Hans Preuschoff
Journalist im Dritten Reich Zweite
Etappe: Litzmannstädter Zeitung 1940-1942
Meiner „von oben"
verfügten Uk-Stellung für die Litzmannstädter Zeitung traten unerwartete
Schwierigkeiten innerhalb meiner Einheit entgegen. Ich war immer noch
Schreiber beim Divisionsstab, Abteilung Ic. Die 228. Infanteriedivision war
allerdings nach dem Krieg mit Frankreich, zu dem sie nicht mehr benötigt
wurde, aufgelöst worden. Doch blieb der Stab beisammen zur Aufstellung der
neuen 16. Inf. Div. (mot.) Schon der Kommandant Stabsquartier, dem ich als
Schreiber unterstellt war, machte einige Bedenken geltend. Tatsächlich hatte
sich die militärische Lage verschlechtert. Die beiden Dolmetscher, die
unserer Abteilung zugeteilt waren, mußten für den Divisionskommandeur,
Generalleutnant v. Chappius, die englischen Nachrichten abhören, von denen
sie die wichtigsten mir in die Maschine diktierten. Das war natürlich aufs
strengste verboten, was wir vom General bis zum Schreiber trieben, aber was
scherte das den Herrn v. Chappius. Hagemann bemerkt: „Das Abhören ausländischer
Sender wurde nur denen gestattet, die eine ausdrückliche Genehmigung hierzu
von einer obersten Reichsbehörde hatten. (HAGEMANN,
S. 301) General v. Chappius hatte eine solche Genehmigung mit
Sicherheit nicht. Ich wurde natürlich zur Geheimhaltung vergattert, und ich hütete
mich schon um meines Kopfes willen, den Kameraden zu erzählen, was ich auf
diese Weise erfuhr. Täglich berichtete der englische Sender von furchtbaren
Verlusten, die unsere Luftwaffe bei ihrer Offensive gegen England erlitt. Auch
wenn man von den genannten Zahlen gewiß Abstriche machen mußte: Was blieb,
war schrecklich genug. Jedenfalls war bereits die Lufthoheit über England
nicht erreicht worden, die das Heer zur Voraussetzung einer Invasion gemacht
hatte. So unterblieb diese, zu der man alle verfügbaren Schiffe bis vom
fernsten Ostpreußen beordert hatte. Zudem erlebte ich noch bei
der Wehrmacht den Besuch des sowjetischen Außenkommissars Molotow in Berlin
am 12./13. November 1940, dessen negativer Ausgang Hitlers Entscheidung für
den Rußlandfeldzug bestimmte. So hing meine Uk-Stellung buchstäblich am
seidenen Faden, und ich hütete mich, sie von mir aus zu gefährden. Darum
respektierte ich auch die Einwände des Ic Hauptmanns Wedigo v. Wedel. Ich bin
mit ihm glänzend ausgekommen, aber beim Barras, wie wir statt Kommiß sagten,
gehen die Uhren eben anders. Die 16. Inf. Div. (mot.)
wurde auf dem Truppenübungsplatz Wahn aufgestellt, der Divisionsstab lag in Köln
im Hotel „Reichshof", das später ausgebombt worden ist. Nur das Portal
ist noch in den (44) Neubau neben der bekannten
kölschen Gaststätte Früh einbezogen worden. Nach dem Besuch eines Gürzenich-Konzertes
kam mir der Gedanke, ein solches für unsere Division zu arrangieren. Das
gelang mir mit Hilfe von „Kraft durch Freude", die das Konzert
finanzierte. Das Gürzenich-Orchester spielte, was laut und schön war, von
der Tannhäuser-Ouvertüre bis zum Walkürenritt. Das Lob des Generals steckte
sich der Ic ein. Nun machte dieser seine Zustimmung zu meiner UK-Stellung, die
an sich gar nicht erforderlich war, davon abhängig, daß ich für einen
geeigneten Nachfolger sorgte. Ich widersprach nicht, aus den angegebenen Gründen,
auch wollte ich von Hauptmann v. Wedel keinesfalls in Unfrieden scheiden. Ich
präsentierte erst ein nettes Pastörchen, das aber nicht angenommen wurde.
Mehr Glück hatte ich mit einem echten Journalisten namens Lange. Weil er mir
die Freistellung ermöglichte, sei ihm der „Rufmord" verziehen, den er
nach dem Kriege in Bonner Journalistenkreisen an mir begangen hat. Davon erzählte
mir mein alter Freund Georg Heider, führender Wirtschaftsjournalist bei der
CDU, mit Behagen. Ich hätte, so Lange, Wedigo v. Wedel im Dom-Hotel im Bette
mit einer bekannten Filmschauspielerin, die bei uns gerade in Truppenbetreuung
machte, erwischt, worauf der Herr Hauptmann mit dem Stiefel nach mir geworfen
habe. Die Geschichte stimmt mit einer wichtigen Einschränkung: Das Objekt des
hauptmännlichen Stiefels war nicht ich, sondern der Schütze T., der der
Abteilung für die sogenannten niederen Dienste, als da sind das Putzen der Ic‑Stiefel
usw. usw., zugeteilt war. Doch fing Freund Heider immer wieder von der nach
seiner Meinung reizenden Story an, und so werde ich wohl bis an mein
Lebensende damit leben müssen. Aber wenn mein Kopf weiter nichts zu ertragen
hätte als einen Hauptmannsstiefel, wäre ich reichlich zufrieden. Von Köln habe ich mich
dann nach Breslau begeben, wo sich meine Frau seit Kriegsbeginn bei ihrer
Mutter aufhielt. Sie wußte, daß sie mit mir nach Litzmannstadt ziehen müsse
- sonst hätte ich auch bei der Wehrmacht bleiben können, wo ich unter
Kameraden war. Es war töricht von mir, daß ich nicht von Breslau aus zunächst
telefonischen Kontakt mit den Gewaltigen von der Litzmannstädter Zeitung
aufnahm. Ich hätte dann nämlich erfahren, daß ich dort erst nach
Weihnachten erwartet würde. So hätten wir noch den Umständen entsprechende
schöne Festtage in Breslau verleben können mit dem geliebten Transeamus in
der Domkirche. In Litzmannstadt verliefen sie dann sehr trist, und ich kann es
meiner Frau nicht verdenken, daß ihr die Tränen kamen. Jedenfalls machten wir uns
Mitte Dezember auf den Weg nach Litzmannstadt - bangen Herzens. Die Fahrt
durch die winterliche Ödnis des ehemaligen Kongreßpolen war alles andere als
erheiternd. Aufgrund einer Anzeige in den Breslauer Zeitungen hatten wir uns
ein Zimmer im „Hotel General Litzmann", dem bisherigen Grand-Hotel,
bestellt. Das war schon der erste Fauxpas, den ich mir (45)
erlaubte. Wie mir Verlagsdirektor Wilhelm Matzel bei meinem ersten
Besuch sogleich an den Kopf warf, hätten sie für uns das natürlich
billigere Hotel Metropol vorgesehen (das Joseph Roth zum Vorbild für seinen
Roman „Hotel Savoy" gedient haben soll). Wir kamen abends in
Litzmannstadt an und ließen uns mit einer Pferdedroschke zum Hotel fahren.
