche entfremden sollten. Dann war die
Regie abgestimmt. Doch wie diese Prozesse ihr Ziel nicht erreichten, so wurde
auch Hitlers „Triumphfahrt“ im Ermland nicht als das einzigartige Ereignis
empfunden, als das sie herausgestellt wurde. Wie ich eines Nachmittags
vom Rathaus her die Langgasse hinunterging, kam mir ein anderer pompöser
Wagen entgegen. Wer darin saß: der Reichsminister für Volksaufklärung und
Propaganda Dr. Joseph Goebbels mit einigen seiner Schranzen. Ihn erspähte
auch ein Grüppchen Frauen, die vor dem Hause des Schuhmachermeisters Seth ein
Schwätzchen hielten. Flugs stürzten sie auf das Auto zu, Goebbels ließ es
sogleich anhalten - das weitere wie oben, wenn sich diese Frauen auch nicht
ganz so krisselig aufführten wie ihre Geschlechtsgenossinnen vor dem Führer.
Immerhin erklärte eine von ihnen, nachdem der Herr Minister weitergebraust
war, noch ganz atemlos: Ich habe nicht Heil Hitler gerufen, sondern Heil
Goebbels! Ein wahrhaft großartiger Einfall. Was schon merkwürdig war: Den
Machthabern des Dritten Reiches wurde doch immer wieder durch ausgeklügelte
Abstimmungen bestätigt, daß sie der fast hundertprozentigen Zustimmung des
deutschen Volkes sicher seien. Aber sie müssen der Sache doch nicht ganz
getraut haben, sonst hätten sie nicht jede Gelegenheit wahrgenommen, sich
direkt vom Volke bestätigen zu lassen, auch wenn ihnen dieses nur in Gestalt
von kommandierten Haufen oder zufälligen Häuflein entgegentrat. Was mir in Braunsberg
oblag: die Berichterstattung über die größeren Prozesse, soweit sie vor dem
Braunsberger Landgericht stattfanden. Ich darf dazu auf meine ausführlichen
Darstellungen sowie die einschlägigen Stellen in dem Buch von Reifferscheid (H.
PREUSCHOFF, In schwerer Zeit bewährt. Erinnerungen an Rechtsanwalt Dr. Paul
Neumann. In: UNSERE ERMLÄNDISCHE HEIMAT 24 (1978) Nr. 4, S. IX-XII. G.
REIFFERSCHEID, Das Bistum Ermland und das Dritte Reich. (BONNER BEITRÄGE ZUR
KIRCHENGESCHICHTE, Bd. 7 und ZGAE, Beiheft 1.) Köln‑Wien 1975, S. 150
f., 174 f., 221 f.) verweisen. Der erste politische Prozeß vor dem
Braunsberger Landgericht in der NS‑Zeit galt dem früheren Landrat von
Pr. Holland Dr. Robert-Tornow. Ihm wurde Verschleuderung von öffentlichen
Geldern vorgeworfen, doch stellte sich in einer Geheimsitzung heraus, daß
diese zum Aufbau der sog. Schwarzen Reichswehr verwandt worden waren, worauf
das Verfahren eingestellt wurde. Eine pikante Note erhielt der Prozeß
dadurch, wie Robert-Tornow auf den Vorwurf reagierte, daß er einen jüdischen
Vorfahren habe. (31) Das stimme, sagte der
Landrat a. D., dieser Ahn habe Friedrich d. Gr. den Siebenjährigen Krieg
finanzieren helfen und dafür vom König eine goldene Tabakdose erhalten, die
noch heute von der Familie in Ehren gehalten werde. Worauf der Staatsanwalt,
der den jüdischen Vorfahren ausgegraben hatte, nur noch ein betretenes
Gesicht machen konnte. Im Erzpriesterprozeß, so
genannt, weil die Hauptangeklagten die Erzpriester Schulz, Braunsberg, und
Hoppe, Mehlsack, waren, ging es um einen Verstoß gegen den seit dem
Kulturkampf existierenden Kanzelparagraphen. In einer Kanzelverkündigung war
der Polizeibeamte, der bei einer Bezirksversammlung der katholischen
Arbeitervereine in Mehlsack im Kohlhaasschen Saal hinter dem Vorhang den
Verlauf der Tagung mitgeschrieben und diese Niederschrift an die NS-Stellen
weitergegeben hatte, als Lügner bezeichnet worden. In seiner
Verteidigungsrede wies Erzpriester Schulz auf seinen ständigen Kampf gegen
den Sozialismus hin. Wie er immerfort vom Sozialismus sprach, glaubte ich auf
den Gesichtern der Richter und der im Zuschauerraum anwesenden Parteifunktionäre
eine gewisse Unruhe registrieren zu können. Mir war der Grund bald klar. Die
neuen Herren hatten ja im zweiten Teil ihrer Firma den Sozialismus für sich
in Anspruch genommen. Heute reden die Sozialisten allerdings lieber von
Faschisten, wenn sie die Nationalsozialisten meinen, was in vieler Hinsicht
unzutreffend ist. Man will nicht zugestehen, daß die Nationalsozialisten mehr
vom Sozialismus hatten, als dessen heutige Vertreter zugeben. Erzpriester
Hoppe wurde in seinem letzten Wort weich, während der mitangeklagte Kaplan
Sauermann eine feste Haltung bewahrte. Obwohl er auch die Erklärung von der
Kanzel verkündet hatte, wurde der würdige Prälat Boenigk wohl wegen seines
Alters zu seiner Erleichterung von der Anklage verschont. 1941 ist er dann
aber doch vom Braunsberger Gericht wegen einer anderen Sache zu einem Jahr Gefängnis
verurteilt worden. (Vgl. REIFFERSCHEID, S. 251, Anm.