Wir haben, Herr Matzel möge es entschuldigen, das komfortable Zimmer mit Bad
genossen, auch wenn es in puncto Sauberkeit usw. nicht den Ansprüchen genügte,
wie sie später einmal bei einem Gastspiel die berühmte Sängerin Emmi
Leisner erhob. Am nächsten Morgen suchte
ich wohl zuerst die Redaktion der Litzmannstädter Zeitung auf, um mich dem
Hauptschriftleiter Dr. Kurt Pfeiffer, vorzustellen. Ein Sachse aus Naumburg,
der zuvor Hauptschriftleiter der gleichfalls zur Phönix-Gruppe gehörenden
Wormser Tageszeitung gewesen war. Wir sind miteinander gut ausgekommen,
zumindest äußerlich, ob er aber immer ganz aufrichtig war? Er kungelte mit
dem Verlagsdirektor, auch verkehrten sie mit ihren Frauen privat, beide
kinderlos. Dann machte ich mich auf
den Weg ins Verlagshaus, das einige hundert Meter vom Redaktionsgebäude
stadteinwärts lag. Vom ersten Hieb, den mir Herr Matzel versetzte, habe ich
bereits berichtet. Dann aber stellte er, sich in der von ihm dann gewohnten
Weise auf seinem Sessel räkelnd, an mich die rhetorische Frage: „Sie sind
natürlich katholisch?" Ich konnte sie nicht verneinen. Darauf er: „Ich
bin es auch, aber kirchlich gesehen war ich immer ein schlechter
Katholik". Nun wußte ich es. Matzel kam von der Gleiwitzer Volksstimme,
deren Chefredakteur und wohl späterer Verlagsdirektor er gewesen war.
Boshafte Kollegen nannten ihn den Kofferträger des Herrn Prälaten, womit sie
den oberschlesischen Zentrumsführer Karl Ulitzka meinten, dessen Organ die
Volksstimme war. Auch weiterhin erwies Matzel mir mancherlei Liebenswürdigkeiten.
Auf Anregung des Verlagsdirektors der Ermländischen Zeitung, Orth, wurde ein
Austausch zwischen ihr und der Litzmannstädter Zeitung vereinbart. Während
Orth bei einem Besuch in Braunsberg mein neues Blatt für gut befand, was mich
aus dem Munde eines alten Journalisten natürlich freute, versicherte mir
Matzel eines Tages in Anwesenheit von Dr. Pfeiffer - die beiden traten gern
gemeinsam auf, wobei Matzel sprach und Pfeiffer nickte -,sie hätten mich
nicht genommen, hätten sie die Ermländische Zeitung früher gesehen. Was
sollte ich darauf antworten? Ehrlicherweise hätte ich sagen müssen, nun wüßten
sie auch, warum ich mit Macht von Braunsberg drängte. Sollte ich aber das
Nest bekleckern, in dem ich flügge geworden war? Also sagte ich gar nichts. Matzels erste Beschäftigung
am Morgen war, daß er unsere Zeitung mit dem Gaublatt Ostdeutscher Beobachter
in Posen verglich. Hatte ich eine Meldung nicht, die wir nach seiner Meinung hätten
(46) bringen müssen, kriegte ich es zur
Abendbrotzeit, wenn er regelmäßig in der Setzerei aufkreuzte, wo ich die
ersten Seiten umbrach, zu hören: Preuschoff, wir liegen wieder schief! Diese
ständige Redensart ist mir noch heute gegenwärtig und wird von mir bei
passenden Gelegenheiten gern zitiert. Als ich zur Presse ging, wünschte mir
Professor Switalski, der dem Verwaltungsrat der Ermländischen Zeitung angehörte,
vor allem ein dickes Fell. Dieses konnte ich bei Matzel gebrauchen. Obschon
ich seine Meckereien, zu denen er sich als Verlagsdirektor verpflichtet fühlte,
nicht ernst nahm: Im Grunde hat er, was ich auch spürte, meine Arbeit geschätzt.
Als ich Litzmannstadt hatte verlassen müssen, bekam ich von ihm in Berlin
einen Brief, in dem er meinen Weggang sehr bedauerte. Hier schrieb er mir, was
er mir in Litzmannstadt zum Verrecken nicht sagen wollte. Nach dem Kriege habe
ich Matzel in Köln wiedergetroffen, wo er beim WDR gelandet war. Weil er sich
stark für die Vertriebenen und das Heimatrecht einsetzte, war er bei der
Einstellung der meisten Redakteure des WDR dort zunehmend isoliert. Sein Grab,
in dem er neben seiner Gattin auf dem Melaten-Friedhof ruht, war bei unserem
letzten Besuch schon reichlich verwildert. Was gar nicht erst
diskutiert wurde, als ich nach Litzmannstadt kam, war das Ressort, das ich
verwalten sollte. Man sah es als selbstverständlich an, daß ich das
politische übernehmen werde. In Braunsberg hatte ich vor allem das Feuilleton
besorgt und die Politik nur in den Wochen gemacht, in denen der
Hauptschriftleiter Dr. Faller in Urlaub war. Welche Leser behaupteten, es an
den zugreifenden Überschriften zu merken, wenn ich dran war. Nun in
Litzmannstadt wurde mir, ohne viel Federlesens zu machen, die Politik
zugeschanzt. Manche Leser mögen die Nase rümpfen, daß ich die Aufgabe eines
politischen Redakteurs übernommen habe. Sie war halb so schlimm. Gerade der
politische Teil wurde durch die täglichen Richtlinien und Sprachregelungen
dermaßen bestimmt, daß seinem Leiter kaum Spielraum blieb. Er konnte höchstens
durch Auswahl und Plazierung der grundsätzlich mit einer Meinung im Sinne des
Systems eingefärbten Nachrichten eine gewisse persönliche Note erkennen
lassen. Von einem weiteren Weg, der Uniformierung zu begegnen, wird sogleich
die Rede sein. Größere Bewegungsfreiheit hatte der heimatliche Teil, der
demzufolge redaktionell stärker besetzt war. Die Litzmannstädter
Zeitung war eine Morgenzeitung, die Redaktionsarbeit besonders des
politischen Teils erstreckte sich also bis in die späten Abend‑ und frühen
Nachtstunden. Am ersten Tag meines Wirkens blieb der Hauptschriftleiter
Pfeiffer noch bis zum Andruck der ersten Nummern in der Redaktion und unterstützte
mich beim Umbruch. Doch schon am zweiten Tage ging er wohl im Bewußtsein, daß
ich es hinkriegen werde, gegen 8 Uhr abends wie (47) auch
weiterhin mit Matzel nach Hause. Als ich später einige Wochen in Riga bei der
Deutschen Zeitung für Ostland tätig war, verließ der Hauptschriftleiter Dr.
Michel als letzter das Schlachtfeld, wobei ich für den militärischen
Ausdruck um Verzeihung bitte, aber Experten wissen, daß er für die letzten
Stunden und Minuten vor dem Andruck einer Zeitung nicht fehl am Platze ist. So
hat man mich in Litzmannstadt ins Wasser geworfen, und ich habe sehr bald
schwimmen gelernt, eben weil ich mußte. Pfeiffer hinterließ allenfalls einen
08/15-Artikel. Weil der Stoffandrang zu groß war und ich mir keinen Rat wußte,
wie ich das alles auf zwei Seiten unterbringen sollte, und Pfeiffer
telefonisch bat, seinen Leitartikel zu verschieben, lehnte er dies ungerührt
ab. So ließ ich ihn fortan lieber gleich in Ruhe. Auch in Litzmannstadt übernahm
ich wie in Braunsberg aus eigenem Antrieb ein weiteres Ressort: den Sportteil.
Dieser war bei meinem Amtsantritt in geradezu beschämender Verfassung. Wer
sofort Feuer und Flamme war, als ich mein Angebot machte: Wilhelm Matzel! Hier
war keine Rede von technischen Schwierigkeiten, wie man sie zu Braunsberg geäußert
hatte. Zu den eifrigsten Lesern meines Sportteils gehörte Matzel selbst. Es
war schon eine Ironie, daß ich, der denkbar unsportlichste Mensch, gleich an
zwei Zeitungen den Sportteil in Schwung gebracht habe. Bei der Litzmannstädter
Zeitung gab es keine festen Arbeitsstunden, wie sie der pingelige Herr Prälat
Skowronski in Braunsberg festgelegt hatte. Ich bin am Vormittag auf die
Redaktion gegangen, um das angelaufene Material durchzusehen und das meiste
davon dem wichtigsten Requisit einer jeden Redaktionsstube, was der Papierkorb
ist, anzuvertrauen. Meine eigentliche Tätigkeit begann am Nachmittag. Wir
waren an den Hell-Schreiber angeschlossen. Die Mitarbeiter, die ihn bedienten,
brachten mir die Überschriften der anlaufenden Meldungen. Wenn sie mich
interessierten, wurde die Meldung in die Schreibmaschine getippt, wenn nicht,
wurde es gelassen. Ich glaube, das war die Prozedur - es ist immerhin schon über
40 Jahre her! Auf jeden Fall schaltete ich um 20 Uhr den Rundfunk ein, um die
Tagesnachrichten zu hören, einmal um zu kontrollieren, ob mir nichts
Wesentliches entgangen war, zum anderen, weil das danach anlaufende Material
interessanter war, da es die Leser der Zeitung noch nicht in den
Abendnachrichten mitbekommen hatten. Der große Kampf, den die Zeitungsmacher
damals besonders im politischen Teil zu bestehen hatten, war der gegen die
Langeweile. Da die Zeitungen auf das Deutsche Nachrichtenbüro angewiesen
waren, sahen die meisten Blätter praktisch einander gleich aus, es sei denn,
sie konnten sich wie die Frankfurter Zeitung, die Deutsche
Allgemeine Zeitung und mit einigem Abstand auch noch wenige andere
Zeitungen eine größere Zahl von Redakteuren und Auslandskorrespondenten
leisten. Auch konnten diese Zeitungen gewissen „Beistand" finden bei (48)
Leuten wie Goebbels, Amann und Rienhardt.(Vgl.
GILLESSEN, S. 201. ‑ Das Buch von Gillessen ist aus unserer damaligen
Sicht die dramatische Schilderung des Kampfes der Redaktion der Frankfurter
Zeitung um eine lesbare und im Rahmen der Möglichkeiten wahrhaftige Zeitung.)
Ihre Beiträge bewegten sich manchmal hart an der Grenze des Erlaubten
und gingen womöglich noch darüber hinaus. Was ich gestehen muß: Mit
besonderem Interesse habe ich die griffigen Berichte des
Tokio‑Korrespondenten des Berliner Tageblatts und der Frankfurter
Zeitung Richard Sorge gelesen. Er ist dann als Sowjetagent entlarvt und 1944
hingerichtet worden. Wir in der Litzmannstädter Zeitung suchten der Gefahr
der Uniformität dadurch zu begegnen, daß wir uns einen Berliner
Korrespondenten hielten, der jeden Abend einige Meldungen und Berichte
telefonisch durchgeben ließ. Auch er mußte sich natürlich an die
Sprachregelungen des "Promi" halten, aber seine Beiträge lasen sich
eben anders als die des DNB, und vielleicht bemerkte er manchmal in einem
Eckchen etwas, das die Leser, die zwischen den Zeilen zu lesen gelernt hatten,
„dechiffrieren" konnten. Mit dem Berliner
Korrespondenten passierte mir einmal ein reizendes Malheur. Es war an einem
Abend, an dem es noch bewegter als sonst in der Schriftleitung zuging. Ich
meine, daß an dem Tage einige Kollegen zu einer Pressetagung nach Posen
gefahren waren, so daß ich beim Umbruch auch einen Blick auf deren Seiten
werfen mußte. Wir hatten einen ausgezeichneten Stenographen namens Mauermann,
dessen überragende Fähigkeiten schon dadurch bewiesen werden, daß er nach
dem Kriege erster Stenograph des Landtags von Nordrhein-Westfalen geworden
ist. Unser Mauermännchen nahm also die Meldungen aus Berlin auf und übertrug
sie mit der Schreibmaschine. Ich warf im Gedränge des Abends nur einen flüchtigen
Blick auf die Manuskripte, ehe sie zur Setzerei gingen, schließlich waren die
Sachen unseres Berliner Korrespondenten astrein und Mauermann zuverlässig.
Allzu zuverlässig, wie sich an dem Abend herausstellte. Der schnoddrige
Berliner, der die Meldungen im Auftrage unseres Korrespondenten durchgab,
hatte nach einem englischen Zitat, ehe er die Übersetzung brachte,
eingeschoben: für die Minderbegabten! Unser Mauermännchen hatte die
Zwischenbemerkung treu und brav mitstenographiert und nachgeschrieben, ich
hatte sie bei der flüchtigen Durchsicht übersehen, und so erschien sie dann
am nächsten Morgen tatsächlich in der Zeitung! Es wäre natürlich Sache des
Hauptschriftleiters gewesen, mit den zuständigen Stellen, dem Gaupresseamt
und vor allem Gaupropagandaamt, die Angelegenheit zu klären, doch er tat es
von sich aus nicht, und ihn darum zu bitten, paßte mir nicht. So bekam ich
denn nach einigen Tagen vom Gaupropagandaamt ein geharnischtes Schreiben,
schon auch weil dieses mit Wonne die Gelegenheit ergriffen hatte, der
ungeliebten, weil nach den damaligen Auffassungen bürgerlichen Litzmannstädter
Zeitung und wohl auch (49) mir selbst eins
auszuwischen. Darin war von einem unglaublichen Hochmut die Rede, der die
ganze doch so wichtige deutsche Aufbauarbeit im Osten (eine damals sehr
beliebte Redensart) aufs höchste gefährde. In dem Ton ging es eine ganze
Weile weiter. Schade, daß der Wisch mir im Drang der Ereignisse abhanden
gekommen ist, er würde heute in meiner Stube hängen - zur Erinnerung an eine
große Zeit! Eines anderen späten
Abends wurde mir der neue Gaupressedienst aus Posen auf den Tisch gelegt. Ich
würdigte ihn nur eines kurzen Blickes, weil er an sich so langweilig war wie
alle derartigen Erzeugnisse, die das damals schon kostbarer werdende Papier
nicht wert waren, sondern nur die Existenzberechtigung ihrer Herausgeber
beweisen sollten. Doch beim Anblick einer Meldung stutzte ich. Der Führer
wolle, so hieß es darin, nach dem siegreichen Ende des Krieges jährlich
einige Monate vom Posener Schloß aus den neu gewonnenen „Lebensraum im
Osten" regieren. Ich hatte sofort das Empfinden, daß die Meldung, um es
in der Journalistensprache zu sagen, stank. Posen lag schließlich nur einige
Kilometerchen von Berlin entfernt; wenn Hitler schon unbedingt im Osten
regieren mußte, hätte sich Kiew oder eine andere Stadt im neuen
„Lebensraum" angeboten. Aber was soll's? Der Bericht war mal was
anderes als das ewige Einerlei. An sich hätte ich in dem Falle den
Hauptschriftleiter befragen müssen, aber der war wie immer längst über alle
Berge, und ihn deswegen anzurufen, stand mir nicht an. Ohnehin hätte er, wie
ich ihn kannte, mir die Entscheidung und damit die Verantwortung überlassen.