48. ‑ L. PLOETZ, Fato profugi. Vom
Schicksal ermländischer Priester 1939‑1945. Kiel 1965, S. 15.) Zusätzlich zu der
Bemerkung Reifferscheids, daß auf Grund eines Gespräches zwischen Bischof
Maximilian und dem Gauleiter und Oberpräsidenten Koch in Marienwerder den
verurteilten Geistlichen Strafnachlaß gewährt worden sei (Vgl.
REIFFERSCHEID, S. 151, Anm. 51.), darf ich auf meine in Köln geführten
Gespräche mit dem damaligen Generalvikar Dr. Marquardt über den Vorgang
verweisen. Danach habe Koch den Bischof als wortbrüchig bezeichnet, weil er
ihm in Marienwerder angeblich versprochen habe, Erzpriester Schulz von
Braunsberg zu versetzen, was dann nicht geschehen sei. Dr. Marquardt bedauerte
in dem Zusammenhang, daß der Bischof zu dem Gespräch mit Koch in
Marienwerder keinen Zeugen mitgenommen habe, während die Parteifunktionäre,
wie ich aus eigener Erfahrung weiß, stets einen (32)
solchen neben sich sitzen hatten. Jedenfalls war seitdem das Verhältnis
zwischen unserem Bischof und dem Gauleiter äußerst gespannt, und Koch hat
Maximilian Kaller geschadet, wo er nur konnte. So hat er z. B. mit Sicherheit
die von kirchlicher Seite vorgesehene Versetzung Kallers auf andere Bischofsstühle,
etwa nach Kardinal Schultes Tod (1941) auf den Kölner, dank seines großen
Einflusses erfolgreich hintertrieben. Die Macht der Gauleiter im Dritten Reich
kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Über den Prozeß gegen den
Domvikar Werner Kreth wegen Vergehens gegen den § 175 1937 durfte die Ermländische
Zeitung nicht selbst berichten, sondern mußte den Bericht des Deutschen
Nachrichtenbüros (DNB) übernehmen. Wie es das Gerücht wissen wollte,
sollen, als die Vergehen Kreths nicht mehr zu verheimlichen waren,
Parteifunktionäre den engagierten Parteigenossen Kreth in Frauenburg
aufgesucht und beim Abschied einen Revolver auf seinen Tisch gelegt haben.
Wenn dem so war, hat er von dem Revolver keinen Gebrauch gemacht. Man hat dann
versucht, den Fall ausschließlich gegen die Kirche auszuschlachten, mit sehr
geringem Erfolg, denn Kreths Eintreten für die Partei und überhaupt sein
ganzes Verhalten waren nicht geeignet gewesen, ihm irgendwelche Sympathien in
der katholischen Bevölkerung zu verschaffen. Daß er Konvertit war, sei nur
am Rande erwähnt. Der Prozeß gegen Kreth war
nur einer in der großen Reihe der Sittlichkeitsprozesse gegen katholische
Priester und Ordensbrüder, womit man das katholische Volk der Kirche
abspenstig zu machen hoffte. Die Berichte darüber waren für unsere Zeitung
eine große Belastung, doch durften wir keinen auslassen. Das Gaupropagandaamt
hatte uns, weil unsere Leserschaft sich vornehmlich aus Katholiken
zusammensetzte, noch ausdrücklich aufmerksam gemacht, daß wir sämtliche
Berichte zu bringen hätten; man werde uns daraufhin kontrollieren. Man wird
sagen dürfen, daß das Ziel, das die Prozeßlawine gegen die Geistlichen sich
gesteckt hatte, nicht erreicht worden ist, ebensowenig wie die zahlreichen
Prozesse, die Klöstern wegen angeblicher Devisenvergehen gemacht wurden. Wenn
die ermländischen Katharinen von einem solchen Prozeß nicht betroffen
wurden, so verdankten sie dies, daß sie den Warnungen des sachkundigen
Caritasdirektors Steinki vor einem gewissen Hofius, der die Devisengeschäfte
mit Holland vermittelte, gefolgt sind. Übrigens war nach einer Aussage des
Berliner Bischofs Graf Preysing das Urteil gegen Kreth das härteste, das im
Verlauf der Sittlichkeitsprozesse gegen kirchliche Personen verhängt worden
ist (zwölf Jahre Zuchthaus und Sicherungsverwahrung; doch ist Kreth bereits
1942 an Tuberkulose im Zuchthaus Wartenburg gestorben). Man wird in dem harten
Urteil gegen Kreth die Rache der Partei an einem Mann sehen dürfen, den sie
erst als einen der ihrigen groß herausgestellt hatte, durch den sie sich dann
aber aufs schwerste bloßgestellt fühlte. Der Vorsitzende, (33)
dem man es deutlich anmerkte, wie sehr ihn die Last dieses Prozesses drückte,
betonte in der Urteilsbegründung, daß Kreth schwerste Schuld gegenüber der
Partei und der Kirche auf sich geladen habe. Er hatte kaum zu Ende gesprochen,
als auch schon der Pressereferent des Gerichts, Landgerichtsrat F., auf mich
zukam: Was der Vorsitzende von der Partei gesagt habe, komme nicht in die
Zeitung. Ich konnte ihn beruhigen: Von mir komme überhaupt nichts in die
Zeitung. Kreth ist dann vom
Zuchthaus aus noch einmal im Braunsberger Gericht erschienen. Nach dem Prinzip
„Den letzten beißen die Hunde" wurde dem Frauenburger
Ortsgruppenleiter Postamtmann Jaschinski der Prozeß wegen unterlassener
Anzeige der ihm bekannten Verfehlungen Kreths gemacht. Das war infame
Heuchelei, denn auch höhere Parteimänner - wie Kreth in einem in Wartenburg
erstellten Exposé ausgeführt hat - haben mit Sicherheit davon gewußt. Aber
sie konnten, indem sie dem untersten Funktionär die Schuld zuschoben, ihre Hände
in Unschuld waschen. Kreth erschien zu dem Prozeß natürlich in
Zivilkleidung, im schwarzen Anzug und dem von ihm bevorzugten gelben Oberhemd.