Also handelte ich auf eigene Faust. Ich entschloß mich, die Meldung auf der
ersten Seite zu bringen, zwar nicht als Aufmacher, d. i. als Hauptüberschrift,
aber doch dreispaltig mit der pompösen Überschrift: „Posener Schloß wird
Führerpfalz im Osten." So lasen es die Leser am kommenden Morgen,
vielleicht etwas überrascht und erstaunt, aber es dürfte keinen gegeben
haben, der sie nicht gelesen hat, und eben darauf kam es mir vor allem an. Und
ich harrte nun der Dinge, die da kommen würden. Und sie kamen in Gestalt
einer Sprachregelung in den vertraulichen Informationen des Berliner
"Promi": „Die Meldung der `Litzmannstädter Zeitung´, ,Das
Posener Schloß wird Führerpfalz im Osten`, ist von der deutschen Presse
nicht zu übernehmen." Eigentlich mußte, wie ich es natürlich auch
getan hatte, als Quelle der Meldung der Gaupressedienst in Posen angegeben
werden, aber wie sagt doch das Sprichwort: Eine Krähe hackt der anderen kein
Auge aus. Das war jedenfalls alles, was ich von der „Panne" zu lesen
und zu hören bekam. Möglicherweise wurde mir zusätzlich zu den
„Minderbegabten" ein weiterer Minuspunkt auf der Karteikarte, die mit
Sicherheit über mich von der Gestapo und sonstwo angelegt war,
„gutgeschrieben". Immerhin hatte ich es fertiggebracht, daß unsere
Zeitung vor der ganzen deutschen Presse genannt wurde, und mancher Kollege im
Reich (50) hat vielleicht seinen Spaß an der
Überschrift gehabt. Matzel konnte nicht sagen: Wir liegen wieder schief, denn
der Ostdeutsche Beobachter hatte die Meldung gar nicht gebracht.
Wahrscheinlich hat die Schriftleitung des Parteiorgans beim Gaupropagandaamt
angefragt, und dieses hat abgewinkt. Auf den Gedanken, uns vor der Meldung zu
warnen, ist man im Gaupropagandaamt nicht gekommen, nicht zuletzt wohl auch,
weil dadurch das oben erwähnte Neben- und Gegeneinander von Gaupresseamt und
Gaupropagandaamt offenkundig geworden wäre. Möglicherweise hatte das
Gaupropagandaamt auf meine „Instinktsicherheit" vertraut, die mich
veranlassen werde, die Meldung nicht zu bringen. Ich war schon, wie
angedeutet, „instinktsicher"; aber gerade deshalb brachte ich die
Meldung heraus, eben weil sie zu schön war, als daß ich sie mir hätte
entgehen lassen können. Das war eine der kleinen Freuden, die einem
Journalisten damals noch gegönnt waren. Am 16. Oktober 1942 erging
vom "Promi" an die deutsche Presse folgende Tagesparole: „Die
bedeutsamen militärischen Erfolge im Nordteil von Stalingrad nehmen den
ersten Platz in den heutigen Blättern ein. Es empfiehlt sich Vorsicht in
Aufmachung und Kommentierung, um nicht beim Leser den Eindruck zu erwecken, es
sei jetzt das Ereignis fällig, auf das er seit Wochen gewartet hat". (Zitiert
nach HAGEMANN, S. 261 f.) An einem der letzten Abende im Oktober
empfing ich aber nach den Abendnachrichten einen Anruf (vom Gaupropagandaamt,
wie ich mich erinnere), es sei in kürzester Frist mit dem Fall von Stalingrad
zu rechnen. Es sollten schon jetzt alle Vorbereitungen getroffen werden, die
Meldung ganz groß herauszubringen. So ließ ich denn mit den größten
Lettern, über die wir verfügten, über die ganze Breite die Überschrift
setzen: Stalingrad gefallen. Darunter noch ein ganz dicker Balken. Als ich wie
üblich in meine nahe gelegene Wohnung zum Abendessen ging, nahm ich einen
Abzug mit der Überschrift mit. Wir, meine Frau und ich, schauten sie uns
beide mit einem Gefühl, wie soll ich es sagen, unheimlichen Stolzes an. Als
ich in die Schriftleitung zurückkehrte, war die Meldung noch nicht
eingetroffen. Ich wartete eine Stunde, zwei und noch länger, aber sie kam
immer noch nicht. Als es höchste Zeit war, unser Blatt anzudrucken, damit es
noch die auswärtigen Leser erreichte, nahm ich den Aufmacher in gewöhnlicher
Schrift und Größe aus den angelaufenen Meldungen. Dann wartete ich noch eine
Weile, um die bewußte Nachricht wenigstens den Lesern der Stadtausgabe
zukommen zu lassen. Als aber der Morgen immer weiter fortschritt, ohne daß
sie mitgeteilt wurde, ließ ich die Überschrift endgültig auseinandernehmen.
Sie ist, ich brauche es nicht erst zu sagen, niemals benötigt worden. Wie ich
die Tragödie von Stalingrad miterlebte, davon wird später die Rede sein. (51)
Von den Litzmannstädter Kollegen war mir der liebste Adolf Kargel, der langjährige
Chefredakteur der Lodzer Freien Presse. Ein stiller, nobler Mann. Er wurde bei
der Umstellung der Zeitung sozusagen entthront und zum Lokalredakteur
bestimmt, was er mit der ihm eigenen Würde trug. Die meiste Zeit waren ihm für
den Außendienst zwei Schriftleiter beigegeben. Die Einengung des politischen
Teils sollte, wie ich schon bemerkt, durch stärkere Aktivitäten auf dem
heimatlichen ausgeglichen werden. Adolf Kargel und seine liebenswerte Gattin
waren die einzigen, mit denen wir in Litzmannstadt freundschaftliche
Beziehungen pflegten. Kargel ist am 15. Mai 1985 im Alter von 93 Jahren
heimgegangen. Sein Hobby, dem er sich wie schon in der Heimat auch als
Vertriebener in Hannover mit Leidenschaft widmete und das ihm die Anerkennung
der Fachleute eingetragen hat, war die Münzenkunde. Mitunter tauchten bei uns
Journalisten auf, von denen man nicht so recht wußte, woher und wozu sie
kamen. Ich mutmaße, daß daran Parteistellen aus dem Gau beteiligt waren,
denen die Schriftleitung der Litzmannstädter Zeitung nicht parteifromm genug
war. Ein Schleichertyp, der durch ein geschlossenes Auge noch unheimlicher
wirkte, trachtete wohl Dr. Pfeiffer nach dem Leben. Nach unseren Erkundungen
hatte er seine frühere Stelle auf Veranlassung der übrigen Schriftleiter
aufgeben müssen. Er hatte einen Kollegen angezeigt, weil dieser eine der
vertraulichen Informationen des "Promi", die unter Verschluß
gehalten werden mußten, auf seinem Tisch hatte liegen lassen. Auf solche
„Verfehlungen" standen strengste Strafen. Als ich einmal meinen freien
Tag hatte, erwischte ihn Pfeiffer in meinem Zimmer, wie er in den dort auf dem
Tisch liegenden Papieren wühlte. Es gelang uns, den unliebsamen Gesellen
abzuschütteln. Ich habe ihn bald nach dem Kriege im Garten eines Wiesbadener
Cafés sitzend wiedergesehen. Er hat gewiß auch mich erblickt. Aber ich bin
nicht auf ihn zugegangen. Wir legten beide keinen Wert auf eine
Wiederbegegnung. Ein anderer zu uns stoßender Kollege sollte wohl mich ablösen.
Doch mußte man einsehen, daß er dem Posten nicht gewachsen war, er hat z. B.
in der Zeit seiner Anwesenheit in unserer Schriftleitung nicht eine Zeile
geschrieben. Ich tue ihm gewiß nicht unrecht, wenn ich annehme, daß er es
war, der mich der Gestapo empfahl, ehe er Litzmannstadt den Rücken kehrte. Die Litzmannstädter
Zeitung war trotz oder gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zum Phönix‑Verlag,
der letztlich Eigentum des Reichsleiters der deutschen Presse, Amann, war,
keine Parteizeitung im eigentlichen Sinne. So trug auch sie wie die Ermländische
Zeitung nicht das Hoheitszeichen, wir sagten: den Vogel im Kopf wie das Organ
des Gauleiters, der Ostdeutsche Beobachter in Posen. Unser Blatt wurde von den
Gaustellen über die Achsel angesehen und, wo es ging, schikaniert. Ich
erinnere mich, wie Pfeiffer mit mir zu Beginn meines Wirkens in Litzmannstadt
zu dem zuständigen Mann (52) von der
Nebenstelle des Gaupropagandaamts ging. Ein arroganter junger Bursche, der
Pfeiffer alle möglichen Vorwürfe machte. Später schickte er Pfeiffer zur
Veröffentlichung in unserer Zeitung ein Gedicht. Die Kulturbonzen entdeckten
tatsächlich oft sozusagen von Amts wegen in sich eine Berufung zum Dichten.
Das fing schon im "Promi" an. Ich höre noch, wie in Berlin bei
einem Pressetreffen eine Mitarbeiterin der Zeitschrift Das Reich
ungeniert sagte: „Wenn bei uns im Reich eine Panne passiert, nehmen wir ein
Gedicht von einem aus dem `Promi´ auf, dann ist der Fall ausgestanden." Der Leserkreis der Litzmannstädter
Zeitung war sehr vielschichtig. Da waren zunächst die eingesessenen
Deutschen, die gewiß sehr ihrer geliebten Freien Presse nachtrauerten. Dazu
kamen zahlreiche Volksdeutsche, die Hitler von überallher „heim ins
Reich" geholt hatte und von denen viele dem zu germanisierenden
Warthegau, also auch Litzmannstadt anvertraut wurden. Ich sehe noch die
selbstbewußten baltendeutschen Damen, wie sie in den Büros, in der Linken
die obligate Zigarette, mit der Rechten lässig die Formulare ausfüllten,
ohne ihre bedeutenden Gespräche zu unterbrechen. Und dann die
Reichsdeutschen, die oft wie zum Hohn auf die verkündete Devise„ Für den
Osten ist das Beste gerade gut genug!" von den Ämtern und Firmen im
Reich viel zu gern dorthin abgeschoben wurden. Jüngere Reichsdeutsche zog es
schon deshalb in den Warthegau, weil sie hier fürs erste wenigstens dem
Wehrdienst entrinnen zu können glaubten. Das war das Publikum, das in seiner
Unterschiedlichkeit die Litzmannstädter Zeitung gerade im lokalen Teil
ansprechen mußte. Allerdings sollte auch hier nicht das Ziel der
nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik aus dem Auge verloren werden: die
Züchtung des NS-Einheitsdeutschen. Gerade der Warthegau hätte sich wegen des
Zusammenströmens von deutschen Menschen aller deutschen Stämme mit ihren, um
es biologisch zu sagen, Abarten als denkbar geeignet zum
„Schmelztiegel" erwiesen ‑ wäre es beim Warthegau geblieben.
Heute wird man in dem Raume kaum noch deutsche Menschen antreffen. Seit 1940
erschien, in bester Berliner Tradition aufgemacht, die Wochenzeitung Das
Reich, an der mitunter nur der von Joseph Goebbels gegen hohes Honorar
verfaßte Leitartikel ärgerte. (Vgl. HALE, S. 277.)
Als die Zeitung eine glänzend geschriebene Serie„ Der Humor der deutschen
Stämme" gebracht hatte, ließ das "Promi" in seinen
vertraulichen Informationen wissen, daß sie eigentlich nicht im Sinne der
nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik gelegen habe. Aber anscheinend
wollte man sie doch nicht stoppen, weil die Beiträge, wie gesagt, aus den
besten dafür geeigneten Federn geflossen waren. In Litzmannstadt gab es natürlich
auch ein deutsches Stadttheater (ob schon vor 1939, weiß ich nicht zu sagen.
Der Litzmannstädter (53) Zeitung
waren in der Loge, wenn man die Sitze hinter einem Verschlag so nennen will,
vier Plätze zugestanden worden. Sie wurden bei den Premieren von den Herren
Matzel und Pfeiffer mit ihren Frauen eingenommen. Sie fühlten sich wohl als
Honoratioren, denn ich kann mich nicht erinnern, daß Pfeiffer jemals eine
Kritik, pardon, nach Goebbels: Kunstbetrachtung, geschrieben hat. Einmal wurde
aber ich aufgefordert, eine solche zu schreiben. Es wurde ein reizendes
Lustspiel gegeben, „Jan der Wunderbare" hieß es, und sein Verfasser
Friedrich Kayßler war einer der großen Charakterdarsteller des Berliner
Theaters. Die an sich heikle Fabel, daß der Jan sich einbildete, ein Kind zu
kriegen, umspielte Kayßler mit einem feinen, ein wenig schlesischen abgründigen
Humor. Die Aufführung war erstaunlich gut; der Gastregisseur Siegfried Sioli
aus Aachen animierte das durchschnittliche Ensemble zu beachtenswerten
Leistungen. Ich schrieb denn auch eine Kunstbetrachtung über den
Theaterabend. Sie scheint den Dioskuren Matzel und Pfeiffer imponiert zu
haben, denn sie meinten, ich könne doch nach dem Kriege das Feuilleton in der
Zeitung übernehmen. Ich reagierte leicht verdattert: Das „nach dem
Kriege" schien mir doch etwas voreilig zu sein. Dann hat man mich für
einige Tage in die Gauhauptstadt Posen geschickt, um dort die Theater
abzuklappern. Mir ist davon nur eine Aufführung von Verdis „Othello"
in Erinnerung geblieben. Ich mußte natürlich von früher erlebten
Darstellungen der Oper absehen, so von einer in der Berliner Staatsoper unter
George (damals hieß er noch Georg) Szell, der später als Dirigent des
Cleveland-Orchesters weltberühmt geworden ist, damals in Berlin als junger
aufstrebender Mann noch im Schatten von Erich Kleiber und Leo Blech stand.