Das Interessante an dem Prozeß war die Feststellung, daß es eine
Direktleitung zwischen Kreth und dem Postamtmann und Ortsgruppenleiter gegeben
hatte. Ausgerechnet Kreth hatte man zum Kapitelssekretär gemacht, und nach
jeder Sitzung des Domkapitels berichtete er brühwarm Jaschinski über deren
Verlauf. Als nach seiner Aussage der Vorsitzende zu Kreth sagte, nun müsse er
ihn noch vereidigen, war dieser überrascht. Ja, wenn er vereidigt werde,
meinte er, müsse er sich noch einmal überlegen, was er gesagt habe. Doch
nach einer Weile leistete er dann doch den Eid ohne Korrekturen seiner
Aussage. Am Nachmittag desselben Tages war in Königsberg eine
Pressekonferenz. Da dachte ich bei mir: Probier's mal! Ich setzte über die
Verhandlung einen, wie ich glaubte, geschickten Bericht auf. Aber als ich
diesen in Königsberg dem Pressereferenten Nestler vorlegte, riet dieser mir
in bestem Sächsisch: Wenn Ihnen Ihr Kopf lieb ist, lassen Sie die Finger
davon! Ich gestehe, daß mir mein Kopf lieb war. Am folgenden Prozeß, der
eigentlich ein Doppelprozeß war, konnte ich gleichfalls als Berichterstatter
teilnehmen. Am 3. Juni 1937 waren in der Mehlsacker katholischen Volksschule
ca. 150 Personen zusammengeströmt, weil das Gerücht umging, die Schule
sollte in eine Gemeinschaftsschule verwandelt werden. Die Staatsanwaltschaft
in Braunsberg erhob gegen sechs „Rädelsführer" Anklage wegen
Hausfriedensbruchs, worauf sie zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Wie
schwer die Formfehler, die in Braunsberg begangen wurden, gewesen sein müssen,
ist daraus zu ersehen, daß das Reichsgericht in Leipzig nicht nur - wir
schrieben immerhin schon das vierte Jahr der NS-Herrschaft - das Braunsberger
Urteil aufhob, sondern auch die Neuverhandlung (34)
wegen zu großer Befangenheit dem Braunsberger Landgericht nahm und dem
Elbinger zuwies. Hier merkte man von vornherein ein anderes Klima. Der
Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Hennig, ließ die Angeklagten alsbald seine
Sympathien spüren. Sie waren von Rechtsanwalt Neumann, der die
hauptbeschuldigte Arztfrau Maria Menzel vertrat, und seinen Kollegen
angewiesen worden zu sagen, daß sie nicht etwa in der Schule protestieren,
sondern sich nur erkundigen wollten, ob an dem Gerücht der Einführung der
Gemeinschaftsschule etwas Wahres sei. Und da so viele Eltern aus dem Grunde
zusammentrafen, sei es zwangsläufig etwas laut zugegangen. Hennig ließ die
Behauptung der Angeklagten gelten und sprach sie frei. Nur der Bauer Hugo Müller
hatte die Marschroute nicht ganz mitbekommen. Das brachte ihm, der
wahrscheinlich der Harmloseste der Angeklagten war, einen Monat Gefängnis
ein; die Strafe war aber durch die Untersuchungshaft verbüßt. Hennig gab für
Müller sogar eine Ehrenerklärung ab. Il y a des iuges en Prusse - Es gibt
noch Richter in Preußen: Der an sich unverbürgte, aber gern zitierte
Ausspruch des Müllers von Sanssouci gegenüber Friedrich dem Großen trifft
auf das Urteil des Elbinger Landgerichts zu, durch das das Braunsberger
Gericht und die hinter ihm stehenden Parteistellen natürlich schwer blamiert
waren. Sie mußten das endgültige Elbinger Urteil in ohnmächtiger Wut
hinnehmen. Da wir uns ausgezeichnet
vertrugen, habe ich mit Anton Herrmann auch im Lokalteil gearbeitet.
Reifferscheid erwähnt in seinem Buche eine Rede, die der
Gauorganisationsleiter der NSDAP Paul Dargel gegen den politischen
Katholizismus in Heilsberg gehalten hat. (Vgl. ebd.