Eine Wiedergabe des „Othello" in Königsberg erhielt besonderes Gewicht
durch den Jago Josef Herrmann, nach dem Krieg viel dekorierter Star der
Dresdener Oper. Die Posener Aufführung war gewiß sehr solide. Was mir
auffiel: Als Chefdirigent fungierte dort Winfried Zillig, der als Komponist
eigentlich der „entarteten" Musik verfallen war. Ich habe über die
Posener Theaterfahrt einen fulminanten Bericht geschrieben, der nach meinen
Erinnerungen den Beifall des Gaupresseamtes fand. Das Gaupropagandaamt war
mir, wie ich schon bemerkt hatte, nicht grün. Der Pluspunkt beim Gaupresseamt
konnte mich bei der Endabrechnung auch nicht dem Warthegau erhalten. Gern entsinne ich mich noch
eines Liederabends mit dem Bassisten der Posener Oper Alfons Mayr. Wir machten
danach ein Pläuschchen und erinnerten uns der Zeit, als er, damals noch
Mitglied des Königsberger Stadttheaters, auf der schönen Braunsberger Waldbühne
Lortzings „Waffenschmied" sang und wir nach den Proben vergnügt im
„Rheinischen Hof" zusammensaßen. Wie bereits bemerkt, habe
ich von Litzmannstadt aus auch an Feierlichkeiten teilgenommen, die aus
irgendeinem Anlaß in Krakau (54) stattfanden.
Krakau war bekanntlich die Hauptstadt des Generalgouvernements, in dem nach
1939 die Polen auf engstem Raum zusammengetrieben worden waren.
Generalgouverneur war Hans Frank, einer der getreuesten Gefolgsleute Hitlers,
der natürlich auf dem Wawel, dem alten polnischen Königsschloß, regierte.
Als wir den Wawel besichtigten, regierte er gerade nicht, und so konnten wir
auch den prachtvollen Saal besichtigen, in dem sich Frank niedergelassen
hatte. Wie ich mich noch dunkel erinnere, standen in einer Ecke des Saales
Fahnen. Sollten es etwa noch die gewesen sein, die die Polen in der Schlacht
bei Tannenberg 1410 dem Deutschordensheer abgenommen hatten und die nun durch
den Sieg über Polen gewissermaßen rehabilitiert sein sollten? Wir
besichtigten auch den schönen gotischen Dom. Dieser war für das Publikum
geschlossen, doch hielt, wie uns der Domführer sagte, von Zeit zu Zeit ein
Priester darin eine Messe, weil er sonst völlig zweckentfremdet worden wäre.
Der einzige „Gläubige", der der Messe beiwohnte, sei ein Gestapomann.
Daß überhaupt noch in der Kathedrale eine Messe gelesen werden konnte, war
zweifellos das Verdienst des Erzbischofs von Krakau, Fürst Sapieha. Anders
als einige seiner Amtsbrüder wie der Kardinalprimas Hlond, der päpstliche
Nuntius in Warschau und der Bischof von Kulm, Okoniewski, war Sapieha bei dem
Vormarsch der deutschen Truppen auf seinem Posten geblieben. Die neuen Herren
wagten sich nicht an seine respekterheischende Persönlichkeit heran. Es ist
ihm u. a. gelungen, die Wiedereröffnung einiger Priesterseminare
durchzusetzen. Ist es ein Zufall, daß in der NS-Zeit gerade Kirchenmänner
von hohem Adel besonderen Mut bewiesen? In Deutschland waren es die Grafen
Galen, Bischof von Münster, und Preysing, Bischof von Berlin, in Polen eben
der Fürst Sapieha. Alle drei sind nach dem Kriege von Papst Pius XII.
verdientermaßen mit dem Purpur ausgezeichnet worden. Lodz - um die Stadt endlich
bei ihrem richtigen Namen zu nennen; die neuen Machthaber hatten sie in ihrer
Germanisierungswut nach dem Sieger in der Durchbruchsschlacht von Brzeziny östlich
Lodz im November 1914 umbenannt - erhob wahrlich nicht den Anspruch, eine schöne
Stadt zu sein. Sie war wie eine Goldgräberstadt aus dem Boden geschossen, als
sich die Russen entschlossen, in Kongreßpolen mit dem Mittelpunkt Lodz eine
eigene Baumwollindustrie aufzubauen. Diese zog viele deutsche Weber aus
Schlesien, Böhmen, Sachsen, aber auch wie die Scheiblers aus dem Rheinland
an. Manche stiegen zu Baumwollkönigen auf in prächtigen Villen, die sich
neben den Katen, die in den Straßen oft mit größeren Wohnhäusern
abwechselten, deplaciert ausnahmen. Nicht wenige Besitzer der Industriepaläste
waren Juden, denen sie natürlich genommen und die in das berüchtigte
Litzmannstädter Ghetto getrieben wurden. Zu den wenigen Attraktionen, die die
Stadt zu bieten hatte, gehörte ihr Stadtwald. Wir haben ihn einmal (55) aufgesucht
und dann nicht wieder: Die Straßenbahn dorthin fuhr mitten durch das Ghetto.
Bekannte aus der alten Heimat rieten mir mit einer für Leute, die Anspruch
darauf erhoben, als anständige Menschen zu gelten, erstaunlichen
„Arglosigkeit", ich solle meiner Frau doch auch einen Pelz fragwürdiger
Herkunft „besorgen". Es ist keine Ruhmestat, wenn ich sage, daß ich
dem Rate nicht gefolgt bin. In dem Zusammenhang
verdient die Wohnungsfrage erwähnt zu werden. Wir konnten im„ General
Litzmann" natürlich nur kurze Zeit bleiben. So setzte ich schon am
ersten Tage eine entsprechende Anzeige in die Zeitung. Daraufhin bot uns eine
irgendwoher aus Rußland stammende volksdeutsche Frau ihre Wohnung an für
einige Monate, die sie irgendwo außerhalb bei Verwandten verbringen wollte.
Obwohl sie am äußersten Stadtrande lag und ich unbedingt die letzte Straßenbahn
erreichen mußte, wenn ich nachts nicht stundenlang zu Fuß laufen wollte,
nahmen wir sie in unserer Lage an, schlechten Gewissens. Als die Frau mit
ihrer Familie zurückkehrte, bezogen wir eine noch prunkvollere Wohnung, die
sich ein kleiner Postbeamter unter den Nagel gerissen hatte, der uns aber,
obwohl er inzwischen nach dem Städtchen Belgadow versetzt worden war, nur als
Untermieter aufnahm. Was uns aber nicht unlieb war, denn wir konnten uns
denken, wer die eigentlichen Bewohner auch dieser Wohnung waren. Wie wir
abends die Bettdecke aufschlugen, wimmelte die Lagerstatt nur so von Wanzen.
Wir riefen den Kammerjäger zur Hilfe und nachdem dieser sein Werk vollendet
hatte, konnte meine Frau nicht nur die Wanzenleichen mit der Schaufel
wegtragen, auch der glänzende Kronleuchter war durch die Prozedur erblindet,
was den Belgadows, wie wir die „Besitzer" der Wohnung nannten, außerordentlich
mißfiel. Doch uns war die Wohnung gründlich verleidet. Als ich auf der Geschäftsstelle
der Zeitung eine dritte Wohnungsanzeige aufgeben wollte, stand zufällig ein
Mitarbeiter des Verlages neben mir. Er vernahm meinen Wunsch und sagte mir, er
verwalte einige Häuser und könne mir eine Wohnung anbieten. Wir sahen sie
uns an - und griffen sofort zu. Bis auf einen kleinen Büroschrank stand sie völlig
leer. Nebenan waren Büroräume, und so konnte auch diese Wohnung, die nur
durch eine dünne Wand von ihnen getrennt war, gleichen Zwecken gedient haben.
Wir haben uns die notwendigsten Möbel auf reguläre Weise gekauft oder vom
Verlag geliehen. Was wir jetzt mit gutem Gewissen sagen konnten: Wir haben uns
in keine Judenwohnung gesetzt. Wie ich schon andeutete, lag die Wohnung nur
wenige Minuten von der Redaktion entfernt, angesichts meines Spätdienstes ein
ganz großer Vorteil. Als wir nach Litzmannstadt
kamen, herrschten dort noch im Vergleich zum Altreich geradezu paradiesische
Zustände. In den überfüllten „Münchener Bierstuben" gab es ohne
Marken mächtige Schweinshaxen, und in den Konditoreien konnte man die
leckersten (56) Mohnkuchen erstehen. Das änderte
sich jedoch bald, als der gewaltige Truppenaufmarsch gegen Rußland auch den
Warthegau erreichte. Wir waren seitdem kaum besser gestellt als unsere Mitbürger
im alten Reichsgebiete, doch war die Verpflegung der Deutschen allgemein noch
zulänglicher als im Ersten Weltkriege, einmal weil sie von vornherein
organisiert war und die besetzten Gebiete ausgebeutet wurden. Wenn ich noch ein Wort über
die kirchlichen Verhältnisse in Lodz/ Litzmannstadt hinzufüge, so deshalb,
weil ich damit einen Punkt berühre, der für das Ende meiner Litzmannstädter
Tätigkeit von entscheidender Bedeutung werden sollte. Als die deutschen Weber
im 19. Jahrhundert nach Lodz kamen, brachten die Evangelischen ihre
Geistlichen mit, und so entwickelte sich in Lodz ein blühendes evangelisches
deutsches Gemeindeleben. Für die katholischen deutschen Weber, die von keinen
Priestern begleitet wurden, galt die Faustregel, daß sie, wenn sie katholisch
blieben, polonisiert wurden, blieben sie deutsch, wurden sie protestantisch.
So wenigstens wurde es uns gesagt. Erst dem Buch von Breitinger, der dem Orden
der Minoriten angehört und seit 1934 Deutschenseelsorger in Posen und dann im
Warthegau gewesen ist, habe ich entnommen, daß es auch unter den katholischen
deutschen Zuwanderern kirchliche Vereine gab, ehe der Bischof von Lodz mit
Roman von Gradolewski einen Seelsorger für die Deutschen bestellte. (Vgl.
H. BREITINGER, Als Deutschenseelsorger in Posen und im Warthegau 1934-1945.
Erinnerungen. (VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSION FÜR ZEITGESCHICHTE. Reihe
A: Quellen, Bd. 36.) Mainz 1984. Über die kirchlichen Verhältnisse in Lodz (Breitinger
schreibt Lodsch) - Litzmannstadt und den im folgenden mehrfach genannten so
sympathischen Pfarrer Roman von Gradolewski S. 157-160 und passim. Pfarrer von
Gradolewski ist nach dem Vormarsch der Russen in Lodz geblieben und am 13. 9.
1949 nach einem achttägigen Schauprozeß wegen „Hochverrats" usw. zum
Tode verurteilt worden. Ich erfuhr von dem Todesurteil von dem Prälaten für
Schneidemühl Franz Hartz, der nach der Flucht wie ich mit meiner Familie in
Fulda vor Anker gegangen war. Auf Rat des Herrn Prälaten schrieb ich für
Pfarrer von Gradolewski eine Art Persilschein, in dem ich u. a. ausführte, daß
er unter stärkstem Druck der SS gestanden habe. Prälat Hartz wollte mein
Schreiben Bischof Wienken zustellen, der nach drüben Beziehungen habe. Ob
mein Persilschein für Pfarrer von Gradolewski sein Ziel erreicht und gar zur
Umwandlung des Todesurteils in eine Gefängnisstrafe von 12 Jahren beigetragen
hat, das anzunehmen bin ich so eitel nicht. Ich hatte mit dem Schreiben mein
Gewissen erleichtert, denn es ging mir gegen den Strich, daß der Pfarrer, der
meinen Sohn getauft hat, hingerichtet werden sollte. Im Zuge der "Entstalisierung"
ist von GradoIewski 1955 plötzlich freigelassen worden und erhielt von
Erzbischof Kominek eine Pfarrstelle in dessen Breslauer Diözese, von der aus
er, wie mir P. Breitinger schrieb, diesen mehrfach im bayerischen Kloster
Siegsdorf-Maria Eck besucht hat.) Als wir nach Litzmannstadt kamen,
besuchten wir sonntags zunächst den Wehrmachtsgottesdienst. Dann erfuhren
wir, daß die Heilig-Kreuz-Kirche im Stadtzentrum für die deutschen
Katholiken reserviert und der soeben genannte Geistliche von Gradolewski zu
ihrem Pfarrer bestellt sei. Ich sage absichtlich: reserviert. Den Polen war
der Besuch der Kirche verwehrt, und so (57) bot
sich uns während des Gottesdienstes das beschämende Bild, daß der Küster
durch die Reihen ging und sich die Ausweise zeigen ließ. Wer keinen deutschen
hatte, wurde aus der Kirche gewiesen, was natürlich allen kirchlichen
Vorschriften widersprach. Hätte man solches nicht getan, wäre die Kirche mit
Sicherheit geschlossen worden. Sollte es der Pfarrer darauf ankommen lassen?
Ich suchte Pfarrer von Gradolewski wegen der Taufe unseres Sohnes Hans Michael
auf, der am 18. Dezember 1941 in dem von volksdeutschen Diakonissen vorzüglich
geleiteten „Haus der Barmherzigkeit" in Litzmannstadt geboren wurde.
Pfarrer von Gradolewski meinte, es sei wegen meiner Stellung angebracht, wenn
er eine Haustaufe vornehme, und diese ist am 18. Januar 1942 erfolgt.
Taufpatin war meine Schwiegermutter, die nach Art der Mütter von einst die
Tochter aus Anlaß der Geburt ihres Kindes nicht im Stiche lassen wollte. Nach
der langen Bahnfahrt von Breslau nach Litzmannstadt hatte ich sie an einem
eiskalten, stürmischen Winterabend auf dem besonders zugigen Bahnhof in
Empfang genommen. Ich erinnere mich noch, wie wir bei grimmiger Kälte mit
unserem Jungen aus dem Krankenhaus in unsere Wohnung fuhren, mit einer offenen
Pferdedroschke, Autotaxen gab es damals dort nicht. Die guten Schwestern hatte
das Kind wohl verpackt und ihm nur ein kleines Luftloch gelassen. Ich fühlte
während der Fahrt dauernd, ob der Junge noch genügend Luft bekam. Als wir
ausstiegen, wurde meine Frau mit dem Bündel vom Sturm erfaßt und um ein Haar
gegen die Hauswand geschleudert. Das war Lodz/Litzmannstadt im Winter 1941/42. Warum ich das alles so ausführlich
erzählt habe? Ende 1942 ließ die Litzmannstädter Gestapo den Verlag wissen,
daß ich als „Vorkämpfer der Katholischen Aktion" in des Führers
Mustergau, wie sich das Wartheland nannte, untragbar sei, wie man damals gern
sagte, und meine Stelle bei der Litzmannstädter Zeitung aufgeben müsse.