S. 149.) Zu einer solchen erschien er auch in Braunsberg.
Vorsichtshalber sind wir zu zweit, Herrmann und ich, hingegangen, ins
evangelische Gemeindehaus, das, wie schon erwähnt, dessen Wirt zum
Parteilokal umfunktioniert hatte. Dargel entstammte, wenn ich mich recht
erinnere, einer gut katholischen Wormditter Familie. Nach irgendeiner Affäre
beschloß er, den Fahnen des Führers zu folgen, und er tat dies mit einem
solchen Fanatismus, daß ihn der Gauleiter Koch zu einem seiner engsten
Mitglieder machte. Aus Dargels Braunsberger Rede sprach der ganze Haß des
Renegaten. Wir haben dann gemeinsam den Bericht über sie gebastelt. Wir
durften nicht Dargels Tiraden negieren - unsere Berichte erfreuten sich, wie
wir wußten, der besonderen Aufmerksamkeit der zuständigen Parteistellen -,
andererseits wollten wir unsere Leser, die dem Nationalsozialismus in der
Mehrzahl eher ablehnend gegenüberstanden, nicht zu sehr verstören. Es war
schon wieder ein Eiertanz, den wir da mit unserem Bericht aufführten. Ich
beneide unsere heutigen Kritiker, die damals natürlich alles viel besser
gemacht hätten als wir. So manches Mal habe ich mir damals (36)
gewünscht, ich könnte aus der ganzen Geschichte aussteigen. Aber was
sollte ich dann anfangen? Einen Zigarettenladen aufmachen? Dazu war ich zu
geschäftsuntüchtig. In Gedanken malte ich mir aus - Sie dürfen ruhig
lachen, wenn Sie dieses lesen -, wie schön es sein müsse, Briefträger in
der Schweiz oder Hotelportier in Kanada zu sein. Denn dort könnte ich in
Freiheit leben. Die Freiheit war für uns damals das höchste Gut - ist sie es
heute auch noch? Gerade uns Journalisten wurde durch die Sprachregelungen des
"Promi" die Unfreiheit jener Zeit jeden Tag aufs neue deutlich bewußt
gemacht. Unser bestes Gegengift war der Zynismus. Das bestätigt Walter
Hagemann: „Allen gescheiten Presseleuten in der Konferenz (gemeint ist die
alltägliche Pressekonferenz im "Promi", d. Verf.) wie überhaupt
bei den Zeitungen war eine Eigenschaft gemeinsam, welche allein die ihnen
zugemutete geistige Entwürdigung erträglich machte, ein abgrundtiefer
Zynismus. (HAGEMANN (Anm. 10), S. 327.) Diese
Männer, die widerspruchslos einem despotischen System dienen mußten, hätten,
bemerkt Hagemann noch, nichts mehr ernst genommen, oft nicht einmal sich
selbst. Was den Zynismus gewiß ergänzte: eine tüchtige Portion Abstumpfung. Da soeben von Dargel die
Rede war, darf ich schon hier von einer späteren Begebenheit erzählen, in
der er im Mittelpunkt stand. Ich war im Winter 1939/40 Schreiber beim Stab der
228. Inf.Div., der in Warschau einquartiert war. Vornehm, wie wir
Stabsschreiber nun einmal waren, tranken wir eines Abends unser Bierchen im
Restaurant des feudalen Hotels Europejski. Da öffnete sich die Tür, und
herein trat mächtigen Schrittes und in voller Kriegsbemalung Paul Dargel. Er
ging an uns vorbei bis zum letzten Tisch und setzte sich mit dem Rücken zu
uns. Da ritt unseren Kameraden Leo Ander das Teufelchen: Ich bin doch mit dem
Dargel zusammen im Jung-KKV ( = Kath. Kaufm. Verein) in Elbing gewesen, ich
geh mal zu ihm hin. Wir zwei anderen: Leo, du bist verrückt, bleib hier! Aber
der Leo ließ sich nicht beirren und stiefelte auf Dargel zu. Wir harrten natürlich
gespannt der Dinge, die da kommen sollten. Wir hatten eigentlich erwartet, der
Dargel werde unseren Leo abblitzen lassen. Doch er tat dies mitnichten, wohl
auch deshalb, weil unser Kamerad schließlich gleichfalls den Rock des Führers
trug. Er forderte ihn zwar nicht zum Sitzen auf, aber es kam zu einem kurzen
Gespräch zwischen den alten Eibinger Jung-KKVern. Nach diesem kehrte Leo
Ander befriedigt an unseren Tisch zurück. Der Dargel habe ihm gesagt, er sei
jetzt auch Regierungspräsident in Zichenau geworden und als solcher zu
Besorgungen nach Warschau gekommen und desgleichen mehr. Es dauerte gar nicht
lange, da erhob sich Dargel und verließ durch eine andere Tür das
Restaurant. Sein Abgang war weit weniger pompös als sein Auftritt. Wir haben
uns eins gegnirrt. Jedenfalls dürfte der Gefreite Ander durch seine (36)
Überrumpelung dem großen Parteimann den Abend gründlich versalzen haben. Da ich soeben die Leser
meines Berichtes in einen Zustand der Heiterkeit versetzt habe ‑ wozu er
sonst wahrlich wenig Anlaß gibt -, möchte ich ihn noch einen Augenblick
darin belassen. Eines Tages brachte die Stadtverwaltung an Braunsbergs
Verkehrsknotenpunkt hoch oben eine elektrische Bogenlampe an, die ein so
starkes grüngelbes Licht ausstrahlte, daß die dadurch verfärbten Passanten
glauben mußten, sie befänden sich unter einer Höhensonne. Das verhalf mir,
wie ich meinte, zu einer glänzenden Idee. Ich wußte, daß Dr. Tietz, der ein
paar Häuser von der Stelle seine Arztpraxis hatte, über eine Höhensonne
verfügte. So erfand ich einen Otto, der bei Dr. Tietz mit der Höhensonne
behandelt wurde. Als er nun eines späten Abends, schwer geladen, auf dem
Heimweg unter die Bogenlampe geriet, glaubte er, er sei unter der Höhensonne
und begann, sich seiner Kleider zu entledigen. Er hatte schon das Jackett
ausgezogen und wollte gerade das Hemd abstreifen, als ein Passant auf ihn
zuging und ihn fragte, was ihm wohl einfalle. Da kam der Otto im Moment zu
sich, ergriff seine Jacke und stob fluchend von dannen unter dem Gelächter
der Passanten. Soweit meine Lokalspitze,
wie man derlei in der Pressebranche nennt. Womit ich nicht im geringsten
gerechnet hatte: daß Leser der Zeitung - und zwar nicht wenige! - mein
Geschichtchen ernst nahmen. Und so hub ein großes Rätselraten an, welcher
Otto wohl gemeint sein könnte. An ihm beteiligte sich sogar mein guter Onkel
Johann aus Heinrichsdorf. Er kam alsbald nach Braunsberg, und da sagte er zu
mir: „Jung, red' nicht, das war doch der...!" Er nannte den Namen eines
bekannten Viehhändlers. Da wurde mir doch mulmig zumute. Wenn das der Onkel
sagt, werden es auch andere sagen, und dann erfährt es zwangsläufig auch der
Viehhändler. Und mit einem solchen ist nicht zu spaßen. In meinem ängstlichen
Gemüte wartete ich in den kommenden Tagen darauf, er werde bei mir auf der
Redaktion erscheinen und mir eins aufschmieren, wie man bei uns zulande sagte.