Dazu ist zu bemerken, daß ich niemals etwas mit der „Katholischen
Aktion" zu tun hatte. Sie wurde nur vorgeschoben, damit das Kind einen
Namen hatte. Offensichtlich ärgerte es die Gestapo schon, daß wir uns wie
normale Katholiken verhielten, d. h. sonntags in die Kirche gingen. Der
besondere Stein des Anstoßes dürfte die Taufe unseres Sohnes gewesen sein,
denn es ist anzunehmen, daß die Gestapo die Kirchenakten laufend
kontrollierte. Später mußten aus dem Reich zuziehende Personen ihre
Konfessionszugehörigkeit neu eintragen lassen, wobei man gewiß nicht zu
Unrecht annahm, daß manche, wenn nicht gar viele dabei aus Angst gar keine
Konfession angaben (Ebd. S. 61 f.).
Denunziationen von lieben Kollegen taten, wie schon angedeutet, gewiß das übrige
dazu. Daß ich nicht Knall auf Fall entlassen werden mußte, mag zunächst
daran gelegen haben, daß ich mir abgesehen von den erwähnten Pannen (58)
„nichts zu schulden" hatte kommen lassen. Immerhin war ich auch
kleiner PG und hatte am Polenfeldzug teilgenommen. Aber weg von Litzmannstadt
und dem Warthegau mußte ich, das war beschlossene Sache. Noch als ich meinen
Dienst versah, saß mein Nachfolger bereits neben mir. Er war mir nicht
unbekannt. Ich war Benno Wittke begegnet, als wir die Ermländische Zeitung
beim Königsberger Tageblatt drucken ließen. Er leitete damals in der
Schriftleitung dieser Zeitung das politische Ressort. Da angeblich infolge der
kriegsbedingten Einschränkungen seine Zeitung mit dem Gauorgan Preußische
Zeitung vereinigt und er von dieser nicht übernommen war, setzte man ihn
in meinen Redaktionssessel in Litzmannstadt. Er machte zunächst ein etwas
verlegenes Gesicht, als wir uns wiedersahen, aber wie sollte ich ihm gram
sein, Wittke hatte mich wahrlich nicht von meinen Platze verdrängt. Nach meinem angekündigten
Abschied von der Litzmannstädter Zeitung rechnete ich damit, daß
meine UK‑Stellung aufgehoben wurde. Und ich wäre darob nicht todunglücklich
gewesen. Die knapp zwei Jahre in Litzmannstadt hatten für mich ihren Zweck
erfüllt: Arbeit in einer größeren Zeitung. Und ich wäre immerhin als
Unteroffizier zur Wehrmacht zurückgekehrt und nicht als Rekrut wie der arme
Pfeiffer, der gegen Ende des Krieges einberufen wurde und böse geschlaucht
worden sein soll. Ich traute mir zu, beim Barras, wie man statt Kommiß sagte,
eine ähnliche Stellung zu ergattern, wie ich sie vor meiner UK-Stellung
innehatte. Allerdings war damals noch kein Rußlandfeldzug im Gange. Gillessen gibt den Bericht
über eine Konferenz wieder, auf welcher der Gauleiter und Reichsstatthalter
des Warthelandes Greiser eine Gruppe von Journalisten unter Verpflichtung zur
strengsten Geheimhaltung über die Maßnahmen zur Germanisierung des
westlichen Polens unterrichtete (GILLESSEN, S.450.).
Als ich da von dem ganzen Ausmaß der Schreckensherrschaft las, deren Opfer
Polen und Juden wurden, konnte ich mich noch nach über vierzig Jahren nur glücklich
preisen, daß ich nicht für würdig befunden worden bin, an einer solchen
„deutschen Aufbauarbeit im Osten" teilzuhaben. Während ich mir damals
kaum Gedanken machte, was aus mir werden sollte, ließ mich noch, bevor ich
aus der Litzmannstädter Zeitung ausschied, der bereits von mir
genannte Personalreferent Dujardin nach Berlin kommen. Er war natürlich aus
Litzmannstadt eingehend von meinem Fall unterrichtet worden. Er erklärte mir
wörtlich: „Haben Sie keine Angst, ich bin auch katholisch und gedenke nicht
aus der Kirche auszutreten." Aber die Aufhebung meiner UK‑Stellung
komme, fuhr er fort, nicht in Betracht. Aus dieser Bemerkung schloß ich, daß
diese Frage von Litzmannstadt angeschnitten worden war. Sie brauchten, sagte
Dujardin noch, dringend Leute für die in den besetzten Ostgebieten
herausgebrachten (59) deutschen Zeitungen. Ihre
Erscheinungsorte waren in der Zeit, als die deutschen Truppen am weitesten
nach Osten vorgerückt waren, Reval, Riga, Minsk, Kauen (Kowno, Kaunas) und Luck (für die Ukraine) (Vgl. HALE, S. 180 ff.). Die
Deutsche Ukraine‑Zeitung erschien nicht, wie Hale angibt, in
Kiew, sondern wie soeben bemerkt, in Luck. Irre ich mich nicht, sagte mir
Dujardin schon damals, daß ich für die Deutsche Zeitung für Ostland
in Riga in Aussicht genommen sei. Diese schien mir wenig verlockend, denn bei
dieser Zeitung handelte es sich anders als bei meinen bisherigen um eine
ausgesprochene Parteizeitung, die also den bewußten Vogel im Kopfe hatte und
zudem das Organ des Reichskommissars für Ostland Hinrich Lohse war. Doch ehe
ich nach Riga ging, bemerkte Dujardin noch, solle ich im Berliner Büro der
deutschen Ostzeitungen für meine neue Aufgabe eingearbeitet (lies: überhört)
werden. Da die genannten Ostzeitungen wohl wegen der zu großen Entfernung und
technischer Schwierigkeiten nicht an das Hell-Schreiber-System angeschlossen
werden konnten, wurden sie vom Berliner Büro telefonisch mit Nachrichten
versorgt, aber auch mit Kommentaren und Berichten. Der Abschied von
Litzmannstadt und meiner Tätigkeit in der Litzmannstädter Zeitung
kann mir nicht schwer gefallen sein, denn ich habe daran keine Erinnerung.
Allerdings haben wir das Weihnachtsfest noch zu dritt in der bescheidenen
Litzmannstädter Wohnung verbracht, die uns schon wegen der in ihr erfahrenen
ersten Lebensregungen unseres lang erwarteten Jungen ans Herz gewachsen war.
Nach dem Ende meines Wirkens in Litzmannstadt sind wir zunächst nach Breslau
gefahren, in das Elternhaus meiner Frau. Der Vater war allerdings schon 1934
gestorben, doch nahm uns die Mutter in ihrer großen Güte freundlich auf. Von
Breslau bin ich dann allein in die von Luftangriffen bedrohte Reichshauptstadt
gefahren, wie ich gestehen muß, wieder mit einem bangen Gefühl, weil ich
nicht wußte, was mir dort bevorstand, was für Kollegen ich dort antreffen
und wie überhaupt die ganze Atmosphäre sein werde. Endstation: Berliner Büro der
Ostzeitungen 1942-1944 aus:
Hans
Preuschoff: Journalist im Dritten Reich Diese Site wurde von der
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