Jedesmal fing ich zu zittern an, wenn wer die Treppe hochkam. Aber der Otto
blieb gottlob aus. Er hatte vielleicht Respekt vor der Macht der Presse, mehr
als die Uhrmacher, die mir einmal aufs Dach stiegen, als ich geschrieben
hatte, daß alle Uhren in der Stadt anders gingen. Zu meinen speziellen
Aufgaben in der Ermländischen Zeitung gehörte die Berichterstattung
über die Theateraufführungen und neue Filme. Braunsberg wurde damals vom
Elbinger Stadttheater bespielt, das unter dem Intendanten Otto Kirchner ein für
ein Provinztheater hohes Niveau hielt. Sonst hätte sich Gustaf Gründgens
gewiß nicht zu einem Gastspiel mit "Emilia Galotti" in der
Originalbesetzung des Berliner Staatstheaters in Elbing bereit gefunden. Ich
bat Kirchner um eine Karte für das Gastspiel, er lehnte ab, angeblich aus
Platzgründen, in Wirklichkeit wohl, weil ich einmal (37)
eine seiner Schauspielerinnen zu sehr verrissen hatte. (Bekanntlich hat
Kirchner dann als Intendant in Aachen den Generalmusikdirektor Herbert von
Karajan gefeuert, weil dieser in Aachen zu wenig dirigierte.) Als ich manche
Filme nicht über den grünen Klee lobte, drohte mir der Kinobesitzer, er
werde die negativen Kritiken, die die Ermländische Zeitung vor 1933 über
patriotische Filme geschrieben habe, der Partei zusenden. Ich sagte ihm, er könne
das ruhig tun, die Filme seien großenteils unter Mitwirkung von Juden gedreht
worden. Ich ärgere mich noch heute über diese Bemerkung, die allerdings ihre
Wirkung nicht verfehlte. Was ich in Braunsberg
durchsetzte: daß in der Zeitung am Montag eine ganze Seite mit Sportberichten
geführt wurde. Zwar legte der Betriebsleiter Lindenbaum, wie von ihm gewohnt,
dagegen schärfsten Protest ein: technisch unmöglich! Weil eben zu dem üblichen
politischen und lokalen Stoff auf keinen Fall noch eine weitere Seite in den
Vormittagsstunden gesetzt werden könne. Aber die Schriftsetzer, die sich auf
meine Seite schlugen, machten's möglich. Die Königsberger Zeitungen brachten
natürlich am Montag jede Menge von Seiten mit Sportnachrichten. Ich mußte
die wichtigsten auf einer Seite zusammendrängen, was auch den Vorteil der
besseren Übersicht hatte. Der Sportteil fand natürlich den besonderen
Beifall der jüngeren Leser. Ich bin selbst der denkbar unsportlichste Mensch,
und so muß es geradezu als Witz erscheinen, daß ich über Fußballspiele mit
Eigenberichten aufwartete. So auch über das berühmte Fußballspiel
Deutschland ‑ Dänemark in Breslau am Pfingstmontag 1936, das die
deutsche Elf mit 8:0 gewann. Sie ist als die Breslauer Elf, die jahrelang
zusammenblieb und einen Sieg nach dem anderen errang, in die Fußballgeschichte
eingegangen. Ich schrieb unmittelbar nach dem Spiel meinen Bericht, gab ihn am
Hauptbahnhof auf, und schon am nächsten Tag erschien er trotz des Umwegs, den
er mit der Bahn über Küstrin machen mußte, in unserem Blättchen. Das war
Dienst am Kunden, heute Service genannt! Und ein Sonderlob der Post von
damals! Ich kann noch die Namen der deutschen Spieler nennen: Jakob
(Regensburg), Münzenberg (Aachen), Janes (Düsseldorf); Kupfer (Schweinfurt),
Goldbrunner (München), Kitzinger (Schweinfurt); Urban, Gellesch (Schalke),
Siffling (Mannheim), Szepan (Schalke), Lehner (Augsburg). Na bitte, ihr lieben
Fußballfreunde! Mein geliebter Sportteil
war allerdings auch Schuld an einem für mich beschämenden Vorgang. In der
Silvesterausgabe unserer Zeitung, wohl von 1935, hatte ich in einem Rück‑
und Ausblick der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die schönen Pläne für eine
Gestaltung des Geländes zwischen der Oberpassarge und dem Rodelshöfer Wäldchen
zu einer großzügigen Sport‑ und Parkanlage im neuen Jahr verwirklicht
würden. Was ich dabei nicht bedachte: daß die Pläne noch unter dem von der
Partei gestürzten Ersten Bürgermeister Ludwig Kayser entworfen waren. So fühlte
sich (38) denn auch sein Nachfolger Petrusch,
der, wie es in Braunsberg allgemein hieß, ein abgebrochener Jurastudent, aber
ein alter Kämpfer war, auf den Schlips getreten, und er beschwerte sich über
mich beim Verlagsdirektor Orth. Dieser, der es angesichts seiner noch
unsicheren Stellung keineswegs auf einem Konflikt mit dem nun einmal
regierenden Bürgermeister von Braunsberg ankommen lassen wollte, forderte
mich auf, Petrusch einen Besuch zu machen - also einen Sühnebesuch, um das
Kind beim Namen zu nennen. So trat ich denn den schweren Gang zum Rathaus an.
Im Vorzimmer des Bürgermeisters empfing mich Fräulein Dawel, die Petrusch
wohlweislich von seinem Vorgänger übernommen hatte, weil er sonst völlig
aufgeschmissen gewesen wäre, mit den Worten: „Nun geben Sie's ihm mal
ordentlich!" Ich habe dann seine Suada über mich ergehen lassen.
Jedenfalls war ich froh, als ich wieder draußen war. Das Bürschlein da
drinnen, das mich unter den erstaunt blickenden Bildern der alten Bürgermeister
abzukanzeln versucht hatte, war alsbald ebenfalls draußen, denn seine
absolute Unfähigkeit blieb auch den zuständigen Stellen nicht verborgen, so
daß sie ihn trotz seines Altkämpfertums aus dem Rathaus jagten. Allerdings
waren seine Nachfolger auch nicht viel besser. Von einem der letzten,
Meyer mit Namen, der zuvor Kreisleiter in Bischofsburg gewesen war, wird eine
besonders hübsche Geschichte erzählt. Manche Leser werden sie vielleicht
schon kennen, aber sie ist zu schön, als daß ich sie nicht hier noch einmal
erzähle. Eines Tages erschien in der Ermländischen Zeitung folgende
Anzeige: „Die Behauptung, daß Herr Bürgermeister Meyer frühmorgens in
trunkenem Zustande von einer alten Frau im Schubkarren nach Hause gefahren
worden ist, nehme ich hiermit reuevoll zurück. Josef Samland,
Klosterwirt." Als diese Anzeige erschien, war ich allerdings nicht mehr
bei der Ermländischen, sondern bei der Litzmannstädter Zeitung tätig.
Ich erfuhr von ihr zuerst in Krakau anläßlich irgendwelchen Parteizaubers,
zu dem die ganze Ostpresse geladen war, und zwar ausgerechnet aus dem Munde
des Hauptschriftleiters der parteiamtlichen Königsberger Preußischen
Zeitung, Eduard Kenkel, der zuvor Chefredakteur der eingegangenen großagrarischen
Ostpreußischen Zeitung gewesen und dem ich bereits bei den Pressetagungen in
Königsberg begegnet war. Kaum hatte er mich in Krakau erblickt, als er auch
schon auf mich zukam und mir mit sichtlichem Behagen von der Anzeige in
„meiner" Ermländischen Zeitung erzählte. Ganz Ostpreußen lachte
damals über sie - nur nicht die Partei, die sich durch die Anzeige blamiert fühlte.
Zu gern hätte sie sich an der Ermländischen und dem Klosterwirt gerächt,
aber Samland hatte es sich, wohlberaten durch Rechtsanwalt Dr. Neumann, für
den das bei seiner bekannten Einstellung ein gefundenes Fressen war, von Meyer
schriftlich geben lassen, daß er mit der Anzeige einverstanden sei. So blieb
der Partei nur übrig, ihren Bürgermeister in die Wüste zu schicken. (39)
Diesmal werden seine Vorgänger auf den Bildern im Braunsberger Rathaus
geschmunzelt haben. Ich kann wohl sagen, daß
wir, der Verlagsdirektor Orth und ich, uns menschlich nähergekommen sind.
Einmal war es die gemeinsame Liebe zu Berlin. Dann war er wie ich ein großer
Theaterfreund, und so sind wir mehrmals zusammen zu Aufführungen in dem schönen
Königsberger Schauspielhaus gefahren. Möglicherweise hat der Junggeselle
Orth, wie mir erst später eingekommen ist, so etwas wie Vatergefühle für
mich gehegt, und ich habe ihn dann enttäuscht. Von einer Aufführung des
„Don Carlos" sind wir höchst animiert heimgekehrt, weil wir an dem
Abend noch einmal das Schillersche Pathos in Reinkultur erlebt hatten. Weit
mehr hatte es uns die Aufführung von Richard Billingers „Der Gigant"
angetan (als Film „Die Goldene Stadt" mit Kristina Söderbaum als
Reichswasserleiche). Orth sah das Stück später noch einmal im Berliner
Staatstheater; wie er mir sagte, hatte ihm die Königsberger Aufführung
besser gefallen als die auf Deutschlands erster Bühne. Leider ist es, als ich
schon bei der Wehrmacht war, zwischen Orth und mir zu einem Mißklang
gekommen, auf den ich hier nicht weiter eingehen möchte. Bei einem Gespräch
zwischen uns, zu dem mich Orth bei einem Urlaub in Braunsberg in den
„Rheinischen Hof" gebeten hatte, fand ich - meine fatalen Hemmungen! -
nicht das erlösende Wort, und da auch Orth von sich aus nicht auf die Ursache
des Mißklangs zurückkam, verabschiedete er mich schließlich, wie ich wohl
zu Recht annahm, mit einer resignierenden Geste. So bin ich auch nicht, als während
des weiteren Kriegsverlaufs sich Dr. Faller nach Iserlohn absetzte, als sein
Nachfolger in Frage gekommen, wie es Orth gewiß gedacht hatte, da Dr. Faller
schon längst auf dem Sprung in den Westen war. Ob ich unter den damaligen
Umständen überhaupt einem Ruf zurück nach Braunsberg gefolgt wäre - ich
weiß es nicht. Jedenfalls habe ich allen Grund, Hermann Orth ein ehrendes
Gedenken zu bewahren, und sein trauriges Ende bewegt mich noch heute. Auf der
Flucht ist Orth in Danzig von den Sowjetrussen überrollt und gefangengesetzt
worden. Er ist noch einmal von einem Braunsberger im Lager Graudenz in völlig
abgerissener Bekleidung gesehen worden. Nach Walter Merten (Vgl.
W. MERTEN, Stadt Braunsberg im Ermland. Ein Familienbuch. (Veröffentlichung
der Maximilian-Kaller-Stiftung.) Münster 1976, S. 346.) ist Orth
irgendwann im Lager Omsk in Sibirien gestorben. Hätte er überlebt, hätte er
als führender Journalist der Weimarer Zeit einen wesentlichen Beitrag zur
Zeitgeschichte leisten können. Was ich Orth aber noch
heute hoch anrechne: Er gab mir zweimal im März einen Sonderurlaub zu einer
Theaterfahrt nach Berlin. Zwar hatte 1933 das Berliner Theater schwere Einbußen
erlitten durch die erzwungene Emigration von großen, zumeist jüdischen (40)
Theatermännern wie Max Reinhardt, Leopold Jessner, Fritz Kortner,
Albert Bassermann, Ernst Deutsch, Elisabeth Bergner und vielen anderen, aber
es war dank Männern wie Heinz Tietjen, Gustaf Gründgens, Heinz Hilpert, Jürgen
Fehling, Erich Engel immer noch die erste Theaterstadt des Reiches. Mephisto
hin - Mephisto her, wir waren damals glücklich, daß Gründgens nicht
emigriert war. Man hat Gründgens zu Recht bescheinigt, daß er das Berliner
Staatstheater im Geiste seines aus Königsberg stammenden Vorgängers Leopold
Jessner geleitet habe. Ich freute mich natürlich, als ein Zeitungsausschnittbüro
eine Anzahl von Nummern der Ermländischen Zeitung mit meinem Bericht über
eine Berliner Theaterwoche anforderte. Was auch ein Beweis dafür war, daß
unsere Zeitung im großen deutschen Blätterwald keineswegs das Dasein eines
Veilchens im Verborgenen führte. Von Braunsberg aus habe ich
gelegentlich auch für andere Zeitungen geschrieben. So brachte u. a. die
Berliner Germania immerhin noch am 29. September 1936 meinen schön
aufgemachten Gedenkartikel zur 100. Wiederkehr des Todestages des bedeutenden
ermländischen Fürstbischofs Josef von Hohenzollern. Den Beitrag hat mein
alter Lehrer und Freund Dr. Candidus Barzel aufgehoben und mir nach dem Krieg
überlassen ‑ für mich eine kleine Kostbarkeit. Dieselbe Zeitung
brachte im Jahr darauf meinen längeren Aufsatz zum Jubiläum der Hansestadt
Elbing (gegründet 1237). Zum Frauenburger Domjubiläum 1938 bot ich unter der
reißerischen Überschrift „Der Dom des Copernicus" einen kleineren
Beitrag dem Berliner Tageblatt an im Vertrauen auf die Heimatliebe des aus
Elbing stammenden Feuilletonchefs Paul Fechter, dessen reizende „Fahrt nach
der Ahnfrau" gerade damals gern gelesen wurde. Ich hatte mich nicht getäuscht
und bekam sogar ein Honorar. Was gar nicht so selbstverständlich war, denn
das altangesehene Blatt, einstmals weltbekannt durch die hochkarätigen
Leitartikel von Theodor Wolff und die messerscharfen Theaterkritiken von
Alfred Kerr, lag damals in den letzten Zügen. Am 1. Januar 1939 hat es nach
vergeblichen halbherzigen Rettungsversuchen sein Leben endgültig ausgehaucht.
Mein leider im Krieg gebliebener Freund Gerhard Schöpf, verdienter Redakteur
des Ermländischen Kirchenblatts, würde wohl noch heute auf das Honorar
warten, das ihm die Berliner Börsen‑Zeitung für einen gehaltvollen
Aufsatz über die Kurische Nehrung schuldete. Im Frühsommer 1939 mußte
ich acht Wochen militärische Grundausbildung in Allenstein über mich ergehen
lassen. Zum 18. August 1939 wurde ich bereits wieder zu einer unbefristeten Übung
nach Huntenberg bei Braunsberg einberufen. In dem Dörfchen wurde die 13.
Kompanie des neugebildeten Landwehr‑Infanterie‑Regiments 356
aufgestellt. Als man an uns Erkennungsmarken und scharfe Munition verteilte,
wußten wir endgültig, was die Stunde geschlagen hatte. Noch einmal flammte
ein Hoffnungsschimmer (41) auf, als wir auf dem
Weg zum Braunsberger Ostbahnhof, von wo wir ins „Übungsgelände"
transportiert werden sollten, erfuhren, daß Ribbentrop nach Moskau geflogen
sei, um mit Stalin einen v, Pakt zu schließen. Wir glaubten im ersten Moment,
daß Polen es angesichts des deutsch-russischen Vertrages nicht auf einen
Krieg mit uns ankommen lassen werde. Wir täuschten uns. Am 1. September 1939
überschritt in den Vormittagsstunden unsere Einheit die polnische Grenze. (Ein
ausführlicher Bericht über meine Erlebnisse als Soldat während der ersten
Kriegszeit wird demnächst unter der Überschrift „So hat es
angefangen" in der Blage zu
den Ermlandbriefen UNSERE ERMLÄNDISCHE HEIMAT (1987), Nr. 4,
erscheinen.) Nach Ende des Feldzuges
landete ich auf dem Umweg eines Meldegängers als Schreiber beim Stab der 228.
Infanterie-Division in Warschau. Da ich meine Feder nicht einrosten lassen
wollte, schrieb ich zunächst eine kleine spaßige Sache, die ich vorschriftsmäßig
auf dem Dienstwege der Zensurstelle vorlegen mußte. Sie
wurde genehmigt, und ich war so dreist, sie der BZ am Mittag
zuzusenden, und sie wurde zu meiner eigenen großen Überraschung von dem
Berliner Blatt gebracht. Den Bericht über einen nächtlichen Meldegang
schrieb ich für unsere Ermländische. Dann wurde ich großkotzig.
Unsere Abteilung I c war für Feindabwehr, Truppenbetreuung
und Propaganda zuständig. Ich schrieb einige Sätze in dem Sinne, daß
unsere Landser es für unter ihrer Würde ansehen
sollten, sich mit den Warschauer Huren einzulassen. Der
Abteilungsleiter, kurz I c genannt, brachte meinen Erguß im Divisionsbefehl
unter. Doch die Strafe für meinen pharisäerhaften Hochmut folgte auf
dem Fuße. Wenige Tage darauf ließ mich der I c in sein
Zimmer kommen und in einem Klubsessel Platz nehmen. „Preuschoff“
so hub er an, „Sie sind doch bei Modlin dabeigewesen (Jawohl, dachte
ich im stillen, als Strippenzieher im Erdloch bei der B-Stelle) - wollen Sie
nicht einmal schreiben, daß die Landser heute nicht mehr, wenn es mulmig
wird, ein Vaterunser beten, sondern an den Führer denken?“ O weh, da hatte
ich den Lohn für meine vorwitzige Notiz im Tagesbefehl! Während ich noch
sinnierte, was ich antworten sollte, ergriff der I c selbst wieder das
Wort: „Preuschoff, ich sehe, Sie sind andrer Meinung!“ „Jawohl,
Herr Hauptmann!“ „Dann hat das Gespräch nicht stattgefunden!“
dem so war, zeigte sich kurz darauf. Als der I c versetzt wurde, sorgte er
noch dafür, daß ich völlig aus der Reihe zum Unteroffizier befördert
wurde, womit ich die Planstelle beim I c einnehmen konnte. Seitdem weiß ich
den Wert einer Planstelle zu schätzen. Unsere Abteilung I c wurde
eingeschaltet, als es darum ging, die 10. November 1939 neugegründete Warschauer
Zeitung (eine Nebenausgabe der Krakauer Zeitung,
vgl. HALF, S. 279) an die Einheiten der Division zu verteilen.
Abgesehen von der politischen Tendenz war ich erstaunt, daß die Zeitung recht
ordentlich (42) gemacht war. Offensichtlich
waren ihr beträchtliche Mittel zur Verfügung gestellt worden. Da ich längst
gespürt hatte, daß ich in Braunsberg bei der Ermländischen Zeitung,
rein beruflich gesehen, sozusagen auf einem toten Gleis saß, drängte ich mit
Macht auf eine Stelle an einer größeren Zeitung. Eine zunächst
aussichtsreiche Bewerbung bei der Zeitung für Ostpommern in Stolp scheiterte
an meinem Gebetbuch. Mehrere Male bin ich beim Phönix-Verlag in Berlin
vorstellig geworden. Der Personalreferent Dujardin, ehemaliger Zentrum-Redakteur
wie Orth, also auch ein Schützling des Bürgermeisters Winkler, zeigte Verständnis
für mein Anliegen. Die Conditio sine qua non sei allerdings die Zugehörigkeit
zur Partei. Ich konnte sie erfüllen. Ende November 1940 war es dann soweit:
Ich wurde für die Litzmannstädter Zeitung uk-gestellt. Diese war die
Nachfolgerin der Lodzer Freien Presse, der größten deutschen Zeitung in
Polen, die nach dem Polenfeldzug vom Phönix-Verlag übernommen und nach dem
neuen Namen der Stadt benannt wurde. Eine „Freie Presse", die es noch
in der polnischen Zeit gegeben hatte, war unter der neuen deutschen Herrschaft
nicht mehr gefragt. Litzmannstädter
Zeitung 1940-1942
aus: Hans
Preuschoff: Journalist im Dritten Reich Diese Site wurde von der
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ins Internet gestellt! |